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In Shelton Falls wartet der Tod

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Ein Western von Heinz Squarra

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2019: Edward Martin

Redaktion und Korrektorat: Alfred Wallon

© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Ben Warthon ist ein junger Cowboy, der auf der Suche nach einem Job durch Texas trailte. Nat Leet und seine beiden Freunde trafen ihn. Auch sie gaben vor, Cowboys zu sein. Doch sie waren Banditen, die einen Lohntransport überfallen und 18 000 Dollar erbeutet hatten. Sean Aldon, ein junger Texaner, dem Ben Warthon sehr ähnlich ist, wurde erschossen. Nun reitet Ben mit den Männern, um die Wahrheit über sie zu erfahren. Zu spät für ihn. Im gnadenlosen Kampf sterben alle außer dem verschlagenen John Monk. Ben Warthon landet im Gefängnis, und als Monk zurückkommt und Ben ihn um Hilfe bittet, da glaubt auch Tom Calhoun keines seiner Worte mehr. Tom Calhoun wird den jungen Texaner nach Shelton Falls bringen — ihn und das viele Geld. Aber bis dorthin ist es ein weiter Weg, auf dem tausend tödliche Gefahren lauern...

Die Helligkeit drang in den Oriental-Saloon herein und kämpfte gegen das Lampenlicht an. Tom Calhoun war hinter der Tür stehengeblieben und schaute ins Gesicht des alternden Barmädchens. Lola Starr sah noch müde aus, und die Falten in ihrem Gesicht schienen heute tiefer als sonst zu sein.

„Ich habe Ihnen gesagt, dass ich mit der Kutsche nach Shelton Falls fahre“, erklärte Tom. „Sie wissen, was Sie erwarten kann, wenn Sie dabei bleiben, mit uns zu kommen.“

„Ich muss aus dieser Stadt weg“, gab das Mädchen müde zurück. „Ich habe eine Fahrkarte und gebe sie nicht zurück. Diese Stadt will, dass ich verschwinde. Also werde ich fahren.“

„John Monk ist entkommen“, sagte Tom. „Er weiß, wieviel Geld wir bei uns haben werden. Er findet überall Männer, die ihm helfen wollen, es zu stehlen.“

„Es ist nicht mein Geld“, entgegnete das Mädchen abweisend. „Es interessiert mich nicht, Mr. Calhoun.“

„Wenn Monk mit anderen Männern kommt, wird er nicht danach fragen, wer sich dafür interessiert und wer nicht, Miss Starr. Sie werden die Kutsche vielleicht sehen und schießen — und eine ihrer Kugeln kann Sie treffen.“

Das Barmädchen lächelte verächtlich.

„Soll eine Kugel wirklich schlimmer als die Verachtung sein, die mir hier entgegenschlägt?“, erkundigte sie sich.

Tom Calhoun blickte zu dem Salooner weiter, der hinter der Theke stand und sinnlos mit einem Lappen über den Schanktisch wischte.

„Hören Sie nicht zu, Emmerson?“, fragte er.

„Was soll es mich angehen, Mr. Calhoun?“

„Es liegt in Ihrer Hand, Miss Starr noch ein paar Tage zu beschäftigen.“

„Unsinn, Mr. Calhoun. Nicht ich bestimme, welches Mädchen beschäftigt wird, sondern die Männer, die hierher kommen. Was kann ich dafür, wenn sie junge Mädchen sehen wollen?“

„Geben Sie sich keine Mühe, Mr. Calhoun“, wandte das Mädchen ein, als sich Tom wieder an den Salooner wenden wollte. „Ich würde keine Stunde länger in San Angelo bleiben. Es gibt andere Städte, in denen ich noch Arbeit finde. Ich fahre mit der Kutsche in einer Stunde.“

Tom wandte sich dem Spieler Sam Cory zu, der seine Karten von einer Hand in die andere schnellen ließ und ihn angrinste.

„Und Sie?“, fragte er.

„Ich fahre auch. Wenn ich noch einen Tag länger in der Stadt bleibe, verliere ich meinen letzten Dollar. Die Leute spielen hier nur um winzige Einsätze, und sie setzen nur, wenn sie die Finger voll haben.“

„War es in Shelton Falls anders?“

Sam Cory stand auf, warf die Karten auf den Tisch und kam näher.

„Sie meinen, weil ich gegen Ihre Männer verloren habe, Calhoun, nicht wahr?“

„Genau.“

„Es war Zufall. Jedenfalls lohnt sich das Geschäft in nicht. Im übrigen ist auch der Postmeister nicht befugt, bezahlte Karten zurückzukaufen, wenn kein zwingender Grund dazu besteht. Bis jetzt ist nicht sicher, ob John Monk die Kutsche überfallen will, beziehungsweise, ob er Helfer dazu findet.“

„Mit anderen Worten, Sie fahren auch mit?“

„Ja.“

Tom Calhoun ging zur Theke. Der Salooner schenkte ihm einen Whisky ein. Tom griff nach dem Glas und blickte zu dem reisenden Händler weiter, der an der Wand lehnte. Dieser Mann wollte auch mit der Kutsche fahren. Er schüttelte den Kopf, als Toms Blick auf ihm ruhte.

„Meine Geschäfte lassen es nicht zu, hier noch ein paar Tage herumzusitzen, Mr. Calhoun.“

Tom trank den Whisky und stellte das Glas hart auf die Theke zurück.

„Jeder muss selbst wissen, was ihm sein Leben wert ist“, erklärte er und ging aus dem Saloon.

*


Tom Calhoun lief ein Stück auf dem Gehsteig nach links und überquerte die Fahrbahn in Höhe der Station. Die Postkutsche war schon auf die Straße gerollt worden, und Al Dreek, dei Fahrer, brachte eben die ersten beiden Zugpferde aus dem Hof.

Der Mann blieb stehen, als Tom auf ihn zukam.

„Guten Morgen“, knurrte er.

„Guten Morgen.“

„Es passt mir nicht, dass Sie mit mir fahren wollen, verstehen Sie?“, sagte der Mann.

„Ja, ich verstehe, Dreek. Aber ich werde für mich und meinen Gefangenen bezahlen.“

„Das kann ich mir denken. Es passt mir aber trotzdem nicht. Sie wissen, warum ich etwas dagegen habe.“

„Ich kann es mir auf jeden Fall denken, Dreek.“

„Der junge Kerl kam auf einem Pferd hier an — auf einem Pferd, das es noch gibt, Mr. Calhoun. Ich bin im Mietstall gewesen und habe es gesehen. Sie wissen so gut wie ich, dass Sie ihn auf Pferden schneller nach Shelton Falls bringen können als in der Kutsche.“

„Natürlich.“

„Warum nehmen Sie dann keine Pferde?“, fragte der Mann verbittert.

Tom lächelte ihn an.

„Das wissen Sie doch. Es ist für mich einfacher, wenn ich in der Kutsche sitze.“

„Ja, ich weiß. Eine Kutsche lässt sich leicht verteidigen“, brummte der Fahrer.

Tom nickte.

„So ist es, Dreek. Sie haben sicher das Risiko gekannt, als Sie Postfahrer wurden.“ Er wandte sich ab und ging zum Haus, das er betrat.

Ben Jagger, der Postmeister, saß hinter der Theke, über der ein Gitter als Sicherung angebracht war. Jaggers Gesicht sah zerknittert und unzufrieden aus, und sein Blick hing an dem Stern, den Tom Calhoun als Marshal Clayburns Vertreter trug. Tom Calhoun legte einen Geldschein auf die Theke.

„Zweimal nach Shelton Falls“, sagte er.

„Mr. Calhoun, was Sie tun wollen, kann unserer Gesellschaft sehr schaden. Sie wissen, wie es ist, wenn eine Kutsche überfallen wird. Man redet in zweihundert Meilen Umkreis davon.“

„Ich weiß, aber es kann für mich nichts ändern.“

„Und wenn ich mich nun weigere, Ihnen Fahrkarten zu verkaufen?“, schnaubte der Postmeister.

„In diesem Fall wäre ich gezwungen, dem Richter in Shelton Falls einen Brief zu schreiben.“

„Dem Richter?“

„Genau. Und in diesem Brief wird stehen, dass die Postgesellschaft mich und meinen Gefangenen nicht befördern will. Ich werde den Richter bitten, sich den Gefangenen selbst abzuholen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Wirklich nicht? Sie wissen genauso gut wie ich, dass meine Chance, Shelton Falls auf einem Pferd zu erreichen, gering ist. Mit der Kutsche ist es anders. Sie kann für uns in der Prärie zu einer Festung werden. Da moderne Gewehre fast eine Meile weit tragen, ist es für einen guten Schützen möglich, auf fünfhundert Yard einen Reiter zu treffen. Einen Mann in der fahrenden Kutsche zu treffen, ist dagegen viel schwerer. Auf einer Entfernung von fünfhundert Yard dürfte es sogar unmöglich sein.“

„Aber die Postgesellschaft ...“

„Jetzt hören Sie mir mal zu: Ich werde mit Ben Warthon nach Shelton Falls fahren, wie es Marshal Clayburn von mir erwartet, oder ich bleibe hier. In ein paar Tagen werden alle Halunken in fünfzig Meilen Umkreis wissen, was hier zu holen ist — nämlich achtzehntausend Dollar. Sie werden kommen. Die Bevölkerung wird sich dann an Sie wenden, falls die Stadt mit Terror überzogen werden sollte. Also, was ist nun mit den Fahrscheinen? Bekomme ich sie oder nicht?“

Ben Jagger brummte unwillig vor sich hin. Dann strich er endlich das Geld von der Tafel und legte zwei handgeschriebene Karten darauf.

Tom atmete auf. Er steckte die Karten in die Tasche und ging hinaus, gefolgt von den mürrischen Blicken des Posthalters. Draußen sah er den Fahrer, der mit den beiden anderen Pferden kam, um sie ebenfalls vor die Kutsche zu spannen.

Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wurde die Schwingtür des Saloons geöffnet. Der Kopf des Keepers tauchte in der Öffnung der oberen Klappe auf.

Der Kutscher hatte sich umgewandt. Fragend blickte er Tom entgegen.

„Ich habe die Karten“, sagte Tom und machte eine bezeichnende Bewegung auf seine Tasche.

„Dieser Narr! Aber ich habe von Jagger nichts anderes erwartet.“

„Was hätte er denn tun sollen? Ich wäre sonst mit dem Gefangenen in der Stadt geblieben, bis er vom Richter abgeholt worden wäre. Das könnte unter Umständen länger dauern, als es manchem lieb wäre. Das Geld hätte natürlich auch solange hier gelegen. Jagger muss wohl daran gedacht haben, dass es um die Kutsche weniger schade ist als um die ganze Stadt. Im Moment besteht nur wenig Gefahr, Dreek.“

„Mr. Calhoun, die Fahrt nach Shelton Falls dauert vier Tage!“

„Ich weiß. Aber jeder hier in der Stadt wird froh sein, wenn wir mit dem Geld in Shelton Falls sind.“

In diesem Moment kam Lola Starr aus dem Saloon, Über ihrem Arm hing ein geflochtener Korb. Leichtfüßig überquerte sie die Straße.

„Wie ich sehe, haben Sie sich die Sache nicht noch einmal überlegt“, sagte Tom Calhoun, als die Frau vor ihm stehenblieb.

Lola Starr trug einen geteilten Wildlederrock, zu dem die bunte Kattunbluse gut passte. Beinahe machte sie den Eindruck einer Ranchersfrau. Sie blickte auf und lächelte Tom Calhoun an.

„Ich überlege mir eine Sache nur einmal“, sagte sie herb. „Wissen Sie, was ich glaube? John Monk wird froh darüber sein, dass er entkommen konnte.“

„Tut mir leid, Miss Starr. Aber ich weiß, dass es nicht so ist. Sie hätten die Schüsse in der Nacht auch hören müssen.“

„Na und? Darum kümmere ich mich schon lange nicht mehr. Schüsse in der Nacht sind hier keine Seltenheit.“

„Monk hat im Office etwas Bestimmtes gesucht. Ich weiß, dass er es nicht gefunden hat.“

.Ach?“

„Und noch etwas. Er ist nicht geflohen. Er wird in der Nähe sein, um feststellen zu können, was mit dem Geld passiert. Sie sollten darüber noch einmal nachdenken.“

Sein Blick ruhte forschend auf ihrem schmalen Gesicht. Er sah die grauen Strähnen in ihrem Haar und machte die Feststellung, dass sie älter aussah, als sie mit ihren einunddreißig Jahren war.

Dann wandte er sich ab und ging schnell zum Office hinüber. An der Tür zum Office angekommen, hörte er abermals das Knarren der Schwingtür des Saloons. Er blieb stehen und drehte sich um. Als er den Spieler Sam Cory auf den Vorbau treten sah, ging er zurück und griff nach dem Pfosten, der das Dach trug. Cory hatte eine schwarze Reisetasche in der einen und eine Springfield in der anderen Hand.

Cory war stehengeblieben und grinste zu ihm herüber. Dann ging er weiter auf die Fahrbahn hinunter.

„Für ein Gewehr mehr haben Sie doch sicher Verwendung“, sagte der Mann.

„Schon möglich, Cory“, erwiderte Tom. „Doch in diesem besonderen Fall möchte ich darauf ganz gern verzichten.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Wirklich nicht? Achtzehntausend Dollar sind nun mal eine Menge Geld. Doch das brauche ich Ihnen bestimmt nicht erst zu sagen, Cory.“ Tom Calhoun wandte sich ab und ging in das Office.

*


Der alte Deputy stand am Tisch und war gerade dabei, sich den Stern anzustecken.

„Sie können wieder nach Hause gehen, Weaver“, sagte Tom Calhoun leise.

„Wieso?“

„Weil ich allein fahren werde.“

„Das ist doch nicht Ihr Ernst.“

„Doch. Allem Anschein nach wird es eine Höllenfahrt werden.“

Der Mann nahm Patronen aus einer Schachtel und begann, sie sorgfältig zu putzen.

„Dann werden Sie mich sicher brauchen“, erklärte er. „Die Hölle kann für uns beide nicht groß genug sein. Ich komme mit."

Tom war ans Fenster getreten. Er sah den Fahrer, der soeben den Korb des Mädchens und die Tasche des Spielers unter der Plane hinter dem Fahrgastraum der Kutsche verstaute. Cory reichte dem Mädchen den Arm und half ihr beim Einsteigen. Tom sah, dass sich beide unterhielten. Cory lachte. Wieder musste Tom daran denken, dass Cory von allen Kartenhaien, die er bisher kennengelernt hatte, der schlechteste war. Er stellte sich die Frage, wovon dieser Mann leben mochte. Auch der Schreiner hatte erzählt, dass er vor zwei Tagen mehr als einhundert Dollar von Cory gewonnen hatte. Der Spieler hatte dem nicht widersprochen.

Tom wandte sich um. Der Deputy schob die letzten Patronen in die Schlaufen seines Waffengurtes. Er füllte auch den Repetierverschluss der Winchester und legte sie auf den Tisch.

Tom Calhoun griff nach dem Jailschlüssel, ging zu der Gittertür und öffnete sie.

Ben Warthon saß auf der primitiven Pritsche und blickte ihm entgegen. Sein weißes Gesicht leuchtete wie ein heller Klecks im fahlen Halbdunkel der Zelle. Langsam erhob er sich und ging mit hölzernen Schritten an Tom vorbei.

„Legen Sie ihm Handschellen an“ sagte Tom. „Dann haben wir eine Gewähr, dass ihn niemand befreien kann.“

Der alte Deputy holte ein Paai Handschellen hervor und schloss sie um Ben Warthons Gelenke. Tom Calhoun verließ das Office, um die Satteltasche mit dem Geld zu holen. Hinter ihm kam Ben Warthon, den der alte Mann förmlich vor sich her schob.

„Los, beeilt euch!“, knurrte Tom Calhoun.

Ben Warthon blickte sich nach dem alten Mann um und ging dann an Tom vorbei und auf den Fahrer zu, der den Schlag der Kutsche geöffnet hatte.

„Sie wissen, dass ich auf dieser Linie keinen Gunman habe?“, brummte der Kutscher.

„Natürlich“, erwiderte Tom Calhoun.

„Dann werde ich den Gunman machen, Dreek“, erklärte Weaver. „Dadurch kann ich auch das Gelände besser übersehen. Im übrigen ist es auf dem Bock nicht so drückend heiß wie in der Kutsche.“

Der alte Mann stieg über das Rad auf den Bock und legte sich das Gewehr auf die Knie.

„Er sieht noch sehr gut“, sagte Tom. „Besser als die meisten Männer. Ich glaube, Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Dreek. Können wir nun fahren?“

Warthon war bereits eingestiegen und hatte sich neben dem Fenster auf die hintere Bank gesetzt. Sein Blick glitt zu dem Mädchen hinüber. Er schaute aber schnell hinaus, als sich ihre Blicke kreuzten.

Auf der anderen Straßenseite sah er eine alte Frau vor einem Haus stehen, die drohend einen Schirm erhoben hatte und etwas rief, das er nicht verstand.

*


Tom Calhoun kletterte als letzter in die Kutsche und zog den Schlag hinter sich zu. Ben Warthon gegenüber setzte er sich auf die Bank und klemmte das Gewehr zwischen die Beine. Neben ihm saß der Spieler, aber zwischen ihnen war genug Platz, so dass er die Tasche ablegen konnte.

Der Spieler lachte dunkel.

„Sind wir nicht eine nette Gesellschaft, Mr. Calhoun?“, fragte er.

„Das wird sich erst noch zeigen müssen“, erwiderte Tom. „Und zwar, wenn wir Shelton Falls näher sind als jetzt.“

„Was soll das heißen?“

„Das ist im Moment nicht wichtig, Cory. Aber es ist möglich, dass ich später noch einmal darauf zurückkommen werde, dann werde ich es Ihnen erklären.“

„Ich glaube, er traut uns nicht“, sagte Lola Starr und blickte Tom Calhoun an.

Cory grinste spöttisch.

„Er hat bestimmt noch niemals auf soviel Geld aufpassen müssen. Um diesen Job beneide ich Sie bestimmt nicht, Calhoun.“

„Aber ich könnte Sie beneiden, Cory.“

„Mich?“

„Ja. Sie haben beneidenswert viel Mut, mit dieser Kutsche zu fahren, die einem rollenden Pulverfass gleicht. Und dazu fahren Sie noch ohne einen zwingenden Grund.“

Corys Gesicht schien sich in die Länge zu ziehen.

„Ich habe schon meine Gründe“, sagte der Spieler impulsiv, biss sich aber sofort auf die Lippe.

„Ja, das vermute ich und das meinte ich auch vorhin.“ Tom Calhoun wandte sich dem Mädchen zu und sah, dass auch ihr Gesicht die Farbe verloren hatte. Er fragte sich, wie sie zu Cory stehen mochte.

Al Dreek stieg brummend auf den Bock. Knarrend bewegte sich das Gefährt in den Federn.

Der Postmeister stand vor der Station. Grüßend hob er die Hand und rief: „Gute Fahrt!“

Mit einem lauten Knallen strich die Peitsche durch die Luft.

„Vorwärts!“, rief der Kutscher. Die Pferde stemmten sich in die Sielen und zogen an. Rumpelnd setzte sich die Kutsche in Bewegung. Staub quoll hinter den Rädern in die Höhe.

*


Drückend lastete die Hitze über der Prärie. Kein Lufthauch bewegte das Gramagras rechts und links der Poststraße. Drinnen in der Kutsche war es fast unerträglich heiß. Dem Spieler rann der Schweiß in Bächen über das Gesicht. Auch Lola Starr wischte sich immer wieder mit einem bereits völlig durchnässten Taschentuch über das Gesicht. Der von den Pferden und Rädern aufgewirbelte Staub wehte an den glaslosen Fenstern vorbei und herein. Er machte den Menschen in dem Gefährt das Atmen schwer.

Immer wieder glitt Tom Calhouns Blick hinaus in die endlose Prärie. Doch nirgends konnte er etwas Verdächtiges entdecken.

Es war bereits Mittag, als die Kutsche an einem kleinen, halb ausgetrockneten Creek hielt. Der Fahrer war vom Bock geklettert und ließ die Pferde saufen. Auch die Insassen der Kutsche stiegen aus.

Cory trank aus seiner Flasche und reichte sie dann dem Mädchen. Tom Calhoun, der das gesehen hatte, vermutete, dass das Wasser bald kochen musste. Er wandte sich um, kniete am Fluss nieder und trank. Als er sich wieder aufrichtete, sagte er: „Ich glaube. das Flusswasser ist kälter. Miss!“

Lola blickte ihn an und versuchte zu lächeln. Doch es gelang ihr nicht recht. Mit einer müde wirkenden Bewegung gab sie Cory die Flasche zurück. Dann bückte sie sich und schöpfte das Wasser mit den hohlen Händen.

Wachsam spähte Tom zu den Büschen hinüber, die etwa dreihundert Yard entfernt waren. Mit raschen Schritten ging er zur Kutsche zurück.

Nichts geschah.

„Wer Hunger hat, muss sich melden“, sagte der Kutscher.

Niemand antwortete ihm.

„Dann fahren wir weiter. Wir müssen uns beeilen, wenn wir es vor Anbruch der Dunkelheit bis zur Station schaffen wollen. Die Pferde sind nicht sehr schnell bei dieser Hitze.“

Kaum war der letzte in die Kutsche gestiegen, setzte sie sich sofort wieder rumpelnd in Bewegung Al Dreek lenkte die Pferde in den Creek hinein. Als sie auf der anderen Seite waren, fuhr die Peitsche laut knallend durch die Luft. Schnaubend zogen die Pferde das Gefährt zum trockenen Uferstreifen hinauf. Immer näher rückten die Büsche. Tom Calhoun hatte das Gewehr schussbereit in der Hand. Langsam fuhr die Kutsche an den Büschen vorbei. Nichts geschah.

Ben Warthon richtete sich etwas auf. Klirrend bewegte sich die kurze Kette zwischen seinen Handgelenken.

Cory grinste ihn an.

„Machst du es schon lange?“ fragte er.

„Überhaupt nichts habe ich gemacht!“, schrie Ben ihn an. „Ich habe damit nichts zu tun, verdammt. Ich war nur auf der Suche nach einem Job als Cowboy.“

„Um als Cowboy Arbeit zu finden, hättest du doch nicht hierher reiten müssen“, entgegnete Tom Calhoun leise. „Nicht mitten im Sommer.“

Ben Warthons Augen funkelten ihn zornig an.

„Ich wusste, warum ich soweit von zu Hause fortreite!“

„Wirklich?“

„Natürlich. Ich wollte nicht, dass mich mein Vater zurückholt. Das hätte er in Colorado sicher gemacht. Dort wäre es für ihn ziemlich einfach gewesen, mich zu finden. Er hat nun mal etwas dagegen, alle Arbeit allein machen zu müssen. Er ist ein kleiner Farmer.“

„Du hast es jedenfalls erklärt“, sagte Tom Calhoun. „Doch deine Erklärung leuchtet mir nicht ganz ein. So viele Ranches, wie es in Texas gibt, konnte dein Vater nicht nach dir absuchen. Außerdem ziehen Rindertrecks nach Norden. Ein junger Mann wie du findet hundert Möglichkeiten, zu verschwinden. Ich glaube auch nicht, dass ein kleiner Farmer viel Zeit haben würde, nach seinem verschwundenen Sohn zu suchen.“

Ben Warthon hatte die Lippen fest aufeinandergepresst, so dass sie wie ein schmaler Strich in seinem Gesicht standen. Blitze schossen aus seinen Augen. Tom Calhoun hatte auf einmal das Gefühl, als würde der Junge anfangen, ihn zu hassen.

„Man hört überall, dass Texaner stolz sind und sich vor dem Tod nicht fürchten“, meinte Cory. „Es hat nun mal nicht geklappt, mein Junge, damit musst du dich abfinden.“

Schweigen herrschte in der Kutsche, die langsam schneller wurde.

„Wie gut, dass keiner von uns weiß, was noch alles passiert“, sagte der Spieler in die Stille. Langsam wandte er den Kopf und blickte Tom Calhoun mit einem dünnen Grinsen an.

Plötzlich fiel die Kutsche krachend mit dem Hinterrad in ein Loch. Lola Starrs Kopf wurde gegen die Wand geschleudert. Ein Schrei entfuhr ihren Lippen.

„Man sollte hier unten endlich eine Eisenbahn bauen“, sagte Cory. „Wegen achtzehntausend Dollar würden sich Banditen wohl kaum der Gefahr aussetzen, einen Zug anzuhalten. Was meinen Sie dazu, Calhoun?“

„Das weiß ich ebensowenig wie Sie, Cory. Dafür weiß ich aber eins: es handelt sich um sehr viel Geld. Um mehr, als die meisten Männer jemals auf einen Haufen gesehen haben. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie auch zu diesen Leuten gehören, Cory.“

„Sie reden einen Blödsinn, Calhoun. Sie müssten wissen, dass einem Spieler viel Geld durch die Hände geht. Ich habe gewonnen und verloren. Geld hat mir nie viel bedeutet.“

„Und das soll ich Ihnen glauben, Cory? Den Gefallen kann ich Ihnen aber nicht tun. Für einen Spieler ist hier ein schlechtes Arbeitsfeld. Das wissen wir beide. Wer ein guter Kartenhai ist, der bleibt heute in Kansas. Aber Sie haben Kansas verlassen.“

Tom Calhoun blickte von Cory auf das Mädchen. Er hatte das Gefühl gehabt, von ihr scharf beobachtet zu werden. Jetzt wandte sie schnell den Kopf und blickte zum Fenster hinaus, vor dem der wehende Sand vorbeizog und wie eine endlose Fahne hinter der Kutsche in der Luft hing.

„Sie scheinen sich ja für einen Mann zu halten, der über alles Bescheid weiß, Mr. Calhoun“, knurrte der Spieler.

Tom Calhoun zuckte die Schultern.

„Ich bin in meinem Leben vielen Menschen begegnet, Cory. Das ist alles. Ich glaube die Menschen zu kennen. Und ich wette mit Ihnen, dass Sie keine fünfzig Dollar Ihr Eigentum nennen.“

Der Spieler nahm diese Worte gelassen entgegen. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel.

„Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angehen kann, Calhoun.“

„Natürlich nicht. Nur unter den gegebenen Umständen verändert sich die Lage entscheidend. Wir sprachen doch von den achtzehntausend Dollar.“

„Man könnte Ihre Worte als Beschuldigung auffassen“, sagte das Mädchen und wandte ihren Blick wieder dem Inneren der Kutsche zu. „Wenn Sam es dem Richter erzählen würde, müsste der Sie deswegen zur Rechenschaft ziehen.“

„Ich glaube nicht, dass er es dem Richter erzählen wird“, sagte Tom und lächelte auf eine harte, wissende Art.

„Woher wollen Sie denn das wissen?“, entgegnete das Mädchen heftig.

„Fragen Sie doch Cory, Miss Starr. Er wird Ihnen bestätigen, dass er nicht die Absicht hat, es dem Richter zu erzählen.“

„Stimmt genau, Calhoun. Aber sicher aus einem anderen Grund, als Sie vermuten. Ich gebe mich nun mal nicht mit Kleinigkeiten ab. das ist alles.“

„Sie müssen zugeben, Miss Starr, dass ich ihn besser kenne als Sie.“

Ohne etwas zu erwidern, wandte sich die Frau abrupt ab und schaute wieder nach draußen.

Tom blickte zu Sam Cory.

„Solange Sie in San Angelo waren, haben Sie sich doch nur mit Kleinigkeiten abgegeben, Cory“, sagte er. „Die Männer, die mit Ihnen spielten, hatten alle nicht viel Geld.“

Wieder ging ein hartes Rucken durch die Kutsche. Dann stand sie. Ben Warthon wurde von seinem Platz gehoben und gegen Tom geschleudert.

Jemand fluchte. Dann war das Krachen von Weavers Winchester zu hören.

Tom gab dem Gefangenen einen Stoß, dass dieser wieder auf seinen Platz zurückfiel. Dann schaute er zu dem Mädchen hinüber. Er war einigermaßen verwundert, dass sie nicht geschrien hatte, wie es die meisten Frauen in derartigen Situationen zu tun pflegen. Er wandte sich ab und war mit einem Satz aus der Kutsche.

*


Der Fahrer war schon vom Bock gesprungen und zeigte mit dem ausgestreckten Arm zu den Büschen hinüber, die rechts von ihnen waren. Wieder entlud sich Weavers Gewehr. Drüben bei den Büschen wurde trockenes Blattwerk in die Höhe geschleudert. Tom packte den Kutscher am Arm und zog ihn zurück. Im gleichen Moment dröhnten mehrere Abschüsse gleichzeitig auf. Dumpf pochend fuhr eine Kugel in den Wagenkasten.

„Herunter!“, rief Tom Calhoun dem alten Deputy zu.

Weaver sprang herab.

Drüben bei den Büschen wurde wieder heftig geschossen. Jaulend gingen die Kugeln über die Kutsche hinweg.

Tom Calhoun lief um die Kutsche herum. Der Fahrer folgte ihm geduckt. Als die nächste Salve herüberknatterte, riss Tom die zweite Tür auf und ergriff das Tanzmädchen am Arm.

„Schnell heraus!“, rief er in das Wageninnere und zog das Mädchen ins Freie.

Warthon und Cory sprangen sofort nach und warfen sich zu Boden.

Pausenlos wehte das rasende Echo der Abschüsse über die Prärie. Doch plötzlich wurden alle Geräusche von einem schaurigen Wiehern übertönt.

Laut fluchend richtete sich der Kutscher hinter einem der Räder auf. Noch während dieser Bewegung entlud sich seine Sharps mit einem dröhnenden Knall.

Unter der Kutsche schoss Tom zu den Büschen hinüber. Auch der alte Deputy neben ihm repetierte das Gewehr in rascher Folge. Da sahen sie plötzlich drüben Reiter auftauchen, die sich schnei! nach Osten wandten.

Al Dreek ließ die Hand mit dem Gewehr sinken.

Weaver schoss noch zweimal kurz nacheinander, traf aber keinen der Flüchtenden. Wie ein Spuk verschwanden sie um den Hügel, der sich im Osten erhob.

„Es waren drei“, sagte der Spieler. „Vielleicht kommen sie mit Verstärkung wieder.“

Das Mädchen war bleich geworden, und Tom sah, dass ihre farblosen Lippen zuckten.

„Es wäre besser gewesen, Sie hätten auf mich gehört und auf die nächste Kutsche gewartet“, meinte er ernst. „Es lohnt sich wirklich nicht.“

„Was?“

„Sie riskieren Ihr Leben, nur um nach Shelton Falls zu kommen. Es wäre auch anders gegangen, und ich halte Sie für intelligent genug, das zu wissen.“

Sam Cory hielt seinen Navy Special noch immer in der rechten Hand, während sein Blick zwischen Tom Calhoun und Weaver hin und her huschte.

Als Tom Calhoun seinem Blick begegnete, lächelte er ihm zu und sagte: „Der Moment ist denkbar ungünstig, Cory. Vergessen Sie nicht den Kutscher, der ist auch noch da. Ich glaube, es wird Zeit weiterzufahren. Steigen wir ein!“

„Vorher müssen wir erst das tote Pferd aus den Sielen schneiden“, wandte der Kutscher knurrend ein.

„Natürlich“, sagte Tom und nickte dem Mann zu.

Cory steckte seinen kleinen Colt in die Schulterhalfter zurück, dann schob er sich an Tom vorbei, ohne eine seiner bissigen Reden anzubringen. Daran allein erkannte Tom Calhoun, dass seine Vermutung richtig war. Sam Cory reiste nur mit dieser Kutsche, weil er es auf die Dollars in der Satteltasche abgesehen hatte.

Mit einer raschen Drehung wandte sich Tom dem Mädchen zu und sah es an. Ihre Blicke kreuzten sich, und Tom war es, als würde sich vor ihre eben noch klaren Augen ein Schleier legen, der es ihm unmöglich machte, auch nur einen Bruchteil ihrer Gedanken zu erraten.

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging hinter dem Spieler her, ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben.

Der Kutscher war schon dabei, die Sielen mit seinem Bowiemesser durchzuschneiden. Dann stemmte er sich gegen die anderen Pferde. Doch er schaffte es nicht allein.

„Ihr müsst mir helfen!“

Schweigend packten die Männer zu und drängten die Pferde mit der Kutsche zurück.

„Wir werden die Station vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr erreichen“, sagte Al Dreek. „Ich werde die Vermutung nicht los, dass die Banditen nichts anderes erreichen wollten.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Tom ruhig. „Wenn sie uns hier draußen festnageln wollten, hätten sie uns zwei Pferde erschießen müssen. Es war bestimmt ein Zufall.“

„Über diesen Zufall werden Sie bestimmt noch nachdenken“, entgegnete der Spieler.

„Schon möglich, Cory. Aber wenn uns die Hölle verschlingt, war alles umsonst. Auch für Sie. Für uns alle. Ehe wir abfuhren, sagten Sie, dass mir Ihr Gewehr vielleicht von Nutzen sein könnte. Ich nehme Sie beim Wort, Cory. Es ist noch weit bis Shelton Falls, und bis wir die Stadt erreicht haben, werden Sie mit uns kämpfen.“

„Verdammt, steigt endlich ein!“, schrie der Kutscher, der bereits auf dem Bock saß. „Wir wollen doch hier nicht ewig herumstehen.“

Sie stiegen in die Kutsche. Ben Warthon ließ sich auf seinen Platz fallen. Tom Calhoun sah den kalten Blick Sam Corys. der einen Moment auf der Satteltasche ruhte. Laut knallend strich die Peitsche durch die Luft, und Dreeks Zuruf erschallte vom Bock. Das Gefährt setzte sich schwankend in Bewegung.

*


Schon senkte die Dunkelheit ihre Schatten über das Land. Auf einem Hügelrücken hielt die Kutsche an. Tom Calhoun erhob sich und schaute zum Fenster hinaus. Doch er konnte in der Finsternis nichts als die schattenhaften Büsche erkennen.

„Ist es noch weit?“, fragte er zum Bock hinauf.

„Ungefähr eine Meile noch. Aber die Pferde sind fertig. Sie müssen mindestens zwanzig Minuten verschnaufen, ehe sie weiterziehen.“

Tom Calhoun sprang aus der Kutsche. Das Gewehr in der Hand, ging er um sie herum.

Flüsternd drang die Stimme der Frau zu ihm herüber.

„Es war doch Unsinn“, hörte er sie sagen.

Die hastige Antwort des Spielers konnte Tom nicht verstehen.

Langsam ging er weiter. Am Fenster blieb er stehen und schaute in das Wageninnere. Er sah, dass Ben Warthon das Mädchen und den Spieler scharf beobachtete. Aufmerksam ging sein Blick zwischen ihnen hin und her. Dabei musste er etwas gehört haben, das ihn zu verblüffen schien.

Ohne von den Menschen im Wagen bemerkt worden zu sein, ging Tom vorbei. Bei den stämmigen Zugpferden verhielt er abermals den Schritt. Er sah. dass sie wirklich fertig waren. Sie waren über und über mit Schaum bedeckt. So blieb nur zu hoffen, dass sie überhaupt noch weiterkamen. Denn hier oben auf dem Hügel hatten sie den denkbar ungünstigsten Platz in der Endlosigkeit der Prärie.

„Können wir nicht versuchen, von hier wegzukommen?“, sagte Tom zu Dreek. „Den Hügel hinunter rollt die Kutsche von selbst.“

Dreek schüttelte bekümmert den Kopf.

„Das ist ja das Gefährliche an der Sache“, erwiderte er. „Die Bremsen sind nicht mehr die besten. Sie sehen ja, dass die Pferde keine Kraft mehr haben. Wenn nur eins strauchelt, werden alle von der Kutsche überrollt. Das wäre das Ende der Reise, Mr. Calhoun.“

Tom nickte.

„Ja, Sie haben recht“, sagte er. Dann wandte er sich um und ging zurück. Am Wagenschlag blieb er stehen und lehnte sich mit der Schulter dagegen. Sein Blick schweifte über das weite Land. Er hatte das Gefühl, dass die Augen der Insassen der Kutsche auf seinen Rücken gerichtet waren. Und er wusste, dass ihre Gedanken ihm nichts Gutes verhießen. Aber Tom baute auf Weaver, der oben auf dem Bock saß. Er glaubte, dass wenigstens das Mädchen und der Spieler wissen mussten, dass der alte Mann auf seiner Seite stand. Wie groß mochte wohl das Interesse des Mädchens an dem Geld sein? War sie vielleicht auch bereit, um es zu bekommen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen?

Mit einem plötzlichen Ruck wandte er sich um und sah, dass er sich nicht geirrt hatte. Sie starrten ihn alle an.

Auf dem Gesicht des Spielers breitete sich ein hämisches Grinsen aus.

„Wir sind wirklich eine nette Gesellschaft“, sagte er höhnisch. „Jeder von uns weiß, dass er auf einem Pulverfass sitzt. Trotzdem kommt keiner auf den Gedanken, etwas zu verändern.“

„Wirklich?“, meinte Tom.

Das Mädchen starrte auf seine zitternden Hände.

„Worüber habt ihr vorhin gesprochen?“, fragte Tom schnell.

Lola Starr hob den Blick.

„Worüber sollen wir gesprochen haben?“, fragte Sam Cory.

„Das wollte ich ja von Ihnen wissen. Aber vielleicht sollte ich Ihnen vorher noch etwas erklären.“

„Ich habe nichts dagegen. Fangen Sie an!“, forderte der Spieler.

„Jeden, der nach der Tasche greifen sollte, werde ich rücksichtslos erschießen.“

„Können Sie Ihre ewigen Anschuldigungen nicht lassen, Mr. Calhoun?“, fragte das Mädchen.

„Sie irren. Miss. Das war keine Anschuldigung. Nur eine Warnung, die jeder ernst nehmen sollte.“ Tom wandte sich ab und ging wieder zu den Pferden. Mit der Hand strich er über das nasse Fell des einen Tieres und spürte, wie sehr es zitterte.

„Zehn Minuten müssen wir noch warten“, meinte Dreek. „Ich glaube nicht, dass die Bande in der Nähe ist.“ Tom ging zurück.

„Konntest du Monk bei den Reitern, die wir sahen, erkennen?“, fragte er Ben Warthon.

„Ich glaube ja“, erwiderte der Gefangene. Dann hob er die Hände mit der klirrenden Kette dazwischen hoch und sagte: „Wenn Sie mir diese verdammten Dinger abnehmen und mir eine Waffe geben, werde ich Ihnen helfen, das Geld nach Shelton Falls zu bringen!“

„Hör auf, Ben. Wie stellst du dir das vor? Ich habe jetzt schon nicht genug Augen und Hände, um alles zu sehen und rechtzeitig verhindern zu können. Ich kann mir nicht noch zusätzlich Arbeit machen. Welchen Preis wolltest du dafür verlangen?“

„Ich möchte nur, dass Sie glauben, was ich gesagt habe.“

„Das ist leider nicht viel, Ben“, sagte Tom und wandte sich wieder um. Die Büsche waren nun schon nicht mehr zu erkennen.

„Ich denke, dass wir es jetzt versuchen können“, sagte der Fahrer. „Calhoun, steigen Sie ein. Und noch etwas: Dass das verlorene Pferd auf Ihre Rechnung geht, ist doch klar!“

„Ich werde es dem Richter sagen, wenn wir in Shelton Falls sind.“

Tom stieg ein und zog hinter sich den Schlag zu. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz. Er blickte sie der Reihe nach an. Das Gewehr lag auf seinen Knien.

Ein Rucken ging durch die Kutsche. Langsam setzte sie sich in Bewegung. Das Knarren der Räder wurde immer wieder vom Knirschen der Bremsen unterbrochen. Dreek musste den Fuß ununterbrochen auf den langen Bremshebel stellen, um die Fahrt zu verlangsamen.

Tom blickte wachsam auf beiden Seiten der Kutsche aus den Fenstern. Nichts geschah.

*


Sie waren nicht lange gefahren, da hatten sie den Fuß des Hügels erreicht. Nun musste der Fahrer die Peitsche knallen lassen, um die Pferde in Bewegung zu halten.

Sie waren etwa zehn Minuten unterwegs, als der Spieler sagte: „Es scheint, als hätten die Banditen augenblicklich keine Zeit. Wahrscheinlich sind sie unterwegs, um Verstärkung zu holen.“

„Schon möglich“, gab Tom ruhig zurück.

„Was meinen Sie, wie lange es dauern könnte, bis sie Helfer gefunden haben?“

„Sicher nicht lange, Cory. Wir werden es sehen.“

Nach weiteren zehn Minuten rief Weaver plötzlich: „Leute, die Station!“

Als Tom aus dem Fenster blickte, sah er den Schatten eines hohen Palisadenzaunes auftauchen. Dahinter war ein geducktes Dach zu sehen.

„Harper, mach auf!“, rief der Fahrer vom Bock.

Das Tor schwang knarrend auf. Rumpelnd fuhr die Kutsche in den Stationshof. Hinter ihr wurde das Tor wieder geschlossen. Das Gefährt kam zum Stehen, und Tom Calhoun stieg aus. Vom Tor kam der grauhaarige Simon Harper. In seiner Linken hatte er eine Parkerbüchse.

„Über die Gäste, die ich dir heute bringe, kannst du dich freuen“, knurrte der Fahrer. „Den da kennst du schon. Es ist Tom Calhoun; er vertritt zur Zeit Marshal Clayburn. Sieh dir die Tasche in seiner Hand an. Simon. Achtzehntausend Dollar sind drin.“

Ben Warthon stieg aus. Leise klirrte die Kette zwischen seinen Händen.

„Und das hier ist sein Gefangener“ redete der Mann weiter. „Er ist fast noch ein Kind. Der Zufall machte ihn zum Banditen.“

„Was für ein Zufall?“, fragte Tom sanft.

„Das ist doch gleich. Irgendein Zufall, Calhoun. Man sieht es ihm an, dass er nicht zum Verbrecher geboren ist.“

Tom wandte sich ab und ging auf das Haus zu, als er ein dünnes Husten hörte. Aus dem offenen Türrechteck fiel eine breite Lichtbahn. In ihr stand Harpers Tochter. Sie lächelte, als sie Tom Calhoun erkannte und kam schnell auf ihn zu.

„Hallo, Anny“, sagte Tom und gab ihr die Hand. „Seitdem wir das letzte mal hier waren, hört mein Sohn John nicht mehr auf, von Ihnen zu schwärmen.“ Er ließ ihre Hand los.

„Ich freue mich, Tom.“

„Darf ich Ihnen Miss Starr vorstellen, Anny? Das ist Mr. Cory.“'

Anny Harper gab Lola Starr und dann dem Spieler die Hand.

„Sie reisen zusammen?“, fragte sie. Lola Starr und der Spieler schauten sich an. Anny Harper wurde von ihrem Vater gerufen und wandte sich ab.

Tom Calhoun lächelte den Spieler an.

„Er glaubt, dass wir uns von früher kennen“, meinte Sam Cory.

„Ich bin fest davon überzeugt, Cory“, erwiderte Tom, ehe er sich abwandte und zum Haus hinüberging. Er trat durch die noch immer offenstehende Tür. Vor ihm erstreckte sich ein langer Raum, in dessen Vordergrund ein großer Tisch mit Stühlen stand. Im Hintergrund hingen mehrere Decken, die den langen Raum teilten. Eine davon war zurückgeschlagen. So konnte Tom die eisernen Bettgestelle sehen, die in dem Schlafraum standen.

*


Tom Calhoun stand auf und schob seinen Teller zur Mitte des Tisches.

„Das Essen war ausgezeichnet“, sagte er zu Anny Harper. Dann blickte er zum Mittelpfosten des Daches hinüber. „Dort werde ich dich anketten“, sagte er an Ben Warthon gewandt. „Den Pfosten bringst du bestimmt nicht kaputt. Sollte es dir wider Erwarten doch gelingen, hättest du keine Freude daran. Dann fällt dir das Dach auf den Kopf. Steh auf und komm!“

Tom ging um den Tisch herum. Vor Ben Warthon blieb er stehen. Der erhob sich von seinem Platz und funkelte Tom zornig an. An seinem linken Handgelenk hing die Kette nach unten.

Tom Calhoun griff nach einem Hocker und schob ihn an den Pfosten. Er wollte sich gerade umwenden, als er aus dem Augenwinkel sah, wie Ben ausholte und ihm gegen den Kopf schlagen wollte. Blitzschnell duckte sich Tom unter dem Schlag hinweg. Seine Linke schnellte vorwärts und stieß den Jungen auf den Hocker.

„Du tust dir selbst einen großen Gefallen. wenn du das nicht wieder versuchst, Ben“, sagte er. „Weaver hätte dir ein Loch in den Kopf geschossen, wenn du mich niedergeschlagen hättest. Nicht wahr?“ Tom blickte den alten Deputy fragend an.

„Stimmt genau“, erwiderte Weaver. Dann ließ er die Hand mit dem bereits gezogenen Revolver sinken und schob ihn in die Halfter.

Ein wildes Flackern stand in den Augen des jungen, hitzigen Texaners.

„Wissen Sie, was ich an Ihnen hasse, Calhoun?“, stieß er hervor.

„Keine Ahnung.“

„Ihre verdammte, satte Selbstzufriedenheit. damit Sie es ganz genau wissen.“

Tom Calhoun zog ihm die Hände hinter dem Pfosten zusammen und ließ die Handschelle einschnappen. Dann trat er vor seinen Gefangenen und sagte: „Das ist dein gutes Recht, mein Junge. Jeder hat das Recht, über andere anders zu denken, als die es selbst tun. Du kannst das alles auch Richter Douglas in Shelton Falls erzählen. Aber eines solltest du dabei nicht vergessen: Die Wahrheit über die andere Geschichte.“

Tom blickte zum Tisch hinüber. Sam Cory gähnte gelangweilt. Da ging Tom Calhoun hinüber und griff nach der Lehne eines Stuhles.

„Es ist Zeit, schlafen zu gehen, was?“, fragte der Spieler. „Oder sind Sie noch nicht müde?“

„Glauben Sie wirklich, es ginge danach, Cory?“, fragte Tom Calhoun. „Sie übernehmen mit mir die letzte Wache, damit Sie klarsehen.“

„Meinen Sie mich?“

„Natürlich, Cory.“

Der Spieler lachte, aber es klang rau und irgendwie gekünstelt.

„Sie vergessen etwas, Calhoun. Ich bin ein Fahrgast der Postgesellschaft und übernehme somit keinerlei Pflichten. Das Geld und Ihr Gefangener gehen mich nicht das mindeste an.“

„Jetzt haben Sie etwas vergessen, Cory. Sie haben versprochen, mir zu helfen.“

„Und ich?“, fragte das Barmädchen. „Muss ich mich etwa auch beteiligen?“

„Nein, Sie brauchen nicht zu helfen, Miss Starr. Die erste Wache übernehme ich mit dem Fahrer. Weaver und der Stationer kommen als zweite dran. Cory und ich als dritte.“

„Dann übernehmen Sie zwei Wachen“, sagte der Spieler.

„Genauso ist es.“

„Demnach ist Weaver der einzige, den Sie nicht verdächtigen, Calhoun. Außer ihm steht jeder in dem Verdacht, sich des Geldes bemächtigen zu wollen.“

„Ich glaube, dass es das Beste ist, wenn gar keiner erst der Gefahr ausgesetzt wird, sich über das Geld unnötige Gedanken zu machen. Wenn es soweit ist, werde ich Sie wecken, Cory.“

Der Spieler griff in seine Westentasche und holte eine seiner langen, dünnen Zigarren hervor. Er klemmte sie zwischen die Lippen, riss ein Schwefelholz über die Stuhllehne und brannte die Zigarre an.

Tom Calhoun hatte den Stationsraum verlassen. Sein Blick fiel auf die abgestellte Kutsche. Als er neben dem Brunnen stehenblieb, hörte er hinter sich Schritte, die sich schlurfend näherten. Es war der Kutscher, der sich neben Tom an den Brunnenrand lehnte. Aus dem Stall drang das Stampfen der Pferdehufe zu ihnen herüber.

„Mr. Calhoun, die Tasche mit dem Geld liegt noch auf dem Tisch.“

„Ja, ich weiß.“

„Glauben Sie wirklich, dass sie dort gut aufgehoben ist?“

„Weaver ist bei ihr. Er wird auf sie aufpassen. Ich denke, dass sie uns hier nicht abhanden kommen kann. Gehen Sie da hinüber und bleiben Sie nur auf Ihrer Seite!“

Tom machte auf dem Absatz kehrt, ging um den Brunnen herum und sprang auf die Laufplanke hinter dem Palisadenzaun.

Inzwischen war der Mond aufgegangen und ergoss sein milchiges Licht über das Land. Tom konnte in der Ferne die schwachen Umrisse der Hügel erkennen. Links von der Station erstreckte sich ein kleines Zederngehölz. Nichts regte sich da draußen, doch er wusste, dass sie kommen würden — irgendwann und irgendwo.

*


Weaver erhob sich von seinem Stuhl, griff nach der Tasche und nahm sie an sich.

Cory bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen. Doch als sich die Hand des Mädchens auf seinen Unterarm legte, presste er sie wieder fest aufeinander.

Weaver ging, ohne sich noch einmal umzublicken, auf den Schlafraum zu. Er schlug eine der als Abtrennung dienenden Decken zurück und verschwand dahinter. Als die Decke hinter ihm wieder herabfiel, stieg eine kleine Staubwolke zu den Dachbalken empor.

Anny Harper schaute auf die Tür. Plötzlich erhob sie sich und ging auf sie zu.

„Anny, wohin gehst du?“, fragte der Stationer.

Das Mädchen wandte sich um.

„Ich gehe zu Tom Calhoun, Vater“, erwiderte Anny. „Ich werde ihm sagen, dass er ein grausamer Mensch ist.“ Sie blickte zu Ben Warthon hinüber. „Schau doch hin. Er hat den Jungen an den Pfosten gebunden. Dort soll er die ganze Nacht sitzen. Das verstehe ich nicht. Ich habe ihn ganz anders eingeschätzt.“

„Er hat keine andere Wahl, Anny. Der Junge ist ein Posträuber. Das solltest du dabei nicht übersehen.“

„Er sagt, dass er damit nichts zu tun hat.“

„Hast du schon einmal erlebt, dass einer, den man geschnappt hat, etwas anderes sagte? Hinterher wissen sie von nichts. Bleib hier. Tom Calhoun macht so etwas nicht, ohne einen zwingenden Grund zu haben. Ein müder Gefangener ist ihm vielleicht lieber. Wenn der Junge frisch und ausgeruht ist. kommt er vielleicht immer wieder auf neue Ideen.“

Mit gefurchter Stirn durchquerte Anny den Raum. Die Worte Harpers schienen sie nicht restlos überzeugt zu haben. Sie ging in die Küche. Gleich darauf drang das Klappern von Geschirr durch die angelehnte Tür, und der Duft gebratenen Fleisches breitete sich aus.

Zwischen zwei der herabhängenden Decken war ein kleiner, freier Spalt. Durch ihn konnte Cory sehen, dass sich Weaver niedergelegt hatte. Unter der Decke, mit der er sich zugedeckt hatte, zeichnete sich deutlich die Stelle ab, unter der die Satteltasche lag.

„Sieh doch nicht so auffällig hin“, flüsterte ihm das Mädchen zu. Sie waren mit Ben Warthon allein, denn auch der Stationer hatte den Raum verlassen. „Sam, ich muss dir noch etwas sagen.“

„Was?“

„Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht.“

„Hör auf, Lola. Ich muss es tun. Du weißt, dass ich das Geld als Betriebskapital brauche.“

„Das meinte ich nicht. Wir hatten noch etwas anderes besprochen. Oder weißt du es nicht mehr?“

„Ich habe es nicht vergessen, Lola“, gab er flüsternd zurück, so dass es für Ben Warthon unmöglich war, etwas zu verstehen. „Auch ich habe nachgedacht. Immer wieder nachgedacht, genau wie du. Aber in einem anderen Sinne. Dabei bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es einfach zu wenig ist. Für den Anfang, der uns vorschwebt, müssten wir die Summe vergrößern. Am besten um das Doppelte. Und zwar ganz einfach.“

„Du meinst im Spiel?“

„Genau.“

Lola Starr war blass geworden. „Sam, du würdest alles verlieren“, kam es gepresst über ihre Lippen. „Du selbst musst doch am besten wissen, dass sich deine Kunst in ziemlich engen Grenzen bewegt.“

„Rede keinen Unsinn. Mein Pech war nur, dass ich zu wenig Betriebskapital hatte. Daran ist es immer wieder gescheitert. Und du solltest das wissen. Im geeigneten Moment fehlte mir stets das nötige Geld. Solange ich zurückdenken kann, war das meine einzige Schwäche. Du musst mir jetzt vertrauen!“

„Du irrst, Sam. Dieses Spiel kann ich nicht mitmachen. Schon zu dem anderen ist mir die Lust vergangen. Um dir Geld zum Spielen zu beschaffen, ist mir der Rest meiner Ehre zu schade. So war es auch nicht ausgemacht, Sam. Ich mache nur mit, weil ich weiß, dass etwas geschehen muss. Und zwar schnell. Meine besten Jahre liegen hinter mir. Bald wird die Zeit kommen, wo mich kein Salooner mehr haben will und niemand danach fragen wird, wovon ich lebe. Tom Calhoun hat uns durchschaut. Er weiß, welchen Grund wir hatten, mit dieser Kutsche zu fahren.“

„Nichts weiß er. Vielleicht ahnt er etwas. Das ist aber auch alles. Damit kann er nicht viel anfangen.“

„Sam, weiche mir jetzt nicht aus. Ich will wissen, ob wir es so machen, wie es besprochen war. So und nicht anders!“

„Natürlich, Lola. Ich hatte mir nur überlegt, wie es vielleicht besser klappen könnte.“

„Ich werde froh sein, wenn es so klappt, wie es ausgemacht war. Und vergiss nicht: Niemand darf bei der Sache zu Schaden kommen.“

„Das hoffe ich auch. Aber ich bin mir darüber im klaren, dass das mit Tom Calhoun nicht so einfach ist. Er ist ein sturer, pflichtbesessener Mann. Er ist nicht in der Lage, sich in die Situation eines anderen hineinzudenken. Nicht in meine und auch nicht in deine, Lola.“

Nachdenklich blickte das Mädchen den Spieler an. In diesem Moment bewegte sich leise knarrend die Tür, und der Stationer betrat den Raum. Schweigend erhob sich Lola und ging auf die Decken im hinteren Teil des Raumes zu. Hinter ihnen verschwand sie.

Mürrisch drückte Cory seine Zigarre in den Aschenbecher. Dann stand auch er auf.

„Schlafen Sie gut“, sagte Harper. „Sehr bequem ist es ja nicht. Aber hier draußen ist das nun mal nicht zu ändern.“

Cory nickte und wandte sich ab. Als er an Ben Warthon vorbeiging, sagte der: „Cory. Sie dürfen nicht glauben, dass ich taub bin.“

„Wie meinst du das?“ Mit hochgezogenen Brauen war der Spieler stehengeblieben.

„Überlegen Sie mal!“

„Wenn du was von mir willst, musst du dich schon deutlicher ausdrücken“, knurrte Cory und machte einen Schritt auf den Gefangenen zu.

„Können Sie sich nicht denken, dass ich manches gehört habe?“

„Was willst du schon gehört haben. Hiemand wird sich für das Geschwätz eines Banditen interessieren, mein Junge. Das ist ja zum Lachen.“

Ben Warthon biss sich auf die Unterlippe. Sein Blick senkte sich zu Boden.

Die Blicke Harpers und Corys kreuzten sich einen Moment, dann wandte sich der Spieler ab und ging weiter.

Der Stationer ging wieder zur Tür and verließ den Raum. Als er Tom Calhoun auf der Laufplanke sah, ging er schnell auf ihn zu.

Tom hatte sich umgedreht und blickte dem Mann fragend entgegen.

„Da ist irgend etwas im Gange“, sagte der Mann und deutete zum Haus hinüber.

„Wie meinen Sie das?“

„Was Genaues kann ich auch nicht sagen. Ich habe nur gehört, wie der Junge zu Cory sagte, dass er nicht taub sei und manches Wort verstehen konnte. Ich kann mir nicht helfen, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass der Spieler und das Mädchen etwas im Schilde führen.“

„Ja, Sie haben recht. Die beiden haben es auf das Geld abgesehen. Sie scheinen sich nur noch nicht einig zu sein, wie es geschehen soll. Wenn es in meiner Macht läge, würde ich die beiden hier zurücklassen.“

Tom hatte sich wieder umgewandt und ging zum Stationshaus zurück.

Simon Harper zuckte die Schultern und blickte nach draußen.

*


Mit einem Ruck fuhr Tom Calhoun hoch, als Weaver ihn an der Schulter berührte.

„Alles in Ordnung, Calhoun“, sagte der Mann. „Der Stationer ist noch draußen.“

Tom strich sich die Haare aus dem Gesicht und stand auf. Er griff nach der Satteltasche und hielt sie dem alten Deputy hin.

Cory und das Tanzmädchen schliefen. Aus Corys offenstehendem Mund kamen leise Schnarchtöne.

Auf dem letzten Bett, hinten in der Ecke, lag der Postfahrer. Gerade wälzte er sich auf die andere Seite.

Tom ging zu den Decken und schlug sie auseinander. Sein Blick fiel auf Ben Warthon, der auf dem Hocker eingeschlafen war. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken.

„Er wird sich morgen kaum bewegen können“, sagte Weaver leise.

Tom lächelte.

„Das ist ja der ganze Sinn der Sache“, erwiderte er.

„Meinen Sie nicht auch, dass seine Geschichte stimmen könnte, Calhoun?“

„Nein. Ben ist ein intelligenter Bursche. Er hätte etwas merken müssen, wenn er wirklich drei Tage mit den Banditen geritten ist. Verbrecher pflegen immer wieder das gleiche zu reden. Ich wüsste auch nicht, warum Nat Leet ihn getäuscht haben sollte. Warthon hat versucht, uns einen Bären aufzubinden. Und ich weiß auch warum. Weil niemand sagen kann, wie die Banditenmitglieder hießen und wie sie aussahen. Damit kommt er bei mir nicht an.“

Weaver schien nicht ganz Tom Calhouns Meinung zu sein. Etwas bekümmert zuckte er die Schultern und wandte sich ab. Tom ging zu dem Bett des Spielers, bückte sich und rüttelte ihn an der Schulter.

„Cory, es ist Zeit!“, sagte er scharf.

Cory zuckte zusammen. Dann riss er die Augen auf und richtete sich auf.

„Verdammt“, sagte er mürrisch. „Das ist wirklich nicht mein Fall, mitten in der Nacht geweckt zu werden.“

„Das können Sie nächste Nacht besser haben“, entgegnete Tom. „Sie brauchen sich nur dazu zu entschließen, hier auf die nächste Kutsche zu warten. Sie haben noch etwa vier Stunden Zeit, sich die Sache zu überlegen.“

Cory griff nach der Schulterhalfter, die unter der Decke lag. Ehe er aufstand, legte er sie um. Dann nahm er die schwarze Jacke vom Stuhl, zog sie über und stülpte leise fluchend den flachen Hut auf den Kopf. Tom folgend, verließ er den Raum. Als er in die klare Nachtluft trat, zog er fröstelnd die Schultern in die Höhe.

Tom ging auf Harper zu, der gerade von der Laufplanke kletterte.

„Es ist alles ruhig, Calhoun“, sagte er. „Ich glaube auch nicht, dass noch jemand kommt. Jeder muss sofort erkennen, dass diese Station eine Festung ist. Die Indianer haben sich hier schon vergebliche Mühe gegeben. Kein einziger hat es geschafft, über den Zaun zu kommen.“

„Ich bin nicht so zuversichtlich. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie recht behalten. Schlafen Sie gut.“

Simon Harper ging zum Haus. Tom blickte ihm nach, bis die Tür hinter ihm zufiel. Sein Blick wanderte weiter, zur anderen Seite des Zaunes. Er sah den Spieler, der seine Springfield zwischen zwei spitze Zacken der Palisade gelehnt hatte. Tom wandte sich um und blickte in die Nacht hinaus. Durch das bleiche Mondlicht hatte er noch immer einen weiten Blick über das Land.

Plötzlich stand er stocksteif. Drüben bei den Büschen am Fuße des Hügels hatte er etwas aufblitzen gesehen. Fast gleichzeitig dröhnte das Krachen eines Schusses über das Land. Unter Tom fraß sich die Kugel mit einem dumpfen Pochen in den starken Zaun. Mit einem Satz sprang Tom nach rechts und bückte sich.

Ein zweites Mündungsfeuer blitzte auf. Diesmal sirrte die Kugel mit einem giftigen Misston über ihn hinweg und verlor sich in der Dunkelheit.

Tom Calhoun riss seine Waffe hoch und drückte ab. Beißender Pulverdampf wehte ihm ins Gesicht und brannte ihm in der Nase. Er blickte über die Schulter und sah. dass sich der Spieler unter die Zaunkronen duckte.

Weaver kam aus dem Haus gerannt. In der Linken hatte er die Tasche mit dem Geld. Seine Rechte schloss sich fest um den Kolben des Gewehrs. Als er am Zaun angekommen war, warf er die Tasche mit einem kraftvollen Schwung auf die Planke und sprang dann neben Tom.

„Da drüben — bei den Büschen“, sagte Tom. „Sie scheinen gar nicht angreifen zu wollen. Vermutlich liegt ihnen nur daran, ein paar von uns zu treffen.“

Wieder dröhnte seine Waffe auf.

Auch Weaver schoss zu den Büschen hinüber.

„Verdammt, was ist denn los?“, fragte die Stimme des Kutschers vom Haus her.

„Nicht der Rede wert, Dreek. Sie können sich wieder hinlegen!“

Die nächste Stichflamme sprang im Geäst des Busches auf. Die Kugel lag zu tief und riss eine Furche in den Boden. Dreck spritzte in die Höhe.

„Das scheint nur einer zu sein!“, rief Weaver und drückte wieder ab. „Den müssten wir uns doch holen können.“

„Das hat keinen Sinn. Es ist möglich, dass sie draußen liegen und nur darauf warten, uns abknallen zu können. Und hier werden sich ein paar die Hände reiben, wenn wir so verrückt sind. Wir bleiben!“

Plötzlich sah Tom einen Schatten drüben bei den Büschen auftauchen. Fast gleichzeitig schossen die beiden Männer. Bei dem ungewissen Licht konnten sie aber nicht richtig zielen. Ein Reiter jagte hinter den Büschen entlang. Er verschwand in dem Einschnitt zwischen den beiden Hügeln.

Tom ließ die Hand mit dem rauchenden Gewehr sinken.

„Cory. Sie können sich wieder aufrichten!“, rief er über den Hof.

Vorsichtig tauchte der Kopf des Spielers über dem Zaun auf.

„So ein elender Feigling!“, presste der alte Mann durch die Zähne.

„Ich finde es durchaus erfreulich, dass er nicht besonders mutig zu sein scheint“, erwiderte Tom Calhoun leise. „Anscheinend kann er sich nur schwer zu dem entschließen, was er sich vorgenommen hat. Das ist für uns ein Vorteil.“

„Und was ist mit der Frau? Was hat sie Ihrer Meinung nach vor?“

„Sie will das Geld. Sie will irgend etwas anfangen, das sie in Zukunft ernähren könnte. Viele Möglichkeiten stehen ihr offen. Vielleicht hat sie vor, einen eigenen Saloon zu eröffnen. Mit vielen Mädchen und allem was dazugehört. Ich glaube jedenfalls, dass ihr dieser Gedanke am nächsten liegen dürfte. Aber ganz gleich, was sie vorhat: sie will vorsorgen. Dazu braucht sie das Geld. Achtzehntausend Dollar sind in diesem Land viel Geld.“

Weaver hatte sein Gewehr frisch geladen und ließ das Messingschloss zuschnappen.

„Weaver, gehen Sie wieder ins Haus und legen Sie sich hin. Für diese Nacht sind wir die Banditen los. Sie müssen sich erst wieder etwas Neues ausdenken.“

Weaver nickte und ging zum Stationshaus. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, kam der Spieler auf Tom Calhoun zu.

„Vielleicht sind Sie jetzt der Meinung, ich sei ein Feigling, Mr. Calhoun“, sagte der Spieler. „Ich kann Ihnen versichern, dass das ein Irrtum ist.“

„Das ist für mich ziemlich uninteressant, Cory.“

„Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich wollte Ihnen erklären, dass es nicht meine Absicht ist, meinen Kopf für Dinge hinzuhalten, die mich nichts angehen und die mir nichts einbringen.“

„Ist in Ordnung, Cory.“

„Es ist eben nicht in Ordnung. Sie wissen doch, was ich meine! Wie steht es mit der Belohnung?“

„Mir ist nichts davon bekannt, dass eine ausgeschrieben ist. Sollte es aber der Fall sein, so wird sie zwischen den Beteiligten aufgeteilt.“

„Und wer sind diese Beteiligten?“

„Natürlich alle, die in der Kutsche fahren. Möglicherweise auch alle Stationsvorsteher.“

Cory stieß ein lautes Lachen aus.

„Dann bekommt jeder nicht mehr als ein Trinkgeld.“

„Stimmt genau.“

Einen Moment lang musterte der Spieler Tom Calhoun scharf. Und Tom schien es. als wollte er noch etwas sagen. Dann aber gab sich Cory einen Ruck, wandte sich ab und ging zurück.

*


Das erste Sonnenlicht drang durch die Fensterscheiben. Al Dreek hatte die Pferde schon eingespannt. Tom blickte Lola Starr entgegen, die aus dem Schlafraum kam. Er sah die scharfen Linien in ihrem Gesicht und fand, dass sie heute älter aussah als sonst. Irgend etwas schien an ihren Nerven zu zerren. Vielleicht hatte sie sich in etwas eingelassen, dem sie nicht gewachsen war.

Sie verließ das Stationshaus.

Ben Warthon hatte dunkle Ringe unter den Augen. Wortlos stieg er in die Kutsche. Tom hatte den Eindruck, als habe er sich in sein Schicksal ergeben. Das Tanzmädchen und der Spieler saßen bereits auf ihren Plätzen. Nur Tom stand noch vor dem Wagenschlag. Er gab dem Stationer die Hand und sagte: „Auf Wiedersehen, Harper.“

„Gute Fahrt, Mr. Calhoun. Und viel Glück. Ich glaube, das können Sie gebrauchen. Dreek meinte, Sie wären als Vertreter des Marshals zu hart. Ich weiß aber, dass er sich irrt. Wenn ein Mann in diesem Land bestehen will, muss er hart sein.“

„Danke, Harper. Sie wissen es alle. Aber wenn sie selbst davon betroffen werden, wollen sie es nicht wahrhaben."

Tom griff nach der Tasche, die neben ihm auf dem Boden stand und stieg ein. Die Satteltasche mit dem Geld legte er zwischen sich und den Spieler.

Ben Warthon lehnte mit geschlossenen Augen an der Rückwand. Sein Jungengesicht sah müde und alt aus.

„Gute Fahrt, Al!“, rief der Stationer jetzt auch dem Kutscher zu. Dann warf er den Schlag zu und hob noch einmal grüßend die Hand.

Der Fahrer brummte einen Gruß. Die Pferde zogen an, und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Sie rollte durch das offene Tor, an dem Anny Harper stand und winkte, und in die Prärie hinaus.

„Hören Sie, Mr. Calhoun“, sagte Ben Warthon, „die beiden fahren nur wegen des Geldes mit. Ich habe es gestern gehört, als sie darüber sprachen.“

„Für das Geschwätz eines Banditen interessiert sich Mr. Calhoun bestimmt nicht“, meinte der Spieler mit beiendem Spott. „Eigentlich sollte ich dich wegen Verleumdung verklagen. Aber ich kann großzügig sein. Sie werden dich in Shelton Falls sowieso hängen.“ Dicke Wolken trockenen Sandes wehten draußen an der Kutsche vorbei.

Aus Ben Warthons Gesicht war die Farbe gewichen.

*


Nach einer Weile wurde die Kutsche langsamer.

„Calhoun, da scheint jemand mitzuwollen!“, rief der Kutscher vom Bock herunter.

Tom schaute zum Fenster hinaus. Draußen neben der ausgefahrenen Straße stand ein Mann. Er hatte sein Gewehr in der Hand und winkte dem Kutscher damit zu. Auf seiner linken Schulter trug er einen Sattel, den er am Horn festhielt. Tom drehte sich schnell um und blickte nach der anderen Seite. Nirgends sah er Büsche, hinter denen sich noch andere Männer versteckthalten konnten.

„Dreek, halten Sie!“, rief er zum Bock hinauf.

Der Spieler war bleich geworden.

„Was soll das, Calhoun?“, fragte er. „Dass es eine Falle ist, dürfte Ihnen klar sein.“

„Nanu“, meinte Tom und lächelte den Spieler an. „Haben Sie Angst? Wovor?“

In einer dichten Staubwolke kam die Kutsche zum Stehen. Tom Calhoun stand auf und sprang aus dem Wagen. Wachsam spähte er nach allen Seiten. Seine Hand lag auf dem Kolben des Revolvers.

Der Fremde ließ das Gewehr sinken und richtete die Mündung zu Boden.

„Hallo“, brummte der Kutscher ihn an. „Was ist mit deinem Gaul?“

Der zweite Wagenschlag wurde aufgestoßen. Sam Cory stieg aus und kam um die Kutsche herum Mit einer nervös wirkenden Bewegung schob er seinen Hut aus der Stirn und musterte den Fremden eingehend.

„Er ist mir davongelaufen“, antwortete der Mann. „Heute Nacht.“

„Dann hattest du ihn wohl nicht angebunden?“, fragte Dreek weiter.

„Red war ein sehr anhängliches Tier. Er hörte auf meinen Ruf. Ich habe ihn fast nie angebunden. In der letzten Nacht heulten in der Nähe ein paar Wölfe. Sie wissen ja, wie das klingt. Es muss ihn erschreckt haben. Plötzlich war er verschwunden.“

„Du hast ihn nicht wieder einfangen können?“, fragte Tom Calhoun und blickte den Mann scharf an.

„Nein“, erwiderte der Fremde. „Sicher haben Sie für mich noch einen Platz frei und können mich bis zur nächsten Stadt mitnehmen.“

„Kannst du bezahlen?“, fragte der Fahrer während Tom auf den Stern an seiner Weste blickte.

Der Mann grinste.

„Natürlich“, sagte er. Dann ließ er den Sattel von der Schulter gleiten, griff in die Tasche und brachte ein goldenes Geldstück hervor.

„Das dürfte reichen“, meinte er. „Oder?“

„Selbstverständlich“, sagte der Kutscher und blickte Tom aus halbgeschlossenen Augen an.

„Wo haben Sie gelagert?“, erkundigte sich Tom Calhoun.

„Dort drüben. Es ist gar nicht weit von hier.“

„Zeigen Sie mir den Platz. Es interessiert mich.“

Der Fremde wandte sich um und ging vor Tom Calhoun her. Nach etwa zweihundert Yard blieb er stehen. Neben der .Straße sah Tom die Reste eines Lagerfeuers.

Tom ging noch ein paar Schritte weiter. Jetzt sah er auch die Hufeindrücke eines Pferdes. Sie verliefen in östlicher Richtung. Er war sich darüber im klaren, dass es ihm niemals möglich sein würde, zu erfahren, ob dem Mann das Pferd fortgelaufen war, oder ob er es weggejagt hatte, nur um mit der Kutsche fahren zu können.

„Woher wussten Sie. dass eine Kutsche kommen würde?“, fragte er.

„Das wusste ich gar nicht. Wenigstens nicht, wann eine kommen wird. Ich hatte immer noch gehofft, dass das Pferd zurückkommen würde. Dann sah ich Sie.“

„Und jetzt wollen Sie nicht mehr auf das Tier warten?“

„Ich glaube, dass es Wahnsinn wäre.“

„Wie heißen Sie?“

„Duke Falton.“

„Hören Sie mir mal zu, Falton: In meiner Begleitung befindet sich ein Gefangener. Außedem habe ich achtzehntausend Dollar bei mir. Ich sage Ihnen das nur. damit Sie von Anfang an Bescheid wissen. Sam Cory, der Spieler, meinte, die Kutsche sei ein Pulverfass, das jeden Moment in die Luft fliegen könnte. Vielleicht ist es besser, Sie überlegen sich die Sache noch einmal. Wenn Sie nach Südwesten gehen, können Sie die Station von Harper in einer Stunde erreichen.“

„Ich will aber nach Nordosten, Marshal. Ich komme von Süden.“

„Also gut, Falton. Sie sollen nur wissen, was los ist. Ich werde Sie auf dem Weg nach Shelton Falls wie einen Mann behandeln, der unter meinem Befehl steht. Ich denke, Sie werden damit einverstanden sein.“

„Ist in Ordnung.“

Der Mann ging vor Tom Calhoun zurück. Neben seinem Sattel blieb er stehen, hob ihn hoch und warf ihn auf das Dach der Kutsche. Tom war neben dem Schlag stehengeblieben und wartete, bis der Fremde eingestiegen war. Dann kletterte auch er hoch und nahm die Tasche schnell wieder an sich.

„Kann’s losgehen?“, rief der Kutscher.

Tom klappte den Schlag zu. Dann setzte er sich zwischen den Fremden und Cory, der auch schon eingestiegen war. Der Fremde schien etwas verblüfft über die Anwesenheit einer Frau. Er blickte sie lächelnd an und lüftete seinen Hut.

„Auf so nette Gesellschaft hatte ich nicht zu hoffen gewagt, Madam“, sagte er. „Nun bin ich meinem Pferd schon gar nicht mehr böse.“

„Lass sie in Ruhe“, zischte der Spieler. „Ich hoffe, du hast mich verstanden.“

Faltons Gesicht zog sich in die Länge. „So also ist das“, murmelte er.

„Genau.“

Ein Ruck erschütterte die schwere Concordkutsche, dann setzte sie sich wieder in Bewegung.

*


„Da in der Tasche haben Sie wohl das Geld?“, fragte Falton und zeigte auf die Tasche, die Tom auf den Knien liegen hatte.

„Ja“, erwiderte Tom. „Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, machen Sie sich über die Tasche und ihren Inhalt lieber keine Gedanken — falls das nicht schon geschehen ist.“

„Immerhin. Achtzehntausend Dollar sind eine beachtliche Summe“, sagte der Mann und grinste.

„Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen, Falton. Es kann passieren, dass ich Sie schneller an die frische Luft setze, als Ihnen lieb ist.“

„Das glaube ich nicht, Marshal. Hier draußen gilt es als das schlimmste Verbrechen, wenn man einen Mann hilflos seinem Schicksal überlässt.“

„In diesem Fall würde ich mich nicht danach richten, Falton. Sie tun gut daran, wenn Sie das beachten. Im übrigen, ich bin nur der Vertreter des Marshals von San Angelo.“

Schweigen herrschte in der Kutsche. „In der Nähe sind Banditen“, unterbrach Cory die Ruhe. „Mr. Calhoun könnte der Meinung sein, dass Sie zu ihnen gehören. Der Verdacht liegt immerhin sehr nahe.“

„Ich bin ein Cowboy. Dass mir mein Pferd fortgelaufen ist, habe ich ja schon gesagt.“

„Gesagt haben Sie es“, murmelte Cory und grinste. „Aber mir scheint es, als hätten Sie Mr. Calhoun nicht ganz überzeugen können. Vielleicht hat er Sie nur mitgenommen, um Ihnen das Gegenteil beweisen zu können. Sehen Sie dort den Jungen an. Er gehörte zu der berüchtigten Bande Nat Leets, den unser tüchtiger Mr. Calhoun erschossen hat. In Shelton Falls wartet der Galgen auf den Jungen. Jedem Banditen, der unterwegs geschnappt wird, wird es ebenso ergehen.“

Tom sah, dass der Mann noch einen Schein bleicher geworden war. Fest umkrampften seine Hände den Schaft des Gewehres, so dass die Knöchel weiß hervortraten.

„Nicht gerade aussichtsvoll, wie?“, meinte der Spieler ironisch.

Plötzlich veränderte sich Faltons Gesichtsausdruck. Seine Züge wurden hart und verschlossen. Scharf sprang sein Kinn hervor.

„Wenn es Ihnen Spaß macht, dann reden Sie ruhig weiter“, sagte er schleppend. „Ich bin überzeugt davon, dass Sie wissen, wie ein Mann hier draußen darauf reagiert.“

„Falls Sie das ungeschriebene Gesetz meinen, welches besagt, dass man auf jeden schießen kann, wenn es nur von vorn ist und wenn der Betreffende einen Revolver trägt, muss ich Sie enttäuschen. Es dürfte Ihnen aufgefallen sein, dass ich keine Waffe bei mir habe.“

„Um das an den Mann zu bringen, müssten Sie sich gelegentlich eine dickere Jacke kaufen. Möglicherweise fällt es dann wirklich nicht auf.“

„Sam, es hat keinen Sinn“, mischte sich das Tanzmädchen ein. „Sein Blick ist scharf. Treibe die Sache nicht so weit, dass sie nur durch ein Duell beendet werden kann.“

Corys Brauen hatten sich zusammengeschoben. Wie ein Strich standen sie über den Augen. Einen Moment blickte er Lola Starr schweigend an. Dann lehnte er sich zurück. Tom hatte den Eindruck, als wäre er jetzt einem Befehl der Frau nachgekommen.

*


Bei einem Tümpel, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wurde, stand die Kutsche. Weaver stand auf einem bemoosten Stein und blickte über das Gelände. Überall waren Büsche, zwischen denen Steine weit verstreut herumlagen. Vom Kutscher wussten sie, dass es weit und breit kein Wasser gab.

Plötzlich zerriss der Knall eines Schusses die Stille.

Mit einem Satz war Tom auf den Beinen. Er hörte einen Schrei und sah Weaver taumeln. Schnell sprang er vorwärts und konnte den alten Mann gerade noch auffangen, als der rückwärts von dem Stein fiel.

Vorsichtig ließ ihn Tom zur Erde gleiten. Als er in seine Augen blickte, sah er ihr Licht brechen. Sein Kopf fiel zur Seite, ehe er noch ein Wort gesagt hatte. Steif richtete sich Tom auf.

Er schaute auf Falton, der sein Gewehr in der Hand hatte. Die Mündung zeigte zu Boden. Etwas weiter hinten stand Cory mit dem Mädchen. Ben Warthon saß bewegungslos am Hinterrad der Kutsche.

„Mein Gott“, sagte der Kutscher rau. „Er ist tot. Jetzt werden Sie wohl endlich wissen, dass es sich nicht gelohnt hat, Calhoun!“

Tom hörte Hufschlag. Er blickte nach vorn, konnte aber keinen Reiter sehen. Dennoch war er sicher, dass die Banditen jetzt flohen. Es schien ihnen im Moment zu genügen, einen Mann getroffen zu haben.

Er wandte sich wieder um und konnte gerade noch sehen, dass der Spieler seine Waffe schnell unter der Jacke verschwinden ließ. Auf Lola Starrs Stirn standen auf einmal dicke Schweißperlen. Ben saß mit unveränderter Haltung am Hinterrad. Faltons Blick glitt von einem zum anderen.

Al Dreek ließ die Hand mit dem Gewehr sinken. Tom blickte auf den toten Weaver und dachte, dass auch er jetzt tot neben ihm liegen könnte, wenn der Kutscher nicht die ganze Zeit über die anderen im Blickfeld behalten hätte.

„Dreek, holen Sie einen Spaten“, sagte er rau.

Der Fahrer ging zur Kutsche und kam kurz danach mit einem Spaten wieder. Tom Calhoun nahm ihm den Spaten aus der Hand und begann damit neben dem Tümpel ein Loch auszuheben. Al Dreek rollte den Toten in eine Decke.

„Hoffentlich ist jemand im Besitz einer Bibel, aus der er vorlesen kann“, unterbrach Cory das Schweigen.

Tom richtete sich langsam auf. Kalt und abweisend blickte er ihn an. Da er genau wusste, weshalb Cory mit dieser Kutsche fuhr, glaubte er auf einmal nicht mehr darauf warten zu können, bis Cory versuchte zuzuschlagen.

Toms Atem ging schnell. Eisern zwang er sich zur Ruhe. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich Lola Starr wie vor einer unsichtbaren Gefahr Schritt um Schritt zurückzog. Hinter dem Rücken des Spielers blieb sie stehen.

„Los, Cory!“, schrie Tom zornig. „Kommen Sie her und graben Sie weiter!“

„Was, zum Teufel, wollen Sie eigentlich von mir? Das klingt ja fast so, als hätte ich ihn erschossen.“

„Müsste ich nicht immerzu auf alles mögliche achten, würde er vielleicht noch leben. Ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag Cory: der Kutscher wird Ihnen und Lola ein Pferd geben. Ihr könnt beide nach Norden reiten und verschwinden. Nutzt diese Chance, die ich euch gebe, denn wenn sich das ereignet, weswegen ihr mitgekommen seid, verspreche ich euch den Tod.“

„Sie sind vollkommen übergeschnappt“, erwiderte der Spieler. „Wir fahren mit Ihnen, weil wir nach Shelton Falls wollen.“

„Sie können es nennen, wie Sie wollen, Cory. Mein Wort gilt trotzdem. Ich gebe Ihnen noch zwanzig Minuten. Das ist genug Zeit, sich die Sache reiflich zu überlegen.“

Der Blick des Spielers schien etwas unsicher. Er schaute über die Schulter und in das Gesicht des Mädchens. Dann wandte er sich um und ging hinter die Kutsche. Lola Starr verschwand ebenfalls.

„Ich kenne ein Gebet“, sagte der Kutscher mit belegter Stimme. „Meine Mutter lehrte es mich vor vielen Jahren. Wenn ich Glück habe, bringe ich es noch zusammen. Kennst du denn keins, Ben?“

„Ich glaube nicht, dass Mr. Calhoun an meinen Gebeten interessiert ist.“

„Ja, du hast recht. Ich hatte es einen Moment vergessen.“

*


Tom packte den Spaten wieder fester und stieß ihn in die Erde. Er war fest entschlossen, wenn es notwendig war, seine Widersacher in die Knie zu zwingen.

„Amen“, sagte Al Dreek, dann stülpte er seinen Hut auf den Kopf.

Tom Calhoun schloss das Grab. Er nahm das Kreuz, das er aus ein paar Zweigen zusammengebunden hatte und steckte es an das Kopfende des Hügels. Schweigend wandte er sich um und blickte das Mädchen an. Verstohlen wischte sich Lola Starr ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.

„Haben Sie sich entschieden?“, fragte er eisig. „Die zwanzig Minuten sind um!“

Die Gestalt des Mädchens schien sich zu straffen.

„Außer den Banditen hat niemand etwas mit seinem Tod zu tun. Das wissen Sie genauso gut wie ich, Mr. Calhoun. Warum lassen Sie mich und Cory nicht endlich in Frieden?“

„Ich habe Sie gewarnt!“

Tom bückte sich nach der Satteltasche und gab Ben Warthon ein Zeichen.

Der Junge erhob sich und kletterte in die Kutsche.

Als Falton ihm folgen wollte, hielt ihn Tom an der Schulter fest.

„Steigen Sie zu Al Dreek auf den Bock. Sie können ihm Gesellschaft leisten, Falton“, bestimmte er.

Der Mann zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen, wandte sich aber dann um und kletterte zum Bock hinauf.

Tom trat zur Seite, als der Spieler und das Mädchen einstiegen.

„Von jetzt an möchte ich niemanden mehr hinter mir haben“, sagte er und stieg ebenfalls ein. Er schloss die Tür. „Bisher hat Weaver immer hinter mir gestanden und auf die ausgepasst, die hinter mich kommen wollten. Das ist nun anders.“

„Sie haben kein Recht, uns laufend zu beleidigen, Mr. Calhoun.“ Das Mädchen blickte ihn feindselig an.

„Hören Sie auf, Lola. Ich weiß, dass Sie mit solchen Dingen nicht zu beleidigen sind. Lassen Sie endlich Ihre Maske fallen.“

Sie wandte sich mit einer heftigen Bewegung ab und blickte nach draußen. Tom wusste, dass sie ihm nie antworten würde.

„Seid ihr soweit?“, rief der Kutscher.

„Alles in Ordnung“, antwortete Tom.

„Hoo!“, schallte Dreeks Ruf vom Bock. Schneidend knallte die Peitsche durch die Luft.

Die Pferde zogen an.

Tom blickte zu dem Grabhügel neben dem Tümpel hinüber. Er hatte das Gefühl, ein Stück seiner eigenen Person dort zurückzulassen.

„Es tut mir leid“, murmelte Ben Warthon und blickte zu Boden.

Tom Calhoun blickte auf den Jungen, von dessen Kopf der Hut gerutscht war. Sein Haar glitzerte in der Sonne.

„Für deine frommen Reden ist es reichlich spät“, brummte er. „Du kannst sie dir sparen. So leicht bin ich nicht zu täuschen.“

Bens Kopf ruckte hoch. Für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke.

„Es war nicht meine Absicht, Sie zu täuschen“, sagte er fest.

Tom wandte sich dem Fenster zu und schaute zu den Büschen, die jetzt weit zurückgetreten waren. Im Moment bestand keine Gefahr.

„Du bist wohl auf eine ganz neue Masche gekommen, mit der du es versuchen willst“, meinte der Spieler und lachte laut auf. „Alles umsonst, mein Junge. Bei ihm beißt du auf Granit.“

„Ja, leider“, sagte Ben leise. „Wenn er nur ein bisschen Vertrauen zu .mir hätte, würde ich ihm das erzählen, was ich gestern von Ihrer Unterhaltung gehört habe.“

„Das hast du doch schon einmal vergeblich versucht. Ich werde in Shelton Falls deiner Hinrichtung bestimmt beiwohnen.“

*


Als die Reiter auftauchten, stand die Sonne schon weit im Westen. Tom zählte sechs Männer, die sich der Kutsche schnell näherten.

Mündungsfeuer blitzten auf. Eine Salve raste der Kutsche entgegen. Die ersten beiden Pferde brachen getroffen zusammen. Ihr klägliches Wiehern übertönte für einen Moment alle anderen Geräusche. Die anderen liefen auf, und die Kutsche kam mit einem Ruck zum Stehen.

Das Mädchen wurde von seinem Sitz geschleudert. Ein Schrei kam über ihre Lippen, der in dem Inferno unterging. Der Kutscher war zwischen die Pferde gefallen.

Ben Warthon hatte sich geduckt und suchte unter dem Fenster Deckung.

Tom Calhoun riss die Waffe hoch. An dem Spieler vorbei gab er den ersten Schuss ab. Doch die Kugel lag zu hoch.

„Cory, auf was warten Sie!“, schrie er. „Los, schießen Sie! Die Kerle wollen die Dollars! Für Sie haben sie nichts als heißes Blei übrig!“

Fluchend hob Cory die Springfield an und schoss. Ein Reiter warf die Arme in die Höhe. Sein Schrei wehte verzerrt zur Kutsche herüber, dann fiel er aus dem Sattel. Das ledige Pferd lief nach links.

Noch zweimal kurz hintereinander feuerte Tom durch das Fenster. Dann sprang er aus der Kutsche. Er sah Falton, der vom Bock stieg und hinter die gefallenen Pferde ging. Das Gewehr hatte er in der Hand.

„Falton, Sie haben keine Wahl!“, rief Tom zu ihm hinüber. „Die Banditen werden keinen von uns am Leben lassen.“

Wieder ging ein Kugelhagel auf die Kutsche nieder. Die Geschosse schlugen ratschend in den Wagenkasten. Fast gleichzeitig brach das dritte Pferd mit einem abrupt endenden Wiehern zusammen. Das vierte stieg hoch, wirbelte mit den Hufen durch die Luft und traf Falton, der zu Boden geschleudert wurde.

Langsam ging Tom nach vorn. Immer wieder feuerte er auf die Angreifer. Hinter sich hörte er die Abschüsse der Springfield und wusste, dass Cory verzweifelt gegen ebenso viele Gegner kämpfte wie er selbst.

Pausenlos bellte seine Waffe auf. Plötzlich schwenkten die fünf Banditen ab. Er ließ das Gewehr sinken und füllte Patronen nach. Als er sich umwandte, sah er Falton, der sein Gewehr aufhob und hinkend näherkam.

„Hat es Sie schlimm erwischt?“

„Es geht. Jetzt werden Sie doch glauben, dass ich ein Cowboy bin?“

„Ich glaube grundsätzlich nur das, was ich weiß, Falton. Von Ihnen weiß ich leider gar nichts.“

„Sie haben die Spur meines Pferdes gesehen“, sagte der Mann gepresst.

„Ja. Aber ich konnte ihr nichts entnehmen.“

„Sind die Kerle abgehauen?“

„Ja. Aber sie werden wiederkommen. Sie warten nur einen besseren Zeitpunkt ab. Mit einem Pferd bringen wir die Kutsche nie von hier weg. Deshalb glaube ich, dass sie warten werden, bis es Nacht ist, Falton. Wenn es soweit ist, werden wir sehen, ob Sie mit uns spielen wollen. Sie .können nun nicht mehr aussteigen.“

„Verdammt, kann mir denn keiner helfen!“, schrie Al Dreek.

„Los, Falton, kümmern Sie sich um ihn!“

Der Kutscher stand neben den toten Pferden. Dann blickte er auf das vierte und sein Gesicht schien sich zu versteinern. Bis jetzt hatte er die Banditen nicht gehasst. Er hatte gewusst, dass Hass für einen Postfahrer nicht das geeignete Mittel gegen Banditen sein konnte. Doch jetzt hatte sich das schlagartig geändert. Er hasste sie wegen der Pferde.

„Es tut mir leid, Dreek“, murmelte Tom Calhoun.

„Ach was“, brummte der Mann. „Das ist doch nur eine Redensart, Calhoun. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass ein Pferd genauso viel Daseinsberechtigung hat wie ein Mensch.“

„Ich habe zwar noch nie darüber nachgedacht, aber ich gebe Ihnen recht, Dreek. Sie sollten nur wissen, dass auch ich es nicht wollte.“

„Als Sie sagten, die Kutsche wäre wie eine Festung in der Prärie, haben Sie zugegeben, dass Sie immer damit gerechnet haben. Ihnen und den anderen bietet die Kutsche Schutz. Bei mir und den Pferden ist das anders.“

„Sie hätten sich weigern können. Aber jetzt ist es zu spät. Es hat keinen Sinn, noch darüber zu streiten. Besteht eine Möglichkeit, von hier fortzukommen?“

„Ich sehe keine.“

„Ist es noch weit bis zur nächsten Station?“

„Ungefähr drei Meilen.“

„Dann sehe ich nur einen Weg. Einer von uns muss zur Station reiten und frische Pferde holen.“

„Der hat doch keine Chance durchzukommen.“

„Wir werden es sehen.“

„Und wer soll diese Aufgabe übernehmen?“

„Ich, Dreek. Ich werde reiten, sobald es dunkel ist. Sie werden während meiner Abwesenheit hier das Kommando übernehmen.“

„Wie kommen Sie denn auf mich?“

„Weil Sie als Postfahrer dafür zuerst in Frage kommen. Außerdem sind Sie der einzige, dem ich vertraue und auf den ich mich verlassen kann.“

„Auf mich?“

„Genauso ist es. Auch wenn es Ihnen komisch vorkommt.“

In diesem Moment kam Cory aus der Kutsche.

„Wir werden alle gehen“, sagte er scharf. „Drei Meilen kann man laufen.“

„Unsere Chance, zu Fuß durchzukommen, ist gering“, meinte Tom Calhoun. „Die Kutsche hingegen lässt sich auch in der Nacht verteidigen. Ihr müsst nur wachsam sein. Falls Sie aber Angst haben, Cory, bleibe ich gerne hier. Dann holen Sie die Pferde.“

„Und Sie haben nicht die Befürchtung, ich könnte nicht zurückkommen?“

Tom Calhoun lächelte auf eine hart wirkende Art. „Nein, bestimmt nicht. Das Geld bleibt nämlich hier.“

Der Spieler biss sich auf die Lippen. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte.

„Einer allein hat keine große Chance. Deshalb ziehe ich es vor hierzubleiben.“

„Irrtum. Einer allein kann sich seinen Weg selbst aussuchen“, entgegnete Tom. „Die Banditen können nicht überall sein. Also, dann reite ich!“

„Was wird mit dem Geld?“

„Cory, Sie hatten doch nicht etwa gedacht, ich würde es Ihnen anvertrauen. Ich nehme es mit!“

„Wissen Sie, Mr. Calhoun. was mich wundert? Dass Sie sich nicht selbst misstrauen."

„Cory, Sie machen einen großen Fehler. Nämlich den. sich über andere Leute zu viel Gedanken zu machen.“ Tom wandte sich dem Kutscher und übergab ihm den kleinen Schlüssel zu Ben Warthons Handfesseln.

„Für den Fall der Fälle“, sagte er und blickte zu dem Gefangenen in die Kutsche.

*


Tom Calhoun kam den Büschen immer näher. Da lenkte er das Pferd nach links und trieb es durch einen lauten Ruf zum Galopp an. Seine Hände krampften sich in die Mähne des Tieres. Er war das Reiten ohne Sattel nicht gewöhnt und es strengte ihn mehr an, als er geglaubt hatte. Ihm fiel Falton ein, und er fragte sich, warum er ihn nicht um seinen Sattel gebeten hatte. Aber es war wohl besser so. Er traute Falton ebensowenig wie Cory und dem Tanzmädchen. Schließlich hätte Falton es ihm auch anbieten können. Doch genau das hatte er vermieden.

Plötzlich krachten rechts von ihm fast gleichzeitig zwei Schüsse. Die Kugeln gingen knapp über ihn hinweg und jaulten misstönig zum Himmel. Er warf sich flach auf den Hals des Pferdes. Zweige peitschten Toms Gesicht, als das Tier in die Büsche hineinbrach. Trockenes Holz zerbarst unter den Hufen. Kugeln pfiffen hinter ihm her. Heiß fuhr eine über seine Schulterspitze.

Da lagen die Büsche hinter ihm. Schnell ritt er weiter.

Hinter ihm klang Hufschlag auf. Er riss den Colt aus der Halfter, wandte sich um und schoss zurück. Schattenhaft sah er die Gestalten, die ihn verfolgten. Plötzlich brach ein Pferd getroffen zusammen. Ein Mann wurde durch die Luft geschleudert und fiel dann zu Boden. Die anderen schwenkten nach den Seiten und blieben zurück. Hätten sie gewusst, welchen der Reisenden sie verfolgten und was er bei sich hatte, wären sie sicher hartnäckiger gewesen.

Tom jagte über einen Hügel, hinter dem das Land flach und weit zu übersehen war.

Immer wieder schaute er zurück. Doch sie folgten ihm nicht.

Kurz darauf sah er die Umrisse eines massiven Hauses aus der Dunkelheit auftauchen. Schwacher Lichtschein drang durch die geschlossenen Fensterläden.

Als Tom näherkam, sah er, dass ein Palisadenzaun an das Haus angebaut war und es in einem Halbkreis umlief. Die Rückwand des Hauses bildete einen Teil der Befestigungsanlage.

Vor dem Haus hielt er an. Der Kopf eines Mannes tauchte auf, und Tom sagte: „Machen Sie auf. Ich bin Tom Calhoun, der Vertreter des Marshals von San Angelo. Drei Meilen von hier liegt die Postkutsche fest. Wir wurden überfallen. Die Pferde sind tot.“

„Schön langsam, Mister. Können Sie denn beweisen, dass Sie der sind, für den Sie sich ausgeben?“

Tom griff nach dem Stern an seiner Weste, machte ihn ab und warf ihn über die Palisaden.

Der Kopf des Mannes war verschwunden. Bald darauf wurde das Tor geöffnet. Tom Calhoun ritt in den Hof. Neben dem Brunnen rutschte er vom Rücken des Pferdes. Ihm schmerzten alle Glieder, und die Tasche hing wie ein schwerer Stein in seiner Hand. Auf der anderen Seite des Brunnens stand ein gesatteltes Pferd. Hinter dem Sattel waren zwei große Taschen befestigt. Jetzt sah Tom auch den zweiten Mann. Er trug Lewishosen und ein Buschhemd. Auf dem Kopf trug er eine Biberfellmütze. Er hielt ein Henrygewehr in der Hand.

Der Stationer schloss das Tor und kam dann über den Hof. Bei Tom blieb er stehen und gab ihm den Stern zurück.

„Wer ist der Mann?“, fragte Tom und zeigte zu dem Fremden hinüber.

„Das ist der Postreiter. Er kommt von Fort Worth.“

Tom ging auf den Mann zu. Als er dicht vor ihm stand, erkannte er ihn.

„Wenn ich nicht irre, waren Sie es, der die Nachricht mitbrachte, dass Nat Leet eine Postkutsche überfallen und achtzehntausend Dollar erbeutet hat.“

„So war es, Mr. Calhoun. Der sind Sie doch, nicht wahr?“

„Ja“, sagte Tom und hielt die Satteltasche hoch. „Hier ist das Geld. Leet ist tot. Einer seiner Kumpane konnte uns entkommen. Er hat neue Leute um sich versammelt und will mir das Geld abjagen. Aber es gibt noch mehr, die darauf scharf sind. Reiten Sie von hier aus nach Shelton Falls?“

„Ja.“

„Das freut mich. Ich möchte gern noch etwas mit Ihnen besprechen. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?“

*


Tom Calhoun ritt auf die Buschmauer zu. Die Pferde hinter sich hielt er dicht beisammen. Er hatte in der Hoffnung, nicht bemerkt zu werden, einen Bogen geschlagen. Als er aber bis auf wenige Yard an die Büsche heran war, schlug ihm Gewehrfeuer entgegen.

Den Colt in der Linken, feuerte er zurück. Ein Schrei wehte zu ihm herüber und verriet ihm, dass er getroffen hatte. Er trieb die Pferde vor sich und schoss hinter ihnen in die Luft.

Von panischer Angst getrieben rannten sie los. Irgendwo ertönte ein Schrei. Da jagte er schon in das Buschwerk hinein. Dicht vor sich sah er die Pferde in einer großen Staubwolke.

Auf der anderen Seite angekommen, schossen sie hinter ihm her. Harmlos wehten die Kugeln vorbei. Tom war voll damit beschäftigt, die Zügel der Pferde wieder in die Hände zu bekommen. Er hatte es gerade geschafft, da tauchte die Kutsche vor ihm in der Dunkelheit auf.

Das Gewehrfeuer hinter ihm war verstummt. Die Banditen wagten sich offenbar nicht näher heran. Plötzlich krachte vor ihm ein Schuss. Der Mündungsblitz schien ihm direkt entgegenzurasen. Instinktiv hatte er sich geduckt. Über seinem Kopf hörte er das bösartige Sirren der Kugel.

„Verdammt, ich bin es, Calhoun!“, rief er und ritt weiter. Als er näherkam, sah er, dass es Faltons Gewehr war, aus dem geschossen worden war. Ein dünner Rauchfaden kräuselte sich noch vor der Mündung.

„Ich konnte schließlich nicht wissen, dass Sie es sind“, knurrte der Mann. „Die Banditen haben uns zweimal angegriffen.“

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte Tom statt einer Antwort. „Los, schirrt die Pferde ein!“ Dann nahm er die Satteltasche in die linke Hand und ging auf Ben Warthon zu. Schnell prüfte er dessen Handschellen und die Kette.

„Hatten Sie etwa Angst, der Kutscher könnte ihn befreien?“, fragte das Tanzmädchen.

Tom richtete sich auf und maß sie mit einem kalten Blick.

„Natürlich nicht“, entgegnete er. „Aber ich überzeuge mich am liebsten selbst, ob alles noch in Ordnung ist. Übrigens, konnten Sie mich erkennen, als ich aus den Büschen kam?“

„Nein. Wenigstens nicht genau.“

Fragend blickte sie ihm ins Gesicht.

„Ich hätte gern gewusst, ob Falton mich wirklich für einen Banditen halten konnte. Es war also möglich.“ Tom nahm die Tasche, die er für einen Moment auf die Erde gestellt hatte, hoch und warf sie in die Kutsche. Er wandte sich ab, um zu den Männern zu gehen, die dabei waren, die Pferde einzuschirren, da fielen wieder Schüsse. Dicht neben seiner Wange spürte er den heißen Atem einer Kugel.

Er riss den Colt aus der Halfter und fuhr herum. Noch in der Drehung schlug er mit der linken Hand über den Hammer.

Die Kugeln fuhren in die Büsche. Vorn hörte Tom den Navy Special 38 aufbrüllen. Cory schoss ebenfalls auf die Buschmauer.

Tom Calhoun schaute zu Falton, der unentschlossen bei den Pferden stand. Langsam glitten die Zügel aus seinen Händen. Tom wusste, dass Falton, sollte er wirklich zu den Banditen gehören, die undankbarste Aufgabe hatte, die ein Mann überhaupt haben konnte.

„Tun Sie doch was, Falton!“, schrie Tom. „Stehen Sie nicht so herum.“

Der Mann zuckte zusammen, als wäre er bei etwas ertappt worden. Dann bückte er sich und nahm hastig die Zügel wieder auf.

Langsam ging Tom zurück. Er sah, dass sich das Mädchen gerade von der offenen Tür abwandte. Ein kleines Lächeln lag um seine Mundwinkel. Er wusste, dass sie auf die Tasche geschaut hatte. Vielleicht hatte er sich einen Augenblick zu früh umgedreht.

„Warum haben Sie einen so langen Riemen darum gebunden?“, fragte sie etwas verwirrt.

„Damit der, der an das Geld will, die Tasche nicht so schnell öffnen kann wie vorher, Miss Starr“, gab Tom zurück. „Ich glaube, dass das manchen von dem Gedanken abbringen könnte.“

„Wer das Geld will, braucht sich nicht so lange mit dem Riemen beschäftigen. Er kann die Tasche nehmen, wie sie ist.“

„Das kommt ganz auf die Umstände an. Auf jeden Fall will ich vermeiden, dass sich zu viele mit den Dollars beschäftigen.“

„Wieso?“

„Weil ich gerade Sie irgendwie verstehen kann. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Leben sehr hart gewesen ist. Ich kann in Ihrem Gesicht lesen, wie in einem Buch. Aber das alles werde ich vergessen, sollten Sie jemals nach der Tasche greifen. Das Angebot, das ich Ihnen und Cory machte, haben Sie doch nicht vergessen.“

„Nein.“

Er machte noch einen Schritt auf sie zu und war ihr jetzt so nahe, dass ihr Atem sein Gesicht streifte.

„Glauben Sie nicht“, fuhr er leise fort, „dass Cory und die Tasche der Ausweg sind, nach dem Sie suchen. Sie würden nicht einen Tag Freude an dem Geld haben. Bis ans Ende der Welt würde ich Sie verfolgen.“

Sie war bleich geworden. Schrittweise wich sie vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen den offenstehenden Wagenschlag stieß. Schwer atmend blieb sie stehen.

„Warum sind Sie so hart?“, fragte sie rau. „Was in Ihrem Leben hat Sie so werden lassen?“

„Ich bin nicht hart. Ich kämpfe nur für die Gerechtigkeit und das Gesetz“ erwiderte er.

„Nein, Tom. Das denken Sie nur. In Wirklichkeit reden Sie von dem Gesetz und meinen nichts als das Ziel, das Sie sich gesetzt haben. Sie sind Ihr eigenes Gesetz. Außer sich selbst erkennen Sie nichts und niemanden an. Jeder soll sich Ihrem Willen beugen. Warum?“

„Es sind schon zu viele Menschen wegen der achtzehntausend Dollar gestorben. Keiner hatte etwas davon. Und alle, die jetzt noch glauben, dieses Geld an sich bringen zu müssen, werden auch noch sterben.“

„Warum sagen Sie mir das?“

„Ich möchte, dass Sie schlauer als Cory und die anderen sind. Vergessen Sie das Geld, Lola.“

„Fertig!“, ertönte da die Stimme des Kutschers. „Wir müssen schnellstens verschwinden, ehe sie zurückkommen und uns wieder die Pferde erschießen.“

Tom Calhoun schob die Frau in das Wageninnere. Dann wandte er sich um und winkte Ben zu, der am Hinterrad stand. Er schien sich nicht darüber klar zu werden, ob es sich lohnen könnte, einen Fluchtversuch mit gefesselten Händen zu unternehmen, der vielleicht mit einer Kugel im Rücken enden würde.

„Falton, Sie werden wieder auf dem Bock fahren!“, rief Tom. „Wenn die Banditen auftauchen, dann vergessen Sie nicht zu schießen. Es könnte Ihr eigener Nachteil sein.“

Kaum saßen sie wieder in der Kutsche, als abermals Schüsse durch die Nacht peitschten. Fluchend beugte sich Cory aus dem Fenster und schoss zurück. Ben duckte sich auf seinem Platz zusammen.

„Herunter mit Ihnen!“, rief Tom dem Mädchen zu und schoss wieder hinaus. Dicht an seinem Ohr ging eine Kugel Corys vorbei.

„Passen Sie besser auf!“, rief er dem Mann über die Schulter zu. „Sie müssten allein mit der Bande fertig werden, sollten Sie mich versehentlich treffen.“

Eine Kugel fuhr fauchend durch die Kutsche und verließ sie wieder.

Schuss um Schuss jagte Tom aus der Winchester 66. Doch er konnte nirgends ein genaues Ziel erkennen.

„Verdammt!“, hörte er den Kutscher mit heiserer Stimme schreien. „Lauft schon, ihr müden Böcke!“ Laut knallend strich die Peitsche durch die Luft. Mit einem Ruck setzte sich das schwere Gefährt in Bewegung.

„Dreek, fahren Sie von der Straße herunter!“, schrie Tom hinaus. „Die Kerle haben bestimmt nicht vergessen, irgendwo ein Hindernis aufzubauen.“

Rumpelnd verließ der Wagen die Straße und brach in ein Gebüsch hinein. Auf der anderen Seite verließ er es wieder.

„Wir können von Glück reden, dass der Boden hart und ausgetrocknet ist“, sagte der Spieler. „Sonst säßen wir schon hoffnungslos fest und könnten die Kutsche nicht mehr flottmachen.“

„Reden Sie nicht, Cory! Schießen Sie lieber!“

„Können Sie mir sagen, wohin? Ich sehe nichts!“

„Sie sollen nur schießen. Die Banditen sind feige und einzuschüchtern. Das haben wir doch schon festgestellt.“

Pausenlos entluden sich die Waffen, während der Kutscher mit der Peitsche knallte, immer wieder und immer wieder. Der Wagen wurde hin und her geschleudert. Lola Starrs Hände krampften sich haltsuchend am Fensterrahmen fest. Ihre Zähne hatten sich in die Unterlippe gegraben. Plötzlich ertönte hinter der Kutsche infernalisches Geschrei.

„Vier Mann sind es!“, brüllte der Kutscher.

Die Reiter ritten nach rechts und links, dabei feuerten sie ständig aus ihren Colts auf die fahrende Kutsche.

Erbittert erwiderten Tom Calhoun und Sam Cory das konzentrierte Feuer. Ein paar mal war das Krachen von Faltons Gewehr zu hören. Doch keiner der Banditen wurde getroffen. Dann blieben die Reiter zurück und verschwanden in der Dunkelheit, ohne noch einmal aufzutauchen.

Cory ließ seine Springfield sinken, während der Kutscher das Gefährt auf die Poststraße zurück lenkte. Aufatmend ließ Lola Starr den Fensterrahmen los.

„Jetzt werden sie wissen, dass sie das Geld nicht bekommen“, sagte sie.

Tom blickte in ihr weißes Gesicht und dann zu dem Spieler weiter.

„Die meisten Leute wissen so etwas erst, wenn es für sie zu spät ist“, gab er zurück.

„Das freut Sie, nicht wahr?“

„Natürlich, Miss Starr. Weavers Tod muss gesühnt werden. Seine Mörder dürfen nicht entkommen.“

„Sie scheinen sich für sehr stark zu halten, Mr. Calhoun“, wandte der Spieler ein. „Sie sollten ab und zu einmal daran denken, dass auch Sie eine Kugel treffen kann.“

„Ehe wir abfuhren, sagte Weaver, dass die Hölle für uns beide nicht groß genug sei. Er scheint recht zu behalten.“

Cory grinste.

„Wunderbar“, meinte er. „Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht so sehr darauf verlassen.“

„Ist es noch weit?“, fragte das Mädchen.

„Wir müssen bald da sein. Haben Sie inzwischen über alles nachgedacht?“

„Was meint er?“, fragte Cory sofort.

„Ich hatte Miss Starr den Vorschlag gemacht, morgen früh nicht mit der Kutsche weiterzufahren. Diese Reise ist nichts für eine Frau. Das ist doch auch Ihre Meinung?“

Cory warf dem Mädchen einen abschätzenden Blick zu, dann schaute er wieder in Toms Gesicht.

„Darüber muss sie allein entscheiden“, sagte er.

„Das finde ich auch und deshalb gab ich ihr diesen Rat.“

*


Die frischen Pferde kamen schnell vorwärts. Sie zogen den schweren Wagen über einen Hügelrücken.

Immer wieder schaute Tom hinaus. Doch von den Banditen war nichts mehr zu sehen. Offenbar hatten sie darauf gesetzt, ihm mit den Pferden den Weg zur Kutsche versperren zu können. Sie hatten sicher geglaubt, dass es ihm nicht gelingen würde, den Durchbruch zu erzwingen, ohne wenigstens ein Pferd zu verlieren und somit die Hoffnung aufzugeben.

Der Spieler hob den Blick von der Tasche und fragte: „Wozu sollen denn die vielen Riemen gut sein?“

„Dasselbe fragte mich Miss Starr bereits. Ich habe es ihr erklärt. Ich bin sicher, dass sie es Ihnen sagen wird.“

Cory schaute das Mädchen an.

„Die Riemen sollen verhindern, dass jemand die Tasche schnell ausräumen kann.“

„Ich glaube nicht, dass sich die Banditen so viel Mühe machen werden. Sie werden die Tasche an sich bringen, wie sie ist.“

„Sie sollten sich darüber wirklich nicht so viel Gedanken machen, Cory. Außerdem langweilen Sie mich damit.“

Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck Corys. Ein kalter, brutaler Zug beherrschte es eine Minute lang.

„Nie in meinem Leben ist mir ein Mensch begegnet, der arroganter war als Sie“, knurrte er.

„Soll das heißen, dass mancher andere mit sich hätte über das Geld reden lassen?“

„Ich will nur, dass es nicht in unrechte Hände fällt, sollte Ihnen etwas zustoßen, Calhoun“, erwiderte der Spieler, während sich ein hämisches Grinsen in seinem Gesicht breitmachte. „Sie müssen doch zugeben, dass ich sehr besorgt um Sie und das Ihnen anvertraute Geld bin.“

„Sie sind so besorgt, dass der Teufel viel Freude an Ihnen haben wird. Ich bin sicher, dass er Sie bald holt, Cory.“

Unbeeindruckt schaute der Spieler aus dem Fenster.

Tom Calhoun blickte zu dem Gefangenen hinüber. Ben Warthon saß zusammengesunken auf der Bank. Er musste an die Worte des Jungen denken, der ihm über Cory und das Mädchen etwas hatte erzählen wollen. Seither war der Junge sehr schweigsam. Tom überkam ein eigenartiges Gefühl und er ertappte sich bei dem Gedanken, dass man vielleicht doch nachforschen sollte, ob es in Texas einen Farmer gab, der Warthon hieß und Bens Vater war. Aber was hätte das an den Tatsachen noch geändert. Selbst wenn Ben Warthon wirklich von zu Hause fortgelaufen war, besagte das nicht, dass er nicht zu einem Banditen geworden war.

*


Als die Kutsche vom Hügelrücken herunterkam, öffnete Jeff Kieler das Tor. Tom konnte ihn vom Fenster aus sehen. Die Kutsche hielt an, und das Tor wurde wieder geschlossen.

„Hier haben wir erst die Hälfte der Hölle hinter uns“, sagte der Fahrer und kletterte vom Bock.

Tom öffnete den Schlag und stieg aus. Dann reichte er Ben Warthon die Hand und half ihm aus der Kutsche heraus, weil er durch die Fesseln arg behindert war.

„Du kannst heute auch in einem Bett schlafen“, sagte er rau. Plötzlich hatte er das Gefühl, als habe er sich bei Ben für irgend etwas entschuldigen wollen. Am liebsten hätte er seine Worte wieder rückgängig gemacht. Doch das ging nicht mehr, denn die anderen hatten alles gehört.

„Falton, Sie werden die erste Wache übernehmen, und zwar sofort“, sagte Tom zu dem Mann, der noch auf dem Bock saß, sich nun aber erhob und heruntersprang. Dann wandte er sich um und schob Ben Warthon vor sich her in das Stationshaus hinein.

Das Innere des Hauses unterschied sich kaum von Harpers Station. Auch hier stand im Vordergrund ein Tisch mit Stühlen, und im Hintergrund wurde der Schlafraum von herabhängenden Decken abgetrennt.

Tom hob den Arm mit der Tasche und ließ sie auf den Tisch fallen. Neben ihm klapperte die kurze Kette zwischen Bens Handgelenken. Er hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, und Tom sah. dass sein Gesicht grau und eingefallen aussah. Sicher dachte er mit Grauen daran, dass Shelton Falls trotz aller Gefahren immer näher rückte.

In diesem Moment betrat Lola Starr den Raum. Sie schloss die Tür und blieb an ihr stehen.

Tom hatte den Eindruck, als würde sie sich in dem großen Raum einsam und verlassen Vorkommen.

„Die nächste Kutsche kommt in vier Tagen hier an“, sagte er. „Das ist keine allzu lange Zeit.“

„Sparen Sie sich jedes weitere Wort darüber, Mr. Calhoun“, sagte sie. „Ich bleibe nicht hier.“

Tom schaute aus dem Fenster und sah Sam Cory, der dem Fahrer half, die Pferde auszuschirren. Dann brachten sie sie in den Stall.

„Es ist Ihre Sache, und Sie müssen wissen, was Sie tun“, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Der Stationer verschwand in der Küche. Bald darauf kam er wieder zum Vorschein und hatte einen Topf in der Hand, in dem sich eine dicke Mehlsuppe befand.

„Leider kann ich nichts anderes anbieten“, sagte er entschuldigend. „Der Vorratswagen ist noch nicht angekommen.“

„Das ist nicht schlimm“, erwiderte Tom Calhoun. „Wir sind nicht verwöhnt, nicht wahr, Miss Starr?“

„Das stimmt. Aber trotzdem muss jeder leben, Mr. Calhoun. Das haben Sie doch gemeint.“

„Sie wissen genau, dass ich es nicht so gemeint habe. Es ist auch nicht meine Absicht, auf Sie einzureden, wie auf ein krankes Kind, von dem man schließlich kein Verständnis für eine bestimmte Lage erwarten kann. Ich weiß, dass irgendwann die Stunde kommen wird, wo ich vergessen werde, dass Sie eine Frau sind, die man eigentlich bedauern müsste.“

„Könnten Sie mir ein bisschen helfen, Miss?“, fragte der Stationer..

„Ja“, antwortete sie und folgte ihm in die Küche.

Tom ließ sich Ben Warthon gegenüber auf einen Stuhl nieder.

„Hast du irgendwo gearbeitet, nachdem du deinem Vater weggelaufen bist?“, fragte er.

„Nein. Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich weit weg wollte. Ich bin nach Westen geritten.“

„Ja, Ben, das hast du gesagt.“

„Dachten Sie etwa, dass ich es inzwischen vergessen habe?“

„Vielleicht, Ben. Vergiss es wieder.“ Tom Calhoun erhob sich und verließ den Raum. Über der Zaunkrone sah er Faltons Schultern und den breitrandigen Hut. Wann würde dieser Mann ausführen, weswegen er gekommen war? Für Tom stand es fest, dass Falton zu den Banditen gehörte, die John Monk um sich versammelt hatte.

Jetzt spürte Tom die Müdigkeit, die wie ein schleichendes Gift seinen Körper überfiel. Außer dem Kutscher hatte er niemanden, dem er vertrauen konnte. Aber eins wusste Tom auch: Der Kutscher würde sich bestimmt nicht ärgern, wenn das Geld plötzlich verschwinden würde. Dann hätte sich die Lage schlagartig für ihn geändert, und endlich wäre die Gefahr für ihn vorbei gewesen.

Tom musste lächeln, als er an die Dollars dachte. Darum ging es eigentlich gar nicht mehr ...

Vom Stall her kam der Spieler langsam auf ihn zu. Er hatte die Hände tief in die Taschen versenkt und blieb dicht vor ihm stehen.

„Wer wird auf die Tasche aufpassen, wenn Sie heute Ihre Wache übernehmen?“, fragte er.

„Ich natürlich.“

„Ich hatte gedacht, Sie würden mir Weavers Stern geben.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Nun, ich bin doch derjenige, der in Frage käme. Oder?“

„Was wollen Sie damit eigentlich sagen? Sie müssen schon deutlicher werden, Cory.“

„Bis jetzt habe ich keine Pflichten auf dieser Reise. Wenn Sie mir aber Weavers Stern anstecken, wird alles anders, Calhoun. Oder meinen Sie nicht?“ Tom lächelte den Spieler an, und seine Miene zeigte, wie geringschätzig er darüber dachte.

„Sie müssen mich für einen kompletten Narren halten, Cory“, gab er zurück.

„Wieso?“

„Weil ich Sie und Männer Ihres Schlages kenne. Ein Stern hat für Sie nicht mehr Bedeutung als irgendein anderes Stück Blech. Dabei spielt es für Sie keine Rolle, ob Sie den Stern selbst tragen oder ob er an der Jacke eines anderen steckt.“

Cory hob die Schultern langsam an und ließ sie mit einer Bewegung, die gleichgültig wirken sollte, wieder fallen.

„Sie müssen es wissen, Calhoun“, sagte er schleppend. „Sie scheinen überhaupt eine ganze Menge mehr als andere Leute zu wissen.“ Er spuckte auf den Boden, wandte sich ab und ging ins Haus zurück.

Tom Calhoun blickte ihm einen Moment nach, wandte sich dann um und ging zum Brunnen. Er setzte sich auf den gemauerten Rand und blickte zu dem Kutscher hinüber, der aus dem Stall kam und die Tür hinter sich schloss.

Cory tauchte wieder in der Tür des Stationshauses auf und rief: „Wenn Sie Hunger haben, Calhoun, dann müssen Sie jetzt kommen! Wir warten nicht!“

Tom Calhoun stand auf. Der Fahrer ging eben ins Haus. Tom folgte ihm langsam. Als er auf der Türschwelle stand, saßen die anderen schon am Tisch. Er setzte sich zu ihnen. Hinter ihm kam Falton herein und blieb stehen.

„Sie sind nicht mehr richtig im Kopf, was?“, knurrte Cory.

„Bloß weil ich auch Hunger habe? Ich habe seit vierzehn Stunden nichts mehr zwischen die Zähne bekommen.“

„Sie gehen sofort an Ihren Platz zurück“. sagte Tom scharf. „Fünf Minuten werden Sie es bestimmt noch aushalten. Dann werden Sie abgelöst.“

Fluchend wandte sich Falton um und ging wieder hinaus.

„Ich werde diese Nacht keine Wache übernehmen“, brummte der Kutscher. „Sie können sich inzwischen darauf einstellen, Calhoun. Ich kann nicht den ganzen Tag auf dem Bock sitzen und die Kutsche lenken, wenn ich nachts nicht schlafen kann.“

„Das ist mir klar, Dreek“, gab Tom Calhoun zurück. „Ich hatte auch nicht die Absicht, Sie diese Nacht einzuteilen.“

„Wie?“

„Cory und ich, wir werden uns die Wache teilen“, sagte Tom. „Ich werde Kieler fragen, ob er uns ein paar Stunden abnimmt.“

„Sie bilden sich doch nicht etwa ein, dass ich so verrückt bin und da mitmache?“, empörte sich der Spieler.

„Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, Cory.“

„Und Sie glauben wirklich, dass ich wachen werde?“

„Sicher. In dieser Beziehung wollen wir beide das gleiche. Wir müssen verhindern. dass jemand in die Station eindringen kann. Auf Falton möchte ich mich nicht verlassen. So bleiben nur noch Sie, Kieler und ich.“

„Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich lediglich nach Shelton Falls will?“

„Sie haben es schon oft genug in Ihren Reden vergessen, Cory. Sie widersprechen sich überhaupt recht häufig. Sie übernehmen die erste Wache!“

*


Die Müdigkeit saß wie Blei in seinen Gliedern, doch die Unruhe hielt ihn wach. Er blickte auf Falton, der in dem Bett neben ihm lag. Am Kopfende des Bettes stand ein Stuhl, auf den Falton seinen Colt gelegt hatte. Der Mann brauchte nur danach zu greifen. Alles andere würde sehr schnell gehen.

Tom Calhoun rieb sich über die geröteten Augen, die ihm immer wieder zufallen wollten. Schließlich stand er auf und ging in den vorderen Teil des Raumes. Lola Starr saß an dem großen Tisch. Er ging zu ihr und setzte sich neben sie.

Die Lampe begann zu flackern. Es sah aus, als wäre nicht mehr genügend Petroleum in dem Blechbehälter. Tom machte den Riemen los, mit dem er sich die Satteltasche an den Unterarm geschnallt hatte. Dann rollte er sich eine Zigarette, riss ein Zündholz über die Tischplatte und brannte das Stäbchen an.

„Sie können wohl auch nicht schlafen?“, fragte das Tanzmädchen.

„Ich befürchte, dass ich nie mehr aufwachen könnte. Dieses Gefühl hält mich wach.“

Er blies den Rauch gegen die Decke und blickte ihm nach. Dann senkte er den Kopf ein wenig und schaute ihr ins bleiche Gesicht.

„Wenn Sie sowieso nicht schlafen, könnten Sie Cory ablösen“, sagte Lola.

„Das werde ich ganz bestimmt nicht tun“, entgegnete er.

„Aber warum denn nicht?“

„Weil ich möchte, dass er ebenso müde ist wie ich.“

„Aha, ich verstehe. Aber Ihr Misstrauen ist wirklich unbegründet, Mr. Calhoun.“

„Gab er Ihnen den Auftrag, mir das zu sagen?“

„Nein. Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen.“

„Das glaube ich Ihnen nicht, Lola." Tom sah, dass sich im Hintergrund eine Decke bewegte. „Ich muss zugeben, dass ihr es raffiniert eingefädelt habt. Cory hatte sicher schon im voraus ausgerechnet, dass ich die Kutsche nach Shelton Falls nehmen würde.“ „Das ist doch Unsinn. Sie sehen Zusammenhänge, die niemals bestanden haben.“

Tom zuckte die Schultern und stand auf. Nachdem er die Tasche an sich genommen hatte, ging er hinaus. Kühlend strich die klare Nachtluft über seine Stirn, und er fühlte, dass die Müdigkeit etwas nachließ. Er wandte sich um und schaute in den Raum hinein. Sein Blick blieb an der Decke hängen, die sich vorhin bewegt hatte.

Jetzt wurde sie zurückgeschlagen und Falton tauchte auf. In seiner Hand lag der Revolver. Doch die Mündung war zu Boden gerichtet. In diesem Moment stand es für Tom fest, dass die Bande in dieser Nacht eine Entscheidung herbeiführen wollte. Und Faltons Aufgabe war es, die Stellung von innen her aufzurollen.

Tom drückte die Zigarette zwischen den Fingern aus und schnippte sie hinter sich. An den Türpfosten gelehnt blieb er stehen.

,,Hallo, Falton“, sagte er leise. „Wollen Sie jemanden erschrecken?“

Der Mann hatte die Waffe in den Hosenbund gesteckt und blieb mit vor der Brust verschränkten Armen stehen.

„Ich konnte nicht schlafen“, sagte er. „Sie doch auch nicht, oder?“

„Stimmt genau. Ich hatte das Gefühl, dass mir jemand an den Kragen will.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt noch eine Wache übernehmen.“

Nach kurzem Überlegen nickte Tom dem Mann zu. Ein Blick aus den Augenwinkeln sagte ihm, dass Lola Starr fassungslos auf ihn und Falton blickte.

„Gut, Falton“, sagte er. „Sie können Cory ablösen.“

Falton verschwand noch einmal hinter den aufgespannten Decken. Es dauerte nicht lange, da kam er mit dem Gewehr und seinem Patronengurt zurück. Er verließ den Stationsraum und trat in den Hof hinaus.

„Ich möchte Ihnen noch sagen, dass ich auf Ihrer Seite stehe und Ihnen helfen werde, Calhoun“, murmelte er.

„Danke, Falton. Das ist nett von Ihnen. Ich muss mich bei Ihnen für mein Misstrauen entschuldigen. Aber Sie werden verstehen, dass ein Mann in meiner Lage so sein muss.“

„Schon in Ordnung, Calhoun“, murmelte Falton und ging weiter. Bei dem Brunnen blieb er stehen und blickte noch einmal zurück.

Tom hatte sich bereits umgewandt und ging ins Haus. Als er um den Türpfosten spähte, sah er, dass der Mann weiterging. Schnell huschte er wieder nach draußen und um das Haus herum. Neben dem angebauten Zaun, der sich an der Seitenfront anschloss, verhielt er den Schritt.

„Cory, Sie können schlafen gehen. Ich löse Sie ab!“, hörte er Falton rufen.

„Sie wollen mich ablösen?“

„So ist es. Mr. Calhoun hat es gesagt.“

„Lassen Sie den Unsinn. Falton. Calhoun traut Ihnen doch nicht über den Weg.“

„Vielleicht hat sich das inzwischen geändert. Am besten. Sie gehen hinein und fragen ihn.“

Cory sprang von der Laufplanke, und Falton stieg hinauf. Tom wusste, dass sein Plan nun nicht mehr aufgehen würde, denn Cory wollte ihn jetzt fragen und würde nach ihm suchen.

Geduckt ging er um die Ecke herum und lehnte sich gegen die Wand.

Cory kam genau auf ihn zu. Seine Augen blitzten in der Dunkelheit.

„Verdammt, was soll das?“, fragte er scharf. „Sie wissen so gut wie ich, dass er ein Bandit ist.“

„Nichts wissen wir, Cory. Wir können nur manches vermuten.“

„Wenn wir schlafen, wird er seinen Freunden ein Zeichen geben. Sie können dann hereinkommen und werden mit uns leichtes Spiel haben.“

„Hören Sie auf, Cory. Ihre ganze Sorge gilt doch nur der Tasche. Sie haben Angst, sie könnte in Hände geraten, aus denen Sie sie nicht mehr zurückholen können. Doch ich sage Ihnen, wir werden nicht schlafen. Wir werden aufpassen. Natürlich darf er davon nichts merken. Ich will von jetzt an Klarheit in die Sache bringen, Zug um Zug. Das gilt für alle Dinge, die mit dieser Reise in Zusammenhang stehen.“

Cory gab sich den Anschein, als habe er nicht verstanden.

„Na gut“, knurrte er. „Dann wollen wir uns postieren.“

„Nicht so hastig. Erst gehen wir noch einmal hinein. Vorhin habe ich gesehen, dass an der Seite ein Fenster ist. Anscheinend gehört es zur Küche. Dort kommen wir wieder hinaus. Noch eins, Cory: denken Sie daran, dass ich Sie nie hinter mir haben möchte. Ich denke, Sie wissen warum.“

Mit hölzernen Schritten betrat Cory vor ihm das Haus. Tom Calhoun folgte ihm.

Lola Starr saß noch immer an dem Tisch. Ihre schlanken Hände bemalten die Platte mit unsichtbaren Figuren.

„Du solltest endlich schlafen gehen“, sagte Cory zu ihr.

„Ich habe doch gewusst, dass ihr euch besser kennt, als ihr zugeben wollt“, sagte Tom und lächelte. „Wie ich sehe, kommen wir der Sache immer näher.“ Sie gingen weiter in die Küche. „Denken Sie nicht, dass er Sie nur prüfen will. Er macht einen cleveren Eindruck.“

„Er hat keine Gelegenheit, jemanden zu prüfen, Cory. Das ist entscheidend. John Monk will das Geld jetzt. Er hat Angst, dass sich schnell Verfolger an seine Fersen hängen könnten, wenn wir erst zu nahe an Shelton Falls sind. Es bleibt nur noch diese Nacht. Also hat Falton keine Zeit.“

Der Spieler trat zum Fenster und öffnete es leise. Kurz nacheinander stiegen sie hinaus. Tom Calhoun hatte die Satteltasche noch immer in der Hand. Sie behinderte ihn stark. Doch er wusste nirgends einen Platz, an dem er sie lassen konnte.

*


„Da!“, zischte Cory, als Falton die Hand mit dem Gewehr hob und offenbar ein Zeichen gab. Mit einem Satz wollte er vorwärtsspringen. Tom konnte ihn noch an der Schulter fassen und zurückhalten.

„Immer langsam, Cory“, flüsterte er. „Daraus können wir ihm noch keinen Strick drehen.“

„Sie wollen die Banditen doch nicht erst hereinkommen lassen?“

„Das nicht. Aber sie müssen so nahe sein, dass Falton schießen müsste. Los, wir gehen nach rechts.“

Schon wollte Cory losgehen, da wandte sich Falton um. Aber der Spieler stand noch so, dass ihn Falton in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Er schaute wieder nach draußen.

„Jetzt!“, drängte Tom Calhoun.

Cory duckte sich zusammen und lief am Palisadenzaun entlang. In seinem Schutz kam er bis zum Stall, der ihm wieder volle Deckung gab.

Dicht hinter ihm folgte Tom. Schnell huschte Cory weiter. Da ließ Tom die Tasche in eine Regentonne fallen. Cory blieb stehen.

„Auf die Planke“, raunte Tom. „Wir müssen die Gegend übersehen können.“

Sam Cory nahm Anlauf und sprung lautlos zur Planke hinauf. Tom folgte seinem Beispiel.

„Geht alles in Ordnung, Duke?“, ertönte in diesem Moment eine Stimme.

„Gar nichts ist in Ordnung, ihr elenden Schurken!“, keifte Cory, und die erste Kugel fuhr aus seinem Navy Special 38.

Draußen erschallte infernalisches Geschrei. Schüsse peitschten auf. Tom fuhr auf dem Absatz herum. Faltons Gesicht leuchtete ihm spitz und bleich durch die Dunkelheit entgegen. Dann rannte er vorwärts. Fauchend fuhr ihm ein Flammenblitz entgegen, ein Schlag traf seine Hüfte und ließ ihn zusammenzucken. Als er mit der Schulter gegen den Palisadenzaun schrammte, sah er die zweite Feuerblume aufblühen. Doch die Kugel ging an ihm vorbei. Mit schwankender Hand hob er die Waffe und schoss. Falton warf die Arme in die Höhe und taumelte zurück.

Schweratmend wandte er sich um. Noch zweimal brüllte Corys Revolver auf, dann war draußen ein Schrei zu hören. Vor Toms Augen tanzten bunte Kreise, aus denen Feuer zu springen schien. Ihm war speiübel, dennoch tappte er vorwärts, dann aber fiel er von der Planke.

Ein rasender Schmerz durchzuckte ihn, als er auf die Erde schlug. Doch plötzlich sah er alles wieder klar vor sich.

Nicht weit vor ihm lag Falton auf dem Boden. Er bewegte sich nicht mehr. Irgendwo in der Ferne ertönte Hufschlag, der rasch leiser wurde. Da glaubte Tom hinter sich Schritte zu hören und wollte sich aufrichten. Aber er schaffte es nicht.

Cory beugte sich über ihn.

Aus dem Haus kamen die Männer gelaufen. Cory fluchte leise und wälzte Tom auf den Rücken. Finster starrte er ihn an.

„Tot bin ich nicht, Cory“, murmelte Tom Calhoun. Dann wurde es finster um ihn. Er hatte das Bewusstsein verloren.

*


„Ich muss die Wunde ausbrennen“, knurrte Al Dreek. „Halten Sie ihn fest, Cory.“

„Wie steht es mit ihm?“

„Es ist nicht weiter schlimm. Nur eine kleine Fleischwunde.“

„Wird er lange liegen müssen?“, fragte der Spieler und blickte auf den immer noch bewusstlosen Tom Calhoun, dessen Gesicht grau und eingefallen aussah.

„Ungefähr drei Tage“, erwiderte der Postfahrer. „Aber bei ihm bin ich mir da nicht sicher. Sie kennen ihn vielleicht nicht so gut wie ich “

Cory packte Tom an den Schultern und hielt ihn so fest.

Dreek gab dem Stationer ein Zeichen, worauf der eine weißglühende Stange aus der Küche holte.

Ein Frösteln kroch über Lola Starrs Rücken, obwohl es warm im Stationsraum war. Mit bleichem Gesicht wandte sie sich ab und ging fort.

Sie trat vor die Tür und sah Falton, der noch immer neben dem Palisadenzaun lag. Die Männer im Haus schienen ihn vergessen zu haben.

Als ein Stöhnen an ihre Ohren drang, überlief sie ein heftiges Zittern.

Momentan schien niemand im Haus daran zu denken, dass die Station unbewacht war. Vielleicht wäre das die günstigste Stunde für die Banditen gewesen. Doch sie konnten es nicht wissen.

Lolas Blick wanderte von einer Palisadenkrone zur anderen. Von überall glaubte sie fratzenhafte Gesichter auf sich zukommen zu sehen. Plötzlich verschwand der Spuk wie dünner Nebel, der sich aufgelöst hatte.

Schritte näherten sich. Dann stand der Spieler neben ihr.

„Calhoun hatte die Tasche nicht mehr bei sich, als er verwundet wurde. Er muss sie irgendwo versteckt haben.“

Sie schwieg.

„Warum sagst du nichts?“, fragte er heftig.

„Es tut mir leid, Sam. Aber ich habe Angst. Unbeschreibliche Angst.“

„Du Angst?“

„Ja.“

„Wovor?“

„Das ist es ja, ich weiß es nicht. Siehst du Falton? Dort liegt er. tot.“ Sie zeigte mit dem ausgestreckten Arm zu dem Toten hinüber. „Vor kurzer Zeit glaubte er noch, seinem Ziel ganz nahe zu sein.“

„Das war sein Fehler, Lola. Jeder andere hätte bestimmt gemerkt, dass er in eine Falle läuft. Dieser Narr wollte die Sache übers Knie brechen. So geht das aber nicht.“

„Du kannst reden so viel du willst. Ich habe trotzdem Angst.“

„Lola, Calhoun ist verletzt. Der Kutscher sagte, dass er drei Tage liegen muss. Sie sind gerade dabei, ihn zu verbinden.“

Verächtlich lachte das Tanzmädchen auf.

„Du weißt so gut wie ich, dass er morgen wieder auf den Beinen sein wird und mit der Kutsche fährt.“

„Ja, Lola, das denke ich auch. Kommt nur darauf an, wie lange er durchhält. Aber ich bin zu einem anderen Entschluss gekommen: sie sind jetzt alle aufgeregt. An die Tasche mit dem Geld denken sie nicht. Das ist unsere Chance. Jetzt müssen wir verschwinden. Sie werden es nicht so bald merken, und außerdem werden sie es nicht wagen, uns zu folgen.“

„Hast du die Banditen vergessen?“

„Nein. Einen habe ich erschossen. Nur drei entkamen. Ihnen wird der Spaß für diese Nacht vergangen sein. Sie sind bestimmt nicht mehr in der Nähe. Wenn es uns jemals gelingen sollte, dann jetzt.“

Lolas Haltung veränderte sich schlagartig. Ein neuer Lebensstrom schien sie bei dem Gedanken zu durchpulsen. Sie blickte den Spieler an und nickte heftig. „Also, gut.“

Cory grinste.

„Dann geh jetzt ins Haus. Wir müssen uns möglichst unauffällig benehmen. Sollten sie mich vermissen, dann komm vor die Tür. Ich werde die Tasche suchen. Sie muss in Faltons Nähe liegen. Ich werfe sie zunächst einmal hinaus.“

Das Mädchen nickte.

Cory wandte sich um und ging schnell über den Hof.

Lola Starr betrat das Haus. Auf der Schwelle blieb sie stehen. Sie sah Ben Warthon, der sie anblickte, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte. Doch er schien irgend etwas zu ahnen.

Sie gab sich einen Ruck und ging weiter, bemüht, harmlos zu erscheinen. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass man ihre Gedanken von ihrer Stirn ablesen konnte.

„Das hätten wir“, sagte Dreek und richtete sich auf. „Nun wird er wohl wissen, dass jedem Grenzen gesetzt sind.“

Lola war an den Tisch getreten und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Immer noch hingen Ben Warthons Blicke vielsagend an ihr. Er hatte die Lippen fest zusammengepresst, dass sie wie ein schmaler Strich in seinem Gesicht standen.

Der Stationer verschwand in der Küche, und Al Dreek folgte ihm. Knarrend schlug die Tür hinter ihnen zu.

Immer wieder huschten Lolas Blicke zu Ben Warthon hinüber.

„Jetzt seid ihr eurem Ziel nahe. Sie dem Ihren und Cory dem seinen. Ich bin nur gespannt, ob er mit Ihnen teilen wird.“

„Was sollen die dummen Reden?“, fuhr sie ihn gereizt an.

„Ich habe Sie vorhin beobachtet. Jetzt ist Cory dabei, die Tasche zu suchen, nicht wahr?“

„Du bist total übergeschnappt.“

„Sie wollten, dass er das Geld an sich bringt, ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt. Jetzt klappt es.“

„Du willst es wohl auch haben?“

„Das wollte ich nie. Sie wissen auch, dass ich von Nat Leet und der Satteltasche nichts gewusst habe.“

„Ich? Woher sollte ich es wissen? Außerdem interessiert es mich nicht.“

„Das kann ich Ihnen sagen, die Satteltasche werden Sie nie von hier fortbringen. Wenn Sie hinausgehen, werde ich schreien. Dann werden Dreek und der Stationer kommen.“

Mit einem Ruck stand Lola Starr auf und ging zu ihm hinüber. Er saß auf der Bettkante und hatte die gefesselten Hände auf den Knien liegen.

„Weißt du denn nicht, wo er den Schlüssel liegen hat?“, fragte sie leise.

„Natürlich weiß ich es. Der Kutscher hat ihn an sich genommen.“

„Schade, Ben. Ich hätte dir gern geholfen, weil ich dich verstehen kann.“

„Nichts verstehen Sie. Ich bin kein Bandit!“

„Vielleicht sagst du wirklich die Wahrheit, Ben. Aber sie glauben dir nicht.“

„Der Richter muss alle meine Angaben nachprüfen.“

Lola zuckte mit den Schultern.

„Schon möglich, dass er es müsste, Ben“, sagte sie. „Aber ob er es tun wird ... Ich glaube nicht daran. Dazu kommt, dass sich mit deinen Angaben nicht viel anfangen lässt. Weißt du genau, dass Dreek den Schlüssel bei sich hat?“

Bens Kopf sank herab.

„Ja“, sagte er kleinlaut.

Als Lola Starr sich wieder abwandte, öffnete sich die Küchentür, und Dreek erschien in ihrem Rahmen. .

„Wo steckt eigentlich Cory?“, fragte er.

Lola Starr blickte auf den noch immer bewusstlosen Tom Calhoun. dem die Härte noch jetzt im Gesicht stand.

„Er ist draußen“ erwiderte sie und wandte sich ab. Dann trat sie in den nachtdunklen Hof hinaus.

Cory tauchte aus der Finsternis auf und kam auf sie zu. Auch Dreek war aus dem Haus getreten.

„Cory, wo waren Sie die ganze Zeit?“

„Sie scheinen vergessen zu haben, was da draußen los ist. Ich habe mich ein bisschen umgesehen.“

„Gut. Ich werde jetzt die Wache übernehmen.“ Der Fahrer ging zurück und holte sein Gewehr. Dann entfernte er sich auf das Tor zu.

Lola schaute Cory fragend an. Seine Hände waren leer. Also hatte er die Tasche nicht gefunden.

Für einen Augenblick kreuzten sich ihre Blicke, dann zuckte Cory die Schultern.

„Wenn ich nur wüsste, wo er sie gelassen haben könnte!“ zischte er. „Eins weiß ich: bei Falton ist sie bestimmt nicht. Schließlich kann ich nicht überall herumschnüffeln. Vielleicht kann ich dann die Wache übernehmen.“

Das Mädchen wandte sich um und sah den Stationer, der das Haus wieder betrat. Sie folgte ihm.

„Wir wollen den Toten wegschaffen, Cory“, sagte Kieler, als der Spieler in den Raum kam. „Draußen liegt auch einer.“

„Sie glauben doch nicht etwa, dass ich hinausgehe?“

„Es wird uns nichts anderes übrigbleiben. Der Tote lockt nur die Geier und Wölfe an. Also kommen Sie!“

Lola saß am Tisch und hatte den Kopf in den Händen vergraben.

„Sie würden mit dem Geld nicht glücklich werden“, drang die Stimme Ben Warthons an ihre Ohren. Sie hob den Kopf und schaute ihn an.

„Was?“

„Sie würden keine Ruhe mehr finden. Er würde euch immer an den Fersen hängen und irgendwann einmal stellen. Er ist ein Mann, der hält, was er versprochen hat. Und er hat Marshal Clayburn etwas versprochen.“

„Das klingt ja so, als würdest du davon etwas verstehen“, gab sie barsch zurück.

*


Der Morgen dämmerte bereits grau herauf. Der Gefangene lag auf seinem Bett und schlief. Tom Calhouns Bewusstlosigkeit war einem unruhigen Schlaf gewichen.

Cory trat an den Tisch, an dem Lola Starr noch immer saß und eingeschlafen war. Als er ihren Arm berührte, fuhr sie erschrocken in die Höhe.

„Sie ist weg“, sagte er leise. „Einfach verschwunden. Ich konnte sie nirgends finden.“

Lola strich sich die Haare aus der Stirn.

„Vielleicht hat er sie über den Palisadenzaun geworfen.“

„Unsinn. Ich kann mich genau erinnern, dass er sie in der Küche noch in der Hand hatte. Ich glaube sogar noch draußen an der Wand. Irgendwo muss sie liegen, zur Hölle!“

„Ist jemand im Hof?“

„Kieler. Er steht auf der Planke.“

„Dann könnten wir jetzt doch nicht fortkommen. Es hat zu lange gedauert.“

„Ja. Aber das kann ich dir sagen, wenn die Tasche erst mal in meiner Hand ist, finde ich für das andere auch noch einen Weg. Verdammt, wo mag sie nur sein?“

Als Ben Warthon sich bewegte, gab Lola dem Spieler ein Zeichen. Doch dann lag der Junge wieder ruhig.

Plötzlich erwachte Tom Calhoun. Er wollte sich aufrichten, sank aber mit einem unterdrückten Stöhnen auf sein Lager zurück.

Cory ging mit harten Schritten auf ihn zu. Ein breites Grinsen saß wie festgefroren m seinem Gesicht.

Tom Calhoun blickte dem Spieler entgegen.

„Ja, so ist das nun“, sagte Cory und lachte leise.

„Sie wollen doch etwas, Cory?“

„Ich? Nein. Wie kommen Sie darauf? Wie der Kutscher sagte, geht heute die Reise nach Shelton Falls weiter. Ob Sie können oder nicht.“

„Vielleicht müssten Sie dann mit Miss Starr allein fahren, Cory.“

Corys Gesicht wurde schlagartig ernst.

„Was?“

„Das wäre doch eine ideale Lösung. Sie wären davor bewahrt, ein Bandit zu werden, oder aber ein sehr schnelles Ende zu finden. Wie Sie sagten, wollen Sie aber weiter nichts, als nach Shelton Falls kommen.“

„Genauso ist es. Inzwischen hat sich aber einiges geändert, Calhoun. Sie sind zu schwach, um allein den Gefangenen und dazu das viele Geld durchbringen zu können.“

„Meinen Sie?“

„Ja, Calhoun. Ich bin ein Freund von Gerechtigkeit. Ich weiß, dass Sie es nicht glauben. Aber ich werde Ihnen unter allen Umständen helfen. Einmal, und wenn es erst in Shelton Falls ist, werden Sie wissen, dass Sie mir dankbar sein müssen.“

„Großartig, Cory. Das finde ich wunderbar. Demnach haben Sie also die Tasche nicht gefunden.“

„Was?“

„Die Tasche. Ich habe sie versteckt. Mir ist es, als würde es eine Vorsehung geben, an die ich mein Leben lang nicht glauben wollte.“

„Sagten Sie Vorsehung?“

„Ja, Cory. Das sagte ich. Sie ließ mich die Tasche im richtigen Augenblick verstecken. Helfen Sie mir?“

Cory griff nach Toms ausgestreckter Hand und zog ihn in die Höhe. Er blickte in Tom Calhouns verkrampftes Gesicht, und als er ihn losließ, musste Tom Halt suchend nach dem Bettrand greifen.

„Irgend jemand muss sich um Sie kümmern.“

„Das ist wirklich nett von Ihnen. Cory. Ich kann nur hoffen, dass ich Ihre Aufopferung nicht eines Tages mit einer Kugel bezahlen muss. Vielleicht könnten Sie mir noch weiter helfen. Allein werde ich es kaum schaffen.“

Cory griff ihm unter die Achsel und stützte ihn so. Gemeinsam gingen sie durch den Stationsraum und verließen ihn. Im Hof blieb der Spieler stehen.

„Wir müssen dorthin“, sagte Tom und zeigte mit der ausgestreckten Hand zur Stallecke hinüber.

Cory half ihm weiter, während das Blut in seinen Adern zu kochen schien,

Hinter der Stallecke blieb Tom Calhoun stehen und lehnte sich gegen die Wand. Sein Blick ruhte auf der angefaulten Regentonne, von der die Eisenreifen abgefallen waren.

„Cory, holen Sie die Tasche heraus.“

Mit hölzernen Schritten ging Cory zu der Tonne und griff hinein. Seine Hand lag auf der mit den Riemen fest umschlungenen Satteltasche. Tausend Gedanken durchrasten den Kopf des Spielers.

„Geben Sie her!“, sagte Tom scharf. „Danke, Cory. Sie scheinen doch ein feiner Kerl zu sein.“

„Das versuche ich Ihnen schon sehr lange zu erklären“, gab Cory mit belegter Stimme zurück.

„Dann kommen Sie her und helfen Sie mir zurück!“

Tom Calhoun stützend, ging der Spieler mit ihm zum Haus zurück.

„Danke!“, sagte Tom noch einmal, als sie im Stationshaus neben dem großen Tisch standen. Er warf die Tasche darauf und hielt sich an der Kante des Tisches fest. Er sah das Tanzmädchen, das nähergekommen war und sich an einem Pfosten lehnte.

Sam Cory blickte sie an und zuckte die Schultern, was Tom Calhoun aus den Augenwinkeln sah.

„Ich hatte mir gedacht, dass Sie die Tasche dort nicht suchen würden, Cory“, sagte er, ohne den Spieler dabei anzusehen.

Cory schwieg.

Lola war jetzt bis an den Tisch getreten, und ihre Blicke schienen sich förmlich an der Tasche festzusaugen.

Der Fahrer hatte den Raum betreten. „Sie müssen sich sofort wieder hinlegen, Mr. Calhoun“, sagte er. „So gut wie Sie es sich gern einreden möchten, geht es Ihnen bestimmt nicht.“

Tom griff schweigend nach der Tasche und schwankte auf sein Bettgestell zu. Er schaffte es bis zum ersten Pfosten, dann versagten ihm die Beine den Dienst. Noch ehe er zu Boden fiel, fing ihn Al Dreek auf und trug ihn weiter.

„In einer halben Stunde fahren wir“, sagte der Postfahrer.

Cory schaute die Frau an.

„Ich fahre nicht mit“, sagte sie. „Wieso?“

„Ich habe mich gestern mit Mr. Calhoun unterhalten. Er sagte mir, dass ich hier auf die nächste Kutsche warten soll.“

„Da konnte er doch noch gar nicht wissen, dass ...“

„Es interessiert mich nicht, was er wusste und was nicht“, unterbrach sie den Kutscher. „Ich werde hier warten.“

„Aha. Dann bleiben Sie natürlich auch, Cory. Oder?“

„Ja, Dreek. Sie müssen nun allein weiter, und Sie können froh darüber sein. Die Banditen werden nun kein Interesse mehr an der Kutsche haben.“

„Genau, Cory. Haben Sie übrigens daran gedacht, dass in vier Tagen Soldaten aus Fort Worth hier sein können?“

„Soldaten? Wer soll die denn holen?“

„Sie scheinen ganz zu vergessen, dass ich nach Shelton Falls fahre.“

„Daran habe ich wirklich nicht gedacht“, meinte der Spieler leise. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Dreek, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.“

„Dreek!“, ertönte die Stimme Tom Calhouns vom Bett her. „Sie müssten die Abfahrt um einen Tag verschieben.“

„Das geht nicht. Dazu bin ich nicht berechtigt.“

„Dann fahren Sie und sagen dem Richter, dass ich hier bin.“

„Das ist doch selbstverständlich.“

„Lola, Sie sollten mit ihm fahren.“

„Sie reden jeden Tag etwas anderes, Mr. Calhoun!“

„Wie Sie meinen. Dreek, ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.“

Tom hatte die Tasche höher gezogen. Sein Blick glitt zu Ben Warthon hinüber, der auf dem Bettrand saß. Dann schaute er wieder zu Dreek und sagte: „Binden Sie mir die Tasche am linken Arm fest, Dreek.“

Der Postfahrer ging zu Tom und kam seinem Wunsch nach. Als er sich wieder aufrichtete, sah er in das Gesicht des Spielers. Für einen Sekundenbruchteil kreuzten sich ihre Blicke. Dann wandte er sich hart um und sagte: „Ich kann es nicht! Ich kann Sie nicht in Ihrer hoffnungslosen Lage allein zurücklassen, Calhoun. Also werde ich die Abfahrt um vierundzwanzig Stunden verschieben. Ich werde schon irgendeine Erklärung dafür finden.“

In Toms vom Schmerz gezeichnetes Gesicht stahl sich ein Lächeln.

„Sie sind ein feiner Kerl, Dreek. Das werde ich Ihnen nie vergessen!“, sagte er dankbar.

Cory wandte sich abrupt um und verließ den Raum. Das Mädchen folgte ihm mit hängenden Schultern.

„Und nun schlafen Sie, Calhoun“, sagte der Kutscher. „Ich werde aufpassen.“

Tom Calhoun hatte sich etwas aufgerichtet.

„Unter diesen Umständen können Sie die Tasche natürlich wieder losmachen“, sagte er.

Dreek band die Tasche los. Unentschlossen hielt er sie in der Hand.

„Wenn Sie sie auf den Tisch legen, kann sie von allen beobachtet werden. Wie ist es mit Kieler?“

„Er hat es nicht leicht gehabt im Leben und ist immer arm gewesen, Calhoun. Aber nach fremdem Eigentum würde er nie seine Hand ausstrecken.“

Aufatmend sank Tom auf sein Lager zurück.

Dreek ging zum Tisch und ließ die Tasche darauf fallen. Dann verließ auch er das Haus.

*


„Mach Platz, verdammt!“, knurrte der Kutscher und drückte den Kopf des Pferdes mit der Schulter zur Seite, um die Futterkrippe füllen zu können. Mit dem leeren Eimer ging er zurück und verließ den Stall. Er sah, dass das Tor noch offenstand.

Arglos ging er weiter. Dem Mädchen, das an der Hauswand lehnte, warf er nur einen kurzen Blick zu.

Dann war er im Schuppen. Dämmriges Halbdunkel umgab ihn. Ein schwacher Lichtschimmer kroch durch das kleine, von Spinnweben überzogene Oberlicht.

Dreek klappte den Deckel der großen Futterkiste auf und füllte den Eimer mit der linken Hand. Von irgendwo drang ein Knistern an seine Ohren. Als er sich umwandte, schien es ihm, als würde die vom Rost schon fast zerfressene Kelte, die von einer Dachstrebe hing, wackeln. Wachsam glitt sein Blick weiter. Aber nirgends war etwas Verdächtiges zu sehen.

Da wandte er sich wieder dem Futterkasten zu und füllte den Eimer bis zum Rand. Brummend ging er zur Tür. Er hatte sie schon fast erreicht, als er wieder ein Geräusch hörte. Jetzt war es direkt hinter ihm. Er wollte den Eimer absetzen und sich umwenden, als etwas Hartes auf seinem Kopf explodierte und er zur Seite geschleudert wurde.

Dreek taumelte an die Wand und brach zusammen. Scheppernd rollte der Zinkeimer über den Boden.

„Was nun?“, fragte Lola Starr mit bebenden Lippen, als sie den Spieler sah, der auf sie zukam.

Cory grinste. Vor ihr blieb er stehen und öffnete die Hand. In ihr lag der kleine Schlüssel, der für Ben Warthon die Freiheit bedeutete.

„Was ist mit Dreek?“, fragte sie.

„Was soll schon mit ihm sein? Er schläft. In einer Stunde ist er wieder fit."

Erleichtert atmete das Mädchen auf.

„Und was ist mit Calhoun?“

„Ich glaube, er schläft.“

„Wo steckt der Stationer?“

„Er ist in der Küche. Wenn wir noch etwas warten, wird er Dreek suchen. Ich glaube, im Haus macht es sehr viel Krach.“

„Ich werde im Stall warten“, sagte Cory und wandte sich ab.

Lola gab sich Mühe ruhig zu sein. Doch es gelang ihr nicht. Ihr Atem ging stoßweise, und auf einmal beschlich sie das eigenartige Gefühl, dass es besser wäre, aus diesem gnadenlosen Spiel auszusteigen. Zugleich aber dachte sie daran, dass es dazu schon zu spät war. Die ganze Sache war schon zu weit gediehen.

Die lähmende Stille überall zerrte an ihren Nerven. Plötzlich hörte sie Schritte, und ihr Herz begann rasend zu schlagen. In ihren Ohren rauschte das Blut, dass sie glaubte, kein anderes Geräusch mehr hören zu können.

Der Stationer stand in der Tür. Noch einmal wandte er sich um, als müsste er sich versichern, dass die Tasche noch an ihrem Platz lag. Dann wandte er sich ab.

„Haben Sie Dreek gesehen?“, fragte er.

„Ja. Er ist in den Stall gegangen.“

„Wann?“

„Vor etwa zehn Minuten.“

Kieler blickte sie aus schmalen Augen an, dann ging er weiter.

Ein Frösteln kroch über Lolas Rücken, obwohl sie im grellen Sonnenlicht stand Sie sah, dass Kieler zum Stall ging und darin verschwand. Kurz darauf ertönte ein dumpfes Geräusch.

Wieder lag das zufriedene Grinsen in Corys Gesicht, als er aus dem Stall kam und den Hof überquerte.

„Du brauchst keine Angst haben“, sagte er leise. „Es ist schon vorbei. Was nun noch kommt, ist nicht schwierig.“

„Ich habe aber Angst, Sam.“

„Dann musst du sie vergessen. Ich sage dir, er wird Warthon verfolgen.“

„Kieler wird wissen, dass es nicht Warthon war, der ihn niederschlug.“

„Er wird es nicht glauben.“

„Er kann aber nichts anderes beweisen. Wir haben es doch genau besprochen. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr!“

*


Sam Cory hatte sich davon überzeugt, dass Tom Calhoun fest schlief. Dann winkte er Warthon zu und zeigte ihm den kleinen Schlüssel in der hohlen Hand.

Wie einem fremden Zwang folgend stand Ben auf.

Tom Calhoun bewegte sich immer noch nicht.

Als Ben Warthon vor ihm stehenblieb, öffnete er ihm die Handschellen und zog den Jungen hinaus.

„Ich weiß, dass Sie das nur machen, um den Verdacht auf mich zu lenken“, sagte Ben.

„Es ist nur ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, mein Junge. Oder willst du dich von ihm nach Shelton Falls schleppen lassen? Du weißt, was dort auf dich wartet!“

Bens Kopf sank herab.

„Du hast eine gute Chance und brauchst keine Angst zu haben“, redete Cory schnell weiter. „Calhoun ist verwundet. Wenn er versuchen will, dich zu verfolgen, wird er nicht weit kommen. Aber das solltest du selbst wissen. Du musst immer nach Westen reiten. Nach hundert Meilen bist du schon in einer Gegend, in der sein Stern keinerlei Bedeutung hat.“

„Er wird sich nicht darum kümmern.“

„Schon möglich. Die Frage ist nur, ob er in seinem Zustand überhaupt hundert Meilen weit kommen kann. Wir werden alle Pferde mitnehmen.“

„Ich hatte die ganze Zeit gedacht, dass Sie ihn töten wollen, Cory.“

„Dann hast du dich geirrt, mein Junge. Das wirbelt mir viel zuviel Staub auf. Außerdem bin ich kein Killer wie du.“

„Ich habe keinen ...“

Cory unterbrach den Jungen mit einer raschen Handbewegung. Um seine Mundwinkel lag ein höhnisches Grinsen.

„Das interessiert mich nicht. Du wirst dir jetzt ein Pferd holen und reiten. Beeile dich. Ich habe den Kutscher und Kieler gefesselt. Also brauchst du keine Angst zu haben. Und denke immer an Shelton Falls.“

Ben blickte noch einmal in Lolas bleiches Gesicht. Er sah, dass ihre Hände zitterten. Er hätte gern etwas zu ihr gesagt, doch da er wusste, dass es Cory sicher nicht gefallen würde, unterließ er es. Rasch wandte er sich ab und ging zum Stall. Kurz darauf kam er mit einem gesattelten Pferd wieder heraus und sah Cory, der schon am Tor stand und es geöffnet hatte.

Ben schwang sich in den Sattel und ritt langsam auf den Spieler zu. Als er neben Cory war, hielt der ihm einen Colt entgegen.

„Du wirst ihn bestimmt noch gebrauchen können, Warthon“, sagte er. „Es ist Kielers Waffe.“

Ben nahm den Revolver und schob ihn in den Hosenbund. Ohne noch ein Wort zu sagen, ritt er aus dem Hof.

Grinsend schloss Cory das Tor hinter ihm und ging zurück. Er ging an Lola vorbei, die immer noch an der Hauswand stand, und betrat das Haus. Hinter der Schwelle blieb er wie erstarrt stehen.

Tom Calhoun stand neben seinem Bett; schwankend und bleich. Aber er stand und hatte den Colt in der Hand. Die Mündung zeigte auf Cory.

„Ich bin gerade im rechten Moment munter geworden, wie mir scheint“, sagte er gepresst. „Hände hoch, Cory!“

„Was soll das, Calhoun?“

„Das wissen Sie genau.“

„Ich habe mir die Tasche nicht angeeignet.“

„Solange konnte ich in meiner Verfassung nicht mehr warten, Cory. Sie haben Ben Warthon befreit und werden nun seinen Platz einnehmen. Alles andere wird der Richter in Shelton Falls erledigen. Nun nehmen Sie schon die Hände hoch! Los!“

Cory sah, dass Tom Calhoun schwankte und sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte. Er wollte sich herumwerfen. In diesem Moment erzitterte die Station unter dem Dröhnen des Schusses. heiß fuhr die Kugel über seinen Arm und fraß sich ratschend in die Wand neben der Tür.

Draußen schrie Lola erschrocken auf. Aber sie schien unfähig zu sein, irgend etwas zu unternehmen.

„Hände hoch!“, sagte Tom noch einmal. Langsam hob der Spieler die Hände über den Kopf.

„Lola, kommen Sie herein!“

Das Mädchen tauchte hinter Cory auf. „Was ist mit Kieler und Dreek?“

„Sie ...“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe.

„Sind sie im Stall?“

„Nur Kieler.“

„Halte den Mund!“, schrie der Spieler sie an. „Siehst du nicht, dass er gleich umfallen wird? Los, unternimm etwas!“

„Lola, Sie werden jetzt Kieler befreien und ihn hierher bringen!“

Das Mädchen stand unbeweglich.

„Ich verspreche Ihnen, dass Sie fortgehen können, Lola!“, rief Tom Calhoun.

„Glaube ihm nicht. Er will dich nur täuschen!“

Auf einmal begann das Gesicht des Spielers vor Toms Augen zu verschwimmen. Plötzlich sah er es doppelt. Dann schien sich der Mann zu drehen, und Tom merkte nicht, dass er es war, der fiel und hart auf den Boden schlug.

*


Corys Arme sanken herab. Blitzschnell war er am Tisch und riss die Tasche an sich. Als er sich umwandte, lag ein grausamer Zug in seinem Gesicht.

„Was hätte ich denn tun sollen?“, fragte das Mädchen ratlos.

„Das ist doch gleich. Irgend etwas. Du trägst doch immer eine Waffe bei dir!“

„Du weißt, dass ich nicht will, dass dabei geschossen wird.“

Er ging an ihr vorbei und trat in den Hof hinaus. Ohne sich noch einmal umzuwenden, verschwand er im Stall. Plötzlich stand er steif. Die Ecke, in die er Kieler geschleift hatte, war leer. Er wollte herumfahren. Doch es war zu spät. Irgendein harter Gegenstand krachte auf seinen Kopf und warf ihn vorwärts. Er wurde gegen den Leib eines Pferdes geschleudert und konnte sich nicht mehr aufrecht halten.

Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Lola zusammen, als sie den Stationer aus dem Stall kommen sah. Er hatte die Satteltasche in der Hand.

Einen Schritt vor ihr blieb Kieler stehen und schaute in den Stationsraum hinein. Er sah Tom Calhoun, der sich gerade bewegte.

„Er ist vorhin ohnmächtig geworden“, sagte das Mädchen.

„Wo ist Dreek?“

„Im Schuppen.“

„Kommen Sie!“

Lola ging an ihm vorbei. Sie hörte seine Schritte dicht hinter sich. Dann klappte die Tür zu. Der Stationer trat an den Tisch und legte die Tasche darauf. Ohne sie aus den Augen zu lassen, trat er an eines der Fenster.

„Ich kann mir vorstellen, was in Ihnen vorgeht und was Sie treibt, Lola", sagte er. „Aber Sie dürfen mir glauben, es führt zu nichts. Tag und Nacht würde er Sie verfolgen, wohin Sie sich auch wenden würden. Immer würde er an Ihren Fersen hängen, bis der Tag kommt, an dem Sie sich keinen Rat mehr wissen und es nicht mehr aushal ten können. Wer weiß, wozu Sie in Ihrer Verzweiflung fähig sein werden.“

Lolas Hand glitt in die aufgesetzte Tasche ihres Wildlederrockes und spürte die Umrisse der kleinen einschüssigen Smith & Wesson. Doch die ersehnte Ruhe und Sicherheit strömten nicht auf sie über.

„Ich bin viel herumgekommen und habe schon vieles gemacht, ehe ich hier landete“, sprach Kieler ruhig weitei\ „Auch ich wollte früher immer viel Geld gewinnen, und es gab eine Zeit, da war es mir gleichgültig, wie es geschehen könnte. Doch jetzt führe ich ein ruhiges Leben und bin zufrieden.“

„Sie haben jetzt auch etwas, von dem Sie wissen, dass es Sie ernähren wird, solange Sie leben!“, erwiderte sie heftig.

Kieler nickte.

„Ja, so ist es, Lola“, gab er zurück. „Wenn Sie sich entschließen könnten hierzubleiben, würde es in Zukunft weniger einsam für mich sein.“

„Wollen Sie deshalb übersehen, wie die Lage wirklich ist?“

„Ja, das stimmt. Lola, ich weiß, dass Tom Calhoun nicht so hart ist, wie er sich gibt. Er will nur so sein. Ich weiß, dass er ein Auge zudrücken wird.“

Kieler wandte sich um und schaute hinaus. Er starrte auf die Stalltür und sah, dass sie sich bewegte. Er riss das Gewehr, das neben dem Fenster lehnte, hoch. Da sah er Cory auftauchen und schob das Gewehr über den Fenstersims.

Plötzlich hatte Lola ihre kleine Pistole in der Hand und richtete sie auf Kielers Rücken.

„Ich werde ihn nicht töten“, sagte der Stationer. „Ich töte keinen Mann, der sich in einer Lage befindet, in der ich selbst schon war. Ich werde ihn fortschicken und ihm sagen, dass er sich alles noch einmal überlegen soll, so wie ich es mir damals überlegt habe. Aber wenn er noch einmal zurückkommt, nehme ich keine Rücksicht mehr. Dann ist er selbst schuld.“

Lolas Hand mit der kleinen Waffe sank herab.

Cory war noch immer beim Stall.

„Cory, nehmen Sie sich ein Pferd und reiten Sie!“, rief der Stationer. „Ich denke, dass die Postgesellschaft das verkraften kann. Aber dann verschwinden Sie und kommen Sie nie wieder zurück!“

Cory sprang in den Stall hinein. Dann krachte ein Schuss, und die Kugel ging knapp an Kieler vorbei. Ratschend fraß sie sich in die gegenüberliegende Wand des Raumes.

Da riss Kieler das Gewehr an die Wange und schoss zurück. Moos rieselte aus der Stallwand.

„Cory, Sie sind ein Narr! Die Tasche ist hier. Sie kommen nicht an sie heran. Sie haben nur noch eine Chance. Nehmen Sie sie wahr!“

„Lola!“, rief der Spieler.

„Sie ist hier und hat sich vorgenommen, vernünftig zu sein.“

„Lola, so antworte doch!“

„Sam, es stimmt. Ich bin hier!“

„Kieler, das war doch alles nur Bluff!“

„Lola, sagen Sie ihm, dass ich nicht bluffe.“

„Sam, er meint es wirklich so!“

Drüben am Stall wurde die Tür aufgestoßen. Nichts geschah. Dann tauchte der Spieler auf, der ein gesatteltes Pferd am Zügel hinter sich herzog. Noch immer lag der Colt in seiner Hand. Er führte das Pferd zum Tor und stieß es mit einem heftigen Ruck auf.

„Ja, Kieler!“, rief er. „Ich weiß Bescheid. Sie wollen den Kampf nicht, weil Sie nicht wissen, wie er ausgeht. Sie sind ein Narr!“ Der Spieler führte das Pferd hinaus und schloss das Tor wieder. Dann erschallte Hufschlag, der sich rasch entfernte.

Kieler wandte sich um. Noch immer hielt er das Gewehr in der Hand. Doch die Mündung zeigte zu Boden. Lola blickte ihn an. Sie hatte ihre Waffe nicht mehr in der Hand.

„Ich kümmere mich jetzt um Dreek. Außerdem muss ich noch das Tor verschließen. Es ist vielleicht besser, wenn ich die Tasche mitnehme.“

Forschend ruhte sein Blick auf ihrem auch jetzt noch sehr bleichen Gesicht. Doch ihrer Miene war nichts zu entnehmen.

*


Wachsam ritt Sam Cory durch die Buschgruppe. Plötzlich tauchte ein Mann vor ihm auf. Er hielt an und sah, dass es John Monk war. Er hatte ihn sich genau angesehen.

In Monks Hand lag ein Gewehr, dessen Mündung auf Corys Kopf zeigte.

Dann war rechts und links das Brechen von Ästen zu hören. Cory sah aus den Augenwinkeln zwei weitere Banditen auftauchen. Er hoffte, dass keiner der drei wusste, wer es war, der den vierten in der vergangenen Nacht erschossen hatte.

„Her mit der Tasche!“, sagte Monk.

Cory schüttelte den Kopf.

„Ich habe sie nicht. Ich habe versucht, sie an mich zu bringen. Aber es waren zu viele gegen mich. Es hat nicht geklappt. Sie ist noch in der Station.“

„Steig vom Pferd und komm her!“ Cory glitt aus dem Sattel.

„Bliff, sieh mal nach, ob es stimmt, was er gesagt hat.“

Einer der Banditen ging zu Corys Pferd und machte sich am Sattel zu schaffen. Dann kam er um Cory herum und blieb vor John Monk stehen.

„Wenn er die Bucks nicht in den Taschen hat, hat er nicht gelogen.“

„Dann untersuche ihn. Los, die Hände oben!“

Langsam hob Cory die Hände in die Höhe. Suchend glitten die Hände des Kerls in seine Taschen, dann zog er sie enttäuscht zurück, machte einen Schritt vorwärts und zuckte vielsagend die Schultern.

Cory nahm die Arme wieder herunter. Er blickte zu Monk und sah, dass dieser unentschlossen schien.

„Also ist die Tasche doch noch in der Station“, sagte der Bandit.

„Stimmt genau“, erwiderte Cory. „Und Tom Calhoun ist verletzt. Falton hat ihn angeschossen.“

„Aha. Deshalb fuhr die Kutsche nicht weiter.“

„Ja. Sie wird erst morgen früh fahren. Mit ihr Calhoun und die Frau. Sie ist euch bestimmt schon aufgefallen. Aber ihr drei schafft es nicht gegen Calhoun und den Kutscher. Ihr habt keine Chance, weil ihr euch zu ungeschickt anstellt. Aber das habt ihr sicher auch schon festgestellt. In mir habt ihr den Mann, der das Geld an sich bringen kann. Wenn ihr einverstanden seid, können wir die Sache gemeinsam machen. Sechstausend Dollar verlange ich für mich.“

„Du scheinst vergessen zu haben, dass mein Finger am Abzug ist.“

Monk grinste Cory herausfordernd an. „Du irrst. Ich habe es nicht vergessen. Außerdem sehe ich es. Doch ohne mich kommt ihr nie an das Geld heran“

„Er kann recht haben“, brummte Bliff. „Versucht haben wir es ja oft genug. Erreicht haben wir nur, dass wir immer weniger geworden sind.“

„Das kommt davon, wenn man versucht, eine Mauer mit dem Kopf einzurennen“, sagte Cory. Und jetzt war er es, der grinste.

„Also gut. Wenn dein Plan etwas taugt, bekommst du viertausend Dollar. Jeder bekommt seinen Anteil sofort und reitet in eine anderen Richtung. Denn das war der Fehler, den wir damals mit Leet gemacht haben: Wir blieben beisammen.“

„Wo ist der Junge?“

„Ich habe ihn befreit und entkommen lassen.“

„Du?“, fragte Monk und zog die Augenbrauen zusammen, dass sie wie ein dicker schwarzer Strich in seinem Gesicht standen.

„Ja. War er damals mit Leet zusammen?“

„Nein. Wir hatten ihn zufällig getroffen und nahmen ihn ein Stück mit. Wir waren der Meinung, ein Revolver mehr könnte uns nicht schaden.“

„Genauso hatte ich es mir gedacht“

„Warum hast du ihn laufen lassen?“

„Ich hatte mir ausgerechnet, dass Tom Calhoun auf den Gedanken kommen würde, dass auch ihm ein Revolver mehr nützlich sein könnte. Natürlich wollte ich ihn auch auf eine andere Spur lenken. Doch jetzt habe ich das Gefühl, dass ihm das Geld wichtiger ist. Außerdem ist er nicht in der Verfassung, einen Mann verfolgen zu können. Das bedeutet, dass wir es nur mit zwei Männern zu tun haben.“

„Und was ist mit der Frau?“

„Sie wird im richtigen Moment machen, was ich ihr sage.“

„So ist das also.“

„Allerdings.“

Monk ließ das Gewehr sinken.

„Also viertausend. Keinen Cent mehr.“ Seine Stimme klang hart und herausfordernd.

„Einverstanden. Es ist jetzt auch ziemlich einfach.“

„Was glaubst du, wohin Warthon geritten ist?“

„Nach Westen vermutlich. Hier wird er nie wieder auftauchen.“

„Ich bin froh, dass er fort ist. Irgendwie tat er mir leid. Vergessen wir ihn.“

„Wie geht es nun weiter?“, fragte Bliff. „Zeigst du uns nun den Weg, der uns so leicht und sicher an das Geld führt?“

Cory nickte und ging zu dem Postpferd zurück. Federnd schwang er sich in den Sattel.

„Los, holt eure Pferde!“, befahl er. „Wir werden vor der Kutsche herreiten. Die nächste Station wird sie nicht erreichen.“

„Das ist doch nichts Neues“, sagte John Monk und winkte verächtlich ab. „Das haben wir auch schon versucht.“

„Man muss es nur so machen, dass eine andere Kutsche her muss. Daran habt ihr nicht gedacht.“

*


Schwankend ging Tom Calhoun zum Tisch und setzte sich. Die warmen Strahlen der Nachmittagssonne fielen schräg durch das Fenster. Er fühlte sich noch schwach, aber bedeutend besser als am Morgen. So glaubte er, dass er die Fahrt am nächsten Tag wirklich durchstehen konnte. Er hob den Blick von der Tasche und sah in das Gesicht des Kutschers.

„Ben Warthon ist nun fort“, brummte Dreek. „Ich glaube, es wäre besser, Sie würden hier bleiben, bis Sie wieder richtig in Ordnung sind. Dann können Sie sich ein Pferd nehmen. Für einen Reiter gibt es viele Wege nach Shelton Falls. Vielleicht treffen Sie unterwegs keinen Menschen.“

„Ich habe auch schon daran gedacht, Dreek. Sind Sie eigentlich froh, dass Warthon entkommen ist?“

„Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ein Bandit ist. Und ich hatte mir vorgenommen, das dem Richter zu sagen.“

„So?“

„Ja, Calhoun. Sie sollten den Jungen vergessen. Ich bin überzeugt, dass seine Geschichte stimmt.“

„Selbst wenn ich wollte, könnte ich ihn nicht verfolgen“, sagte Tom und blickte Lola starr an. „Haben Sie geholfen, ihn zu befreien, Lola?“, fragte er scharf.

Kieler schob sich in den Vordergrund. „Sie hat nichts damit zu tun“, murmelte er.

„Das verstehe ich nicht.“

„Mit den Frauen ist das hier draußen eine eigenartige Sache, Calhoun. Ich denke, dass auch Sie das wissen. Ich habe ihr angeboten, bei mir zu bleiben.“

„Ich kann mir nicht denken, dass sie daran Spaß findet, Kieler. Wie ich sie einschätze, sucht sie Sicherheit, Leben und Abwechslung Nicht wahr, Lola?“

„Ich habe mich noch nicht entschieden.“

„Damit wollen Sie sagen, dass Sie noch nicht wissen, wie alles läuft. Ich kann nicht verstehen, dass auch Cory entkommen konnte.“

„Wir waren damit beschäftigt, auf das Geld aufzupassen“, knurrte der Stationer. „Das heißt, eigentlich nur ich. Dreek lag ja noch gefesselt im Schuppen.“

„Also gut. Dann bleibt es dabei, dass ich irgendwann auf einem Pferd reite. Wann wollen Sie fahren, Dreek?“

„Nachts ist es zu gefährlich. Ich warte bis morgen früh.“

*


Tom Calhoun blieb stehen. Er lehnte sich an die Tür und schaute Dreek zu, der die Pferde einspannte. Die Sonne war schon aufgegangen.

Plötzlich trat Lola Starr neben ihn. Ihr schmales Gesicht wirkte durchsichtig wie Glas.

„Nun, haben Sie es sich noch überlegt und wollen mitfahren?“, fragte Tom Calhoun.

„Ich habe mich noch einmal mit Kieler unterhalten“, erwiderte sie. „Ich werde sein Angebot annehmen und hierbleiben.“

Misstrauisch blickte er ihr in die Augen. In ihnen schien er zu lesen, dass sie ihn und auch den Stationer belogen hatte. Aber er zuckte die Schultern und sagte: „Es ist Ihre Sache, Lola.“

„Ich danke Ihnen, dass Sie mir nun doch die Entscheidung selbst überlassen wollen“, antwortete sie ironisch.

„Bis jetzt haben Sie immer selbst entschieden. Diesmal haben Sie sich aber anders entschieden, als Sie zugeben. Nun, Sie müssen es wissen.“

Wortlos wandte sie sich um und ging ins Haus zurück.

„Lola, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue“, hörte Tom den Stationer sagen. „Sie werden es bestimmt nie bereuen.“

„Hoffentlich.“

Tom Calhoun stieß sich vom Türpfosten los und ging zu Dreek hinüber. Dreek wuchtete soeben den Postsack in die Kutsche und warf dann den Schlag zu. Er schaute Tom an und gab ihm die Hand.

„Ich denke, dass wir uns in Shelton Falls sehen werden“, sagte Tom Calhoun. „Sie haben mir sehr geholfen und dafür möchte ich mich bedanken, auch wenn es am Anfang so aussah, als ständen Sie nicht auf meiner Seite.“

„Gern habe ich es bestimmt nicht getan, Calhoun“, knurrte der Kutscher. „Aber ich weiß, es war meine Pflicht. Werden Sie nach dem Jungen suchen?“

„Warum?“

„Weil ich fest daran glaube, dass er unschuldig ist, und weil ich möchte, dass er entkommen kann. Niemand wird mehr von ihm reden. Wir sind doch die einzigen, die von ihm wissen.“

„Und die Leute in San Angelo?“

„Für die ist Shelton Falls weit weg. Nie werden sie den Zusammenhang erfahren. Versprechen Sie mir, dass Sie nicht nach ihm suchen werden!“

„Ja, Dreek. Vielleicht haben Sie recht und er ist unschuldig.“

Zufrieden ließ der Postfahrer die Hand Tom Calhouns los.

„Dreek, es ist möglich, dass die Banditen irgendwo auf Sie warten.“

„Ich weiß.“

„Riskieren Sie nichts. Halten Sie an und lassen Sie die Kutsche untersuchen.“

„Genau das habe ich vor.“

Noch einen Herzschlag lang blickten sie sich in die Augen. Dann kletterte Dreek auf den Bock und knallte mit der Peitsche.

Kieler stand neben dem geöffneten Tor. Grüßend hob er die Hand, als die Kutsche an ihm vorbeirollte. Dann wandte sich der Stationer um und schloss das Tor.

Langsam ging Tom Calhoun zum Haus zurück. Immer heftiger bohrte der Schmerz in seiner Hüfte. Vielleicht war er gar nicht fähig, nach Shelton Falls zu reiten.

Mit müden Schi'itten betrat er das Haus. Er sah Lola Starr, die am Tisch saß und auf die Tasche starrte.

„Es ist mir einfach unverständlich, wie verrückt die Menschen sind“, sagte er. „Wegen dieser schäbigen Tasche bringen sie sich alle um.“

„Dieses Spiel scheint Ihnen aber Spaß zu machen, Calhoun“, erwiderte sie herb.

„Spaß“, wiederholte er nachdenklich und schüttelte den Kopf. „Nein, es macht mir keinen Spaß. Aber ich bin überzeugt, dass ich diesem Land einen guten Dienst erweise, wenn ich ein paar der schlimmsten Verbrecher zur Strecke bringe.“

Einen Moment musterte sie ihn kalt.

„Sie sind ein Revolvermann!“

Tom zuckte die Schultern und setzte sich.

„Kieler, passen Sie draußen auf. Die Banditen werden zurückkommen. Und beten Sie, dass Dreek ungeschoren durchkommt. Ihm ist es zu wünschen.“

„Vielleicht hat Monk wieder Leute gefunden, die auf das Geld scharf sind.“

„Dann ist es an uns, anderen Leuten Arbeit abzunehmen.“

„Sie sollten ...“

„Meine Chance, jetzt nach Shelton Falls zu kommen, ist verschwindend, Kieler. Sie wissen es. In vier Tagen werden Soldaten hier sein. Bis dahin sollten sie sich die Finger verbrennen, wenn sie meinen, ohne das Geld nicht leben zu können! Alle!“, sagte er scharf und blickte Lola an.

„Soll das heißen, dass Sie gar nicht reiten?“, fragte der Stationer.

„Das hängt davon ab, wie ich mich morgen fühle und was sich bis dahin ereignet hat, Kieler.“

*


Heftig knallte Dreek mit der Peitsche und zwang so die Pferde, die schwere Kutsche die Steigung hinaufzubringen. Endlich hatten sie es geschafft. Der Weg wurde flach und fiel schließlich zu einem kleinen Tal ab.

Als die Pferde immer schneller wurden, setzte Dreek den rechten Fuß auf den langen Bremshebel. Knirschend mahlten die Holzklötze an den Eisenreifen. Holzsplitter flogen herum. Plötzlich lag ein großer Busch breitgetreten mitten auf dem Weg. Noch ehe Dreek darüber nachdenken konnte, gingen die Pferde über das Hindernis hinweg.

Eines der Tiere stolperte. Die Kutsche lief auf. Krachend fiel das linke Vorderrad in ein Loch, das sich unter dem Busch befand. Dann wurde es von der Wucht des Aufpralls wieder hochgeschleudert und zerbrach berstend. Da war schon das zweite Hinterrad in dem Loch. Ein heftiger Ruck ging durch die Kutsche, und sie kam zum Stehen.

Der starke Aufprall hob Dreek vom Bock und schleuderte ihn durch die Luft. Sich überschlagend landete er zwischen den auskeilenden Pferden. Dann hörte er die Schüsse und anfeuernde Rufe. Ratschend fuhren die Kugeln in die Kutsche. Um ihn waren die wirbelnden Hufe der erschrockenen Pferde. Plötzlich knickte eins der Tiere ein. Mit einem Satz warf er sich darüber hinweg und über den Straßenrand. Er wollte sich aufrichten. Dann sah er ein Paar Stiefel vor sich und eine Faust zog ihn in die Höhe.

„Aufhören!“, hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam.

Den Mann vor sich kannte er nicht. Doch da tauchte neben ihm Cory auf. Hinter ihm wurde die Tür der Kutsche zugeschlagen.

„Du hast wirklich alles genau ausgerechnet, Sam“, sagte John Monk. „Wenn wir es nicht wollten, hätte keiner überlebt. Aber was nun?“

Cory machte einen Schritt auf Dreek zu und fuchtelte mit dem Colt vor seiner Nase herum.

„Wo ist er?“, schrie er.

„Wer?“

„Du weißt, von wem ich rede!“

„Wenn du Calhoun meinst, muss ich dir sagen, dass er in der Station geblieben ist. Er fühlte sich noch zu schwach, um in der Kutsche zu reisen.“

„Soll das heißen, dass er ein Pferd genommen hat?“

„Nicht bevor ich fortfuhr. Aber es ist möglich, dass er es tut, Cory.“

„Bliff, untersuche den Wagen gründlich“, sagte Monk zu seinem Kumpan.

Dreek hörte, wie sich der angesprochene Bandit entfernte. Dann knarrten Türscharniere, und irgend etwas wurde auf den Weg geworfen.

Cory stand da, als wären ihm alle Felle weggeschwommen. Damit, dass Calhoun bei Kieler bleiben könnte, hatte er offenbar nicht gerechnet.

„Ich werde das Gefühl nicht los, als würde Tom Calhoun mit uns allen spielen“, knurrte John Monk. „Er hatte öfters die Gelegenheit zu verschwinden. Aber die Mühe hat er sich nicht gemacht. Er hat es immer so eingerichtet, dass wir genau informiert waren, wo er sich aufhält. Jetzt also ist er in der Station, und ich bin fest davon überzeugt, dass er uns bereits erwartet.“

„Rede keinen Unsinn“, brummte der Spieler. „Natürlich kommt er sich mächtig stark vor. Aber er hatte bisher einen Gefangenen bei sich. Deshalb war die Postkutsche für ihn der einzige Weg. Wäre er mit Warthon nach Shelton Falls geritten, hätte er auf alles allein achten müssen. So halfen ihm andere dabei.“

„Du auch, Cory!“

„Natürlich. Ich hatte gar keine andere Möglichkeit. Aber ich war immer darauf bedacht, keinen von euch zu treffen.“

„Das kannst du jetzt behaupten, Sam. Keiner von uns kann dir das Gegenteil beweisen!“

„Ich habe nichts gefunden!“, rief Bliff. „Der Kutscher hat das Geld nicht.“

„Immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie versuchen würden, uns zu täuschen“, meinte Monk. „Was soll nun mit dem Kutscher werden?“

„Nichts“, meinte Cory. „Aber das Gewehr müssen wir ihm wegnehmen. Sonst kommt er noch auf den verrückten Gedanken, hinter uns herzuschießen.“

Verächtlich bog John Monk die Mundwinkel nach unten.

„Was ist?“, fragte der Spieler. „Denkst du daran, wie ihr es bisher gemacht habt?“

„Schon möglich.“

„Dann versuche es schnell wieder zu vergessen. Inzwischen wird auch dir aufgefallen sein, wohin euch das geführt hat. Nur Narren bringen unbedingt einen Mann um!“

„Vergiss nicht, dass er in Shelton Falls sagen wird, dass wir die Kutsche angehalten haben. Er wird es einen Überfall nennen.“

„Es spielt keine Rolle, wie er es nennt. Wichtig ist, dass außer einem Pferd nichts verloren ging. Die Postgesellschaft wird sich deshalb keine unnütze Mühe und Geldausgabe machen.“

„Befürchtest du nicht, dass dein Name im Zusammenhang mit dem Geld genannt werden könnte? Ich meine, mit dem Geld und dem Überfall!“

„Nein, John. Bekannt wird es sowieso. Aber solange dabei niemand getötet wurde, ist das halb so schlimm. Außerdem wird es mir nicht viel Mühe machen, mir einen anderen Namen einfallen zu lassen. Bliff, hole sein Gewehr!“

Der Bandit brachte das Gewehr, und Cory nahm es ihm aus der Hand.

Dreeks Blicke wanderten wachsam von einem zum anderen der Banditen. Gegen alle hatte er keine Chance.

„Das verstehe ich nicht“, knurrte Monk. „Vorhin haben wir doch auch geschossen. Dabei konnte er genauso getötet werden.“

„Das war etwas anderes. Vorhin wollten wir noch etwas gewinnen. Inzwischen wissen wir, dass es nichts zu gewinnen gibt. Rod, mach du es!“

Dreek blickte auf den Mann, der vorhin direkt vor ihm gestanden hatte. Jetzt kam er wieder auf ihn zu und streckte den Arm aus.

Ein schmetternder Hieb traf seinen Hinterkopf. Er wurde gegen die Kutsche geschleudert und brach an ihr zusammen.

Monk hatte den Colt in der Hand und drehte die Walze durch.

„Du lässt es!“, sagte Cory zischend. „Sonst würdest du es bedauern!“

„Das klingt ja so, als hättest du es noch nie gemacht.“

„Das geht dich nichts an. Bestimmt würde ich es nie ohne einen zwingenden Grund tun. Dass wir es waren, die die Kutsche angehalten haben, werden alle Leute annehmen, sobald sie davon hören.“

Monks Hand mit dem Revolver sank herab.

„Wir reiten!“, kommandierte Cory. „Das sieht ja fast so aus, als hättest du das Kommando bei unserem Haufen übernommen, Sam?“

„Vielleicht will ich das."

„Ich werde es nicht zulassen.“

„Das wäre nicht sehr klug von dir, John. Du hast doch gesehen, dass ich klüger bin als du. Auch die anderen haben es festgestellt.“

„Es ist aber nichts dabei herausgekommen.“

„Dafür konnte ich nichts. Wir holen das Geld jetzt. Calhoun und Kieler sind allein in der Station. Bei ihnen ist noch die Frau. Sie wird uns helfen. Ich sage euch, jetzt bekommen wir die Dollars!“

*


Als Al Dreek die Augen aufschlug, war der Hufschlag verklungen. Nur die von den Hufen aufgewirbelte Staubwolke hing noch träge in der Luft.

Stöhnend richtete sich der Kutscher auf. Mit beiden Händen hielt er sich den Kopf, in dem ein dumpfer Schmerz rumorte. Dabei merkte er, dass er seinen Hut verloren hatte. Er lag neben ihm auf dem Boden. Als er sich danach bücken wollte, fiel vor ihm ein langer Schatten auf die Erde, der sich bewegte.

Eine unbestimmte Angst überfiel Dreek und schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Er wagte es nicht, den Kopf zu heben. Sicher hatte einer der Banditen hier gewartet, weil er anders über die Sache dachte.

Jetzt bewegte sich der Schatten nicht mehr.

Schließlich richtete sich Dreek auf.

Vor ihm stand Ben Warthon. Seine Hand lag auf dem Revolver, den er im Hosenbund trug.

„Du bist es, Ben“, kam es erleichtert über Dreeks Lippen. „Tom Calhoun nimmt an, dass du nach Westen geritten bist.“

„So?“

„Ja. Was willst du? Ich habe das Geld nicht.“

„Ich will das Geld nicht. Ich habe es nie gewollt, Dreek. Aber ich habe mir überlegt, dass ein Mann immer auf der Flucht sein muss, wenn er erst einmal damit angefangen hat.“

„Damit kannst du recht haben“, sagte Dreek. „Ich glaube, Calhoun war nicht mehr überzeugt davon, dass du ein Bandit bist. Was willst du jetzt tun?“

„Zurückreiten, Dreek. Soll er mich ruhig nach Shelton Falls bringen. Wenn der Richter mir glaubt, habe ich Glück gehabt, wenn nicht, kürze ich die Zeit nur ab.“

„Die Banditen sind auch zur Station zurückgeritten. Cory hat sich mit ihnen verbündet. Sie haben ungefähr zwanzig Minuten Vorsprung. Tom Calhoun wird deine Hilfe gebrauchen können. Vielleicht würde ihn das von deiner Unschuld überzeugen.“

„Wohin wollen Sie, Dreek?“, fragte Ben Warthon. „Sie können doch mit der Kutsche nicht weiter.“

„Ich komme auch zurück. Aber mit den drei Pferden werde ich nicht sehr schnell sein. Außerdem muss ich erst die Postsachen wieder einpacken. Die Halunken haben mir alles durcheinandergeworfen. Reite, Junge. Tom Calhoun wird es dir danken. Die Frau ist auch in der Station. Sicher hat es nicht so geklappt, wie Cory und die anderen es sich vorgestellt hatten.“

„Also hat Calhoun die Satteltasche noch.“

„Ja.“

Der Junge wandte sich um und verschwand zwischen den Büschen. Kurz danach kam er mit seinem Pferd wieder zum Vorschein.

Dreek nickte ihm zu.

Ben stieg in den Sattel und galoppierte auf dem Weg zurück.

*


Leise trat Lola Starr an das Bett, auf dem Tom Calhoun lag. Sie dachte, dass er schlief, denn sein Atem ging sehr ruhig, und seine Hand war von der Tasche gerutscht.

Fast schien ihr der Herzschlag zu stocken. Dann raste ihr das Blut durch die Adern, und sie hatte Angst, ihre zitternden Hände könnten sie verraten.

Doch die Macht, die von der abgeschabten Tasche ausging, war stärker als alles andere. Sie streckte die Hand aus und nahm sie an sich. Der sonst so wachsame Mann hatte die Augen noch immer geschlossen. Schritt um Schritt zog sie sich zurück. Endlos weit erschien ihr der Weg bis zur Tür. Dann hatte sie es geschafft und wandte sich um.

Sie sah den Stationer, der auf der Laufplanke hinter dem Palisadenzaun stand. Rasch verließ sie das Haus und schlich über den Hof. Als sie neben dem Brunnen stehenblieb, bewegte sich der Mann.

Blitzschnell duckte sie sich hinter die Mauer und wartete. Sie hörte Schritte, unter denen die Planke knarrte. Dann wurde es wieder still.

Als Lola endlich wagte, über den Brunnenrand zu blicken, sah sie Kieler. Er stand jetzt ein Stück weiter rechts, blickte aber noch immer nach draußen.

Vorsichtig stand sie auf und ging weiter. Sie kam zum Stall, ohne dass der Mann sie bemerkt hatte.

Im Stall sattelte sie mit fliegenden Fingern ein Pferd, zog den Bauchgurt fest und griff in die Tasche, um die einschüssige Pistole herauszunehmen. In einer schlaflosen Nacht hatte sie sich ausgerechnet, dass die vielen Dollars alles ändern würden. Eigentlich hatte sie es mit Cory machen wollen, doch dann waren ihr auf dem langen Weg hierher Zweifel gekommen, ob es der Spieler ehrlich meinte.

Sie führte das Pferd in den Hof und stieg in den Sattel. Die Tasche hängte sie ans Horn.

In diesem Moment wandte sich Kieler um. Das Gewehr hatte er mit der Kolbenplatte neben sich auf den Boden gestellt. Maßloses Staunen lag in seinem Blick.

„Los, Kieler, machen Sie das Tor auf“, sagte sie kalt. Die Smith & Wesson hatte sie auf ihn gerichtet.

„Was soll das, Lola? Sie haben doch gesagt ...“

„Ich habe gelogen, Kieler. Ich wollte nur das Geld. Jetzt habe ich es. Öffnen Sie endlich das Tor!“

Ratlos blickte Kieler zum Haus hinüber. Offenbar hoffte er auf Tom Calhoun. Doch der zeigte sich nicht. Da stieg er von der Planke und zog den Balken aus den eisernen Krampen.

„Und jetzt werfen Sie das Gewehr hinaus!“, kommandierte das Mädchen „Los, beeilen Sie sich!“

„Ich weiß, dass Sie nicht schießen, Lola!“

„Verlassen Sie sich lieber nicht darauf. Ich brauche das Geld!“

Da gab es Kieler auf. Er warf das Gewehr hinaus und öffnete ihr das Tor.

„Vorwärts!“, schrie das Mädchen und presste dem Pferd die Absätze in die Flanken. Wie von der Sehne geschnellt, schoss es durch das offene Tor.

Mit müden Schritten ging Kieler hinter ihr her und bückte sich nach seinem Gewehr. Jetzt könnte er hinter ihr herschießen. Vielleicht konnte er das Pferd treffen.

Doch er wusste, dass er sein Gewehr nie auf eine Frau anlegen würde. Auch jetzt nicht. Er wandte sich um, ging in die Station und schloss das Tor. Dann lief er zum Haus.

Hinter einer Rotdornhecke zügelte Lola ihr Pferd. In der Ferne sah sie eine Staubwolke. Vier Punkte schoben sich vor ihr her. Eine dunkle Ahnung sagte ihr, dass es Cory war, der sich näherte.

In dieser Sekunde wurde ihr auch klar, dass Sam kein ehrliches Spiel mit ihr treiben wollte. Eine andere Richtung einschlagend, trieb sie das Pferd wieder an.

*


Auf der Schwelle blieb Kieler stehen. Er blickte Tom Calhoun an, der auf dem Bettrand saß und auf dessen Stirn die Schwäche dicke Schweißperlen gezaubert hatte. Tom Calhoun hatte mehr Blut verloren, als für einen Mann in seiner Lage gut war. Kieler wusste das.

Trotzdem wunderte er sich, dass Tom Calhoun so ruhig dort saß.

Der Stationer betrat den Raum und lehnte sein Gewehr an die Wand.

„Sie ist fort“, sagte er leise.

„Ja. Ich habe ihre Stimme gehört. Sie klang sehr befehlend. Davon muss ich munter geworden sein.“

„Aber sie hat die Tasche bei sich!“, schrie der Stationer.

Tom Calhoun nickte.

„Ich weiß“, erwiderte er.

„Calhoun, das Geld!“, rief Kieler außer sich.

„Ja. Niemals hätte sie Ruhe gegeben. Der Gedanke an das Geld hatte sich so fest in ihren Kopf eingenistet, dass sie nur noch daran denken konnte. Jetzt hat sie es. Ich kann nur hoffen, dass sie einsieht, im Unrecht zu sein, und zurückkommt.“

„Ist das Ihr Ernst?“

„Ja. Mir bleibt nichts anderes übrig.“ Tom Calhoun erhob sich und griff nach dem Colt, der neben dem Bett auf dem Stuhl lag.

Plötzlich reckte Kieler lauschend den Kopf.

„Reiter kommen“, sagte Tom. „Bleiben Sie hier, Kieler. Wir können das Haus gut verteidigen.“

„Ich werde ihnen zurufen, dass wir das Geld nicht haben!“

„Sie werden es nicht glauben.“

Da krachte der erste Schuss. Kratzend fuhr die Kugel über das Dach. Tom war ans Fenster getreten und lehnte sich gegen den Sims. Der Hufschlag war verklungen.

Kieler repetierte das Gewehr. Uber den Palisaden tauchte ein Kopf auf.

Mit einem trockenen Bellen entlud sich Kielers Waffe.

Der Kopf war verschwunden.

„Sie sind zu aufgeregt“, sagte Tom.

Wieder hob Kieler das Gewehr und schoss auf die Hutkrone, die sich am Zaun in die Höhe schob. Sofort verschwand sie.

Dann wurde es draußen still.

Kieler schob neue Patronen in den seitlichen Füllschlitz seiner Waffe.

Da tauchte draußen ein Hut auf, der etwas hin und her schwankte.

Die beiden Männer im Stationsraum schossen nicht.

Der Hut wanderte draußen am Zaun entlang. Er wippte auf und nieder, so dass es aussah, als würde jemand am Zaun entlangreiten.

Plötzlich wurde das Haus von einem berstenden Knall erschüttert, dem das Prasseln von Glas folgte. Im nächsten Augenblick schlug etwas auf die Fichtenholzdielen.

Tom wirbelte herum. Der stechende Schmerz in der Hüfte ließ ihn zusammenzucken.

„Verdammt, daran haben wir nicht gedacht“, sagte Kieler. „Sie sind von hinten ins Haus eingedrungen. Was wollen wir jetzt machen?“

„Bleiben Sie ruhig stehen. Es sind nicht viele.“ Tom blickte auf die Tür, hinter der Kielers Schlafraum lag. Plötzlich hörte er etwas zu Boden poltern.

Von draußen wurde wieder geschossen. Pfeifend fuhr die Kugel über den Hof und schlug pochend in die Außenwand des Hauses. Kieler fuhr herum und schoss wieder hinaus.

„Calhoun!“, ertönte da Corys Stimme aus dem Hinterraum.

„Was willst du?“

„Du weißt es. Sag Kieler, er soll über den Hof gehen und die Tasche über den Zaun werfen!“

„Wir haben die Tasche nicht.“

„Spar dir deine Lügen.“

„Lola ist fort. Sie hat sie mitgenommen. Rufe sie doch. Du wirst sehen, dass dir niemand antwortet.“

„Ihr habt sie gefesselt und geknebelt“

„Komm her und überzeuge dich, dass sie nicht hier ist.“

„Das könnte dir so passen“, gab Cory zurück. „Ich werde hier ein Feuer entfachen, wenn ihr euch nicht beeilt. Wenn das ganze Haus in Flammen steht, werdet ihr von selbst kommen.“ „

Cory, selbst wenn wir die Tasche hätten, würden wir sie nicht mit hinausbringen.“

Corys unterdrückter Fluch schallte durch die Tür.

„Das habe ich dir doch gleich gesagt“, knurrte eine zweite Stimme. „Niemals gibt der uns das Geld. Lieber lässt er es verbrennen. Der Gedanke mit dem Anbrennen ist nicht gut. Los, sie sind doch nur zu zweit!“

„Du kannst ja den Anfang machen!“, rief der Spieler.

Als jemand gegen die Tür trat, gab der Stationer sofort einen Schuss ab. Die Kugel durchschlug die Türfüllung. Eine Sekunde später schob sich der Lauf eines Gewehres gegen das Loch. Eine Mündungsflamme leckte in den großen Vorderraum herein. Die Kugel ging dicht an Kieler vorbei, strich durch die offene Tür und fuhr ratschend in die Wand des Stalles.

Schnell veränderte Kieler seinen Standort.

Da erdröhnte das Haus schon unter dem nächsten Schuss. Mit einem Gewehrkolben wurde ein Loch in die Türfüllung geschlagen. Ein Colt erschien in dem Loch.

Im selben Augenblick, als Tom die Hand sah, schoss er. Doch er traf nicht. Seine Hand zitterte zu stark. An der Wand entlang schob er sich bis in die Ecke.

Draußen krachten die Schüsse jetzt in rasender Folge.

„Rod, mach das Tor auf!“, rief eine barsche Stimme.

Tom blickte zu dem Stationer und sah ihn schießen. Er war vom Kamin gegen die Sicht aus dem Hinterzimmer gedeckt.

„Einer ist im Hof!“, rief er.

„Jetzt holt euch der Teufel, Calhoun!“, schrie Cory. „Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, das Geld herauszugeben!“

„Der kommt mir nicht mit einem blauen Auge davon, das verspreche ich dir“, ertönte die zweite Stimme. „Der Bursche ist mir unheimlicher als zehn Giftschlangen. Wenn wir von hier fortgehen, will ich wissen, dass er sich nicht mehr an meine Fersen hängen kann. Los, die Tür auf!“

Hämmernd schlug etwas gegen die Tür. Sie sprang auf. Noch zeigte sich niemand.

Draußen bewegte sich knarrend das große Tor im Palisadenzaun. Dann knirschten Schritte im Sand.

Mit einem mächtigen Satz sprang Kieler nach rechts, kippte den Tisch um und warf sich dahinter.

Drei Schüsse peitschten in rasender Folge auf.

„Eins kann ich euch sagen“, sagte Tom leidenschaftslos. „Die Postgesellschaft wird diese Sache nie auf sich beruhen lassen. Wohin ihr auch reitet, sie werden euch hetzen. Und dabei könnt ihr nichts gewinnen, denn das Geld ist wirklich nicht hier.“

Statt einer Antwort folgten mehrere Kugeln, untermalt von einem Hohngelächter.

Toms Wunde schmerzte so stark, dass vor seinen Augen alles zu verschwimmen schien. Er ging in die Knie. Plötzlich sah er, dass sich das Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, verdunkelte. Instinktiv ließ er sich nach vorn fallen. Der Schmerz durchraste seinen ganzen Körper. Er hörte das giftige Sirren der Kugel und dicht neben sich den Einschlag in die Wand.

Als er sich zur Seite rollte, sah er das Gesicht im Fensterausschnitt. Davor den rauchenden Revolver, dessen Mündung auf ihn zeigte. Erst als seine Waffe im Rückschlag zuckte, wurde er sich bewusst, geschossen zu haben. Ein langgezogener Schrei hallte durch die Station. Das Gesicht war verschwunden.

„Rod“, sagte plötzlich eine brüchig klingende Stimme. „John, Rod ist tot.“

Kieler schoss wieder auf die Hintertür. Nun wussten sie, dass Cory mit Monk in dem Zimmer war. Doch keiner von ihnen wagte es, in den großen Stationsraum einzudringen, denn sie wollten unverletzt an das Geld kommen.

„Bliff!“, schrie Cory.

„Ich bin vor dem Haus!“

„Kannst du sehen, ob die Frau drin ist?“

„Nein, Sam. Vielleicht hat er nicht gelogen.“

„Quatsch. Bestimmt sitzt sie irgendwo und ist geknebelt. Versuche es durch das Küchenfenster.“

An der offenen Tür huschte ein Schatten vorbei.

Den Tisch vor sich herschiebend, bewegte sich Kieler auf die Küchentür zu. Dann sprang er auf und hastete in die Küche hinein.

Fast gleichzeitig peitschten zwei Schüsse auf. Draußen knirschte der Sand unter Stiefelsohlen.

Der Stationer fluchte.

„Vorsicht, Calhoun!“, rief er. „Der Kerl ist noch im Hof. Ich habe ihn nicht getroffen.“

Tom hatte sich auf den Bauch gedreht. Er hatte gehofft, dass so die Schmerzen etwas nachlassen würden. Doch das stimmte nicht. Schweiß brannte jetzt auf seinem ganzen Körper. Es fiel ihm schwer, die Hintertür weiter zu beobachten. Er kroch weiter, bis er den Tisch erreicht hatte und blieb dahinter liegen.

Plötzlich ertönte im Hof heftiges Gewehrfeuer. Tom dachte, dass Kieler durch das Küchenfenster nach draußen gestiegen sein musste.

„Verdammt, ich kann sie nirgends sehen“. sagte eine Stimme, die sehr nahe klang. Tom fuhr in die Höhe. Doch vor sich sah er nur die Tischplatte. Er wollte sich ganz aufrichten, schaffte es aber nicht.

Im Hof erschallte ein Schrei.

„Was ist denn bloß los?“, hörte Tom den Stationer aus der Küche fragen.

„Kieler, wo sind Sie denn?“, rief Tom und machte noch einmal den Versuch, sich aufzurichten. Er schaffte es bis auf die Knie und konnte den Kopf wenden. In der Tür stand Ben Warthon. Er hatte jetzt einen rauchenden Colt in der Hand, und sein Gesicht war wie zu Stein erstarrt. Er hob den Colt und schoss auf die Tür.

„Der Satan soll euch alle holen!“, rief er und ging vorwärts.

Endlich stand Tom auf den Beinen.

„Bleib stehen“, sagte er. „Sie warten nur auf den Moment, uns töten zu können. Der Kampf geht doch um nichts mehr. Lola Starr ist mit der Tasche fort.“

Ben war stehengeblieben.

Plötzlich sprang Monk, der es anscheinend nicht mehr abwarten konnte, in den Raum herein.

Tom sah ihn jetzt ganz deutlich. Er hob die Waffe und schoss. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde dem Banditen der Colt aus der Hand geschleudert.

Ben und der Stationer richteten ihre Waffen auf ihn, und Kieler sagte: „Komm herüber. Du hast keine Chance mehr.“

Monk wurde bleich.

„Sie ist wirklich nicht hier“, sagte er stöhnend. „Sam, hast du gehört?“

„Komm endlich. Oder ich drücke ab.“ Kieler hob die Waffe etwas an.

Monk schien einzusehen, dass er sich zu weit vor gewagt hatte und kam langsam vorwärts.

Aus dem angrenzenden Raum waren Schritte zu hören. Dann knirschte Sand.

„Jetzt haut Cory ab“, sagte Kieler.

Tom nickte.

Monk wollte sich auf Ben werfen, der ihm den Weg zur Tür versperrte. Da presste ihm der Stationer die Waffe in die Hüfte.

„John Monk, jetzt wirst du Tom Calhoun sagen, dass ich mit dem Raub nichts zu tun hatte“, sagte der junge Texaner so leise, als würde er nur für sich sprechen. Dann aber schrie er: „Los, sag es ihm. Sag ihm, dass wir uns zufällig getroffen haben und dass ich gar nicht wissen konnte, wer ihr seid und was ihr bei euch hattet!“

Unsicher blickte Monk zur Seite.

„Rede!“, sagte Tom. „Ich glaube nicht, dass Ben Spaß macht.“

„Es stimmt. Er war nicht dabei“, zischte Monk. Dann schlug er das Gewehr mit einer raschen Bewegung zur Seite.

Krachend fuhr die Kugel aus dem Lauf. Aber sie ging hinter Monk vorbei.

Monk schleuderte Ben zu Boden und sprang über ihn hinweg.

Da holte ihn Kielers zweite Kugel ein. Auf der Türschwelle brach er zusammen.

Jäh klang Hufschlag auf. Draußen vor den Palisaden wallte Staub in die Höhe.

„Hast du Dreek gesehen?“, wandte sich Tom an Ben Warthon.

„Ja. Er kommt auch zurück. Sie haben die Kutsche aufgehalten. Ihm ist aber nichts geschehen. Warum verfolgen Sie Cory nicht?“

„Ich will nicht. Ben, warum bist du eigentlich zurückgekommen?“

„Weil ich mir ausgerechnet hatte, dass ein Mann, der einmal auf der Flucht ist, sein Leben lang fliehen muss. Sie haben Monks Worte gehört.“

„Ja. Und ich muss dich um Entschuldigung bitten. Ich muss blind vor Hass gewesen sein. Vielleicht ist das der Grund, dass ich Cory nicht verfolge.“

*


Sam Cory starrte auf die Spur, die sich durch das Buschwerk zog.

„Sie hat es geschafft und will alles für sich allein haben“, murmelte er vor sich hin.

Vor ihm tat sich eine freie Fläche auf, auf der hohes Gras stand. Plötzlich hielt er an. Er hatte Geräusche gehört, die ihm entgegenwehten. Zweige brachen unter Pferdehufen. Dann tauchte ein Reiter auf. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf Corys Gesicht aus. Er hatte Lola Starr erkannt, die ihm entgegenkam. Er lehnte sich auf dem Sattelhorn zurecht und wartete. Bald erkannte er die Tasche, die sie am Sattelhorn hängen hatte. Sie war noch immer von Riemen umschlungen. Aber irgendwie sah das Ganze unordentlich aus, so, als hätte sie die Tasche geöffnet.

Lola hielt ihr Pferd an.

„Nanu“, meinte er. „Du bist wohl umgekehrt, weil es dir zu einsam war?“

Ihr Gesicht zeigte keine Überraschung. Es wirkte leer und sah jetzt noch älter aus als vorher. Sie nahm die Tasche vom Sattelhorn und warf sie ins Gras.

„Nein“, sagte sie kalt.

Das Grinsen verschwand wie weggewischt aus Corys Gesicht.

„Was soll das?“, fragte er.

„Sam, ich habe etwas dazugelernt und reite zurück. Von mir aus kannst du sie nehmen. Ich will sie nicht mehr.“

„Das verstehe ich nicht.“

Sie zuckte die Schultern.

„Vielleicht kommst auch du bald dahinter, dass Tom Calhoun uns allen überlegen ist“, sagte sie, trieb ihr Pferd an und ritt an ihm vorbei.

*


„Das ist doch unmöglich“, murmelte Kieler, als er Lola sah, die im aufgeschwungenen Tor auftauchte und müde hereinritt. „Das kann doch nicht wahr sein.“

Tom lehnte an der Wand und blickte ihr entgegen.

„Sagte ich nicht, dass sie zurückkommen würde?", sagte er. „Irgendwann sehen es die meisten Menschen ein. Gut sind die dran, die es beizeiten einsehen.“

Am Brunnen hielt Lola ihr Pferd an und stieg mit einer unendlich müde wirkenden Bewegung aus dem Sattel.

„Wo ist die Tasche?“, fragte Kieler kratzig.

„Unterwegs traf ich Cory. Ich denke, er hat sie mitgenommen.“

Ratlos blickte Kieler auf Tom. Der zuckte die Schultern.

„Vielleicht kommt auch er zurück“, meinte er. „Aber nur, wenn er ein Narr ist. “

„Wieso?“, fragte der Stationer.

„Ich glaube, wir waren alle verrückt“, sagte Tom Calhoun leise. „Ich wollte unbedingt die Banditen wie der Richter in Shelton Falls bekämpfen. Und die anderen wollten die Tasche, von der keiner wusste, ob wirklich in ihr ist, was jeder dachte.“

„Jetzt verstehe ich kein Wort mehr.“

„Dann will ich versuchen, es Ihnen zu erklären. Eigentlich ist es gar nicht mehr wichtig. In der Tasche stecken acht Zeitungen aus Fort Worth. Der Postreiter, den ich hier traf, als ich die Pferde holte, hatte sie bei sich.“

Kieler schien etwas zu verschlucken. „Dann haben Sie ...“

„Ja, Kieler. Wir haben getauscht. Ich hatte sogar angenommen, Sie hätten es bemerkt. Doch als wir dann mit der Kutsche hier ankamen, wurde mir klar, dass Sie noch immer arglos sind.“

„Das Geld ist also ...“

„Wahrscheinlich ist es schon in Shelton Falls. Ich merkte bald, dass ich meine Kräfte überschätzt hatte. Nun weiß ich noch etwas: ich habe Lola Starr vor einer Dummheit bewahrt.“

„Warum das alles?“

„Ich sagte es schon. Hätte John Monk von der Sache Wind bekommen, wäre er schnellstens verschwunden. Und ein Mörder darf nicht verschwinden.“

Das Mädchen kam auf Tom zu und sagte:

„Sie können mich jetzt verhaften.“ Lächelnd schüttelte er den Kopf.

„Ich wüsste nicht, warum“, sagte er. „Bestimmt nicht wegen der schäbigen Satteltasche, die Nat Leet gehört hat. Das ist wirklich kein Grund. Die acht Zeitungen wird der Richter auch nicht wichtig finden. Sie sind kaum einen Dollar wert.“

„Dann...“

„Kieler ist der einzige, der etwas gegen Sie vorbringen könnte, denn ihm haben Sie ein Pferd gestohlen. Doch ob er das will, muss er selbst wissen. Schließlich hat er das Pferd nun wieder.“

Der Stationer blickte das Mädchen unsicher an.

„Ich habe Ihnen schon einmal ein Angebot gemacht“, meinte er leise. „Es gilt immer noch. Nehmen Sie sich Zeit und denken Sie darüber nach. Wegen des Pferdes brauchen Sie sich keine unnötigen Gedanken zu machen. Auch nicht, wenn Sie sich entschließen fortzugehen. Ich schenke Ihnen das Tier.“

Tom ging an der Frau vorbei. Der Schmerz in seiner Hüfte bohrte nicht mehr so heftig. Fast hatte er das Tor erreicht, als er den Reiter kommen sah.

Er hatte damit gerechnet, dass Cory nicht der Mann war, der sich zum Narren halten ließ. Nun wollte er die Rechnung glattmachen.

Schnell kam der Reiter näher. Als er bis auf dreißig Yard heran war. hielt er sein Pferd an und stieg aus dem Sattel. Er löste die Tasche vom Sattelhorn und schleuderte sie zwischen sich und Tom Calhoun auf den Boden Die Riemen waren nicht mehr um die Tasche geschlungen.

„Da!“, schrie er rot vor Wut. „Du hast zugesehen, wie wir uns gegenseitig fertiggemacht haben.“

„Spaß hat es mir bestimmt nicht gemacht, Cory. Da ich wusste, dass ihr in einer ähnlichen Situation immer das gleiche tun würdet, ist es um keinen schade. Mancher Mann wird jetzt länger leben, der es sonst nicht gekonnt hätte. Ihr seid alle nichts wert. Ich dachte sogar, dass du klüger wärst und fortreiten würdest. Du hättest daraus eine Lehre ziehen sollen.“

„Das einzige, was ich ziehen werde, ist mein Colt, Calhoun. Enttäusche mich nicht und spiele einmal ehrlich!“

„Du hast noch Hoffnung, das Geld hier irgendwo zu finden, Cory. Aber du irrst dich; Der Postreiter hat es mitgenommen. Ich will gegen dich nicht kämpfen. Reite fort und versuche, vernünftiger zu werden. Du bist ebenso wenig ein Bandit wie ein guter Spieler. Sieh es ein!“

Die Hand des Spielers fiel klatschend auf den Kolben des Revolvers.

„Los!“, schrie er. „Zieh, Calhoun!“

In dieser Minute spürte Tom Calhoun, dass der Weg dieses Mannes immer tiefer ins Verderben führen würde, wenn er jetzt überleben konnte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, ihn zu töten. Er spürte den Colt in der Hand und drückte ab. Die Kugel fuhr dem Spieler in die linke Schulter und wirbelte ihn herum. Da hatte Cory seine Waffe gezogen und schoss. Klatschend fuhr die Kugel in den Zaun. Er drehte sich mit verkantetem Gesicht.

Tom schüttelte den Kopf.

„Cory, lass es!“, rief er. „Du weißt, dass ich dich töten konnte, wenn ich es gewollt hätte.“

In Corys Gesicht bewegte sich kein Muskel. Sein Gesicht war wie zu einer Maske erstarrt. Er hob die Hand mit dem Revolver und drückte wieder ab. Heiß wehte die Kugel an Toms Wange vorbei. Wie von einem schweren Gewicht nach unten gezogen, sank Corys Arm herab. Dann aber riss er ihn erneut in die Höhe.

Tom zögerte noch immer. Er wollte den Mann nicht töten.

Plötzlich entlud sich neben Tom eine Waffe mit einem trockenen Bellen.

Cory riss die Arme in die Höhe, stieß einen abgehackten Schrei aus und fiel nach vorn.

„Er wollte Sie umbringen“, sagte Ben.

„Danke, Ben. Du bist wirklich ein feiner Kerl. Hol mir ein Pferd.“

„Wohin wollen Sie?“

„Nach Hause, Ben. Ich werde dem Marshal sagen, dass alles erledigt ist und dass du kein Bandit bist. Wohin willst du reiten?“

„Nach Westen, Mr. Calhoun. Bieten Sie mir bloß keinen Job auf Ihrer Ranch an. Ich will alles vergessen — so wie Sie auch.“

––––––––


ENDE

Sammelband 5 eisenharte Western Juni 2019

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