Читать книгу 7 Wichita Western Oktober 2019 - Wildwest Sammelband 7008: Sieben Romane um Cowboys, Killer, Gunfighter - Pete Hackett - Страница 7

Reiter neben den Schienen Ein Western von Heinz Squarra

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2019: Tony Masero

© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de



Bill Jackson zieht es nach Kalifornien. Dort will er noch einmal von vorn anfangen und ein neues Leben beginnen. Deshalb trennt er sich von seinem Partner Ike Bedford. Er hat ein klares Ziel vor Augen, aber das Schicksal hat bereits eine andere Entscheidung getroffen. Als Bill Jackson den Zug besteigt, wartet bereits ein neues Abenteuer auf ihn. Und dieses Abenteuer wird ihn in die Stadt Yellowtown führen – eine Stadt, in der er um Leben und Tod kämpfen muss ...



Bill Jackson hört den Fluch des Mannes, der aus dem Wagen gestoßen wind. Die Kette rasselt, die der Blatternarbige zwischen den Handgelenken hat.

„Vorwärts!", donnert eine harte Stimme.

Bill sieht einen zweiten Mann im einzigen Passagierwagen auftauchen. Es ist ein etwa vierzig Jahre alter, schwerer und harter Mann. Er hält einen Colt in der Hand, der auf den Gefesselten gerichtet ist.

Der Blatternarbige ist im Schneetreiben stehengeblieben und schaut unsicher nach allen Seiten. Kalte, abweisende Blicke treffen ihn.

„Weiter! Dort hinein!", schreit der Mann mit dem Colt in der Hand und macht eine Bewegung auf das niedrige Blockhaus der Bahngesellschaft zu.

Der Blatternarbige geht fluchend weiter.

Kurz vor dem Blockhaus will er nach links springen. Da ist der zweite Mann schon bei ihm und schlägt mit der Faust zu.

Der Blatternarbige wird gegen die Wand der Hütte geworfen. Dort bricht er zusammen.

Der andere schiebt seinen Colt ins Halfter, zerrt den Gefesselten wieder hoch und stößt ihn weiter. Sie verschwinden in der Hütte.

Bill Jackson schlägt sich den Kragen der Wolfsfelljacke hoch.

„Das scheint Darby Tetley zu sein", sagt Ike Bedlford neben ihm. „Der Eisenbahn-Marshal, von dem die ganze Stadt redet. Hast du dir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen?"

„Was?"

„Du weißt, was ich meine. Hast du gesehen, dass Fancy geweint hat, als wir von der Farm ritten?"

„Ich habe nichts gesehen", knurrt Bill Jackson und zieht sich die Jacke fester um den Leib, weil die Kälte wie mit spitzen Nadeln in seinen Körper sticht.

„Du wolltest es nicht sehen", gibt Ike Bedford zurück. „Sie hatte gehofft, du würdest bleiben - so, wie ich bleiben werde!"

„Es ist gut, Ike. Du hast dich entschieden, und ich habe mich auch entschieden. Du wirst ihre Schwester heiraten. Ich bin schon verheiratet gewesen. Ich war schon ein armer Siedler und bin für meine Begriffe genug gehetzt worden. Die armen Schlucker werden immer gehetzt und verfolgt. Ich will nicht mehr. Und ich will auch nicht mehr heiraten. Vielleicht bin ich vor allem deshalb gegangen."

„Einsteigen, Gents!", ruft eine Stimme.

Bill Jackson hält seinem Freund die Hand hin. Eine ganze Welt von Empfindungen stürzt auf einmal auf ihn ein. Aber er sagt nichts. Es hat keinen Zweck. Ihre Wege werden sich trennen. Einmal hatte es so kommen müssen, denn irgendwie sind sie sehr verschieden.

„Es ist dein Blut", sagt Ike belegt. „Du bist ein Abenteurer. Du kannst nicht an einem Ort leben und ruhig arbeiten."

Bill schweigt. Er nickt sogar, obwohl er weiß, dass alles nicht stimmt. Er hat schon mehrmals versucht, an einem Ort zu bleiben und durch harte Arbeit etwas zu erringen. Aber es war ihm nicht gelungen. Nie! Immer kamen welche, die etwas dagegen hatten. Er lässt Ikes Hand los und geht auf den wartenden Zug zu. Er sieht den Eisenbahn-Marshal aus der Blockhütte zurückkommen und vor ihm einsteigen.

„Beeilung!", ruft es wieder.

Er steigt in den Wagen und zieht die Tür hinter sich zu. Er dreht sich um und sieht Ike draußen im Schneetreiben. Bedford wird kaufen, was er in Cheyenne kaufen wollte, und dann zu der Siedlerstelle im Niemandsland am Fuße der Black Hills zurückkehren. Und dort wird er wahrscheinlich alle die bitteren Erfahrungen machen, die Bill schon hinter sich hat.

Bill zieht die Lederschlaufe der Rahmenhalterung auf sich zu und stößt das Fenster nach unten.

„Viel Glück in Kalifornien!", ruft Ike gegen das Heulen des Sturmes.

Bill hebt die Hand.

Ein grelles Pfeifen kommt von der 440 Lok. Ein Rucken geht durch die zwei angehangenen Wagen. Eine Rauchwolke hüllt Ike ein. Er hat die Hand etwas gehoben.

Bill nickt ihm zu. Dort vor den Bahnschuppen bleibt etwas zurück, von dem er glaubte, dass es ein Teil seines Lebens geworden ist. Es stimmt gar nicht.

Schnee wirbelt in die Höhe. Der Zug rollt durch eine Kurve.

„Mister, es zieht!", sagt eine helle Stimme.

Bill Jackson dreht den Kopf. Er sieht ein junges Mädchen mit weißblonden Haaren und sehr hellen Augen. Es hat einen Biberpelz um Schultern und Hals. Er murmelt eine Entschuldigung und stößt das Fenster nach oben.

Gegenüber dem Mädchen lässt er sich auf die Holzbank fallen. Er sieht den Koffer, der neben ihr steht. Dabei muss er daran denken, dass er nichts hat. Gar nichts, außer einer Fahrkarte nach Sacramento und ein paar Dollar Kleingeld. Dazu noch einen Colt und Patronen. Nicht einmal ein Gewehr besitzt er mehr. Als seine Armut so richtig in sein Bewusstsein gedrungen war, hatte er sich entschlossen, nach Kalifornien zu gehen.

Er sieht den Eisenbahn-Marshal. Der Mann sitzt ganz hinten im Wagen. Er redet mit einem anderen Mann, der wie ein Jäger aus den Bergen aussielht.

„Fahren Sie weit?", fragt Bill das Mädchen, nur um überhaupt etwas zu sagen.

Sie schüttelt den Kopf.

„Ich müsste am Abend ankommen. Ich will nach Hassel Junction in Colorado. Kennen Sie die Stadt?"

„Nein."

„Sie muss zweihundert Meilen abseits der Bahnlinie liegen. Ich werde abgeholt."

Bill lehnt den Kopf zurück. Er muss immer noch an die Siedlerstelle und die beiden Mädchen denken. War es richtig, dass er fortgegangen ist und Fancys Hoffnungen jäh zerstörte?

In Nebraska hatte er das Grab seiner jungen Frau zurückgelassen. Wenn er sich überlegte, erscheint es ihm richtig, dass er fort ging. Auch wenn sein Geld nicht reichte, um das Pferd mitnehmen zu können. In Sacramento wird er ein neues Pferd verdienen. Er lächelt bei dem Gedanken.

Das Schneetreiben draußen wird immer dichter. Schneidende Kälte dringt in den Wagen herein. Das Mädchen zieht den Biberpelz fester tun die Schultern. Es wird dunkel im Wagen.

„In Grand Island hat man erzählt, die Züge würden oft überfallen", sagt das Mädchen.

„Deshalb fährt wahrscheinlich auch der Marshal mit", erwiderte Bill mit einem Lächeln.

Sie blickte über die Schulter, dann wieder auf Jackson.

„Der Zug befördert Geld", raunt sie. „Ich hörte es zufällig. Unterwegs hat einer versucht, über das Dach in den Gepäckwagen zu kommen. Der Marshal nahm ihn fest."

„Ich sah den Mann", meint Bill. Es interessiert ihn nicht.

„Vierzigtausend Dollar", redet das Mädchen geheimnisvoll weiter.

„So?"

„Ja. Arbeiten Sie für die Bahn?"

„Ich?" Er lächelte. „So sehe ich sicher nicht aus, wie?"

Sie zuckte die Schultern.

„Das sieht man einem Mann hier draußen nie an."

Bill Jackson schließt die Augen, weil ihn das Gerede des Mädchens langweilt.

„Ich fahre zu meinem Onkel", sagt sie. „Er hat eine große Ranch in Colorado. Eine Stadt ist nach ihm benannt."

Widerwillig öffnete er die Augen wieder und nickt. Dann zieht er sich den Stetson über die Augen. Das Mädchen schweigt. Es scheint nun gemerkt zu haben, dass er müde ist.

*

Das plötzliche Kreischen der Räder und der Ruck, mit dem er aus dem Sitz gehoben und neben das Mädchen auf die Bank geschleudert wird, bringen Bill in die Wirklichkeit zurück.

Der Eisenbahn-Marshal schreit etwas Unverständliches, springt auf und reißt ein Fenster herunter. Der Zug kommt zum Stehen.

Der Marshal stößt die Tür auf.

„Was ist los?", hört Bill ihn gegen den scharfen Wind und den tobenden Schnee schreien.

Eine brummige Stimme antwortet etwas.

Bill steht auf. Er sieht den Marshal nach draußen springen und öffnet selbst die Tür. Die Männer hinten im Wagen reden alle durcheinander. Einer fuchtelt mit seinem Colt herum.

Bill springt in den knietiefen Schnee hinunter und geht hinter dem Marshal her zur Lokomotive. Er sieht den Heizer, der abgestiegen ist und vor die Lok zeigt. Hinter dem Marshal folgt er dem Mann.

Oben im Führerstand steht ein Mann im blauen Overall, ein Gewehr unter dem Arm und dreht sich hin und her.

Vor der Lok liegt ein großer, zugeschneiter Klumpen auf der Schiene.

Der Marshal stößt mit dem Fuß hinein. Ein braunes Fellstück wird sichtbar.

„Ein Büffel", sagt der Marshal. „Muss sich hier verletzt haben, liegengeblieben und erfroren sein. Los, Mann! Helfen Sie!"

Bill geht auf die beiden Männer zu. Zusammen versuchen sie, den eingeschneiten Büffel von der Schiene zu ziehen.

„Earl, hilf uns, wir schaffen es allein nicht!", schreit der Heizer.

Bill blickt nach hinten. Das Schneetreiben ist so dicht, dass er den Gepäckwagen nicht mehr sehen kann.

Der Lokführer ist abgestiegen. Vom Passagierwagen kommen die beiden anderen Männer.

„Ihr könnt mich doch nicht ganz allein lassen!", schreit das Mädchen.

„Dauert nur einen Moment!", brüllt der Marshal gegen das Toben. „Los, Männer! Alle zusammen!"

Sie packen an den steifgefrorenen Hinterläufen des Büffels an und zerren das tote Tier von der Schiene.

„Weiter!", kommandiert der Marshal. „So etwas kann vorkommen!"

Sie tappen durch den Schnee zum Wagen zurück. Lokführer und Heizer klettern auf die Maschine. Vor dem Passagierwagen bleibt der Marshal stehen und schaut zum Gepäckwagen hinter. Die Tür steht offen, und der Kopf des Schaffners ist zu sehen.

„Alles klar, Dice?", schreit der.Marshal.

„Ja, zum Teufel! Was war denn?"

„Nur ein erfrorener Büffel." Der Marshal schiebt die Männer vor sich in den Wagen hinein. Bill setzt sich dem Mädchen gegenüber nieder. Er friert und reibt sich die klammen Hände aneinander.

Der Marshal schlägt die Tür zu. Ruckend setzt sich der Zug in Bewegung. Das Fauchen der Dampfmaschine dringt bis in den Wagen herein.

„Ich werde mir das mit dem Büffeljagen überlegen, Marshal", sagt einer der Männer hinten im Wagen. „Was zahlt die Bahn dafür?"

„Weiß nicht. Kommt wohl darauf an, wie viele Herden gerade auf den alten Pfaden unterwegs sind. Fragen Sie in Odgen danach."

Ein verzerrter, unverständlicher Ruf dringt von draußen herein.

Der Marshal hebt den Kopf.

Wieder ein Ruf.

Da springt Tetley auf und rennt zum Fenster. Im gleichen Moment stoppt der Zug abermals hart, dass Bill in die Höhe geschleudert wird, sich aber an der Tür festhalten kann.

Der Marshal hat die Tür geöffnet.

„Der Gepäckwagen!", hört Bill Jackson den Heizer verzerrt schreien. Er stößt die Tür auf und blickt nach hinten. Der Gepäckwagen ist nicht mehr am Zug.

Da ist das ferne Knallen mehrerer Schüsse zu hören.

„Verdammt!", bellt der Marshal. „Verdammt, diesmal bin ich 'reingelegt worden. Zurück! Schneller!"

Ein Stoß geht heftig durch den Wagen. Die Lokomotive schiebt den kurzen Zug zurück.

*

Als der Zug hält und Bill aus dem Wagen springt, sieht er den Gepäckschaffner im Schnee neben der offenen Tür des abgehangenen Wagens liegen.

Der Marshal ist mit einem Satz auf dem Boden. Er hat seinen Colt in der Hand und zieht den Hammer schnappend zurück. Langsam geht er auf den abgehangenen Wagen zu.

Bill nähert sich dem Schaffner. Der Mann liegt auf dem Gesicht. Er liegt so, wie ein Toter liegt. Bill dreht ilhn herum und sieht vier Löcher auf der Hemdbrust des Mannes.

Der Marshal ist in den vVagen hineingesprungen. Bill hört ihn fluchen. Er selbst sieht eine breite Fährte, die nach Süden führt. Sie stammten von mehreren Pferden.

Als der Marshal aus dem Wagen kommt und seinen Colt ins Halfter schiebt, haben sich alle um den toten Schaffner versammelt. Auch das Mädchen steht frierend bei den Männern. Ihr Gesicht ist wachsbleich.

„Das Geld ist weg", sagt der Marshal. „Und Dice haben sie viermal erschossen. Warum nur?"

„Vielleicht waren es vier", vermutet Bill. „Vier Männer, die alles teilen wollten. Das Geld und die Arbeit."

Tetley nickt schwer, während er Bill unter halb geschlossenen Lidern fixiert.

„Kann sein", stimmt er zu. Er blickt zum Lokführer weiter. „Vielleicht bekommst du auf der nächsten Station einen neuen Begleiter, Earl. Die Burschen werden sich höllisch wundern, wie schnell wir sind!"

Der Lokführer knurrt böse.

„Wohin wollen Sie?", wendet sich der Marshal an Bill Jackson.

„Dorthin, wo es wärmer sein soll", grinst der. „Kalifornien."

„Ich habe im Wagen zwei Pferde. Die Banditen waren Narren, dass sie sie nicht mitnahmen. Wenn Sie sich fünfzig Dollar verdienen wollen, nehme ich Sie mit."

Bill denkt daran, dass er verdammt wenig Betriebskapital für Sacramento hat.

„Und wenn Sie die Spuren verlieren?", fragt er zurück.

„Sie bekommen Ihr Geld, wenn Sie mitmachen. Ich habe Vollmachten in solchen Fällen. Wenn es wirklich vier waren, können es zwei zuviel für mich sein. Also?"

„Gut", sagt Bill und blickt das Mädchen an. „Gute Reise, Miss!"

Tetley hat sich schon dem Gepäckwagen zugewandt, aus dem er zwei Pferde zieht. Der Heizer wirft zwei Mc Clellan-Sättel in den Schnee.

Sie satteln die Pferde.

„Ein Gewehr haben Sie auch nicht, wie?", brummt der Marshal.

„Nein."

„Hier!" Tetley gibt Bill eine siebenschüssige Spencer, die der in den Scabbard steckt.

„Wollen Sie mich nicht vereidigen?", erkundigt sich Bill. „Es geht schließlich um eine Menge Geld, wie ich hörte."

Ein scharfer Blick Tetleys trifft ihn.

„Wir wollen es nicht spannender als nötig machen", meint er. „Und geben Sie sich keinen falschen Hoffnungen hin. Auf einen kann ich gut aufpassen."

„Keiner von uns kennt ihn", wendet der Lokführer ein.

„Willst du mit mir kommen?", fragt Tetley.

„Ich?"

„Allein habe ich zwar keine Angst, Earl. Aber der Bahn wird es um das Geld und nicht um meine Angst gehen."

„Ich verstehe. Viel Glück!"

*

„Ich habe in Cheyenne von Ihnen gehört, Tetley", sagt Bill, während sie sich vom Schneetreiben nach Süden schleppen lassen.

„Ich reite für die Bahn, seit die ersten Schienen verlegt wurden, Jackson", bellt der Mann zurück. „Ich musste mir eine Menge Wind um die Nase weihen lassen. Ein harter Job. Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Heute konnte ich mir nichts anderes mehr vorstellen."

„Und Sie können so einfach einen Mann anstellen?"

„Unsinn. Ich bezahle Sie aus meiner Tasche, Jackson. Ich habe viel Geld verdient. Prämien von Banken, Kopfprämien und einen netten Lohn. Ich habe mich einmal mit fünf Mann gleichzeitig herumgeschlagen. Der Erfolg war, dass ich drei erledigte, während die beiden letzten mit der Beute durchlbrannten. Das hat keinen Sinn. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste."

Bill blickte auf die Fährte vor ihnen. Sie besteht aus nichts weiter als einer Rinne im Schnee, die aber infolge des ständigen Treibens immer flacher wird. Er denkt daran, dass die Spur nicht mehr zu sehen sein wird, wenn sie die Banditen in einer Stunde nicht eingeholt haben. Außerdem wird es jetzt rasch dunkel.

Tetley flucht wieder auf seine wilde, zügellose Art. Er scheint auch gemerkt zu haben, dass es schlecht aussieht.

„So haben sie es mit mir noch nie gemacht", meint er nach einer Weile. „Die Bahn fährt jetzt schon den dritten Monat bis zur Westküste durch. Ich hatte geglaubt, alle ihre Tricks zu kennen. Aber wahrscheinlich erfinden sie jeden Tag neue dazu."

Die Pferde stampfen durch den hohen Schnee. Bill friert immer mehr. Dabei dampfen die Pferde. Er springt ab, greift nach den Zügeln und zieht das Pferd.

Tetley reitet an ihm vorbei.

„So geht das nicht, Mann!", ruft der Eisenbahn-Marshal. „Sie sind zu langsam!"

Bill rennt ein Stück, dann gibt er auf. So kann er mit dem eisenharten Marshal nicht Schritt halten. Er steigt wieder auf und folgt Tetley schnell. Als sie wieder nebeneinander sind, sagt der Marshal: „Ich hätte Alvis mitgenommen. Das ist der Mann, der für die Western Pacific Büffel jagen will. Aber ich wusste, dass er nicht durchhalten kann. Sie waren der einzige, dem ich das zutraute. Machen Sie mir jetzt keine Schande, Mann!"

Bill reißt sich zusammen. Er will Tetley sagen, dass dessen Ausrüstung weit besser ist als seine eigene, aber dann lässt er es. Damit kann er nichts ändern.

Sie kommen über den Hügel, und Bill hat für einen Moment das Gefühl, als würde der Schneesturm ihn aus dem Sattel heben. Dann haben sie die Kuppe hinter sich. Die Hauptmacht des Sturmes tobt eine Weile über sie hinweg.

Plötzlich halten sie vor einer Schneewehe. Die Spur ist zu Ende.

Tetley treibt sein Pferd in den über einen Meter hohen Schnee hinein.

„Weiter geradeaus", bestimmt er. „Bis jetzt sind sie stur nach Süden geritten. Wenn wir Glück haben, bleiben sie vielleicht dabei."

Bill folgte dem Marshal durch die Schneewehe. Auch dahinter ist die Spur nicht mehr zu sehen. Ihm kommt langsam zu Bewusstsein, dass er ein Narr war. Nur ein Narr kann für fünfzig Dollar an so einer höllischen Verfolgung teilnehmen, die unter Umständen in der Hölle endet. Vielleicht erfrieren sie irgendwo, ohne die Banditen zu Gesicht bekommen zu haben.

„Kommen Sie neben mich!", schreit der Marshal über die Schulter. „Wenn man nicht einmal reden kann, frieren mir noch die Lippen zu!"

Bill treibt sein Pferd neben den Marshal.

„Sie haben mit dem Mädchen gesprochen, nicht wahr?", fragt Tetley.

„Ja."

„Was hat sie erzählt?"

„Sie will zu ihrem Onkel. Einem Rancher in Colorado."

Tetley lacht grimmig auf.

„Verfluchtes Weib", schnaubte er. „Jedesmal eine andere Geschichte. Vor Cheyenne erzählte sie einem Mann, sie würde in Colorado einen Minenbesitzer heiraten. Sie ist aus meiner Gegend. Grand Island. Und wissen Sie, was sie ist?"

„Keine Ahnung."

„Ein Tanzgirl. Manchmal hätte ich sie deshalb bedauert. Aber sie hatte immer zu sehr den großen Rand." Tetley spuckt grimmig in den Schnee und starrte wieder nach vorn.

„Los, erzählen Sie was!", zischt er nach einer Weile.

„Ich weiß nichts."

„Woher kommen Sie?"

„Das ist uninteressant, Tetley. Außerdem tun mir die Zähne weh, wenn ich den scharfen Wind in den Mund bekomme."

Tetley zügelt sein Pferd mit einem heftigen Ruck und duckt sich im Sattel zusammen. Bill wartet auf eine schrille Erwiderung, aber Tetley hebt plötzlich die Hand.

„Dort brennt Licht", sagt er. Sein Arm schiebt sich langsam nach vorn. Bill dreht den Kopf und späht scharf durch das weiße Treiben. Unwirklich sieht auch er nun einen Schimmer durch die Dunkelheit dringen.

Tetley springt ab, und Bill Jackson folgt seinem Beispiel. Er denkt daran, dass die Banditen nur einen kurzen Vorsprung hatten. Wenn sie wirklich dort vorn sind, wo das Licht brennt, so können sie erst angekommen sein.

„Schön langsam jetzt", sagt Tetley. „Sie rechnen bestimmt nicht mit uns."

Ihre Schritte knirschen durch den Schnee. Je näher sie kommen, umso deutlicher ist der Lichtschein zu sehen. Bill wundert sich, wie gut der Marshal sehen kann.

Dann erkennt er eine Hütte zwischen zwei hohen Eisenholzbäumen. Ein paar niedrige Föhren stehen dahinter.

Tetley ist wieder stehengeblieben. Er nimmt Bill die Zügel aus der Hand und knotet sie mit denen seines Pferdes zusammen.

„Wenn wir Pech haben, laufen uns die Pferde fort", raunt Tetley ihm zu. „Aber da vom finden wir frische Pferde. Also los!"

Langsam gehen sie näher auf die Hütte zu. Sie sind fast bei dem einen Eisenholzbaum, als eine Tür knarrend aufgestoßen wird und eine Lichtbahn bis zu den Föhren fällt. Ein Mann taucht auf.

Tetley greift nach Bills Arm, während er den Colt aus dem Halfter zieht.

„Also dann, Freunde!", hören sie den Mann vor der Tür sagen. „Ich hoffe, ihr seid damit zufrieden. Es war meine Idee und mein Trick. Und ich habe euch dafür fair bezahlt."

„Schon gut, Dale", sagt eine Stimme aus der windschiefen Hütte heraus. „Du brauchst keine Angst zu haben, dass wir nach Hassel Junction kommen und mehr haben wollen. Aber wenn du nichts dagegen hast, wenden wir deinen Trick irgendwann noch einmal an."

Bill versucht, den Mann vor der Hütte im ungewissen Licht zu erkennen, aber es gelingt ihm nicht. Er sieht nur die Umrisse und einen großen Hut, den sich der Mann anscheinend bis tief über die Augen gezogen hat.

In diesem Augenblick wendet sich der Mann ab.

„Halt!", schreit Tetley.

Der Mann zuckt zusammen.

„Hände hoch!", donnert der Marshal.

Da ist der Schatten aus der Lichtbahn verschwunden. Ein Fluch dringt aus der Hütte. Das Licht geht aus. Mit einem donnernden Grollen entlädt sich Tetleys Revolver.

Bill steht einen Moment vom grellen Mündungsblitz geblendet und kann nichts sehen. Er spürt seinen Colt in der Hand, hört einen brüllenden Abschuss neben sich und das Sirren einer Kugel. Ein höhnisches, verzerrtes und unwirklich klingendes Gelächter vermischt sich damit.

Dann ist für einen Moment Hufschlag im dämpfenden Schnee zu hören. Ein Pferd schnaubt. Wieder das Krachen eines Schusses. Das Pferd ist nicht mehr zu hören.

Bill spürt, wie Tetley ihn nach links drängt. Er rutscht im Schnee und prallt mit der Schulter gegen die Rinde des Eisenholzbaumes. Sein Colt zuckt im Rückstoß. Mit einem hellen Pochen frisst sich seine Kugel in die morschen Fichtenstämme der Hüttenwand.

„Alle Teufel!", ruft jemand.

„Hebt die Finger hoch und kommt heraus!", schreit der Marshal hinüber.

Die Antwort ist eine Schussfolge. Neben Bill kratzt ein Geschoss an der Rinde entlang und schleudert ihm etwas davon ins Gesicht. Er schießt zurück, hört einen Fluch und dann nach dem dritten Schuss einen langgezogenen Schrei.

„Der hat keine Sorgen mehr", schnauft der Marshal und schiebt frische Patronen in die Trommel seines Colts. „Haben Sie gehört, was der andere sagte?"

„Ja."

„Den kaufen wir uns auch noch. Hassel Junction ist in Colorado. Hat Ihnen Kate Solar nicht gesagt, dass ihr Onkel dort seine Ranch hat?"

„Das Mädchen aus dem Zug?"

„Ja."

„Das hat sie gesagt."

„Na also. Alle ihre Geschichten enden in Hassel Junction. Wahrscheinlich ist das das einzig Wahre daran. Würde mich nicht wundern, wenn wir sie dort treffen."

Tetley schießt wieder auf die Hütte. Von dort krachen Gewehre.

„Hinlegen!", schreit der Marshal.

Bill lässt sich in den Schnee fallen. Vor ihm wird von einer Kugel eine Fontäne in die Höhe gerissen. Er schießt wieder auf die Hütte, rollt sich dann einmal um seine eigene Achse und liegt hinter dem Eisenholzbaum.

Eine Serie Schüsse tackt aus dem Fenster. Dann knallt irgend etwas.

„Sie wollen abhauen!", schreit Tetley und springt auf.

Bill folgt ihm. Sie hasten auf die Hütte zu. Pferde schnauben. Schattenhaft sieht Bill ein Pferd auftauchen. Ein Reiter sitzt auf dem Rücken. Er hebt den Colt, als Tetley neben ihm schon schießt. Der Mann fällt zu Boden. Tetley rennt hinter dem Pferd her und hechtet nach den schleifenden Zügeln.

Bill dreht sich um und sucht nach einem zweiten Reiter, aber er sieht keinen mehr.

Tetley beugt sich über den Mann, den er aus dem Sattel geschossen hat.

„Tot", stellt er fest. Er untersucht die Taschen des Mannes und hält auf einmal ein Bündel Geldscheine in der Hand.

Bill geht auf ihn zu. Tetley schiebt das Geld in die Tasche und wendet sich der Tür zu. Er hat sie gerade erreicht, als wieder ein Schuss kracht. Die Kugel und der Widerschein des Mündungsblitzes kommen aus der Hütte heraus.

Tetley stößt einen gepressten Fluch über die Lippen und fällt.

Bill steht stocksteif. Einer ist also noch drin. Aber wieso? Ein Knall und ein heißer Strich an seiner Wange lassen ihn herumfahren. Er wirft sich nieder.

Die nächste Kugel geht über ihn hinweg und wimmert ins Geäst der Föhren.

„Komm her!", keucht eine Stimme aus der Hütte. „Komm her, Sternträger! Ich kann nicht aufstehen. Aber schießen kann ich noch!"

Wieder ein Schuss und eine Furche links von Bill. Er springt auf und hetzt zur Hüttenwand. Eine Kugel schrammt über seinen Arm. Dann kracht er gegen die dünnen, morschen Stämme, dass die ganze Hütte erzittert.

Er blickt auf Tetley, der eben den Kopf mit einer müden Bewegung hebt und wieder sinken lässt.

„Der ist fertig", grollt die Stimme aus der Hütte. „Du musst allein kommen!"

Bill schiebt sich etwas von der Wand ab, um einen Blick in die Hütte werfen zu können. Er sieht einen zuckenden, rötlichen Lichtschein. Das Herdfeuer scheint zu brennen. Er denkt an Wärme, und gleichzeitig daran, dass er nicht ewig hier draußen stehen und warten kann.

Mit einem Satz wirft er sich in die Hütte hinein. Er landet auf etwas Weichem, und als er zugreift, spürt er einen Haarschopf zwischen den Fingern. Krachend schlägt der Tisch um und begräbt ihn unter sich. Das Donnern eines Colts klingt in dem engen Raum wie ein Kanonenschuss.

Er schleudert den Tisch von sich und springt hoch. Im zuckenden Feuerschein sieht er einen Mann, der auf einem Stuhl sitzt. Der rechte Arm des Mannes hängt am Körper schlaff nach unten. In der linken Hand hat der Bandit einen rauchenden Colt.

Da schießt Bill. Die Kugel trifft den Verbrecher so gewaltig, dass der mit dem Stuhl neben dem Herdfeuer umgeworfen wird.

Bill lässt den Colt ins Halfter gleiten und wendet sich um. Neben der Tür liegt ein Mann auf dem Gesicht. Es muss der sein, der zuerst getroffen wurde. Von ihm getroffen.

Bill leckt sich den Pulvergeschmack von den Lippen und geht hinaus.

Tetley hat wieder den Kopf gehoben. Bill ist es, als hätten sich tiefe Linien in das Gesicht des Marshals eingegraben.

„Ich helfe Ihnen, Tetley", sagt er. „Ich muss nur Platz machen."

„Die Pferde", haucht der Marshal schwach. „Vergessen Sie die Pferde nicht!"

*

Bill Jackson dreht den Docht der Lampe höher, so dass das eingefallene Gesicht des Marshals aus der Dunkelheit gerissen wird. Er hat Tetley die Jacke geöffnet. Auf dem Hemd sieht er einen dunklen Fleck, der ungefähr dort ist, wo das Herz des eisenharten Mannes schlagen muss. Vielleicht auch etwas tiefer. Bill weiß es nicht so genau.

Er geht zum Plerd und schiebt Holz ins Feuer. Das Wasser im Kupfertopf über den Flammen singt immer noch nicht.

„Jackson!"

„Ja?", fragt Bill und wendet sich um.

„Wieviel Geld?"

„Zwanzigtausend Dollar, Tetley", sagt Bill. „Mehr konnte ich nicht finden."

Tetley scheint zu nicken. Vielleicht ist es auch nur das auf und ab zuckende Licht, das Bill Jackson täuscht.

„Es stimmt", meint der Marshal mit rasselndem Atem. „Vier Mann haben sich die Arbeit geteilt. Aber nicht das Geld. Einer heißt Dale. Haben Sie … es gehört?"

„Ja." Bill schiebt noch mehr Holz in das Herdfeuer.

„Lassen Sie das, Jackson. Es hat keinen Sinn mehr. Wir brauchen kein warmes Wasser."

„Ich werde Ihnen die ..."

„Das hat keinen Zweck. Sie wissen es so gut wie ich."

„Tetley, solange ein Mann lebt, ist auch noch Hoffnung. IBM ..."

„Sie werden sich neben mich setzen und mir zuhören, Jackson. Glauben Sie mir: ein Mann wie ich weiß, wann es soweit ist."

Bill zögert einen Moment. Er sieht an dem scharfen Grat auf Tetleys Nasenrücken, wie recht der Mann hat. Seine Zeit ist abgelaufen. Er hat Pech gehabt. Er hat sich geirrt, als er dachte, in der Hütte wäre kein Leben mehr. Irgendwie war er zu hastig.

Bill zieht sich den Stuhl heran und setzt sich neben den Eisenbahn-Marshal. Der Stuhl wackelt. Es ist der, auf dem der Verletzte saß, den er erschoss. Jetzt liegen die Toten draußen im Schnee. Bald werden sie so steif wie der Büffel sein, den sie auf die Schiene zerrten. Wahrscheinlich hatten sie ihre Pferde dazu genommen, um ihn auf den Bahndamm schleifen zu können.

Tetleys Hand zittert, als er in die Hosentasche greift. Er bringt seinen silbernen Stern zum Vorschein, auf dem „US Marshal" steht.

„Ich hatte ihn immer in der Hosentasche", sagt er mit schwacher, fast schon versagender Stimme. „Die Bahngesellschaft hat ihn mir gegeben, als ich anfing. Es war gleich nach Ende des Krieges. Vielleicht eine lange Zeit. Die anderen hatten weniger Glück. Manche gaben auch wieder auf. Du solltest auch wieder aufgeben. Nicht jetzt!"

Bill blickt auf den Stern, auf dem sich das Licht der Lampe und das Herdfeuer brechen. Er denkt wieder daran, dass er sich viel Ärger erspart hätte, wenn er im Zug geblieben wäre.

Verdammt, er war Passagier. Er hatte eine Fahrkarte bezahlt! Das Geld der Bahn ging ihn einen Dreck an! Vielleicht hat Ike Bedford wirklich recht, Vielleicht ist er weiter nichts als ein Abenteurer, der ständig neue Abwechslungen und Kämpfe sucht und niemals sesshaft werden kann.

„Ich ..." Er bricht wieder ab, weil er nicht weiß, was er eigentlich sagen will.

„Der Schnee und die Kälte haben die Erde hart wie Stein gemacht", sagt Tetley. „Es ist nicht möglich, einem Sterbenden den letzten Dienst zu versprechen. Du weißt, was ich meine."

Bill steigt etwas in die Kehle. Er hat schon viele Männer sterben sehen. Aber jedesmal war es anders. Und doch immer irgendwie gleich. Er spürt, dass sein Herz rasend schnell schlägt. Er schüttelt den Kopf, sagt aber nichts.

„Mich brauchst du nicht zu täuschen", meint Tetley. „Ich wurde hier draußen groß. Bei diesem Wetter bringt man einen Toten nicht unter die Erde. Willst du mir etwas anderes versprechen?"

Bill sieht, wie sich die Hand mit dem Stern in seiner Richtung bewegt. Er weiß, was das bedeuten soll. Er blickt in Tetleys Augen und bringt nicht über die Zunge, was er sagen will.

„Das Geld muss nach Reno gebracht werden", redet der sterbende Marshal weiter. „Nicht nur die zwanzigtausend Dollar. Alles! Vierzigtausend!"

Bill schluckt den Kloß hinunter, aber er steigt wieder in seine Kehle.

„Ich weiß nicht einmal, ob ich als Marshal einen anderen zum Marshal ernennen darf. Wahrscheinlich nicht. Trotzdem bitte ich dich darum. Jackson, nimm den Stern! Wenigstens bis Reno! Die Stadt liegt an der Bahn. An der westlichen Grenze von Nevada."

Tetley schließt die Augen. Sein rasselndes Atmen wird leiser.

Bill bewegt sich nicht. Er denkt, dass es nun zu Ende ist, und er hat den Stern nicht genommen.

Da öffnet Tetley die Augen wieder.

„Du hast etwas an dir, zu dem ich Vertrauen habe", sagt der Marshal leise aber klar. „Das war es schon, weshalb ich dich mitnahm. Nicht das andere, von dem ich sprach. Natürlich kannst du den Stern wegwerfen, wenn du mit dem Geld etwas anderes vorhast. Aber ich glaube ...“

Und Bill greift nach dem Stern.

So etwas wie ein Lächeln zieht flüchtig über das Gesicht des Marshals.

„Leg mir die Hand mit dem Stern auf den Arm!", fordert Tetley.

Bill tut es.

Tetley murmelt eine Eidesformel und fordert Bill auf, nachzusprechen. Bill tut es, ohne sich die Worte merken zu können. Sie sind wohl auch gleichgültig.

„Du wirst das Geld nach Reno bringen", murmelt Tetley. „Ich spüre das. Geh jetzt hinaus."

Bill blickt ihn überrascht an.

Bill spürt den Schweiß, der an seinen Handflächen brennt. Er blickt Tetley nicht an und weiß nicht, ob der die Augen noch offen hat. Vielleicht stirbt er jetzt.

Plötzlich schämt er sich für diesen Gedanken und dreht den Kopf.

Tetley hat die Augen doch noch offen.

„Es ist jetzt soweit. Ich will allein sein. Hörst du die Wölfe heulen?"

Bill nickt. Das scharfe, ferne Geheul schlägt schon lange an seine Ohren.

„Sie finden alles", sagt Tetley gedehnt. „Sie scharren auch den tiefsten Schnee weg. Vielleicht solltest du die Hütte anbrennen. Ich wäre dir dankbar dafür."

Bill geht wortlos zur Tür und tritt in die Nacht hinaus. Der Schnee treibt in sein brennendes Gesicht. Das Heulen der Wölfe klingt näher. Er lauscht in die Hütte hinein, hört aber nichts. Da spürt er, dass er den Stern noch immer in der Hand hat. Er ist ein Marshal. Vielleicht ist er es auf eine Art geworden, die außerhalb der Legalität liegt. Doch er weiß in dieser Minute, dass er sein Versprechen einlösen wird. Er wird für eine Bahngesellschaft reiten, die von seiner Existenz sicher nichts weiß. Für einen Moment ist er versucht, über sich selbst zu lachen. Dann muss er an Tetley denken. Dieser Mann hat die Sache verdammt ernst genommen. Er wird es auch tun. Er wird das Geld beschaffen und nach Reno in Nevada bringen.

Aus der Hütte dringt immer noch kein Geräusch. Er geht zu den Bäumen hinüber, wo er die Pferde angebunden hat. Die drei Toten liegen in der Nähe, und die Pferde sind unruhig.

Er fragt sich, wie er einen Mann, der sich Dale nennt, in Hassel Junction finden soll. Vielleicht kehrt der Mann mit zwanzigtausend Dollar in der Tasche gar nicht in die Stadt zurück, aus der er kam. Aber sagten die Banditen nicht, dass er keine Angst vor ihnen in Hassel Junction zu haben brauchte?

Was mag es für ein Mann sein? Bill denkt daran, dass schon mancher arme Schlucker aus purer Not auf schlimme Gedanken kam.

Vielleicht ist es wirklich ein in Colorado ansässiger Mann. Vielleicht ein Siedler, der eine große Familie hat und nicht wusste, wie er sie über den Winter bringen sollte.

Was soll er tun, wenn er auf so einen Mann trifft und die Augen hungriger Kinder auf sich gerichtet sieht? Wird es dann reichen, wenn er daran denkt, dass ein Bahnschaffner und ein Marshal erschossen wurden?

Der Mann hat den Marshal gar nicht erschossen. Aber der Schaffner war von vier Kugeln durchbohrt. Irgendwie muss Tetleys Theorie stimmen, dass die vier Banditen jeder einen Schuss abgaben, von denen jeder für sich tödlich sein musste.

Als er die Hütte betritt, sieht er, dass Tetleys Augen gebrochen zur Decke starrten. Er ist so gestorben, wie er lebte: hart und einsam!

Bill geht auf den Mann zu und drückt ihm die Augenlider herunter. Er nimmt das Geld mit einer mechanischen Handbewegung vom Tisch und steckt es ein. Dann trägt er die beiden Toten in den Raum, nimmt die Lampe von dem rostigen Draht, der von der Decke hängt, und schleudert sie gegen die Wand.

Der penetrante Petroleumgeruch breitet sich aus. Die Flüssigkeit rinnt an der Wand nach unten, und die Flammen rennen hinterher. Es wird heller in der Hütte.

Rauch quillt Bill Jackson entgegen, als er zur Tür geht.

Die Pferde stampfen im Schnee und zerren an den Zügeln. Bill halftert sie aneinander, steigt in den McClellan-Sattel und reitet los. Hinter ihm prasselt das Feuer. Er ist noch keine fünfzig Meter gekommen, als das Dach in die Hütte hineinbricht und ein Funkenregen in die Höhe stiebt, um wieder zusammenzubrechen. Roter Feuerschein leuchtet bis zu den Föhren und Eisenholzbäumen.

Bill reitet über einen Hügel. Noch nie hat er einen Mann so beerdigt. Aber sicher hat Tetley recht. Es ist besser, als von den Wölfen aus dem Schnee gescharrt zu werden.

*

Der Stallmann in Central City furcht die Stirn, als er den Mann mit den vier ledigen Pferden hinter sich aus den nördlichen Bergen kommen sieht.

„Unglaublich", murmelt er.

„Was?", fragt der greise Storekeeper, der stehengeblieben ist.

„Dass ein Mann bei diesem Schneetreiben durch die Berge steigt."

„Ja. Und auch noch heute! Aber vielleicht weiß er gar nicht, dass Weihnachten ist."

Der Reiter kommt langsam näher. Winzige Eiskristalle hängen an seinen Brauen und geben ihm ein seltsames Aussehen.

Bill Jackson blickt an den Häuserzeilen entlang. Er kann sich nicht erinnern, schon einmal hiergewesen zu sein.

Vor dem Stallmann hält er an.

„Wie heißt diese Stadt?", fragt er.

„Central City, Fremder."

„Aha. Kennen Sie eine Stadt, die Hassel Junction heißt?"

Der Stallmann schüttelt den Kopf.

„Hast du das schon einmal gehört?", wendet er sich an den Storekeeper.

„Lass mich nachdenken! Doch, ja, das hörte ich schon. Im letzten Sommer. Es soll dort einen mächtigen Rancher geben. Das ist da drüben, hinter den Bergen." Die Hand des Mannes zeigt auf die schneebedeckten und teilweise blank gefegten Gipfel im Westen.

„Noch weit?"

„Etwa einihundertfünfzig Meilen können es sein", sagt der Mann. „Ich fürchte aber, dass es um diese Zeit keinen Weg da hinüber gibt."

„Ist in den letzten zwei Tagen ein Mann hier durchgekommen, der auch nach Westen wollte?", erkundigt sich Bill.

Die beiden Männer schütteln bestimmt die Köpfe, und der Stallmann sagt: „Sicher nicht, Stranger!"

„Dann muss es noch einen anderen Weg nach Hassel Junction geben."

„Wollen Sie die Pferde alle mitneihmen? Ich würde Ihnen ein paar davon abkaufen. Jetzt im Winter ist die Armee ein dankbarer Abnehmer."

Bill blickt auf die Berge. Hinter den ersten Gipfeln scheint eine senkrechte Schneewand zu stehen.

„Ich glaube, ich werde sie besser mitnehmen", sagt er. Suchend hält er nach einem Saloon Ausschau. Er denkt daran, dass es besser ist, wenn er den nächsten Morgen abwartet. Er wird oft genug im Freien kampieren müssen.

„Heute ist Weihnachten", sagt der Storekeeper.

Bill, der schon absteigen wollte, lässt sich wieder in den Sattel fallen.

„Weihnachten?", fragt er verblüfft.

„Ja. Das wird hier in Central City sehr nett gefeiert. Hier leben viele Männer, die noch in Europa in die Schule gingen."

„Ach so. Dann werde ich besser reiten."

„Das ist aber nicht nötig."

„Ich glaube, doch", beharrt Bill. „Weihnachten ist ein Fest der Familie. Einen einsamen Mann erinnert es nur daran, wie einsam er ist." Kratzig schnalzt er mit der Zunge.

Kopfschüttelnd blicken ihm die beiden Männer nach.

*

Zwei Tage später rutscht sein Pferd ab und drängt Tetleys Braunen mit sich in den Abgrund.

Bill Jackson rettet sich durch einen Seitensprung und kann sich an einem Busch mit durchgefrorenen Händen festhalten.

Steine poltern in die Schlucht hinunter. Ein markerschütterndes Wiehern schallt zur Bergschulter herauf.

Die drei anderen Pferde drängen zurück. Hastig springt Bill auf und hält sie fest. Er beglückwünscht sich jetzt dazu, kein Pferd verkauft zu haben. Er zieht den Sattelgurt des nächsten Tieres fest und steigt auf.

„Weiter!", schnarrt er.

Zögernd und tastend setzen sich die Tiere in Bewegung. Schneidender Wind fährt über die vom Schnee freigefegte Höhe.

Bill Jackson denkt daran, dass er sein Versprechen nur einlösen kann, wenn er durchhält. Natürlich hätte er in Central City die Schneeschmelze abwarten können. Aber was wäre dann gewesen? Hätte er noch jemals eine Chance gehabt, das Geld bekommen zu können?

Aber wird er so eine haben? Er muss immer wieder an den Ruf denken, der aus der windschiefen Hütte schallte, als der eine Mann davor in der verschwommenen Lichtbahn aufgetaucht war. Es hatte so geklungen, als denke dieser Mann gar nicht daran, eine andere Stadt als Hassel Junction aufzusuchen.

Der Pfad windet sich, an den Berg geklebt, um eine Steilwand herum. Das Pferd unter seinem Sattel ist stehengeblieben. Es schnaubt ängstlich und ein Zittern durchläuft den Körper. Die Unruhe geht auf Bill Jackson über. Die schneidende Kälte hat ihm Tränen in die Augen getrieben, und so kann er nicht sehen, wie tief die Schlucht an der Seite ist.

„Weiter!", drängt er und drückt mit den Absätzen.

Das Pferd schnaubt und weicht zurück. Da steigt Jackson ab, drängt sich an dem verängstigtem Tier vorbei und nimmt die Zügel kurz. Er zieht das Pferd weiter.

Als er um eine Kante kommt, springt ihn der Wind mit elementarer Gewalt an und will ihn wie ein Stück Papier zurückschleudern. Er spürt, wie seine Schulter das Maul des Pferdes berührt, und wie er unfähig ist, noch einen Schritt vorwärts zu machen.

War er ein Narr?

Schnee weht ihm entgegen. Die Kälte ist so beißend, dass ihm die Zähne schmerzen, als er den Mund öffnet, weil er durch die Nase keine Luft mehr bekommt.

Verdammt, er war wirklich ein Narr, als er aufbrach, um durch die ihm unbekannten Berge zu reiten. Um zwanzigtausend Dollar für eine ihm unbekannte Bahngesellschaft zurückzuholen. Und um einen Mörder zu stellen, den er ebenfalls nicht kennt und mit dem ihn nichts verbindet.

Der Schnee hat sich vor ihm zu einem Haufen aufgetürmt, der immer höher wird. Er spürt die Füße in den Stiefeln nicht mehr. Zugleich weiß er, dass er die Pferde hier auf der Felsleiste nicht einmal wenden könnte, um nach Central City zurückzukehren.

Er hat zwanzigtausend Dollar in der Brusttasche. Er könnte sich ein warmes Zimmer nehmen und den besten Whisky trinken. Er könnte mit den Mädchen scherzen und spielen, die es schließlich in jeder Präriestädt gilbt und die um diese Jahreszeit bestimmt keine großen Ansprüche stellen.

Bisher hat er nie ebwas anderes als seine eigenen Interessen vertreten. Niemals fasste er etwas an, das ihn nichts anging.

Warum nur auf einmal? Was hat ihn dazu getrieben, Tetley etwas zu versprechen? Stimmt es, was Ike sagte, dass er nichts als ein Abenteurer ist, der nur immer etwas anderes und Neues erleben muss?

Der Schnee reicht ihm schon bis über die Knie. Die Pferde schnauben immer ungeduldiger. Da lässt der steife, kalte Wind etwas nach.

Bill Jackson kämpft sich durch die Wehe hindurch und geht an der Felswand entlang weiter. Er wird nicht umkehren. Und vielleicht ist es gut, wenn er sich auch keine Gedanken mehr darüber macht, warum er den Stern nahm, den Tetley ihm nach seinen Dienstvorschriften vielleicht nicht einmal geben durfte. Vielleicht wird er ausgelacht, wenn er das in Hassel Junction erzählt.

Kein Wort wird er sagen. Er ist ganz einfach der Marshal.

Der Weg beschreibt einen Bogen um den Berg herum und fällt dann steil ab. Bills Stiefel rutschen plötzlich. Er will sich an der Wand festhalten, aber sie ist hier so glatt, dass er nirgends zugreifen kann. Die Zügel gleiten durch seine froststarren Finger. Hinter sich hört er das Wiehern, während er fällt und immer schneller wird. Er denkt, dass das sein Ende sein muss, als er hart gegen etwas schrammt und benommen liegenbleibt.

Die eisige Kälte und der Schnee, der vom Wind über den Kragen und unter sein Halstuch gewirbelt wird, bringen ihn schnell in die Wirklichkeit zurück. Er richtet sich an der Wand auf und sieht, dass der abfallende Weg gegen den Felsen gelaufen ist und nun an diesem entlang nach links biegt.

Bill weiß, dass er eben unwahrscheinliches Glück hatte. Ausgerechnet hier läuft der Weg anders herum, als es meistens der Fall ist.

Er zittert noch nachträglich und versucht sich einzureden, dass es an der Kälte liegt. Da sieht er das erste Pferd vor sich auftauchen. Er greift nach den Zügeln und geht weiter. Irgendwie muss er es schaffen, muss er diese gnadenlose Einsamkeit hinter sich bringen.

*

Als es dunkel wird, sieht er zwei grünlich schillernde Lichter, die sich genau vor ihm langsam nach links und rechts bewegen.

Seine starre Hand tastet nach dem Colt und zieht ihn langsam aus dem Halfter.

Die Lichter bewegen sich immer noch hin und her. Plötzlich drängen die Pferde rückwärts. Ihr ängstliches Wiehern schallt in das leise Fauchen des eisigen Windes hinein.

Ein Knurren ist zu hören, ein kurzer, abgerissener Heulton, und plötzlich nähern sich die beiden grünlich schillernden Lichter sehr schnell.

Bills Arm zuckt im Rückstoß des Frontiercolts. Der rotgelbe Feuerblitz blendet ihn für zwei Sekunden. Vor ihm schlägt etwas in den Schnee. Er beugt sich vor und erkennt, dass es ein Wolf ist. Ein schmaler, langer Körper. Ein Tier, das der Hunger in die Nähe eines Menschen trieb.

In diesem Moment spürt Bill seinen eigenen Hunger. Er will das Pferd weiterziehen, aber es hat die Vorderläufe eingestemmt und wiehert. Da geht er vorwärts und stößt den Körper von der Felsleiste. Nun bringt er die Pferde weiter.

Die Stunden vergehen. Bill hält nicht an. Vielleicht würde er nie mehr aufwachen, wenn er sich irgendwo niederlegt und einschläft.

Er kommt in ein großes, blank gefegtes Tal. Vor sich sieht er Lichtschein durch die Nacht leuchten. Seine Schritte knirschen im Schnee, so kalt ist es. Er geht auf das Licht zu.

„Halt!", kommandiert eine Stimme, als er die Hütte fast erreicht hat.

Bill Jackson bleiibt stehen. Obwohl er die Drohung deutlich aus der Stimme heraushören konnte, ist er erleichtert. Dort in der Hütte ist Schutz vor der Kälte, vielleicht sogar Wärme. Und vielleicht auch etwas zu essen für ihn. Fünfzig Dollar des Geldes kann er sich bestimmt nehmen. Die hat ihm Tetley versprochen.

Eine Gestalt löst sich von der Hüttenwand. Bill erkennt, dass es ein Mann mit einem Gewehr unter dem Arm ist.

Da wird die Hüttentür aufgestoßen und eine zweite Gestalt taucht auf.

„Was ist, Wade?"

„Ein Fremder. Hast du einen Namen, Stranger?"

„Bill Jackson."

„Nie gehört, Wade."

„Ich auch nicht. Komm näher, Jackson; aber vorsichtig!"

Bill nähert sich. Als er im Lichtschein steht und die drei Pferde hinter ihm deutlich zu seihen sind, lacht der Mann mit dem Gewehr unter dem Arm.

„Das ist gut, Bide", sagt er. „Mindestens zwei Pferde hat der Stranger übrig. Davon können wir eine ganze Zeit leben. Pferdefleisch schmeckt gar nicht so schlecht, wie viele denken."

„Komm herein, Fellow", knurrt der Mann vor der Tür und tritt zur Seite. „Mach keinen Blödsinn. Wir sind drei gegen dich."

Als Bill in die Hütte hineinsehen kann, entdeckt er den dritten Mann. Der steht an der rückwärtigen Wand und hat seinen Colt halb aus dem Halfter gezogen.

Jackson lässt die Zügel los und geht in die Hütte hinein. Wohlige Wärme empfängt ihn. Er spürt den Atem des anderen Mannes im Nacken und geht bis zu dem roh gezimmerten Tisch weiter. Der Mann an der Wand ist wie ein Cowboy gekleidet. Er hat sehr helles Haar, ein scharfes Kinn und ebenso scharf blickende Augen.

„Wade, du kümmerst dich am besten gleich um den Braten", sagt der andere hinter ihm.

Jackson schlägt sich den Schnee von der Wolfsfelljacke und nimmt den Hut ab.

Der Mann geht um ihn herum. Er ist auch wie ein Cowboy gekleidet. Er hat lederne Chaps über die Levishose geschnallt. Große Messingknöpfe funkeln daran im Licht der trüben Lampe.

„Wir sind Texaner", sagt Bide. „Männer, die im Winter keinen Job haben. Vielleicht sagt dir das eine ganze Menge."

„Doch", meint Bill und nickt. Er denkt an die zwanzigtausend Dollar.

Draußen kracht ein Schuss. Ein dumpfer Fall ist zu hören.

„Du siehst hungrig aus, Jackson", stellt Bide fest. „In zwei Stunden gibt es einen saftigen Braten. Wade sagt immer, wir müssten auf jeden Fall genug Salz haben. Bei Pferdefleisch ist das doppelt wichtig. Setz dich!"

Bill zieht die Jacke aus und setzt sich am Tisch nieder.

Bide nimmt ihm die Jacke ab und hängt sie an einen langen, rostigen Nagel. Bill blickt hinüber. Dort steckt das Geld in der Tasche.

„Wir haben unsere Mannschaft in Abilene verlassen", redet Bide weiter. „In Arizona ist Gold gefunden worden."

„Ich hörte schon vor einem Jahr davon."

„Wir dachten, wir kämen noch vor dem Winter über die Berge. Manchmal täuscht man sich eben. Wir sind schon drei Wochen hier. Bist du über Central City gekommen?"

„Ja."

„Wir auch. Der Weg weiter nach Westen ist zugeschneit. Im Canyon steht eine Schneemauer, die ihre vier Meter hoch ist."

„Wirklich?", fragt Bill mürrisch, und er denkt wieder daran, dass er unter solchen Umständen in Central City doch besser aufgehoben gewesen wäre. Die Pferde, die nun hier geschlachtet werden, hätte er dort verkaufen können.

„Du kommst nicht durch, Jackson. Wohin willst du denn?"

„Nach Hassel Junction. Schon mal gehört?"

Bide blickt den anderen Cowboy an der Wand an. Der schüttelt den Kopf.

„Ist uns unbekannt", meint Bide. „Willst du dort was Bestimmtes, dass du bei dem Wetter ..."

„Nein, ich suche einen Job. Es soll dort einen mächtigen Rancher geben."

Bide stößt ein raues, wildes Lachen aus. Der andere fällt ein.

„Du bist verrückt, und wahrscheinlich bist du auch kein Cowboy. Sonst müsstest du wissen, dass kein Großrancher einen Mann mitten im Winter auf seine Lohnliste setzt. Sie sind alle Halunken. Ob du im Winter vor die Hunde gehst oder nicht, interessiert sie einen Dreck! Im Frühjahr finden sie stets genug Leute, die bereit sind, für einen Hungerlohn die knochenbrechende Arbeit zu machen."

„Ich glaube, er lügt, Bide."

„Meinst du, Neal?"

„Ja. Er sieht mir nicht dumm genug aus, als dass er dies nicht selbst wüsste, Bide."

Bill fragt sich, was passieren wird, wenn die Männer erfahren, dass er zwanzigtausend Dollar in der Wolfsfelljacke hat.

„Ich bin Eisenbahn-Marshal", sagt er und wirft Tetleys Stern auf den Tisch.

Bide tritt gegen die Wand neben dem von einer Decke verhangenen Fenster zurück. Das Lampenlicht bricht sich auf dem Stern.

„Eisenbahn-Marshal", murmelt Neal gepresst, während sein Gesicht dunkel anläuft und er unsicher zu Bide hinüberschielt.

„Was ... was willst du hier?", knurrt Bide unsicher.

„Ich suche einen Mann, der die Eisenbahn hinter Cheyenne überfallen hat. Ich hoffe, ihn in Hassel Junction zu treffen." Er mustert die beiden scharf und sielht, wie Neal aufatmet.

Bide lacht dunkel.

„Du Idiot, Neal", meint er. „Dachtest du, er wäre schon hinter uns her?"

„Ich ..."

„Wir haben doch die Bank noch gar nicht hochgenommen!"

„Was für eine Bank?", fragt Bill schnell, während sich seine Haltung anspannt.

„Irgendeine Bank. Wir wussten es selbst noch nicht. Weißt du, die Tage und Nächte sind hier in der Hütte lang. Wir haben kein Geld und mussten hungern, weil wir unser letztes Hab und Gut den Tanzmädchen in Abilene in den Rachen geworfen haben. Da kommt man eben dann auf solche Gedanken. Eine Bank — ganz einfach — ohne Risiko!"

„Ach so", sagt Bill, „ja, ich verstehe."

„Ist vielleicht ganz gut, dass du nun da bist", fährt Bide fort. „Ich habe es immer gesagt: am Ende wartet dann unweigerlich irgendwann und irgendwo ein Strick!"

Die Tür fliegt auf, und Wade wuchtet ein langes Stück Fleisch herein, von dem noch Blut läuft.

„Das andere hab ich in den Schnee geschoben", meint er. „Neal, bewege dich! Bis zum Frühjahr halten wir es nun aus."

Als Bill am nächsten Morgen den Canyon nach Westen in Augenschein nimmt, weiß er, dass Bide recht hat. Der Weg ist versperrt. Er ist mit den anderen hier in der kleinen Hütte festgenagelt. Er hat sich den Stern ans Hemd gesteckt, weil er sieht, dass eine ihm selbst unbegreifliche Macht davon ausströmt und die drei stellungslosen Cowboys irgendwie bändigt.

*

Tage und Wochen vergehen. Seine Wolfsfelljacke hat er zusammengerollt und benutzt sie als Kopfkissen. Einmal, als die anderen unterwegs sind, um Holz zu suchen, schlitzt er die Jacke auf und schiebt das Geld ins Futter.

Die Tage werden wieder länger. Doch die schneidende Kälte hält an.

Bill fragt sich, ob von der Spur des Banditen noch etwas übrig sein kann, wenn er nach Hassel Junction kommt. Immer erwartungsvoller blickt er auf die Hohlwege, die ins Tal führen.

Endlich, es muss schon Mitte März sein, windet sich ein Rinnsal unter dem Schnee ins Tal. Zwei Tage später ist daraus ein breiter Bach geworden, dessen donnerndes Getöse die Hütte erfüllt. Die Sonne steht am blankgefegten Himmel. Es ist warm draußen.

„Wenn das Wetter anhält, ist der Canyon in drei Wochen frei", sagt Wade.

„Wird auch Zeit", brummt Bide. „Bei deinem Hunger müssten wir in vier Wochen noch ein Pferd schlachten. Und dann müssen zwei von uns auf einem Gaul nach Tombstone reiten."

Das Wetter hält an. Krachend bricht manchmal draußen das Eis. Die von den Bergen rauschenden Bäche füllen die Hohlwege aus und haben das halbe Tal in einen gurgelnden See verwandelt. Treibholz und tote Tiere schwimmen im Wasser, das sich einen Weg weiter in die Tiefe sucht.

Zwei Wochen später werden die reißenden Bäche niedriger. Das Wasser sieht nun schmutzig-braun aus. Geröllbrocken versperren die Wege.

Nach abermals zehn Tagen ist der Canyon frei. Die Männer schnüren ihre kargen Bündel. Zwei Tage reiten sie zusammen nach Westen. Dann hält Bide an einer Weggabelung an.

„Wir müssen nun weiter nach Süden", sagt er und hält Bill die Hand hin. „Und vielen Dank noch, Jackson. Verdammt, es war ein harter Winter. Und vielleicht würden wir nun doch nach einer Bank suchen, wenn du nicht gekommen, wärst."

Bill gibt allen die Hand und lächelt ihnen zu. Er weiß, dass diese Männer hart und gut sind. Aber die Ungerechtigkeit in diesem wilden Land, die die reichen Männer immer reicher gemacht hat und die armen immer ärmer, die kann ihnen irgendwann den Gedanken an die Bank zurückbringen. Vielleicht im nächsten Winter, wenn sie unten in Tombstone in Arizona Pech haben sollten:

Er wartet, bis sie hinter einer Biegung verschwunden sind und der klappernde Hufschlag ihrer Pferde verklingt. Dann tastet er nach dem Geld im Futterstoff der Wolfsfelljacke. Es knistert noch an seinem Platz.

Bill Jackson reitet weiter. Er hat ungefähr drei Monate verloren. Drei karge, harte Monate,. in denen die zwanzigtausend Dollar der Eisenbahn zerronnen sein können.

Hat es überhaupt noch Sinn, dieser Fährte zu folgen? Hassel Junction und der Vorname eines Mannes, den vielleicht viele tragen können, sind alles, was er weiß.

Und doch reitet er immer weiter, bis sich eines Tages die Berge vor ihm lichten, und bis er in einer langen Senke, mit Hügeln und Gras dahinter eine Stadt sehen kann. Eine kleine Stadt aus Kistenholzhäusern. Vielleicht sind es gerade zwei Dutzend Häuser. Er kommt an einer Farm vorbei, sieht einen krummen Mann, eine verarbeitet aussehende Frau und drei halbwüchsige Kinder, die von den Bergen geschwemmten Schlamm aus einem Kanal schaufeln.

Bill hält an und blickt zu dem Siedler hinüber. Das Haus im Hintergrund sieht schief und ärmlich aus. Er muss daran denken, dass ihm nach dem Überfall und dem brutalen Mord der Gedanke kam, ein armer Mann könnte eine Verzweiflungstat begangen haben. Vielleicht hatte dieser Mann einen auch im Winter gangbaren Weg über die Berge gewusst. Sicher hatte er den sogar gewusst. Und vielleicht war der Mann da drüben ...

Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu spinnen, weil er auf die Kinder schauen muss, deren Lebensnerv ihr Vater ist.

Bill greift nach seinem Stern in der Hosentasche und fährt mit der Hand über das blanke Metall. Ein Schaffner ist ermordet worden. Vielleicht auch ein Mann, der eine Frau und Kinder zurückließ, für die jäh alle Hoffnung zerstört wurde.

Er sieht, wie eines der Kinder erschöpft den Spaten sinken lässt und zu ihm herüberschaut. Es ruft etwas. Da richtet sich auch der Mann auf, und die Frau beschattet die Augen mit der flach ausgestreckten Hand.

Bill treibt das Pferd vorwärts. Es ist ganz gleichgültig, ob es dieser Mann war, ein anderer Siedler oder sonst irgend jemand. Er hat von Tetley den Stern genommen und ein Versprechen gegeben. Ein Mann ist ermordet worden. Er wird den Killer stellen und nach Reno oder irgendeine andere Stadt an der Bahnlinie bringen. Am besten nach Cheyenne. Vielleicht ist der dortige County-Sheriff für den Bereich, in dem der Mord geschah, verantwortlich und zuständig.

Der Siedler hat beide Hände auf den Stiel der Hacke gestützt, als Bill vor ihm anhält. Er murmelt einen mürrischen Gruß, den Bill zurückgibt. Er weiß nicht, wie er anfangen soll. Zugleich hofft er, dass dieser Mann anders als Dale heißen möge.

„Suchen Sie Arbeit, Fremder?", fragt die Frau mit tiefer, brüchiger Stimme.

„Ja", gibt Jackson erleichtert zurück.

„Dann müssen Sie zu Hassel weiterreiten", brummt der Siedler. „Er hat eine große Ranch und stellte in den letzten beiden Wochen schon viele Männer ein. Seine Ranch liegt von hier aus hinter der Stadt."

Bill blickt zu den Häusern in der Senke.

„Das ist also Hassel Junction?", fragt er, obwohl er weiß, dass es keine andere Stadt sein kann.

„Ja. Wir würden Ihnen etwas zu essen anbieten. Aber jetzt nach dem Winter ..."

„Ich habe keinen Hunger", unterbricht Bill die Frau freundlich. Er reibt über seine knisternden Bartstoppeln. Wie lange ist es eigentlich her, seit er sich das letzte Mal mit Wades Messer rasierte? Er kommt nicht darauf. Es fällt ilhm auch nichts ein, das er noch anbringen könnte, um den Vornamen des Mannes zu erfahren.

„Sind Sie der einzige Siedler hier in den Hügeln?", erkundigt er sich schließlich wieder an den Mann gewandt.

„Nein. Es gibt noch ein paar. Wenn Sie zu Hassel kommen, wird er Ihnen das alles erzählen. Sie werden dann auch erfahren, dass er nicht unser Freund ist. Das ist überall so gewesen, wohin wir bis jetzt kamen. Nicht wahr, Martha?"

Die Frau nickt.

Sie heißt also Martha. Das nützt ihm gar nichts. Und hier ist der gleiche Kampf wie überall, wo Rinderleute und Schollenbrecher aufeinanderstoßen.

„Wir haben das Land gekauft", fährt der Mann fort. „Über fünfzig Hektar. Hassel besitzt nicht mehr. Aber ihm gehören alle Wasserstellen. Nun, Sie wissen sicher selber, wie das geht. Und wenn nicht, er wird es Ihnen sagen."

„Ich will nicht zu Hassel", hört er sich sagen. „Sind Sie über Weihnachten hiergewesen?"

Er sieht, wie die Frau erstaunt auf den Mann blickt, dann zu ihm weiter.

„Natürlich war ich hier", meint der Rancher. „Was soll das?"

„Ich suche einen Mann, der Weihnachten nicht hier war. Vielleicht kam er kurz danach an. Er muss Dale heißen?"

Die Augen des Siedlers sind schmäler geworden.

„Also kein Cowboy?"

„Nein. Aber das spielt keine Rolle. Kennen Sie einen Mann, der Dale heißt?"

„Dale ... Da mag es vielleicht mehrere geben. Ich kenne Dale Ryan. Ihm gehört der Store in der Stadt. Ob er Weihnachten da war, weiß ich nicht. Im Winter kommen wir kaum in die Stadt."

„Wie geht sein Geschäft?"

„Ich glaube, nicht sehr gut. Hassel lässt sich viele Dinge seit über einem Jahr direkt von der Bahnlinie holen. Er bekommt sie dadurch wesentlich billiger. Jetzt, wo die Bahn durchgeht bis Kalifornien, soll sich das noch mehr auswirken."

„Hat Ryan Familie?", will Bill gespannt wissen.

„Ja, hat er. Warum suchen Sie ihn?"

„Ich weiß nicht, ob ich ihn suche. Das muss ich erst sehen. Der, den ich suche, hat einen Mann ermordet. Heißt sonst noch jemand Dale?"

„Hassels Sohn. Sonst wüsste ich niemanden."

„Wie alt?"

„Zwanzig, Mister. Ein wilder Bursche, der seinem Vater hilft, das Geld unter die Leute zu bringen."

„Danke", sagt Bill und wendet sein Pferd. „Vergessen Sie, dass ich hier war."

„Schon geschehen. So long!"

*

Bill reitet auf die Stadt zu. Ryan und Hassel. Vielleicht ist es einer der beiden. Wahrscheinlich Ryan, dessen Geschäft schlechter als früher geht und der seinen Haushalt vielleicht nicht rechtzeitig genug darauf umgestellt hatte. So etwas soll vorkommen.

In der Ferne sieht er Rinderherden. Es sind Herefords. Reiter sind zu erkennen. Hassel scheint ein mächtiger Mann zu sein. Sicher hat sein Sohn es nicht nötig, einen Zug zu überfallen und Kopf und Kragen dabei zu riskieren.

Die Stadt kommt schnell näher. Noch vor dem ersten Haus ist ein Pfahl in den Boden gerammt, an den ein Brett quer angenagelt ist. Ehemals war etwas mit Teerfarbe darauf geschrieben. Wahrscheinlich der Name der Stadt. Es ist nicht mehr zu lesen.

Dahinter steht das erste niedrige Haus. Dann ein Saloon mit einer flachen Fassade, auf die Fenster und Gardinen gemalt sind, die ein zweites Stockwerk vortäuschen sollen, von dem jedes Kind weiß, dass es doch nicht existiert.

Zwei Männer lümmeln vor dem Saloon unter dem Vordach an der Wand und rauchen. Sie blicken zu ihm her.

Vor dem nächsten Haus spielen ein paar Kinder. Dann kommt das Office des Sheriffs. Ein Mann mit grauen Haaren, einem gutmütigen Gesicht und dem Stern an der Lederweste sitzt auf dem Gehsteig davor in einem knarrenden Schaukelstuhl.

Bill reitet weiter. Der Sheriff und er haben sich kurz gemustert. Man scheint es in Hassel Junction um diese Zeit gewöhnt zu sein, dass Fremde in die Stadt kommen, durchreiten und dann mit Hassels Crew zurückkommen.

Das nächste ist wieder ein Saloon. Er hat wirklich ein Obergeschoss. Vielleicht hat das den anderen Salooner zu der falschen Fassade angeregt.

Und genau gegenüber der Store. Darüber ein grell gelbes, leicht verwittertes Schild. Und darauf der Name:

Dale Ryan.

Bill reitet bis zum Mietstall und gibt sein Pferd ab. Dann schlendert er bis zu dem Store zurück. Wenn er Glück hat, kann er die Stadt schon morgen verlassen.

Ob er erst den Sheriff verständigen soll? Das Knarren des Schaukelstuhles dringt bis zu ihm her. Er wird den Mann nicht in seiner Ruhe stören.

Entschlossen schiebt er die Tür auf und tritt über die Schwelle. Die Fichtenholzdielen dahinter knarren, als er die Füße daraufsetzt.

Ein Mann kommt durch eine Hintertür, nachdem Bill bis an die Theke getreten ist. Es ist ein kleiner, krummer, ausgelaugter und glatzköpfiger Mann mit einem Raubvogelgesicht.

„Sie wünschen, Fremder?", fragt er mit Fistelstimme.

Bill weiß sofort, dass das auch nicht sein Mann ist. So hatte der vor der Hütte nicht gesprochen, als er über die Schulter etwas zu den zurückgebliebenen Banditen gesagt hatte.

Darüber ist er erleichtert, weil er daran denkt, dass Ryan Familie haben soll.

„Ich brauche Munition für diesen Colt", entgegnet Bill und legt seine Waffe auf den Ladentisch.

„45er", meint der Mann und kramt in einem Regal herum. Er legt eine Schachtel auf den Tisch.

Bill bezahlt, bricht den Karton auf und steckt die schimmernden Patronen in die Hosentaschen. Sie klappern mit seinem Stern zusammen. Er murmelt einen Gruß und geht hinaus.

*

Als er den Saloon mit Obergeschoss betritt, zuckt das Mädchen an der Theke zusammen.

Er geht auf sie zu und lächelt. Er ist nicht verblüfft, sie hier zu sehen, weil Tetley ihn darauf vorbereitet hat. Und doch hat er in den langen Wochen in den Bergen nicht mehr an sie gedacht. Sie trägt ein schillerndes Kleid, das mit bunten Glasperlen besetzt ist. Ihr Haar ist mit einem mexikanischen Kamm nach oben aufgesteckt.

„Hallo, Miss Solar", murmelt Bill, als er dicht vor ihr steht. Er überfliegt den Saloon mit einem einzigen Blick. Er ist mit ihr allein.

„Ich kann mich nicht erinnern, jemals meinen Namen zu Ihnen gesagt zu haben", gibt sie zurück.

„Den hat mir Tetley verraten. Den und das andere, Miss."

„Das andere? Was?"

„Das mit der Ranch. Tetley will Sie gekannt haben. Es spielt keine Rolle."

„Was machen Sie hier?"

Bill zögert einen Moment, dann sagt er. „Ich war zu weit von der Bahnlinie abgekommen. Muss mich verirrt haben. Vielleicht wollte ich Sie auch wiedersehen, Kate."

Sie schnauft verächtlich durch die Nase und knurrt wie ein Pumaweibchen. „Wegen einem billigen Saloongirl macht sich kein Mann den weiten Weg durch die Berge. Sie sind durch die Berge gekommen. Überall an Ihrer Jacke hängt noch Alkalistaub."

„Ich suche vielleicht einen Job. Man hat mir gesagt, dass es in diesem Tal einen großen Rancher geben soll."

Aus der Küche kommt der Keeper. Es ist ein ungefähr fünfundvierzig Jahre alter Mann mit einem schwammigen Gesicht und wässrigen Augen. Er hat über einem grau-weißen Hemd eine mexikanische Weste mit Silberstickerei. Zwischen den beiden Taschen darauf funkelt eine dünne, goldene Uhrkette, die durch ein Knopfloch läuft.

„Bitte einen Whisky", sagt Bill.

Der Mann mustert ihn kritisch.

„Waren Sie schon bei Hassel?", knurrt er.

„Nein, warum?"

„Er ist der einzige, der hier Arbeit vergibt. Aber er zahlt keinen Vorschuss."

„Was ich bestelle, kann ich noch ganz gut selbst bezahlen", gibt Bill eisig zurück.

Der Keeper schiebt eine Flasche und ein Glas über den Tisch.

Bill nimmt beides und geht zu einem Tisch. Der Keeper steht ein paar Minuten hinter der Theke und fixiert seinen Gast, dann zieht er sich in die Küche zurück.

Kate Solar kommt an den Tisch. Sie hat ein leeres Glas in der Hand und hält es Bill entgegen. Sie sagt: „Whisky ist eigentlich nicht meine Spezialität. Aber die Zeit ist nicht dazu angetan, wählerisch zu sein."

Bill schenkt die Gläser voll.

„Haben Sie damals mit Tetley die Diebe geschnappt?", will sie wissen.

„Ja", sagt er und weiß nicht, warum er lügt. „Wissen Sie noch, wann Sie hier angekommen sind?"

„Zwei Tage vor Silvester. Warum?"

„Nur so." Er rechnet aus, dass der Mann, den er sucht, dann unter Umständen Silvester auch hier gewesen sein kann. Sein Weg war etwas weiter. Dafür ist er allein sicher schneller vorangekommen. ‘

„Nach Norden führt ein langes Tal durch die Berge bis zur Eisenbahn", spricht das Mädchen weiter. „Es lag viel Schnee, und ich dachte, wir kämen nicht durch. Aber Bresler sagte, wir müssten über keinen Pass, und es wäre eine Kleinigkeit. Das stimmte auch."

„Wer ist Bresler?"

„Der Keeper. Er hat mich selbst abgeholt. Er sagte, es wäre schwierig, Mädchen für diese entlegene Stadt zu bekommen. Ich bin ganz allein hier."

Bill sieht, dass ihr Gesicht fahl geworden ist. Er kann sich vorstellen, wie bitter ihr Schicksal in dieser Stadt ist. Dabei scheint sie selbst zu wissen, dass bis jetzt eine verdammt flaue Zeit war.

„Ich singe und tanze", redet sie weiter. „So steht es in meinem Vertrag. Manche Cowboys glauben, sie können mit mir ...“

Er wendet den Blick ab, als sie abbricht, damit sie nicht denkt, er wollte sie auffordern fortzufahren.

„Ich werde mir jetzt die Haare schneiden und den Bart abkratzen lassen", sagt er nach einer Weile und trinkt sein Glas leer. „Gilbt es im Haus ein Bad?"

„Ja."

„Dann sagen Sie dem Keeper doch bitte, er möchte mir warmes Wasser machen."

„Ich mache das."

Er sieht das Leuchten in ihren Augen, steht schnell auf und will hinaus.

„Noch eine Sekunde!", schnarrt eine scharfe Stimme hinter ihm.

Als er sich dreht, sieht er den Keeper in der Küchentür. Bill geht zurück und legt einen Zwanzig Dollar-Schein auf den Schanktisch.

James Bresler wartet, bis Bill gegangen ist, dann wendet er sich dem Mädchen zu.

„Was will der Bursche?"

„Weiß ich nicht."

„Einer, der jetzt noch zwanzig Dollar hat, sucht doch keinen Job!"

„Vielleicht ist er ein Spieler. Ich lernte ihn in der Eisenbahn flüchtig kennen. Aber wir haben nur ein paar Worte gewechselt."

Der Keeper blickt wieder auf den Geldschein. Sein Blick wird immer misstrauischer.

„Nicht mal Wechselgeld hat er mitgenommen", brummt er.

„Er kommt sicher zurück."

*

Als Bill aus dem Haus des Barbiers tritt, sieht er sie kommen. Sie sind acht Mann. Sie schreien schon, ehe sie die ersten Häuser erreicht haben. Sie schlagen auf ihre Pferde, haben Colts in den Händen und feuern wie angestochen in die Luft.

Sie sprengen auf der Fahrbahn an ihm vorbei. Sand spritzt in die Höhe. Vor Breslers Saloon reißen sie die Pferde hart zurück und springen ab.

„Tobe, schaff die Biester in den Mietstall, sonst wird mein Alter verrückt, wenn er in die Stadt kommt!", brüllt ein junger Bursche, der nicht älter als zwanzig Jahre sein kann.

Einer der wilden Burschen nimmt die Zügel der Pferde.

„All right, Dale", schnarrt er.

Bill tritt zu einer Vorbaustütze und blickt zu den Männern, die den jungen Burschen umstehen. Sie sind alle älter als der, aber sicher nicht viel. Sie sehen rau, verwegen und wild aus. Und sicher stehen sie auf der Lohnliste des ,Alten', von dem er sprach. Bill glaubt, dass dieser ,Alte' dessen Vater ist.

Die Horde schiebt sich in den Saloon hinein. Gegenüber ist der Sheriff aus seinem Schaukelstuhl gesprungen und stützt sich mit einer Hand an einer Vorbaustrebe. Bill sieht es aus, als würde der Mann schnaufen. Sein Gesicht ist verkniffen und die Augen so schmal wie Schießscharten.

Dale Hassel, überlegt er. Dann geht er auf den Saloon zu.

Als er eintritt, stehen die sieben Männer an der Theke. Kate Solar ist vor ihnen zurückgewichen und lehnt mit dem Rücken an einer Stütze, die die Decke trägt. Ihr Gesicht sieht so durchsichtig aus wie Wachs.

„Los, verdammt!", bellt einer der Kerle. „Sing uns das Lied von dem Sheriff, der es zu genau genommen hat!"

„Sie hat jetzt frei", schnarrt Bresler hinter der Theke.

„Frei?", fragt der wilde, schmale und schwarzhaarige Bursche mit dem scharfgeschnittenen Gesicht und den kalt leuchtenden Augen, den sie draußen Dale nannten. „Was ist das, Bresler?"

Bill lehnt sich neben der Tür an die Wand. Bis jetzt hat sich niemand nach ihm umgewandt. Sicher bemerkten sie ihn noch nicht.

„Das weißt du genau!", ruft der Keeper, dessen schwammiges Gesicht straffer wird und eine dunkle Farbe angenommen hat.

„Eben nicht, Bresler. Sie wird für uns singen und tanzen! Jetzt! Auf der Stelle!"

„Sie hat frei, Hassel! Und du solltest lieber keine zu große Lippe riskieren. Du weißt, wie schlecht dein Vater werden kann, wenn ich ihm davon erzähle! Sicher sollt ihr irgendwo auf der Weide die Rinder hüten und nicht hier in der Stadt Krach schlagen!"

Bill sieht, wie Dale Hassels Hand über den Revolverkolben streift. Er trägt seine Waffe sehr tief und hat den Lederriemen am Halfterboden um den Oberschenkel geschnallt.

„Er hat dir gedroht, Dale", sagt einer der anderen. „Ich will verdammt sein, wenn ich mir das gefallen lassen ..."

„Du hältst dein Maul, Pete!", grunzt Dale. „Ich weiß allein, was ich zu machen habe. Bresler, du hättest mir besser nicht drohen sollen. Vielleicht vergisst du, dass mein Vater ein alter Mann ist und nicht das ewige Leben haben wird. Auch wenn sie ihn heute noch Big John nennen, wird er eines Tages nicht mehr der Boss der Ranch sein. Weißt du, wer dann an der Reihe ist? Ich! Und weißt du, welcher von euch Dummköpfen von mir zuerst zum Teufel geschickt wird? Du!"

„Das wird ein Fest für meines Vaters Sohn", grölt einer.

„Ruhe!", bellt Dale. „Bresler, sag ihr jetzt, dass sie tanzen und singen soll!"

„Ich denke nicht daran!", faucht der Keeper.

Bill kommt nicht umhin, diesen Mann zu bewundern. Aber irgendwie wird er das Gefühl nicht los, dass dem ganz bestimmte Befehle von Big John Hassel zugrunde liegen müssen.

„Er will nicht!", schnauft Pete. „Verdammt, er will nicht!"

Dale hat plötzlich den Colt in der Hand und fuchtelt damit über dem Schanktisch herum.

„Schieß doch", sagt Bresler. „Jeder in der Stadt wird dann wissen, dass es Mord war! Der Sheriff wird dich ..."

„Der Sheriff!", schnaubt Dale verächtlich. „Als ob der etwas in der Stadt meines Vaters zu sagen hätte! Mein Vater wird mich vielleicht prügeln dafür. Das ist alles. Aber davon wirst du nicht wieder lebendig. Das solltest du dir schnell überlegen!"

Bill hat aus den wenigen, hastig hervorgestoßenen Worten sehr viel entnommen. Dale scheint der einzige Sohn seines Vaters zu sein. Und wahrscheinlich hängt Big John mit einer wahren Affenliebe an ihm. Er weiß, wie sehr ihn das selbst betrifft, wenn Dale sein Mann ist. Dabei ist er jetzt fest davon überzeugt, dort den letzten Eisenbahnräuber zu sehen.

„Ich werde tanzen", sagt das Mädchen belegt. „Es ist ja weiter nichts, James!"

„James!", kichert Pete und stößt seinem Nachbar zwischen die Rippen. „Mein lieber guter James, hörst du das, Partner? Verdammt, hat er das Girl nun zu unserer Unterhaltung kommen lassen, oder für sich selbst?"

„Das frage ich mich schon ein paar Wochen", knurrt Dale. „Na los, Mädel! Wir wollen schließlich nicht bis morgen hierbleiben \"

Bill sieht Kate Solar auf eine kleine Bühne im Hintergrund zugehen. Pete setzt das Orchestrion an der linken Wandseite in Betrieb. Kate beginnt auf der Bühne steif und bleich zu tanzen und singt mit schriller und ängstlicher Stimme.

Dale bricht in grölendes Gelächter aus.

Kate bricht ab.

Bresler hat auf einmal eine Schrotflinte in der Hand, von der Läufe und Kolben kurz abgesägt sind.

„Raus!", donnert er. „Verschwindet, ihr Höllenhunde!"

Dale weicht ein Stück zurück. Die anderen schieben sich weit auseinander.

„Unglaublich", sagt Dale. Auch er ist nun bleich geworden. „Das ist unglaublich, Bresler. Du bist der erste der Stadtfräcke, der auf einen Hassel anlegt."

„Es wird wohl .höchste Zeit!", gibt der Keeper knarrig zurück. „Und wenn ihr nicht schnell macht, drücke ich ab!"

„Hölle, der macht es wirklich!" knurrt einer.

Da geht neben Bill die Schwingtür auf. Der Cowboy, der die Pferde wegbrachte, tritt ein. Er bleibt stehen, mustert Bill zwei Sekunden und blickt zu den anderen. Er scheint sofort zu begreifen und grinst. Kate steht verloren auf der Bühne. Und das Hämmern des Orchestrions erfüllt den Saloon.

Bill wundert sich, dass der Sheriff nicht kommt. Will er sich nicht einmischen, wenn es gegen Hassels wilden, ungeratenen Sohn geht?

„Lange warte ich nicht mehr!", schreit der Keeper. Sein Gesicht ist noch dunkler und straffer geworden. Aber die Waffe in seinen Händen schwankt infolge der Erregung.

Da schwirrt von links etwas durch die Luft.

Kate stößt einen Schrei aus und hält sich die Hand vor den Mund.

Bresler wird von der fliegenden Flasche an den Kopf getroffen und kracht gegen die Theke. Hart schlägt das Gewehr an. Im gleichen Moment gehen die beiden Schrotladungen mit einem ohrenbetäubenden. Knall los und fahren in die Decke.

Dale, der zusammengezuckt ist, richtet sich wieder auf.

Bill sieht durch die Gasse der Männer den Flaschenwerfer, der eben grinsend seinen Colt zieht und auf den Keeper, der halb bewusstlos über dem Schanktisch hängt, anlegt.

Da spürt Jackson seinen Frontiercolt zwischen den Fingern. Er schießt von der Hüfte aus in die Gasse hinein.

Dem trockenen Bellen der Waffe folgt ein Schrei. Der Colt des wilden Cowboys wird durch den Saloon gewirbelt und fällt unter einen Tisch. Die Männer fahren herum.

Bill zieht den Hammer mit dem Daumen wieder zurück. Er sieht Dales dunkle, sprühende Augen auf sich gerichtet.

„Ihr Vater wäre sicher noch weniger begeistert von Ihrer Arbeit, wenn ein fast bewusstloser Mann ermordet wird."

Der Cowboy, dessen Hand getroffen wurde, schreit noch immer.

„Kent, halt das Maul!", sagt Dale, ohne sich umzusehen. Und dann zu Bill gewandt: „Stecken Sie den Colt weg, Fremder! Ich kann das nicht leiden."

„Wenn mich eine Flasche trifft, werde ich wahrscheinlich nicht in die Decke schießen, Hassel", erwidert Bill ernst. „Aber ich werde vor Schreck den Hammer loslassen, den ich jetzt mit dem Daumen halte. Das sollten Sie bedenken."

Dale leckt sich über die schmalen Lippen und schließt den Mund wieder. Seine Augen blitzen wie blauer, geschliffener Stahl.

„Wer sind Sie?"

„Bill Jackson."

„Was wollen Sie hier?"

„Das werden Sie schon noch erfahren, wenn es Sie etwas angeht, Hassel. Ich stelle Ihnen auch keine Fragen. Gehen Sie jetzt mit Ihrer Horde!"

„Ich glaube nicht, dass Sie hier etwas zu sagen haben, Jackson", schnaubt Dale Hassel. „Wenn von uns einer geht, werden Sie das sein. Ich bin ..."

„Ich habe einen Colt in der Hand", unterbricht Bill ihn. „Und in dem Colt steckt eine Kugel, der es egal ist, wer vor dem Lauf steht. So weit sollte Ihr Verstand noch reichen."

Bill sieht aus den Augenwinkeln, wie einer der Kerle langsam nach dem Colt greift und. ihn hebt. Als er das kreisrunde Loch im Lauf sehen kann, schwingt er seine Waffe blitzartig herum und schießt.

Mit einem verzerrten Schrei krümmt sich der Cowboy zusammen und lässt den Colt aus der Hand fallen. Dann schlägt er auf den mit Sägespänen bestreuten Boden. Bill hat den rauchenden Colt schon wieder auf Dale gerichtet, ehe der etwas unternehmen konnte. Der Hammer ist wieder gespannt.

„Tot", sagt Pete in die eintretende Stille, als das Orchestrion abgelaufen ist. „Verdammt, dieser Killer fährt zur Hölle!"

„Es war Notwehr", erwidert Bill gleichgültig. „Vielleicht denkt ihr erst nach, ehe ihr auch zieht. Auch wenn ihr sieben gegen mich seid, von denen einer kaum noch zählt. Ich habe noch vier Kugeln. Dale, Sie sind der erste, auf den ich abdrücke. Sagen Sie den anderen, dass sie die Pferde holen sollen und besser keinen Trick versuchen!"

Dale Hassel verschluckt etwas. Doch Bill glaubt in seinen sprühenden, gefährlichen Augen auch so etwas wie Angst aufglimmen zu sehen. Dale scheint zu wissen, dass er nicht mit dem Leben davonkommen wird, wenn noch irgend etwas geschieht.

Eine Minute lang geschieht nichts. Der Sheriff kommt immer noch nicht.

Da richtet sich der Keeper röchelnd auf und reibt über seinen Kopf. Er scheint schnell zu begreifen, denn er stößt einen langen, harten Fluch aus. Bill ist nur eine Sekunde abgelenkt.

Da lässt sich Dale Hassel fallen und schreit etwas. Bill sieht eine Feuerlanze auf sich zurasen und spürt, wie die Wand erzittert, als sich das Geschoss dicht neben seinem Kopf in die Wand frisst. Er sieht, dass sie alle gleichzeitig nach ihren Waffen greifen und wirft sich mit einem verzweifelten Satz zur Tür hinaus. Ein halbes Dutzend Kugeln wehen ihm nach. Er springt wieder auf und hastet zur Ecke, wo er sich hinter einer halbvollen Regentonne niederwirft.

*

Sie kommen schreiend aus dem Saloon gestürzt. Einer drängt den anderen aus dem Weg. „Dort!", ruft Pete und schießt. Seine Kugel reißt ein Loch in die Regentonne, aus der ein fingerdicker Wasserstrahl schießt.

„Aufhören, Hassel!", bellt der Sheriff auf der anderen Seite. Er hat eine Waffe in der Hand und drückt dreimal ab. Die Kugeln kratzen über das Dach des Saloons und verlieren sich wimmernd im Nichts.

Die Cowboys haben sich gedreht und feuern über die Straße. Schreiend flieht der Sheriff in sein Office. Die Tür klappt zu. Ein paar Löcher werden noch ins Holz gerissen.

Triumphierend schreien die Cowboys, wenden sich wieder der Wassertonne zu und feuern weiter. Aber dort liegt Bill Jackson nicht mehr. Er hat den kurzen Moment benutzt, um an der Seitenfront des Saloons entlang zu verschwinden.

Bill betritt den Saloon durch die Hintertür. Er sieht Kate Solar noch immer wie erstarrt auf der kleinen Bühne stehen. Der Keeper hinter der Theke schiebt eben zwei frische Schrotpatronen in sein verkürztes Gewehr.

Vor der Theke liegt der erschossene Cowboy. Die Zähne des Mädchens schlagen so hart aufeinander, dass Bill es hören kann.

„Der verfluchte Halunke ist verschwunden!", bellt auf der Straße eine Stimme.

Eine Hutkrone taucht vor der halbhohen Saloontür auf. Die Tür wird nach innen gestoßen. Der Cowboy bleibt verwirrt stehen.

„Hier ist er!", brüllt er auf einmal über die Schulter.

Ein Blitz rast Bill entgegen, und er denkt, dass diese Horde vollkommen verrückt sein muss. Er hört den Einschlag der Kugel links von sich und feuert zurück.

Der Kerl an der Tür schreit und springt zurück. Er ist in den Arm getroffen.

Zwei wollen gleichzeitig zur Tür herein. Bill sieht die Mordlust, die in ihren Augen brennt. Der Colt in seiner Faust kracht. Der eine fällt aufs Gesicht, während der andere eilig verschwindet.

Jackson stößt die verbrannten Geschosshülsen aus der Trommel und setzt frische Patronen ein.

„Er ist ein Feuerfresser", sagt draußen auf der Straße eine Stimme. „Zwei Tote und zwei Verletzte, Dale! Der Boss wird verrückt!"

„Holt die Pferde!"

Draußen erschallen Schritte, und das Rasseln großer Sporenräder dringt bis zu Bill. Er sieht Gestalten hin und her laufen. Pferde wiehern. Hufschlag klingt auf, und Staub wallt in der Luft vor dem Saloon. Dann wird es sehr ruhig.

Der Keeper lässt das Schrotgewehr jetzt sinken.

„Sie haben die Nase voll", sagt er.

„Bis Big John hiersein kann, vergehen ein paar Stunden. Sie haben einen guten Vorsprung, Stranger. Und noch vielen Dank! Kate Solar hat mir gesagt, was ich Ihnen zu verdanken habe."

„Schon gut. Wie weit ist mein Bad?"

„Ich — das Wasser wird kalt geworden sein", sagt Kate und steigt mit hölzernen Bewegungen von der Bühne.

„Ich möchte auch ein Zimmer", redet Bill an den Keeper gewandt weiter.

„Sie sollten es besser nicht auf die leichte Schulter nehmen", grollt Bresler. „Big John kommt bestimmt. Schon deshalb, weil Dale alles anders erzählen wird, als es war."

„Dann werde ich es eben richtigstellen. Das ist doch einfach."

„Denken Sie. Aber dabei wird Ihnen niemand helfen. Niemand in dieser Stadt! Nicht einmal ich. Schlimm genug, dass ich impulsiv genug bin, mich mit Dale anzulegen. Bei seinem Vater wäre es mein Ruin."

„Dale sagte Ihnen, dass es früher oder später auch Ihr Ruin sein wird."

Bresler winkt ab und stellt die Schrotflinte in die Ecke.

„Bis Big John abtritt, bin ich nicht mehr hier." Er wirft Kate einen Blick zu.

„Los, geben Sie das Gästebuch her!"

Schulterzuckend langt der Keeper das Buch aus einem Fach und legt es neben dem Whiskyfass auf die Theke.

Bill dreht es herum, greift nach dem Federhalter und taucht ihn ein. Dann schreibt er: „Bill Jackson, Cheyenne" in das Buch und dreht es um.

Knarrend schwingt die Tür auf. Der Sheriff steigt mit bleichem, verzogenem Gesicht über den Toten hinweg und bleibt vor dein zweiten erschossenen Mann stehen.

„Wer sind Sie?", fragt er.

„Bill Jackson. Ich habe mit Ihnen sowieso etwas zu besprechen, Sheriff. Sobald ich gebadet habe, komme ich zu Ihnen. Vielleicht sind Sie so freundlich und sagen inzwischen dem Coroner Bescheid. Ich habe die beiden Kerle in Notwehr erschossen. Miss Solar und der Keeper werden das sicher bestätigen."

Bresler nickt mit saurer Miene.

„Ja, das stimmt", sagt das Mädchen gepresst und wischt sich über die schweißglänzende Stirn.

„Sie sind im Irrtum, wenn Sie denken, dass ich Ihnen deshalb etwas am Zeug flicken will, Jackson", murrt der Sheriff. „Ich will Ihnen nur einen Rat geben ...“

„Das hat der Keeper mir schon geraten", unterbricht Bill den Mann. „Danke! Ich habe hier etwas zu erledigen und muss leider noch bleiben. Und noch etwas: die Sache ging mich gar nichts an. Es war Breslers Streit. Ich dachte, die Stadt wäre mir dankbar dafür. Er war schon so gut wie ein toter Mann."

„Ja, zum Teufel, das stimmt", knurrt der Keeper.

„Die Stadt hasst diese wilden Burschen", schnauft der Sheriff. „Das können Sie glauben. Aber die Stadt lebt zum guten Teil von der Ranch Big John Hassels. Well, das dürfen Sie auch glauben. Deshalb sollten Sie uns zu verstehen versuchen. Bis jetzt ist noch niemand ermordet worden."

„Kent wollte Bresler erschießen!", sagt das Mädchen bestimmt. „Diesmal war es kein Bluff. Irgendwie waren sie sehr wütend und hatten keine Kontrolle mehr über sich selbst."

Der Sheriff zuckt die Schultern und wendet sich ab;

„Ich werde mir im Store ein frisches Hemd besorgen", wendet sich Bill an das Mädchen. „Ist das Bad dann soweit?"

Sie nickt.

*

Jackson greift nach seinem Frontiercolt, als es an der Tür klopft.

„Ja!"

Es ist Kate, die eintritt. Sie lächelt unsicher.

„Erschießen Sie mich nicht, Bill!"

Er legt die Waffe weg und kämmt sich die Haare. Er spürt überall am Körper, dass ihm das Bad gut getan hat.

„Vielen Dank noch für das warme Wasser", meint er mit einem Lächeln.

Kate setzt sich auf die Bettkante und blickt ihn an. Dann schaut sie zu dem abgewetzten, schmucklosen Colt weiter. Es ist ein ziemlich altes, großes Modell. Eine Waffe, wie sie Texaner tragen, die sie schon sah. Männer, die damit umgehen können. So wie er, der einem anderen von der Hüfte aus den Colt aus der Hand schießt.

„Was wollen Sie nun wirklich?", fragt sie. „Einen Job bei Hassel nicht, weil Sie wissen, dass Sie den nie bekommen könnten. Nun nie mehr!"

Er wirft den Kamm in die Schale vor dem halb erblindeten Spiegel und wendet sich um. Aus der Hosentasche fischt er Tetleys Stern und wirft ihn auf seine Sattelrolle auf dem Bett.

Kate Solar presst die Lippen fest aufeinander, als sie auf den Stern blickt.

„Wir fanden die Bahnräuber unterwegs", sagt er. „Drei wurden erschossen. Einer entkam. Er hatte die Hälfte des Geldes bei sich. Tetley wurde tödlich verletzt. Er bat mich, den Stern zu nehmen. Ich soll seinen Auftrag zu Ende bringen. Der, der entkam, wurde mit Dale angerufen. Die anderen riefen ihm nach, er brauchte keine Angst zu haben, sie würden nicht zu ihm nach Hassel Junction kommen. Unterwegs geriet ich in ein zugeschneites Bergtal und kam nicht weiter. Das ist alles."

Kate schaut noch immer gebannt auf den funkelnden Stern.

Bill Jackson schlingt sich den Patronengurt um die Hüften und schiebt den Frontiercolt ins Halfter, nachdem er die Trommel mit der ausgestreckten Hand durchgedreht hat.

„Dale", sagt sie.

„Er muss kurz nach Ihnen mit zwanzigtausend Dollar hier angekommen sein, wenn ich richtig liege. Ein Mann fällt mit viel Geld in einer kleinen Stadt unter Umständen auf."

„Oder auch nicht."

„Eben. Darum sagte ich: unter Umständen! Kate, wer kam nach Ihnen? Dale Hassel?"

„Dale Hassel? Wieso?"

„Er heißt Dale. Ich habe vorhin gesehen, dass er ein juniger, wilder, zügelloser Bursche ist. Auch seine Stimme scheint mir zu der zu passen, die ich damals antworten hörte."

„Unsinn", sagt sie schroff. Sie hebt die weißen Arme und steckt sich den Kamm im Haar zurecht.

Bill sieht es aus, als wollte sie sich nur beschäftigen, damit er ihr Gesicht nicht sieht. Er steckt den Stern wieder in die Tasche und geht an ihr vorbei zur Tür. Dort bleibt er noch einmal stehen und schaut zurück. Ihr Gesicht ist bleich und verschlossen. Er weiß, dass sie nichts sagen wird. Zugleich weiß er aber auch, dass sie ihm etwas sagen könnte.

„Na schön, Kate", meint er. „Ich komme auch anders dahinter. Ich weiß, dass ihr alle Angst habt. In so einer Stadt muss ein Mensch vielleicht klein und feige werden."

Kate steht auf.

„Sie riskieren Ihr Leben, Bill. Sie werden niemals an das Geld kommen."

„Weil es zerronnen ist?", fragt er schnell.

„Vielleicht, deshalb."

„Ich will nicht nur das Geld, Kate. Ein Schaffner wurde erschossen. Sie sahen ihn doch. Haben Sie während der Weiterfahrt mehr von dem Mann erfahren?"

„Nein — nichts."

„Das spielt wohl auch keine Rolle. Er wurde ermordet. Drei der Killer sind bestraft. Den letzten bringe ich nach Cheyenne oder Reno, wenn ich ihn finde."

„Bill, Sie werden sich die Finger verbrennen!", ruft sie beschwörend.

„Es ist also Dale?"

Sie presst die Lippen wieder so fest aufeinander, dass sie wie ein schmaler Strich in ihrem Gesicht stehen.

„Wahrscheinlich meinen Sie es gut mit mir, Kate", sagt er einlenkend. „Aber vielleicht wissen Sie auch nicht, wie es ist, wenn man einem sterbenden Mann etwas verspricht."

Er schiebt die Tür mit einem heftigen Ruck auf und geht hinaus.

„Bill!", hört er sie hinter sich rufen, als die Tür ins Schloss gefallen ist.

Er kümmert sich nicht darum. Er geht den Gang entlang und steigt die Treppe hinunter. Er hat seinen Weg gewählt und wird ihn bis zum Ende gehen. Irgendwie …

*

Der Sheriff läuft von einem Ende des Raumes bis zum anderen. Sein rundlicher Körper wird von der Lampe auf dem Schreibtisch beleuchtet, während sein Kopf im Halbdunkel mehr zu ahnen als zu sehen ist.

„Sie brauchen verdammt lange, Sheriff", sagt Bill. „In dieser Stadt ist doch nichts los, wenn Hassels Haufen nichts losmacht. Und so lange ist es nun auch wieder nicht her. Wer war Weihnachten nicht da?"

Der Sheriff wandert immer noch durch das Office. Seine Schritt hämmern so hart auf den Boden, dass es Bill klingt, als wollte Heston die Dielen zertrümmern.

„Dale Hassel?", fragt er.

Jetzt bleibt Heston stehen und wirbelt mit einem Ruck herum.

„Wieso?"

„Weil der Kerl Dale heißt."

„Das ist doch Irrsinn, Jackson."

„Durchaus nicht. Dale passt in das Bild, das ich mir gemacht habe."

„Trotzdem ist es Irrsinn! Dale Hassel hat den reichsten Vater, den sich in dieser Gegend ein Mann vorstellen kann."

Bill lächelt auf eine raue Art.

„Das besagt gar nichts", erwidert er. „Big John hat seinem Schn sicher nicht befohlen, heute in die Stadt zu reiten, Krach zu schlagen und wenn möglich den Keeper Bresler zu ermorden. Das hat er mit den anderen unter Garantie auf eigene Faust gemacht. Und so kann es oft gewesen sein. Es gibt tausend Dinge, die einen Mann in eine schwierige Lage bringen können. Vielleicht hat Dale dringend Geld gebraucht. Mehr Geld, als sein Vater ihm geben wollte. Vielleicht hatte er auch Angst, zu seinem Vater davon zu reden. Heston, Sie wissen etwas. Sehen Sie sich den Stern an!"

Bill zeigt zum Schreibtisch, auf den er Tetleys Stern geworfen hat.

„Irgend jemand in dieser Stadt hat Sie zum Sheriff gemacht. Es spielt keine Rolle, wer das war. Auf jeden Fall wird er Ihnen eine Eidesformel vorgesprochen haben, die Sie nachsagen mussten. Und in dieser Formel musste in einer beliebigen Variante vorkommen, dass Sie dem Recht helfen sollen. Es spielt keine Rolle, was der einzelne unter Recht versteht. Ein ehrlich und fair denkender Mensch weiß, dass dieser Stern dort ein Stück Recht in diesem Land ist. Und dem haben Sie zu helfen!"

„Sie reden wie ein Prediger", schnauft Heston giftig. „Ich wäre verrückt, wenn ich etwas sagen würde. Es geht mir nicht um meinen Stern. Tausendmal habe ich ihn schon verflucht! Mann, verschwinden Sie aus dieser Stadt, ehe es zu spät ist! Hier hilft Ihnen niemand! Sie selbst können sich auch nicht helfen. Die Sache ist längst bereinigt."

„Bereinigt?"

„Zum Teufel, von mir erfahren Sie nichts, Jackson. Reiten Sie fort! Ich werde niemandem sagen, was Sie hier gewollt haben."

Bill steht auf. Er fühlt, dass Heston ihm helfen möchte, aber nicht über seinen Schatten springen kann. Er hat schon viele Männer kennengelernt, denen es ähnlich ging. Wahrscheinlich darf er dem Sheriff daraus nicht einmal einen Vorwurf machen.

Er steht auf, greift nach dem Stern und steckt ihn an. Dann stülpt er seinen Hut auf den Kopf.

„Ich werde nicht gehen, Heston", murmelt er. „Nicht eher, bis ich den Kerl habe, der einen braven Schaffner ermordete. Und ich werde diesen Kerl auch aus der Stadt bringen."

Er geht zur Tür hinaus, ohne noch eine Antwort abzuwarten.

Kalter Wind ist aufgesprungen, der um die Hauskanten heult und die Straße entlang pfeift. Sand wird in die Höhe gewirbelt.

Bill läuft langsam nach liniks. Er weiß, dass er einen Mann täuschen muss, wenn er erfahren will, Ob Dale Hassel Weihnachten hier war oder nicht.

Vor dem Store bleibt er stehen. Hier hat er heute angefangen, weil der Mann auch Dale heißt. Kurz entschlossen tritt er wieder ein.

*

Dale Ryans Raubvogelgesicht ist verschlossen, als er in der Tür auftaucht.

„Ich habe die Munition beinahe wieder verschossen", meint Jackson und grinst. „Ich brauche frische."

„Sie sollten sich lieber ein Handpferd kaufen", knurrt Ryan. „Und zwar schnell, Mister!"

„Das war doch alles nur ein Spaß. Dale Hassel und ich sind gute Bekannte."

Ryans Augen ziehen sich zusammen, wodurch sein Gesicht noch abstoßender wirkt.

„Bestimmt", sagt Bill leichthin. „Wir hatten Kummer miteinander, als wir uns das letzte Mal trafen. Das wirkte sich bei ihm eben heute noch aus. Es war Weihnachten, als wir uns trafen."

„So?"

„Ja. An der Bahnlinie."

Der Keeper beugt sich weiter vor.

„Ich glaube, Sie wollen mir einen gewaltigen Bären aufbinden!", schnappt er.

„Wollen Sie behaupten, Dale wäre Weihnachten nicht bei mir an der Bahnlinie gewesen?"

Der Storekeeper hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen.

„Wo er war, weiß ich nicht. Fortgeritten ist er, das stimmt. Er war noch hier in der Stadt, ehe er aufbrach, und sein Vater suchte ihn dann. Deshalb wissen wir es. Als Dale wiederkam, sah er grün und blau aus. Haben Sie sich mit ihm geprügelt?"

„Das hat vielleicht sein Vater besorgt", sagt Bill. „Wissen Sie nicht, warum?"

„In der Stadt wurde etwas gemunkelt. Aber etwas Genaues weiß niemand."

„Bestimmt nicht?"

„Vielleicht Heston. Aber der ist schlau und schweigt. War es ein Überfall auf die Bahn?"

Bill weiß nun ganz genau, dass er recht hat in seiner Annahme.

„Ja", sagt er.

„Dann sollten Sie noch schneller verschwinden, wenn Sie auch dabei waren. Der alte John hat geflucht wie ein Fuhrknecht. Und das war vier Wochen später, als er das erste Mal wieder in die Stadt kam."

„Hat Dale wenigstens seine Schulden bezahlt?", fragt Bill auf Verdacht und beobachtet den Mann hinter der Theke scharf.

„Ja. Der Spieler hat vier Wochen hier gewartet. Es hat mich immer gewundert, dass Big John davon nichts mitbekommen hat. Dann war der Kerl fort."

„Wieviel hat Dale ihm gegeben?"

„Das weiß ich nicht. Aber ...?"

„Ich habe Sie nur geblufft", sagt Bill und geht wieder zur Tür. „Und zwar deshalb, weil ich hinter Dale her bin, bis jetzt aber nicht wusste, ob er mein Mann tatsächlich ist."

„Sie verdammter ..."

„Regen Sie sich nicht auf", sagt Bill zurückblickend. „Sie haben mich auch erst bluffen wollen. Sie sagten, in der Nacht wüsste höchstens Heston, wo Dale war. Dann gaben Sie auf einmal im Eifer zu, dass Sie wissen, dass Dale einen Zug überfallen hat. Ich nehme an, sein Vater hat es in seiner Wut herausgeschrien."

Das Gesicht des Storekeepers hat sich ins Grünliche verfärbt.

Bill geht langsam zurück, bis er an der Theke steht und den scharfen Atem des ausgelaugten kleinen Mannes in die Nase bekommt.

„So war es doch?"

„Von mir erfahren Sie nichts mehr! Ich will damit nichts zu tun haben!"

„Dann hat Big John also der Stadt verboten, darüber zu reden, was?"

Der Mann schweigt. Angst leuchtet nun glitzernd aus seinen Augen.

Bill geht wieder zur Tür und hinaus. Der kalte Wind schlägt ihm gegen die heiße Stirn. Er blickt auf eine schwankende Straßenlampe, deren Lichtklecks auf der Fahrbahn hin und her zuckt und verzerrte Schattenflecke auf die ausgefahrene Straße zeichnet.

So also ist das in Big John Hassels Stadt. Sie wissen es alle. Aber wahrscheinlich wissen sie nicht, dass ein Mensch dabei ermordet wurde. Vielleicht weiß das nicht einmal Big John. Oder will er auch das totgeschwiegen wissen?

Bill erinnert sich deutlich an den Augenausdruck des Sheriffs, als er ihm sagte, wie die Banditen es mit dem Schaffner gemacht hatten. Heston schien auch nicht daran zu zweifeln, dass Dale der Mann ist, den er, Bill Jackson, sucht.

*

Er geht über die Straße und betritt den Saloon. Kate Solar lehnt bleich an der Theke. Das ungewisse Licht malt tiefe Linien in iihr Gesicht. Auch sie hat Angst. Aber vielleicht nicht vor Big John.

Bill tritt an die Tiheke.

Bresler kommt aus der Küche. Er trocknet sich die Hände an der Schürze ab, die er vor den Leib gebunden hat.

„Noch einen Whisky!", verlangt Bill.

Die Hand des Keepers zittert, als er einschenkt. Er schiebt Bill das Glas zu und sieht ihn kalt und beinahe vernichtend an.

„Sie Narr!", keift er. „Es kann sich nur noch um Minuten handeln, dann wird Big John hier sein."

„Bis jetzt weiß er noch nicht einmal, was ich in der Stadt will", erwidert Bill und trinkt einen sparsamen Schluck.

„Aber die Leute wissen es."

„Die schweigen, Bresler. Die schweigen, wie sie das andere auch totgeschwiegen hätten. Aus Angst vor Big John. Sie werden nicht zugeben, dass alles nun bekannt ist. Kate, ich weiß inzwischen die Wahrheit. Nur eines fehlt mir noch." Sein Blick wandert zu Bresler zurück. „Wieviel hat Dale dem Spieler bezahlt, der hier auf ihn wartete?"

Schweißtropfen brennen auf Breslers Stirn.

„Er hat vier Wochen bei Ihnen gesessen, Bresler. Hat Kate Ihnen gesagt, dass ich im Auftrag der Eisenbahngesellschaft hier bin?"

Bresler sagt nichts.

„Natürlich", meint Kate.

„Also — wieviel?"

„Ich will damit nichts zu tun haben, Jackson. Ich bin Ihnen dankbar gewesen, dass Sie mir aus der Klemme geholfen haben. Nun ist das vorbei, weil Sie ein Narr sind. Lassen Sie mich aus dem Spiel!"

„Hat Ihnen Kate auch gesagt, dass ein Schaffner erschossen wurde?"

„Natürlich. Ich weiß das schon lange. Und ich habe Kate geraten, zu keinem Menschen zu sagen, dass sie im gleichen Zug gesessen hat. Damit sind wir beide gut gefahren."

„Sie meinen, einen kalten Mord kann man so einfach totschweigen?"

„Ich will damit nichts zu tun haben. Und außerdem: der Mann ist nicht mehr lebendig zu machen."

„Das ist auch eine Auffassung", gibt Bill bitter zu.

Bresler lehnt sich über die Theke.

„Hören Sie mir jetzt gut zu", sagt er leise. „Big John ist ein harter, arroganter und unduldsamer Mann. Er hat aus Dale immer einen ebenfalls harten und strebsamen Mann machen wollen."

„Das ist ihm aber offenbar nicht gelungen, was?", fragt Bill.

„Wenn Sie mich wieder unterbrechen, sage ich kein Wort mehr."

„Gut. Weiter."

„Es ist ihm nicht gelungen. Erst heute konnten Sie sehen, dass Dale an alles mögliche denkt, nur nicht an die Arbeit, die Big John ihm aufgetragen hat. Er findet auch immer Burschen, die auf die Befehle des Ranchers pfeifen und mit Dale gehen. Meistens jagt Big John sie davon, sobald ihm etwas zu Ohren kommt. Er hat auch schon oft gedroht, Dale ebenfalls wie einen Hund davonzujagen. Aber er hat es nicht gemacht. Man muss wohl selbst einen Sohn haben, um das verstehen zu können. Big John hat sein Lebenswerk darauf verwandt, für seinen Sohn etwas aufzubauen. Und dann ..."

„Ja, ich verstehe", meint Bill.

„Sehen Sie, Jackson. Und deshalb ist das nun so. Der Junge sah entstellt aus, als er das erste Mal hier aufkreuzte. Damals wussten wir noch nichts davon, Big John kam hinter ihm her und fluchte. Dabei haben wir es erfahren, weil der Rancher außer sich war, dass Dale schon wieder hier stand und Whisky trank. Er hat ihn wieder verprügelt. Mit der Peitsche! Es ist so etwas wie eine Hassliebe zwischen den beiden. Eines kann ich Ihnen mit Bestimmheit sagen: Niemals, was auch gewesen sein mag, und wie sehr er Dale dafür hassen mag, niemals wird Big John zulassen, dass einer seinen Sohn aus der Stadt und vor einen Richter schleppt. Und womöglich gar noch unter einen Galgen."

Bill zuckt die Schultern.

„Dann hat Big John Hassel keinen Sinn für Gerechtigkeit."

„Reden Sie doch keinen Quatsch, Jackson! Haben Sie einen Sohn?"

„Nein."

„Gehabt?"

„Auch nicht."

„Dann können Sie das nicht verstehen. Es ist etwas Furchtbares, wenn ein Mann sich zwei Jahrzehnte müht, aus seinem Kind etwas Ordentliches zu machen, und wenn er auf einmal feststellen muss, dass aus dem Jungen ein Schurke geworden ist."

„Vielleicht war Big John immer zu hart zu ihm."

„Ach was! Viele Kinder werden hart behandelt und sind einmal ganze Kerle. Eher werden sie Lumpen, wenn sie zu weich angefasst werden. Aber das war bei Dale nicht der Fall. Sie müssen versuchen, sich in Big Johns Lage zu versetzen."

„Ich werde versuchen, meine Pflicht zu tun, Bresler", gibt Bill rau zurück. „Ein Zug ist ganz planmäßig überfallen worden. Und ein Mann wurde genauso planmäßig ermordet: von vier Kugeln, von denen jede für sich tödlich war. Drei der Schurken sind tot. Den vierten bringe ich vor einen zuständigen Richter — wenn ich Glück habe."

„Sie werden Pech haben."

Bill trinkt den Rest des Whiskys und schiebt das Glas zurück.

„Wir werden es sehen", sagt er dabei. „Sie wissen auch nicht, woher Dale von dem Geldtransport wusste, wie?"

„Nein."

„Nun, das spielt auch keine Rolle. Wie es auch gleichgültig ist, wieviel der Spieler von ihm bekam. Vielleicht alles. Vielleicht hat er sich deshalb nicht getraut, es seinem Vater zu sagen."

„Ich glaube, er hatte es ihm gesagt", meint Bresler. „Big John scheint ilhm das Geld nicht gegeben zu haben. Denken Sie nicht, dass ich mich vor Dale, diesen Taugenichts, stellen will. Ich wollte Ihnen nur erklären, wie das ist. Big John lässt es niemals zu. Selbst dann nicht, wenn er von dem Mord bisher nichts wusste, was ich fast anmehme."

Bill blickt das Mädchen an. Als er heute gekommen war, hatte sie gefragt, ob die Bahnräuber gestellt wären. Er hatte ja zu ihr gesagt, und sie hatte so getan, als glaube sie das.

Dabei hatte sie genau gewusst, dass es nicht stimmt. Sie hätte geschwiegen. Wie die anderen in dieser Stadt, die anscheinend ein Teufel regiert.

Jackson geht zum Fenster und blickt auf die Straße hinaus. Es ist so ruhig, als wäre die Stadt ausgestorben. Nur hier und da verrät ein Lichtstrahl das Leben in den Häusern.

Eine feige Stadt. Aber wahrscheinlich hat Hassel mehr Reiter in den Sätteln, als es hier Menschen in der Stadt gibt.

Einem plötzlichen Entschluss folgend geht er hinaus und in den Mietstall. Er zieht das Spencergewehr aus dem Sattelschuh und kehrt in den Saloon zurück.

„Welches Zimmer habe ich?", fragt er.

„Sechs, wenn Sie vom Teufel besessen sind, Sie Narr!"

Bill streckt die Hand nach dem Schlüssel aus, und Bresler legt ihn hinein.

Bill wendet sich der Hintertür zu. Seine Schritte entfernen sich die Treppe hinauf.

„Er gibt nicht auf, bevor er nicht tot ist", sagt Kate. „Als ich ihn hereinkommen sah, ahnte ich, was er will. Irgendwie ist er noch härter als Darby Tetley war. Und der war bestimmt ein eisenharter Mann, James!"

„Was nützt ihm das? Eine gut gezielte Kugel löscht das härteste Leben aus. Wir werden uns wieder sprechen. Gefällt er dir?"

„Er ist jedenfalls ein Mann des Westens, wie ihn die Frauen sich vorstellen", erwidert sie.

Breslers Gesicht verzieht sich, als habe er einen Löffel voll Salz in den Mund bekommen.

„Du wolltest es wissen, James", sagt sie und wendet sich ab.

Da kommt Bill Jackson in den Saloon zurück. Er hat das Gewehr nicht mehr in der Hand. Bill rollt sich eine Zigarette, während er langsam zum Fenster geht. Er bleibt dahinter stehen und schaut auf die Straße hinaus. In seinen Taschen sucht er nach einem Schwefelholz, das er über die Fensterscheibe zieht. Eine kleine Flamme sprüht auf und beleuchtet sein entschlossenes Gesicht.

*

Fernes Hufgetrappel lässt den Keeper zusammenfahren.

Bill wendet sich um. Er lächelt ein wenig, aber in seinem rauen Gesicht wird es kaum sichtbar.

„Jetzt", sagt Bresler, „jetzt kommen sie, Jackson!"

Bill nickt. Er zieht noch einmal an der Zigarette, dann schnipst er sie über die Flügel der Schwingtür hinweg.

„Damit haben wir doch gerechnet", erwidert er. „Kann es uns jetzt noch überraschen?"

„Haben Sie wirklich damit gerechnet?"

„Natürlich. Mir ist in dieser Stadt ein ziemlich genaues Bild von Big John entworfen worden. Ich kann iihn mir gut vorstellen. Und es war mir auch klar, dass er so und nicht anders reagiert."

Missmutig schielt der Keeper zu seiner abgesägten Schrotflinte an der Wand.

„Wenn Sie mir nicht so sehr geholfen hätten, wüsste ich ganz genau, was ich zu tun hätte", knurrt er. „Können Sie sich denken, was das ist?"

Bill nickt ernsthaft.

„Sie würden sich aus dem Staub machen, irgendwo untertauchen und vor dem Morgengrauen nicht zurückkommen."

„Genau, Jackson. Ihre Einschätzung der Lage ist verblüffend. Um so mehr verwundert es, dass Sie sich selbst wahrscheinlich stark überschätzen."

Bill geht zur Theke und lehnt sich dagegen. Er hört, dass der Hufschlag lauter geworden ist. Irgendwo draußen in der Stadt wird ein Ruf laut. Dann fällt eine Tür mit hartem Knall zu.

Stille! Nur der Hufschlag in der Fenne, der langsam zu einem Sturm anwächst.

Breslers Hände auf der schimmernden Messingplatte zittern.

Kate ist aufgestanden und kommt ebenfalls zur Theke. Sie schaut Bill an, und für einen Moment ist es, als wollte sie etwas sagen. Ihr Mund steht halb offen. Doch sie schweigt.

Bill blickt auf ihre schimmernden Zähne. Er ist sich selbst nicht sicher, ob es richtig war, in der Stadt zu bleiben, um sich mit dem Satan zu messen. Aber immer wieder taucht das Bild des sterbenden Tetley vor seinen Augen auf, und er sieht sich selbst, wie er den Stern nahm und die Formel sprach, die der Eisenbahn-Marshal sich bestimmt selbst ausgedacht hatte.

Der Sturm des Hufschlags ist zu einem Orkan angewachsen und hämmert in die Stadt herein. Rufe erschallen. In einem Haus schräg gegenüber des Saloons geht das Licht aus. Schon ist das Schnauben der Pferde zu hören und das Klirren von Waffen, die aneinander schlagen.

„Noch einen Whisky!", sagt Bill.

Bresler schüttet mehr daneben, als er eingießt. Bill nimmt das Glas, trinkt und legt ein Geldstück auf die Theke.

„Für den Fall, dass ich dann nicht mehr bezahlen kann", sagt er lächelnd.

Bresler schiebt das Geld zurück.

„Ich habe nicht vergessen, dass Sie schon zwanzig Dollar Vorauszahlung gegeben haben, Jackson. Das reicht noch aus, um auch die Ansprüche des Coroners zu befriedigen."

Bill schiebt sein Geld in die Tasche zurück. Durch die Stadt schallt ein scharfes Kommando. Bill trinkt den Rest des Whiskys und wirft das Glas ins Spülbecken. Da sind die Pferde schattenhaft vor dem Fenster zu sehen. Staub strebt zu der Lampe über der Fahrbahn empor.

Wieder erschallt ein Kommando. Derbe Stiefel treten auf die Bohlen.

„Ich wette, dass es mindestens zehn Mann sind", sagt Kate kratzig.

*

Der Mann, der sich durch die Schwingtür schiebt, entspricht ungefähr dem Bild, das sich Bill von Big John Hassel gemacht hat. Er ist ein großer, breiter und klotziger Mann. Ein Mann mit einem mächtigen, quadratischen Schädel auf einem wuchtigen, kurzen Hals. Ein Mann mit einer breiten Nase und scharf blickenden Falkenaugen. Aber auch ein Mann mit Runzeln und Falten und mit einer Haut, die wie gegerbtes Leder aussieht. Sein Haar ist grau-weiß. Er hat die fünfzig längst hinter sich.

Das also ist er. Big Jahn Hassel, der seinen Sohn prügelt, so dass er grün und blau aussieht. Der seinen Sohn aber auch niemals der Gerechtigkeit ausliefern wird, wie man hier in seiner Stadt meint.

Er trägt einen Cordanzug, dessen Schnitt keine Wünsche offen lässt. Darunter hat er ein grau-blaues Hemd mit langen Kragenecken und einer schwarzen Saint Louis-Schleife.

Er ist drei Schritte in den Saloon hereingekommen und bleibt nun stehen. Hinter ihm drängt sein Rudel herein: rau aussehende Rindermänner mit Lederchaps über den Lewishosen, mit Lederwesten, die verstaubt aussehen. Mit bunten, verwaschenen Kattunhemden und mit verbeulten Hüten, die brüchige Lederbänder zieren.

Wilde, zornige Gesichter leuchten Bill Jackson entgegen. Er denkt an die drei Weidereiter, die er in der Hütte im Bergtal traf. Sie waren von der gleichen Art. Männer, die für ihren Boss Kopf und Kragen riskieren und dafür fünfzig Dollar im Monat kassieren, wenn es überhaupt soviel ist. Er sieht in den rauen und von Staub überzogenen Gesichtern, dass sie für Big John durchs Feuer reiten werden. Und er sieht auch, dass sie schon vergessen haben, wie hart der Winter war. Keiner von ihnen denkt noch daran, dass auch ein Big John Hassel während der härtesten Monate des Jahres nicht mehr Männer bei sich behält, als er gerade braucht, um seine Herden unter Kontrolle halten zu können.

Alles vergessen. Vielleicht haben sie ihn verflucht, noch vor wenigen Wochen, vielleicht vor Tagen. Jetzt ist er ihr Boss, ihr Gesetz und ihr Gewissen. Sie tragen große Revolver tief an den Hüften. Dieser und jener mag ihn nur gebrauchen, um die Rinderarbeit machen zu können.

Aber es sind auch andere darunter. Ein paar grinsen verkniffen.

Die messerscharfen Lippen des Großranchers springen auseinander. Zwei Reihen kräftiger Zähne werden sichtbar.

„Bist du der, der zwei meiner Leute erschoss?", fragt er scharf.

Bill, der mit dem Rücken an der Theke lehnt, nickt.

„Der bin ich", sagt er.

Stille. Nur das scharfe Atmen der Cowboys erfüllt den Raum.

„Big John, Ihr Sohn ..." Der Keeper bricht ab, als der Rancher eine schneidende Handbewegung macht. Wieder tritt Stille ein.

Da knarren die Türangeln. Big John blickt über die Schulter.

Sheriff Wil Heston kommt in den Saloon, geht um die Cowboys herum und stellt sich neben einen Stützpfosten.

Bill sieht, dass es im Gesicht des Sheriffs heftig arbeitet. Irgendwie muss Heston seine Angst vor dem langen Schatten des Ranchers überwunden haben, dass er sich hierher getraute.

„Was willst du, Heston?", knurrt Big John ihn an.

„Ich ... Es war vielleicht gut, dass der Fremde da war, Big John", ächzt der Sheriff. „Das wollte ich dir sagen. Sie waren wild wie eine Herde Broncos. Sie wollten Bresler umbringen!"

Bill bewundert den Mann fast, wie er sieht, wie schwer es ihm fällt, das zu sagen. Vielleicht ist diese Stadt doch nicht so feige, wie er erst dachte.

„Du bist nicht gefragt", knurrt Big John. „Verschwinde!"

Der Sheriff bewegt sich nicht.

„Verschwinde!", kreischt Hassel.

Bill sieht Heston zusammenzucken wie unter einem Peitschenhieb. Dann schleicht er wie ein geprügelter Hund hinaus.

Die Stadt ist also doch feige.

Die Angeln der Tür knarren.

„Siehst du", schallt die Stimme des Mannes, der draußen die Pferde hält, herein. „Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du nicht gebraucht wirst." Ein hämisches Lachen folgt.

Schleifende Schritte entfernen sich.

„Du bist vielleicht gekommen, um hier einen Job zu bekommen", sagt Big John an Bill gewandt. „Und vielleicht hätte ich so einen furchtlosen Kerl wie dich auch gebrauchen können. Aber du bist zu eigenmächtig; Meine Leute werden dir das jetzt austreiben. Dann wirst du auf dein Pferd geworfen. Wenn du zu dir kommst, bist du sicher schon weit von dieser Stadt weg. Sei schlau, mein Junge, und komm nie mehr zurück."

Die Cowboys grinsen auf eine scharfe, gefährliche Art.

„Bresler, du verschwindest solange und nimmst das Girl mit!"

„Aber — aber — sie kamen wirklich wie ..."

„Ruhe!", bellt Hassel. „Wenn mit meinem Söhn irgend etwas zu regeln ist, so regle ich das. Das weiß jeder in der Stadt. Du konntest zu mir kommen. Er hätte seine Prügel bekommen."

„Dazu wäre es zu spät gewesen", knurrt Bresler aufsässig. „Kent wollte mich töten, nachdem er mir eine Flasche an den Kopf geworfen hat."

„Ruhe, sagte ich!", schreit Hassel mit überkippender Stimme. „Hinaus! Nimm das Girl mit!"

Bresler schleicht zur Küchentür und gibt Kate einen Wink.

Sie beachtet das nicht.

Hassel dreht sich ihr zu und blickt sie scharf und durchbohrend an.

„Raus!"

Kate zuckt nicht mit der Wimper.

„Raus!"

„Warum denn? Soll niemand sehen, was für feiges Gesindel ihr seid?", fragt sie scharf. „Die Leute in der Stadt wissen so und so, dass Sie nur durch Ihre Übermacht stark sind. Sie persönlich sind doch viel zu feige, um sich mit einem Mann zu messen. Warum soll ich es nicht sehen, wenn Ihr ganzes Rudel auf ihn losgeht?"

Hektische rote Flecke brennen auf Big Johns Wangen. Ein Schnaufen kommt aus seinem Mund.

„Gehen Sie, Kate", sagt Bill leise. „Es ist besser!"

Kate bewegt sich noch immer nicht. Auch die verzweifelten Winke, die Bresler macht, finden bei ihr keine Beachtung.

„Ed, bring sie raus!", kommandiert der Rancher.

Ed ist ein schwergewichtiger Bursche, Er zuckt die Schultern, als er vor Kate steht und nach ihrem Arm greift.

„Tut mir leid, Miss", brummt er. „Ich bin Texaner. Bei uns zu Hause kann ein Mann eine Kugel in den Kopf bekommen, wenn er eine Frau anfasst. Aber bei uns zu Hause halten sich die Frauen auch aus Männerangelegemheiten heraus."

„Sie sollten gehen, Kate", meint Bill. „Vielleicht ist Ed der einzige Texaner in dem Haufen."

Big John lässt ein böses Knurren hören. Ed schiebt das Mädchen durch die Hintertür. Der Keeper ist in der Küche verschwunden.

Ed kommt zurück und bleibt vor Bill stehen. Er grinst ihn an.

„Irgendwie gefällt mir deine Art", mault er. „Aber für diesen Sommer habe ich meinen Sattel schon gewählt. Boss, wenn du jetzt das Zeichen gibst ..."

Big John grinst nun. Und dieses Grinsen gibt ihm Ähnlichkeit mit einem Raubtier. Dann schlägt er mit dem Arm durch die Luft, als wollte er sie spalten.

*

Die Cowboys werfen sich brüllend vorwärts. Ed zieht einen Rarnmer hoch und bekommt von Bill eine gestochene Gerade auf die Nase gesetzt. Er fliegt zurück, schiebt einen Tisch vor sich her und fällt.

Da sind sie alle gleichzeitig da. Bill sieht noch, wie Big John rückwärts geht und sich an die Wand lehnt. Dann hat er nur noch wilde Gesichter und wirbelnde Fäuste vor sich. In diesem Moment fragt er sich, warum er geblieben ist. Wäre es nicht besser gewesen, zu verschwinden und im geeigneten Moment wiederzukommen, um Dale zu greifen und fortzuschleppen?

Ein Schlag trifft ihn gegen die Stirn und wirft ihn über die Theke. Seine Beine werden in die Höhe geworfen. Er überschlägt sich und landet hinter der Theke. Als er aufsteht, ist einer der Kerle vor ihm. Bill schlägt mit einer lahmen Bewegung zu. Seine Faust wird zur Seite geschleudert, und ein Uppercut trifft sein Kinn und zaubert bunte Sterne vor seine Augen. Er fällt, schrammt gegen etwas und hat auf einmal das abgesägte Schrotgewehr des Keepers in der Hand. Das Feuerwerk vor seinen Augen lichtet sich. Er sieht drei Kerle auf einmal über sich herfallen, will das Gewehr drehen, schafft es aber nicht mehr. Ein Faustschlag lässt seinen Hinterkopf gegen die Wand knallen. Schwarze Nacht kriecht ihm entgegen. Noch einmal wird er irgendwo getroffen, da fällt er zur Seite.

Die Cowboys richten sich schnaufend auf. Ed, der seine Nase massiert, kommt um die Theke.

„Er ist bewusstlos", sagt er und schaut seinen Boss an.

„Und? Soll das ein Grund sein, aufzuhören? Weiter!"

Die Cowboys bücken sich hinter der Theke. Big John grinst, als die hallenden Schläge an seine Ohren weihen.

Auf einmal schreit einer etwas und richtet sich auf. Er wirft etwas auf die Theke, und Big Johns Augen werden starr.

„Ein Marshal!", sagt Ed und lässt seine misshandelte Nase los.

„Verdammt!", knirscht ein anderer.

Big John geht mit steifen Schritten auf die Theke zu. Er schaut auf den Stern, und plötzlich ist ein helles Glitzern in seinen Augen. Gepresst kommt der Atem aus seinem Mund.

„Wegen Dale!", sagt einer, der den Winter über in Big Johns Buch stand. „Bestimmt wegen Dale, Boss!"

„Ruhe!", schreit der Rancher ihn an.

Ein paar bekommen spaltenge Augen. Offenbar wissen sie nichts davon.

„Bresler!", schreit Big John.

Der Keeper kommt aus der Küche. Vor ihm gehen die Cowboys zurück. Bresler blickt auf den Bewusstlosen, dann auf den Stern auf der Theke.

Big Johns Finger zeigt darauf.

„Hast du das gewusst?"

Bresler zittert. Er kann es jetzt nicht mehr verbergen.

„Ja", gibt er flau zu.

„So, du hast es gewusst. Und warum erfuhr ich nichts davon?"

„Ich … Sie haben mich ja gar nicht zu Wort kommen lassen", verteidigt sich der Keeper schwach.

„Wer hat ihn gerufen?"

„Nie ... ich nicht!"

„Ed, hol den Sheriff!"

Der Cowboy geht.

Big John starrt den Keeper noch immer an. Seine Blicke scheinen den Mann hinter der Theke töten zu wollen.

„Was will er? Hat er es gesagt?"

„Ja. Wegen Dale ..."

„Das kann nicht sein!"

Da kommt Ed mit dem Sheriff. Bresler atmet auf, weil er nun nicht mehr antworten braucht. Heston schaut auf den Stern und wird bleich bis zu den Haarwurzeln.

„Ihr geht hinaus!", kommandiert der Rancher an seine Reiter gewandt.

Die Männer gehen.

„Sprich, Heston!", schnaubt der Rancher.

„Er — er war bei mir", stößt der Sheriff hervor. „Aber ich habe ihm nichts gesagt. Er weiß nichts!"

So, er weiß nichts." Big Johns Blick gleitet zu Bresler zurück. „Weiß er wirklich nichts?"

„Ich — ich habe keine Ahnung."

„Was sagte er?"

„Drei Männer wurden von ihm und einem anderen erschossen. Well, das sagte er. Und irgendwie soll die Spur dann zu einem gewissen Dale weitergeführt haben, der in dieser Stadt zu suchen ist. Das hat er gesagt."

Big John wischt sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht sieht grau und eingefallen aus, als wäre er plötzlich um Jahre älter geworden.

„Ich habe es geahnt!", stößt er pfeifend hervor. „Ich habe es gefühlt! Sie geben keine Ruhe! Mein verdammter Hundesohn!"

Big John geht zur Tür und blickt in die Nacht hinaus. Seine Reiter stehen mitten auf der Straße.

„Ed!", ruft er und tritt zurück.

Ed kommt herein. Er massiert immer noch seine Nase. Seine Augen funkeln.

„Hast du große Wut auf ihn?", fragt Big John.

„Das kannst du dir denken, Boss!", schnauft der Cowboy.

„Wir müssen ihn ausquetschen. Setz ihn auf einen Stuhl und gib dir Mühe, ihn munter zu machen!"

Ed geht um die Theke und schiebt den Keeper zur Seite.

Big John wendet sich wieder der Tür zu.

„Reitet zur Ranch!", ruft er hinaus. „Ed und ich kommen nach!"

Sattelleder knarrt. Hufschlag entfernt sich. Der Sheriff sinkt auf einen Stuhl. Ed zieht den Bewusstlosen in die Höhe.

Big John steht wieder vor dem Stern, der auf der Theke liegt.

„Er ist allein, nicht wahr?"

„Ja", sagt Sheriff Heston und hustet. „Und nach dem, was er sagte, scheint außer ihm niemand mehr die Spur verfolgen zu können."

Big John nickt. Er schaut auf Ed, der Bill Jackson zu einem Stuhl schleift und daraufsetzt.

„Nimm ihm den Colt ab!", kommandiert Hassel.

*

Bill Jackson blickt den gewalttätigen Rancher an. In seinem Kopf ist noch alles durcheinander. Er schaut zu Ed, Heston und schließlich zu Bresler weiter. Der Rancher tut ihm fast leid, wie er dort neben der Theke steht, zusammengesunken, als habe er eine schwere Last auf den Schultern. Bresler und der Sheriff wissen nicht, wohin sie blicken sollen. Nur Ed mahlt mit den Zähnen und sieht ihn vernichtend an.

„Wenn ich dir die zwanzigtausend Dollar geben würde", sagt der Rancher schleppend, „würdest du mir dann versprechen, fortzureiten und alles zu vergessen?"

Bill blickt den Mann lange schweigend und nachdenklich an. Big John ist hart, unduldsam und arrogant. Er fühlt sich als ein Mann, der über den Dingen steht. Und doch tut er ihm jetzt leid, obwohl er ihn schlimm verprügeln ließ. Er schüttelt langsam den Kopf und sieht, wie sich das Gesicht des Ranchers versteinert.

„Nein", sagt er. „Das Geld ist gar nicht so wichtig, Big John."

„Nicht wichtig? Was dann?"

„Hat er dir nicht gesagt, dass sie den Schaffner ermordet haben?", fragt Bill.

Big John geht schwankend zurück, bis er an der Wand neben der Tür lehnt.

„Den Schaffner?"

Bill nickt langsam.

„Vier Kugeln trafen den Mann. Und jede davon war tödlich. Und vier Männer überfielen den Zug. Es gibt Banditen, die einander nicht über den Weg trauen. Sie wollen, dass jeder seinen Teil bei der Arbeit macht, damit alle die gleiche Strafe trifft, wenn sie gegriffen werden. Denn meistens geht es den armen Burschen schlechter. Aber Mord ist Mord. Frag deinen Sohn, ob er gemordet hat. Dann wirst du wissen, dass die zwanzigtausend Dollar die Eisenbahngesellschaft nicht ruinieren. Der Verlust wird auszugleichen sein. Aber der Schaffner ist tot ..."

Bresler stiert angestrengt auf die Lampe. Die Flamme am Docht flackert. Er weiß, dass er Petroleum nachgießen müsste. Aber er wagt es nicht, sich zu bewegen.

Big John brennt der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn.

„Ich werde ihn dafür eigenhändig auspeitschen", sagt der Rancher. „Glaube mir, dass das schlimmer ist, als wenn er eine Kugel in den Kopf bekommt. Vier Wochen werden ihm die Schläge auf dem Körper brennen, und er wird seine Not haben, zu kriechen!"

„Ja, das kann sein."

„Danach wird er ein ganz anderer sein!", schreit Big John.

Bill schüttelt den Kopf.

„Danach ist er vielleicht noch schlimmer. Aber das spielt auch keine Rolle. Er ist ein Mörder. Alles, was du noch für ihn tun kannst, Big John, ist es, in Cheyenne einen Advokaten zu suchen, der sich für ihn verwendet."

„Wer außer dir weiß es?"

„Die Gerechtigkeit hat einen längeren Arm als mancher denkt", erwidert Bill tiefsinnig.

Big John geht wieder vorwärts. Sein Blick ist auf den Stern geheftet.

„Niemand außer dir", stellt er fest. „Weißt du, ich bin nicht der Mann, der mit Dieben und Halsabschneidern gemeinsame Sache macht. Aber ich habe hier zwanzig Jahre lang etwas aufgebaut. Ich habe mit einem Erdloch und einer ewig unzufriedenen Frau angefangen. Und ich habe nur durchgehalten, weil ich mir immer wieder sagte: du hast einen Sohn, für den du es tust."

„Ja, das will ich glauben. Aber der Schaffner ist nun tot."

Big John schaut den Sheriff an.

„Will, du weißt doch, dass das nicht sein darf!", schreit er.

„Es tut mir sehr leid, Big John. Aber vielleicht war der Schaffner ein Familienvater."

„Das spielt keine Rolle", wendet Bill ein. „Jeder Mensch hat ein Recht zu leben. Wer das nicht einsehen will, hat dieses Recht selbst verwirkt. Dale Hassel wird von mir nach Cheyenne gebracht. Alles weitere ist Sache des Richters."

Big Johns Gesicht verändert sich von einer Sekunde zur anderen. Plötzlich ist es wieder hart.

„Heston, sperr ihn ein!", keift er. „Er hat zwei meiner Männer erschossen. Dafür hängen wir ihn. Niemand von uns hat gewusst, dass er ein Marshal ist."

Heston geht rückwärts, bis er an einen Tisch stößt und nicht mehr weiter kann.

„Das darfst du nicht von mir verlangen!", schreit er, und Big John merkt nicht einmal, wie Heston ihn plötzlich anspricht.

„Doch! Das ist meine Stadt. Ich habe dich in den Sattel gehoben. Du wirst gehorchen. Sperr ihn ein!"

„Nein!"

Ed schaut zwischen den Männern hin und her, ohne Bill, hinter dessen Stuhl er steht, aus den Augen zu lassen.

„Für zweihundert Bucks erledige ich es", sagt Ed in die folgende Ruhe. „Gib mir zweihundert Bucks. Ich reite dann gleich fort. Du wirst nie wieder von mir hören. Er hat mich auf die Nase geschlagen. Es war also dann meine Sache, die ich mit ihm hatte."

Big John legt ein paar Geldscheine neben den Stern auf die Theke.

„Vierhundert", sagt er. „Du glaubst nicht, wie dankbar ich dir dafür bin, Ed."

„Schon gut. Los, hoch!"

Bill spürt, wie die Mündung des Colts seinen Nacken berülhrt. Er weiß, dass der Texaner hinter ihm gefährlich ist. Langsam steht er auf.

„Hinten hinaus!", sagt Big John.

„Das ist kalter Mord!", schreit der Sheriff und springt auf den Rancher zu.

Der schlägt ihn mit einem einzigen Hieb nieder. Big John dreht sich und schaut Bill an.

„Du glaubst nicht, wie ungern ich das mache. Aber es gibt keinen anderen Weg. Ich habe nur den einen Sohn. Geh, Ed!" Der Rancher wendet sich Bresler zu und fährt fort: „Die Sache wird totgeschwiegen. Es geht nicht anders."

„Weiter!", knurrt Ed und stößt Jackson den achtkantigen Lauf des Revolvers in den Rücken. „Und keine falsche Bewegung! Das würde dein Leben nur abkürzen. Verstanden?"

Bill gibt keine Antwort. Er stößt die Hintertür auf. Er will sie hinter sich schnell zuschmettern, aber Ed ist wachsam und hat schon den Fuß dagegen geklemmt.

„Ich warte hier, Ed", hört er den Rancher rufen.

„All right."

*

Kühler Wind streicht über seine brennende Stirn. Es ist noch empfindlich kalt in den Nächten. Und hinter ihm ist noch immer der gespannte Colt, der mit einem donnernden Knall losgehen wird, wenn er sich falsch bewegt.

Aber warum macht er es nicht? Alles wird dadurch nur abgekürzt. Ein Narr war er! Er hätte auf Big Johns Angebot eingehen müssen. Er konnte mit dem Geld fortreiten, und umkehren. Warum will ausgerechnet er ein ehrliches Spiel treiben?

„Halt!", sagt Ed, als sie die Scrubbüsche umgangen haben.

Bill sieht die Hügel schattenhaft. Das Heulen eines Kojoten schallt an seine Ohren und jagt einen Schauer über seine Wirbelsäule. Vielleicht kommt nun der Knall als das letzte, was er in seinem Leben hört.

Da erschallt ein leises, brummiges Lachen hinter ihm. Der Druck im Rücken ist verschwunden. Er schaut über die Schulter.

Ed ist einen Schritt zurückgetreten.

„Du hast mir auf die Nase geschlagen", sagt er. „Aber ich bin ein fairer Mann. Ich griff zuerst an. Es war meine Schuld. Ich bin Texaner, Jackson. Hast du es nicht gehört?"

„Doch, Ed."

„Und? Hat es dir nichts gesagt?"

„Was soll es mir sagen, Ed?"

„Texaner sind stolze Männer, Jackson. Schnell mit dem Colt bei der Hand. Aber keine Mörder. Ich rede nicht von Ausnahmen, die diese Regel nur bestätigen können. Ich meine die guten Texaner. Ich, Jackson, bin ein guter Texaner. Dreh dich um!"

Bill dreht sich mit einem bitteren Lächeln. Er schätzt die Entfernung ab und stellt fest, dass Ed sie gut gewählt hat. Ehe er ihn erreichen kann, wird die Kugel ihn bremsen.

„Glaubst du, dass es einen Unterschied macht, ob ein Mann von vorn oder hinten ermordet wird?", fragt Bill.

„Nein, das glaube ich nicht. Aber ich weiß etwas anders: sie hätten dich umgebracht. Sie sind so feige, dass sie es tun. Für dich gab es nur eine Rettung: mich!"

„Du ..."

„Ich bin kein Killer, Jackson. Und noch etwas: diese Weide stinkt mir. Hassels Sohn läuft in zu großen Stiefeln herum. Du hast jetzt eine einfache Wahl: entweder ich erschieße dich, oder ich bluffe nur. Dann musst du mir dein Wort geben, dich zwölf Stunden lang nicht mehr in der Stadt zu zeigen. Versteck dich! Hassel hat vor der Schweinerei selbst so viel Respekt, dass er deine Leiche nicht suchen lässt. Ich kenne ihn. Nun?"

„Du bist ein feiner Kerl, Ed. Ich bin ehrlich genug, zuzugeben, dass ich das nicht erwartet habe."

Ed grinst.

„Ich will den Hassels eins auswischen. Sie haben es verdient. Sein Sohn schlug schon nach mir, und andere halfen ihm. Also nicht uneigennützig. Außerdem nehme ich vierhundert Bucks mit. Das ist mehr, als ich bis zum Herbst verdienen könnte."

Ed senkt den Colt zu Boden und drückt ab. Vor dem Flammenblitz fährt eine Kugel her und bohrt sich in den Boden.

„Ich verlasse mich auf dein Wort, Jackson. Ich brauche Vorsprung, um meine Spur verwischen zu können. Hier ist dein Colt!"

Bill nimmt die Waffe entgegen und schiebt sie ins Halfter. Er drückt die Hand des Texaners und blickt ihm nach, wie er zur Rückfront des Saloons zurückgeht.

Ein Geräusch lässt ihn herumfahren. Zwischen den Büschen taucht Kate Solar auf. Sie hat einen Colt-Derringer in der Hand.

„Kate?"

„Ja. Er hat nicht gemerkt, dass ich ihm nachkam, Bill."

„Ich auch nicht."

„Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob ich ihn töten kann, wenn er es macht. Aber irgendwie habe ich daran gezweifelt. Er war schon zweimal in der Stadt. Und vorhin, als er mich aus dem Saloon schob, Ja hat er ...“

„Ja, er ist ein ehrlicher Kerl. Mit seinem Mut hat er die vierhundert Dollar verdient. Aber du wirst darüber schweigen!"

„Ich lasse mir bestimmt nichts anmerken. Soll ich dir eine Decke bringen?"

„Nein."

*

Ed grinst den Rancher an, dessen Gesicht wieder grau und eingefallen aussieht.

„Da hinten ist ein Loch", sagt er. „Ich habe ihn hineingestoßen."

„Ist er auch bestimmt ...?"

„Natürlich." Ed rollt die Geldscheine zusammen und schiebt sie in die Tasche. Er geht hinaus, macht sein Pferd los und zieht den Bauchgurt des Sattels an. Der Rancher hört ihn etwas rufen.

Hufschlag hallt in den Saloon hinein und entfernt sich.

Big John schenkt sich einen Whisky ein. Er blickt dem Keeper ins schweißglänzende Gesicht, wendet sich dann Heston zu, der stoßweise atmend an der Wand lehnt und sagt:

„Das war kalter, berechneter Mord, Big John. Dafür wird die Schuldigen die Strafe treffen."

Big John stellt das eben angehobene Glas auf die Theke zurück. Er macht das hart, dass ein Knall zu hören ist und der Whisky über seine Hand läuft.

„Wie soll ich das verstehen?", fragt er fast flüsternd. „Kannst du dich deutlicher ausdrücken?"

„Ich habe einen Eid geleistet, Hassel."

„Du hast geschworen, mir und dieser Stadt treu zu dienen."

„Ich sehe das alles anders als du. Ich bin der Sheriff. Vielleicht hättest du einen dazu machen sollen. Ich sehe das anders. Der Schuldige wird bestraft."

Big John grinst plötzlich. Es ist ein kaltes, gefährliches Grinsen. Es ist auch hinterhältig, aber Heston sieht das in seinem gerechten Zorn nicht.

„Reite hinter Ed her und bringe ihn zur Strecke", meint der Rancher und greift wieder nach seinem Glas. Er trinkt es auf einen Zug aus. „Er hat den Mord begangen", setzt er hinzu. „Seine Spur wirst du noch finden."

Hestons Kopf bewegt sich von links nach rechts und wieder zurück.

„Ed ist nur eine Figur in deinem gnadenlosen Spiel, Big John!", schreit er. „Uns alle hast du hin und her geschoben wie Figuren auf einem Schachbrett. Wir alle haben ein furchtbares Verbrechen verschwiegen, auf das der Tod steht. Aus Angst vor dir und deinem mächtigen Arm haben wir geschwiegen. Wir wussten nicht, was für eine Bestie dein Sohn schon geworden ist. Du bist verhaftet!"

Heston hat auf einmal seinen Colt in der Hand und richtet ihn auf den Großrancher. Seine Hand zittert etwas. Aber in seinem Gesicht steht ein Zug fester Entschlossenheit, der auch Big John nicht entgehen kann.

„Du bist ein kompletter Narr, dass du es wagst,, dich gegen mich zu stellen", schnauft der Rancher. „Steck den Colt weg!"

„Nein. Heb die Hände! Los, hoch!"

Big John greift nach dem leeren Glas und schleudert es dem Sheriff entgegen. Das Glas trifft den Revolver und zerschellt daran.

Da drückt Heston ab, und vielleicht weiß er selbst nicht, ob er es vor Schreck tut oder mit festem Willen. Die Kugel bohrt sich neben dem Rancher ratschend in die Theke.

Bresler schreit etwas Unverständliches.

Kate, die hereingekommen ist, bleibt schreckensbleich neben der Tür stehen.

Big John geht auf den Sheriff zu, der jetzt wahrscheinlich am meisten über sich selbst erschrocken ist. Der Rancher nimmt ihm die rauchende Waffe einfach aus der Hand, ballt die Faust und schlägt zu. Heston wird an der Wand entlang geschleudert, stolpert über einen Stuhl und geht mit ihm zu Boden.

Big John Hassel wendet sich um.

„Ich habe gesagt, dass ich ihn prügeln werde, bis er krank und lahm ist. Ist das nicht genug? Kann man von einem Vater ernstlich noch mehr verlangen?"

Bresler kneift die Lippen fest zusammen.

Hassel wendet sich dem Mädchen zu.

„Was sagst du?", fragt er.

„In dieser Stadt wurde im Januar ein Viehdieb gehenkt", erwidert das Mädchen leise. „Viele Leute sagten, der Mann wäre eigentlich gar kein Viehdieb, sondern ein armer Farmer, der nicht gewusst hätte, wie er seine Familie durch den Winter bringen soll. Man hat ihn dafür gehängt, obwohl niemand ermordet wurde. Und Sie, Big John, haben den Befehl dazu gegeben."

Hassel hat sich unter der Anklage zusammengeduckt und steht nun wie ein Tiger da, der das Mädchen anspringen will.

„Ja, so ist das gewesen", bestätigte der Keeper kratzig. „Er hat ein Rind geraubt und geschlachtet."

„Und Dale hat einen Eisenbahnschaffner ermordet! Er hat es nicht aus Not getan. Er hat gemordet, weil er das Geld dringend brauchte, das der Schaffner zu schützen hatte!", schleudert Kate dem Mann entgegen.

Der Sheriff hat sich wieder aufgerappelt. Er geht langsam zur Tür.

„Ich werde nach Denver reiten!", schreit er. „Dort gibt es einen Gouverneur."

Big John wirbelt herum und sieht den Sheriff hinausrennen. Er hört ihn über die Straße hasten. Mit einem Fluch hastet er hinterher. Draußen ist seine Kommandostimme zu hören.

„Heston, du wirst bleiben! Hörst du nicht, Heston? Hierbleiben!"

Krachend entlädt sich ein Colt. Das Echo weht zwischen den Häusern hin und her und rollt über die Dächer hinweg.

„Damit kannst du mich nicht aufhalten, Big John!", meldet sich die Stimme Hestons. „Über mich hast du keine Gewalt mehr!"

Ein Fluch und noch ein Schuss. Irgendwo schlägt eine Tür krachend zu.

Eine Weile geschieht nichts. In den Häusern rundum ist es dunkel. Niemand scheint damit etwas zu tun haben wollen. Sie lassen ihren plötzlich mutig gewordenen Sheriff allein.

Plötzlich wiehert ein Pferd.

Big John, der mitten auf der Fahnbahn steht, wirbelt herum. Er sieht den Sheriff an der Seite seines Hauses in den Sattel eines Pferdes steigen.

„Heston, bleib!", bellt der Rancher.

Der Sheriff hört nicht. Wie von der Sehne abgeschnellt, rast das Pferd los und biegt in die Frontstreet ein.

Big John hebt den Colt und feuert wieder. Das Pferd bricht vorn ein, und Heston wird über den Hals katapultiert, überschlägt sich und kracht auf den Rücken.

Big John geht langsam auf ihn zu. Als er vor ihm steht, wagt sich Heston nicht zu bewegen. Starr schaut er seinen Bezwinger in die Augen.

„Du bleibst!", sagt Big John schnarrend. „Ich werde dafür sorgen, dass dir niemand ein Pferd gibt. Denke über das, was ich sagte, nach. Ich kann meinen einzigen Sohn nicht dem Henker überantworten. Niemand kann das verlangen. In ein paar Tagen, wenn du darüber nachgedacht hast, verstehst du mich vielleicht. Bis dahin wirst du dieStadt nicht verlassen."

Big John wendet sich schroff ab und geht in den Saloon zurück.

Bresler steht immer noch hinter der Theke.

„Satteln Sie Ihr Pferd und reiten Sie zu meiner Ranch!", sagt Big John sehr förmlich. „Etwas schneller, Bresler! Holen Sie fünf meiner Männer. Aber sagen Sie nicht, was Sie wissen."

Bresler schleicht wie ein geprügelter Hund aus dem Saloon.

Kate geht zu einem Tisch und setzt sich. Big John blickt sie an. Es sieht aus, als wüsste er nicht, was er sagen soll. Er geht auf sie zu, bleibt vor dem Tisch stehen und stemmt die Hände auf die Platte. Noch immer schaut er sie an, und es ist ihr, als wollten seine durchbohrenden, schimmernden Blicke sie verbrennen.

„Niemand verlässt diese Stadt ohne Einwilligung", schnarrt er. „Ich hätte den Sheriff erschießen können. Aber ich tat es nicht. Ich habe etwas gegen das Töten."

„Auf einmal", gibt sie bitter zurück. „Bei dem Siedler hatten Sie nichts dagegen."

„Ich kann das nicht dulden. Es nimmt überhand. Alle Siedler fangen an, mich zu bestehlen, wenn ich es einmal durchgehen lasse!"

„Alle Leute überfallen vielleicht auch Eisenbahnen, wenn Sie wissen, dass keine Strafe darauf steht."

Big John gebt zur Theke zurück und schenkt sich einen Whisky ein. Er trinkt und wirft das Glas ins Spülbecken.

„Niemand verlässt die Stadt!", wiederholt er noch einmal.

Kate antwortet nicht.

Big John geht hinaus. Er sieht Heston, der krumm und schief zu seinem Haus humpelt. Mitten auf der Straße liegt das tote Pferd.

Hassel setzt sich auf die Stufe vor dem Saloon und starrt ins Nichts der Nacht hinaus. Er wartet und passt auf.

*

Heiß brennt die Sonne, als Bresler den Rancher schief und zusammengesunken im Sattel sitzend die Stadt verlassen sieht.

Er wendet sich vom Fenster ab und mustert die Männer an der Theke. Es sind zwei. Aber drei weitere laufen in der Stadt herum und halten die Augen offen. Fünf Männer sollen Big John Hassel dafür garantieren, dass nichts aus dieser Stadt hinausdringt.

Bresler wendet sich ab. Er geht in die Küche und schiebt die Tür hinter sich zu. Am Tisch lehnt Kate. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen. Sie winkt ihm, näher zu kommen.

Als er dicht vor ihr steht, sagt sie: „Ed hat nur geblufft. Jackson ist nicht tot. Ed ist ein guter Mann. Jackson ist jetzt oben in seinem Zimmer. Er wird Hunger haben."

Breslers Augen werden groß und rund. Er öffnet den Mund, aber Kate legt den Finger an die Lippen und nickt zur Tür hin.

„Big John hat seinen Leuten alles erzählt", raunt er. „So, wie es ist. Wenn sie Jackson sehen, wird er es eine Stunde später wissen."

„Ich glaube nicht, dass das etwas schadet. Aber Jackson wird schon selbst entscheiden, was er tun will."

*

Es ist Mittag, als einer der Cowboys in den Saloon gestürzt kommt und schreit: „Tobe, Pete! Ed muss den Boss geblufft haben. Jackson ist im Mietstall. Und der ist so gesund und munter wie ich!"

Die beiden Cowboys an der Theke wirbeln herum.

Bresler lehnt sich gegen das Regal in seinem Rücken und hält den Atem an.

Da stürmen die drei Cowboys hinaus.

Als sie auf die Straße kommen, reitet Bill Jackson mit seinem Handpferd aus dem Mietstall. Er hat seine siebenschüssige Spencer in der Hand. Als er die Männer sieht, hält er an. Vom Stadtende vor ihm nähern sich zwei weitere Männer im Laufschritt.

„Da, sieht ihn euch an!", ruft eine gellende Stimme.

Bill dreht das Gewehr. Er sieht, wie sie sich nähern und dann stehenbleiben. Der Sheriff taucht auch plötzlich in der Tür seines Offices auf und starrt ihn an.

„Wie kommt das?", fragt einer der Weidereiter. „Wieso kannst du leben, wo du doch tot sein sollst?"

„Ed war vielleicht besser als euer Boss", gibt Bill zurück. „Geht zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Big John euch einen Befehl gegeben hat, der meine Person betrifft."

Ratlos sehen sich die Weidereiter an. Sie sind ohne Ausnahme raue Burschen. Aber nicht sehr intelligente.

„Niemand hat die Stadt zu verlassen", sagt einer auf einmal und grinst, als habe er einen guten Gedanken gehabt. „Du aber willst fortreiten, Jackson. Absteigen!"

Bill dreht das Gewehr noch ein Stück, so dass der Sprecher in die Mündung blicken kann.

„Halte mich auf, wenn du kannst", sagt er. „Aber mach schnell, ich bin in Eile!"

„Jetzt will er dich verhöhnen, Tobe", sagt ein anderer drängend.

Tobe flucht unterdrückt, wagt es aber offenbar nicht, nach der Waffe zu greifen.

„Ihr schnallt jetzt alle fünf ab und dreht euch um", bestimmt Bill.

Die Männer rühren sich nicht.

Da fährt ein Feuerstrahl aus der Spencer, und die Kugel reißt vor Tobe den Boden in die Höhe und lässt den Cowboy erschrocken zurückspringen.

„Schneller!", schreit Bill sie an.

Tobe öffnet die Schnalle und lässt seinen Gurt fallen.

„Ich will verdammt sein, wenn ich etwas tue, wozu ich keinen Befehl habe", knurrt er.

Bills Gewehr zuckt zum nächsten herum. Der schnallt ebenfalls ab. Bald liegen fünf Patronengurte mit Colts im Staub.

„Umdrehen!", kommandiert Bill. „Lauft!"

Sie gehorchen und gehen los. Nach zehn Metern bleibt der erste stehen und blickt über die Schulter.

Bill schießt. Die Kugel weht am Kopf des Mannes vorbei, streift den Hut und nimmt ihn mit.

„Immer weiter!", ruft Bill scharf. „Bis zum Ende der Stadt!"

Die Kerle gehen. Bill glaubt, dass sie dann eine Weile brauchen werden, bis sie wieder bei ihren Waffen sind und die Pferde holen können. Und vielleicht sind sie sich dann nicht einmal schlüssig, ob sie ihn verfolgen oder gemäß ihrem Befehl in der Stadt bleiben sollen.

Als die Weidereiter das letzte Haus erreicht haben, wendet Bill die beiden Pferde und sprengt in entgegengesetzter Richtung aus der Stadt hinaus.

*

Bill Jackson hält schon zehn Minuten am Rande des Pinienwäldchens, als er den Reiter auftauchen sieht. Er erkennt, dass es Tobe ist. Der Cowboy hat sich über den Hals seines Pferdes geworfen und jagt im gestreckten Galopp nach Westen.

Bill nickt grimmig. Tobe wird jetzt zu seinem Boss reiten und ihm das Unglaubliche berichten. Wahrscheinlich wird das Big Joihn ganz durcheinanderbringen. Er wird auch kaum zuerst an Eds Verrat, sondern an ihn, Bill, denken.

Er schaut der wehenden Staubwolke nach. Vielleicht ist es besser, wenn er noch ein Stück weiter reitet und dann wartet, was geschehen wird.

Bill zieht die Pferde aus dem Wäldchen und reitet weiter. Nach zwanzig Minuten erreicht er eine lange Buschgruppe, hinter der er wieder anhält und zu Boden gleitet.

Hier wartet er. Eine halbe Stunde vergeht. Da kommen sie. Zuerst sieht er nur die Staubwolke im Westen. Dann kommen sie über einen Hügel. Er versucht, sie zu zählen, gibt es aber wieder auf. Es müssen zwanzig sein. Vielleicht die ganze Mannschaft. Sie jagen von der Hügelkuppe herunter und auf die Stadt zu. Bill denkt daran, dass er in östlicher Richtung aus der Stadt geritten ist und einen Bogen schlug. Im Osten wird Big John nach ihm suchen. Wenn er Glück hat, kann er bis dahin seinen Plan ausgeführt und einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen haben.

Dale trifft er bestimmt auf der Ranch. Wenn er nicht da war, wird Big Jothn ihn geholt haben. Bill fragt sich, wie der Mörder des Zugschaffners jetzt aussehen mag.

Der Reiterpulk fegt kaum einhundert Meter entfernt an ihm vorbei. Hinter ihnen bleibt nichts als wehender Staub unter der Nachmittagssonne zurück.

Bill geht zu den Pferden, steigt auf und reitet auf der Spur der Männer nach Westen.

*

Bill Jackson reitet langsam und angespannt in die Senke hinunter.

Das Knarren der Windräder über den Dächern schlägt überlaut an seine Ohren.

Unten am gemauerten Brunnen steht ein Mann. Es ist ein junger Mann, der eben bemüht ist, den Eimer aus der Tiefe des Schachtes heraufzuzielhen. Die dabei entstehenden scheppernden Geräusche schlagen an Bills Ohren.

Offenbar ist Jackson noch nicht gesehen worden. Er fragt sich, ob der Mann am Brunnen allein ist. Doch er muss bei dem Gedanken den Kopf schütteln. Big John wird seinen Sohn jetzt nicht alleinlassen. Irgendwer wird ihn bewachen.

Der Mann am Brunnen hat den Zinkeimer jetzt auf den Sims aus Feldsteinen gezogen und taucht die Hände hinein. Bill sieht, dass Dale Hassels Hemd auf dem Rücken zerrissen ist. Das Gesicht des jungen, wilden Burschen sieht grün und blau aus. Big John war anscheinend gerade dabei, ihm eine andere Form zu geben, als Tobe die Hiobsbotschaft brachte.

Dale spritzt sich das Wasser ins Gesicht, ohne es mit den Händen zu berühren. Dabei ruckt sein Kopf nach oben.

So bleibt er starr stehen.

Da ist Bill bis auf wenige Meter an ihn heran.

„Kent!", brüllt Hassel. „Kent!"

Die Bunkhaustür fliegt mit einem quietschenden Geräusch auf. Kent, der Mann mit der verbundenen Hand, taucht im Rahmen auf und starrt Bill wie einen Geist an.

„Kent, siehst du ihn nicht!", schreit der junge Hassel.

Kent flucht und bringt ein Gewehr um den Türrahmen herum. Seine Bewegung, mit der er es an die linke Schulter legt, ist eckig und langsam. Bill lächelt darüber.

Das Donnern des Schusses weht ihm entgegen. Die Kugel trifft den Zinkeimer und stößt ihn in den Brunnenschacht zurück, wo er rasselnd verschwindet, bis er in der Tiefe mit einem dumpf knallenden Geräusch aufschlägt.

Dale ist schwankend zurückgetreten.

Angst lodert in seinen Augen. So, wie er jetzt dort steht, ist von dem wilden Jungen nicht mehr viel übrig. Zugleich weiß Bill, dass Big John ihn mit seinen Schlägen bestimmt nur vorübergehend ändern kann. Vielleicht wird er danach immer schlimmer. Und einmal würde dann das kommen, was Dale Bresler gegenüber vorausgesagt hatte: er würde einmal der Herr über die Ranch, das Land, das Vieh und die Menschen sein.

Da schießt Kent wieder. Sein Gesicht ist verzogen. Die Kugel geht über den leeren Sattel des Handpferdes hinweg.

Das Tier macht einen tänzelnden Schritt nach der Seite.

„Kannst du nicht zielen?", schreit Dale.

Kent flucht, reißt den Repetierverschluss der Winchester 66 durch und drückt wieder ab. Das Geschoss kommt so nahe an Bill vorbei, dass der den heißen Atem an der Wange spürt.

Da schießt er selbst. Kent knickt zusammen. Das Gewehr fällt auf den Boden. Kent schrammt gegen die Wand, beide Hände auf die linke Hüfte gepresst. Der Verband an seiner Hand leuchtet zu Jackson herüber. Dann fällt Kent.

Dales Gesicht ist zwischen den grünen und blauen Flecken grau geworden.

„Steig auf!", befiehlt Bill und zeigt mit einer knappen Handlbewegung auf das Handpferd.

Dale weicht noch weiter zurück.

„Was ... was willst du von mir?", keucht er und schielt auf Kent, der leise wimmernd an der Bunkhauswand liegt.

„Ich bringe dich nach Cheyenne, Dale. Das weißt du doch."

Dale geht noch weiter rückwärts und tritt auf die Bullpeitsche, die mitten im Hof liegt. Wahrscheinlich hat sie Big John dort fallenlassen, als Tobe kam.

„Nein!", brüllt Dale. „Nein! Kent, verdammt, tu' doch etwas!"

Kent stöhnt lauter.

Bill zieht die Spencer aus dem Sattelschuh, und als Dale sich herumwirft, drückt er ab. Die Kugel schlägt eine Schramme in Dales Stiefelabsatz und zerschmettert das Sternsporenrad.

Dale ist stehengeblieben, als wären seine Beine auf einmal an den Boden genagelt.

Bill treibt die beiden Pferde wieder an. Er reitet zu Dale hinüber.

„Aufsteigen!", schreit er ihn an.

Dale zuckt zusammen, springt dann in die Höhe und schlägt zu.

Bill wehrt den Schlag ab. Er gleitet zur Erde nieder.

Da fällt Dale ihn mit einem Wutschrei wieder an. Bill schlägt zurück. Er trifft Dale so hart, dass der zu Boden geht und sich nicht mehr rührt.

Jackson hebt ihn auf, setzt ihn in den Sattel und bindet ihm die Hände am Sattelhorn fest. Er wirbelt herum, als Kent schreit: „Fahr zur Hölle!"

Fauchend kommt ihm die Kugel aus dem Colt entgegen und streift über seinen Rücken. Er weiß, dass er dem Geschoss nur durch die plötzliche Bewegung entgangen ist. Er hat seinen Frontiercolt schon in der Hand, als Kent wieder zusammensinkt.

Bill geht über den Hof. Vor dem Cowboy bleibt er stehen. Er sieht den irren, verzweifelten Blick und hört Kent sagen:

„Big John wird verrückt, wenn du ihn fortschleifst. Er wird zunächst seine Wut an mir auslassen. Aber dann wird er dir nachkommen. Und er holt dich ein, verlass dich darauf!"

„Soll ich dir dein Pferd satteln, damit du fortreiten kannst?", fragt Bill, während er Kents auf dem Boden liegenden Colt mit der Stiefelspitze fortstößt. Er greift nach dem Gewehr und repetiert es solange, bis keine Patrone mehr aus dem Verschluss springt. Dann stellt er es an die Wand.

Kent presst die Zähne aufeinander. Hass springt noch immer aus seinen Augen. Bill denkt daran, dass er diesen Mann nun zum zweiten Mal geschlagen hat.

„Dann bleib", sagt er. „Jeder muss das selbst am besten wissen. Soll ich nach deiner Hüfte sehen?"

Kent antwortet immer noch nicht.

Da geht Bill Schritt um Schritt rückwärts, bis er bei den Pferden ist. Er zieht sich in den Sattel und sieht, dass Dale die Augen offen hat und zu Kent hinüberblickt.

„Tu doch etwas, Kent!", schreit Dale auf einmal wieder. „Siehst du denn nicht, dass er mich gefesselt hat und fortschleppen will?"

„Er hat mit sich zu tun, um nicht das Bewusstsein zu verlieren", sagt Bill. „Kent, wenn dich der Hass auf mich nicht ganz blind gemacht hat, dann solltest du über alles noch einmal nachdenken. Dich habe ich in der Stadt davor bewahrt, ein Mörder zu werden. Dale ist schon einer. Du bist nicht schwer verletzt. Eines Tages sitzt du wieder im Sattel."

„Du hast mir die Revolverhand zerschossen!", schreit der Cowboy giftig.

„Du bist links auch nicht so schlecht, dass es nicht für die Weidearbeit reichen würde", erwidert Bill kühl. „Wenn Big John zurückkommt, dann sag' ihm, dass er es aufgeben soll. Vielleicht ist es das beste für ihn, wenn er hier auf seiner Ranch bleibt."

Bill nimmt die Zügel des Handpferdes, wendet beide Tiere und reitet los.

„Kent!", schreit Dale über die Schulter. „Kent, so tu doch etwas! Der Boss wird dir den Schädel abreißen, wenn er zurückkommt."

Bill schaut zurück und sieht Kent über den Boden kriechen. Sicher will er seinen Colt erreichen. Dabei sieht er wohl nicht einmal, dass die Entfernung für einen Schuss mit der ungeübten linken Hand längst zu groß geworden ist.

*

Brüllend löst sich der Schuss. Kent schreit noch einmal kurz, dann fällt sein Kopf wie ein schwerer Stein auf den Boden.

Big John lässt den Colt ins Halfter gleiten und schaut die Männer an, die ihn im Halbkreis umstehen.

„Merkt es euch!", bellt er sie an. „So geht es jedem!"

Schweigend lösen sich zwei aus der Gruppe, heben den Toten hoch und tragen ihn weg.

„Ist alles fertig?", fragt Big John.

„Ja, Boss."

„Tobe, du sagst den beiden, dass sie auf der Ranch bleiben sollen. Irgend jemand muss schließlich hier sein."

„Ja, Boss." Tobe geht um das Bunkhaus herum.

Big John wendet sich seinem großen Rappen zu und steigt in den Sattel. Als Tobe zurückkommt, sitzen die Männer schon auf ihren Pferden. Sie folgen Big John, neben dem ein Mann reitet, der sich über das Sattellhorn zur Seite neigt und Spuren im Sand sucht. Der Zug reitet durch die Dunkelheit über die Hügelkuppe.

„Sind wir noch richtig?", fragt Big John nach einer halben Stunde.

„Ja, Boss. Wir reiten genau nach Norden. Ich fürchte, in den Bergen werden wir die Spuren verlieren."

„Er ist nur wenige Stunden vor uns. Können wir schneller reiten, ohne dass du die Spur verlierst?"

„Etwas."

Big John gibt seinem Rappen sofort die Sporen.

Als der Morgen graut, halten sie an.

Der Boden ist hart. Nur hier und da sprießen ein paar Grasinseln aus Spalten.

„Aus", sagt der Fährtensucher.

„Weitersuchen!", kommandiert Big John. „Irgendwo müssen Spuren sein."

Mühsam kämpft sich die Truppe der Verfolger weiter vorwärts. Hin und wieder finden sie Spuren. Endlich, als der Boden etwas weicher wird, kommen sie schneller vorwärts.

Gegen Mittag halten sie an. Sie sitzen übermüdet und hungrig in den Sätteln. Aber Big John scheint das nicht zu sehen.

„Nichts mehr. Gar nichts mehr", sagt der Fährtensucher flach. „Und jetzt werden wir auch keine Spuren mehr finden."

„Wir reiten immer noch genau nach Norden", meint der Rancher. „Es gibt keinen anderen Weg, um schneller aus den Bergen und an die Bahnlinie zu kommen. Also weiter!"

Der Trupp setzt sich wieder in Bewegung. Von nun an reiten sie, ohne Spuren zu suchen nach Norden.

*

Bill Jackson steht auf einer Bergschulter und sieht die Kolonne unten im Canyon reiten. Er hat erwartet, dass es so kommen wird. Natürlich wird er nicht den einfachsten Weg nehmen. Es kommt ihm nicht darauf an, sehr schnell zu sein. Er will in Cheyenne ankommen mit seinem Gefangenen! Es spielt für iihn dabei keine Rolle, wann das ist.

Er wendet sich um und blickt zu Dale hinüber, den er an einer verkrüppelten Kiefer festgebunden hat.

„Wir bleiben hier bis zum Morgen", sagt er. „Bis dahin ist dein Vater sicher schon fünfzehn Meilen weiter."

Dale stößt einen Fluch aus.

Bill legt sich nieder und rückt sich den Sattel unter dem Kopf zurecht.

„Soll ich so schlafen?", keift Dale.

„Ja. Ich weiß, dass es nicht sehr bequem ist, Dale. Aber mit dir werde ich kein Risiko eingehen."

„Du verdammter Feigling! Wenn du ein Kerl gewesen wärst, hättest du mir einen Colt in die Hand gegeben. Wir konnten es wie Männer untereinander ausmachen!"

Bill muss über den absurden Gedanken lächeln.

„Ich habe doch rein persönlich nichts mit dir auszumachen, Dale", erwidert er. „Warum sollte ich mich mit dir schießen. Ganz davon abzusehen, will ich dich lebend nach Cheyenne bringen. Ich habe mir das nun einmal so in den Kopf gesetzt. Es ist auch die einzige Möglichkeit für mich, dem Richter und der Bahngesellschaft zu beweisen, dass die zweite Hälfte des geraubten Geldes nicht mehr aufzutreiben ist. Das spielt für mich eine sehr wesentliche Rolle!"

*

Sie sind den fünften Tag unterwegs und haben das raue Rudel des Ranchers nicht mehr gesehen. Bill hat keine Ahnung, ob die eingeschlagene Richtung sie nach Cheyenne führen wird. Immer wieder drehen sich die Hohlwege, denen sie folgen. Vielleicht sind sie schon in Wyoming und wissen es nicht.

In einem Felsenkessel halten sie an. Es geht auf den Abend zu. Bill steigt ab, bindet sein Pferd mit den Zügeln an einen Busch und wendet sich Dale zu. Der Ranchersohn ist schon abgestiegen, kann sich aber nicht von dem Pferd trennen, weil seine Handgelenike am Sattelhorn festgebunden sind.

Bill tritt auf die andere Seite des Tieres und löst den Sattelgurt.

Fluchend zieht Dale den Sattel herunter.

Er ist gezwungen, ihn mit sich herumzuschleppen.

Bill bricht Äste von den Büschen und schichtet sie übereinander. Er hat noch ein Stück Fleisch, das er braten will. Er hört Dales katzenhaften Schritt plötzlich hinter sich und wirbelt herum. Der Kerl hat den Sattel schon hochgeschwungen und lässt ihn niedersausen.

Bill wirft sich noch zur Seite, aber der Sattel trifft seine Schulter, und fegt ihn zu Boden. Die Äste, die er übereinander geschichtet hatte, fliegen nach den Seiten. Der Steigbügelschuh hat Bills Gesicht gestreift und einen stechenden Schmerz hinterlassen. Dale wirbelt den Sattel wieder in die Höhe. Bill streckt die Beine aus und kann den Schlag abfangen. Er springt hoch und schlägt mit der linken Hand zu, weil er die rechte kaum bewegen kann.

Hart getroffen prallt Dale zurück, stolpert und fällt.

„Ich sollte dich jetzt so prügeln, wie dein Vater dich geprügelt hat", sagt er kratzig. „Dann bist du sicher wieder drei Tage friedlich. Ich habe gleich gewusst, dass es bei dir nicht länger anhalten würde."

„Verdammter Kopfgeldjäger!", presst Dale durch die Zähne.

Bill kann sich nur mit Mühe beherrschen.

„Auf deinen Kopf stand kein Preis, als ich an die Verfolgung ging", sagt er. „Und das Geld, das du hattest, kann ich auch nicht wieder beschaffen. Nimm dich also zusammen, Dale. Ich kann auch sehr ungemütlich sein. Woher hattet ihr eigentlich gewusst, dass Geld mit dem Zug befördert wird?"

„Es wird immer Geld befördert", knurrt Dale. „Ich wusste es schon lange. Wir hatten gehofft, dass es mehr sein würde. Es hat mir gereicht. Glaubst du nicht, dass ich es nie wieder getan hätte?"

„Das interessiert mich nicht. Du musst es dem Richter erzählen."

Bill wendet sich schroff ab. Es widert ihn an, wenn sich ein Verbrecher aufs Bitten verlegt. Er schichtet das Holz wieder übereinander, brennt ein Stück Papier an und schiebt es darunter. Dabei dreht er den Kopf, um Dale nicht aus den Augen lassen zu müssen.

*

Es wird gerade hell, als sie die Geröllhalde erreichen. Sie fällt steil in die Tiefe. Ungefähr vierzig Meter unter ihnen ist wieder ein fester Weg.

Bill hat sein Pferd angehalten und schaut hinunter. Er sieht eine Bewegung und dreht den Kopf. Dale hat die Hände gehoben. Die Stricke, mit denen er gebunden war, hängen zerrissen am Sattelhorn.

Dale schlägt schnell und hart zu. Er trifft Bill an den Kopf, und der stürzt aus dem Sattel. Das Pferd wird von seinem Spornrad an der Flanke verletzt und rast mit einem schrillen Wiehern vorwärts, gerät auf die Halde, und unter den Hufen rollen die Steine weg.

Angstvoll schnaubt das Pferd und will rückwärts. Aber es kann sich nicht halten. Es rutscht. Alkalistaub wirbelt auf.

Bill springt in die Höhe und wirft sich nach den Zügeln.

Zu spät! Das Pferd ist schon drei Meter weiter. Die ganze Geröllhalde scheint auf einmal in Bewegung geraten zu sein. Das schrille, ängstliche Wiehern schallt zu ihm herauf. Dales Gelächter vermischt sich damit. Das Pferd stürzt, wird von Steinen überrollt und ist im aufstrebenden Staub nicht mehr zu sehen.

Bill dreht sich in dem Moment, in dem Dale seinem Pferd die Sporen gibt. Bill weiß, dass er ihn nie mehr einholen kann. Es gibt nur noch einen einzigen Weg. Einen, den er immer verabscheut hat. Noch während er das denkt, hat er den Colt in die Hand genommen und schießt.

Das Pferd strauchelt, taumelt gegen die Felswand auf der rechten Seite und bricht zusammen.

Dale rettet sich durch einen Sprung. Er liegt noch, als Bill aufgestanden ist und auf ihn zugeht.

„Bewege dich nicht, Dale!", schnauft Jackson.

Das Pferd schlägt mit den Hufen gegen die Felswand. Funken sprühen auf.

Bill schießt noch einmal. Laut donnert das Echo durch die Schlucht. Das Pferd streckt sich.

Dale lacht verzweifelt. Sein Plan ist misslungen. Und weiß der Teufel, wie lange er schon frei war. Er hatte auf seinen Augenblick gewartet. Und nun hat es nicht geklappt. Nichts hat sich verändert. Nur die Pferde sind verloren.

„Nun werden wir nie mehr in Cheyenne ankommen!", schreit er auf einmal.

„Steh auf! Wir werden ankommen. Dreh dich um, ich binde dir die Hände auf den Rücken!"

Dale kommt langsam hoch. Er dreht sich halb, federt zurück und will Bill den Colt niederschlagen. Aber der ist schon zurückgetreten.

„Warum schießt du denn nicht?", schreit Dale. „Los, drück ab!"

Bill sieht wieder die Angst in den Augen des jungen, wilden Killers.

„Dreh dich um, Dale. Ich schlage dich sonst nieder."

„Ja, schlagen, das kannst du!", keift Hassel. „Aber sonst nichts!"

„Dreh dich um!"

Dale springt vorwärts, hebt die Faust und schreit: „Schießen wirst du nicht, weil ich vor den Henker gebracht werden soll."

Bill weicht dem Schlag aus, wechselt den Colt blitzschnell in die linke Hand und hämmert Dale die Faust gegen die Schläfe. Der junge Bursche wird über das tote Pferd geworfen. Ehe er sich wieder aufrichten kann, ist Bill bei ihm und zieht ihm die Hände auf den Rücken.

*

Dale Hassel taumelt gegen die Felswand und schrammt mit der Schulter dagegen.

„Ich kann nicht mehr weiter!", ächzt er. „Mach mit mir, was du willst! Ich kann nicht mehr!"

Bill stößt ihm den Lauf des Frontiercolts in den Rücken.

„Du hast rauben und morden können!", zischt er. „Nun wirst du auch laufen können. Es war deine Schuld, dass wir jetzt ohne Pferde sind. Weiter!"

Dale stolpert den Hohlweg hinunter. Gras wächst rechts und links. Sie kommen zu einem Plateau und sehen unten im Tal den glitzernden Schienenstrang, der von Osten nach Westen durch das lange Tal läuft. Ein Stück rechts von ihnen gruppieren sich ein paar Häuser und Schuppen um das Gleis.

Dale stößt ein schrilles Lachen aus.

„Das ist Yellowtown", sagt er. „Eine Stadt ohne Sheriff und ohne Gesetz. Eigentlich ist es gar keine Stadt. Die Häuser dort gibt es nur, weil hier manchmal ein paar Siedler Waren abholen, weil Pelztierjäger aus den Bergen kommen und in die Städte des Ostens fahren. Bis Cheyenne sind es mindestens noch einhundert Meilen."

„Der Zug wird uns hinbringen, wenn wir keine Pferde bekommen. Weiter!"

Als sie die Häuser erreichen, steht die Sonne direkt über ihnen. Ein paar Männer stehen bei den Bahnschuppen und schauen ihnen entgegen.

„Der junge Hassel“, sagt einer und wird bleich um die Nase.

Bill weiß in diesem Moment, dass Big John mit seinen Reitern hier gewesen ist. Wachsam und suchend gleitet sein Blick umher. Nirgends sieht er ein Pferd stehen. Ob sie fortgeritten sind? Sicher.

„Wann geht der nächste Zug?", fragt er.

„Kommt darauf an, wohin", knurrt der Sprecher von vorher.

„Das ist gleichgültig. Ich fahre nach Reno oder Cheyenne. Je nachdem, wohin der nächste Zug geht."

„Heute abend um neun nach Cheyenne, wenn nichts dazwischenkommt", knurrt der Mann und will sich abwenden.

„Einen Moment noch!", ruft Bill.

Der Mann bleibt stehen.

„War Big John Hassel hier?"

„Ja. Vor drei Tagen. Er hat seine Mannschaft geteilt. Sie ritten nach Westen und Osten. Vielleicht kommen sie bald zurück."

„Vor drei Tagen", überlegt Bill laut. „In welcher Richtung ist Big John selbst geritten?"

„Nach Osten. Mit drei Handpferden."

Bill zuckt unmerklich zusammen. Er weiß, dass ein fest entschlossener Mann wie der Rancher schnell in Cheyenne und wieder zurück sein kann. Aber wird er ausgerechnet wieder hierherkommen?

„Weiter!", schnarrt Bill und drängt Hassel vorwärts. Er hat kein gutes Gefühl, als er die Männer in seinem Rücken weiß. Aber er hat sich wohlweislich den Stern Tetleys an die Jacke gesteckt, ehe sie die Stadt erreichten.

Vor dem Haus eines Häuteaufkäufers steht die zweite Menschengruppe. Das nächste Haus ist ein Saloon. Dahin dirigiert Bill seinen Gefangenen.

Der Mann hinter der Theke weicht betroffen zurück, als Hassel vor Jackson eintritt.

„Nein!", ruft er.

„Was?"

„Das ... das geht nicht!"

„Warum nicht? Weil Big John hier war und bestimmte Befehle gegeben hat? Soweit kann doch seine Macht nicht reichen."

„Er bringt Rinder hierher. Wir haben an ihm gut verdient. Er weiß das, Mister!"

„Ich bringe nur seinen Sohn!", knurrt Bill. „Wir haben beide Hunger und brauchen ein Zimmer. Und zwar ein Zimmer mit Fenstern nach der Straßenseite, damit wir den Zug sehen, wenn er kommt. Bringen Sie uns das Essen hinauf. Welches Zimmer ist das beste?"

„Ich ... das geht nicht."

„Haben Sie Gäste im Haus?"

„Nein. Aber das geht wirklich nicht. Sie machen mich unmöglich!"

„Ich werde mir das beste Zimmer selbst aussuchen", gibt Bill zurück und schiebt Dale weiter. „Vergessen Sie den Whisky nicht! Und noch etwas: besorgen Sie mir ein gutes Gewehr. Ich bin schlecht bewaffnet. Munition brauche ich auch."

*

Als der Keeper das Geschirr hinausträgt, sitzt Dale in einem Armstuhl, an dem er festgebunden ist. Die Tür fällt zu.

Bill schenkt sich einen Whisky ein, trinkt einen Schluck und stellt das Glas auf den Tisch. Er greift nach dem Gewehr und schiebt Patronen in den seitlichen Füllschlitz.

Dale hebt das Bein und stößt mit einem Fluch gegen das Tischbein. Der Tisch wird kratzend über den Boden geschoben. Das Whiskyglas fällt um. Der scharfe Schnaps ergießt sich über die Platte, und das Glas rollt über die Kante und zerspringt splitternd auf dem Boden.

„Was soll das?", fragt Bill und schiebt weiter Patronen in den Füllschlitz. „Denkst du, dass sich deshalb etwas ändert?"

„Mein Vater wird bestimmt noch kommen!", keift Dale. „Ich fühle es."

„Als er dich prügelte, hast du iihn bestimmt verflucht und gehasst, Dale. Es ist seltsam, nicht wahr? Jetzt ist er deine letzte Hoffnung."

„Er wird die Stadt auseinandernehmen!"

Bill repetiert das Gewehr und geht zum Fenster. Er blickt zu den Bahnschuppen am Ende der kleinen Stadt. Ohne sich umzublicken sagt er: „Dein Vater wird dich niemals befreien, Dale. Du solltest diese Hoffnung begraben. Ich würde dich nicht gern erschießen. Aber wenn ich keinen anderen Weg mdhr sehe, tue ich es."

Er dreht sich nun doch um und blickt Dale in das fahle Gesicht.

„Einfach erschießen? Das kannst du doch gar nicht!", schreit der Bursche.

Bill geht durch den Raum zurück, fegt die Scherben unter das Bett und rückt den Tisch gerade.

„Gerade darauf solltest du dich nicht verlassen", sagt er. „Du hast einen Mann ermordet. Es ist Sache des Richters, dich zu verurteilen. Aber wenn ich dich nicht zum Richter bringen kann, mache ich es selbst."

Bill geht zum Fenster zurück und blickt wieder auf die Straße. Das Ticken der kleinen Uhr auf dem Kaminsims schlägt überlaut an seine Ohren.

Er braucht nicht hinzusehen, um zu wissen, wie spät es ist. Er hat vorhin hingesehen. Vorhin und vorher immer wieder hat er darauf geschaut.

Es fehlen noch sechs Stunden bis zur Ankunft des Zuges.

In der Stadt ist es noch ruhig. Es sind keine Reiter gekommen. Er hofft, dass es dabei bleiben möge.

Plötzlich zuckt er zusammen.

Dale schreit.

Bill reißt das Fenster auf und beugt sich hinaus. Hämmernd rast der Hufschlag in die Stadt hinein.

„Sie kommen!", schreit Dale. „Jetzt kommen sie!"

Jackson spürt die Kälte, die nach ihm greift, und dann ist es ihm plötzlich, als würde das Blut in seinen Adern kochen.

Die Reiter kommen von Osten. Bill zählt zehn Männer, die rasend schnell näherkommen. Er erkennt Big John Hassel ganz deutlich an der Spitze. Der Mann auf dem großen Rappen ist im Sattel etwas zusammengesunken. Sie kommen bis zum ersten Haus und halten dort an.

„Dad!", schreit Dale aus Leibeskräften.

Bill weiß, dass der Ruf nicht bis zu den Reitern dringen kann. Doch ebensogut weiß er, dass Big John jetzt schon alles erfährt.

Da sprengen die Reiter weiter, donnern heran wie eine Sintflut, die nichts mehr aufhalten kann. Unten vor dem Saloon halten sie an. Zwei Minuten lang hüllt sie eine dichte Staubwolke ein.

Bill sieht das Gesicht des Ranchers. Es glüht und ist vor Hass entstellt.

„Jackson!", keucht er. „Überall habe ich dich gesucht. Wir waren bis Cheyenne, und ich ahnte, dass du irgendwo auf dem Wege hinter uns sein musst. Was ist ..."

„Dad!", schreit Dale wieder.

Ein Zug der Erleichterung geht über das Gesicht Big Johns.

Ein Cowboy reißt seinen Colt heraus. Ehe er schießen kann, trifft ihn eine Kugel Jacksons und wirft ihn aus dem Sattel.

Unruhig schnauben die Pferde und wollen nach den Seiten ausbrechen.

„Vielleicht ist euch das allen eine Warnung", sagt Bill in die folgende Stille. „Ich habe ihn bis hierher gebracht, und ich werde ihn auch weiterbringen. Ihr könnt mich nicht mehr aufhalten! Wer auf mich schießen will, muss damit rechnen, tot zu sein. Big John, reite zu deiner Ranch zurück."

Bill schmettert das Fenster zu und geht in den Raum zurück. Er dreht den Stuhl, auf dem Dale sitzt, so, dass der zur Tür schaut.

Er dauert nicht lange, da sind polternde Schritte auf der Treppe zu hören. Bill greift nach dem Gewehr und tritt hinter Dale.

*

Als die Tür aufgerissen wird, hat Bill das Gewehr in der linken Hand und presst Dale den Lauf in den Rücken. In der rechten hält er den Colt, der auf die Tür gerichtet ist.

Big John stocken die Füße auf der Schwelle.

„Dale!", sagt er krächzend und heiser. „Verdammt, die andere Hälfte der Prügel bekommst du noch!"

„Ja, Dad, ich weiß."

„Keinen Schritt weiter!", schreit Bill, dass der Rancher zusammenzuckt.

Die Cowboys bleiben im Flur stehen. Alle scheinen das Gewehr sehen zu können.

Big John wischt über den Kolben, der aus seinem Halfter ragt.

„Wenn ich den Finger krumm mache, bist du tot!", ruft Bill.

„Dich werden ein halbes Dutzend Kugeln treffen."

„Ja, das mag sein. Aber du erlebst das nicht mehr. Und auch Dale hat nichts davon. Die Kugel wird sein Herz treffen. Es ist das erste Mal, dass ich einem Mann dann in den Rücken geschossen habe. Ich mache das bestimmt nicht gern."

Big John wird noch bleicher.

„Wir wollen verhandeln", sagt er. „Boys, ihr wartet unten."

„Geben Sie Ihren Colt mit, Hassel", meint Bill. „Oder verschwinden Sie!"

Big John schnallt seinen Gurt ab und gibt ihn hinaus. Ein Cowboy nimmt ihn entgegen.

„Wartet im Saloon. Und kümmert euch um Ace. Es wird hier keinen Coroner geben."

„Ja, Boss."

Die Tür fällt zu. Big John will vorwärtsgehen, bleibt aber doch stehen, als die Waffe in Bills Hand hochzuckt.

„Keinen Schritt, Big John! Es hat sich dadurch nichts geändert."

In Hassels Gesicht zucken die Muskeln.

„Dad, er will mich heute abend mit dem Zug nach Cheyenne schleppen!", schreit Dale keuchend.

„Keine Sorge, mein Junge. Er fährt höchstens in die Hölle. Nach Cheyenne niemals! Du musst doch deine Prügel noch bekommen, du verdammter Hundesohn!"

Dale sinkt in sich zusammen.

„Nehmen Sie endlich den Revolver weg, Jackson!"

Bill lächelt hart.

„Sie haben sich einen ganz neuen Ton angewöhnt, Hassel", sagt er. „Bleiben Sie stehen!"

„Würden Sie wirklich auf einen unbewaffneten Mann schießen?"

„Natürlich."

„Ich war also in Cheyenne. Es hat dort niemand eine Ahnung, wer das Geld aus dem Zug holte und den Schaffner erschoss."

„Ich weiß."

„Jackson, ich biete Ihnen die zwanzigtausend und noch fünftausend Dollar extra an. Sie wissen, dass mir daran gelegen ist, die Sache möglichst friedlich zu bereinigen. Ich sagte: möglichst!"

„Ja, ich verstehe. Die Sache wird der Richter bereinigen. Wenn Sie schon in Cheyenne waren, konnten Sie mit ihm sprechen."

Big Joihns Gesicht schiebt sich in die Breite.

„Dad, du ahnst nicht, wie hart er ist!", schreit Dale. „Er lässt sich nicht bestechen. Er ist gar kein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Er ist wie eine Maschine!"

„Quatsch. Jackson, denken Sie schnell darüber nach!"

„Wir fahren heute abend mit dem Zug nach Cheyenne", entgegnet Jackson kühl. „Wenn Sie weiter nichts wollten, können Sie jetzt gehen."

„Dad ..."

Big John geht rückwärts zur Tür und greift nach der Klinke.

„Hab nur keine Angst", zischt er. „Du bekommet die zweite Hälfte der Prügel. Jackson, Sie bringen ihn niemals aus diesem Saloon hinaus. Sie haben mir einen Mann erschossen. Wir sind noch neun. Ich hätte Sie für klüger gehalten. Sie konnten bare fünftausend Dollar gewinnen. Nun werden Sie nichts bekommen und noch dazu das Leben verlieren."

„Gehen Sie, Hassel! Los, hinaus! Ich kann Sie nicht mehr sehen!"

Big John drückt die Klinke nach unten und tritt über die Schwelle.

„Dad, er ist ein Kerl ohne Nerven!", ruft Dale schrill. „Sicher wird er sich einen Trick einfallen lassen, um mich in den Zug zu bringen!"

„Nur keine Sorge. Wir passen auf. Aus diesem Haus führt nur ein einziger Weg; der durch den Saloon."

Big John schmettert die Tür zu. Bill Jackson hört, wie sich die Schritte entfernen.

*

Er denkt daran, dass Hassel recht hat. Es gibt nur einen Weg, und der führt durch den Saloon. Die Treppe aus dem Obergeschoss führt direkt in den Saloon hinein. Langsam geht er zum Fenster und blickt auf die Straße hinunter. Gegenüber steht eine Gruppe Männer. Sie schauen zu ihm hinauf.

Plötzlich blitzt etwas. Bill zuckt zur Seite. Splitternd zerspringt die Scheibe. Scherben werden ihm ins Gesicht geschleudert.

Bill geht in den Raum zurück. Er sieht Dales hämischen Blick und die flackernde Angst tief in den Augen. Der wilde Bursche scheint jetzt nicht zu wissen, ob er wirklich noch eine Chance haben wird, oder ob alles nur Einbildung ist.

Bill bleibt am Tisch stehen und legt die Winchester darauf. Dann geht er zur Tür und dreht den Schlüssel herum.

„Mein Vater hat dir fünftausend Dollar extra angeboten", meint Dale. „Das mag nicht viel sein, Jackson. Aber wenn man in Cheyenne keine Ahnung hat, wer den Zug überfiel, dann weiß man auch noch nicht, was aus dem Geld geworden ist. Genau genommen könntest du mit fünfundvierzigtausend. Dollar fortreiten, wenn du das willst!"

Bill bleibt dicht vor Dale stehen und schaut ihn kalt an.

„Ich habe noch nie einen Gefesselten geschlagen", stößt er mühsam beherrscht hervor. „Aber wenn du jetzt nicht das Maul hältst, tue ich es!"

Dale zieht den Kopf tief zwischen die Schultern und schielt seinen Bezwinger von unten herauf an. Er sagt nichts mehr.

Bill wendet sich ab, geht zum Fenster und lehnt sich dicht daneben an die Wand. Er schaut um die Kante.

Die Männer gegenüber sind nicht mehr da. Die Straße liegt wie leergefegt im grellen Sonnenlicht. Auch dort, wo er das Blitzen sah, steht niemand mehr.

Da ist ein Kratzen an der Tür zu hören.

Bill fährt herum und reißt den Frontiercolt aus dem Halfter. So bleibt er stehen und wartet. Das Kratzen wiederholt sich. Dann ist ein Lachen zu hören.

Dale hustet erregt.

Bill geht am Fenster vorbei und bleibt neben dem Bett stehen.

Da krachen sechs Gewehrschüsse im Flur, die das Haus erzittern lassen. Bill sieht sechs kleine Löcher, die sich um das Schloss ziehen. Ein hallender Tritt.

Die Tür fliegt nach innen. Ein Gesicht taucht auf. Bill schießt. Seine Kugel fetzt einen Splitter vom Türpfosten. Das Gesicht ist verschwunden. Dale sinkt noch mehr in seinem Armstuhl zusammen.

Bill geht in die Hocke und wartet. Sein Platz ist gut. Der, der ihn sehen will, muss schon ganz in den Raum kommen. Zwischen ihm und der Tür sitzt der gefesselte Dale wie auf dem Präsentierteller.

„Dale, schiebe den Stuhl hierher!", ruft eine barsche Stimme.

Dale stemmt die Füße auf den Boden und will den Stuhl vorwärtsrucken. Er schafft es nicht.

„Ehe du durch die Tür kommst, schieße ich dir in den Kopf!", verspricht Bill so laut, dass es auch der Bursche im Flur hören muss.

„Es geht nicht!", ächzt Dale und schielt zu Bill. Draußen erschallt ein Fluch.

Bill schiebt sich ein Stück am Bett vorwärts. Endlich kann er in den Gang blicken. Er sieht einen fauchenden Abschussblitz und hört das dumpfe Pochen, mit dem die Kugel über dem Bett in die Bretterwand fährt.

Krachend entlädt sich sein Colt. Draußen ist ein Schrei zu hören. Eine Waffe fällt klappernd auf die Dielen.

Bill springt auf und rennt zur Tür. Er sieht einen Mann, der sich die linke Hand auf den rechten Arm presst.

„Du hast aber Glück gehabt", sagt Jackson. „Ich wollte dir ins Herz schießen."

Der Kerl springt ihn mit einem wütenden Schrei an. Bill übersieht blitzschnell den Gang und erkennt zwei weitere Männer in der hinteren, dunklen Ecke. Sicher warten sie jetzt nur darauf, dass er weiter aus dem Raum kommt und sie ein besseres Ziel finden können.

Bill weicht zurück. Der Mann mit dem verletzten Arm springt über die Schwelle und läuft genau in Jacksons Schwinger, der ihn wieder auf den Gang hinaus katapultiert. wo er mit einem Schrei zu Boden geht. Über ihn hinweg schrammen Flammenblitze und Kugeln und heulen ins Zimmer herein. Dale will sich mitsamt dem Stuhl zu Boden werfen, schafft es aber nicht. Bill steht an der Kante neben der Tür. Er springt vor und schießt. Als ihm die Geschosse entgegenwehen, ist er bereits wieder in Deckung.

„Nicht!", ruft Dale. „Ihr trefft mich!"

„Verdammt, andere Möglichkeiten gibt es nicht", knurrt draußen eine Stimme. „Jim, aus dem Weg!"

Stiefel kratzen über die Dielen im Flur.

Bill streckt die Hand vor und zieht sie sofort wieder zurück.

Drei Schüsse fallen gleichzeitig. Als die Männer fluchen, weil sie geblufft worden sind, springt er vor und schießt.

Ein Schrei, ein Fall, dann ein entsetzter Ruf.

„Was ist?", fragt Jim draußen, der mit seinem verletzten Arm so gut wie kampfunfähig ist.

„Jules!", ruft eine zweite Stimme. „Jules!"

„Hölle, tot", sagt Jim. „Boss, jetzt hat er Jules erwischt!"

Die Treppe herauf wird etwas gerufen, das Bill nicht verstehen kann. Dann schleift etwas über die Dielen und holpert die Treppe hinunter. Sporen rasseln. Die Geräusche entfernen sich nach unten.

Bill schiebt den Arm aus der Deckung.

Nichts geschieht. Er wagt sich weiter vor. Immer noch nichts. Der Gang ist leer.

Bill schiebt die Tür zu, geht zu Dale und zieht ihn mit dem Stuhl bis an die Tür.

*

Es ist keine halbe Stunde vergangen, da sind im Flur wieder Geräusche zu hören.

„Jackson, jetzt wird es eine kleine Sprengung geben!", ruft eine hämische, kichernde Stimme. „Pass auf, dass dir keine Fetzen von der Tür um die Ohren fliegen!"

Dale ist weiß wie eine frisch gekalkte Wand geworden.

„Nein!", schreit er. „Nicht! Hört ihr? Er hat mich mit dem Stuhl gegen die Tür gerückt! Ihr bringt mich um!"

Draußen erschallen ellenlange Flüche. Zwei Männer tuscheln zusammen.

Bill lehnt sich gegen den Tisch und rollt sich eine Zigarette. Er lächelt dabei etwas. Er hat jetzt den besseren Trumpf in der Hand. Er führt die Regie. Aber noch ist ihm nicht klar, wie er mit Dale den Zug erreichen kann, wenn der bei den Bahnschuppen steht.

„Sagt meinem Vater, dass es so nicht geht!", ruft Dale, indem er den Kopf soweit nach hinten dreht, wie er das kann.

Jackson streicht mit einem Schwefellholz über die Tischplatte und brennt die Zigarette an. Langsam wandert er zum Fenster. Draußen vor der Tür entfernen sich Schritte. Minuten erfüllt wieder nichts als das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims den Raum. Dann sagt Dale: „Vielleicht wird es so sein, dass wir beide vor die Hunde gehen. Fort bringst du mich jedoch bestimmt nicht!"

Bill lehnt sich gegen die Wand und blickt den Burschen an.

„Wieviel hattest du an den Spieler zu bezahlen?", fragte er.

„Dreizehntausend."

„Und was hast du mit dem Rest gemacht?"

Dale lässt den Kopf auf die Brust sinken.

„Revanche gefordert", meint er.

*

Big John Hassel geht zur Theke hinüber, greift nach einem Glas und schenkt es voll. Seine Hände zittern, Sein Gesicht ist von tiefen Furchen zerrissen.

Der Keeper lehnt hinter der Theke an einem Regal und wagt kaum zu atmen.

Hassels Männer haben sich im Saloon verteilt. Es ist sehr ruhig.

Big John wendet sich um und lehnt sich mit dem Rücken gegen den Tresen. Er schaut Jim an, der jetzt einen Verband um den verletzten Arm hat, und dessen Gesicht grau durch das fahle Halbdunkel leuchtet.

„Licht!", schreit der Rancher auf einmal.

Der Keeper zuckt zusammen, stottert etwas Unverständliches und geht in die Küche.

„Jim, du sagst den Leuten, dass sie überall in der Stadt Lampen aufstellen sollen. Es darf keine dunkle Ecke geben."

„Ja, Boss." Jim verlässt den Saloon.

Big John trinkt. Er verzieht das Gesicht dabei, als würde es ihm nicht schmecken.

Der Keeper kommt mit einem Blechkanister aus der Küche zurück und füllt die Lampen auf, ehe er sie ansteckt.

Jim betritt den Saloon wieder.

„In fünf Minuten ist es wieder so hell wie am Tag", sagt er.

Big John schaut zur Treppe, die ins Obergeschoss führt.

„Denkt daran, dass Dale die Sache auf jeden Fall überleben muss", meint er. „Sonst ist alles umsonst gewesen."

Seine Cowboys nicken. Er sieht das nicht. Er sieht nur die Treppe.

Der Keeper schleppt den Kanister in die Küche zurück. Big John nippt noch einmal an seinem Whisky.

„Soll ich den Posten hinter dem Haus kontrollieren?", fragt Jim.

„Nein. Er weiß, was von ihm abhängt", entgegnet der Rancher. „Außerdem glaube ich nicht, dass Jackson diesen Weg nehmen wird."

Die Männer starren ihn ungläubig an.

„Hier kann er nie durchkommen", meint einer. „Das wird er ganz genau wissen."

„Wir wollen ihn nicht unterschätzen", knurrt Big John. „Und denkt daran: Dale muss es überleben!"

Big John stellt sein Glas auf die Theke. Er geht zu einem Fenster in der Straßenfront und schaut hinaus. Es wird schnell dunkel. Überall werden Lampen an den Rändern der Gehsteige aufgestellt.

Plötzlich schallt das ferne Pfeifen einer Lokomotive in die kleine Stadt herein. Big John zuckt zusammen wie unter einem Schlag. Er dreht sich um und geht zur Theke zurück.

Drei Minuten später ist entferntes Räderrollen und ein zunehmendes Sirren zu hören, das in den Ohren der Männer zu einem Orkan anwächst.

„Jetzt", sagt Jim keuchend. Sein Blick saugt sich an der Treppe fest, während sich seine linke Hand um den Kolben des Revolvers schraubt.

Wieder erschallt das langgezogene Pfeifen der Lokomotive.

Big John geht auf die Straße hinaus. Er sieht die Männer gegenüber und schreit: „Verschwindet von der Straße!"

Huschende Gestalten auf der anderen Seite. Türen knallen. Und das Rattern der Eisenräder auf dem Schienenstrang kommt näher wie die Faust des Schicksals, der nichts entrinnen kann.

Big John geht frierend in den Saloon zurück und trinkt aus der Flasche. Das aufreizende Geräusch, mit dem einer seiner Männer die Trommel des Revolvers durchdreht, erfüllt den Raum. Schweiß glitzert dem Rancher auf der Stirn. Ein kalter Schauer nach dem anderen jagt über seinen Rücken. Irgendwie fühlt er, dass sein Geld und seine sprichwörtlich gewordene Macht versagt haben.

*

Bill steht am Fenster. Das Quietschen der Zugräder verstummt. Noch einmal sprühen Funken bei den Bahnschuppen zum Himmel. Dann ist das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims wieder zu hören. Dazwischen die Geräusche, mit denen Dales Zähne hart aufeinanderschlagen.

Bill Jackson schaut in die helle Stadt hinunter. Jeder Befehl, den Big John gegeben hat, ist ausgeführt worden. Und so, wie sie ihn ausführten, so werden sie auch zusehen, wenn ein Mann ermordet wird, der versprochen hat, für das Recht in diesem wilden Land zu kämpfen.

Sie werden keine Hand dagegen rühren. Sie werden dabeistehen und schweigen. Vielleicht atmen sie sogar auch, weil ihre Angst zu groß ist, als dass sie anders sein könnten.

Jackson wendet sich um. Durch die Dunkelheit des Raums leuchtet ihm Dales Gesicht entgegen. Bill geht zu ihm hin und macht die Stricke los, die Dale an den Armstuhl fesseln.

Dale springt sofort auf. Er weiß, dass es seine allerletzte Möglichkeit ist, aus eigenem Antrieb noch etwas zu verändern. Aber damit hat Bill gerechnet. Er stößt die Faust, die nach seinem Kopf schlägt, zur Seite. Sein hämmernder Hieb trifft den Ranchersohn gegen die Stirn und schleudert ihn in den Armstuhl zurück.

Dales Augen sprühen wie glühende Kohlen. Sein heißer Atem streift Jacksons Gesicht.

„Du hättest dir das alles viel früher überlegen müssen", sagt Bill, während er Dales Hände nach vorn reißt und zusammenschnürt. Er zieht ihn wieder hoch und schleppt iihn zum Tisch, wo noch die Winchester liegt.

*

Big John lässt das Glas aus der Hand fallen, als er die Schritte auf der Treppe hört und zwei Paar Stiefel nebeneinander sehen kann. Klirrend zerspringt das Glas.

Die Haltung der Cowboys spannt sich an.

Bill Jackson kommt neben Dale Hassel die Treppe herunter. Dales Hände sind zusammengebunden. Bills linke Hand steckt mit dem Gelenk fest in den Fesseln, so dass Dale nicht von ihm los kann. In dieser Hand hat Jackson das Gewehr. Der Lauf drückt Dales Kopf in die Höhe, weil er direkt unter seinem Kinn sitzt. Bill hat das Gewehr um den Schaft gepackt. Sein Daumen liegt auf dem Abzug, und jeder im Saloon kann sehen, dass dieser Daumen Druckpunkt genommen hat. Die geringste Bewegung wird den Schuss auslösen. In der rechten Hand hält Bill den Colt, dessen Mündung in der Richtung zwischen den Männern hin und herwandert.

Der verletzte Jim reißt die Waffe mit mit einem Schrei hoch.

Krachend entlädt sich Bills Colt. Jim sinkt an der Wand zusammen und reißt einen Stuhl um. Dales Gesicht verschwindet für einen Moment in einer Wolke beißenden Pulverdampfes wie im Nebel.

Die Männer stehen starr.

Bill und Dale halten auf der letzten Stufe an. Jackson schaut zu dem Rancher hinüber, den ein Zittern durchläuft.

„Wie ihr es auch machen werdet, und wie ihr mich auch trefft: Dale wird tot sein!"

„Wenn wir ihn treffen, zuckt er zusammen und drückt ab", sagt einer leise. „Es ist wirklich egal, ob wir ihn von vorn oder von hinten treffen."

„Ruhe!", zischte der Rancher.

Bill dreht das linke Handgelenk. Dales Gesicht verzieht sich vor Schmerz, weil sie die Fessel um seine Handgelenke zusammenschnüren. Bill zieht ihn von der letzten Stufe herunter.

Von links schiebt sich ein Cowboy um einen Tisch herum.

Jacksons Colt schwenkt auf ihn ein.

Der Mann bleibt stehen.

„Zurück!", sagt Bill scharf.

Der Cowboy bewegt sich nicht.

„Zurück!"

„Sean!", keift der Rancher.

Da weicht der Cowboy gegen die Wand zurück.

Bill zieht seinen Gefangenen weiter in den breiten Mittelgang hinein, an dessen Ende die halbhohe Schwingtür liegt.

„Jetzt bin ich hinter dir", sagt eine Stimme.

Bill bleibt sofort stehen. Seine Nerven sind zum Zerreißen angespannt. Er weiß genau, dass sein Leben an einem winzigen Faden hängt. Wenn nur einem die Nerven durchgehen, ist es passiert. Zwar wird Dale dann wirklich tot sein, aber ihm selbst wird es nichts nützen. Er fragt sich, ob es Wahnsinn war, sie so sehr herauszufordern. Zugleich weiß er, dass es nur diesen einen Weg gibt, Dale Hassel der Gerechtigkeit zu überliefern.

Big John steht jetzt seitlich von ihm. Er kann ihn gerade noch in das von Furchen, Angst und Hass zerrissene Gesicht sehen. Zwischen ihnen ist Dales schweißüberströmtes Gesicht und der Lauf der Winchester, der sie zwingt, anders zu handeln, als sie es sich ausgerechnet hatten.

„Nicht, Owen", flüstert der Rancher mit kaum hörbarer Stimme.

Tränen stürzen Dale aus den Augen. Er ist jetzt ganz klein. Nichts von dem großen, wilden Burschen ist übriggeblieben.

Bill zieht ihn weiter. Die Tür kommt immer näher. Und immer mehr Männern gelingt es dadurch, in seinen Rücken zu kommen.

Jackson stößt die Schwingtür langsam mit dem Fuß nach außen und führt Dale hinaus. Die Helligkeit der vielen Lampen empfängt ihn.

Gegenüber wächst ein Schatten in der Dunkelheit der Hauswand empor und wird zu einem Cowboy, der ins Licht tritt und ein Gewehr unter dem Arm hat.

Bill dirigiert Dale die beiden Stufen zur Fahrbahn hinunter und geht mit ihm nach rechts. Ihre Schritte knirschen im Sand.

Um den Saloon herum kommt ein weiterer Cowboy, der ebenfalls ein Gewehr trägt.

Bill zieht Dale immer weiter. Noch ungefähr einhundert Meter trennen sie von dem Zug, der aus der Lok, dem Tender und zwei Wagen besteht. Ein paar Männer sind dort zu sehen.

Die Angeln der Schwingtür kreischen hinter ihnen. Bill spürt, wie sich seine Muskeln noch mehr anspannen.

„Jackson, du bringst ihn niemals in den Zug!", schreit der Rancher.

Bill ist stehengeblieben. Er wendet sich halb um und kann Big John an der Gehsteigkante sehen.

„Niemals, hörst du! Wenn ich keine Hoffnung mehr habe, werde ich schießen!"

„Nein, Dad!", kreischte Dale.

Bill muss den Abzug lockerlassen. Beinahe hätte er jetzt gegen seinen Willen abgedrückt.

Big John kommt auf die Straße herunter. Nun drängen auch seine Reiter aus dem Saloon und bilden auf der Fahrbahn eine breite Kette.

„Niemals!", schreit Hassel wieder. „Weil es nicht sein darf, dass ein Hassel vor ein Gericht gestellt wird!"

Bill hört den festen Willen aus den Worten des Ranchers genau heraus. Hat er sich wirklich verrechnet, als er darauf baute, dass Big John in der Zeit bis zu der Verhandlung gegen seinen Sohn noch eine Chance sah? Wird er unter allen Umständen vermeiden wollen, dass Dale nach Cheyenne gebracht wird? Vielleicht fürchtet er sich davor, dass alle Welt erfahren könnte, was sein Sohn verbrochen hat. Aber sicher wird das auch so bekannt werden.

„Niemals!", schreit der Rancher wieder.

Bill sieht die blinkenden Waffen der Cowboys. Er kann nun nicht mehr zurück. Es gibt keinen anderen Weg. Er wendet sich nach vorn und zieht Dale weiter.

*

Der Zug ist zum Greifen nahe! Die fragenden Gesichter der Reisenden schauen Jackson neugierig aus den Fenstern entgegen. Der Boden steigt zur Rampe hin etwas an. Ein Stein rollt unter Bills Stiefel weg, und er ruckt etwas zur Seite.

Da reißt Dale sein Kinn vom Lauf der Winchester und wirft sich mit seiner ganzen Kraft gegen ihn. Bill wird zur Seite gedrängt.

Dale dreht die Hände, als wollte er Bill das Gelenk zwischen den Fesseln zerbrechen.

Da kracht ein Schuss.

Die Kugel streift Bill über den Rücken. Der zweite Schuss donnert auf. Jacksons Hut fliegt hoch und wird gegen den Wagen geschleudert.

Die Reisenden verschwinden kreischend von den Fenstern und gehen im Wagen in Deckung.

Dale wirft sich wieder schreiend gegen Bill. Der kann das Gewehr nicht festhalten. Es klappert auf den sandigen Boden. Dale tritt darauf und strauchelt. Er kommt zu Fall und reißt Bill mit sich.

Ein halbes Dutzend Kugeln weht über sie hinweg. Bill kann sich drehen und schießt aus dem Colt. Ein Cowboy prallt getroffen zurück, fällt gegen einen anderen und wird zurückgestoßen. Staub wallt auf, als der Mann zu Boden schlägt.

„Dad, nicht!", brüllt Dale keuchend.

Kugeln fahren ratschend ins Holz des Wagens hinter Bill.

Sein Arm hebt sich und zuckt im Rückstoß der Waffe. Er ist jetzt wieder eiskalt. Er liegt halb hinter Dale. Es ist Zufall, dass sie so liegen. Überall sprühen die Mündungsblitze auf. Etwas streift über Bills Schulterspitze. Er sieht wieder einen Mann fallen und drückt noch einmal ab. Da schlägt der Hammer auf eine abgebrochene Hülse.

Bill wird bleich. So wie er sich an Dale gefesselt hat, gibt es für ihn keine Möglichkeit, die Waffe zu laden. Er lässt sie fallen und greift nach dem Gewehr. Er feuert auf einen heranstürmenden Cowboy, dessen Lauf jäh gestoppt wird.

Der Mann richtet sich bolzengerade auf und fällt aufs Gesicht.

Andere rennen in Deckung.

Bill hebt die Hand mit dem Gewehr und wirft den Lauf mit einer schlenkernden Bewegung nach unten. Eine Messinghülse springt aus dem Repetierverschluss. Noch eine schlenkernde Bewegung, und der Verschluss rastet wieder ein.

„Vorwärts!", hört er Big John von irgendwo vor sich schreien. „Vorwärts, zum Teufel!"

Huschende Gestalten gleiten an den Schuppenwänden entlang.

Plötzlich taucht Big John selbst auf. Breit, groß und klotzig kommt er heran, den rauchenden Colt in der Hand.

„Wo steckt ihr feigen Halunken?", bellt er. Dabei kommt er immer näher.

Bill richtet sich soweit auf, wie das seine Lage zulässt. Er hebt das Gewehr.

Da macht Dale eine heftige Bewegung mit den Händen und reißt Bill nach unten.

Feuer und Blei kommen aus Big Johns großem Revolver und gehen über Jackson hinweg. Bill hat zu tun, einen Tritt Dales abzuwehren.

„Schnell, Dad!", hört er den Burschen schreien. Die Schritte nähern sich.

Bills linker Arm ist nach unten gepresst. Er dreht sich auf den Rücken und sieht die Sterne am Himmel. Da sind die Schritte ganz nahe, und plötzlich sieht er die Sterne nicht mehr, weil Big Johns Gesicht davor erscheint. Und vor dem Gesicht der Revolver, dessen schwarze gähnende Mündung auf Jackson zeigt.

Bill dreht sich mit einer verzweifelten Bewegung. Er sieht den Feuerstrahl und hört die Kugel dicht neben seinem Kopf auf den Boden klatschen. Sand spritzt ihm ins Gesicht.

Der Kopf des Ranchers ist immer noch da. Bill dreht sich noch einmal und bringt das Gewehr damit in die Höhe. Es entlädt sich mit einem fürchterlichen Knall.

Ein gellender, verzweifelter Schrei. Plötzlich ist das Gesicht verschwunden. Etwas schlägt dumpf zu Boden.

„Dad!", schreit Dale.

Bill reißt ihm die Hände nach oben und kann sich auf die Knie stemmen. Er sieht Big Johns mächtigen Körper reglos auf der Rampe liegen. Und dahinter die huschenden Gestalten.

„Dad!", schreit Dale. Seine Tränen rinnen durch das schmutzige Gesicht und tropfen auf den Boden.

„Big John ist tot!", ruft Bill den huschenden Schatten gellend zu. „Hört ihr? Big John lebt nicht mehr. Niemand wird euch dafür bezahlen, wenn ihr einen Mörder befreit und mich umbringt!"

„Verdammt!", zischt irgendwo eine Stimme. „Verdammt, der Boss scheint wirklich tot zu sein. Big John?"

Lähmende Stille breitet sich aus. Dann Schritte, die sich entfernen.

*

Bill hat seine Hand befreit und Dale hochgezogen. Sie hören den aufklingenden Hufschlag, der sich im Nichts der Nacht verliert.

„Diese verdammten, feigen Coyoten!", schreit Dale. „Jetzt hauen sie ab!"

„Noch etwas Besseres konnte ihnen nicht einfallen", erwidert Bill spröde. „Einsteigen!"

Dale dreht sich wie eine Puppe und blickt auf seinen reglosen Vater. Ein Zittern überläuft seinen Körper. Da wird er zur offenen Tür geschoben und in den Wagen gestoßen.

Fünf Minuten später rollt der Zug in östlicher Richtung aus Yellowtown hinaus. Noch immer brennen die vielen Lampen an den Rändern der Gehsteige, die die Stadt aus der Dunkelheit reißen. Aber das alles hat Big John nichts genützt. Sein Geld und seine Macht konnten das Rad der Gerechtigkeit nicht aufhalten. Es ging über ihn hinweg und zerbrach alles, was seinen unbändigen Willen ausmachte, im Grollen eines einzigen Schusses.



ENDE

7 Wichita Western Oktober 2019 - Wildwest Sammelband 7008: Sieben Romane um Cowboys, Killer, Gunfighter

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