Читать книгу Sieben Coltschwinger Western Sammelband 7006 Oktober 2019 - Pete Hackett - Страница 6

Als Cutler mit dem Feuer spielte Ein Western von Heinz Squarra

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2019: N.C. Wyeth

© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Die Warrior-Bande treibt schon seit geraumer Zeit im Südwesten der USA ihr Unwesen und hat zahlreiche Raubüberfälle begangen. Noch immer ist es den Sheriffs und Texas Rangers nicht gelungen, diese Verbrecher zu stellen. Höchste Zeit also, dass sich ein Mann dieser Sache annimmt, der besondere Vollmachten hat – sein Name ist John Cutler, und im Auftrag der Alamo-Organisation muss er auch diesmal wieder sein Leben riskieren. Dabei hat er es nicht nur mit der Warior-Bande zu tun, sondern auch mit einem besonders hartnäckigen Kopfgeldjäger namens Victor McCleef, dem es ganz und gar nicht passt, dass Cutler die Banditen jagt ...

»Da ist die Kutsche«, sagte Douglas Warrior, ein mittelgroßer, schrankbreiter Kerl in einem schwarzen Lederanzug. »Gleich gibt es Zaster für uns.«

Gretty und Tracy, seine Kumpane, grinsten und repetierten die Gewehre.

Das Peitschenknallen schallte weit durch die Mondnacht und hallte von den vulkanischen Felsen hinter den Kakteen wider. Nur schemenhaft waren die Pferde vor der Postkutsche und der Fahrer auf dem Bock zu erkennen. Dann plötzlich stürzten die beiden vorderen Tiere in einen Graben, der sich quer über die Straße zog und den ein paar Äste notdürftig verdeckten. Die beiden hinteren Pferde liefen auf, die Deichsel brach, das Gefährt rollte auf die Tiere. Der Fahrer schrie etwas und wurde durch die Luft geschleudert. Ein Mann schrie. Ein anderer fluchte grimmig.

Alle vier Pferde kamen wieder auf die Beine, sprengten die Sielen an der geborstenen Deichsel und stoben davon.

Nur noch etwa hundert Yards entfernt standen die drei Banditen und schauten grinsend zu.

»Na also, hat doch wieder geklappt.« Gretty lachte glucksend.

Sie schlugen die Gewehre an den Hüften an und gingen ohne sonderliche Eile auf die Kutsche zu. Sie stand knapp hinter dem Graben, aus dem schimpfend der Kutscher kletterte.

»Wollen Sie endlich erklären, was das soll?«, fragte eine keifende Frauenstimme. »Will sich vielleicht jemand einen Jux mit uns erlauben, Fahrer?«

»Es ist kein Jux, sondern ein Überfall!«, rief Warrior schneidend. »Steigt mit erhobenen Händen aus. Na los, ein bisschen fix!«

Der Kutscher fuhr herum, sah undeutlich die Banditen und griff zum Colt.

Die drei Halunken sahen nur die Bewegung und schossen wie auf Kommando gleichzeitig. Ein einziges lautes Donnern hallte der Kutsche entgegen. Der Kutscher brach getroffen zusammen.

Die Banditen blieben stehen.

»Noch jemand lebensmüde?«, fragte Warrior schleppend. »Immer heraus mit der Sprache, wenn euch das Fell juckt. Patronen haben wir noch genug!«

Da öffnete sich der Schlag. Eine dicke Frau mit einem riesigen Hut auf dem Kopf kletterte heraus und hob die Hände. »Bitte, Gentleman, nicht schießen. Wenn die beiden da drin lebensmüde sind, ist das gewiss nicht meine Sache! Sind Sie der berüchtigte Doug Warrior, Mister?«

Die beiden Männer stiegen ebenfalls aus und hoben die Hände. Es handelte sich um Reisende, die steife Melonen und dunkle, zerknautschte Anzüge trugen.

Warrior und seine beiden Kumpane gingen weiter auf die Passagiere zu.

»Sind Sie es nun, oder sind Sie es nicht?«

Warrior grinste die dicke Frau an. Sie war mindestens fünfzig, trug ein weites, fast schon unförmiges Kleid und rund ein Dutzend lange Perlenketten um den Hals. Bänder, Reifen und Ringe zierten ihre Arme und Finger.

»Ihr führt in den Städten Schmuck vor, was?« Warrior grinste. »Tand. Damit wird viel Geld verdient, habe ich gehört.«

Die Männer sahen so bleich aus, dass es sich trotz der Dunkelheit erkennen ließ.

»Weiter zur Seite!« Warrior winkte mit dem Gewehr nach links.

Die Männer und die Frau gehorchten.

»Ist er nun Warrior?«, flüsterte der eine Mann.

»Durchsucht den Kasten!«, wandte Warrior sich an Gretty.

Der schwarzbärtige Halunke stieg in das Gefährt. Tracy nahm sich indessen den Kasten unter dem Bock vor und warf alles nach unten, was ihm brauchbar erschien.

Der eine Mann ließ die Hände sinken.

Warriors Gewehr zuckte herum.

Rasch hob der Mann wieder die Hände.

»Ihr beiden legt euch in den Dreck!«, befahl Warrior. »Gesicht nach unten. Na los, etwas schneller, ihr lahmen Vögel!«

Die Reisenden warfen sich hastig zu Boden. Die Frau schüttelte den Kopf.

»Ihr seht jetzt komisch aus. Mr. Warrior, ich finde unsere Begegnung ungemein spannend!«

»So, findest du?« Warrior ging auf die fette Frau zu und stieß ihr die Mündung des Gewehres in den Leib.

Gretty stieg aus. Tracy sprang vom Bock herunter.

Die Frau verlor auf einmal auch die Farbe aus dem Gesicht. »Sie sind doch ein Gentleman, oder?«

Die Banditen grinsten. Warrior riss die Mündung jäh nach oben und zerfetzte mit dem Korn die Ketten und das schwarze Kleid. Perlen flogen bis zu den beiden Männern hinüber, die sich deswegen jedoch nicht rührten. Das halbe Kleid war aufgerissen.

Die Frau schrie erschrocken auf, trat zurück und prallte gegen die Kutsche. Auf einmal schien sie die Begegnung mit den gefürchteten und steckbrieflich gesuchten Banditen gar nicht mehr so zu faszinieren.

»Hast du schon mal eine fette Frau nackt gesehen?«, fragte Gretty, während er grinsend in seinem schwarzen Bartgestrüpp herumkratzte.

»Noch nie«, erwiderte Tracy.

»Wollen wir sie bitten, sich mal für uns auszuziehen?« Gretty schaute Warrior an.

»Und vielleicht einen kleinen Tanz aufzuführen?« Tracy lachte bei dem Gedanken.

»Macht, was ihr lustig seid.« Warrior ging zu den vom Bock und aus der Kutsche geworfenen Gegenständen und sortierte sie. Er interessierte sich nur für Geld, sonst für nichts. Wertgegenstände in solches zu verwandeln, erschien ihm mühselig und gefährlich obendrein.

»Aber vergesst nicht, sie alle drei zu durchsuchen«, sagte er zu seinen Komplizen. »Meistens verstecken Sie das Geld bei sich selbst!«

»Los, Mama, zeig uns, wie fein du aussiehst. Und wirf deinen Kram herüber, damit wir ihn anfassen können!«

Die beiden Banditen traten nach Grettys Worten zurück, senkten die Gewehre und feuerten der dicken Frau vor die Füße.

Sie schrie auf und hüpfte, was so komisch aussah, dass es die Banditen animierte, noch mehrmals zu schießen. Und weil sie Angst hatte, wirklich noch getroffen zu werden wie der Kutscher, entledigte sie sich des zerrissenen Kleides und der Unterwäsche - in einem Tempo, das sie selbst verblüffte.

»Reicht es euch endlich?« Warrior missfielen die makabren Späße seiner Kumpane. Nicht etwa, weil ihm die Frau leid tat. Er hielt solches Verhalten schlicht für überflüssig. »Los, Tracy, sieh nach, ob was in ihren Taschen steckt. Gretty, nimm dir die beiden Kerle vor!«

Tracy und Gretty befolgten die Befehle. Gretty pfiff durch die Zähne, als er nach der Durchsuchung der Männer das Geld zählte.

»Wieviel?«

»Fast sechshundert«, sagte Gretty noch immer staunend. »Die sind ja reicher als die Post selbst!«

»Und du, Tracy?«

»Sie scheint ein armes Luder zu sein.« Tracy grinste die Frau an, die zitternd am Wagen Stand, ein Hemdchen aufgerafft hatte und sich damit zu bedecken versuchte. »Sie hat nur zehn Dollar.«

»Insgesamt immerhin über tausend«, stellte Warrior fest. »In Ordnung, dampfen wir ab!«

*

Der ältere der beiden Männer hob den Kopf. Bis auf das Rascheln von Stoff war es still geworden.

Die Frau stand am Wagen, zog gerade ihr Kleid an und versuchte danach mit einigen Nadeln die Risse so gut wie möglich zu vertuschen.

Da erschallte Hufschlag. Pferde wieherten.

Der Mann kniete, lauschte den Geräuschen nach und tippte den anderen an, der noch ausgestreckt im Sand lag, die Nase auf dem Boden. »Sie reiten fort.«

Seufzend erhob sich der andere.

»Ihr seid zwei Figuren!«, schimpfte die Frau. »Anstatt mich zu beschützen, küsst ihr den Dreck!«

»Wir sind nicht lebensmüde«, erwiderte der eine Mann barsch und stand nun ebenfalls auf. »Sie haben uns alles Kapital abgenommen. «

»Darüber reden wir mit der Postgesellschaft.« Der ältere Mann trat zu der reglosen Gestalt, beugte sich hinunter und drehte sie herum.

Steif fiel der Tote auf den Rücken.

Der Mann richtete sich auf und schaute in die mondhelle Nacht hinaus, in der es aussah, als läge Silber über Texas. »Wohin mögen die Gäule gelaufen sein?«

»Bis zur nächsten Stadt können es nur noch ein paar Meilen sein«, entgegnete der andere. »Ich denke, die schaffen wir bis zum Morgengrauen.«

»Und der Tote?«, fragte die Frau. »Und die Kutsche? Was wird damit?«

»Darum wird sich der Postagent kümmern. Aber wenn ihr nicht wollt, dann wartet hier.«

»Ich gehe mit«, entschied der zweite Mann.

»Natürlich«, schimpfte die Frau, »mich würdet ihr auch allein in der Wildnis sitzen lassen! Bei Nacht und Nebel. Ihr seid zwei Typen.«

Der ältere Mann hob das Gewehr des Kutschers auf, das neben dem Toten lag. Sie gingen zur Straße. Die Frau folgte ihnen und schrie: »Nun rennt wenigstens nicht so!«

Sie warteten und ließen sie zwischen sich gehen.

»Die Halunken sind nach Süden«, sagte der ältere Mann. »Seit neuestem soll es auch da hinunter eine Telegrafenverbindung geben. Hat die Wells Fargo eingerichtet, die bald von Pecos zur Grenze Postkutschen fahren lassen möchte.«

»Na und?«, fragte die Frau.

»Könnte gut sein, dass eine telegrafische Nachricht schneller in einer Stadt vor dem Rio Grande ist als die Halunken selbst. Ich wünsche das denen jedenfalls.«

»Woher willst du denn wissen, dass sie Richtung Rio Grande reiten, Owen?«, staunte die Frau.

»Du hast in El Paso den Namen Doug Warrior gehört, aber sonst nichts, was?«

»Ich habe gehört, dass er ein berüchtigter Bandit und achthundert Dollar wert ist. Tot oder lebend.«

»Und dass er seit Wochen hier unten im Süden sein Unwesen treibt und am Rio Grande in der Brasada vermutet wird«, setzte der andere Mann hinzu.

»Aber sie haben ihn bisher ohne Erfolg gesucht. Selbst Texas Rangers sollen ihn nicht gefunden haben.«

»Kein Wunder«, sagte Owen, der ältere Mann. »Er braucht ja nur über den Fluss nach Mexiko zu reiten, dann dürfen ihm die Beamten nicht mehr folgen. Und daran halten die sich strikt!«

»Wo war er eigentlich früher?« Die Frau blickte auf den Älteren.

»Zuerst in Nebraska, dann in Dakota und eine Zeit in Oklahoma. Er soll überall nur einige Monate sein Unwesen getrieben haben und dann sehr schnell verschwunden sein.«

»Dann wird er sicher bald in Arizona aufkreuzen«, vermutete die Frau. »Habt ihr ihn richtig angesehen? Er hat rotes Borstenhaar und funkelnde Augen. Wie ein Wolf! Ungeheuer interessant. «

»Komisch.« Owen blieb stehen.

Die Frau verharrte ebenfalls und wandte sich um.

»Die haben dir ganz schön mitgespielt, Linda. Aber trotzdem findest du noch Gefallen an ihnen. Soll ich dir was sagen? Du hast dich gern vor denen ausgezogen. Du warst höchstens in Sorge, dich könnte eine verirrte Kugel treffen.«

»Wir wollen weitergehen und die Nachricht durchgeben lassen!«, verlangte der andere. »Vielleicht schnappt man sie diesmal tatsächlich, bevor sie in der Brasada verschwinden!«

»Vorausgesetzt, sie reiten wirklich in eine Stadt, über die der Draht verläuft«, schränkte die Frau ein.

»Die fette Beute begießen solche Halunken sicher.« Owen lief weiter. »Davon bin ich überzeugt.«

»Hat man in El Paso nicht auch erzählt, dass sie oft alle Männer getötet haben, auf die sie bei ihren Raubzügen stießen?«, fragte die Frau. »Mir ist es, als hätte ich so was läuten hören.«

»Man hat erzählt, dass sie jeden Widerstand brechen«, erklärte Owen. »Deshalb haben wir uns doch nicht gewehrt. Aber der Verlust unseres Kapitals ist auch verdammt hart. Und wenn die Post wirklich Ersatz leistet, können darüber Wochen vergehen.«

*

Kurz nach Sonnenaufgang erreichten die drei Banditen den ausgetrockneten Wildhorse Creek und sahen vor den Hügeln der Tierra Vieja Mountains das Nest Lobo.

»Hier waren wir noch nie, was, Doug?« Gretty blickte aus zusammengekniffenen Augen auf die Häuser, die östlich von ihnen lagen.

»Nein«, erwiderte der Bandenführer.

»Dann wollen wir uns mal im Saloon einen genehmigen und hoffen, dass ein paar vernünftige Mädchen da sind.«

Sie hatten einen Bogen geschlagen, um in den Ausläufern der Big Bend ihre Spuren zu verwischen. Dennoch schaute Warrior erst noch einmal zurück.

»Wir sind fünfzehn Meilen geritten«, murmelte Tracy. »Du denkst doch nicht, es käme uns jemand nach?«

»Wir haben keinen Grund, leichtfertig zu werden.«

»Mach keinen Ärger!«, schimpfte Gretty. »Zu unserer Hütte in der Brasada kommen wir noch früh genug. Ich habe keine Lust, mich mit dem vielen Zaster in der Tasche gleich wieder zu verkriechen.«

»Ich auch nicht«, stimmte Tracy zu. »Nur ein paar Stunden, Doug! Bis Mittag.«

»Es wäre aber vernünftiger, wenn wir morgen nach El Cuervo in Mexiko reiten, als heute hier in ein Nest.«

»Nach El Cuervo reiten wir doch trotzdem.« Tracy grinste. »Was soll sonst mit dem vielen Zaster werden?«

»Also gut. Aber nicht länger als zwei Stunden!« Douglas Warrior gab seinem Pferd die Sporen und folgte dem ausgetrockneten Creekbett weiter nach Osten.

Die Häuser bestanden aus weißem Adobelehm. Vulkanfelsen, und hohe Saguarokakteen standen in dem Sandland rund um das Nest. Eine Straße führte schnurgerade nach Norden hinauf. Dass neben ihr ein paar nicht sehr hohe Pfähle mit einem Draht darauf verliefen, übersahen die Banditen möglicherweise deswegen, weil sie von der tiefstehenden Sonne geblendet wurden.

Nach einer halben Stunde erreichten sie die kleine Stadt und hielten vor dem Saloon.

»He, Barn, Gäste!«, rief ein Mädchen, das aus dem Obergeschoss des schmalen Hauses herabschaute.

»Hallo!« Tracy winkte nach oben. »Bist du allein, oder gibt es noch ein paar von deiner Sorte?«

»Für euch sind wir genug.« Das Mädchen hatte rotblonde Haare und grüne Augen.

Warrior schaute sich um. Schräg gegenüber entdeckte er eine bulligen Mann, der einen großen Hut auf dem quadratischen Schädel trug, ausgebeulte Hosen, ein kariertes Hemd und daran einen Stern, der beachtlich groß erschien.

Am Mittelfenster im Obergeschoss tauchten zwei weitere Mädchen auf. Sie hatten braunes Haar und ebensolche Augen. Das Gesicht der einen war rund und einfältig im Ausdruck, das der anderen lang wie das eines Pferdes.

»Na, was sagt ihr nun?«, fragte die Rotblonde.

»In Ordnung«, erwiderte Tracy.

Von drinnen wurde eine Klappe über der Tür geöffnet. Danach entfernte der dicke Keeper eine lange Kette, die mehrmals um die Mittelpfosten der Schwingflügel geschlungen diese über Nacht zusammenhielt. Der Mann sah mürrisch aus. An dem frühen Geschäft schien ihm absolut nichts zu liegen. Er war etwas über fünf Fuß groß und vermochte seine derben Schnürschuhe über den Bauch hinweg sicherlich nicht zu sehen. In seinem Gesicht standen Wasseraugen über Tränensäcken, und ein schwabbeliges Doppelkinn hing darunter.

Tracy und Gretty stiegen ab.

Warrior schaute sichernd die Straße hinauf.

Ein paar Männer tauchten vor ihren Häusern auf, streckten sich und gähnten.

»Die kriechen alle erst aus den Nestern«, sagte Gretty. »Was hast du denn, Doug?«

»Ich weiß auch nicht. Werde das Gefühl nicht los, dass etwas in der Luft liegt.«

»Na was ist nun mit euch?«, rief das rothaarige Mädchen drinnen. »Wir sind schon da!«

»Komm, mach keinen Ärger, Doug!«, drängte Tracy. »In Ordnung, wir fassen uns kurz. In zwei Stunden sind wir wieder unterwegs!«

Widerwillig saß Warrior ab und folgte seinen Komplizen, die den Fußweg betraten und sich hintereinander durch die Schwingtür schoben.

»Ich bin Dag«, verkündete drinnen das Mädchen. »Und das sind Marion und Memel. Wir haben noch ein Mädchen hier. Sheila. Aber sie schläft noch.«

An der Schwingtür schaute Warrior sich noch einmal um.

Der Hilfssheriff stand immer noch vor seinem Office und schaute herüber.

Rückwärts schob Warrior sich hinein und drehte sich um.

Der dicke Keeper rückte hinter dem Tresen mit Gläsern ein bisschen sinnlos herum und fluchte verdrossen in sich hinein.

Warrior warf fünf Dollar auf den Tresen. Sie sprangen noch einmal in die Höhe, klimperten laut und rollten umeinander.

Das Gesicht des Keepers hellte sich auf, als wäre er plötzlich ins Sonnenlicht geraten.

»Und noch fünf für die Mädchen.« Warrior wiederholte das Spiel.

»Wir sind aber drei«, sagte Dag. »Wie sollen wir zu dritt fünf Dollar teilen? Los, leg noch einen drauf!«

Warrior ließ sich nicht lumpen. Der elfte Dollar rollte klimpernd über den Tresen.

Barn schenkte ein.

»Essen würden wir auch was. Solche Steaks, wenn es geht!« Tracy legte beide Hände aneinander, um die Größe anzudeuten, an die er dachte.

Das Gesicht des Keepers verschob sich wieder. »Ist noch kein Feuer im Herd«, maulte er.

»Dann machst du welches.« Warrior warf noch drei Dollar auf den Tresen. »Lass die Flaschen stehen, wir bedienen uns inzwischen selbst.«

Barn vereinnahmte das herumliegende Geld, aber bevor er es verschwinden lassen konnte, griff ihm Dag in die Hand.

»Sechs gehören uns. Könnte dir so passen, die auch mit zu kassieren.«

Barn fluchte und steckte das andere Geld in die Hosentasche. Schwerfällig walzte er zur Küchentür.

Warrior betrachtete die Mädchen. Es handelte sich durchweg um magere Geschöpfe, die etwa im gleichen Alter sein mussten; so um sechsundzwanzig. Sie trugen bodenlange, schwarze Kleider, an die man silbern schillernde Perlen genäht hatte und deren Ausschnitte bis zu den breiten Lackgürteln reichten.

Dag strahlte Warrior an und kam an seine Seite. »Bist ein bisschen schüchtern, wie?«

»Wer sagt dir denn das?«

»Hab ich im Gefühl. Wie heißt du?«

»Douglas.« '

»Und deine Freunde?«

»Jim und John.« Warrior zeigte zuerst auf Gretty, dann auf Tracy.

»Unsere Namen hast du ja gehört. Also lasst uns darauf anstoßen, Kinder!« Dag verteilte die Gläser, die Warrior füllte. Sie stießen alle miteinander an und tranken.

»Wer hätte gestern abend geglaubt, dass der neue Tag so feucht anfängt, Kinder!« Memel, das Mädchen mit dem langen Pferdegesicht, strahlte Gretty an, umarmte und küsste ihn, griff nach einer Flasche und goss den scharfen Whisky wie das pure Wasser in sich hinein.

Gretty lachte polternd und schlug mit der Faust auf den Tresen. »Los, Kinder, zeigt uns was!«

Marion lief in den dunkleren Hintergrund und stellte das Orchestrion an. Tracy lachte schallend, summte die Melodie mehr laut als richtig mit und begann vor dem Tresen zu tanzen. Die Mädchen drehten sich mit schwingenden Kleidern um ihn herum.

Gretty sprang auf einen Tisch und zeigte, dass er es noch besser konnte. Nur Warrior stand noch am Tresen und fluchte leise vor sich hin, weil er wieder nachgegeben hatte.

Er kannte sie doch, wusste, dass sie grundsätzlich über die Stränge schlugen. Sie mussten sich deswegen auch nicht erst besaufen, sondern stiegen immer gleich voll ein, wenn sie nur die Füße in einen Saloon gesetzt hatten.

»He, Doug, mach mit!« Tracy kletterte auf den nächsten Tisch, hob Marion zu sich hinauf und drehte sich mit ihr zu den dröhnenden Orchestrionklängen.

»Jim, mach Platz, ich komme!« Memel raffte ihren Rock hoch und sprang juchzend auf einen Stuhl und dann auf den Tisch.

Gretty hielt sie fest und sprang, als sie Halt gefunden hatte, mit ihr wild über den Tisch.

»Das wird aber teurer, wenn ihr alles ramponiert!«

Warrior blickte über die Schulter. Der Keeper stand wieder hinter dem Tresen.

»Mach keinen Ärger, Barn«, sagte Dag. »Das sind Cowboys, die mal auf den Putz hauen wollen. Stimmt doch, Douglas?«

»Stimmt genau. Wir haben eine Herde für einen mexikanischen Haziendero nach Waco gebracht und sind auf dem Rückweg.«

»Nur drei Mann?« Der Keeper zog die Brauen hoch.

»Es waren doch nur fünfzig Rinder.« Warrior schenkte sich und dem Mädchen wieder ein.

Gretty trat in diesem Moment neben den Tisch und stürzte ab. Er landete zuerst auf einem Stuhl, der berstend in die Brüche ging, dann lag er auf den Dielen. Staub stieg sichtbar hinter dem Tisch empor.

»Das gibt verdammt viel Kleinholz«, schimpfte der Keeper.

Da öffnete sich die Schwingtür. Der bullige Hilfssheriff tauchte auf, die rechte Hand über dem Revolverkolben und den großen Hut tief in die Stirn gezogen.

Warrior warf eine ganze Handvoll Münzen auf den Tresen. »Wir bezahlen jeden Schaden!«

Gretty, Tracy und die Mädchen blieben stehen. Im Hintergrund hämmerte noch immer das Orchestrion.

»Alles klar, Barn?«, fragte der Sheriff barsch.

Der Wirt zog das Geld auf dem Tresen zusammen.

»Der Sheriff muss in alles seine Nase stecken«, sagte Dag. »Ziehen Sie Leine, Winter, Sie sind überflüssig!«

Die Hand des Gesetzeshüters entfernte sich vom Coltkolben.

»Wir kommen schon zurecht«, erklärte der Keeper finster.

Sheriff Winter blickte noch einmal von einem der drei Banditen zum anderen, als wollte er sich deren Gesichter einprägen. Dann wandte er sich ab und verschwand.

Warrior wandte sich um. »Wir sollten verschwinden.«

»Du fängst aber komisch Krach an!« Dag hängte sich an seinen Arm und gab ihm ein volles Glas in die Hand. »Bist doch gerade erst zur Tür herein!«

Gretty, Tracy und die beiden Mädchen begannen wieder auf den Tischen zu tanzen.

Der Keeper ging brummend in die Küche.

Dag küsste Warrior. »Wenn ihr gegessen habt, gehen wir auf mein Zimmer, einverstanden?«

Der Bandenführer blickte zur Tür.

Das Gefühl der Unsicherheit überfiel ihn immer mehr.

Gretty stürzte abermals vom Tisch, kam aber diesmal mit den Beinen auf. Er zog sein Mädchen herunter und begann es unter dem Gelächter der anderen auszuziehen.

An der Galeriebrüstung im Obergeschoss tauchte das vierte Mädchen auf und schaute herunter. Es war groß und schlank, hatte hellblonde, lange Locken und große, graue Augen. Im Gegensatz zu den drei anderen trug es ein rotes Kleid mit kurzen Ärmeln, das nur bis zu den Knien reichte.

»Das ist Sheila«, sagte Dag laut.

Sie blickten alle hinauf.

»Ihr seid ziemlich laut!«

»Na und?« Marion stieg wieder auf den Tisch und begann allein weiter zu tanzen und sich des Restes ihrer Unterwäsche zu entledigen, wozu Gretty noch nicht gekommen war.

Warrior trieb die Unruhe an die Schwingtür.

Marion tanzte und sang, das Orchestrion dröhnte und die beiden Banditen begannen rhythmisch zu klatschen.

»Douglas, was ist denn los mit dir?«, rief Dag am Tresen.

Warrior sah den Hilfssheriff auf der anderen Straßenseite und eine Gruppe weiterer Männer mit Gewehren in den Händen. Und in der nächsten Sekunde fiel ihm auch der Pfahl vor der Poststation und der daran befestigte Telegrafendraht auf.

Eiskalt lief es dem Banditen über den Rücken.

Hinter ihm lachten die anderen.

»Douglas, komm doch her!«, bettelte Dag. »Los, wir kippen noch einen hinter die Binde.«

»Jim, John!«, brüllte Warrior.

Die Banditen stutzten.

»Seht euch das an!«

Da stürzten sie zu ihm und sahen die Menschen auf der anderen Straßenseite, sahen ihre Gewehre und die Blicke, die dem Saloon galten.

»Der Sheriff kam nur herein, um uns genau anzusehen«, sagte Warrior. »Wir haben etwas nicht beachtet. Es gibt hier einen Telegrafen. Als wir ankamen, wussten sie vielleicht schon, was ziemlich weit im Norden passiert ist.«

»Verdammt«, zischte Gretty.

»Was tuschelt ihr denn?«, fragte Marion, die vom Tisch stieg und ihre Kleidungsstücke zusammensuchte.

»Hauen wir ab«, schlug Warrior vor. »Jetzt können wir sie vielleicht noch übertölpeln. Wenn sie erst die Kneipe umstellt haben, geht es bestimmt nicht mehr.«

Der Keeper tauchte in der Küchentür auf und fragte: »Wollt ihr die Steaks kurzgebraten oder anders?«

Keiner der Kerle antwortete. Die Mädchen standen bleich am Tresen und wussten nicht, was sie sagen sollten. Sie ahnten, dass etwas in der Luft hing.

»Beim Sheriff versammeln sich die Männer der Stadt mit ihren Gewehren«, sagte Sheila im Oberstock. »Ich wette, das gilt euren Gästen.«

»Vorwärts!« Warrior zog den Colt und verließ den Saloon.

Gretty und Tracy stürzten hinter ihm her, hatten ebenfalls die Revolver gezogen und eröffneten mit dem Bandenführer gemeinsam das Feuer auf die Leute vor dem Office. Sie schossen ungezielt und schnell in den Pulk hinein und entfesselten Panik unter den überraschten Männern.

»Deckung!«, rief der Hilfssheriff, sprang selbst ins Haus zurück und hob das Gewehr.

Ein Verletzter stieß einen gellenden Schrei aus. Mehrere Männer ließen sich fallen. Ein paar liefen Hals über Kopf davon.

Eine Fensterscheibe zerklirrte. Scherben flogen durch das Office. Die Pferde vor dem Saloon wieherten und versuchten sich loszureißen.

Da standen die Banditen schon zwischen ihnen, banden sie los, jagten die letzten Kugeln aus den Colts und warfen sich in die Sättel.

»Holt sie von den Gäulen!« Hilfssheriff Winter trat wieder aus dem Office und wollte das Gewehr heben.

Aber ein paar sich erhebende Männer behinderten ihn, weil sie vor ihm standen. Er fluchte, schob sie zur Seite und hob das Gewehr erneut an.

Die drei Banditen galoppierten die Straße hinunter.

Winters Kugel pfiff ihnen nach, lag aber eine Handbreit zu hoch, so dass sie Warrior über den Kopf heulte. Auch die anderen Männer schossen in die nun aufwirbelnde Staubwand hinein.

Nach einigen Sekunden krachten alle in der kleinen Stadt vorhandenen Gewehre.

Doch da befanden sich die Banditen bereits am Ende von Lobo und waren in der Staubwand nicht mehr zu sehen.

»Sie waren es.« Sheriff Winter ließ sein Gewehr leise fluchend sinken.

»Wir hätten zuerst einmal die Pferde kassieren müssen!«, schimpfte der Schmied, ein herkulischer Mann mit einer nagelneuen Winchester 73 in den Händen.

»Blödsinn, dann hätten die den Braten gleich gerochen!« Winter lud sein Gewehr nach.

»Haben sie so auch.«

Barn und seine bleichen Mädchen wagten sich aus dem Saloon.

»Die hatten Steaks bestellt«, sagte der Keeper konfus. »Und so schlimm war es doch gar nicht. Cowboys sind ein bisschen laut und direkt. Das weiß doch jeder.«

Der Postagent kicherte. »Heute steht Barn mal wieder mit zwei Füßen auf dem Draht!«

»Wenn er ein Geschäft wittert, schaltet bei ihm alles andere ab«, entgegriete der Schmied. »Das ist doch immer so.«

Hilfssheriff Winter zog den Postagenten beiseite. »Das musst du durchgeben. Genügt aber, wenn du tickst, dass die Bande hier gesehen wurde.«

Der Postagent grinste. »Damit wir nicht so armselig dabei außehen, was, Sheriff? In Ordnung, ich mache es kurz.«

Hilfssheriff Winter überquerte die Straße und erklärte Keeper Barn und seinen bleichen Mädchen, was er wusste.

»Wollen wir die Halunken denn nicht verfolgen?«, fragte jemand auf der anderen Straßenseite.

Winter ging zurück. »Wir können es versuchen. Aber viel Hoffnung habe ich nicht, dass wir die Spuren lange sehen.«

Der Schmied schüttelte den Kopf. »Die tauchen in der Brasada unter. Dort könnten wir suchen, bis wir schwarz werden. Das haben doch andere vor uns mehr als genug erfahren.«

»Vielleicht gehen sie sogar über den Rio Grande«, vermutete der Hilfssheriff. »Dorthin dürften wir uns mit einem Aufgebot ohnehin nicht wagen.«

*

Der Reiter näherte sich von Norden dem kleinen Nest vor den Hügeln, von dem aus der Weg bis in die Brasada am Rio Grande noch ganze zehn Meilen betrug.

Alles an dem Mann sah schwarz aus; die Jacke, die Röhrenhose, der Hut, die Stiefel, sein Haar und seine glimmenden Augen. Selbst der Rappe hatte ein besonders tiefschwarzes Fell.

»Victor McCleef«, murmelte Sheila, das Saloonmädchen mit den langen Blondhaaren und den großen blauen Augen. Sie stand zwischen den anderen Mädchen und einigen Männern, zu denen auch der Sheriff gehörte, vor dem Saloon.

»Was is das für ein Typ?«, forschte Winter.

»Ein Kopfgeldjäger.«

»Sieht man doch«, brummte der Schmied. »Das ist die Reaktion auf die Durchgabe, dass Warrior hier war. Achthundert Bucks haben sie auf seinen Kopf ausgesetzt!«

»Den Kopf hab ich geküsst!« Dag lachte. »Ist das nicht komisch?«

Missbilligende Blicke trafen das Mädchen und ließen es rückwärts in den Saloon gehen.

»Die ist dumm wie ein Karren voll Stroh«, maulte der Postagent.

Indessen ritt der schwarze Mann schon zwischen die Häuser, erreichte den Saloon und zügelte den Rappen. Er hatte ein hageres, hartes Gesicht und kalte Augen. Als er die doppelreihige Jacke wegen der Gluthitze öffnete, waren eine mexikanische Weste mit schöner Silberstickerei und eine goldene, dünne Uhrkette darüber zu erkennen.

Hilfssheriff Winter trat vor die anderen Leute.

»Ich bin wegen Warrior hier, Sheriff. McCleef ist mein Name. Erzählen Sie mir, was Sie von ihm wissen.« Der Kopfgeldjäger stieg ab und betrat den Fußweg. »Bei einem Whisky, versteht sich!«

Barn lief vorneweg und ließ seine Mädchen die Schwingflügel aufhalten. Er polierte den Tresen, stellte eine Batterie Gläser bereit, entkorkte eine Flasche guten Whisky aus Ohio und wartete.

McCleef blieb ihm gegenüber stehen. »Für alle, die einen guten Schluck schätzen!«

»Den schätzt hier jeder, Mister McCleef.«

»Dann für alle.«

»Auch für uns?«, fragte Dag.

»Ich sagte doch, für alle.« McCleef blickte auf Sheila. »Kann es sein, dass wir uns kennen?«

»Ja, Victor.« Sheila trat an seine Seite und schaute ihn so kalt und taxierend an wie er sie.

»Woher?«

»Irgendwoher. Es ist nicht wichtig.«

»Vielleicht doch. Los, heraus damit!«

»Nein, es ist unwichtig. Es war nur flüchtig, dass wir uns kannten. Bedeutungslos.« Sie drehte sich um, verließ den Kreis um den Kopfgeldjäger und stieg die Treppe hinauf.

Der Keeper schenkte Whisky ein, und rechts und links des Kopfgeldjägers griffen die Händen nach den Gläsern.

»Also dann!« McCleef trank sein Glas auf einen Zug leer und schaute wieder irritiert die Treppe hinauf. »Ist sie schon lange hier?«

»Erst seit ein paar Wochen«, erwiderte Dag. »Kam von Kansas herunter, soviel ich weiß.«

»Irgendwoher muss ich sie kennen«, murmelte der Mann. Dann jedoch verdrängte er den Gedanken, zog den Hilfssheriff neben sich und sagte: »Schießen Sie los, Mister.«

»Es gibt nicht viel zu erzählen. Wir bekamen am frühen Morgen die Nachricht vom Überfall auf eine Postkutsche im Norden und nur eine knappe Stunde später den Besuch von drei Reitern, die hier im Saloon anfingen, die Puppen tanzen zu lassen. Da las ich mir den Steckbrief von Warrior noch mal genau durch, ging hinüber und schaute mir die Kerle an. Kein Zweifel, die waren es. Aber bevor wir zugreifen konnten, müssen die den Braten gerochen haben. Sie stürzten heraus, schossen, was das Zeug hielt und flüchteten.«

»So war es«, stimmte der Postagent zu. »Wir kamen nicht mal dazu, unsere Gewehre zu holen.«

»Interessiert mich auch nicht. Habt ihr versucht, sie zu verfolgen?«

»Das hat keinen Sinn«, knurrte der Hilfssheriff. »Haben vor uns Texas Rangers und der County Sheriff mit zwanzig Mann alles probiert. Erfolglos.«

McCleef grinste geringschätzig. »Ich werde Ihnen den Halunken bringen, für den es die Bucks gibt. Kümmern Sie sich darum, dass ich die achthundert Dollar mitnehmen kann, wenn ich die Gegend verlasse. Keeper, noch eine Runde.«

Der Wirt schenkte sofort erneut ein.

»Es kommt schon wieder ein Reiter!«, rief vor der Tür ein Mann. »Noch ein Fremder!«

»Manchmal sind sie wie die Schmeißfliegen, wenn sie Geld riechen«, stieß McCleef scharf hervor. »Aber in der Regel zerstören sie nur die Spuren und handeln sich Kugeln in die dummen Köpfe ein. Also, trinken wir den noch.«

Die Männer griffen zu. McCleef goss sich den Whisky in den Mund und warf das Glas ins Spülbecken. Er verließ den sich öffnenden Kreis und trat aus dem Saloon.

*

Der zweite Fremde, ein sehr großer, breitschultriger Reiter, hatte die Stadt bereits erreicht. Er trug Levishosen, ein sandfarbenes Hemd mit großen Taschen und Schulterklappen darauf und einen flachen Hut von exakt der gleichen Farbe. Sein braunes Pferd war groß und stämmig.

McCleef trat an die Kante des Bretterfußwegs und schlug die doppelreihige Jacke zurück. Sein schwarzer Patronengurt mit der tiefgeschnallten Halfter und dem schweren Colt 45 darin wurde sichtbar.

Der andere Reiter parierte den Braunen und lenkte ihn quer zur Fahrbahn. Sie maßen sich mit einem scharfen, schnellen Blick und wussten beide, was sie voneinander zu halten hatten.

»Ich bin Victor McCleef«, sagte der Kopfgeldjäger schleppend. »Und ich war zuerst hier.«

»Mein Name ist John Cutler.« Der große Reiter saß ab. Auch er trug einen breiten Patronengurt, allerdings von hellbrauner Farbe, und wie McCleef einen Peakemaker in der Halfter.

»Wenn du was essen und trinken willst, dann geh hinein, Cutler. Aber dehne es nicht zu lange aus!«

Cutler lächelte dünn. »Ich bin hinter Warrior her.«

»Ich weiß.«

»Du auch, McCleef, was?« Es klang wie eine Feststellung. »Mir ist das gleichgültig.«

»Aber mir nicht. Und ich war zuerst hier. Warrior gehört mir!«

»Wenn du ihn fangen kannst, gehört er dir, richtig, McCleef. Aber ich reite deswegen nicht wieder weg.«

Ein Raunen ging durch die Menge, die sich hinter McCleef gesammelt hatte. Die Männer traten nach den Seiten, um aus einem möglichen Schussfeld zu gelanden.

»Bist noch neu in dem Job, was?« McCleef gab sich noch verächtlicher als vorher. »Kennst den Kodex nicht?«

»Ich habe davon gehört, kann aber nicht umkehren.«

Hohn blitzte in den Augen des Kopfgeldjägers. »Jetzt redest du, als hätte ich es mit einem Sheriff, einem Staatenmarshal oder einem Texas Ranger zu tun, Cutler.«

»Sind Sie ein neuer Texas Ranger?«, rief der Sheriff.

»Nein.«

»Oder schickt Sie der County Sheriff?«

»Nein.« Cutler ging auf den Fußweg zu und stieg die beiden Stufen hinauf.

McCleef war einen Schritt zurückgetreten und verharrte so mit leicht gespreizten Beinen, die Schwingtür genau hinter sich. Er schüttelte den Kopf. »Bist du dickfällig, Amigo!« Dann schlug er schnell zu.

Cutler wurde dennoch nicht überrascht. Er stieß den Unterarm nach oben und lenkte die Faust über seinen Kopf hinweg. Unter den Ellenbogen hindurch schlug er mit der Rechten zu und traf das Kinn des Kopfgeldjägers.

McCleef taumelte. Cutler setzte nach und trieb den schwarzen Mann mit dem nächsten Hieb in die Kneipe hinein. Die aufschwingenden Türflügel schmetterten gegen die Wände.

»Haut mir nicht alles kurz und klein!«, jammerte der Keeper. »Himmel, das ließ sich doch zuerst so gut an!«

Cutler setzte dem Kopfgeldjäger nach. Aber McCleef wich nach links aus, schnappte einen Stuhl an der Lehne, wirbelte ihn hoch und herum. Cutler konnte so schnell nicht weit genug zurückspringen. Er wurde von den Stuhlbeinen getroffen und taumelte. Als er am Tresen Halt fand, hatte McCleef den Revolver an der Hüfte angeschlagen und spannte gerade den Hammer.

Totenstille herrschte im Saloon. Die Männer der Stadt blickten zu den Fenstern herein und drückten sich die Nasen platt. Die Mädchen pressten die Rücken gegen die Wand. Der Keeper ging hinter dem Tresen in Deckung. Sheila stand auf der Treppe in halber Höhe und blickte interessiert herunter.

»Wenn du jetzt schießt, ist es Mord, McCleef«, sagte das hellblonde Mädchen mit den langen Locken. »Und ich werde als Zeugin gegen dich aussagen. Er hatte keine Chance, auch seine Waffe zu ziehen!«

»Warrior gehört mir!«, stieß McCleef hervor. »Ich war als erster hier, Cutler! «

»Tut mir leid, ich kann wirklich nicht wegreiten.«

»Warum nicht? Wer schickt dich?«

»Tut mir leid, das kann ich nicht sagen.«

»Du bluffst nur!« Der Colt in der Hand des Kopfgeldjägers zuckte.

»Ich warne dich, Victor!«, mahnte die Frau auf der Treppe.

Sie irritierte ihn mehr, als er wahrhaben wollte und er musste aus den Augenwinkeln immer wieder auf sie schauen. Dabei ließ er Cutler zu sehr aus den Augen, und sein Colt kam aus der Richtung.

Cutler trat gegen den Stuhl, der auf dem Boden lag. Das Möbel flog in die Höhe und dem Kopfgeldjäger entgegen, und traf mit einer Kante die Hand mit der Waffe. Mit einem Satz war Cutler hinterher und setzte McCleef die Faust gegen die Stirn.

Der Kerl flog über den nächsten Stuhl hinweg und landete auf dem Rücken. Cutlers Stiefel traf sein Handgelenk. Seine Finger öffneten sich. Der Revolver polterte auf die Dielen. Cutler zog ihn hoch und beförderte ihn durch die Tür. Ein Kinnhaken hob McCleef förmlich in die Luft. Mit rudernden Armen trat er ins Leere und stürzte auf die Straße. Staub quoll empor.

Die Männer entfernten sich weiter.

Cutler bekam von Sheila den Revolver des Kopfgeldjägers gebracht, entlud ihn und warf ihn hinter dem Mann her. Er fiel McCleef auf die mexikanische Weste, aus deren aufgesetzter Tasche eine goldene Uhr mit Sprungdeckel gerutscht war und an der goldenen Kette pendelte.

»Verschwinde, McCleef!«

Der Kopfgeldjäger rappelte sich auf, schob den Colt in die Halfter und die wertvolle Uhr in die Tasche. Deutlicher als vorher waren die scharfen Linien in seinem Gesicht zu erkennen und ließen sein Alter besser bestimmen. Cutler schützte ihn auf vierzig. McCleef gehörte damit zu den alten Männern in seinem gefährlichen Beruf und schien es ziemlich nötig zu haben, dass er den hohen Einsatz noch wagte.

McCleef band seinen Rappen los, saß auf und ritt, ohne noch etwas zu sagen, die Straße nach Süden hinunter.

»Der gibt nicht auf«, murmelte Sheila.

»Ich weiß.«

»Warum lässt du ihn dann wegreiten?«

»Weil ich nicht die Macht besitze, ihn an etwas zu hindern, was er sich nun mal in den Kopf gesetzt hat.« Cutler drehte sich um und ging in den Saloon zurück.

Sheila folgte ihm. Der Keeper war wieder aufgetaucht und betrachtete missmutig den Schaden. Die drei Mädchen wagten sich zum Tresen herüber.

Hilfssheriff Winter und die Leute der Stadt betraten nach und nach den Saloon.

»Wer sind Sie denn nun?«, fragte der Hilfssheriff barsch.

»John Cutler. Sagte ich doch schon.«

»Und wer schickt Sie?«

Cutler dachte an seine Auftraggeber, die genau genommen in der Regierung saßen. Aber sie legten größten Wert auf Diskretion, weil sie in die Kompetenzen der Bundesstaaten und -territorien hinsichtlich deren Polizeihoheit gar nicht eingreifen durften.

Dennoch taten sie es über einige geheime Organisationen, die man dort einsetzte, wo die Instanzen der einzelnen Bundesstaaten ganz offensichtlich versagten. So wie hier, wo der County Sheriff und die Texas Rangers vergebens Jagd auf eine beinahe lächerlich kleine Bande machten, die ihnen regelmäßig durch die Finger schlüpfte, und die schon in anderen Bundesstaaten ihr Unwesen trieb.

»Sie müssen verdammt lange überlegen«, sagte der Sheriff grollend. »Sind am Ende doch nur ein Kopfgeldjäger.«

»Denken Sie, was Sie wollen, Sheriff.« Cutler drehte sich um, weil er die Debatte ohne Erklärung beenden musste.

Winter blickte auf die anderen Männer um sich herum. Sie zuckten mit den Schultern.

Der Stallmann drängte sich neben Cutler. »Bleiben Sie heute hier, oder ziehen Sie auch gleich wieder ab?«

»Wann waren die Banditen hier?«

»Vor fünf Tagen, Mister.«

Cutler schaute hinaus. Die Schatten der gegenüberliegenden Häuser reichten bereits weit auf die Straße hinaus.

»Es wird bald dunkel«, sagte Sheila und berührte seinen Arm. »Viel Zeit kannst du bis morgen früh nicht verpassen.«

»Die Brasada erreichen Sie sowieso nicht, Mister«, drängte der Stallmann. »Und ich nehme den Gaul mit zu mir hinüber und füttere ihn ordentlich. Kostet Sie nur einen halben Dollar.«

Cutler drückte dem Mann das geforderte Geld in die Hand. Dann schaute er den Keeper an. »Also was Gutes zu essen, einen Whisky und ein Zimmer.«

»Aus dem holst du nichts heraus, Sheriff«, brummte der Schmied.

*

Cutler wandte sich ab und suchte einen Tisch im Hintergrund neben dem Orchestrion auf, halbwegs schon von der nach oben führenden Treppe verdeckt.

Sheila kam ihm nach. »Ist es dir recht, wenn ich mich zu dir setze? Du kannst natürlich auch allein bleiben oder dir eins der anderen Mädchen aussuchen.«

Cutler rückte den Stuhl an der Seite etwas weg.

Sheila setzte sich.

»Wie war das, als die Banditen hier aufkreuzten?«, fragte Cutler.

Sheila erzählte, was sie wusste. Zuletzt sagte sie: »Meine drei Gefährtinnen sind um die herumgesprungen wie verrückt. Die haben das Geld in den Taschen der Kerle förmlich gerochen.«

»Und was riechst du bei mir?« Er lächelte sie an.

»Ärger mit McCleef«, erwiderte sie offen.

Cutler lehnte sich zurück.

Die Männer vom Tresen blickten zu ihm, verließen aber einer nach dem anderen schon den Saloon.

»Ärger mit McCleef«, wiederholte Cutler gedehnt. »Was gefällt dir denn daran?«

»Ich hasse ihn. Das heißt, ich habe ihn früher gehasst und wurde plötzlich daran erinnert, als er hier auftauchte.«

Cutler wartete. Der Keeper brachte den Whisky und für Sheila unaufgefordert einen roten Likör in einem langen, dafür sicher nicht bestimmten Glas. Er zog sich wieder zurück und sagte zu den Leuten am Tresen: »Wer nichts mehr verzehrt, soll sich hier nicht die Beine in den Bauch stehen!«

Da zogen auch die letzten ab, und mit ihnen Hilfssheriff Winter.

»Prost!« Sheila stieß mit Cutler an und trank.

Er beobachtete sie auch während er das große Glas anhob. Sie war auffallend hübsch. Eigentlich seltsam hübsch für diese Stadt, die mitten in der Wildnis wie am Ende der Welt lag. Sie schien obendrein auch noch intelligent zu sein, was man nicht von allen Saloonmädchen behaupten konnte.

»Was hast du?« Sie drehte das Glas immer noch in der Hand.

»Auf dein Wohl, Sheila!« Cutler trank das Glas zur Hälfte leer und stellte es ab.

Das Mädchen nippte nur an dem Likör.

»Ist er sehr stark?«

»Nein. Aber so süß, dass man andauernd befürchten muss, die Lippen würden zusammenkleben.« Sheila stellte das Glas ab. »Es war vor sechs Jahren in Julesburg. Dort lernte ich McCleef kennen. Er schien damals ziemlich abgebrannt zu sein. Ich spielte an einem von mir gemieteten Tisch. Damals war ich zweiundzwanzig und dachte, in ein oder zwei Jahren würde ich genügend Geld beisammen haben, um was ganz anderes anzufangen.«

Für einen Moment lächelte das Mädchen bei dem Gedanken, einmal weit oben gewesen zu sein. Dann verfinsterte sich ihr Gesicht jäh.

Cutler schaute sie an und schwieg ab wartend.

»Dann kam McCleef, setzte sich zu mir und wollte pokern. Innerhalb von drei Stunden nahm er mir alles ab. Ich war. schon blank, als ich bemerkte, wie er eine Karte aus dem Ärmel zog. Daraufhin schlug ich Alarm. Der Marshal tauchte auch sofort auf. McCleef wurde durchsucht und hatte keine versteckten Karten mehr bei sich. Sie waren ihm schon ausgegangen. Ich hatte es zu spät bemerkt.«

Cutler lehnte sich zurück. »Und weiter?«

»Ich konnte nichts gegen ihn werden. Niemand außer mir sah, wie er die letzte Karte hervorzauberte. Er nahm mein Geld und verschwand. Ich wurde für die angeblich falsche Behauptung erst einmal zwei Tage eingelocht. Danach musste ich mir Geld verdienen. Für Bahnfahrten und so. Ich kam mit zwei Wochen Verspätung nach Bear River City und erfuhr, dass McCleef dort an einen Spieler geraten sein sollte, der noch raffinierter war als er selbst. Mein Geld hatte den Besitzer indessen wieder gewechselt. Und der Mann, der es nun besaß, wusste bereits, dass mir kein Saloonwirt noch einmal einen Tisch vermieten würde. Er wusste aber bestimmt auch, dass McCleef ein Falschspieler war. Nur, darüber sprach er nicht.«

»Vielleicht handelte es sich bei diesem Mann um einen noch besseren Falschspieler.«

»Kann durchaus sein.« Sheila drehte das lange Glas auf dem Tisch spielerisch zwischen den Händen.

»Und dann?«

»Ich gab es auf und begnügte mich damit, McCleef dafür zu hassen und in die Hölle zu wünschen. Und irgendwann vergaß ich ihn. Bis er auftauchte. Aber er konnte sich an diese kurze Episode längst nicht mehr erinnern.«

»Tut mir leid, dass du den so greifbar erschienenen Absprung damals nicht geschafft hast, Sheila.«

Das Mädchen winkte ab. »Ich habe mich an den Job gewöhnt und finde ihn so schlecht auch wieder nicht. Leute, die den ganzen Tag herumrackern, sind übler dran. Und jetzt möchte ich von McCleef nicht mehr reden.«

*

Als sich die Tür öffnete, fiel diffuses Licht von der Galerie in das einfache, schmale Zimmer.

Cutler hatte wie automatisch nach dem Stuhl neben dem Bett gegriffen und den dort liegenden Colt erfasst. Er ließ ihn jedoch sofort wieder los, als er das Mädchen mit den blonden Locken erkannte.

»Ich bin es, Sheila. Schläfst du schon?«

Sie schien nicht sehen zu können, dass er sich bewegte.

»Nein.«

Sheila trat über die Schwelle und schob die Tür zu. Nun vermochte er ihr Gesicht nur noch als schemenhaft hellen Fleck zu sehen.

»Wie spät ist es denn?«

»Bald Mitternacht.«

»Dann muss ich mindestens eine Stunde geschlafen haben.«

Sheila trat an den Bettgiebel. »Ich habe dir ja gesagt, dass es noch eine Weile dauern würde. Barn räumt seine Kneipe und die Küche nie allein auf. Das müssen wir machen. Meistens wird es viel später. Die letzten Gäste sind heute unanständig früh nach Hause gegangen. Interessiert es dich, was die letzten am Tresen noch sprachen? «

»Nein, Sheila.«

Sie trat neben das Bett und setzte sich auf die Kante. »Es sollte dich aber interessieren. Sie redeten von dir.«

Sheila wartete anscheinend auf eine Reaktion von ihm. Er erwiderte jedoch nichts.

»Es interessiert dich wirklich nicht, was?«

Er lächelte, obwohl sie das kaum sehen konnte. »Nein, Sheila, wirklich nicht.«

»Sie stellten Mutmaßungen darüber an, ob du nun in irgendeinem höheren Auftrag unterwegs sein könntest, oder letzten Endes auch nur ein Kopfgeldjäger.«

»Dachte ich mir schon.«

»Der eine sagte, manchmal kämen Texas Ranger wohin, um was aufzuklären oder Banditen zu fangen und würden sich als Cowboys ausgeben. Er hätte das schon erlebt.«

»Ich bin kein Texas Ranger.«

»Ein anderer sagte, es würde in den Staaten eine private Polizei für spezielle Aufgaben geben, die Detektive ausschickt. Pinkerton war der Name, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Falls du mir nicht zu sehr auf den Geist gehen willst, hörst du davon auf, Sheila.«

Das Mädchen lachte leise, erhob sich und summte eine Melodie. Die Seide von Sheilas Kleid raschelte, als sie sich auszog. Ihr heller Körper ließ sich besser erkennen als das dunkle Kleid. Cutler meinte ihren Hals, die Schultern, die vollen Brüste und die schmalen Hüften zu sehen. Und doch blieb alles schemenhaft wie im Nebel.

»Rückst du ein bisschen zur Seite?«

»Hab ich schon getan, als ich ins Bett ging.«

Sheila setzte sich wieder auf die Bettkante. Cutler sah das Funkeln ihrer großen Augen, griff nach ihren Oberarmen und zog sie zu sich herunter, um sie küssen zu können.

Ihre Finger fuhren durch sein Haar und ihre schlanken Beine schlangen sich um seine.

»Hier unten ist es ziemlich ruhig, wenn nicht gerade ein paar Banditen die Gegend unsicher machen, Cutler. Ich meine, hierher kommen nur selten Fremde, die Abwechslung mitbringen. Und wenn welche kommen, sind es in der Regel finstere Typen, die über die Grenze verschwinden wollen. Einer wie du verirrt sich vielleicht in zwei Jahren nur einmal in so ein Nest wie Lobo.«

Er wusste, was sie damit andeuten wollte und bemerkte ihre zunehmende Erregung, die rasch auf ihn übergriff. Ihre Küsse brannten auf seinen Lippen, den Wangen und dem Hals. Sheila ließ sich langsam von ihm gleiten und führte seine Hand vom Gesicht über die Brüste zu den Schenkeln und flüsterte: »Komm, Cutler!«

*

Heiß brannte die Sonne auf das ausgedörrte Land. Die Luft flimmerte, dass es schien, als stünde Wasser zwischen den Hügeln und die Kakteen würden darauf schwimmen.

Cutler hatte den Spuren McCleefs ein Stück folgen können, sie dann jedoch auf dem harten Boden verloren. Dazu mochte der Kopfgeldjäger seinerseits beigetragen haben, indem er über steiniges Gebiet geritten und manchmal den Gräben gefolgt war, die nur nach heftigen Regenfällen Wasser führten.

Das Gelände wurde mehr und mehr zu einem unübersichtlichen Übergang in die Brasada, von der Cutler sich nur noch drei oder vier Meilen entfernt befinden konnte. Auch die Hügel flachten sich schon merklich ab.

Cutler hielt seine siebenschüssige Spencer in den Händen, zügelte den Braunen von Zeit zu Zeit, schaute sich um und lauschte.

Manchmal floh eine Antilope bei seiner Annäherung. Einmal sah er ein verwildertes Rind für ein paar Augenblicke im Gestrüpp. Menschen kamen ihm jedoch nicht zu Gesicht.

So drang er immer weiter nach Süden vor und erreichte gegen Mittag den ersten subtropischen Buschgürtel des Rio Grande-Landes. Lianen schlangen sich um die bemoosten Stämme und rankten sich an ihnen bis in die Kronen empor.

Ein Karrenweg, vorher kaum zu erkennen, schob sich in das grüne Dickicht und wies einen Weg, der durch diese muffig und schwefelhaltig riechende Hölle führte.

Cutler folgte ihm in dem Bewusstsein, dass viele Männer vor ihm auf der Suche nach Douglas Warrior diesen Weg geritten sein mussten. Erfolglos.

Ein paar waren nicht mehr zurückgekehrt. Er konnte der nächste sein, wenn er Pech hatte.

Fratzen schienen in den Dornenbüschen, im Salbei und hinter den Biberschwanzkakteen zu grinsen.

Das Schmatzen eines Sumpfes in der Nähe ließ den Braunen nervös werden. Cutler parierte das Tier. Als er einen Hufabdruck an einer weichen Wegstelle erkannte, zügelte er das Pferd. Er sprang ab, beugte sich hinunter und erkannte, dass es eine nicht sehr alte Spur sein musste. Vielleicht die von McCleefs Rappen oder einem Banditenpferd. Beides war möglich.

Cutler richtete sich auf und schaute auf das Gewirr von Bäumen und Büschen, Kakteen, Lianen, Moos und Gras, auf bunte Blumenpracht und feucht schimmernde Erde.

Hier war eindeutig im Vorteil, wer auf seinen Gegner wartete, niemals der, der ihn suchte. Die vielen wilden Tiere, die hier reichlich Beute und Lebensraum fanden, verrieten jeden Eindringling, der ihren Lebensrhythmus störte. Ein Versteckter musste nur aufpassen, wenn die Geräusche zunahmen und das Wild in die dichteren Büsche floh.

Diese Erkenntnis erklärte ihm zwar die Fehlschläge anderer Verfolger von Warriors lächerlich kleiner Bande, nicht jedoch, wie er sich anders als diese verhalten könnte.

Unerwartet öffnete sich das Dickicht vor ihm. Eine einzelne, vom Blitz bis zur Wurzel gespaltete Blutbuche stand auf Grasboden, den die Buschmauer umgab.

Da Cutler die Banditen nicht unmittelbar am Karrenweg wähnte, ritt er weiter. Aber kaum war er fünf Yards auf der Lichtung, wurde hinter ihm ein Gewehr repetiert.

Er zügelte das Pferd.

»Lass das Gewehr fallen!«, meldete sich Victor McCleef. »Na los, ein bisschen schneller, wenn ich bitten darf!«

Cutlers Hand öffnete sich. Neben dem Braunen schlug die Spencer ins Gras.

»Absteigen!«

Cutler gehorchte wieder, weil er McCleef zutraute, dass er ihn auch abknallte. Er war ein Falschspieler. Sheila hatte sein Wesen am Beispiel genau erklärt. Er würde auch Widerstand brutal aus dem Weg räumen, wenn er keine andere Möglichkeit sah.

Das Gras war ziemlich trocken und raschelte als der Mann sich näherte. Die Gewehrmündung berührte Cutlers Rücken. »Habe ich dir nicht gesagt, dass Warrior mir gehört?«

Cutler sah keine Möglichkeit, die Lage zu verändern. Jede seiner Reaktion musste mehr Zeit verschlingen als McCleef benötigte, um den Finger zu krümmen. Und es ging dem Falschspieler und Kopfgeld]äger ja inzwischen nicht mehr nur um Warrior und das Kopfgeld, sondern bestimmt auch um Rache für die Niederlage tags zuvor in Lobo.

Da verschwand der Druck im Rücken.

»Daran bist du selbst schuld, Cutler! Er gehört mir. Ich war zuerst da!«

Bevor Cutler wusste, was gemeint war, traf ihn der Gewehrlauf mit solcher Wucht, dass er einen Schritt nach vorn taumelte und zusammenbrach. Er meinte noch eine schwarze Wand aus dem Boden steigen zu sehen, doch schon einen Sekundenbruchteil später erlosch sein Bewusstsein.

*

Cutler rollte stöhnend auf den Rücken. Die Sonne stand zwischen den Wipfeln der Bäume und schien freundlich zu lächeln.

Er erinnerte sich augenblicklich an die Begegnung mit dem Kopfgeldjäger, den er nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte.

Cutler dachte an seine Auftraggeber in El Paso, die ihm da eine schöne Suppe eingebrockt hatten.

Seufzend setzte er sich und rieb über den noch schmerzenden Hinterkopf. McCleef war genauso verschwunden wie sein Brauner. Auch die Spencer lag nicht mehr herum. Cutler griff nach der Halfter. Es verwunderte ihn wenig, dass auch sein Colt nicht mehr darin steckte.

Er erhob sich und ging noch halb taumelnd zu der gespalteten Blutbuche, an die er die Schulter lehnte. Vermutlich wäre es ohne Pferd, Waffen, Proviant und Wasser wirklich das Klügste gewesen, umzukehren. Und sicher hätten das neun von zehn Männern in dieser Lage auch getan. Das schien McCleefs Gedankengang gewesen zu sein.

Doch Cutler dachte gar nicht an aufgeben, womit seine Auftraggeber auch mit Sicherheit nicht einverstanden gewesen wären. Man hatte auf ein Mitglied der Alamo-Organisation zurückgegriffen, weil man seine Möglichkeiten besser einschätzte als die des County Sheriffs oder der Texas Rangers. Man traute ihm beispielsweise zu, dass er Warrior auch jenseits der Grenze suchte, wenn er ihn hier nicht fand.

Cutler hielt nach Spuren Ausschau, ohne sich dessen in der ersten Minute bewusst zu sein. Und als ihm klar wurde, warum er das tat, fand er sie schon. Mit zwei Pferden hinterließ McCleef mehr Eindrücke als vorher, und obendrein jüngere.

Die Hufspuren führten den Karrenweg weiter nach Süden wieder in dichteres Gestrüpp hinein.

Farngestrüpp wucherte zwischen den Radrinnen. Noch ließen sich die Eindrücke gut verfolgen. Dann jedoch bedeckte ein dichter, dunkler Moosteppich den Boden und ließ selbst die Rinnen kaum noch erkennen. Von den Hufspuren sah Cutler nichts mehr.

Er schaute den Weg hinunter, der sich knapp ein Dutzend Yards weit erkennen ließ. Das Buschwerk neigte sich von beiden Seiten zusammen und würde die kleine Schneise verschwinden lassen, wenn sie nur ein paar Wochen lang niemand mehr benutzte, wie das jetzt offensichtlich bereits der Fall war, seit die Banditen hier irgendwo hausten.

McCleef schien verschwunden zu sein und mit ihm seine - Cutlers - Chance, Warrior und seine Bande stellen zu können. Ohne Waffe war er wie ein Wolf ohne Zähne.

Einen Augenblick lang erwog er ernsthaft, umzukehren und in Lobo ein anderes Pferd und neue Waffen zu beschaffen. Doch gleich darauf verwarf er den Gedanken. Erneut suchte er den Boden ab, beugte sich hinab und fuhr mit den Händen durch das Moos. Das Ergebnis blieb negativ. Cutler kehrte um und nahm die Spur im Farn noch einmal auf, um ihr langsamer zu folgen und gründlicher Ausschau zu halten.

Und da fand er die Stelle, an der McCleef nach Westen abgebogen war. Auf einer erodierten Lavaplatte hatte er die Pferde in die neue Richtung gelenkt.

Geknickte Büsche wiesen deutlicher den Weg als die Eindrücke auf dem Boden. Die Spuren führten einmal nach Norden zurück, dann im Bogen nach Süden.

McCleef suchte seinerseits nach den Spuren der Banditen, und alles deutete für Cutler darauf hin, dass er ein hartnäckiger Verfolger für Warrior war. Vielleicht viel hartnäckiger als alle anderen vor ihm, einschließlich der gescheiterten Texas Rangers.

Im Kakteendickicht lief er erneut ins Leere. Von einer Sekunde zur anderen waren die Spuren verschwunden.

Giftgrüner Moosboden schob sich von den Kakteen bis zu einem Schilfgürtel.

Cutler ging weiter. Plötzlich federte der Boden, brach auf und gab laut glucksende Geräusche von sich.

Er warf sich zurück, schrammte ins Moos und rollte mehrmals um seine Achse.

Wie dünner Nebel stiegen Dämpfe aus dem aufgebrochenen Loch. Der Moosteppich war über einen Sumpf gewachsen, als hätte man eine Decke über ihn gezogen, um seine Existenz zu verbergen. Um ein Haar wäre er darin versunken, ohne dass jemals ein Mensch davon hätte erfahren können.

Kalt lief es ihm nachträglich bei dem Gedanken daran über den Rücken. Er erhob sich, ging zurück und nahm sich vor, Moos künftig mit größerer Vorsicht zu betreten.

Abermalige gründliche Suche ließ ihn den neuen Bogen finden, den McCleef vollführte. Ein Stück konnte er sogar schneller gehen, ohne in Gefahr zu geraten, die Eindrücke nochmals zu verlieren.

Auf einmal hörte er Holz brechen und ein Pferd schnauben. Das durchdringende Rasseln einer emporschießenden Klapperschlange hallte gespenstisch durch die Brasada.

Cutler meinte im ersten Augenblick, der Angriff des Reptils gelte ihm, so laut konnte er das Rasseln hören. Aber es war doch ein Stück entfernt.

Ein Pferd wieherte scharf. Dann krachte ein Schuss. Das Donnern weckte ein vielfaches Echo und ließ andere Tierstimmen aufgeschreckt erklingen.

Cutler schlich weiter und sah McCleef, der absaß und mit dem Fuß nach der erschossenen Schlange trat. Der Leib zuckte noch. Aber der dreieckige Kopf war von der Kugel zerschmettert worden.

Der Kopfgeldjäger kreuzte seine eigene Spur durch das Gestrüpp.

Das Gestrüpp bot Cutler vorzüglichen Schutz. Schritt um Schritt pirschte er näher an den gefährlichen Gegner heran.

McCleef schob eine frische Patrone in die Colttrommel und drehte sie auf der ausgestreckten Hand durch.

Der Schlangenkörper zuckte immer noch.

An seinem Sattel sah Cutler seinen Patronengurt mit dem Colt in der Halfter über dem Kolben des Gewehres hängen. Es steckte im Scabbard. Aber noch trennten ihn fünfzig Yards von seinem Braunen. Und jeden Moment konnte McCleef sich wieder in den Sattel schwingen und weiterreiten.

Cutler glitt zum nächsten Busch und duckte sich in das weite Geäst.

McCleef kauerte sich. Ein Messer blitzte in der Sonne. Der Kopfgeldjäger schnitt das Reptil auf, ging zum Buschwerk und brach Äste los.

Cutler frohlockte. McCleef gedachte, sich aus der Schlange eine Mahlzeit zu bereiten.

Noch dreißig Yards, dann hatte er den Braunen erreicht und konnte den Colt aus der Halfter ziehen.

McCleef kauerte nieder, zerknickte das Holz und häufte es aufeinander.

Leise raschelte das Buschwerk.

Der Kopfgeldjäger stutzte, blickte über die Schulter und richtete sich auf.

Cutler lag schon unter dem bis auf den Boden hängenden Buschwerk und vertraute auf die vielen Äste und Blätter, die für ihn Schutzwand und -dach zugleich bildeten.

Ein paar Sekunden beobachtete der Kopfgeldjäger das Dickicht aus zusammengekniffenen Augen, dann schien er der eigenen Wahrnehmung zu misstrauen und wandte sich wieder seinen Vorbereitungen zu.

Cutler schob sich vorsichtig weiter und richtete sich zwischen den Büschen erneut auf. Er hielt die sich biegenden Äste fest und ließ sie langsam und geräuschlos in ihre ursprüngliche Lage zurückgleiten.

Nach drei weiteren Minuten stand er nur noch zehn Yards von seinem Pferd entfernt.

McCleef zündete das Feuer an. Im Augenblick nahm es ihn voll in Anspruch. Cutler wagte es, den Schutz ganz zu verlassen. Auf Zehen brachte er die gefährlichste Strecke hinter sich, erreichte die Pferde, riss den Colt aus der Halfter und schlug dem Tier in die Hungergrube.

Der Braune schnaubte und sprang mit einem Satz vorwärts. Nervosität ließ den Rappen mitlaufen.

Zwischen dem Kopfgeldjäger am Feuer und Cutler war nichts mehr. Aber McCleef befand sich enorm im Nachteil. Er kauerte und seine Waffe steckte in der Halfter.

»So ein Zufall, was?« Cutler lächelte.

McCleef schaute an seinem rechten Arm vorbei.

»Steh doch auf!«

Der Kopfgeldjäger tat es und drehte sich um. Er sah noch ziemlich geschockt aus. Hinter ihm schlugen die Flammen fauchend empor.

»Du bist besser als ich dachte, Cutler. Kompliment.«

»Du hast deine eigene Spur gekreuzt und dadurch massig Zeit verloren, McCleef.«

»Und nun?«

»Du wirst gleich anbrennen. Tritt das Feuer aus!«

McCleef drehte sich halb um und trat in das Feuer, bis es erstickte und nur noch ein graublauer Rauchpilz in den dunstverhangenen Himmel stieg. Dabei beobachtete er den Widersacher aus den Augenwinkeln und schien auf eine Chance zu hoffen, den Colt ziehen zu können.

Cutler lächelte, weil er das Lauern erkannte.

»Hat die Blonde noch was erzählt?«

»Wieso?«, fragte Cutler, weil er nicht die Absicht hatte, über die Gespräche mit Sheila etwas zu sagen.

»Ich muss ihr irgendwo schon mal begegnet sein. Jedenfalls ist es mir so.«

Cutler gab keine Antwort darauf, glaubte aber, dass McCleef sich nicht erinnern konnte, was er in Julesburg für ein schändliches Spiel mit dem Mädchen getrieben hatte.

»Wie heißt sie?«

»Sheila.«

»Richtig, das sagte ja jemand. Sheila?« McCleef schien dem Namen nachzulauschen, schüttelte dann jedoch den Kopf, weil er ihn in keine Verbindung zu seiner Vergangenheit zu setzen vermochte.

»Schnall den Patronengurt ab!«, befahl Cutler.

»Willst es jetzt anders herum laufen lassen, wie?«

»Nein, McCleef. Mir fehlt die Hinterlist, die einer haben muss, wenn er andere von rückwärts überfällt und niederschlägt. Das ist solchen miesen Typen wie dir vorbehalten.«

McCleefs Hände zuckten. Seine Lippen schoben sich von den zusammengepressten Zähnen. Hass wurde sichtbar, ohne dass er es selbst merkte. »Ich war eher da! Warrior gehört mir, wenn er hier zu finden ist. Du müsstest das ungeschriebene Gesetz der Kopfgeldjäger eigentlich kennen, Cutler!«

»Warrior gehört dem Gesetz, McCleef!«

Der Kopfgeldjäger brach in Hohngelächter aus und schlug sich die Hände klatschend auf die Schenkel. »Du willst mir ernsthaft weismachen, Gesetzesbeamter zu sein, was?«

»Ich will dir nichts weismachen, McCleef. Du musst nur begreifen, dass es außer den ungeschriebenen Gesetzen von Leuten deiner Sorte noch etwas anderes gibt, was menschliches Zusammenleben regelt. Zum Beispiel die legalen, niedergeschriebenen Gesetze. «

»Willst es mir also doch einreden.« McCleef grinste immer noch ungläubig. »Ich werde dir was sagen: Du versuchst mit einer Menge Tricks und großartigen Sprüchen die anderen Leute besoffen zu reden. Tatsächlich geht es dir um die achthundert Bucks Kopfgeld für Warrior. Genauso wie mir. Oder geht es um mehr, Cutler? Denkst du vielleicht an die achtzehntausend Bucks, die man Warrior zutraut, noch zu besitzen?« McCleef lachte dunkel. »Du wirst es doch nicht auf die ganze Beute abgesehen haben?«

»Schnallst du den Colt nun ab?«, fragte Cutler, anstatt auf den Spott des anderen einzugehen. Solche Mutmaßungen, die halbwegs schon Anschuldigungen darstellten, trafen ihn nicht. Nicht von Typen wie McCleef.

Der Kopfgeldjäger wurde ernst.

»Ich zähle bis drei, McCleef. Wenn du ihn dann nicht abgeschnallt hast, trenne ich ihn dir samt der Halfter mit einer Kugel vom Gürtel. Du hast es dann schwerer, ihn wieder umbinden zu können.«

»Haust schon mächtig auf den Putz!«

»Eins ...«

McCleefs Unsicherheit steigerte sich.

»Zwei ...« Cutler zögerte einen Moment. Als der andere jedoch immer noch nicht reagierte, sagte er: »Drei!«

Dann krümmte sich sein Finger. Mit einem Donnern fuhren Feuer und Blei aus der Mündung und eine gewaltige Schwarzpulverdampfwolke quoll hinterher.

McCleef wurde der Colt mit der Halfter vom Patronengurt gerissen und fiel auf das tote Reptil neben den verbrannten Ästen.

Cutler schob den rauchenden Colt in die Halfter.

»Und du willst doch nur die Kopfprämie!«, stieß McCleef hervor. »Wenn nicht die ganze Beute, um damit spurlos zu verschwinden!«

Unerwartet griff er an. Doch Cutler war auf der Hut. Cutler wehrte den Angriff des Halunken ab und deckte ihn mit Hieben ein, dass McCleef nicht zur Besinnung kam und schließlich zu Boden ging.

McCleef atmete kurz und abgerissen. Seine Lider zuckten. Er schien einer Ohnmacht nahe zu sein. Dann fielen ihm die Augen zu.

Cutler entlud den Revolver, um sich vor einem Überraschungsangriff zu sichern. Vielleicht täuschte ihn der Kopfgeldjäger nur und sprang auf, sobald er ihm den Rücken zukehrte. Das gleiche tat er mit McCleefs Gewehr und warf es neben den Colt. Er schnallte den eigenen Patronengurt um und saß auf.

McCleef hatte die Augen offen. Cutler ritt neben ihm. Sein Schatten fiel auf die Gestalt.

»Verschwinde besser, McCleef. Suche dir einen anderen Halunken, dessen Kopf auch Geld bringen kann. Es gibt ja nicht nur diesen.«

Er lenkte das Pferd ins Dickicht hinein. Raschelnd schlugen die Äste hinter ihm zusammen.

*

Silbern schimmerte der Rio Grande in der Nachmittagssonne. Der Fluss führte ziemlich wenig Wasser. Große Sandbänke ragten noch mitten im Strom aus der trägen Flut. Das Buschwerk wucherte bereits an den Steilufern nach unten.

Cutler hörte ein helles Klatschen der Fluten, noch bevor er das schützende Uferdickicht verließ.

»Na komm schon, du gehörst in meine Pfanne!«, schimpfte eine brummige Stimme.

Erneut klatschte es. Der unsichtbare Mann kicherte. Silbern glitzernd sprang ein Fisch mit der Angelschnur im Maul aus dem Wasser und tauchte erneut ein. Am Ufer lief ein Mann lachend mit und hielt eine einfache Rute in der Hand, an welcher die Schnur mit ein paar Knoten endete.

Noch gab der glitzernde Fisch den Kampf nicht auf. Aber der Mann am Ufer drehte die Rute bereits, um die Schnur zu verkürzen und zog den um sein Leben kämpfenden Fisch damit Stück um Stück zu sich.

»Hahaha!«, freute sich die Gestalt am Ufer. »Du gibst ein feines Abendessen ab, Kamerad. Zier dich nur noch ein bisschen, das nützt dir nichts, mein Junge!«

Cutler konnte die völlig verwilderte Männergestalt indessen recht gut sehen. Er schätzte den Mann auf mehr als sechzig, vielleicht bald siebzig Jahre. Er war mittelgroß, hatte graues, langes und völlig verfilztes Haar, das bei den Ohren, die man kaum sah, ohne Übergang zu einem struppigen Vollbart wurde. Eine Knollennase ragte aus dem verdeckten Gesicht. Auf dem Kopf saß ein Schlapphut mit vielen kleinen Rissen und Löchern. Er trug ausgebeulte, geflickte Leinenhosen und ein graues Hemd ohne Kragen und Ärmel. Darüber trotz der Hitze eine Fellweste ohne Ärmel, die, genau so primitiv zurechtgeschnitten wie zusammengenäht, an ihm hing.

Eine Waffe vermochte Cutler bei der Gestalt nicht zu erkennen.

»So, jetzt haben wir es gleich geschafft, Freundchen!« Der kichernde Einsiedler stampfte ins Wasser, worauf er, da barfuß und die Hosen etwas aufgekrempelt, vorbereitet gewesen sein musste.

Der Einsiedler griff zu und hatte den zappelnden Silberleib zwischen den Fingern.

Cutler ritt in dem Augenblick aus dem Uferdickicht und die Halde hinunter, als der Mann sich umwandte.

Erschrocken wollte sich der Einsiedler abwenden und vielleicht versuchen, das mexikanische Ufer zu erreichen. '

»Bleiben Sie da, Mister! Ich sehe Sie schon eine Weile und hätte sicher von hinten auf Sie schießen können, wenn so etwas meine Absicht wäre.«

»Stimmt«, gab der Mann zu und drehte sich wieder um. Dennoch näherte er sich dem Ufer nur zögernd. »Und warum spionieren Sie mir nach, wenn man fragen darf?«

»Ich spioniere Ihnen nicht nach.« Cutler stieg ab.

Der Mann erreichte das Ufer, bückte sich und erschlug den Fisch auf einem Stein. »Was wollen Sie dann hier? Bei mir ist nichts zu holen.«

»Ich heiße John Cutler und suche nach Douglas Warrior und seinen Freunden.«

Der wilde Kerl trat zurück. »Damit habe ich nichts zu tun. Bin froh, dass denen noch nicht auffiel, dass hier jemand lebt.«

»Ach?« Cutler trat dichter an den Mann heran. »Sie wissen jedenfalls, dass die Kerle hier irgendwo stecken, wenn sie nicht gerade irgendwo eine Postkutsche überfallen oder ein Fest feiern, wie?«

»Wenn es denen ruchbar wird, dass der alte Nathan Brigg am Rio Grande haust, dann machen die einen Besuch bei ihm, Mister. Und was das für den alten Nathan Brigg bedeutet, muss ich Ihnen bestimmt nicht erklären.«

»Nein, überflüssig.« Cutler lächelte. »Und ich verspreche Ihnen auch, niemandem zu verraten, dass der alte Nathan Brigg hier lebt, obwohl ich ihn fand, wie er angelte.«

Brigg blickte auf seinen Fisch und dann prüfend auf Cutler. »Wollen Sie was davon? Sehen ziemlich hungrig aus, Mister.«

»Einverstanden.«

Der alte Eremit nickte, wandte sich ab und stapfte vor Cutler her am Ufer entlang. »Hier, wo wir jetzt gehen, stehen im Frühjahr zwei Yards Wasser, Mister. Reißendes Wasser, mit dem die Hälfte des Buschwerks von ganz Neu-Mexiko unterwegs ist zum Golf. Na, das interessiert Sie wohl weniger?« Er blieb stehen und wartete, bis Cutler neben ihm war.

»Tatsächlich interessiert mich dieser Douglas Warrior viel mehr.« Cutler grinste den alten Mann an. »Was wissen Sie?«

»Wo die Kerle hausen, weiß ich jedenfalls nicht, damit Sie gleich klarsehen. Und ich müsste lebensmüde sein, wenn ich versuchen würde, es herauszufinden. Andererseits ist mein Interesse groß, dass die Höllenhunde so oder so möglichst schnell aus der Gegend verschwinden.«

»Das ist verständlich«, gab Cutler zu. »Also?«

»Sie benutzen manchmal eine Furt, die eine Meile östlich liegt, Mister. Dort sah ich sie auch heute morgen nach Mexiko reiten.«

»Na das ist doch großartig!« lobte Cutler den Mann. »Die Stelle zeigen Sie mir natürlich.«

»Wenn Sie den Spuren folgen wollen, können Sie aber nicht warten, bis ich den Fisch gebraten habe. Sonst kommt Ihnen die Nacht über den Hals, bevor sie in El Cuervo sind.«

Cutler pfiff durch die Zähne. »He, Mann, Sie wissen ja einen ganzen Haufen.«

Der Einsiedler stieg die Halde hinauf. Cutler folgte ihm mit dem Braunen am Zügel und sah hinter dem Dickicht am Ufer eine verwegene Hütte, die zu dem verwilderten Mann wie die Faust aufs Auge passte. Sie bestand aus zwei krummen Bogenwänden vorn und hinten und aus dem halbrunden Dach, das die Seiten ersetzte. Eigentlich sah sie wie ein riesiges, liegendes, zur Hälfte eingegrabenes Fass aus. Ein Blechschornstein ragte aus dem Dach, war abgeknickt und deutete mit seinem oberen Teil nach Westen.

Als Baustoff hatte Brigg Weidenäste, Krüppelkiefern und Blech gedient. Indessen rankten sich Lianen über Dach und Wände hinweg und schienen zu wesentlichen Trägern der Hütte geworden zu sein, die sie allmählich verkleideten. Als Tür diente eine alte Indianerdecke mit vielen Löchern. Das Fenster bestand aus einem einfachen Loch, zwei Fuß hoch und ebenso breit.

Dicht neben der Hütte stand ein zweirädriger Eselkarren, ein Abfallhaufen ragte aus der Grube dahinter, und eine Leine führte von einem Pfahl zur Hüttenwand. Alles deutete daraufhin, dass der alte Nathan Brigg gelegentlich seine fadenscheinigen Kleider wusch. Vor der Tür war ein Rohr in den Boden getrieben und eine Wasserpumpe mit Schwengel darauf montiert worden, so dass der Eremit anscheinend darauf angewiesen war, sich das Wasser vom Fluss zu holen.

Die Eingangsdecke hing an Holzringen, die auf einem dünnen Rohr liefen. Brigg schob sie zur Seite. Drinnen meldete sich der Esel. Er stand links einer aus Weiden geflochtenen Wand, die den Raum teilte.

»Ich bin es, Jonathan«, sagte der alte Mann.

Cutler folgte ihm ins Halbdunkel und erkannte undeutlich ein paar richtige, alte Möbelstücke, die der Alte wer weiß woher herangekarrt haben musste. Es gab sogar einen richtigen Tisch. Dem Schrank fehlte allerdings schon eine der beiden Türen, und die Giebel des Messingbetts hatten Grünspan angesetzt und waren erheblich verbogen. Der Boden war von Brigg vom Gras befreit worden, jedoch sprießte es überall dort fußhoch empor, wo er offenbar nie lief. Die Feuerstelle setzte sich lediglich aus zwei hochkant stehenden Steinen und einer Eisenplatte darauf zusammen.

»Wollen Sie sich einen Moment setzen?« Brigg rückte eine der umgestülpten Kisten etwas vom Tisch weg, um den Platz für seinen Gast anzudeuten. Er legte den Fisch auf den Tisch und lehnte die Rute an das Weidengeflecht.

Der Esel wandte sich wieder seinem Futter zu.

»Es wäre mir am liebsten, Sie zeigten mir gleich, wo Sie die Kerle gesehen haben.«

»Wie Sie wünschen, Mister.« Brigg warf einen Blick in den Tränkeimer seines Esels. »Ich muss aber für Jonathan erst noch etwas Wasser holen. Er säuft unheimlich.«

Cutler trat zur Seite. Brigg ging an ihm vorbei hinaus. Laut knarrten der Pumpenschwengel und der Holzkolben im Gehäuse.

»Das Ding zieht nicht mehr richtig. Der Gummiring scheint zuviel Luft zu haben.«

Cutler drehte sich um und schaute hinaus. »Wie lange denn schon?«

Brigg grinste, was sich allerdings nur an den blitzenden Augen im verwilderten Gesicht erkennen ließ. »Ein bis zwei Jahre bestimmt, Mister.«

»Wer weiß eigentlich, dass Sie hier leben?«

Die Pumpe gab ein paar saugende Geräusche von sich. Klares Wasser sprudelte aus dem Rohr. Brigg füllte seinen Eimer, hob ihn an und kam zurück. »Niemand.«

»Aber Sie kommen doch sicher irgendwann mal in eine Stadt?«

»Ich fahre mal nach Lobo und mal nach El Cuervo. Auch mal in eine andere Stadt, die was weiter entfernt liegt. Aber oft passiert das nicht.«

»Aber die Leute in Lobo wissen doch, dass Sie hier wohnen?«

»Sie können ruhig sagen, dass ich hier hause, Mister. So wohnt man doch nicht. Ja, die wissen schon, dass ich irgendwo diesseits oder jenseits vom Fluss stecke. Aber wo ...« Brigg schüttelte den Kopf.

Cutler trat zur Seite. Der Eremit ging hinein und sprach zu seinem Esel. Dann tauchte er erneut auf und schob den Vorhang auseinander.

»Und von einem Besuch bis zum nächsten in einer Stadt haben die Leute mich längst wieder vergessen. Wenn ich im Store in Lobo ein paar Felle anbiete und was kaufen will, weiß der Händler meinen Namen nie mehr.«

»Komisch, dass der County Sheriff mit seinem Aufgebot nicht versucht hat, Sie zu finden.«

»Ich sage Ihnen doch, die hatten mich längst wieder vergessen. Und das ist gut so. Ich will hier keine Fremden.«

»Dann wundert es mich, dass ich hierher geführt wurde.«

»Sie hatten mich nun mal gesehen und hätten doch keine Ruhe mehr gegeben, bis Sie alles über mich wussten. Also konnte ich es Ihnen auch gleich richtig auf die Nase binden. Ist doch so, oder?«

»Stimmt.« Cutler lächelte.

Brigg blickte auf die Pumpe und fluchte leise. »Ich müsste das ganze Ding mal durch was Neues ersetzen. Und Dachpappe soll es jetzt geben, durch die kein Regen mehr geht. Ich brauchte vor allem mal eine neue Flinte. Die alte Parker ist sozusagen an meinem Ruin schuld.«

»Verstehe ich nicht.«

»Früher konnte ich eine schöne Menge Felle absetzen und bekam genug Zaster, Mister. Aber inzwischen sind die Herrschaften anspruchsvoller geworden. Alle Händler behaupten, ich würde das Wild in Siebe verwandeln. Zu viele Löcher in den Fellen. Das Dumme ist, hier gibt es nichts, was sich zu Geld machen ließe. Also werde ich nie zu einer anderen Flinte kommen, folglich nie zu einer neuen Pumpe und schon gar nicht zu Dachpappe. Also gehen wir.«

Brigg schritt voran und Cutler folgte ihm mit dem Braunen am Zügel. Sie durchbrachen das Dickicht am Steilufer erneut und folgten auf der Sohle dem Rio Grande.

»Könnten die Kerle schon wieder über den Fluss zurück sein?« Cutler ging etwas schneller, um an die Seite des Mannes zu kommen.

»Hab die schon mehrmals beobachtet. Muss ja wissen, was um mich herum vorgeht, Mister. Also wenn die nach Mexiko gehen, dauert es schon zwei bis drei Tage, bis sie wieder aufkreuzen. Die sind dann unheimlich aufgekratzt und noch halb besoffen.«

Als sie die Furt erreichten, hatte sich die Sonne bereits so weit nach Westen geneigt, dass die Eichen und Blutbuchen sie mit ihrem Geäst verdeckten.

»Bis Sie in El Cuervo sein können, ist es Nacht.«

»Ich weiß.«

»Am besten, Sie halten sich an den Weg.« Nathan Brigg deutete auf die Radrinnen, die sich an beiden Ufern nicht übersehen ließen. »Die sind bestimmt nach El Cuervo. Ist ja weit und breit das einzige Nest da drüben.«

»Vielen Dank, Mr. Brigg.«

»Keine Ursache. Ich zähle dafür auf Ihre Diskretion.«

»Ich werde den Mund halten.«

Cutler saß auf, tippte an seinen Hut und ritt ins seichte Wasser.

Brigg wandte sich ab und verschwand im Dickicht, bevor der Reiter die Südseite des Rio Grande erreichte.

*

Fahles Mondlicht lag auf den weißen Hütten und der breiten, unbefestigten Straße, die sich schnurgerade durch den Ort zog. El Cuervo unterschied sich nur wenig von Lobo. Die Stadt mochte ein bisschen größer sein und hatte eine Kirche. Weitere Unterschiede vermochte Cutler nicht zu erkennen.

Lichtschein fiel aus Fenstern und Türen, und eine Vielzahl von Stimmen schufen eine Geräuschkulisse, die wie ein Raunen über der Stadt lag. Hier schienen die Menschen erst am Abend richtig munter und dann so schnell nicht mehr müde zu werden. Außerdem hingen an Seilen aufgespannt mehr als ein halbes Dutzend Sturmlaternen über der breiten Straße mit den vielen Wagenspuren.

Aus der Bodega drang Musik. Gelächter und Gläserklirren verrieten, dass auch in der Kneipe noch Hochbetrieb herrschte.

Die Straße herunter ritt ein Mann auf einem Esel. An das Tier waren rechts und links große Körbe gebunden. Der Mann trug einen überdimensionalen Sombrero aus Stroh, Leinenkleidung und Sandalen.

Cutler zügelte den Braunen am Stadtrand und wartete, bis der Mann ihn erreichte und anschaute. Er grüßte. Der Mexikaner zügelte den Esel. Er wirkte verdrossen.

»Wollen Sie auch in die Bodega, Senor?« Das Englisch des Mexikaners klang hart, war jedoch gut zu verstehen.

»Ich suche drei Männer aus Texas.«

»Drei Gringos sitzen in der Bodega, der Musikus ist voll Pulque geschüttet worden, und die Mädchen tanzen auf den Tischen.« Der Campesino schüttelte den Kopf. »Sitten sind das heute. Noch vor vierzig Jahren wären die Weiber als Hexen verbrannt worden, hätten sie es gewagt, sich so aufzuführen. «

»Wie sich die Zeiten ändern.« Cutler lächelte dünn.

»Das kann man wohl sagen.« Der Campesino ritt vorbei.

Rechts und links standen ein paar Gestalten vor den Häusern unter den Vordächern. Es ließ sich nicht erkennen, ob es Frauen oder Männer waren. Niemand sagte etwas zu dem Reiter.

Cutler ritt weiter, überzeugt, dass die Menschen verstanden hatten, was er und der Campesino gesagt hatten. Aber das kümmerte ihn wenig. Er wollte sich die Kerle in der Bodega unauffällig ansehen und dann überlegen, wie er ihnen zu Leibe rücken könnte, ohne Schwierigkeiten mit der Miliz heraufzubeschwören. Dabei setzte er darauf, dass die Banditen sich sicher wähnten und tatsächlich in der Bodega zechten.

Cutler bemerkte den Wächter vor der Kneipe zu spät, um das Pferd in eine der schmalen Seitengassen lenken zu können.

Plötzlich ertönte ein Pfiff.

»He, Doug!« Der Mann trat hinter einem Pfosten hervor.

Die Türflügel schwangen auf. Lauter schallten Musik und Mädchenlachen durch die Stadt. Zwei Männer stürzten mit den Colts in den Händen heraus. Das Licht traf sie so, dass Cutler sofort erkannte, auf welchen die Beschreibung Warriors passte.

»Da drüben!«

Cutler sprang aus dem Sattel und zog die Spencer aus dem Scabbard.

Federlesen schien für die Banditen ein Fremdwort zu sein. Ohne eine Frage, ohne zu wissen, ob die Vermutung stimmte, eröffneten sie das Feuer aus den Revolvern.

Eine Kugel streifte den Braunen, ließ ihn scharf wiehern und die Flucht ergreifen.

Cutler repetierte die Spencer und schoss zurück. Er rannte bis zu einer Regentonne und warf sich hinter ihr in Deckung. Revolverkugeln trafen pochend das Fass, vermochten jedoch nur eine Wand zu durchschlagen.

Wer in der Nähe gestanden hatte, floh hastig.

In der Bodega wurde es still.

Cutler schob das Gewehr an der Tonne vorbei und erwiderte das Feuer.

Eine Kugel streifte sein Ohr und schlug gegen die Adobelehmwand in seinem Rücken. Noch in das Donnern hinein schrie ein Mann rechts auf dem Fußweg und eine Frau rief auf spanisch: »Er ist verletzt! Hilfe, Leute! Wo steckt denn der Gendarm?«

Cutler repetierte und schoss wieder.

Einer der Banditen zuckte zusammen und ließ das Gewehr sinken.

»Tracy?«, fragte Warrior.

Da taumelte der Kerl, stürzte und flog die kurze Verandatreppe hinunter.

Die beiden anderen schossen wieder über die Straße, wandten sich jedoch bereits ab und stürmten in die Bodega.

Mädchen kreischten.

Der Mann auf der Straße bewegte sich nicht mehr.

»Platz da!«, brüllte Warrior in der Bodega. Dann fielen Schüsse, und das Kreischen wurde laut und hysterisch.

Cutler hastete über die Straße, sprang über den Reglosen hinweg, mit einem Satz die kurze Treppe hinauf und mit zwei weiteren über die Veranda und durch die Tür.

Die schönen Mexikanerinnen, der Wirt hinter dem Tresen und der Klavierspieler warfen sich zu Boden. Alle übrigen Gäste lagen bereits unter den Tischein.

Von der Hintertür aus schoss Warrior quer durch den langen Raum, bevor er seinem Kumpan nachstürmte.

Pferde schnaubten.

Cutler erkannte, dass die Kerle sich den Fluchtweg dadurch stets sicherten, indem sie ihre Pferde gesattelt hinter dem Gebäude bereithielten.

Dennoch rannte er weiter. Vielleicht ließen sie in der Eile das dritte Pferd stehen und gaben ihm damit die Möglichkeit der Verfolgung.

Er irrte wieder. Als er hinten ins Freie trat, galoppierten die Kerle schon in die Nacht hinaus. Einer der beiden führte das ledige Tier neben sich.

In der Dunkelheit tauchten die Reiter unter. Nur der trommelnde Hufschlag verriet noch, dass sie nicht daran dachten, noch einmal anzuhalten.

Cutler ließ das Gewehr langsam sinken. Hinter ihm bewegte sich die Tür, aber er achtete nicht darauf. Sein Vorgehen war falsch gewesen. Er hätte sich langsam herantasten müssen, sozusagen selbst durch die Hintertür auftauchen müssen.

Etwas Hartes bohrte sich in seinen Rücken und erinnerte ihn an die erste Begegnung mit McCleef.

»Werfen Sie das Gewehr weg«, sagte jemand, der sein Englisch in Texas gelernt haben musste.

Es schienen mehrere Männer zu sein. Und gleich darauf sah er sie auch rechts und links von sich mit Colts in den Händen, die drohend auf ihn gerichtet waren.

Cutlers Hand öffnete sich. Die Spencer schlug in den harten Sand. Jemand zog ihm den Colt aus der Halfter.

»Los, Hände hoch!«, befahl die Stimme hinter ihm barsch.

Cutler musste gehorchen.

»Gehen wir hinein!«

Sie eskortierten ihn in die Bodega zurück, wo er noch bleiche, aber neugierige Gesichter sah.

»Ich habe die Schießerei nicht angefangen«, sagte er vorbeugend.

Es erweckte keine Wirkung bei den Leuten, die ihn sicherlich alle gut verstanden. Hier in der unmittelbaren Grenznähe kannte man die Sprache der anderen Flussseite.

Der Druck in seinem Rücken verschwand endlich. Der Gendarm trat vor ihn. Er war groß und breit, aber übermäßig intelligent sah er nicht aus.

Der Kreis um den Weißen schob sich wie eine Mauer zusammen. Die Barmädchen mussten auf Tische steigen, um Cutler sehen zu können. Neben einer gutgewachsenen Mexikanerin mit langen schwarzen Locken und großen Mandelaugen tauchte eine weißblonde Amerikanerin auf. Sie war von magerer Gestalt und hatte selbst im diffusen Licht noch erkennbare Falten im Gesicht und am Hals. Die anderen Mädchen schienen wesentlich jünger zu sein.

Der Kreis wurde an einer Stelle auseinandergeschoben. Zuerst tauchte ein alter, weißhaariger Mann im dunklen Cordanzug auf, dann schleppten zwei jüngere Männer den Verletzten herein. Blut lief über den Arm des Mannes. Er wurde auf einen Stuhl gesetzt und festgehalten, als würde er ohne Stütze herunterfallen, was sicherlich nicht der Fall sein konnte, weil er nur eine leichte Streifschusswunde hatte.

»Ich habe nicht angefangen«, sagte Cutler noch einmal. »Die eröffneten einfach das Feuer auf mich!«

Sie blickten ihn alle an und schwiegen. Auch der weißhaarige Mann sagte nichts.

»Es sind Posträuber«, setzte Cutler hinzu. »Was sie hier an Dollars ausgeben, stammt aus Raubzügen!«

Sie reagierten auch darauf nicht. Vielleicht war es ihnen gleichgültig, woher das Geld stammte, das hierher getragen wurde.

»Wer sind Sie?«, fragte der Alkalde schließlich. »Ein Sheriff aus Texas?«

»Oder ein Texas Ranger?«, setzte der Gendarm hinzu.

»Wenn Sie ein Sheriff oder ein Texas Ranger sind, dann sagen Sie es gleich. Wir werden Sie dann in die Hauptstadt überstellen und den Fall dem Außenministerium übergeben.«

»Ich bin kein Sheriff und kein Texas Ranger.«

»Also sind Sie ohne Auftrag hier?«, fragte der Alkalde.

»So ist es.«

»Ein Kopfgeldjäger!«, stieß einer der Begleiter des Verletzten hervor.

Sie schienen gewusst zu haben, zu welcher Sorte von Besuchern Warrior und seine Begleiter gehörten. Ein Indiz mehr für die Annahme, dass ihrer Meinung nach Geld grundsätzlich nicht stank.

Blut tropfte indessen von den Fingern des Verletzten auf den Boden. Der Mann jammerte leise vor sich hin. Bisher dachte niemand daran, ihn zu verbinden. Er wirkte ein bisschen wie zur Schau gestellt, sozusagen wie das Alibi für das Tun der Leute.

»Die Gringos wären mindestens noch einen Tag geblieben«, sagte das weißblonde, langsam alternde Mädchen auf dem Tisch.

»Da hättet ihr ihnen noch allerhand aus den Taschen gezogen, was?« Cutler lächelte verächtlich.

»Du sagst es, Amigo!« Die Mundwinkel im Faltengesicht des Mädchens bogen sich nach unten. »Wir alle leben doch von den Fremden, die über den Fluss kommen und hier unbedingt was erleben wollen, bevor sie weiterreiten oder umkehren.«

»Ich würde mich nicht einmischen, Stella!«, schimpfte das andere Mädchen. »Es ist eine Männerangelegenheit.«

»Ich wollte ihm doch nur ein bisschen auf die Sprünge helfen. Er sieht so unwissend aus.«

Die Mädchen kicherten, was der heiklen Sache einen komischen Aspekt verlieh, sie jedoch keineswegs weniger gefährlich machte. Wenn Stella die Lage richtig einschätzte, ging es vordringlich um verloren gegangenen Profit und viel weniger um die Schusswunde, die man ihm vorführte.

»Wenn Sie wirklich keinen gesetzlichen Auftrag haben, müssen wir Sie natürlich nicht dem Außenministerium überstellen«, sagte der Alkalde endlich. »Dann können wir selbst beurteilen, welches Maß an Sühne angemessen wäre.«

»Aber wir müssen uns davon überzeugen«, wandte der Gendarm ein. »Haltet ihn fest!«

Cutler wurde an den Armen gepackt. Sie zogen ihm die Hände mit Gewalt auf den Rücken und durchsuchten ihn rasch so gründlich, dass nichts verborgen blieb. Alle seine Habseligkeiten und die zwanzig Dollars, die er bei sich trug, landeten auf einem Tisch und wurden vom Gendarm sorgsam sortiert.

Vor allem das wenige Geld schien schuld zu sein, dass sich die Gesichter nicht aufhellten.

»Wir könnten uns durchaus eine materielle Lösung vorstellen.« Der weißhaarige Mann hüstelte. »Allerdings ...« Er brach ab und blickte schulterzuckend auf den Tisch.

»Einen Stern oder ein Schild der Texas Ranger besitzt er nicht«, stellte der Gendarm überflüssigerweise fest.

»Und arm wie ’ne Kirchenmaus ist er auch noch!« Stella lachte ironisch.

»Vielleicht hat er drüben Verwandte, die ihm unter die Arme greifen könnten«, wandte ein Mann in der Runde ein.

Fragend blickten die Leute auf Cutler.

»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte Cutler den alten Mann.

»Der Alkalde, Senor. Entschuldigen Sie, dass ich mich bisher nicht für Ihren Namen interessierte. Wir kommen darauf zurück, wenn eine Gerichtsverhandlung angesetzt werden muss.«

Der Alkalde erschien Cutler sehr bemüht, möglichst gedrechselt zu reden, sicher, um sich aus der Masse herauszuheben.

Ein weiterer Mann betrat die Bodega und meldete, dass er Cutlers Pferd eingefangen und draußen angebunden hatte.

»Wir müssten ihm eigentlich noch die Stiefel ausziehen«, sinnierte der Gendarm.

»Wozu das?« Die Stirn des Alkalden umwölkte sich.

»Na ja, er könnte seinen Stern auch irgendwo versteckt haben, Don Estaban.«

»Unsinn!« Der Weißhaarige wischte die Bemerkung aus der Luft. »Er sieht doch gar nicht wie einer aus, den die Leute zum Sheriff wählen oder bei den Texas Rangers annehmen würden.«

»Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber mir ist es, als würden Sie die Verhältnisse in Texas sehr schlecht kennen, Senor Escudo!« Stella funkelte mit den Augen. Die Falten in ihrem Gesicht schienen noch tiefer geworden zu sein.

Der Alkalde blickte sie böse an und schien es für weit unter seiner Würde zu halten, darauf zu antworten.

»Die Texas Ranger sind harte, verwegene Männer«, fuhr Stella unbeirrt fort. »Solche wie er!«

»Bestimmen neuerdings deine Mädchen in El Cuervo?«, wandte der Alkalde sich scharf an den dicken Wirt.

Der Mann schlug sofort klatschend mehrmals die Hände zusammen. »Dolores, Stella, Juanita, Quinta, verschwindet. Los, los, ab mit euch!«

Die Mädchen sprangen von den Tischen.

»Ihr lebt hier hier noch wie im Mittelalter«, schimpfte Stella. »Der Alkalde will es doch gar nicht mit einem Texas Ranger zu tun haben. Merkt ihr das nicht?«

»Los, los, ab mit euch!« Erneut schlug der Wirt klatschend die Hände zusammen. Hierauf deutete er in Richtung von Senor Estaban Escudo eine Verbeugung an und entschuldigte sich.

»Da drüben werden bald die Weiber die Hosen anziehen«, sagte der alte Alkade verächtlich. »Anstatt am Herd zu stehen und sich um Haushalt und Kinder zu kümmern, zerbrechen sie sich für die Männer die Köpfe. Und was kommt dabei heraus?«

Die Mexikaner grinsten geringschätzig, was jegliche Antwort ersetzte.

Endlich packte jemand Verbandsstoff aus und begann dem leise stöhnenden Verletzten den Arm zu verbinden.

»Eine Verurteilung ist eine schwerwiegende Sache«, redete Escudo weiter. »Sie liefe vermutlich auf Friedensbruch hinaus und zieht eine hohe Strafe nach sich. Vielleicht wäre Ihnen eine andere Regelung sympathischer, junger Mann?«

»Woran denken Sie?«

»Nun, der Verletzte, der Wirt und die Besitzer jener Häuser, deren Wände beschädigt wurden, werden gegen Sie als Nebenkläger auftreten, wenn ihre Forderungen nicht anders erfüllt werden können.«

»An welche Summe denkt denn der Verletzte?« Cutler gab sich bewusst kompromissbereit und hoffte, dass er noch eine Lücke in der Menschenmauer fand, durch die er hinaus und in den Sattel seines Pferdes gelangen konnte.

Der Alkalde beriet sich kurz auf spanisch mit dem Mann, der nun verbunden war, und er schien ihm klarzumachen, was er zu verlangen hatte. Der andere nickte nur.

»Also Senor Herodes wäre mit hundert Peso Schmerzensgeld einverstanden.

»Das sind derzeit tausend Dollar, wenn mich nicht alles täuscht«, erwiderte Cutler.

»Sie sagen es, Senor.«

»Mein Verdienstausfall dürfte noch mehr betragen!«, rief der Wirt. »Ich schätze, dass die Gringos noch vierhundert Peso hiergelassen hätten. Also müsste ich zweihundert kriegen, um einigermaßen auf mein Geld zu kommen.«

»Die Kerle hätten keine vierhundert Peso hierbleiben lassen«, sagte Cutler.

Escudos Brauen schoben sich nach oben. »Woher wollen Sie denn das wissen?«

»Vierhundert Pesos entsprechen viertausend Dollar. Bei ihrem letzten Postraub vor rund einer Woche fielen den Halunken jedoch nur zwölfhundert Dollar in die Hände. Diese Bande soll nach den bisherigen Ermittlungen stets weniger ausgeben, als sie erbeuten konnte.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden!«, entgegnete der Alkalde barsch. »Sie hatten eine Meinungsverschiedenheit mit persönlichen Gegnern und werden deswegen für den Schaden aufkommen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn Sie einer gütlichen Regelung mit den Opfern nicht zustimmen wollen, wird Sie das Gesetz mit aller Härte treffen!«

Cutler hielt nach der Lücke Ausschau, durch die er schlüpfen konnte. Er würde weder die Fantasiesummen irgendwie auftreiben können, an die sie hier dachten, noch verspürte er große Lust, gesiebte Luft in diesem Nest zu atmen. Aber auch seine Dienststelle in EL Paso oder gar die übergeordnete Behörde in Washington würden ihm nicht aus der Patsche helfen. Hier war er ganz allein auf sich gestellt. Wie immer bei den heiklen Aufträgen, mit denen man ihn betraute.

Aber da war keine Lücke in der tief gestaffelten Menschenmauer, die zumindest vorn inzwischen bis an die Tür reichte.

»Noch ein Gringo!«, rief draußen jemand.

Der Alkalde blickte fragend auf Cutler. Mehrere Männer verließen die Bodega.

Es dauerte nicht lange, dann schnaubte ein Pferd vor der Tür und McCleef fragte: »Seid wann gibt’s für mich denn so ein großes Empfangskomitee?«

Niemand gab Antwort.

»Ist der da tot?«, meldete sich McCleef wieder.

*

Escudo schritt durch eine schmale Gasse in der Menschenmenge zur Tür.

»Hallo, haben Sie auch die Sprache verloren, Senor?« McCleef lachte. »Ich bin Victor McCleef!«

»Treten Sie ein, Senor.«

Cutler sah den Kopfgeldjäger mit dem Alkalden durch die sich etwas verbreiternde Gasse kommen und stehenbleiben. Einen Moment staunte der Falschspieler, dann grinste er belustigt.

»Kennen Sie ihn?«, fragte Escudo.

»Er heißt John Cutler.«

»Namen interessieren jetzt noch nicht. Was ist er, ein Sheriff oder so etwas?«

»Dummes Zeug, Senor. Der will sich die achthundert Bucks verdienen, die Warrior den Behörden drüben wert ist. Nichts weiter.«

»Und Sie?«

»Ich bin zufällig hier. Dachte, man könnte was trinken und essen. Aber ich möchte nicht stören. Wo ist denn Warrior? Der Tote da draußen, ist das einer von der Bande?«

»Wir wissen nichts von einer Bande und interessieren uns nicht für die Dinge in Texas. Die Yankees haben uns das Land zwischen Rio Grande und Red River gestohlen! Es gehörte tausend Jahre lang uns! Was sollen uns die Leute scheren, die den Gringos Schwierigkeiten bereiten?«

»So ist es!«, stimmte der Wirt zu.

»Entschuldigen Sie, Senor. Wollte ja nur wissen, ob zwei die Fliege machen konnten.«

»Dieser Mann hier hat einen seiner Feinde erschossen, Zwei andere ritten weg. Aber es gab viel Schaden, einen Verletzten, und eine Beerdigung ist auch zu finanzieren!«

»War einer der geflohenen Männer so ein gedrungener, breiter Kerl mit roten Borstenhaaren?«

»Kann schon sein, Senor.«

Freundlich grinste McCleef den Alkalden an. »Das wollte ich ja nur wissen. Und verpassen Sie dem da nur ordentlich was, damit er weiß, was es kostet, in fremden Städten Schießereien vom Zaun zu brechen. Diese Revolverschwinger! Meinen, sie könnten überall herumballern, wie es ihnen beliebt. John Cutler heißt er. Hab ich schon mal gesagt, was?«

McCleef drehte sich noch im Reden um und konnte ungehindert die Bodega verlassen. Er hatte das Glück, zu spät gekommen zu sein. Nur dadurch war er nicht in die Schießerei mit den Banditen verwickelt worden.

Aber zugleich erkannte Cutler auch, wie gefährlich und wie hartnäckig der Kopfgeldjäger der einmal aufgenommenen Spur folgte. Er hatte den richtigen Weg ebenfalls gefunden. Und nun befand er sich schon wieder unterwegs, würde die Fährte abermals aufnehmen und vielleicht bald ihr Ende erreichen.

»Wir sollten ihn erst mal einsperren, damit er darüber nachdenken kann«, schlug der Wirt vor.

Die unverhüllte Skrupellosigkeit, mit der die Leute von El Cuervo Geld zu beschaffen versuchten und sicherlich oft genug auch einheimsten, raubte Cutler jegliche Illusion hinsichtlich ihres Gerechtigkeitsempfindens. Sie würden ihn einsperren und schmoren lassen, bis er eine Möglichkeit fand, ihre Forderungen wenigstens teilweise zu erfüllen. Und wenn das nicht geschah, würden sie wohl eine Arbeit ersinnen, die er ausführen und ihnen Geld bringen konnte.

Nur Flucht half ihm aus der Tinte. Und er musste rasch handeln. Erst einmal hinter Gittern konnten Tage oder Wochen vergehen, bis sich eine Chance bot.

»Ich glaube auch, er braucht Zeit und Ruhe, zum Nachdenken«, räumte Escudo ein.

Cutler wurde wieder vom Stuhl gezogen. Die ersten Männer wandten sich ab und verließen die Bodega.

»Bildet eine Gasse bis zur Gendarmerie!«, rief der Gesetzeshüter. »Damit er nicht auf den Gedanken verfällt, auskneifen zu wollen.«

Cutler wurde noch fest- und zurückgehalten, damit die anderen Zeit finden sollten, sich draußen entsprechend aufzustellen. Auch der Alkalde verließ die Kneipe.

Das war der vermutlich einzige Zeitpunkt, zu dem Cutler mit einiger Aussicht auf Erfolg handeln konnte.

Und er handelte.

*

Seine urplötzliche Reaktion überraschte seine Bewacher völlig. Cutler riss sich los, trat zurück, packte die beiden an den Köpfen und schlug sie zusammen.

»Achtung!«, schrie der Wirt, der alles sah.

An der Tür wirbelten die Mexikaner herum.

Posten an der Hintertür zogen die Revolver.

»Er flieht!«, jammerte der Keeper und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Cutler konnte weder vorn noch hinten hinaus. Es schien doch nicht zu klappen. Aber einmal wenigstens unmittelbar frei, wollte er es wissen. Frei lag lediglich die Treppe ins Obergeschoss vor ihm. Er rannte auf sie zu und stürmte die Stufen hinauf.

Colts entluden sich. Kugeln fuhren in die Stufen und trafen das Geländer.

Er erreichte das Obergeschoss und lief über die Galerie.

Die meisten Männer befanden sich schon wieder in der Bodega und hetzten zur Treppe. Da jeder als erster hinaufwollte, behinderten sie sich gegenseitig und schimpften aufeinander.

Eine Tür öffnete sich. Dolores, das schönste der mexikanischen Mädchen, blickte heraus.

Cutler warf sich gegen die Tür. Sie flog ganz auf. Dolores trat zur Seite. Er stieß die Tür zu und schob den Riegel vor. Ein Blick auf das hohe, offenstehende Fenster zeigte ihm die hellerleuchtende Straßenseite.

»Er ist bei Dolores ’rein«, sagte jemand auf der Treppe.

Das Mädchen lehnte an der Wand und kreuzte die Arme vor der Brust. »Du hast Pech, Amigo mio. In El Cuervo kreuzt man auf, um ein Fest zu feiern und Geld auszuteilen. Aus keinem anderen Grund.«

»Hab ich auch schon bemerkt.« Cutler trat ans Fenster.

Unten stürmten die letzten Männer unter das Vordach. Offensichtlich wollte keiner verpassen, was drinnen geschah.

Eine Faust drosch gegen die Tür. »Aufgemacht!«, verlangte der Gendarm. »Im Namen des Gesetzes!«

Unten war niemand mehr.

Cutler flankte kurz entschlossen aus dem Fenster, kam auf dem Vordach federnd auf und sprang zur Straße. Das Glück war ihm hold. Direkt neben sich sah er seinen Braunen.

Die Männer an der Tür schauten in die Bodega hinein. Eine Frau auf der anderen Straßenseite jedoch rief: »Da ist der Gringo!«

Cutler riss gerade den Zügel mit einem Ruck von der Haltestange.

Die Mexikaner wirbelten herum.

Im Obergeschoss der Bodega barst die Tür, weil Dolores sie offenbar nicht geöffnet hatte.

»Hier ist er!«

An der Tür entlud sich ein Colt. Über Cutler pfiff die Kugel hinweg.

Er sprang in den Sattel und trieb den Braunen an.

Hinter ihm schossen die erneut auf die Straße laufenden Männer. Staub trieb ihnen entgegen. Rasch war der Reiter nicht mehr zu erkennen. Aber sie feuerten wie verrückt in die Staubwand hinein, bis die letzte Revolvertrommel entleert war. Kaum verklang das Echo, war der sich entfernende Hufschlag erneut zu hören.

Der Gendarm stürzte aus der Bodega, griff sich das erstbeste Pferd und gab schroffe Kommandos. Auch der Alkalde trieb die Männer zu eiliger Verfolgung an, dachte aber selbst nicht daran, mit ihnen zu reiten. Selbst der Wirt schimpfte nur über die Trägheit der Bewohner, ohne sich der Mühe eines nächtlichen Rittes unterziehen zu wollen.

Es dauerte lange, bis ein rund zwanzigköpfiges Aufgebot endlich aus der Stadt galoppierte und im Westen in den Staubschwaden unter dem fahlen Mondlicht verschwand.

»Wenn wir gewusst hätten, dass diese Höllenhunde aus Texas viel Geld wert sind ...«, Der Wirt verdrehte die Augen und blickte fragend auf den Alkalden. »Ich meine, das Geld hätten wir uns doch auch verdienen können.«

»Wir wussten es aber nicht!«, schimpfte der weißhaarige Senor Escudo. »Und wir sollten uns hüten, in den Ruf zu geraten, hier wäre ein gehetzter Mensch nicht sicher!«

»Gewiss, Don Estaban, gewiss. Es schien mir aber, als ginge es bei diesen Höllenhunden um sehr viel Geld. Vielleicht sollte man da doch einmal eine Ausnahme gelten lassen. Ich meine, die lassen sich ja möglicherweise wieder mal hier sehen.«

Der Alkalde lauschte dem sich nach Westen entfernenden Hufschlag nach.

»Den fassen unsere Männer nicht mehr. Spätestens in der Sierra del Hueso verlieren sie die Spuren. Ein cleverer Bursche, dieser Gringo, das muss der Neid ihm lassen!«

Escudo fluchte verdrossen.

»Ich meine, mir gefällt es ja auch nicht. Die Gelegenheit schien sehr günstig. Und eventuell hat er ja wirklich eine reiche Tante irgendwo in den Staaten, die angezapft werden könnte. Aber sportlich gesehen ...«

»Sie sind ein Schwätzer!«, entfuhr es dem weißhaarigen Alkalden. Mit schnellen Schritten verließ er die Veranda.

*

John Cutler hielt auf einem Hügel und schaute mit dem Gewehr in den Händen zurück. Zu seinem nicht gelinden Erstaunen hatte er die Spencer im Scabbard entdeckt. Jemand musste sie aufgehoben und ordentlich verstaut haben, höchstwahrscheinlich jedoch nicht in der Absicht, ihm damit behilflich zu sein.

Die Verfolgerpferde waren zu hören. Sie waren hartnäckig. Vielleicht dieser wenig intelligent aussehende Gendarm, der sich noch Sporen verdienen wollte.

Cutler ritt die Hügelflanke im Westen hinunter und den Bergen entgegen. Manchmal klirrte schon nacktes Lavagestein unter den Hufen, und skurrile Felsgebilde tauchten im Mondschein auf und blieben zurück.

Von den Tafelbergen ließen sich vorerst nur die breiten Plateaus erkennen. Außerdem eine recht breite Schlucht, die zwischen die gewaltigen Steinklötze führte.

Nach einer halben Stunde hatte Cutler die Berge erreicht und bog nach Norden ab. Er hielt sich nicht damit auf, Spuren seines Pferdes zu verwischen, sondern wollte möglichst rasch über den Rio Grande. Dahin kamen sie ihm sicher nicht nach, selbst dann nicht, wenn es ihnen gelingen sollte, den kargen Hinweisen auf seinen Verbleib folgen zu können.

Im Morgengrauen hatte er das Pech, einer Art Sackgasse zu folgen. Sie führte in ziemlich große Höhe und endete auf einem Plateau. Rundum fiel das Gestein senkrecht ab. Nur der Weg im Süden führte herauf und hinunter.

»Auch das noch.« Cutler saß ab, trat an den Rand des Abgrundes und sah in der Tiefe zwei Reiter.

Sofort trat er zurück, führte den Braunen in den Weg, legte sich danach auf den Boden und kroch abermals an den Rand der Steilwand.

Die beiden Mexikaner parierten die Pferde. Der eine schien zu dem anderen zu sprechen und deutete in den sich teilenden Schluchtweg.

Die Leute aus El Cuervo schienen sich getrennt zu haben und überall in den Bergen nach ihm zu suchen.

Die beiden Reiter nickten sich zu. Der eine ritt nach Süden, der andere in die Schlucht, die Cutler selbst benutzt hatte.

Er kroch zurück, richtete sich auf und repetierte das Gewehr, während er zu seinem Braunen zurückkehrte und ihn ein Stück den Hohlweg wieder nach unten führte, bis mitten zwischen senkrechten Wänden ein paar hohe, zerrissene Höhlen auftauchten, die ihm und dem Pferd Deckung bieten konnten.

Das Pferd ließ sich ohne zu bocken in die Schwärze führen. Cutler kehrte an den Zugang zurück und beobachtete den Weg.

Rasch wurde es heller. Nebelschwaden drückten den Hohlweg herunter und drängten die Nachtkühle in den Canyon ab.

Hufgeklapper hallte von den Wänden wider und weckte ein zunehmendes, lauter werdendes Echo.

Cutler trat zurück, die Spencer an der Hüfte angeschlagen.

Der Reiter näherte sich langsam aber unaufhaltsam, erreichte die Höhe der Höhle und ritt arglos vorbei. Auch er hielt ein Mehrladegewehr in den Händen.

Cutler trat auf den Weg. »Hier bin ich!«

Jäh zügelte der Mexikaner sein Pferd. Er wagte es nicht, über die Schulter zu blicken, sagte aber: »Und was nützt dir das ohne Waffe, Gringo?«

»Du irrst!« Cutler repetierte das Gewehr noch einmal. Eine Patrone sprang aus dem Röhrenmagazin und fiel klirrend auf den Boden.

Der Reiter zog den Kopf ein.

»Da war einer so nett, mein Gewehr wieder in meinen Scabbard zu schieben. Wie es sich gehört. Los, links absteigen und Hände über den Kopf, Compadre!«

Der Mexikaner ließ sein Gewehr fallen. Lauter als die Patrone schlug es auf den Weg, entlud sich jedoch nicht. Der Mexikaner saß wie befohlen ab und hob die Hände.

»Den Patronengurt schnallen wir ebenfalls ab!«, befahl Cutler. »Aber nur mit der linken Hand!«

Der Mexikaner nahm die linke Hand herunter und öffnete die Schnalle des hellbraunen Gurtes, den er nicht wie ein Mexikaner über die Schulter, sondern wie in Texas üblich, um die Hüften trug.

»Sehr schön«, sagte Cutler, als die Waffe mit Halfter und Gurt auf den Boden schlug. »Geh drei Schritte weiter, damit ich ihn aufheben kann.«

»Hast du keine Angst, dass meine Freunde heraufkommen?«

»Nein, ihr habt euch doch getrennt, bildet euch offenbar ein, ich wollte in der Nähe bleiben. Gehst du nun etwas weiter?«

Der Mann aus El Cuervo gehorchte abermals. Cutler folgte ihm, konnte den Patronengurt aufheben und ihn selbst umschnallen. Die Schlaufen steckten voller Patronen für den Peacemaker.

»Nun geht es noch um zwanzig Dollars«, erklärte er. »Ich hoffe, du hast soviel Geld, Amigo?«

»Was für zwanzig Dollar?«

»Die ihr mir in El Cuervo abgenommen habt. Sicher hast du es auch gesehen. Sag dem Alkalden einen schönen Gruß von mir, und er soll so nett sein, dir mein Geld zu geben. Wir wären dann alle miteinander so ungefähr quitt.«

»Ich habe keine Dollars.«

»In Ordnung, gib mir zwei Goldpesos. Ich werde Sie in Texas umtauschen.«

»Ich habe auch keine Pesos!«

Cutler trat dichter an den Mann heran. Die Mündung der Spencer berührte den Rücken des Mannes. »Wirklich nicht? Ich werde dich durchsuchen, bevor ich es glaube. Und ich werde dafür sorgen, dass du mich nicht dabei störst!«

Der Mexikaner begriff den Sinn der Worte sofort, fluchte unflätig, griff in die Tasche und brachte Geld zum Vorschein. Es handelte sich sogar um Dollars, allerdings in Form von Banknoten.

Cutler nahm zwei davon und steckte sie ein. »Den Rest kannst du behalten. Ich wollte nur mein Geld zurück. Lauf den Weg weiter hinauf. Vorwärts!«

»Du willst mich töten!«

»Dummkopf. Wollte ich das, wäre die viele Mühe überflüssig gewesen. Nun geh schon!«

Der Mann lief mit erhobenen Händen den Hohlweg weiter hinauf.

Cutler schnallte den Sattelgurt des fremden Pferdes auf und warf den Sattel in eine Felsspalte. Er musste es riskieren, in die Höhle zu gehen und den Braunen zu holen. Aber als er wieder herauskam, lief der Mexikaner immer noch gehorsam den Hohlweg hinauf und schaute sich nicht um.

Cutler schwang sich in den Sattel und trieb den Braunen an. Er galoppierte den Weg hinunter und war um die nächste Biegung, bevor der Mexikaner zurückrennen und das Gewehr aufraffen konnte.

Schimpfend lenkte er sein Pferd herum, wollte auf seinen Rücken springen, weil nebst Sattel auch die Steigbügel fehlten. Doch er sprang nicht hoch genug, fluchte lästerlich, versuchte es abermals und hatte wieder kein Glück. Obendrein bockte das Pferd wegen der ungewohnten Behandlung und keilte aus. An das Schienbein getroffen humpelte der Mexikaner keifend gegen die Wand. So gewann Cutler den Vorsprung, den er brauchte.

*

Der alte Nathan Brigg wusch sich am Rio Grande in der Morgensonne, kämmte sein verfilztes Haar mit den Fingern und strich den wuchernden Bart glättend nach unten, was sein verwildertes Aussehen jedoch keineswegs zum Besseren veränderte.

Gegenüber zwischen den Büschen am Ufer entdeckte er auf einmal einen Reiter und stieß ein Grunzen aus. »Verdammt, Mister, ist noch keinem gelungen, sich unbemerkt zu nähern!«

Cutler ritt den Hang hinunter und durch den seichten Fluss. Neben dem Einsiedler zügelte er den Braunen und saß ab. »Sie bemerken jeden, der durch die Brasada reitet?«

»An diesem Ufer schon.«

»Dann haben Sie auch die Banditen gesehen oder gehört, die während der Nacht zurückkehrten, was?«

»Nein, nein, Sie sehen das vollkommen verkehrt, Mister. Ich sehe und höre die Fremden in der Brasada nicht und weiß trotzdem, dass sie vorbeiziehen.«

»Ach so ist das.«

»Ja. Die Tiere reagieren darauf. Antilopen fliehen gleich drei bis vier Meilen weit, so schreckt sie ein Mensch auf. Die Wildschweine bleiben spätestens nach einer Meile schon wieder stehen und sägen an den Bäumen herum. Die Schneehasen laufen noch nicht mal so weit.«

»So lässt sich auch die Entfernung einigermaßen bestimmen, in der die Leute vorbeireiten, was?«

Brigg grinste. »Schlau sind Sie. Wie war gleich der Name?«

»John Cutler.«

»Nathan Brigg!« Der Eremit verbeugte sich förmlich, grinste aber.

»Ich weiß, Sie sagten es.«

»Na ja, in meinem Alter wird man vergesslich. Ist doch normal. Was wollten Sie wissen?«

»Wann die Banditen durch die Brasada ritten.«

»Ach so. Ja, das ist schon ein paar Stunden her. Aber später kam dann noch mal ein Reiter. Der ist übrigens kurz nach Ihnen auch hinübergeritten.«

»Das war McCleef. Der sucht also wieder hier herum. Diesmal möglicherweise auf einer verdammt frischen Spur.« Cutler überlegte, ob er schnurstracks zu der Furt reiten und dort ebenfalls die Spur aufnehmen sollte.

Doch er verwarf den Gedanken vorerst, weil er davon ausgehen musste, die Spuren tiefer in der Brasada wiederum zu verlieren. McCleef, auch wenn er dichter dran war, konnte es genauso ergehen.

Er blickte auf den Mann neben sich, während sie gemeinsam den Steilhang erklommen und das Dickicht durchbrachen, das die abenteuerliche Hütte gegen Sicht vom Rio Grande schützte. »Ich glaube, Sie haben mir gestern einen Bären aufgebunden, Brigg!«

»Ich?« Der Eremit zog die Brauen in die Höhe und wirkte wie gewollt erstaunt, fast schon erschreckt und beleidigt. »Der Schlag soll mich auf der Stelle treffen, wenn ich jemals gelogen habe, mein Junge!« Er fiel auch, ohne es zu merken, in den ihm mehr liegenden vertrauten Ton.

»Aber warum denn gleich so drastisch, alter Mann«, ging Cutler auf seinen Ton ein. »Und wieso gleich ein Schlag? Sagen wir so, du hast ein bisschen gemogelt.«

»Ich weiß wirklich nicht, was das soll!«

Cutler blieb stehen und hielt den Mann am Arm fest. »Es ist doch richtig, dass diesen Teil der Brasada keiner so gut kennt wie du, was? Du hörst die Geräusche, bestimmst Entfernungen, kennst alle Tiere, vielleicht sogar jeden Sumpf in zehn Meilen Umkreis.«

Der alte Mann kicherte.

»Und du kennst sicher jeden Weg, auf den man den Fuß setzen darf, ohne spurlos unter trügerischem Moos zu verschwinden. Für alle Zeiten!«

»Kann schon sein, mein Junge.

»Dann weißt du auch, wo sie stecken. Du bist im übrigen viel zu neugierig, als dass du das nicht ausspioniert hättest.«

Brigg kratzte sich in den Haaren. »Wenn ich es mir richtig überlege, ist an deiner Vermutung was dran. Es hätte mich interessieren müssen. Sicherheitsinteresse. Logisch, mein Junge. Aber du irrst dich. Der alte Nathan Brigg hat nicht spioniert!«

»Also gut, du hast ausgekundschaftet, wo sie sich verkriechen. Du wusstest vielleicht sogar eine Hütte, in die Fremde nur zu ziehen brauchten, um vor der Umwelt für einige Zeit sicher zu sein.«

»Du denkst an die Hütte von Zattig, was? Von dem alten Schlitzohr, der eines Tages zuviel gesoffen hatte und danach daheim nicht mehr ...« Brigg verstummte.

Cutler schaute ihn nur an.

»Hab eben zuviel gesagt, wie?«

Cutler lächelte.

Der alte Mann fluchte leise, fixierte den Revolver des anderen schärfer und kratzte sich im noch nassen Bartgestrüpp. »Hast dir eine neue Kanone geleistet, was?«

»Nein.«

»Aber gestern hattest du eine andere.«

»Ich hab getauscht.«

Der Eremit begann zu grinsen. »Was war denn los in El Cuervo? Kummer gehabt?«

»Ich habe einen der Banditen erschossen. Die anderen verletzten einen Mann und entkamen. Da dachten die Halunken dort, ich wäre auch ein ganz guter Ersatzmann, den man über den Tisch ziehen könnte.«

Brigg kicherte wieder und nickte wissend. »Jaja, die sind mit großer Vorsicht zu genießen. Muss ich glatt vergessen haben, zu erwähnen.«

»Du schweifst verteufelt viel vom Thema ab, Brigg. Bildest du dir wirklich ein, ich vergesse, was ich eigentlich will? Wie weit ist es zu der Hütte?«

»Eine gute Stunde braucht man schon.«

»Dann wollen wir uns ein bisschen beeilen.«

»So was Hartnäckiges. Ich will Frieden haben, zum Satan!«

»Warrior ist achthundert Dollar wert. Hast du nicht was von einer neuen Flinte, Dachpappe und noch was erzählt?«

»Eine neue Pumpe. Aber die Flinte wäre die Hauptsache. Mit ihr mache ich schon neues Geld. Wieviel für mich?«

»Alles.«

»Jetzt glaubst du, ich ziehe die Hosen mit der Zange an, verdammt, Cutler!«

»Mich interessiert nur, dass die Kerle dingfest gemacht werden. Das Geld gehört dir, wenn wir sie kriegen.«

»Achthundert Bucks!« Selig verdrehte der alte Mann die Augen. »Das hättest du aber auch gleich sagen können.«

Beeil dich!«

»Ich muss nur den Esel satteln. Bin gleich wieder hier.«

»Bring mir was zu essen mit, falls du was hast«, rief Cutler dem davoneilenden Eremiten nach.

*

Obwohl die Sonne im Osten längst aufgegangen war, herrschte noch Dämmerlicht im Stecheichendickicht. Jedoch meldeten sich mit jeder Minute mehr Tierstimmen in den Nebelschwaden, die über dem Moos lagerten.

Gretty stand am Fensterloch in der alten Hütte und schaute hinaus. Die Gegend war ihm so unheimlich wie am ersten Tage ihres Aufenthalts hier. Und jedesmal, wenn sie in einer Stadt genug gesoffen hatten und Katerstimmung ihn beherrschte, ging sie ihm noch mehr auf die Nerven. Nun kam der Tod von Tracy dazu.

Am Tisch hinter dem Halunken packte der Bandenführer in zwei Satteltaschen zusammen, was sie mitzunehmen gedachten. »Wir reiten nach Arizona«, sagte Warrior.

»Am besten gleich nach Kalifornien.« Gretty wandte sich um. »Dort kennt uns vermutlich niemand.«

Die Hütte glich in ihrer Ärmlichkeit der von Brigg, nur besaß sie vier gerade Wände und die Pferde standen draußen in einem Anbau.

»Bist du sicher, dass Tracy auch wirklich tot war, Doug?«

Warrior hielt inne. »Ja, ganz sicher.«

Gretty trat an den Tisch und zog die eine, noch offene Tasche zu sich herüber. Dabei fielen ein paar Münzen heraus, rollten über den Tisch und zu Boden. Es handelte sich nur um ein paar Dollar, weswegen der Bandit nicht daran dachte, sich zu bücken. Er schnallte die Tasche zu und nahm sie in die Hand.

Warrior ging hinaus, um die Hütte herum und in den Anbau.

Gretty beobachtete noch die Mauer der grünen, nach Schwefel riechenden Hölle, die weniger als zwanzig Yards entfernt bereits begann. Ein schmaler Weg führte in sie hinein. Alle paar Tage mussten sie ihn neu ins Dickicht schlagen, so schnell wucherte er zu, drohten Buschwerk, Lianen und Dornengestrüpp die Männer einzuschließen.

»Wo bleibst du denn?«, fragte Warrior.

Gretty war es, als hätte sich das Dickicht auf der linken Seite bewegt. Aber er hörte keine zusätzlichen Geräusche zu denen der vielen, erwachenden Tiere, und er sah auch sonst nichts Verdächtiges.

Douglas Warrior tauchte mit seinem Pferd am Zügel auf und schnallte die Satteltasche fest. »Du wirst dir deinen Gaul schon selbst satteln müssen!«

Gretty schaute immer noch zu den Büschen hinüber, die höher als zwei Yards in den Himmel ragten. Rot und violett blühte es davor in leuchtender Pracht, doch Gretty meinte, die wilden Blumen würden ihn höhnisch angrinsen.

»Was hast du denn?«

»Dort drüben hat sich das Geäst bewegt.« Grettys Stimme klang kratzig und unsicher.

Warrior schaute über die Schulter. »Es bewegt sich immer mal was. Ständig sind irgendwelche Viecher unterwegs. Sattelst du deinen Gaul nun, oder bleibst du hier?«

Gretty ging zum Anbau.

Warrior schaute wieder zu den Büschen hinüber, die sich bewegt haben sollten. Er schüttelte den Kopf, weil er nichts Verdächtiges entdeckte, zog den Sattelgurt noch einmal nach und saß auf. »Nun beeile dich doch ein bisschen, Gretty!«

*

»Wir lassen die Tiere hier zurück.« Der alte Eremit saß ab und band den Esel an den Aststumpf eines entwurzelten Baumes, der ihnen querliegend den Weg sperrte. Das Moos wucherte bereits über die Rinde hinweg. Auf der Nordseite faulte das Holz.

Cutler folgte dem Beispiel des Alten, band den Braunen ebenfalls an und folgte Brigg. Der Einsiedler hantierte fluchend an der alten Parker herum und sagte: »Ich bin nur mitgegangen, weil ich ein Gewehr brauche. Ansonsten interessieren mich die Geschichten der Sheriffs und Kopfgeldjäger gar nicht.«

Cutler grinste nur, als der Mann sich böse umblickte und ein Schnaufen von sich gab.

»Aber komisch ist das bei dir.« Brigg kratzte sich im Bartgestrüpp.

»Was denn?«

»Wenn die achthundert Bucks mir gehören, guckst du in die Röhre, verdammt!«

»Du merkst aber auch alles, Nathan. «

Der Einsiedler schüttelte den Kopf und kratzte sich nun an der Schläfe, als wollte er den Gedankenfluss in seinen Kopf aktivieren. »Das muss doch eine Haken haben, Hölle und Schwefel!«

»Ich will, dass die Halunken kriegen, was sie verdienen und ihre Beute wieder den rechtmäßigen Besitzern zugestellt werden kann. Soweit davon noch was da ist.«

»Das macht doch keiner aus reiner Menschenfreundlichkeit.«

»Vielleicht gibt es Gründe für mich, die nichts mit Geld zu tun haben, Nathan!«

»Meinst du Rache?« Brigg ließ die Hand sinken. »Ach so. Die haben jemanden um die Ecke gebracht, der dir nahe stand, wie?«

»Du sollst dir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Dir gehört die Kopfprämie, wie abgemacht.« Cutler verschwieg dabei, dass er als Angehöriger der Alamo-Organisation die Prämie gar nicht kassieren konnte. Sie würden es bei seiner Dienststelle irgendwann erfahren, wenn er das tat, würden ihm die Hölle heiß machen und die Dollars wieder abknöpfen.

Brigg ging weiter. »Aber wenn daran was faul ist, das sage ich dir, erlebst du was!«

»Es ist nichts faul.«

Der Eremit blieb stehen und wandte sich um. »Glaube es ja auch nicht. Du machst so einen ehrlichen Eindruck, mein Junge. Und du bist seit Jahren der erste, dem ich vertraue.«

»Gut, Nathan. Aber nun wollen wir zusehen, dass wir die Halunken auch wirklich schnappen!«

Brigg lief weiter. Das Dickicht vor ihnen wurde höher, und die Schneise endete vor einer Wand aus Kakteen und Gestrüpp, hinter denen das Schmatzen eines Sumpfes hörbar wurde.

Brigg duckte sich rechts unter den Rotdorn und führte Cutler im Zickzack scheinbar kreuz und quer durch die Brasada. Nach ungefähr zehn Minuten wurde der Alte langsamer und stieß ein warnendes Zischen aus.

Cutler verharrte.

»Gleich sind wir da und heben sie aus!« Brigg kicherte leise.

Cutler packte das Gewehr fester. »Nimm es nicht auf die leichte Schulter«, flüsterte er. »Das sind eiskalte Kerle, die sofort schießen. Da wird nicht gefackelt.«

Brigg nickte grinsend und spannte die beiden außenliegenden Hämmer des Gewehres. »Ich puste mit einem Schuss die alte Hütte um. Du wirst es erleben!« Er kroch unter den Ocotillos hindurch, schob das dahinterstehende Yuccagestrüpp auseinander und trat etwas zur Seite.

Über seinen Arm und die Läufe der Schrotflinte hinweg sah Cutler die Hütte auf der kleinen Lichtung. Sie besaß zwei Türen, die eine vorn und die andere hinten am Anbau. Beide standen offen. Nichts rührte sich auf der Lichtung.

»Ausgeflogen«, stellte Cutler lakonisch fest. Einen Augenblick lang beschränkte er sich noch aufs bloße Beobachten, dann schlug er das Gestrüpp mit dem Gewehr auseinander und betrat die kleine Lichtung.

»Vielleicht sind sie erst mal woanders hin, um zu frühstücken«, sagte der Eremit unsicher, während er Cutler folgte.

»Nur mal zum Frühstück dreißig Meilen in eine Stadt und zurück, was?«

Brigg zuckte mit den Schultern. »Na ja, könnte doch sein.«

Cutler erreichte die Hütte und schaute hinein. »Nein, Nathan. Die sind abgehauen. War vielleicht doch ein ziemlicher Schock für sie, dass sie bis El Cuervo verfolgt wurden und einer von ihnen auf der Strecke blieb.«

Brigg schaute ebenfalls in die verlassene Hütte. »Dort liegt ein Dollar. Na so was. Liegt einfach so herum. Und dort noch einer. Mann Gottes, die haben ja mit dem Geld um sich geworfen!«

Cutler ging hinein, schaute in den Blechspind in der Ecke und auf die Strohlager, aber er wusste, dass er keinen Hinweis auf den Verbleib der Banditen finden würde.

Brigg klaubte alle herumliegenden Münzen hastig auf und steckte sie ein. »Ist ja eine Sünde, die Dollars so herumzuwerfen!«

Cutler verließ die Hütte und schaute in den Anbau, dann folgte er den Spuren in den geschlagenen Weg. Als Brigg ihn einholte, ließ sich auf dem Boden bereits nichts mehr erkennen.

»Kannst du den Spuren folgen, Nathan? «

Der Eremit verzog das Gesicht. »In der Brasada verliert man jede Spur, wenn es der andere darauf anlegt. Die kannst du vergessen, mein Junge.«

Cutler war enttäuscht. So dicht hatte er den Schurken auf den Hals rücken können, und nun schien doch alles umsonst. Es konnte ihn nicht trösten, dass er in El Cuervo einen der Halunken erschoss. Warrior würde Ersatz für Tracy beschaffen, wenn er sein lichtscheues Treiben irgendwo fortsetzen wollte.

»Siehst ziemlich sauer aus.« Brigg spuckte ins Moos. »Hast du gar keine Ahnung, wohin die sein könnten?«

»Sie sind von Nebraska nach Wyoming, von dort aus nach Oklahoma und dann hierher. Vielleicht gehen sie jetzt nach Arizona, vielleicht auch nach Arkansas.«

»Die reiten also ein paar tausend Meilen, bevor .sie wieder richtig auftauchen?«

»So war es bisher.« Cutler suchte weiter. Aber ohne Hoffnung auf Erfolg.

Der Eremit kam ihm nach und hielt ebenfalls mit mürrisch verzogenem Gesicht Ausschau, bis er sagte: »Dann werde ich die achthundert Bucks mal in den Wind schreiben, mein Junge, meinen Esel holen und nach Hause reiten.«

*

Es ging auf den Abend zu, als Cutler Lobo hinter den Hügeln am ausgetrockneten Wildhorse Creek erreichte.

Männer standen auf der Straße. Aus dem Obergeschoss des Saloons schaute die blonde Sheila herunter und winkte.

Sheriff Winter vertrat Cutler den Weg und hielt das Pferd fest. »Na, Mister, Sie sehen nicht sehr erfolgreich aus. War wohl nichts mit der Kopfprämie?«

Cutler stieg ab.

»Hätte ich Ihnen gleich verraten können. In der Brasada kann man sich dumm und dämlich suchen, ohne jemals was zu finden;«

»War McCleef hier?«

»Nein.«

»Dann müsste er jetzt immer noch in der Brasada herumsuchen«, murmelte Cutler vor sich hin. »Seltsam.«

»Was meinen Sie?« Winter kniff die Augen misstrauisch zusammen.

»Nichts weiter.«

»Nun rücken Sie mal mit der Sprache heraus, Mister! Uns interessiert schließlich, was hier läuft. Wir müssen in der Nähe der Banditen leben! Wir haben ein Recht, alles zu erfahren.«

»In Ordnung, ich werde alles erzählen. In einer Stunde im Saloon, wenn ich was gegessen habe.«

»Na schön«, brummte der bullige Sheriff und trat zur Seite.

Cutler ging weiter.

Sheila stand indessen vor dem Saloon. »Hallo, bleibst du über Nacht, Cutler?«

»Ja, Sheila.«

»Großartig.«

»Bestell mir etwas zu essen und einen Eimer Whisky. Ich bin wie ausgetrocknet!«

Sheila lachte und wandte sich um.

*

Die Haut des Mädchens schimmerte dunkel. Sheila lächelte durch das Dunkel und küsste Cutler, der neben ihr im Bett lag.

»Du bist so in Gedanken.«

»Ich weiß.« Er zog sie an sich und vermochte sich doch nicht auf sie zu konzentrieren.

Victor McCleef ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Der Kopfgeldjäger hatte El Cuervo einen nur so kurzen Besuch abgestattet, dass er von dort kaum eine Flasche frisches Wasser, geschweige denn Lebensmittel mitgenommen haben konnte. Und es gab keine andere Stadt als Lobo diesseits der Grenze, die rasch zu erreichen war. Weshalb tauchte er hier nicht auf? Er musste doch begriffen haben, dass er die Banditen in der Brasada nicht finden konnte.

»Du bist weit weg«, brachte Sheila sich in Erinnerung, umklammerte ihn mit den Beinen und schlang die Arme um seinen Hals. »Sehr weit weg, Cutler! «

Er lächelte dünn. »Entschudige.«

»Und du bist müde.«

»Kein Wunder, ich muss eine Ewigkeit nicht mehr geschlafen haben.« Er musste sich zusammenreißen, um nicht zu gähnen und wälzte sich auf den Rücken.

Sheila ließ sich in ihren Bemühungen deswegen nicht beirren, legte sich auf ihn und liebkoste ihn weiter, bis in ihm doch wieder das Verlangen nach ihr aufkeimte und die Müdigkeit noch einmal vertrieb.

*

»Frühstück ist da!« Sheila betrat mit einem Tablett auf den Händen das Zimmer und versetzte der Tür einen Tritt. Sie schwang herum und knallte zu.

Cutler war augenblicklich hellwach und sah das Sonnenlicht an den hässlichen Wänden und im Haar des Mädchens, in dem Funken zu sprühen schienen.

»Du hast einen gesegneten Schlaf!« Sheila setzte sich auf die Bettkante und stellte das Tablett mit der Kaffeekanne, zwei Tassen, Brot, Butter und Ziegenkäse, Schinken und Eiern neben sich.

Cutler setzte sich. »Ist McCleef noch gekommen?«

»Sag mal, denkst du an noch was anderes als ihn?«

»Ja oder nein?«

»Nein.«

»Das gibt’s nicht. Er kann nicht immer noch in der Brasada herumsuchen!«

»Warum denn nicht?« Sheila stellte die Tassen auseinander, goss Kaffee ein und bestrich das Brot. »Was willst du, Käse, Ei oder geräucherten Schinken? «

»Schinken.« Cutler konnte durch das Fenster nach Süden schauen und sah die Hügel der Tierra Vieja Mountains, hinter denen die grüne Hölle der Brasada lag.

»Er ist kein Dummkopf und sicher nicht stur genug, um so was zu tun.«

»Er ist ein verschlagener, mit allen Wassern gewaschener Halunke«, erwiderte das Mädchen. »Ich denke, das habe ich deutlich genug gesagt.

Er schaute sie an und erzählte von seinem Erlebnis in El Cuervo, das er den Männern gegenüber tags zuvor verschwieg.

»Ja, das passt zu McCleef wie ein alter Latschen zu einem anderen. Vielleicht ist er noch mal hin, um dich im Gefängnis zu bewundern. Und vielleicht hat er so von deiner Flucht erfahren, wähnt dich hier und wagt sich deswegen nicht mehr her.« Sheila gab ihm das mit Butter bestrichene und mit Schinken belegte Brot in die Hand.

»Unwahrscheinlich, dass ich ihm so wichtig sein soll«, sagte Cutler nachdenklich. »Der war hart auf der Spur der Banditen.«

»Dann hat er sie vielleicht aus der Brasada hinaus verfolgen können. Immerhin hat er El Cuervo doch vor dir verlassen und war da immer noch dichter an Warrior dran.«

Cutler legte das Brot aus der Hand, trank den Kaffee, stand auf und zog sich an.

»Was geht denn jetzt los?«

»Ich muss noch mal in die Brasada zurück. Da stimmt was nicht. Das stinkt, das riecht man gegen den Wind.«

»Nun warte doch noch ein paar Minuten und iss ordentlich was;«

»Sei ein Schatz und pack mir was ein, Sheila.« Cutler schnallte den Patronengurt um, kämmte die Haare mit den gespreizten Fingern und stülpte den Hut auf den Kopf.

»Also so eine Hast, das passt doch gar nicht zu dir.«

»Bring es mir in den Stall, Sheila.« Er beugte sich zu ihr hinunter, küsste sie flüchtig und lief hinaus.

*

Das Heulen eines Wolfes erschallte in nächster Nähe und ließ den Braunen scharf und erschrocken wiehern. Mit wirbelnden Hufen stieg das Tier auf die Hinterhand.

Andere Wölfe knurrten. Dickicht raschelte.

Cutler sprang ab, weil er das Pferd im Moment nicht unter Kontrolle zu bringen vermochte. Er zog den Colt und sah im gleichen Augenblick die Büsche auseinanderfliegen und einen großen Wolf auf sich zufliegen.

Der Braune floh bereits.

Cutler feuerte. Die Mündungsflamme erreichte fast die vorgestreckte Schnauze, in die die Kugel fuhr. Die Bestie stürzte direkt vor seinen Füßen ins Gras.

Das Donnern des Schusses weckte ein dutzendfaches Echo und verklang. An dem sich entfernenden Rascheln ließ sich erkennen, dass die anderen Wölfe die Flucht ergriffen.

Cutler wartete noch ein paar Sekunden, dann war er ganz sicher, dass sich keine wilden Tiere mehr in der Nähe befanden. Er durchbrach das verfilzte Gestrüpp und sah dahinter ein aufgescharrtes Loch und darin noch halb von dunkler, feuchter Erde bedeckt zwei Leichen. Die Bestien hatten ihnen übel mitgespielt. Aber dass der schrankbreite Leichnam mit dem roten Borstenhaar auf dem Kopf Warrior sein musste, zog Cutler nicht in Zweifel.

Ohne das Gespür der Wölfe für Beute und ihre Anwesenheit, wäre er vor den Büschen vorbeigeritten und hätte dieses Grab niemals entdeckt. Es erübrigte sich, nach der Beute der Banditen zu suchen. Aber es interessierte Cutler doch, wie sie gestorben waren.

Er kniete, schob mehr Erde zur Seite und wälzte die Toten nacheinander herum. Warrior hatte ein Loch im Nacken, der andere im Hinterkopf. Präzise Schüsse hatten die Halunken von hinten erledigt, bevor sie wussten, wie ihnen geschah. Der zuerst Getroffene hatte vermutlich den Knall nicht mehr gehört.

Cutler drehte die Leichen in ihre Ursprungslage und richtete sich auf. Er musste sie hier zurücklassen und hoffen, dass sich die Wölfe so schnell nicht mehr in die Nähe wagten.

Hinter den Büschen lief er nach Süden weiter und fand den noch an den Flanken zitternden Braunen vor einer hohen Saguarokaktee.

»Hoffentlich finde ich Briggs komische Bude von hier aus«, murmelte Cutler, während er aufsaß.

*

Der alte Eremit kicherte, als der Reiter aus dem Uferdickicht heraufkam.

Cutler seufzte. Er musste einen großen Umweg gemacht haben, bis er endlich an den Fluss kam und es mit der Orientierung leichter hattö.

»Suchst wohl den anderen, was, der die Suppe in El Cuervo noch mal nachgesalzen hat?« Der alte Mann grinste breit und kicherte wieder. »Der ist wieder über den Fluss. Gestern schon.«

»Aha.« Cutler spürte plötzlich Aufwind.

»Komisch, was?«

»Nein, finde ich überhaupt nicht.«

Briggs Gesichtsausdruck änderte sich und wurde fragend. »Na hör mal, dass die Halunken nach Mexiko sein könnten, hast du doch nicht angenommen?«

Cutler stieg ab. »Sind die doch auch nicht.«

»Aber wenn der andere die Spuren doch fand Und ihnen folgte, müssten sie ...« Brigg brach ab, weil Cutler den Kopf schüttelte.

»Der will nur ungesehen verschwinden. Die Banditen sind tot. Die hat er gefunden, vermutlich an sich vorbeireiten lassen und aus dem Hinterhalt erschossen.«

Der Eremit spuckte auf den Boden. »Kannst du mir das ein bisschen sortiert erzählen?«

Cutler tat es, lehnte sich gegen die alte, rostende Pumpe und blickte auf den zweirädrigen Eselkarren.

»Du meinst also, der ist mit dem ganzen Zaster verschwunden.«

»Was sonst?«

»Wäre aber verdammt raffiniert.«

»Er geht davon aus, dass alle Leute denken, die Banditen hätten sich mit ihrer Beute verdrückt. Das kann er leicht annehmen, da Warrior und seine Kumpane ja solche Wandervögel waren.«

»Aber das fällt doch auf, wenn sie nirgendwo auftauchen«, brummte der Alte.

»Ach was. Es wären sowieso Wochen oder Monate vergangen, bis man mal wieder was von ihnen gehört hätte. Und wenn nicht, denkt keiner mehr über sie nach. Du weißt doch, wie schnell Gras über was wächst.«

»Stimmt«, gab der Eremit zu. »Und da hat der Kopfgeldjäger sich gedacht, dass eine ganze Tasche voll Geld besser wäre, als lumpige achthundert Bucks Prämie. Wieviel könnte es sein?«

»Möglicherweise zwischen fünfzehntausend und zwanzigtausend Dollar.«

»Das ist ein schöner Brocken, mein Junge. Wer den hat, muss sich um seinen Lebensunterhalt keine grauen Haare mehr wachsen lassen. Kann sich alles kaufen und die schönsten Mädchen aussuchen.« Briggs Blick verklärte sich. »Wieso ist nur mir so was nicht eingefallen?«

»Du hättest sie mit der alten Donnerbüchse so schnell und präzise nicht in die Hölle schicken können, Nathan. Und deswegen wäre dir eine Begegnung mit denen gar nicht gut bekommen.«

»Jaja, die alte Flinte.« Brigg seufzte.

»Aber nun kannst du dir ja bald eine neue leisten, wenn du den Esel einspannst, die Leichen holst und nach Lobo schaffst.«

»Was?«

»Hast mich schon richtig verstanden.« Cutler kehrte zu seinem Pferd zurück. »Der Sheriff wird die Bucks natürlich erst anfordem müssen. Aber man hat dort den Telegrafen und schnelle Postreiter. In ein paar Tagen bist du ein gemachter Mann.«

»Du schenkst mir wirklich die zwei Leichen, Cutler?«

»Ich habe dir doch die Prämie versprochen.«

»Verdammt anständig, weil ich sie ja nun doch nicht fand.«

»Reden wir nicht mehr davon.« Cutler saß auf. »El Cuervo ist da drüben bestimmt die einzige Stadt in der Nähe?«

»Die nächste liegt vierzig Meilen entfernt.«

»Dann wird McCleef in El Cuervo spätestens bemerkt haben, dass ich verschwunden bin und eine Pause machen. Ganz hübsche Mädchen haben sie ja dort.«

»Und auch guten Whisky und saftige Steaks, wenn du genug Zaster auf den Tisch legst.«

»Soll ich dir den Weg zu dem Grab noch mal beschreiben?«

»Das finde ich schon. Sehen wir uns in Lobo noch mal?«

»Ich hoffe es, Brigg.«

»Was soll ich denn dem Sheriff erzählen, wo der Zaster der Bande geblieben ist?« •

»Sag ihm, du wüsstest es nicht, wie es der Wahrheit entspricht. Und lass keine Vermutungen vom Stapel.«

»Da wird er sich aber mit dem Anfordern des Kopfgeldes verdammt zieren, wie ich ihn kenne.«

»Das nützt ihm auch nichts, Nathan. Die Bucks gibt’s für Warrior, lebendig oder tot. Für nichts sonst.«

Der alte Eremit trat zurück. »Kann ich mir nicht vorstellen, dass ich noch mal solchen Massel haben soll und zu ’ner ordentlichen Flinte komme. Na ja, wir werden sehen. Halte in El Cuervo die Ohren steif. Und überhaupt, die sind verdammt nachtragend und haben ein feines Gedächtnis!«

Cutler tippte an seinen Hut, wendete das Pferd und ritt durch das Gestrüpp am Hochufer und die Halde hinunter.

Es gab vielleicht eine Chance, wenn McCleef sich sicher fühlte. Wenn er davon ausging, man würde die Toten nie finden und von ihm glauben, er wäre fortgeritten. Ging der Falschspieler und Kopfgeldjäger davon aus, würde er kaum große Eile an den Tag legen. Denn nach Mexiko war außer ihnen beiden keiner gegangen, um nach den Banditen zu suchen. Dort musste man kaum mit Verfolgern rechnen. Und bevor er noch einige Tagesritte weiter nach einer Bleibe für eine Weile suchte, würde er sich wahrscheinlich in dem Nest erst einmal im neuen Reichtum sonnen.

*

Der Klavierspieler hämmerte auf die Tasten, verspielte sich aber immer öfter und merkte es mitunter schon nicht mehr. Er war müde, regelrecht ausgebrannt schon. Kein Wunder, da er seit dem letzten Abend beinahe pausenlos hier saß.

McCleef hatte die Einwohnerschaft des Nestes freigehalten, alles für ihn Wissenswerte erfahren und die Leute durch sein spendables Verhalten zur Duldung seiner Fete bewogen. Sie waren schon lange volltrunken heimgewankt und lagen sicher selig schlafend in ihren Betten.

Er selbst hatte sich am Nachmittag ein paar Stunden aufs Ohr gelegt und fühlte sich ziemlich fit.

McCleef sah Dolores und Stella zu, die für ihn auf dem kleinen Podium tanzten. Ihre Bewegungen wirkten eckig und steif, aber was Besseres ließ sich in dem grenznahen Nest nicht auftreiben. Dolores gefiel ihm sogar.

»Noch einen Whisky?«, fragte der Keeper.

»Jaja, schenken Sie nur ein, wenn das Glas leer ist. Und für Sie auch, Senor.«

»Danke.«

McCleef dachte an die Posse, die erst gegen Mittag von Westen zurückgekehrt war. Dass sie Cutler nicht hinter Schloss und Riegel hatten, störte ihn ein bisschen. Warum, wusste er eigentlich selbst nicht. Niemand hatte eine Ahnung, wieviel Geld er besaß. Auch die Leute in dem Nest waren auf Vermutungen angewiesen.

Seine Gedanken sprangen weiter. Eigentlich hatte er an diesem Tag fortreiten und jetzt schon zehn Meilen weiter sein wollen. Aber da war eben Dolores, diese stattliche Mexikanerin mit den wippenden Brüsten, von denen manchmal das tief ausgeschnittene Kleid mit dem weiten Rock rutschte. Sicher nicht ganz ohne Absicht.

Er hatte sie letzte Nacht in sein Zimmer geholt und war mit ihr sehr zufrieden gewesen. Es war fast so etwas wie Gier, was ihn nach ihr erfüllte.

»Ich muss mich da losreißen, sonst sitze ich in einem Monat noch in dem Nest«, murmelte er.

»Was sagen Sie, Senor?« Der dicke Wirt beugte sich über den Tresen.

»Nichts.«

Der Klavierspieler neigte sich in diesem Moment zur Seite und fiel vom Stuhl. Dolores und Stella blieben auf der Bühne stehen.

Der Keeper eilte um den Tresen, aber der Klavierspieler erhob sich schon wieder fluchend aus eigener Kraft und brummelte, dass er ins Bett müsste.

Der Keeper drehte sich um, blickte McCleef hilflos an und zuckte mit den Schultern. »Er ist der einzige in der Stadt, der es kann, Senor.«

»Lassen Sie ihn gehen.« McCleef zog einen Silberdollar aus der Tasche und steckte ihn dem Musikanten zu, als der sich vorbeischleppte.

»Die Madonna möge es Ihnen vergelten«, murmelte der Mann.

Dolores und Stella verließen die kleine Bühne und kamen auf ihn zu.

»Wie ist es mit uns?« McCleef griff nach dem Arm der Mexikanerin, als sie bei ihm waren.

»Wenn du willst.«

»Ich würde nicht fragen, wenn ich nicht will.«

»In Ordnung. Aber wir müssen uns erst noch ein bisschen die Beine vertreten und frische Luft schnappen.«

»Ich lasse offen. Komm zu mir hinein.«

Dolores blickte sich in der leeren Bodega um und schaute auch zur Galerie hinauf. Nicht einmal die anderen Mädchen hatten so lange durchhalten können. Aber sie und McCleef hatten ja in der letzten Nacht auch ein paar Stunden Schlaf gefunden, als sie bei ihm gewesen war. Und Stella hatte fast den ganzen Tag geschlafen.

»Was suchst du denn?«

»Nichts.« Dolores zog die Amerikanerin mit sich weiter.

»Bleib nicht solange!«, rief McCleef ihr nach.

»Ich bin in zehn Minuten oben.«

»In Ordnung.« Der Kopfgeldjäger wandte sich um und griff nach seinem vollen Glas.

»Bleiben Sie noch ein paar Tage, Senor?« Der dicke Wirt nahm die herumstehenden Gläser und räumte sie ins Spülbecken. Er gab sich uninteressiert und setzte auch sofort hinzu: »Ich. will es nur wegen des Zimmers wissen.«

Außer den Zimmern, die er selbst und seine Mädchen bewohnten, standen die Gästeräume in der Bodega leer. McCleef hatte schon eine spöttische Erwiderung auf der Zunge, entschloss sich jedoch rechtzeitig zu größter Zurückhaltung und zuckte mit den Schultern. »Ich werde es schon noch ein paar Tage aushalten. Und ich hoffe, die Leute gießen mit mir morgen wieder ordentlich einen auf die Lampe!«

Der dicke Wirt grinste. »Das werden die Männer gern hören, Senor!«

McCleef warf eine ganze Handvoll silberner Münzen auf den Tresen, trank noch einen Schluck und warf das Glas mit dem großen Rest ins Spülwasser.

Der Keeper räumte das Geld hastig zusammen.

»Reicht das für alles?«

»Aber ja, Senor. Herzlichen Dank, Senor!« Der dicke Mann verneigte sich mehrmals.

»Also dann bis morgen.« McCleef wandte sich der Treppe zu.

»Eine recht gute Nacht wünsche ich, Senor!«, flötete der Bodegabesitzer ihm nach.

*

Cutler schob sich an der rauen Lehmwand entlang zur Ecke und spähte um die Kante.

Die beiden Barmädchen in ihren tief ausgeschnittenen, schillernden Kleidern standen nicht weit entfernt in der Gasse zwischen der Bodega und der Rückwand der Sattlerwerkstatt. Cutler vermochte sie nur schemenhaft zu sehen. Aber da er schon an der Rückseite der Bodega gestanden hatte, als sie diese verlassen hatten, wusste er, dass es sich um die langsam alternde Amerikanerin und die mit Abstand hübscheste Mexikanerin in diesem Ort handelte, die sie Dolores nannten.

»Und, hast du seine Tasche gefunden?«, flüsterte die Mexikanerin erregt.

»Na logisch hab ich.« Die Amerikanerin lachte leise.

»Was ist drin?«

»Was ich dir gesagt hatte. War doch zu merken, so affig wie der sich aufführte. Geld! Dollars. Eine ganze Tasche voll!« Stella lachte erneut.

»Hast du es gezählt?«

»Ja. Halte dich fest, Schätzchen, sonst haut es dich um.«

»Nun sag es schon!«

»Achtzehntausend!«

Cutler konnte jedes Wort verstehen.

»Das sind fast zweitausend Pesos, nicht wahr?«

»Du sagst es, Dolores. Ein stattliches Vermögen. Aber es sind Dollars und bleiben Dollars. Wir tauschen sie nicht um.«

»Warum nicht?«

»Weil wir Mexiko verlassen. Wir gehen in die Staaten. Dort sind wir sicher vor Nachstellungen. Wenn er sich hier an den Alkalden wendet, machen die Jagd auf uns.«

»Aber er wird das Geld von drüben gebracht haben.«

»Klar hat er das. Und sozusagen rechtmäßig dazugekommen ist er wohl auch kaum. Deswegen kann er auf der anderen Seite des Flusses auch nicht über den Kies reden. Dort könnte er höchstens versuchen, uns das Pulver wieder, abzujagen. Allein. Heimlich. Damit kein Mensch was davon merkt.«

»Ja, könnte schon sein, dass du recht hast.«

»In Mexiko nimmt er Amtshilfe in Anspruch, das ist todsicher, Schätzchen. Und die fragen ihn auch nicht, woher er die Dollars hat. Wenn er nur eine ordentliche Prämie für ihre Wiederbeschaffung ausspuckt.«

»Also gut, gehen wir nach Texas.«

»Wir reiten von hier aus nach Lobo. Das ist ein kleines Nest, gar nicht sehr weit. Dort tauschen wir die Pferde und galoppieren weiter. Morgen abend sind wir in Van Horn. Das liegt an der Poststraße von El Paso nach Pecos. Dort können wir uns aussuchen, wohin wir weiterreisen. Auf jeden Fall passiert das ohne Verzögerung. Wir leisten uns eine Extrapost mit sechs Pferden. Der sieht uns nie mehr wieder!«

Dolores griff sich an die Wangen. »Mir ist es heiß, Stella! Ich muss Fieber haben.«

»Ach was, das ist nur die Aufregung. Und mach mir jetzt nicht schlapp, Darling. Das ist ’ne Gelegenheit, wie man sie im Leben nur einmal geboten kriegt. Da musst du zugreifen.« Stella umarmte die Mexikanerin. »In ein paar Stunden haben wir alles hinter uns. Geh jetzt zu ihm hinauf und sieh zu, dass er so liegt, dass er die Tür nicht sehen kann. Gesicht zum Fenster, klar? «

»Ja, Gesicht zum Fenster.«

»Du musst ihn ablenken, wenn ich ’reinkomme. Ich haue ihm eine auf die Rübe, dann schläft er eine Weile. Wir werden ihn außerdem fesseln und knebeln. Wenn nichts schiefgeht, finden, sie ihn irgendwann morgen vormittag. Bis dahin liegt der Rio Grande weit hinter uns.«

»Und wenn er hört, wie die Tür aufgeht?«

»Hört er nicht. Ich habe mehrmals probiert, wie man sie öffnen muss, dass die Angeln still bleiben.«

»Und wann?«

»Wir halten uns gar nicht bei der Vorrede auf und nutzen die Zeit, die uns zum Abdampfen zur Verfügung steht. Ich hole jetzt Pferde, und du gehst hinauf. In einer Viertelstunde schläft er schon selig. Und unfreiwillig.«

Dolores presste erneut die Hände gegen die Wangen. »Mir wird es immer heißer!«

Die Amerikanerin fluchte plötzlich wie ein Fuhrknecht. »Verdammt, nun reiß dich gefälligst zusammen. Ich kann das doch nicht allein durchziehen!«

»Mir ist schwindlig.« Dolores wischte sich über die Stirn. »Und Schweiß läuft mir über den Rücken. Kann es sein, dass sich die Erde bewegt?«

»So ein Mist«, schimpfte Stella. »Das kann doch nicht wahr sein, dass alles an deiner empfindsamen Seele scheitert. Heilige Mutter Maria hilf ihr!«

Dolores faltete die Hände und blickte zu den Sternen empor. »Ja, heilige Mutter Maria, stehe mir bei, damit ich durchhalte, wenn wir dem Fremden das Geld abnehmen!«

Stella nahm die Mexikanerin am Arm und entfernte sich mit ihr in der Gasse. Gleich darauf konnte Cutler die beiden nicht mehr sehen, bis sie an der helleren Ecke der Straße wieder auftauchten und sich trennten.

Die Mexikanerin blieb ein Unsicherheitsfaktor in Stellas, aber auch in Cutlers Plan. Er stand deswegen noch unentschlossen an der hinteren Bodegaecke. Immerhin hatte er El Cuervo gerade noch rechtzeitig erreicht.

Er ging an der Wand entlang zu einem Hinterfenster, durch das er in die lange Kneipe schauen konnte.

Dolores betrat das Haus gerade von vorn und ging zum Tresen, den der dicke Wirt noch aufräumte. Sie blieb dort stehen, sagte etwas und bekam ein ziemlich großes Glas voll Whisky.

Die hübsche Mexikanerin setzte es an und trank es auf einen Zug aus. Hart schien sie es auf den Tresen zu stellen, wandte sich ab und ging mit schnellen, entschlossenen Schritten zur Treppe.

»Na also, sie hat sich ein Herz gefasst.« Cutler lächelte, überzeugt davon, dass die beiden gerissenen Barmädchen ihren Plan durchführen und mit der Beute McCleefs El Cuervo Richtung Norden verlassen würden.

Etwas Besseres hatte er sich kaum wünschen können. Denn wie immer er auch versucht hätte, McCleef das Geld abzujagen, mit Lärm und einem Menschenauflauf musste er rechnen. Und das wäre vermutlich ins Auge gegangen.

Er wollte sich noch davon überzeugen, ob es Stella wirklich gelang, Pferde und Sättel zu beschaffen, damit er sie nicht vergebens dort erwartete, wo sie hinreiten würden, wenn ihr Programm klappte.

Cutler lief hinter den Anwesen entlang nach Westen und fand bald den Hof des Mietstalles hinter einem schiefhängenden, alten Zaun. Eine trübe Sturmlaterne brannte über der offenstehenden Stalltür. Aus einer gegenüberliegenden Bretterhütte trat gerade ein kleiner, grauhaariger Mann in schäbiger Leinenkleidung, den die an an der Tür stehende Amerikanerin offenbar soeben geweckt hatte.

»Zwei Pferde, Senorita?«, fragte der Mann. »Mitten in der Nacht?«

»Ist es Ihnen nicht gleichgültig, zu welcher Tageszeit Sie ein Geschäft machen können?«, fragte Stella schroff zurück.

»Es ist mir im Prinzip egal, aber es ist komisch«, knurrte der Mann. »Wo wollen Sie denn hin?«

»Ich will nicht ausgefragt werden, sondern was kaufen. Aber Sie müssen ja nicht, Senor. Soviel ich weiß, verkauft der Händler auch Pferde.« Stella wandte sich ab.

»Warten Sie, Senorita! Himmel, sind Sie empfindlich.«

Stella wandte sich wieder um, gab sich dabei jedoch betont zögernd.

»Also gut, ich stelle keine Fragen. Zwei Pferde mit Sätteln kosten zwanzig Pesos. Weil Sie es sind.«

Die Amerikanerin ging zurück, griff in die Tasche auf dem Flitterkleid und gab dem Mann Geld.

»Sie handeln noch nicht mal«, maulte der Mann. »Macht keinen Spaß, mit Ihnen ein Geschäft abzuschließen.«

»Beeilen Sie sich!«, verlangte die Frau barsch. »Damit ich hier wegkomme, bevor Sie sich Fransen an den Mund reden!«

Cutler zog sich zurück. Stella war die treibende Kraft, raffiniert genug, selbst einen Victor McCleef auszutricksen. Der sich seinerseits clever wie kein anderer wähnte.

*

Er lief zu den Büschen im Norden, hinter denen er sein Pferd zurückgelassen hatte.

Als er durch das Gestrüpp war und sein Pferd vor einer Kaktee im Mondlicht sah, wurde hinter ihm ein Gewehr repetiert.

Cutler lief es eiskalt über den Rücken. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Umdrehen!«, befahl eine Stimme.

Er gehorchte und sah den Gendarmen vor sich. Der Mann hielt eine Winchester an der Hüfte angeschlagen. Sein unverhohlenes Staunen verriet, dass er auf keine bestimmte Person gewartet hatte, sondern auf die, der das Pferd gehörte. Einfach so, da es allemal jemand sein musste, der nicht gesehen werden wollte. Anderenfalls hätte er sein Pferd mit in die Stadt nehmen können.

»Sieh mal an«, murmelte der Gesetzeshüter und wagte sich noch einen Schritt näher heran. »Was suchst du noch hier? Hast du dem Alkalden oder mir eine Sprengladung unter das Haus geschoben? Rache nehmen, wie, Gringo?«

Cutler suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Sie würden die Gründe an den Haaren herbeiziehen, um ihn einsperren zu können. Und wenn der Gendarm ihn erst einmal bis zur Straße brachte, sorgten sie bestimmt auch dafür, dass es kein zweites Entkommen mehr gab. Indessen würden Dolores und Stella beinahe in Seelenruhe nach Norden entschwinden und möglicherweise nie mehr aufzufinden sein. Wenn es ihnen gelang, mit einer schnellen Extrapost erst einmal El Paso zu erreichen und dort keine Zeit zu vertrödeln, würde sich ihre Spur verlieren. Dass sie in Van Horn binnen einer halben Stunde eine fahrbereite Extrapost auftreiben konnten, zog Cutler nicht in Zweifel. Für Geld war alles möglich. Und Geld würde Stella springen lassen. In dieser Beziehung wie in anderen hatte sie eine große Ähnlichkeit mit McCleef. Der ließ sich auch nicht lumpen.

»Wir holen es schon aus dir heraus«, verkündete der Gendarm, weil er keine Antwort bekam. »Jetzt gehen wir erst mal zurück. Du vor mir. Und die Hände nehmen wir über den Kopf.«

»Und mein Pferd?«, fragte Cutler. Er wollte Zeit gewinnen und hoffte, dass der gewiss nicht sehr intelligente Gendarm irgendeinen Fehler beging.

Der Mann ließ sich tatsächlich ablenken, als er einen Blick an Cutler vorbei auf den Braunen warf.

Es würde kein besserer Moment mehr kommen, die Lage zu verändern. Cutler erfasste es sofort, packte den Gewehrlauf und riss dem Gendarm die Waffe aus den Händen.

Der Mexikaner reagierte so langsam, dass er nicht mal mehr zum Schuss kam.

Cutler warf die Winchester hinter sich und setzte dem Mann die Faust ans Kann.

Die Wucht warf den Gendarmen von den Füßen. Er kam zwar noch einmal hoch, aber der zweite Hieb schickte sein Bewusstsein endgültig auf die Reise.

Cutler fesselte ihn mit seinem Lasso, das er zerschnitt, stopfte ihm das eigene Taschentuch in den Mund und band den Rest des Seils so um seinen Kopf, dass er es im Mund hatte und den Knebel nicht auszuspucken vermochte, wenn er zu sich kam. Er hoffte, dass es wenigstens eine, möglichst zwei Stunden dauerte, bis man ihn fand, damit die Aktion der Mädchen nicht in Gefahr geriet.

Rasch band Cutler sein Pferd los, schwang sich in den Sattel und ritt nach Norden.

*

»Ich bin nur deinetwegen geblieben, Dolores.« McCleef umschlang das Mädchen im Bett mit beiden Armen.

»Das weiß ich, Victor.« Sie lächelte, was jedoch das unsichere Flackern nicht aus ihren Augen verbannte.

»Dein Herz schlägt schnell, Dolores. Du bist aufgeregt.« McCleef strahlte über das ganze Gesicht, weil er meinte, ihre Erregung ginge auf ihn zurück. Er wollte sie auf sich ziehen, aber sie sträubte sich. »Was hast du?«

»Bleib so neben mir liegen«, erwiderte Dolores etwas heiser.

»Warum?«

»So kann ich dein Gesicht sehen. Das Mondlicht fällt darauf.« Sie küsste ihn, so dass er gar nicht wagen konnte, zu widersprechen.

Dann jedoch sagte er: »Hör mal, ich liege jetzt vielleicht seit einer halben Stunde neben dir.«

»Höchstens zehn Minuten.« Sie streichelte sein Gesicht, seinen Hals und die Schultern. »Nur noch einen Moment, Victor!«

»Also gut.« Es schmeichelte ihm schon wieder, weil sie ihn ansehen wollte. »Hast du Lust, mit mir zu verschwinden?«

Dolores zog die Hand von seiner Brust zurück. »Wohin?«

»Irgendwohin. Ich bin nur deinetwegen noch in El Cuervo geblieben, Dolores.«

»Und nun willst du mit mir in eine andere Stadt? Warum das?«

»Ich möchte hier weg. Weiter ins Land hinein.«

»Und wie lange würde es dauern, bis du mich verlässt? Vielleicht heimlich! Bei Nacht und Nebel!«

»Sei kein Kindskopf, Dolores. Natürlich läuft sich das tot. Aber du müsstest es bestimmt nicht bereuen. Ich gebe dir fünfhundert Dollar. Auch in Pesos, falls dir das lieber ist.«

»Wir wollen morgen noch einmal darüber reden.« Dolores sah, wie sich die Messingklinke der Tür langsam nach unten bewegte. Hastig drängte sie den heißen Körper gegen den Kopfgeldjäger, küsste ihn und umschlang seinen Kopf so, dass seine Ohren mit unter ihren Händen lagen. Dabei beobachtete sie die sich geräuschlos nach innen bewegende Tür und Stella, die im Rechteck schemenhaft zu erkennen war.

Die Amerikanerin hielt etwas in der Hand. Es konnte ein Stück Holz sein, eventuell auch eine Flasche. Und sie hatte sich auch umgezogen, wie Dolores erkannte. Sie trug jetzt ein derbes, hochgeschlossenes Kostüm aus Cord, dessen Rock geteilt war, ideal für den Ritt, den sie antreten wollten.

McCleef schob die Mexikanerin gewaltsam zurück. »He, ich kriege ja keine Luft mehr!«

Stella näherte sich hinter ihm unbemerkt, hob den Gegenstand und schlug zu.

Dolores sprang aus dem Bett, raffte ihre verstreut auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke auf und presste sie gegen sich.

»Schnell, zieh dich an!«, befahl Stella. »Aber was anderes als den Flitterkram. Die Nächte sind kalt!«

Dolores schaute noch auf die reglose Gestalt des Kopfgeldjägers. »Du hast ihn vielleicht totgeschlagen«, hauchte sie.

»Quatsch! Los, verschwinde, ich verpacke ihn inzwischen!«

Dolores verließ das Zimmer, schloss sorgsam die Tür und entfernte sich, ohne dass Stella sie zu hören vermochte. Sie hatte vorbereitete Stricke in den Taschen, fesselte und knebelte den Mann, ging zum Schrank und nahm die abgeschabte Satteltasche des Banditen heraus. Sie kannte diese Tasche und hatte sie schon zweimal durchsucht, als sie sich noch in Douglas Warriors Besitz befunden hatte. Aber es hatte sich niemals gelohnt, deswegen einen hinterlistigen Plan fassen zu wollen. Warrior schleppte nur mit sich herum, was er auszugeben gedachte, und das war wenig.

Dolores tauchte nach wenigen Augenblicken wieder auf. »Wo hast du die Pferde?«

»Hinter der Kneipe.«

Dolores beugte sich über McCleef, der sich in diesem Augenblick bewegte und die Augen öffnete. Er schien schnell zu begreifen und bewegte die Hände.

»Wir wissen nicht, wie du zu dem Zaster gekommen bist, aber vermutlich hatte Warrior ihn vor dir«, erklärte Stella. »Es ist seine Tasche. Seltsam, dass es außer mir niemand beachtete, als du in die Bodega kamst.«

Heftiger bewegte der Kopfgeldjäger die Hände, wälzte sich herum und stürzte vom Bett.

»Der setzt Himmel und Hölle in Bewegung und alarmiert binnen Minuten die ganze Stadt!«, vermutete Dolores.

Stella wurde der wütende Mann auch unheimlich. Sie trat zurück, ergriff den auf der Kommode stehenden Gegenstand, bückte sich und schlug wieder damit zu.

Abermals verlor der Kopfgeldjäger und Falschspieler das Bewusstsein.

Stella warf den Gegenstand auf den Boden. Es handelte sich um eine Flasche, wie Dolores nun am Klirren hörte.

»Wenn er aufwacht, schlägt er Krach, Stella.«

»Ja. Das habe ich gar nicht bedacht. Hilf mir, wir fesseln ihm die Hände oben und die Beine unten an den Bettgiebel!«

Sie hoben den Bewusstlosen aufs Bett und banden ihn fest.

»Ob das was ändert?« Dolores sah immer noch zweifelnd aus.

»Diese Nacht schlafen alle ziemlich fest. Los, wir ziehen Leine!« Stella griff nach der abgeschabten Satteltasche und verließ das Zimmer.

Im Flur befand sich niemand. Die Amerikanerin ging an der Wand entlang zur Rückseite und wartete an der hinaus zur Feuertreppe führenden Tür auf Dolores.

Die Zähne der Mexikanerin schlugen aufeinander. Sie konnte noch nicht glauben, dass die lichtscheue Angelegenheit wirklich unbemerkt ablaufen sollte.

Stella öffnete die Tür, trat hinaus auf die Plattform und lief die Treppe hinunter. Wieder folgte Dolores, sah die Pferde und atmete auf.

»Wir führen sie ein Stück, damit die Leute nicht noch das Gras wachsen hören!«, schlug Stella vor, wartete aber keine Antwort ab, sondern ging mit dem Tier am Zügel los.

Unbemerkt entfernten sie sich so weit von El Cuervo, dass sie zurückschauend die Häuser kaum noch erkennen konnten.

»So, das reicht.« Die Amerikanerin hängte die abgeschabte Tasche mit ihrem kurzen Riemen ans Sattelhom und stieg auf.

Da stieß Dolores einen entsetzen Schrei aus.

»Was ist denn?« Stella schaute zurück.

Dolores zeigte nach links. Dort lag eine Gestalt auf dem Boden.

»Der Gendarm!«

»Verdammt, was treibt der denn hier?« Stella lenkte ihr Pferd hinüber und bemerkte, dass der Mann gefesselt und geknebelt und so hilflos wie der Kopfgeldjäger dalag. Sie zögerte, wusste nicht, was sie tun sollte.

Der Mann gab Laute von sich und schien Hilfe zu erwarten.

»Los, ab geht die Post!« Stella trieb ihr Pferd an und sprengte davon.

Dolores hatte Mühe, ihr folgen zu können.

*

McCleef schaffte es, im Bett so weit nach unten zu rücken, dass er mit den Beinen gegen den Giebel treten konnte. Die Messingstangen ächzten und rasselten, und das Bett rutschte mit kratzenden Füßen über den Boden.

McCleef wiederholte das solange, bis er endlich gehört wurde, Schritte im Flur erschallten und die Tür aufflog.

»Was ist denn hier nur los?«, schimpfte der Keeper auf spanisch.

Hinter ihm tauchten die wenig oder gar nicht bekleideten Mädchen auf .

»Holt eine Lampe!«, kommandierte der Keeper.

Niemand dachte daran, den Befehl zu befolgen. Alle schoben sich hinter dem dicken Mexikaner ins Zimmer und blickten auf den nackten, ans Bett gefesselten Mann. Sie kicherten belustigt.

Der Wirt zündete schließlich die von der Decke hängende Lampe an, an die er in seiner Nervosität vorher nicht gedacht hatte.

Kaum war McCleef richtig zu erkennen, kicherten die Mädchen noch lauter.

»Was ist denn mit Ihnen los?«, staunte der Keeper und verfiel endlich auf den Gedanken, McCleef aus seiner üblen Lage zu befreien. Als der Kopfgeldjäger die Hände frei hatte, riss er sich das Seil vom Mund und spie den Knebel aus. Er atmete durch, raffte seine Sachen auf und zog sie an.

»Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was los ist?«

»Stella und Dolores haben mich ausgeplündert und sind geflohen! Das ist los!«

McCleef fuhr in die Stiefel, raffte den Patronengurt vom Stuhl, stand auf, schob die Mädchen zur Seite und hastete hinaus. Er nahm je drei Stufen auf einmal die Treppe hinunter, fand die Vordertür offen und trommelte schon den Stallmann aus den Federn, als der Wirt gerade Alarm schlug.

Als es McCleef im Stall nicht schnell genug ging, stieß er den Mann aus dem Weg, sattelte sein Pferd selbst, führte es hinaus und schwang sich in den Sattel. Leute liefen auf der Straße zusammen.

McCleef ritt auf die Büsche im Norden zu, weil er von Stella annahm, dass sie nicht in Mexiko bleiben würde.

Hinter den Büschen sah er den Gefesselten auf dem Boden und zügelte das Pferd jäh wieder.

Der Gendarm versuchte sich, so hilflos wie vorher er selbst, zu verständigen.

McCleef sprang ab und befreite den Gesetzeshüter. »Haben Sie zwei Mädchen gesehen?«

»Stella und Dolores, sisi, Senor.« Der Gendarm rang noch nach Atem.

»Wo sind die hin?«

»Nach Norden, Senor.«

»Auf zwei Pferden?«

»Si, Senor.« Der Gendarm nickte heftig.

McCleef richtete sich auf, wollte schon zu seinem Pferd, blickte jedoch noch einmal zurück. »Wie lange ist das her?«

»Vielleicht eine Stunde.«

»So lange«, murmelte McCleef enttäuscht. »Na wartet nur, ihr verdammten Giftschlangen.« Er ging weiter und saß auf.

»Seien Sie vorsichtig, Senor, wegen des anderen Gringos!«, rief der Gesetzeshüter.

»Was?« McCleef blickte über die Schulter. »Na eben, die Mädchen haben Sie nicht gefesselt, was?«

Die sich nähernde Menge war bereits zu vernehmen.

»Das war der andere Gringo. Sie wissen doch, der, den wir festgenommen hatten.«

»Cutler!«, stieß McCleef hervor. »Der war also auch hier.«

»So ist es, Senor. Aber vor den Mädchen. Hatte sein Pferd hier versteckt und war bei der Bodega.«

»Dann weiß er es auch.« McCleef trieb sein Pferd an.

»Warten Sie, Senor!« Der Gendarm rannte dem Reiter ein Stück nach, gab es dann jedoch auf, ihn einholen zu wollen.

Vor den Mädchen tauchte der Wirt im Dickicht auf. Der Alkalde überholte ihn und rief: »Warum haben Sie ihn denn nicht aufgehalten?«

»Sah ihn zu spät«, gab der Gendarm mürrisch zurück. Er ging noch ein Stück weiter und lockte die Leute damit von der Stelle weg, an der noch die Fesseln herumlagen, über die er lieber nicht reden wollte.

»Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte der Alkalde. »Um was geht es denn nun eigentlich?«

»Vermutlich um einen Haufen Geld«, entgegnete der Wirt. »Das haben die Mädchen McCleef abgejagt.«

Der Gendarm verschwieg, dass er auch Cutler gesehen hatte und eine Stinkwut auf ihn hatte. Er schätzte den Vorsprung des verdammten Gringos für zu groß ein, als dass es möglich sein könnte, ihn doch noch zu fassen, und er wollte nicht noch einmal lange sinnlos herumreiten.

»Wir sollten das vergessen«, sagte er. »Genau genommen haben wir nichts damit zu tun. Ist eine Geschichte der Gringos untereinander.«

*

John Cutler hörte die Pferde und sah die beiden Reiterinnen auf der Straße zur Grenze auftauchen. Sie ritten schnell.

Er ließ sie ein Stück voraus reiten, dann lenkte er den Braunen aus dem Schutz der Kakteen und folgte ihnen. Das Gelände war bereits so unübersichtlich, dass er nicht befürchtete, von ihnen gesehen zu werden. Und wenn sie nicht anhielten, würden sie auch sein Pferd nicht hören.

Eine knappe Stunde später führte der Karrenweg in wüstenähnliches Gebiet hinaus.

Cutler blieb noch weiter zurück, bis die Brasada begann und der Morgen graute. Der Rio Grande war nahe. Er musste aufpassen, falls sie auf den Gedanken verfielen, doch noch eine andere Richtung einzuschlagen.

Durch die Nebelschwaden über Yucca und Ocotillos sah er sie auf einmal vor sich. Sie ritten langsamer, wollten offensichtlich die Pferde schonen.

In diesem Tempo ging es in immer dickere Nebelwolken hinein, die die Nähe des Flusses ankündigten.

Cutler blieb so weit zurück, dass er sie nur hin und wieder schemenhaft vor sich sah.

Die Straße senkte sich, die Radrinnen wurden tiefer und der Boden dunkler.

Als er die beiden Saloonmädchen wieder einmal sah, hatten sie den Rio Grande erreicht und saßen ab. Dolores betrat eine kurze Landzunge, griff ins seichte Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. Stella ließ die Pferde saufen und genierte sich auch nicht, dabei mit Schnürstiefeln an den Füßen ins Wasser zu treten.

Cutler stieg ab, nahm den Zügel kurz und führte den Braunen bis zu einer Kette Sagebüschen, die einer Mauer gleichend auf dem Steilufer standen.

Dolores kehrte zu Stella zurück. »Willst du dich nicht ein bisschen erfrischen?«

»Ich fühle mich fit genug, wenn ich an das Geld denke.« Stella gab der Mexikanerin die Zügel ihres Pferdes. »Können wir wieder?«

Dolores nickte. Die Mädchen saßen auf und ritten in die Furt.

Cutler wartete, bis er nichts mehr von ihnen hörte. Dann erst durchbrach er den laut raschelnden Buschgürtel, ritt hinunter zum Fluss und ins Wasser. Immer dichter schoben sich die Nebelbänke zusammen. Keine drei Yards weit reichte der Blick. So hörte Cutler Stimmen, noch bevor er das texani sche Ufer erreichte. Er zügelte das Pferd und lauschte.

Es handelte sich um die beiden Mädchen, die am nahen Ufer halten mussten.

»Ein Sheriff«, flüsterte Dolores.

»Sei still. Kein Wort. Ich rede!«

Pferde schnaubten. Der Hufschlag vieler Pferde hallte den Strom herauf.

Als die Geräusche verflogen, meldete sich Hilfssheriff Winters schnarrende Stimme: »Wer seid ihr denn?«

»Guten Tag, Mister«, entgegnete Stella unwirsch. »Wir sind Saloonmädchen, die eine Weile in El Cuervo aushielten und nun einen neuen Job weiter im Norden suchen wollen. Zufrieden? «

Stella war couragiert, das musste Cutler ihr zugestehen.

»Wir suchen nach zwei Kopfgeldjägern«, meldete sich der Hilfssheriff wieder.

»So?« Stellas Stimme klang ziemlich gelangweilt.

»Entweder alle beide, oder jedenfalls einer der beiden, muss eine ganze Satteltasche voll Geld bei sich haben.«

»Tatsächlich?«, fragte Stella. .»Das klingt ja ungeheuer aufregend, Sheriff!«

»Der eine heißt McCleef, der andere Cutler.«

»Die waren in El Cuervo«, erklärte Stella prompt. »Aber nicht gemeinsam. Und McCleef hatte Geld. Nicht zu knapp.«

»Da hinüber können wir nicht«, sagte eine andere Männerstimme resignierend.

»Ist er noch dort?«, forschte der Hilfssheriff.

»Er hat was von El Paso gefaselt«, erwiderte Stella. »Können wir sonst noch was für Sie tun, Sheriff?«

»Nein.«

»Dann wünschen wir noch einen guten Tag.«

Cutler hörte, dass ein paar Pferde weiterbewegt wurden. Er hätte nun ans Ufer reiten und die Männer über den Irrtum aufklären können, in dem sie sich befanden. Doch er musste damit rechnen, dass Hilfssheriff Winter ihn festnahm und ihm kein Wort glaubte und so die beiden raffinierten Mädchen Gelegenheit fanden, tatsächlich zu verschwinden und ihre Spuren zu verwischen.

Er hielt es deswegen für besser, wenn Winter und seine Leute erst mal weiter vergebens herumsuchten und er selbst die beiden im Auge behielt.

»El Paso«, meldete sich jemand. »Weißt du, wo das ist, Sheriff?«

»Ziemlich am Ende der Welt«, sagte ein anderer. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich für anderer Leute Eigentum so weit herumreite und meine Arbeit so sträflich vernachlässige.«

»Vielleicht kommt er früher ans diesseitige Ufer zurück«, mutmaßte Winter. »Lasst uns noch ein bisschen im Westen suchen.«

»Also in Ordnung, damit du sagen kannst, wir hätten unser Möglichstes getan, Sheriff. Aber das war’s dann!«

Cutler hörte die Männer am Ufer nach Westen reiten. Er wartete, bis sie sich ein beträchtliches Stück entfernt hatten, dann setzte er die Verfolgung der beiden Saloonmädchen fort.

*

Die Luftspiegelung verzerrte die weißen Adobelehmhütten in der Mittagsglut. Als Cutler die Stadt erreichte, standen die Pferde der Mädchen vor dem Saloon.

Er ritt an den Fußwegen entlang, um nicht aus der Kneipe gesehen zu werden.

Der Stallmann überquerte die verlassen in der Hitze liegende Straße und band die beiden abgehetzten Pferde vor dem Saloon von der Zügelstange.

»Lassen Sie die Gäule hier«, befahl Cutler, während er den Braunen zügelte.

»He, spinnen Sie?«, schimpfte der Mann.

»Die Mädchen zahlen nichts drauf, wenn Sie die Pferde wechseln.«

»Ach? Woher wissen Sie das?«

Cutler saß ab. »Ich werde den beiden jetzt ihr Geld abnehmen. Die haben dann nichts mehr.« Er trat auf die Veranda und steuerte die Schwingtür an.

Mit offenem Mund blieb der Stallmann zurück, entschloss sich jedoch in der nächsten Minute zur Zurückhaltung und band die Pferde erneut an.

Stella und Dolores bemerkten ihn erst, als er schon im Saloon stand.

»He, Cutler! Hallo!«, rief Sheila aus dem Obergeschoss herunter.

»Da bist du ja, mein Junge!« Am Tresen wandte sich der verwilderte Nathan Brigg um. »Es gibt Ärger mit den verdammten Leichen. Der Sheriff denkt gar nicht daran, den Zaster anzufordem. Der will erst die Beute der Banditen!«

Stella und Dolores waren aufgestanden, ohne sich dessen bewusst zu sein. Stella verlor die Farbe aus dem Gesicht. Auch Dolores sah bleich aus, nur fiel das wegen ihrer dunkleren Haut nicht so sehr auf. Und vor den beiden lag die Tasche auf dem Tresen.

»Es hängt was in der Luft, merkt ihr’s?«, sagte eines der Mädchen im Obergeschoss.

»Still!«, zischte Sheila.

»Hast du überhaupt zugehört?«, polterte der Eremit.

»Natürlich, Nathan. Und wenn der Sheriff wieder hier ist, kann er die Dollars auch haben.«

»Und wie zaubern wir die herbei, he?«

»Sie liegen dort!« Cutler wies auf den Tisch, an dem die Mädchen aus El Cuervo standen. »In der alten Tasche, die gar nicht so wertvoll aussieht, wie sie ist.«

Alles blickte auf die abgeschabte Satteltasche.

Cutler ging darauf zu und nahm sie ungehindert vom Tisch. Dolores rann Schweiß übers Gesicht. Stella war noch so erschrocken, dass ihr die Worte fehlten.

»Verschwindet!«, befahl Cutler. »Haut ab, bevor noch jemand auftaucht, der euch dafür lieber einsperren möchte.«

»Er weiß alles«, flüsterte Dolores. »Er hat uns in der Hand. Komm, Stella!«

In die Mädchen kam jäh Bewegung. Rechts und links rannten sie an Cutler vorbei, stürmten hinaus, banden die Pferde los, schwangen sich in die Sättel und galoppierten nach Norden.

Sheila kam langsam die Treppe herunter. »Da drin ist Geld?«

»Ja. Holt mal jemand den Postagenten. Oder ist der mit Winter geritten?«

»Nein, er ist noch hier.« Der Keeper trat ans Fenster und beugte sich hinaus. »Der Postagent soll herüber kommen! Ein bisschen Beeilung!«

Cutler leerte die Tasche auf dem Tresen aus. Das Geld klimperte über die polierte Mahagoniplatte und entlockte den die Treppe herunterhastenden Mädchen entzückte Rufe. Auf der anderen Schanktischseite hielt der Keeper rasch hinzuspringend die Münzen auf, die über den Rand rollen wollten.

»Ach du meine Güte«, sagte Sheila mit roten Wangen, als sie neben Cutler stehenblieb. »Da bleibt einem ja die Luft weg!«

In der aufschwingenden Tür erschienen der Postagent, der Stallmann und einige andere Männer, die nicht mit der Posse unterwegs waren.

»Gibt es für das alles eine Erklärung?«, fragte der Postagent.

»Eine ganz einfache«, erwiderte Cutler. »McCleef hat die beiden Banditen hinterrücks erschossen, verscharrt, die Beute genommen und Texas Richtung El Cuervo verlassen. In dem Nest rochen die beiden Mädchen das viele Geld bei ihm, passten einen günstigen Moment ab und brachten es an sich, um ihrerseits in der umgekehrten Richtung zu verschwinden. Ich war hinter McCleef her und belauschte die beiden zufällig.«

»Und was soll nun damit werden?«, wollte der Postagent wissen.

»Sie sollten schnellstens einen Agenten der Postgesellschaft hierher beordern, der das Zeug abholt und dahin bringt, wohin es gehört. Und sorgen Sie gleich mit dafür, dass Nathan Brigg die achthundert Dollar erhält, die ihm zustehen. Er brachte schließlich den toten Douglas Warrior. «

»Und Sie?«

»Über mich solltet ihr euch nicht den Kopf zerbrechen.«

Sie staunten und wussten nicht, was sie mit Cutler nun anfangen, wie sie ihn neu einstufen sollten.

»Jedenfalls bist du demnach doch kein Kopfgeldjäger«, stellte Sheila fest.

»Also dann her mit dem Zeug!« Der Postagent nahm die Tasche und begann das Geld hineinzuscheffeln.

»Das muss ich den Weibern erzählen!« Der Stallmann verließ den Saloon. Kaum richtig draußen, rief er: »Da kommt schon wieder ein Reiter von Süden! Satan, hat der es eilig!«

*

McCleef zügelte das schon schwankende Tier mitten auf der Straße, noch knapp fünfzig Yards vom Saloon entfernt. Er stieg ab, blickte nur kurz auf die Frauen und die Männer an den Straßenrändern, hinter denen sich die Kinder in böser Ahnung versteckten.

Cutler verließ den schattigen Platz auf der Veranda vor dem Saloon und trat auf die Straße hinaus.

McCleef starrte an ihm vorbei auf den Postagenten, der die abgeschabte Tasche in der Hand hielt. Dann kehrte sein Blick zu dem großen Mann zurück, der indessen die Mitte der ausgefahrenen Straße erreichte. »Wieso hat er sie?«

»Ich sagte dir doch, du solltest verschwinden, weil hier das Gesetz die Finger im Spiel hat, McCleef.«

»Wo sind die beiden Weiber?«

»Sie spielen keine Rolle mehr, McCleef.«

Sheila lachte in die Stille, die auf einmal über der Stadt lag. »Diesmal hast du deinen Meister gefunden, McCleef! An dem beißt du dir die Zähne aus. Und der ist gar kein Kopfgeldjäger.«

Der Falschspieler blickte auf die Frau. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern, wo und wann er ihr schon früher begegnet war. Er bewegte sich vorwärts und streifte mit dem Handballen den Revolverkolben. Als er abermals verharrte, trennten ihn nur noch fünfzehn Yards von Cutler.

»Du hattest Pech, McCleef«, sagte Cutler schleppend. »Die Wölfe in der Brasada scharrten deine Leichen wieder aus, und ich fand sie.«

»Ach so.« McCleef schien alles auf einen Schlag zu begreifen. »Und nun bildest du dir ein, ich hätte verspielt, was?«

»Du hast verspielt!«

Plötzlich grinste der kantige Mann scharf. »Die alten Narren werden mir den Zaster vor die Füße legen, wenn du nicht mehr zwischen ihnen und mir stehst!«

Ein Blitzen in den Augen des gefährlichen Kopfgeldjägers verriet seine Absicht, schon bevor seine Hand zum Colt hinabstieß. Cutler zog ebenfalls, schneller als der andere, winkelte den Arm an und wischte mit der linken Handkante über den Hammer.

Das Krachen des Schusses hallte durch die Stadt. McCleef zuckte fast unmerklich, stand noch sekundenlang reglos und brach dann zusammen.

Cutler schob die rauchende Waffe in die Halfter, wandte sich ab und ging zum Saloon zurück.

»Nun erfuhr er doch nichts mehr von meinem Hass«, murmelte Sheila.

»Wird’s denn nun heute noch was mit der Prämienanforderung, oder soll ich hier Wurzeln schlagen?«, schimpfte der alte Eremit.

»Ich bin schon unterwegs«, erwiderte der Postagent.

Sheila betrat den Saloon vor den anderen Mädchen und den Männern. »Bleibst du noch, Cutler?«

Er lächelte sie an und schüttelte den Kopf. »Ich muss schnellstens nach El Paso.«

»Die Texas Ranger sind meines Wissens in Austin und Houston«, entgegnete der Wirt.

»Schlagt euch doch endlich aus dem Kopf, dass ich ein verkappter Texas Ranger sein könnte.«

»He, der Sheriff und seine Posse kehren zurück!«, brüllte draußen jemand.

»Na, der wird Augen machen!« Der Wirt rieb sich voller Vorfreude die Hände.

Es dauerte nicht lange, dann konnte der Hufschlag im Saloon gehört werden. Kurz darauf sprengte die Posse in die Stadt. Als die Reiter vor dem Saloon anhielten, rief der Hilfssheriff: »Wir haben den einen Halunken gesehen.«

»Der liegt doch jetzt hier«, meldete sich eine andere Stimme. »Vor deinem Office, Sheriff!«

»Wer hat den da hingelegt?«, fragte der Hilfssheriff.

»Du solltest besser fragen, wer ihn erschossen hat, Sheriff.« Der Stallmann kicherte auf der Straße. »Das war der andere. Aber wenn mich nicht alles täuscht, verbrennst du dir sehr die Finger, wenn du gegen ihn den Colt ziehst. Und ein Fehler dürfte es obendrein sein.«

»Er hat das Geld abgeliefert«, sagte der Postagent.

Da stürzte Hilfssheriff Winter bereits in den Saloon. Er schien die letzten Worte nicht gehört zu haben, denn er hielt den Revolver in der Hand und zielte auf Cutler, den am Tresen die Mädchen umstanden.

Hinter dem Sternträger kamen der Stallmann, der Postagent und die anderen herein. Und jemand sagte: »Er hat das Geld nicht McCleef, sondern ein paar Mädchen abgenommen, die von Süden kamen. Und er gab es dem Postmeister, Winter!«

»Was?«

Der Postagent schob sich neben den Hilfssheriff. »Du hast richtig verstanden, Rep. Er ist kein Kopfgeldjäger.«

»Was denn dann?« Winter ließ den Colt sinken. Sein Gesicht glich einem Fragezeichen.

»Das hat er uns nicht verraten. Jedenfalls vertritt er auf irgendeine Art das Gesetz. Und verdammt erfolgreich, wie mir scheint.«

Winter schob den Colt in die Halftei;. »Das müsst ihr mir erklären, zur Hölle!«

»Wirklich?« Der Stallmann grinste von einem Ohr zum anderen. »Bei der Story schneidest du aber nicht besonders gut ab, Rep.«

»Zumal er die beiden Mädchen mit der Beute nach mir und McCleef fragte«, setzte Cutler hinzu. »Und die banden ihm natürlich einen Bären auf.«

Barn, der Keeper, kicherte. »Das ist wirklich urkomisch, Rep.«

Winter begann die Zusammenhänge zu ahnen und fluchte. Und der Wirt konnte es sich nicht verkneifen, alles genauer zu erläutern, so wie sie es von Cutler gehört hatten.

*

Sie würden sicher noch tagelang über den Hilfssheriff insgeheim grinsen, möglicherweise sich auch manche spöttische Bemerkung nicht verkneifen können. Kein Wunder in einem so kleinen Nest, wo kaum mal etwas passierte.

Cutler ritt die Straße nach Norden hinauf und achtete dabei wenig auf das dichte Gestrüpp rechts und links. Bis es dann raschelte. Hinter ihm natürlich.

»Halt, Hände hoch!«, befahl eine scharfe, etwas schrill klingende Stimme, die er als jene von Stella sofort erkannte.

Er zügelte den Braunen und schaute über die Schulter.

Die beiden Saloonmädchen aus Mexiko traten aus den Büschen. Stella hielt einen Derringer in der Hand und zielte auf ihn.

»Absteigen und Hände hoch!«

Cutler saß ab und drehte sich um. »Du willst es wohl mit Gewalt zu einem schlimmen Ende bringen, was, Schatz?«

»Weg vom Pferd!« Stella winkte mit der Waffe. »Los, los, Bewegung! Das Geld gehört uns!«

»Das Geld habe ich nicht mehr.«

Stella blickte auf das Pferd und konnte die Tasche nicht entdecken.

»Sieh auf der anderen Seite des Gauls nach, Dolores!«

Die Mexikanerin gehorchte, kehrte zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, er hat es nicht.«

»Wo ist es dann?«

»Auf dem Weg dorthin, wohin es gehört. Und McCleef ist tot. Der hätte euch beinahe noch eingeholt. Jedenfalls bis zur Extrapost hättet ihr es nicht mehr geschafft. Er hat sich offenbar schneller als von euch vermutet befreien können.«

Stellas Unsicherheit vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde.

»Eigentlich bekommt von mir niemand zweimal eine Chance«, erklärte Cutler. »Aber weil ihr es seid, will ich mal eine Ausnahme machen. Reitet fort, bevor man euch doch noch sucht. Und vergesst das viele Geld.«

»Ich sagte doch gleich, das wird nichts mehr!«, schimpfte Dolores. »Der ist uns über!« Sie zog sich bereits zwischen das Buschwerk zurück. »Wir hauen ab, Stella! Sonst landen wir noch im Kittchen!«

Die Mexikanerin tauchte in den raschelnden Büschen unter. Und auf einmal wirbelte auch Stella herum und rannte weg. Gleich darauf knarrte Sattelleder. Hufschlag erschallte. Staub trieb über das Dickicht.

»Hoffentlich seid ihr nun wirklich etwas schlauer geworden«, murmelte Cutler. Er saß auf und ritt weiter nach Norden. In Dunst und Flimmern tauchte er auf der endlos scheinenden Straße unter.

ENDE

Sieben Coltschwinger Western Sammelband 7006 Oktober 2019

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