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Heißes Blei für kaltes Gold

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John F. Beck

IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author/Titelbild: Edward Martin, 2020

Korrektorat: Dr. Frank Roßnagel

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Acht lange Jahre saß Jim Marlowe unschuldig im Gefängnis. Nach der Haft heftet er sich an die Spur seines ehemaligen Freundes Sonora-Rick, um mit ihm eine acht Jahre alte Rechnung zu begleichen. Doch Sally Tilburn und ihre Männer lassen das nicht zu. Denn Rick hat Sally eine Gatling verkauft, ein mehrläufiges Schnellfeuergewehr von gigantischer Feuerkraft. Mit dieser Waffe möchte Sally ihren Vater und seine Crew aus den Fängen des Bandoleros Calaveras befreien. Der möchte sich Tilburns Gold unter den Nagel reißen. Darauf abgesehen hat es allerdings auch der Bandit Webster, mit dem Marlowe ein Jahr im Knast verbracht hat. Widerwillig lässt sich Marlowe als Scout anheuern, damit er Rick im Auge behalten kann. Ein mörderischer Kampf entbrennt unter den Parteien; jeder spielt sein eigenes Spiel und ist bereit, seine Konkurrenten zu töten. Und wer die Gatling besitzt, hat die besseren Argumente …

*

Der Sturm packte Jim Marlowe hundert Yards vor der verlassenen Ranch. Plötzlich war er in eine brodelnde Staubwolke gehüllt.

Der Wallach stolperte und knickte vorne ein. Jim sprang ab, zerrte des Pferd hoch und band sich das Halstuch vor Nase und Mund.

Ein ohrenbetäubendes Brausen umgab ihn. Dunkelheit herrschte. Die Sicht reichte nur wenige Yards. Losgerissene Sträucher wirbelten vorbei.

Jim brauchte für die kurze Strecke fast eine halbe Stunde. Bei jedem Schritt musste er sich einstemmen. Tonnen von Sand schienen aus der Schwärze auf ihn niederzustürzen.

Erschöpft erreichte der große, breitschultrige Mann den Schutz einer Bretterwand. Blech klapperte. Dann hörte Jim ein dumpfes Krachen wie von einem Axthieb.

Ein Schuss.

Es war nicht feststellbar, von wo das Geräusch kam. Unwillkürlich senkte Jim die Rechte auf den Colt. Das Holster war am Oberschenkel festgebunden.

Jim lauschte. Nur das Brüllen des Sandsturms füllte seine Ohren. Da schlang er die Zügel um einen Pfosten und tastete sich an der Wand entlang. Sie gehörte einem leerstehenden Schuppen. Jim öffnete das Tor. In der Finsternis vor ihm blitzte es. Er spürte einen leichten Schlag am linken Oberarm, warf sich zur Seite und zog den 44er. Der Sturm schmetterte das Tor zu.

Blut sickerte an Jims Arm herab. Doch es war nur ein Kratzer. Im Schuppen war es stockfinster und unmöglich, sich an einem Geräusch zu orientieren. Jim drückte sich an die Wand. Er hatte keine Ahnung, in was er da hineingezogen war.

Der Sturm tobte. Mehrere Feuerstöße fauchten plötzlich aus verschiedenen Richtungen, aber keine Kugel schlug in Jims Nähe ein.

Er schob sich weiter, stieß gegen ein am Boden liegendes Bündel und duckte sich.

Das Bündel war ein Mann. Jims tastende Hand fand den Patronengurt, das leere Holster, das blutige Einschussloch und berührte die wächserne Kälte des Gesichts. Er legte die Fingerspitzen auf die Halsschlagader. Kein Puls.

Als er sich aufrichten wollte, spürte er eine Bewegung und schnellte herum.

Die Drehung rettete ihm das Leben. Ein wuchtiger Anprall warf ihn auf den Rücken. Neben ihm fuhr ein Messer in den Lehmboden.

Jims Hieb mit dem Coltlauf traf den Angreifer an der Schulter. Aber das Gewicht des Mannes drückte ihn nieder. Jim umklammerte die Messerhand.

Keuchend wälzten sie sich am Boden. Die Linke des Gegners hinderte Jim an

einem neuerlichen Hieb mit dem Colt. Der beschwerliche Ritt hatte Jim Marlowe ausgelaugt. Seine Kräfte ließen nach. Verzweifelt bäumte er sich auf.

Der Messerstecher verkrampfte sich plötzlich. Ein Zittern durchlief den Körper, dann erschlaffte er.

Jim kroch unter ihm hervor, stemmte sich auf die Knie und suchte das Messer. Es war dem Mann in die Brust gedrungen. Jim wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er hätte gern ein Streichholz angezündet. Da stieß er gegen die von einem Pfosten baumelnden Ketten.

Noch in das Klirren krachte der Schuss.

Jim schleuderte sich nach rechts, feuerte aber nicht. Er bezweifelte, dass die Kugel ihm galt – eher dem Hombre, der nun mit dem eigenen Messer in der Brust am Boden lag.

Geduckt richtete Jim sich auf. Ungeduldig rüttelte der Sturm an den Bretterwänden. Der Dachstuhl knarrte. Jim hätte es nicht gewundert, wenn das Gebäude plötzlich zusammengestürzt wäre.

„He, Mister!“, begann Jim.

Der Revolver blitzte zwei‑, dreimal. Nach jedem Schuss wechselte der Unsichtbare die Stellung. Er bewegte sich dabei nach rechts. Jim schätzte die Position ab, von wo der vierte Mündungsblitz kommen würde. Er lief darauf zu, wartete jedoch vergeblich auf den Knall. Sand rieselte durch die Ritzen im Dach.

Jim unterdrückte den Hustenreiz. Vergeblich versuchte er in der Finsternis eine Bewegung zu erkennen. Dann hörte er ein Klappern, gefolgt von einem halblauten Aufschrei.

Es konnte eine Falle sein, doch Jim stürmte vorwärts, sah einen Schatten und warf sich auf ihn.

Der Gegner schrie. Jim riss ihn zu Boden, entwand ihm den Revolver und packte ihn an der Kehle.

„Keine Bewegung …“

Die Gestalt unter ihm keuchte, kratzte, biss.

Siedendheiß durchfuhr es Jim: Das war ein Mädchen.

*

Das dritte Schwefelholz entzündete den Docht der Petroleumlampe.

Jim hängte sie an einen rostigen Haken. Die Flamme hinter dem rußigen Zylinder blakte. Schatten tanzten auf den unter immer neuen Sturmstößen ächzenden Schuppenwänden.

Das Girl kauerte am Boden, den Blick halb ängstlich, halb Misstrauisch auf Jim gerichtet. Zweiundzwanzig, schätzte Jim ihr Alter. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber ihr von zerzausten blonden Strähnen umstandenes Gesicht besaß einen eigentümlichen Reiz. Eine Mischung aus Temperament und Entschlossenheit spiegelten sich darin. Der Mund war sinnlich. Die hellgrauen Augen blickten kühl.

Jim entging nicht, dass das Mädchen auf den am Boden liegenden Revolver spähte. Er hob die Waffe auf und gab sie ihr. Sein eigener Sechsschüsser steckte im Holster.

„Mein Name ist Jim Marlowe. Sie haben nichts von mir zu befürchten.“

„Rafferty war schon tot, als ich kam.“ Sie stand auf und wies auf die schlaffe Gestalt an der Schuppenwand. Der Mann mit dem zerknitterten Cordanzug und dem weißen Hemd mit der Kragenschleife sah wie ein Berufsspieler aus.

Der andere, der Jim mit dem Messer angegriffen hatte, war ein grobschlächtiger, bärtiger Bursche in derber Reitertracht.

„Seine Mörder warteten auf mich.“ Die Stimme des Mädchens schwankte. „Es waren zwei.“

„Dann hat einer sich aus dem Staub gemacht. Übrigens ein ziemlich einsamer Ort für ein Stelldichein, nicht wahr?“

„Sam Webster sollte nicht erfahren, dass ich Rafferty einen Job als Scout anbot. Ich weiß nicht, wie er’s trotzdem rausbekam. Seine Killer belauern uns, weil wir Flagstaff verließen.“

„Am besten fangen Sie von vorn an, Miss.“ Jim ging zum Tor und verriegelte es. Als er sich umwandte, deutete wie zufällig der Revolver auf ihn. Jim setzte sich auf eine Kiste und drehte sich eine Zigarette. „Sie können es auch lassen, wenn Sie glauben, dass Ihre Schwierigkeiten mich nichts angehen.“

Sie trug Rock, Bluse und Wildlederstiefel. Ein patronengespickter Revolvergurt umgab die Hüften. Zögernd holsterte sie die Waffe.

„Ich bin Sally Tilburn. Meine Männer lagern in der Nähe von Dryhill, acht Meilen westlich von hier. Wir sind mit einem Planwagen zum Canyon del Sol in den Hualapai Mountains unterwegs.“

„Ein gefährlicher Trail, noch dazu, wenn Webster und seine Banditen es auf Sie abgesehen haben. Die meisten Wasserstellen zwischen Dryhill und den Hualapais sind um diese Jahreszeit trocken.“

„Sie kennen demnach das Gebiet.“

„Ein bisschen.“ Jim brannte die Zigarette an. Erinnerungen wurden in ihm wach. Doch sein sonnengebräuntes Gesicht verriet nichts davon.

Sally musterte ihn. Sie spürte, dass er älter aussah als er tatsächlich war. Seine Reiterkluft war abgetragen. Er konnte ein Smallrancher, Cowboy oder Mustangfänger sein. Nur der tiefgeholsterte 44er mit dem abgewetzten Hickoryknauf passte nicht dazu.

„Sie haben mir das Leben gerettet.“

Jim hob die Schultern. „Ich wehrte mich meiner Haut.“

Sally zögerte, dann erklärte sie: „Wir brauchen einen Scout, der die Wasserstellen abseits der üblichen Route zum Canyon del Sol kennt und der vor Websters Banditen nicht davonläuft – einen Kämpfer. Sie sind einer, Marlowe.“

„Ich suche keinen Job.“

„Ich biete Ihnen fünfhundert Dollar.“

Jim pfiff durch die Zähne. „Mehr Geld als ein gewöhnlicher Weidereiter in einem Jahr verdient.“

„Es wird kein Spazierritt.“

„Das ist anzunehmen, nachdem Sam Webster es auf Sie und Ihre Fracht abgesehen hat. Seit ’nem halben Jahr klebt Websters Steckbrief an fast jedem Telegrafenmast in Arizona. Doch kein Sternträger oder Kopfgeldjäger ist auch nur auf Schussweite an ihn rangekommen. Ihre Ladung muss ziemlich wertvoll sein.“

Sally zögerte abermals.

„Es handelt sich um eine Gatling‑Schnellfeuerkanone mit fünfzehnhundert Schuss Munition.“

„Ich dachte, Sie hätten Gold gefunden.“

Sally kniff die Augen zusammen. „Wie kommen Sie darauf?“

„Also doch.“

„Wir haben kein Gold auf dem Wagen, nur die Gatling, einige Munitionskisten, Proviant und Pferdefutter. Sie haben aber trotzdem recht, Marlowe. Es geht um Gold. Mein Vater und ein paar Helfer bewachen es im Canyon del Sol. Sie haben eine Mine ausgebeutet, weit weg von allen Siedlungen. Gold im Wert von mehr als hunderttausend Dollar. Nicht nur Webster ist darauf scharf. Juan Calaveras und seine Bandoleros belagern die Mine seit drei Wochen. An den Abtransport des Goldes ist so nicht zu denken. Ed McLane, dem Partner meines Vaters, und mir gelang es, aus dem Canyon zu entkommen. Wir schlugen uns nach Flagstaff durch. Aber die Mine in den Hualapai Mountains liegt außerhalb der Zuständigkeit des Sternträgers. Und die Army hat mit den aufständischen Apachen im Süden zu tun.“

„Also entschlossen Sie sich zur Selbsthilfe und verschafften sich – wahrscheinlich mit Gold aus dem Canyon – die Gatling Gun.“

„So ist es. Außerdem warben Ed und ich einige Männer an. Wir werden wie ein Ungewitter über Calaveras und seine Bande kommen, vorausgesetzt, dass sie die Mine nicht vorher erobern.“

„Und Webster Ihnen keinen Strich durch die Rechnung macht. Wie kommt er ins Spiel?“

„Er entdeckte die Ader, als er sich im Canyon del Sol vor einer Meute Kopfgeldjäger verbarg. Das ist Jahre her. Webster wurde verhaftet und ins Jail gesteckt. Nach seinem Ausbruch fand er Pa und McLane bei der Ausbeute der Mine. Bis er seine alte Bande beisammen hatte, erschien Calaveras. Jetzt will Webster die Gatling. Denn wer sie besitzt, dem wird das Gold gehören.“

„Sie haben sich viel vorgenommen, Miss Sally.“

„Für mich geht’s nicht nur um das Gold. Der Einsatz ist das Leben meines Vaters und der Männer, die in der Mine eingeschlossen sind. Die fünfhundert Dollar, die ich Ihnen biete, sind alles, was ich noch besitze. Allerdings könnte ich Ihnen einen Anteil an dem Gold zusichern, falls Sie …“

„Tut mir leid. Ich würde auch für die zehnfache Summe nicht mitkommen. Sobald der Sturm aufhört, reite ich weiter.“

„Wohin?“

„Ich bin seit Monaten hinter einem Mann her. Scheint so, als würde ich ihn nun bald erwischen – und zwar in Dryhill.“

*

Die Town bestand aus einem Dutzend verwitterter Bretter und Lehmziegelgebäude mit den dazugehörigen Schuppen, Ställen und Korrals. Kein Baum spendete Schatten. Die staubige, von Radfurchen zernarbte Main Street lag in flimmerndem Sonnenglast. Klaviergeklimper und Lachen schallten aus dem einzigen Saloon.

Starlight Palace prahlte das Schild über dem Eingang. Der sonst schmucklose Bau hatte jedoch von außen mehr Ähnlichkeit mit einem Pferdestall.

Jim brachte den Wallach in den Schatten. Der Schecke, der bereits an der Tränke stand, beäugte ihn misstrauisch. Er gehörte dem Mann, auf dessen Fährte Jim seit genau dreieinhalb Monaten ritt.

Jim lockerte den Colt im Holster, ehe er die schulterhohen Flügeltüren aufstieß und den Saloon betrat. Seine Sporen klirrten.

Buffalo Range hämmerte eben der Mann am Klavier. Lachend drehte sich ein aufgeputztes Flittergirl zur Musik. Ein großer, schwarzhaariger Mann klatschte den Takt. Seine Zähne blitzten im gebräunten Gesicht. Er saß an einem Tisch, auf dem mehrere Flaschen und Gläser standen. Zwei Girls leisteten ihm Gesellschaft. Sie trugen einen Kopfschmuck aus Papageienfedern. Ansonsten befanden sich nur ein halbes Dutzend Gäste im Saloon.

Der Rock der Tänzerin bauschte sich. Die bestrumpften Beine waren zu sehen. Doch Jims Blick brannte sich an dem Schwarzhaarigen fest. Seine Rechte streifte den Coltgriff.

„Hallo, Rick!“

Das Klatschen setzte aus. Eine Eisschicht schien Sonora-Rick Gesicht zu überziehen. Die Köpfe der Girls ruckten herum, die Musik verstummte.

„Spiel weiter, Ben!“, rief die Tänzerin übermütig, dann bemerkte auch sie den Ankömmling.

„Haut ab!“, zischte der Schwarzhaarige. Die Mädchen sprangen auf und flüchteten zur Theke.

Jim wartete. Stille umfing ihn. Dann löste sich die Starre auf Sonora-Ricks Miene. Er lachte.

„Mann, Jim, ich dachte im ersten Moment, dein Geist spaziert rein. Komm her, setz dich! Du siehst durstig aus. Ich lad dich ein!“

Jim rührte sich nicht. „Du weißt, weshalb ich hier bin, Rick. Mach keine Zicken und komm mit!“

„Mir gefällt’s hier.“ Rick grinste. Ein Lauern trat in seine dunklen Augen. „Außerdem hab ich Freunde hier.“

„Zum Beispiel den Burschen auf der Treppe, wie?“ Jim sah den Mann aus den Augenwinkeln, ein Schatten am Rand seines Blickfeldes. Er blieb auf den Schwarzhaarigen konzentriert. „Wenn er seine Kanone anfasst, schieße ich.“

Jede Bewegung erstarb. Der Klavierspieler schwitzte. Die Hände des bulligen Keepers verschwanden unter der Theke, wo die in den meisten Saloons übliche Schrotflinte mit den abgesägten Läufen lag. Sonora-Ricks Grinsen glich einem Zähnefletschen.

„Jim, ich kenn’ dich lange genug. Du wirst mich nicht einfach über den Haufen schießen. Es würde nichts an dem ändern, was geschah.“

„Steh auf!“

„Wenn ich das tue, Jim, ist dein Leben keinen rostigen Hufnagel wert. Es ist acht Jahre her, dass wir uns zuletzt begegneten. Ich hab seitdem nichts verlernt. Im Gegenteil: Ich bin noch ’ne Idee schneller mit dem Colt. Du dagegen hast, wie ich vermute, wenig Gelegenheit zum Üben gehabt.“

Jims Magen verkrampfte sich. Der lange unterdrückte Hass loderte wie eine Flamme in ihm hoch. Sein Gesicht blieb wie aus Stein gemeißelt. Die Stimme klirrte.

„Du kannst es rausfinden.“

„Sicher, Jim. Aber nicht du, sondern ich werde Ort und Zeitpunkt dafür bestimmen. Du hättest mich nicht suchen sollen. Ich weiß, dass du mich lebend brauchst.“

„Kommt drauf an.“ Jim ging entschlossen auf den Schwarzhaarigen zu. Das Pochen seiner

Stiefelabsätze und das leise Klirren der Sporen waren das einzige Geräusch. Sonora-Ricks nervige Hände lagen auf dem Tisch. Hände, die schnell wie eine zustoßende Klapperschlange sein konnten. Aber Rick versuchte es mit einem Trick.

„Nicht schießen, Greg!“, schrie er dem Mann auf der Treppe zu.

Jim durchschaute den Bluff.

Der Angriff kam aus der entgegengesetzten Richtung. Ein gedrungener, muskelbepackter Mann sauste wie eine Kanonenkugel auf Jim zu. Der schaffte eine halbe Drehung. Die Schulter des Angreifers rammte ihn, so dass er gegen einen Tisch prallte.

Der Muskelmann fuhr herum. Seine Faust zielte auf Jims Gesicht.

Jim duckte sich. Er hatte nicht vor, sich in eine Schlägerei verwickeln zu lassen. Die Faust streifte seine Schulter. Gleichzeitig platzierte Jim dem Gegner die geballte Linke über der Gürtelschnalle. Im nächsten Augenblick erwischte er mit der Rechten das Kinn des Mannes. Hinter beiden Schlägen steckte seine ganze Kraft.

Der Muskelprotz setzte sich auf den Boden. Sein Blick war glasig.

Da hielt Jim schon den Colt. Sein Schuss fiel mit dem Krachen des Revolvers bei der Treppe zusammen. Ein Schrei antwortete. Die Waffe des Schützen fiel über das Geländer. Ächzend sank der Mann auf die Stufen.

Sonora-Rick sprang auf. Sein Sechsschüsser steckte noch halb im Leder, als Jim sich umdrehte. Die qualmende Mündung deutete auf Ricks Brust. „Ein Bursche wie du sollte sich nie auf seine Freunde verlassen. Gehen wir.“

„Du kommst nicht lebend aus der Stadt.“

„Ich bezweifle, dass noch jemand seine Haut für dich riskiert.“

*

Das Lagerfeuer brannte in einer von Sträuchern und Felsen umschlossenen Senke. Rick aß und trank mit gutem Appetit. Die Riemen an seinen Handgelenken schienen ihn nicht zu stören.

Jim begnügte sich mit einer Scheibe Maisbrot, einem Schluck aus der Canteen‑Flasche und einer Zigarette. Die Pferde waren bei den Kreosot‑Büschen angepflockt. Ab und zu tauchte der Mond zwischen den Wolken auf. Vereinzelte Sterne funkelten. In der Ferne heulten Kojoten. Sonora-Rick stellte den Kaffeebecher ab.

„Wohin bringst du mich?“

„Flagstaff.“

„Du erwartest doch nicht, dass ich dich reinwasche, indem ich freiwillig den Kopf in die Schlinge stecke?“

„Nicht freiwillig.“

Rick lachte. Da kam Hufschlag aus den Hügeln, hinter denen die Stadt lag. Sofort war Jim auf den Füßen. Die Dunkelheit verschluckte ihn.

„Versuch nicht zu fliehen!“, warnte er Rick, der ruhig sitzen blieb. „Meine Kugel ist schneller!“

Die Reiter näherten sich rasch. Hufe stampften, Zweige knackten. Dann brach sich der Feuerschein am Metall von Waffen und Sattelbeschlägen.

Jim verließ die Deckung, als er Sally Tilburn erkannte. Drei Männer begleiteten sie, jeder mit einem Karabiner quer über dem Sattel. Sie blieben wachsam, obwohl Jim den Colt ins Holster schob.

„Ich rechnete nicht damit, Sie wiederzusehen, Miss Sally.“

„Ich schon.“ Sally blieb im Sattel. Sie wirkte nervös, vor allem als Sonora‑Rick ihr mit dem Kaffeebecher zuprostete. „Das ist Ed McLane, Pas Partner. Und das sind Doyle Pratt und Jerry Baker, die ich in Flagstaff anwarb.“

McLane war verhältnismäßig jung, knapp dreißig, ein bulliger Mann mit eckigem Gesicht und Bürstenhaar. Sein Stetson hing auf dem Rücken. Pratt und Baker waren noch jünger, drahtige, verwegene Abenteurer, bereit für einen Anteil an Tilburns Gold dem Teufel die Hörner abzuschießen.

„Wo ist der Wagen?“, erkundigte sich Jim.

„Paco Sanchez bewacht ihn.“

„Wenn Sie glauben, dass ich’s mir anders überlegt habe, muss ich Sie enttäuschen.“

„Wir sind wegen Rick hier“, antwortete Sally Tilburn, und im selben Moment hoben McLane, Pratt und Baker die Gewehre. „Er gehört zur Crew und soll die Gatling bedienen, wenn wir Calaveras’ Bande angreifen.“

Jim hatte das Gefühl, plötzlich am Rand eines Abgrunds zu stehen. Sonora-Ricks Lachen kam wie von weit her.

„Ich hab erwartet, dass ihr mich raushaut, Amigos. Besten Dank.“

Er stand geschmeidig auf. Zur Wildlederhose trug er ein schwarzes Hemd. Auch der flachkronige Hut war schwarz. Die drei Gewehre bannten Jim. Er blickte Sally an.

„Sie helfen einem Mann, der gefährlicher und verschlagener als Sam Webster ist.“

„Ich weiß nicht, was Sie mit Rick abzumachen haben, Marlowe. Aber es ist mir bekannt, dass er in einigen Städten den Stern trug zuletzt in Flagstaff.“

„Es gibt viele berufsmäßige Revolverschwinger, die mitunter für das Gesetz arbeiten gegen Bezahlung.“

„Besser als Postkutschen auszurauben.“ Rick grinste. Sein scharfgeschnittenes, vom Feuer beleuchtetes Gesicht wirkte sympathisch. „Gib dir keine Mühe, Jim. Miss Sally, McLane und ich haben ’nen Vertrag. Ich hab ihnen die Gatling verschafft.“

„Trauen Sie ihm trotzdem nicht, Miss Sally!“

„Jetzt reicht’s!“, fuhr McLane dazwischen. „Sally hat zwar berichtet, dass Sie ihr das Leben retteten, aber das gibt Ihnen kein Recht, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen.“

„Meine Rechnung mit Rick ist älter.“

„So alt, dass du sie am besten vergisst.“ Der Schwarzhaarige zwinkerte spöttisch. „Miss Sally und McLane brauchen mich. Ich bekomme dafür ein Viertel von dem Gold. Weshalb sollte ich ihnen in den Rücken fallen?“

„Vielleicht, weil du alles willst.“

„Dass du ein Spaßvogel bist, Jim, ist mir neu“, lachte Sonora-Rick. „Doyle, bring sein Pferd. Pass auf, dass du Ed und Jerry nicht ins Schussfeld kommst. Mister Marlowe will sich verabschieden.“

Pratt band Jims Braunen los und führte ihn zum Feuer.

„Ich bin dagegen, ihn verschwinden zu lassen“, murrte McLane. „Er wird uns Schwierigkeiten bereiten.“

„Ganz bestimmt.“ Jim starrte ihm in die Augen, dann schwang er sich aufs Pferd. McLane fluchte.

Jim brachte noch die Hand an den Sechsschüsser, als der Bullige auf ihn zuritt. Da traf ihn McLanes Kolbenschlag.

*

Jim kam neben einem großen, mit verdorrten Kakteenstrünken geschürten Feuer zu sich. Die Wagenplane schimmerte rot. Ein dicker Mexikaner mit einem martialischen pechschwarzen Schnurrbart versorgte die Pferde. Zwei Patronengurte kreuzten sich über seinem Oberkörper. Rechts und links hing ein schwerkalibriger Colt. Außerdem ragte ein Messergriff aus dem rechten Stiefelschaft. Doch ein Blick in das runde, gutmütige Gesicht ließ Jim zweifeln, dass der Mann jemals die Waffen benutzt hatte.

Jims Kopf schmerzte. Er war nicht gefesselt. Doyle Pratt kauerte sich neben ihm und hielt ihm eine Flasche an die trockenen Lippen. Es war hochprozentiger Whisky, der wie Feuer durch Jims Kehle floss und die Benommenheit schlagartig verschwinden ließ.

„Ich bin dagegen“, hörte er Sonora‑Rick, und dann McLanes mürrischen Bass: „Ich auch.“

Sie standen am Heck des Studebaker‑Schoners. Rick rauchte ein Zigarillo. Der Colt steckte wieder im Holster. Sie war wie jene von Jim am rechten Oberschenkel befestigt. Der Kolben von Jims Waffe ragte aus McLanes Hosenbund. Baker half dem Mexikaner. Sally wandte Jim und Pratt den Rücken zu. Ihre Haltung wirkte entschlossen. Der Tonfall passte dazu.

„Es ist meine Entscheidung. Ich bin der Boss.“

McLanes Miene verdüsterte sich noch mehr.

„Wir sind Partner, Sally. Rick, Doyle, Jerry und Sanchez werden zu gleichen Anteilen von mir bezahlt.“

„Aber nicht die Gatling mit der dazugehörigen Munition! Es war Pas Gold und seine Idee!“

Jim setzte sich, die Beule über dem rechten Ohr betastend, auf. „Worüber streitet ihr? Ob ihr mich hängen oder erschießen wollt?“

Das Mädchen drehte sich um. Rick und McLane legten instinktiv die Hände an die Waffen. Pratt verkorkte die Flasche und wich hastig zur Seite. Die Flammen verstärkten das Funkeln in Sallys Augen.

„Reden Sie. keinen Unsinn, Marlowe! Ich hab Ed und Rick eben erklärt, dass ich mein Angebot aufrecht erhalte.“

„Welches Angebot?“

„Fünfhundert Dollar, wenn Sie uns als Scout zum Canyon del Sol führen, und zwar auf dem kürzesten Weg.“

McLane spuckte aus.

Jims erste Reaktion war ein hartes Auflachen. „Ich müsste närrisch sein nach allem, was geschah …“ Er brach ab. Seine Augen hefteten sich auf Sonora-Rick, der ihn mit verkniffener Miene belauerte.

„Na?“ Der schwarzhaarige Revolvermann nahm das Zigarillo aus dem Mund. „Jetzt fängst du zu rechnen an, Jim, was? Ich kenne ihn, Miss Sally. Wir sind schließlich zusammen aufgewachsen. Ich werd’ Ihnen sagen, was er denkt. Er wird zustimmen und auf die erste Gelegenheit warten, mir ’ne Bleibohne zu verpassen und dann abzuhauen. Hab ich recht, Jim?“

„Wenn ich zustimme, dann nur, um zu verhindern, dass du wieder ’ne Teufelei ausheckst.“

„Zur Hölle mit dem Kerl!“, schimpfte McLane. „Sally, ich begreife nicht …“

„Er kennt die Wildnis und die Wasserstellen westlich von Dryhill. Die Route, die wir auf dem Ritt nach Flagstaff benutzten, taugt für den Wagen nicht. Wenn Marlowe Rick töten wollte, hatte er bereits die Möglichkeit dazu.“

„Da konnte er noch hoffen, mich mitzuschleppen …“

Sallys Geste ließ ihn verstummen.

„Marlowe bekommt seinen Colt und sein Pferd erst, wenn er verspricht, dass er uns zum Canyon del Sol führt.“

Jim zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist Erpressung.“

„Ich betrachte es als Geschäft.“

„Wenn er zustimmt, welche Garantie hast du, dass er die Abmachung auch wirklich einhält?“ gab McLane zu bedenken.

Sallys Blick ruhte auf Jim. „Du vergisst, dass Marlowe mir das Leben rettete, Ed.“

*

Der Wagen rollte nach Westen. Die ferne Silhouette der Hualapai Mountains stand wie ein zartes Wolkengebilde über dem Horizont.

Die Luft über den mit dürren Grasbüscheln und Felsbrocken bedeckten Bodenwellen flimmerte. Kein Späher, kein Verfolger zeigte sich. Die Wildnis schien ausgestorben. Nur ein Bussard zog lautlos Kreise über dem schwerfälligen Fahrzeug.

Sanchez kutschierte. Sally saß neben ihm. Ihr Pferd war am Wagen angeleint. Die Konturen der auf ein eisernes Dreibein montierten Schnellfeuerkanone zeichneten sich unter der verwaschenen Plane ab.

Rick, McLane, Pratt und Baker flankierten den Studebaker‑Schoner. Jim ritt fünfzig Yard voraus. Nur das Malmen der Hufe und das Knarren des Sattelleders begleiteten ihn. Ein mehrere Meilen entferntes Felsmassiv wies ihm die Richtung. Es sah wie die Ruine einer vor langer Zeit verlassenen Festung aus.

Fettholzstauden streiften Jims Steigbügel. Eidechsen huschten zwischen ihnen davon. Jede Meile war mit Erinnerungen befrachtet. Am Fuß eines Hügels wartete Jim auf den Planwagen.

„Was gibt’s?“, rief Sally.

„Ich reite zur Wasserstelle am Dead Man’s Rock voraus. Wenn sie ausgetrocknet ist, müssen wir nach Süden, zur Tinaja del Zopilote. Lasst euch inzwischen nicht von Websters Bande überraschen. Haltet Abstand zu dem Kakteenfeld weiter vorn.“

McLane gab ihm einen misstrauischen Blick. Ricks Zähne blitzten. Aber das Grinsen versickerte unterhalb der lauernden dunklen Augen.

„Pass nur gut auf deinen Skalp auf.“

„Worauf du dich verlassen kannst.“

Jim wendete. Gleich darauf war von ihm nur mehr eine Staubfahne in einer Geländekerbe zu sehen. Nach einer. Meile bog Jim nach Norden. Zehn Minuten später stieß er parallel zur Route auf die Spur eines einzelnen Reiters.

Die Hufabdrücke waren frisch.

Jim hielt an. Stille umgab ihn. Die Sonne schien noch heftiger zu brennen. Jim löste die Sattelflasche, trank und versorgte auch den Wallach. Dann folgte er der Fährte.

Sie führte ihn in ein Gewirr gestrüppbewachsener Hügel. In einer staubigen, heißen Senke brachte Jim erneut sein Pferd zum Stehen. Die Fährte führte zu einem mit Felstrümmern bedeckten Hang. Jim legte die Hände aufs Sattelhorn.

„Ich weiß, dass du da bist, Sam. Du hast mich jetzt weit genug vom Wagen weggelockt.“

Eine Weile blieb alles still. Jim rührte sich nicht. Eine falsche Bewegung konnte den Tod bedeuten. Dann ertönte ein glucksendes Lachen. Steine rollten am Hang. Gleich darauf trat ein stämmiger Mann mit angeschlagener Winchester aus dem Schatten. Ein staubverkrusteter Vollbart umrahmte das derbe Gesicht. Helle Augen funkelten unter der Hutkrempe.

„Lange her, dass wir uns begegnet sind, Jim.“

„Nicht lange genug, dass ich deine Tricks vergessen hätte, Sam.“

Webster trug ein kariertes Hemd, Cordhose und hochschäftige Stiefel. Messer und Revolver hingen am Gurt. Etwas Unberechenbares und Gewalttätiges haftete ihm an, auch wenn er – wie jetzt – polternd lachte.

„Du bist einfach zu misstrauisch, Amigo!“

Er schulterte das Gewehr, ergriff die Zügel des hinter ihm auftauchenden Falben und stapfte grinsend durch den Staub. Jim stieg ab, machte aber keine Anstalten, ihm entgegenzugehen.

Websters Schwerfälligkeit war Maske. Jim wusste, wie flink der Bandenboss mit Messer, Colt und Fäusten war. Breitbeinig blieb Webster vor ihm stehen.

„Mann, dieses Wiedersehen müssen wir begießen. Ich hab ’ne volle Buddel in der Satteltasche.“

„Lass sie drin.“

„He, du hast wohl heute ’nen schlechten Tag, Amigo?“

„Sam, wir waren zwar ein Jahr zusammen in derselben Zelle, aber befreundet waren wir nie. Nenn mich also nicht Amigo. Ich bin dir nur gefolgt, um dir zu sagen, dass du die Finger von Sally Tilburn und der Gatling‑Gun lassen sollst.“

„Woher wusstest du, dass es meine Fährte ist? Na schön, Amigo.“ Webster blinzelte. „Ich werde Bob Tilburns Tochter kein Haar krümmen, wenn du mir die Gatling verschaffst.“

„Du weißt, dass ich das nicht kann.“

„Hör zu, Jim, das Gold im Canyon del Sol gehört mir. Ich hab die Ader entdeckt, bevor Tilburn und sein Partner überhaupt wussten, dass es den Canyon gibt. Nur waren leider wieder mal alle möglichen Leute hinter mir her. Well, ich denk nicht daran, auf mein Gold zu verzichten. Ich brauch’ die Gatling aus dem selben Grund wie das Tilburn‑Girl: Sie ist der Trumpf, der den Besitz des Goldes garantiert. Und ich hoffe nicht, Amigo, dass du zu den Dummköpfen gehörst, die sich zwischen mich und das Gold stellen.“

„Das Gold interessiert mich nicht. Aber ich hab Sally versprochen …“

„Moment! Wie viele Jahre hast du eigentlich unschuldig hinter Gittern verbracht? Fünf oder sechs?“

Jim ballte die Fäuste. Dunkle Linien kerbten sich um seine Mundwinkel. „Es waren acht.“

„Mann! Und ich dachte schon, verrückt zu werden, als ich das eine Jahr in derselben Zelle mit dir hockte. Dabei wusste ich wenigstens, weshalb mich die Kerle eingebuchtet hatten. Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass du für jene vergeudeten Jahre zumindest ’ne bessere Zukunft verdienst?“

„Nicht durch Verrat, Raub und Mord.“

„Amigo, du quasselst noch den gleichen Blödsinn wie damals, als wir gemeinsam Fluchtpläne schmiedeten.“ Webster lachte. „Sieh mich an! Zwei Wochen nachdem sie mich in ’ne andere Zelle verlegten, rückte ich den Hundesöhnen aus. Es scherte mich kein bisschen, dass dabei einer von den verdammten Schindern draufging. Aber ich kann dich beruhigen. Wenn du uns hilfst, braucht kein Blut zu fließen. Das ist doch ein Argument, wie? Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass dich das Gold kalt lässt. Es geht um mehr als hunderttausend Dollar. Für ein Zehntel davon hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt. Eine Ranch, irgendwo in einem grünen, fruchtbaren Tal … war das nicht immer dein Traum, Amigo?“

„Das ist lange her.“

„Na schön, aber du erwartest hoffentlich nicht, dass ich deinetwegen den Plan aufgebe?“

„Nicht meinetwegen, Sam, sondern damit du selbst den Skalp behältst. Überleg’s dir.“

Webster pfiff durch die Finger. Sofort tauchten auf den Höhen ringsum mehrere Reiter auf, staubbedeckt, aber mit blitzblanken Waffen.

Ihre Gewehre bedrohten Jim.

*

Der bärtige Bandenboss wartete vergeblich auf ein Anzeichen des Erschreckens. Statt dessen hielt Jim plötzlich den Sechsschüsser. Die Mündung befand sich nur eine halbe Armlänge vor Websters Bauch.

„Wenn deine Männer abdrücken, Sam, nehme ich dich mit auf den letzten Trail.“

Websters Grinsen erlosch. Seine Fäuste pressten sich um das Gewehr. „Sei nicht verrückt, Jim! Gib auf, dann behalten wir dich als Gefangenen. Wenn wir die Gatling erst haben, kannst du abhauen.“

„Ich glaub dir kein Wort, Sam. Leg das Gewehr weg, schnall den Revolver ab und sag den Burschen da oben,sie sollen keinen Blödsinn anstellen, sonst brauchen sie ’nen neuen Boss.“

„Sie werden ohne meinen Befehl nicht schießen.“ Zögernd legte Webster die Waffen ab. Jims Colt bewegte sich mit. Als Webster sich aufrichtete, sah Jim blanke Wut in seinen Augen. Aber der Bandenführer lachte. „Hätte nicht gedacht, dass du nach acht Jahren Jail so verteufelt gut mit der Kanone bist. Wann wurdest du entlassen?“

„Vor dreieinhalb Monaten.“

„Dann hast du jeden Tag mindestens zwei Stunden geübt.“

„Vier“, entgegnete Jim mit steinerner Miene.

Webster hob grinsend die Schultern. „All right, Amigo, ich hab dich unterschätzt. Wir verschwinden.“

„Deine Leute werden verschwinden, Sam – du nicht.“

„Zum Teufel, was …“

„Du begleitest mich zur Wasserstelle am Dead Man’s Rock. Sally, McLane und die anderen sollten bereits dort sein.“

Ein Zucken jagte über Websters Gesicht. „Ich denk nicht dran!“

„Du sollst nicht denken, sondern tun, was ich sage. Steig auf! Sag deinen Amigos, sie sollen sich in Dryhill ein kühles Bier kaufen. Wenn du zu fliehen versuchst, schieße ich.“

Jetzt war es Webster, der die Fäuste ballte. Eine Ader pochte an seiner Schläfe. „Du bluffst bloß Jim. Du wirst, es nicht drauf ankommen lassen …“

„Was würdest du an meiner Stelle tun?“

„Ich gebe dir mein Wort, dass du freien Abzug bekommst.“

„Sam, wir wissen beide, was wir voneinander zu halten haben. Steig endlich auf.“

Zähneknirschend schwang der Bandenboss sich in den Sattel. Verunsichert ließen die Reiter auf den Hügelkuppen die Karabiner sinken.

Als Jim ebenfalls aufsaß, riss einer die Waffe hoch und schoss. Es knallte wie ein Peitschenschlag, Sand spritzte zwischen den Hufen. Die Pferde scheuten.

Webster wollte fliehen, doch Jims Hieb mit dem Coltlauf schmetterte ihn aus dem Sattel. Die Gewehrschützen befanden sich jedoch außer Jims Schussweite. Eine Kugel pfiff an ihm vorbei. Jims Waffe deutete auf den am Boden Liegenden. Webster erkannte die Todesdrohung in den Augen des einstigen Zellengenossen.

„Aufhören!“, brüllte er. „Wollt ihr mich umbringen, ihr verdammten Narren?“

*

Der Planwagen stand am Rand des Tümpels am Dead Man’s Rock. Der Bussard war noch immer da, ein schwarzer Punkt, der geduldig am Himmel kreiste, als wüsste er genau, dass es bald Beute gab.

Das Hufgetrappel trieb die Wartenden hoch. Sally ließ zuerst die Waffe sinken. Der Mexikaner wollte sich aufatmend bekreuzigen, aber mitten in der Bewegung erkannte er Jims Begleiter. Seine zitternde Hand blieb in der Luft hängen. Die Hufe polterten am Fahrzeug vorbei. Mechanisch drehten Sally, Sonora-Rick, McLane, Pratt und Baker sich mit. Webster lachte.

„Hallo! Marlowe war so freundlich, mich zum Abendessen einzuladen. Hoffentlich gibt’s keine Bohnen mit Speck. Die kann ich nämlich schon nicht mehr riechen.“

„Halt die Klappe.“

Jim stieg ab und zerrte den Gefesselten aus dem Sattel. Sein Blick fiel auf McLanes schweißbedecktes, am Wagen festgebundenes Pferd. Die Nüstern waren schaumverklebt. Es sah aus, als wäre McLane eben von einem harten Ritt zurückgekommen. Die Gäule soffen gierig.

„Marlowe, wie hast du das geschafft?“, schnappte Jerry Baker.

„Glückssache.“

„Yiippieh!“ Baker warf den Stetson in die Luft. „Nun kann nichts mehr schiefgehen! Websters Sattelwölfe werden sich hüten, uns anzugreifen, solange wir den Boss als Geisel haben.“

„Alles nur ein fauler Trick.“ McLane zog die Winchester aus dem Sattelfutteral. Der Repetierbügel schnappte.

Jim drehte sich vorsichtig. McLanes verbissener Gesichtsausdruck warnte ihn. Der Mann wartete darauf, dass er zum Colt griff.

Die hoffnungsvolle Erwartung auf Sallys Gesicht schwand. Baker, Pratt und Sanchez schienen ratlos. Unbeteiligt brannte Rick sich ein Zigarillo an.

„Vielleicht wirst du ein bisschen deutlicher, McLane“, schlug Jim ruhig vor.

„Ich bin dir nachgeritten, weil ich dir von Anfang an nicht traute, Marlowe. Ich hab beobachtet, wie du mit Webster gesprochen hast, musste mich aber verdrücken, als seine Leute kamen.“

„Verdammt!“, krächzte Baker.

Webster blickte lauernd in die Runde, dann knurrte er: „Hab dir gleich gesagt, Amigo, dass es nicht klappt. Immerhin hat dich dieser schwarzhaarige Revolverbastard damals ins Jail verfrachtet. Ist nicht schwer, da ’ne Verbindung zwischen uns herzustellen.“

Erschrocken hob Sally eine Hand an die Kehle. Jims Fäuste kribbelten, aber Webster grinste nur niederträchtig, als er ihn ansah.

„Ich könnte dich töten, um zu beweisen, dass ich nicht mit dir unter ’ner Decke stecke“, sagte Jim gepresst.

Rick nahm das Zigarillo aus dem Mund. „Du bluffst.“

„Ein Zuchthäusler!“, knirschte McLane. „Großartig. Fast hab ich mir so was gedacht. Zum Teufel, weshalb hast du es uns verschwiegen, Sonora‑Rick?“

Der Revolvermann lächelte. „Das ging nur Jim und mich was an. Schließlich sind wir miteinander aufgewachsen. Es gab ’ne Zeit, da hätte jeder bedenkenlos für den anderen die Haut riskiert.“

„Davon ist nichts mehr zu merken.“

„Kein Wunder, nachdem ich Jim zu acht Jahren Ferien auf Staatskosten verhalf. Nun wisst ihr auch, weshalb er hinter mir her ist.“

„Warum sagst du ihnen nicht die ganze Wahrheit?“

Rick lachte spöttisch. „Ach ja, er behauptet, ich hätte ihm jenen Postkutschenüberfall, bei dem ein Mann erschossen wurde, nur angehängt, weil er mir im Wege war. Dabei sprachen alle Indizien gegen ihn. Der Richter hätte ihn sonst nicht verurteilt. Ich denke, er hat Webster im Zuchthaus kennengelernt.“

„Stimmt. Aber Webster lügt. Er wollte …“

„Gib dir keine Mühe, Jim“, unterbrach ihn der bärtige Bandit. „Ich bin nicht bereit, die Suppe, die du uns da eingebrockt hast, allein auszulöffeln.“

„Doyle, nimm ihm die Waffe weg“, ordnete McLane an.

Da peitschte ein Schuss von der Bodenwelle jenseits des Tümpels. Die Kugel durchbohrte eine Handbreit neben McLanes Kopf die Wagenplane. Fluchend wollte der bullige Mann auf Jim schießen. Doch Sally umklammerte das Gewehr.

„Nein, Ed!“

Ricks Colt flog hoch. Sanchez sprang mit einem Angstschrei hinter den Studebaker‑Schoner. Auf der Bodenwelle blitzte es wieder.

„Hau ab, Sam!“, schrie eine heisere Stimme.

Rick feuerte, aber die Entfernung war für den Sechsschüsser zu groß.

Mit einem Satz war Webster bei seinem Falben. Gleichzeitig bewegte sich Jim. Der Bandenboss machte abermals Bekanntschaft mit Jims Coltlauf. Ächzend fiel er auf die Knie. Ricks Colt krachte.

„Deckung!“, schrie er Sally und ihren Männern zu.

Währenddessen zerrte Jim Websters Gewehr aus dem Scabbard. Als es auf der Bodenwelle wieder flammte, zielte er und schoss.

Ein Mann richtete sich zwischen den Felsbrocken auf, drehte sich und rollte, den Karabiner in den verkrampften Fäusten, den sandigen Hang herab.

Jim repetierte, aber kein weiterer Schuss folgte. Stille breitete sich aus. Der Bussard schrie.

Rick lief zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und jagte um den Tümpel herum zur Bodenwelle. Sanchez lugte ängstlich hinter dem Wagen hervor. Die Spitzen seines Schnurrbarts zitterten.

„Sind sie fort?“

„Es war nur einer.“ Jim drehte sich. Die Winchester zeigte wie zufällig auf McLane. „Glaubst du immer noch, dass ich mit Websters Bande zusammenarbeite?“

McLane zögerte. In seinem breitflächigen Gesicht arbeitete es. Er ließ zwar das Gewehr sinken, aber das Misstrauen in seinen Augen blieb.

„Vielleicht wolltest du nur wieder mal deine Haut retten, Marlowe. Ich werd’s rausfinden.“

„Unsinn, Ed!“

Noch bleich von dem Schreck stampfte Sally mit dem Fuß. Rick kam von der Bodenwelle zurück. Das Zigarillo steckte zwischen seinen Zähnen. Er blickte Jim durchdringend an.

„Ich hätte dem Burschen gern ein paar Fragen gestellt. Aber da war nichts mehr zu machen. Der Kerl hat ein Loch mitten in der Brust. Ganze Arbeit, Jim.“

*

Der Mond tauchte die Zinnen des Dead Man’s Rock in silbernes Licht. Das Camp lag im Schatten. Nur ein paar Sterne spiegelten sich auf der Oberfläche des Tümpels. Kojoten heulten. Jim spannte sich, als er das Rascheln hörte. Eine dunkle Gestalt tauchte zwischen den Sträuchern am Fuß des Felsmassivs auf.

„Nicht schießen, Marlowe!“

Es war Sally. Jim, der mit dem Rücken an einem Felsblock lehnte, ließ die Winchester sinken.

„Reichlich spät. Wollen Sie kontrollieren, ob ich auf dem Posten bin?“

Das Mädchen blickte auf die Schläfer, die als dunkle Bündel beim Wagen lagen, ehe es näherkam und sich neben ihn kauerte. Die Nacht war kühl. Sally hatte eine Decke umgehängt. Jim sah ihr Gesicht nur als hellen Fleck. Er spürte ihre Wärme.

„Ich will die Wahrheit wissen, Marlowe.“

„Das klingt, als hätte McLane Sie geschickt.“

„Ich meine nicht Eds Verdacht. Was steht zwischen Ihnen und Rick?“

„Acht Jahre Zuchthaus.“

„Das ist nicht alles.“

Jim presste die Lippen zusammen. Sally wartete. Er hörte ihren Atem. Plötzlich überkam ihn der Wunsch, sie an sich zu ziehen und zu küssen, aber er rührte sich nicht.

„Halten Sie mich für einen Postkutschenräuber und Mörder?“

„Nein.“ Die Antwort kam ohne Zögern.

Jims Herz schlug schneller. Er blickte auf die mondbeschienenen Hügel. Die Erinnerung an unzählige durchwachte Nächte hinter den Mauern des State Prison fraß in ihm.

„Mein Fehler war, dass ich den Kerl, der die Kutsche ausraubte, auf eigene Faust zur Strecke brachte. Der Wells‑Fargo‑Agent in Flagstaff hatte mich als Begleitreiter für den Geldtransport angeheuert. Ich kam bei dem Überfall mit ’nem Streifschuss davon. Der Halunke hielt mich offenbar für tot. Ich erwischte ihn droben am Arroyo Blanco, ungefähr zehn Meilen nördlich von hier. Seit damals kenn’ ich die Gegend. Er hatte die Beute bei sich und wehrte sich. Ich war schneller und zielte besser. Am nächsten Tag traf ich Rick. Er fand das Geld bei mir, zwanzigtausend Dollar, verhaftete mich und schleppte mich vor den Richter.“

„Sie konnten Ihre Unschuld doch beweisen.“

„Das dachte ich auch. Aber ein Sandsturm verwischte alle Spuren des Kampfes. Niemand fand die Überreste des Toten.“

„Rick trug den Stern. Er erfüllte nur seine Pflicht.“

„Ich wurde auf seine Aussage hin verurteilt. Dabei verschwieg er, dass er auf der Spur von zwei Männern in das Wüstengebiet westlich von Flagstaff ritt. Inzwischen bin ich überzeugt, dass nicht die Geier und Kojoten, sondern er den Toten verschwinden ließ.“

„Aus welchem Grund?“, fragte Sally heftig. „Er brachte doch das Geld zurück, oder?“

„Er wollte mich ausschalten – wegen einer Frau. Der Kutschenüberfall kam wie bestellt. Er konnte nicht ahnen, dass jene Frau, um die wir beide warben, sich später für einen anderen entschied.“

„Das sind alles nur Vermutungen.“ Sallys Augen funkelten. „Sie hassen Rick. Deshalb trauen Sie ihm alles Schlimme zu. Ich hab ihn anders kennengelernt.“

„Ich weiß, wie Rick auf Frauen wirkt.“

„Das hat damit nichts zu tun.“

Jim beugte sich vor. Sein Gesicht war nur wenige Zoll von Sally entfernt. „Sie vertrauen einem Wolf.“

„Genug!“ Sally erhob sich.

Gleichzeitig stand auch Jim auf. „Macht Rick Ihnen den Hof? “

„Das geht Sie nichts an.“ Sally wollte zum Lager zurück, aber Jim hielt sie fest.

„Vielleicht doch.“

Sie starrten sich an. Da raschelte es wieder.

„Lass sie los, du Dreckskerl!“, befahl McLane.

Sally stieß einen leisen Schrei aus. Jim wirbelte herum. Er sah noch einen verwischten Schatten, der auf ihn zustürzte. Dann traf ihn McLanes Faust. „Zuchthäusler!“

Jim fiel auf die Knie. „Noch ein Verehrer.“ Knieweich richtete er sich auf.

McLane hob die Fäuste. „Ich hab Bob Tilburn versprochen, auf sie aufzupassen.“

Jim grinste rissig. „Wahrscheinlich, weil du die Lady insgeheim für dich beanspruchst.“

Fluchend griff McLane ihn abermals an. Jim, der eben noch aussah, als könnte ein Windstoß ihn umpusten, drehte sich geschmeidig, stellte dem bulligen Minenteilhaber ein Bein und hieb ihm die Faust ins Genick. McLane vollführte eine Bauchlandung. Er kam so rasch wieder hoch, als wäre er in einen Ameisenhaufen gefallen.

„Na warte, Marlowe!“

„Aber ja.“ Jims Fäuste hingen locker herab. Er ließ McLane dicht herankommen, duckte sich, als der Mann einen Schwinger abfeuerte, und stieß ihm die geballte Linke über die Gürtelschnalle. Dann explodierte Jims Rechte seitlich an McLanes Kinn. Ächzend setzte McLane sich auf den Hosenboden.

Die Dunkelheit verwischte alle Konturen. Reglos verharrte Sally zwischen den Kreosots.

„Ich warte, McLane“, sagte Jim. Sein Gegner schüttelte sich, sprang auf und hielt plötzlich ein Messer. Jims Rechte fuhr zum Holster. Sie war leer. Er hatte die Waffe beim Sturz verloren.

„Ich mach dich fertig, Marlowe!“

„Das würde ich nicht versuchen.“ Ein spöttischer Unterton schwang in Sonora-Ricks Stimme. Ein Colthahn knackte. McLane duckte sich. „Halt dich da raus!“

„Sicher, wenn du das Messer fallen lässt.“

McLane fluchte, gehorchte jedoch.

„All right, Marlowe, dann eben ein anderes Mal.“

Er tat, als wollte er sich abwenden. Aus der Bewegung machte er einen Satz. Seine Stiefelspitze zielte auf Jims Unterleib.

Jim erwartete den Angriff. Er kannte Männer wie McLane, die keine Niederlage ertrugen.

Geschmeidig wich er aus, verfing sich aber an einer Wurzel und stürzte. Mit einem Triumphschrei warf McLane sich auf ihn – direkt in Jims hochzuckende Faust. Schlaff rollte er zur Seite. Jim stemmte sich hoch. Er sah Rick an, der lässig den Colt holsterte.

„Keine Bange, du schuldest mir nichts.“

*

Am Morgen war Webster verschwunden. Seine Fesseln lagen zerschnitten im Sand. Das Pferd fehlte.

„Ich hab mich also doch nicht getäuscht“, rief McLane. Sein Gesicht trug noch die Spuren von Jims Fäusten. Mit der Hand am Revolver wartete er, bis Jim sich aus der Decke schälte.

Die Geräusche ringsum erstarben. Die Sonne lugte über den Horizont. Der Dead Man’s Rock erstrahlte wie in flüssigem Gold. Noch trübte keine Luftspiegelung die Weite. Die Silhouette der Hualapai Mountains stand scharf gezeichnet und scheinbar näher als am Abend zuvor vor dem leuchtend blauen Firmament.

Jim bückte sich nach dem Stetson. Seine Stimme war betont ruhig. „Was meinst du damit, McLane?“

„Jemand hat Webster befreit.“ McLane zog, während Jim sich aufrichtete. „Niemand außer dir kommt in Frage.“

Sanchez hüstelte. Schweißtropfen glänzten auf seinem runden, schnurrbärtigen Gesicht.

„Doch, Señor.“

Die Stille schien sich zu verdichten. Der Mexikaner sah aus, als hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Sonora-Ricks Blick heftete sich auf ihn.

„Wer, Amigo?“, fragte er sanft.

Sanchez schluckte.

„Ich hab beobachtet, dass Sie bei Webster waren, Señor Rick, nachdem Sie die letzte Wache übernahmen. Sie warteten, bis alle schliefen. Ich … ich dachte, Sie wollten Websters Fesseln kontrollieren, Señor Rick.“

Niemand rührte sich. Ein Lächeln geisterte über Sonora-Ricks scharfliniges Gesicht.

„Dachtest du“, murmelte er. Seine Rechte bewegte sich wie eine losschnellende Stahlfeder. Der Colt flog hoch. Entsetzt verdrehte Sanchez die Augen. Da hielt auch Jim die Waffe.

„Wenn du schießt, stirbst du, Rick!“

Zwei Sekunden verstrichen, ehe der schwarzhaarige Revolvermann den Kopf drehte.

„Obwohl du mich doch brauchst, um den Richterspruch abändern zu lassen?“

Jim schwieg. Schließlich schob Rick den langläufigen 44er ins Leder zurück. Jim nickte dem Mexikaner zu.

„Gracias, Amigo.“

„Sanchez kann sich irren“, stieß Sally hervor. „Wahrscheinlich hat Rick wirklich nur Websters Fesseln geprüft.“

„Dann glauben Sie also auch, dass ich Webster befreite?“

„Ein Komplize kann ins Camp geschlichen sein.“

„Das würde bedeuten, dass Rick auf Wache schlief.“

Sally sah blass und übernächtigt aus. Rote Flecken erschienen auf ihren Wangen. „Weshalb sollte Rick wohl Webster helfen?“

„Um den Verdacht auf mich zu lenken.“

Rick zog ein Zigarillo aus der Hemdbrusttasche. „Wenn ich dich los werden will, benutze ich den Colt. Ich glaube nicht, dass du schneller bist.“

„Aber sicher bist du nicht.“

„Ich hab Miss Sally versprochen, zu warten, bis wir das Gold aus Tilburns Mine geholt haben. Sonst könnten wir es jetzt gleich herausfinden. Websters Flucht …“

„Sie kommen!“, rief Doyle Pratt. Im gläsernen Frühlicht waren die Reiter auf der Ebene deutlich zu sehen. Die Entfernung war so groß, dass kein Laut zur Wasserstelle am Dead Man’s Rock drang. Es waren zwölf Mann. Sie kamen in Zweier‑ und Dreiergruppen aus verschiedenen Richtungen. Jeder hielt ein Gewehr. Die Metallteile des Sattel‑ und Zaumzeugs funkelten. Die Hufe schaufelten goldfarbenen Staub. Pratt deutete auf eine dreihundert Yard entfernte Erhebung.

„Da ist Webster.“

Zwei Banditen flankierten den Anführer. Webster wirkte ausgeruht. Seine Hände lagen auf dem Sattelhorn. Er war nur mit einem Revolver bewaffnet. Jim besaß sein Gewehr. Sonora-Rick grinste. „Schade, dass er so weit weg ist. Sonst könnten wir ihn fragen, wer ihm zur Flucht verhalf.“

Auch die übrigen Bandenmitglieder hielten zwei bis dreihundert Yard Abstand. Sie beobachteten.

„Ich schlage vor, dass wir unterwegs frühstücken“, wandte Rick sich an Sally.

„Einverstanden. Doyle, hilf Sanchez, die Pferde anzuspannen!“

„Was immer geschieht, ich werd ein Auge auf dich haben, Marlowe“, drohte McLane.

Rick band sein Pferd los. Er lächelte starr, als er an Sanchez vorbeiritt. „Wir sprechen uns noch, Amigo.“

Zehn Minuten später waren sie wieder auf dem Trail. Sanchez’ Peitsche knallte. Da trieben auch die Banditen ihre Gäule an. Die Sonne stieg. Nach zwei Stunden war es heiß wie in einer Backstube.

*

Der Schuss fiel, als der Wagen über eine niedrige Bodenwelle rumpelte.

Mit einem Aufschrei griff Jerry Baker sich an den Kopf und stürzte seitwärts vom Pferd.

Jim, Pratt und McLane rissen die Gewehre aus den Scabbards. Aber keiner der Banditen befand sich in Winchesterschussweite. Das Fahrzeug hielt.

„Bleiben Sie sitzen, Miss Sally“, rief Rick, der absaß und Baker auf den Rücken drehte. Die Kugel hatte dem jungen Mann die halbe Schädeldecke weggerissen.

„O Lord!“, stöhnte Pratt.

Der dicke Mexikaner bekreuzigte sich.

„Deckung!“, rief Jim, als es auf einer dreihundert Yard entfernten, für die eigenen Gewehre nicht erreichbaren Anhöhe wieder blitzte. Die Pferde stampften und wieherten. Das Blei traf den Studebaker‑Schoner. Ein dumpfes Krachen kam über die Ebene.

„Eine Sharps mit Zielfernrohr“. Rick landete mit einem Panthersatz auf dem Pferd. „Fahr zu, Sanchez, sonst putzt der Bastard uns der Reihe nach weg.“

Sanchez schwang die Peitsche. Die Braunen vor dem Wagen stemmten sich in die Sielen. Staub quoll empor.

„Wir können Jerry doch nicht einfach liegen lassen“, protestierte Pratt.

Rick schaute zurück. „Dann begrab ihn.“

Pratt fluchte, dann galoppierte er hinter dem schwankenden und knarrenden Fahrzeug her. Drüben lag Bakers Mörder auf der wie eine Insel aus der flimmernden Ebene ragenden Anhöhe das weittragende Büffeljägergewehr. Die übrigen Banditen umschlossen den Planwagen nach wie vor in einem weiten Kreis. Webster winkte dem Todesschützen, worauf dieser sich aufs Pferd schwang und zum nächsten abgeflachten Hügel preschte.

„Nach Süden, Sanchez!“, befahl Sally.

Aber Webster und noch einige Reiter bildeten sofort eine Kette, als sie das Manöver bemerkten. Ein halbes Dutzend Gewehrmündungen starrten dem Wagen entgegen. Inzwischen ging der Sharps‑Schütze wieder in Stellung. Die schwerkalibrige, einschüssige Waffe ruhte auf einer in den Boden gerammten Eisengabel. Kaltblütig visierte der Schütze wieder die Reiter an.

McLane fluchte erbittert.

„Die verdammte Knarre reichte eine halbe Meile weit! Im deckungslosen Gelände haben wir keine Chance. Wir hätten durchs Arroyo Blanco fahren sollen.“

„Da droben gibt’s um diese Jahreszeit nur ausgetrocknete Wasserlöcher“, hielt Jim ihm entgegen.

Die Sharps donnerte. McLane fluchte noch wütender, als die Kugel so knapp vorbeifauchte, dass er den Luftzug spürte. Rasch lenkte er sein Pferd auf die vom Schützen abgekehrte Wagenseite.

Jim blickte Sonora-Rick an. „Zu zweit erwischen wir ihn.“

„Inzwischen schnappen Webster und die anderen sich den Wagen.“

„Vergiss nicht, dass wir die Gatling haben.“

McLane rief: „Wir brauchen jede Patrone, um Sallys Vater und die Männer herauszuhauen.“

„Und das Gold“, fügte Jim kühl hinzu.

McLane starrte ihn böse an.

„In Ordnung“, entschied Sally. „Rick hat mir gezeigt, wie man die Gatling bedient. Ich halte die Schufte auf.“

Entschlossen kletterte sie nach hinten.

„Dann mal los!“, forderte Jim den Revolvermann auf.

*

Das neuerliche Krachen des Büffeljägergewehrs mischte sich in das Hämmern der Hufe. Jim und Rick stoben auseinander. Der Reitwind zerrte an ihren Hutkrempen und Halstüchern.

Jim hielt Websters Winchester, Rick verließ sich auf den Colt. Die Entfernung für einen Treffer war immer noch zu groß. Die wirbelnden Hufe schienen den Boden nicht zu berühren. Aus den Augenwinkeln sah Jim, dass Webster und seine Kumpane auf den Wagen zugaloppierten. Das Donnern der Hufe ließ die Ebene erzittern.

Der Sharps‑Killer lud routiniert nach. Als er wieder durchs Zielfernrohr spähte, waren die Sättel der beiden zur Anhöhe stürmenden Pferde leer.

Der Bandit stutzte. Dann entdeckte er die klammernden Hände an den Sätteln, die flatternden Halstuchzipfel und die unter den Pferdebäuchen hervorlugenden Sporen. Die Reiter hingen an den Flanken der Tiere. Die Entfernung schrumpfte so schnell, dass der Bandit einen Moment unschlüssig war, welches Pferd er zuerst erschießen sollte.

Da flammte Jims Winchester. Ein Sandschwall spritzte dem Killer ins Gesicht, als er abdrückte. Der Schuss verfehlte Jims Braunen. Die Hände des Mannes zitterten, während er hastig lud und das immer lautere Trommeln der Hufe seine Ohren füllte. Keuchend richtete er das Gewehr ein.

Doch Jims nächster Mündungsblitz kam aus der Staubwolke hinter dem schräg am Hügel vorbeigaloppierenden Pferd. Jim lag auf dem Bauch, die Ellbogen aufgestützt, den Kolben der Winchester an der Schulter. Seine Schüsse waren für Rick das Signal zum Abdrehen. Drei Reiter wollten dem Schützen mit der Sharps zu Hilfe eilen. Der sehnige Revolvermann preschte ihnen entgegen.

Währenddessen flog die Wagenplane hoch. Das Laufbündel der Schnellfeuerkanone starrte Webster und seinen Kumpanen entgegen. Geduckt, eine Hand an der Kurbel, stand Sally hinter der gefährlichen Waffe. Sanchez und Pratt kauerten hinter dem Fahrzeug. McLane blieb im Sattel.

Der Sharps‑Schütze lud.

Jim sprang auf, rannte zwanzig Yards und ließ sich fallen. Es dröhnte, die Kugel schlug hinter ihm ein. Pulverqualm umhüllte den Mann und das Pferd auf der Kuppe.

Jim schoss, federte hoch und schoss im Anstürmen. Dabei hielt er die Winchester im Hüftanschlag.

Fluchend ließ der Bandit die Sharps fallen, erhob sich und feuerte mit dem Revolver. Sand spritzte vor Jims Füßen auf. Der Repetierbügel der Winchester schnappte. Ein erneuter Feuerstoß verließ den Lauf.

Wiehernd zerrte das angepflockte Banditenpferd am Seil. Sein Besitzer zielte nun mit vorgestreckter Waffe. Seine Linke umfasste das rechte Handgelenk.

Schweißrinnsale glitzerten auf dem stoppelbärtigen Gesicht. Der Stetson hing auf dem Rücken, die Bandana war verrutscht. Verbissen konzentrierte der Mann sich auf den Angreifer. Plötzlich blieb Jim stehen, hob die Winchester und zielte ebenfalls. Beide Schüsse krachten wie einer.

Jims Kugel kam den Bruchteil einer Sekunde früher aus dem Lauf. Der Stoppelbärtige bekam eine Kugel in den Hals und wurde halb herumgerissen. Sein Revolver wirbelte weg. Leblos fiel er auf die Sharps.

Jim lief weiter. Hufgetrappel, Geschrei und Schüsse schallten zu ihm. Er keuchte den Hang hinauf, hob die Sharps auf und band das Pferd los. Dreihundert Yard entfernt begann die Gatling, zu rattern. Ein Feuerstoß genügte. Fluchend rissen Webster und seine Spießgesellen die Pferde zurück.

Im spitzen Winkel zu Wagen und Hügel hielt Sonora-Rick neben einer reglos im Sand liegenden Gestalt. Einer der Banditen, denen er sich entgegengestellt hatte, floh. Hufschlag näherte sich der Anhöhe. Jim drehte sich um, und sah den dritten Banditen mit flatternder Jacke auf sich zupreschen.

Der Mann war Rick ausgewichen. Er schlang die Zügel ums Sattelhorn, damit seine Hände für die Winchester frei waren. Nach Indianerart lenkte er das Pferd mit Schenkeldruck und Fersenstößen. Die Waffe blitzte.

Aber vom dahinjagenden Pferd besaß er höchstens die Chance eines Zufallstreffers. Jim verstaute die Sharps im Sattelfutteral. Seine Winchester peitschte.

Der erste Schuss ging daneben, der zweite schleuderte den Gegner rückwärts vom Gaul. Rick kam ebenfalls zum Hügel. Er winkte und deutete in Richtung Planwagen.

„Webster will deinen Skalp!“

Die von der Gatling abgewiesene Meute stob über die Ebene heran. Jim sprang in den Sattel, wartete aber, bis der Revolvermann bei ihm war. „Bist du sicher, dass Sam Webster es nur auf mich abgesehen hat?“

Rick lachte grimmig. Die Bande schnitt ihnen den Rückweg ab. Nebeneinander galoppierten sie nach Süden.

*

Jims Pferd lahmte. Der Reiter stieg ab und untersuchte den verletzten Huf. Hügel türmten sich ringsum. Felsen und Geröllfelder reflektierten die gleißende Helligkeit. Staub waberte über den zerklüfteten Kämmen, zwischen denen sich die Fährte der Flüchtenden hervorwand.

Hufschlag grollte. Als Jim sich aufrichtete, hielt Sonora-Rick den Sechsschüsser.

„Ich könnte dich zurücklassen, damit du die Kerle aufhältst.“

„Wer soll euch dann zur nächsten Wasserstelle führen?“

Da schob Rick grinsend den Colt ins Holster.

„Well, mein Schecke kann uns beide ’ne Weile tragen. Steig auf.“

„Ich hab ’ne bessere Idee. Wir besorgen uns Ersatzpferde von Websters Männern.“

Sonora-Rick spähte zu den Kämmen, hinter denen das Hufgetrappel lauter klang.

„Es sind neun oder zehn Mann. Bisschen viel auf einmal.“

„Ich werd’ sie ablenken. Du verschwindest. Sam wird’s für selbstverständlich halten, dass du mich mit dem erledigten Gaul im Stich lässt.“

Jim tat, als müsste er die festgeklemmte Winchester unter dem toten Pferd hervorzerren.

Ricks Schuss hatte das Tier gefällt. Der Rotfuchs hatte sich zwar nur die rechte Vorderfessel verstaucht, aber die nächste Wasserstelle lag so weit entfernt, dass die Kugel ihm einen langsamen und qualvollen Tod ersparte.

In dichtem Pulk preschten die Verfolger aus einer Felsbiegung. Sie eröffneten sofort das Feuer. Jim warf sich hinter den Pferdeleib, legte das Gewehr auf den abgewetzten Sattel und empfing die Bande mit einer Serie blitzschneller Schüsse.

Sie stoben auseinander, als wäre eine Sprengladung zwischen ihnen explodiert. Von Staub und Pulverrauch umwogt, sausten sie aus den Sätteln.

„Bring die Gäule weg, Glenn!“, schrie Webster.

Jim repetierte, schoss, repetierte und schoss.

Die Gegner verschwanden hinter Felsbrocken und Fettholzstauden. Es blitzte und krachte, als wären zwei feindliche Spähtrupps aufeinandergeprallt. Der Pferdekadaver zuckte unter den Kugeleinschlägen.

Dann rief Webster: „Sei nicht närrisch, Jim! Gib auf, dann bekommst du ’ne faire Chance.“

„Das kannst du deiner Großmutter erzählen.“

„Wir wollen nur die verdammte Gatling, Mann – und natürlich Tilburns Gold.“

„Weshalb seid ihr dann hier?“

Flüche antworteten. Wieder krachten die Revolver und Gewehre. Jim füllte Patronen in das Röhrenmagazin der Winchester. Die Banditen versuchten, sich heranzuarbeiten. Drei Mann schossen abwechselnd, während ihre Kumpane von Deckung zu Deckung krochen. Ein pausenloser Geschosshagel hinderte Jim am Zielen. Er gab aufs Geratewohl hastige Schüsse ab.

Rick blieb verschwunden. Der Gedanke, dass er sich vielleicht doch aus dem Staub gemacht hatte, durchzuckte Jim. Er entschloss sich, einige Minuten zu warten. Aber was dann? Der nächste felsbedeckte Hang war zwanzig Schritte entfernt. Zwanzig Schritte, die im Kugelregen der Webster‑Bande den sicheren Tod bedeuteten.

Die Sonne brannte auf Jims Rücken. Seine Kehle war trocken. Er hatte die Sattelflasche nicht mehr in Sicherheit gebracht. Mehrere Kugeln hatten sie durchlöchert. Der Pulverdampf biss in Jims Augen und reizte die Schleimhäute. Plötzlich hörte das Schießen auf.

„He, Jim, hast du’s dir überlegt?“

Websters Ruf kam von einem nur fünfzehn Yard entfernten Felsblock. Vorsichtig hob Jim den Kopf. Sofort krachte es an zwei, drei verschiedenen Plätzen. Lederstücke vom Sattel trafen Jims Gesicht. Er wollte zurückschießen, da gellte hinter der Biegung ein Schrei. Pferde wieherten, ein Schuss fiel.

„Glenn!“, brüllte Webster.

Hufe trommelten. Eine überkippende Stimme kreischte: „Sie haben uns reingelegt! Sonora-Rick haut mit den Pferden ab!“

Jim zielte auf den Felsblock. Webster tauchte auf, ließ sich aber gedankenschnell fallen, als Jim abdrückte.

„Dafür hol ich mir deinen Skalp, Jim!“

„Versuch’s!“

Das Hufgetrappel entfernte sich zuerst, dann hörte Jim es von der Seite.

Rick sprengte mit drei Pferden im Schlepp aus dem Schatten haushoher Klippen. Sein Colt hämmerte. Ein Verwundeter schrie.

Jim sprang auf und rannte ihm entgegen.

Rick warf ihm die Zügel zu.

*

Sally lief den Reitern entgegen. Als Jim abstieg und sich umdrehte, ergriff sie seine Hand. Sie atmete schnell. Ihre Brüste hoben und senkten sich. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit erkannte Jim das Pochen der Ader an ihrem schlanken Hals.

„Ich hatte keine Hoffnung mehr, Sie und Rick wiederzusehen.“

„Gratuliere, Jim.“ Rick lachte kehlig. Der Eisglanz seiner dunklen Augen stand in krassem Widerspruch zu seinen Worten.

Der Wagen stand im ebenen Gelände. Halbverdorrte Kreosot‑, Ocotillo‑ und Catclaw‑Sträucher wuchsen ringsum. Da und dort ragten Felsen empor. Kein Lagerfeuer brannte. Die Pferde schnaubten durstig. Das Camp befand sich zehn Meilen südlich der Wasserstelle, zu der Jim sie hatte führen wollen. McLane, Pratt und Sanchez warteten schweigend. Die Erinnerung an Bakers gewaltsamen Tod verdüsterte ihre Gesichter.

Jim führte das Pferd zum Wagen. Sein Wallach begrüßte ihn mit einem halb freudigen, halb eifersüchtigen Wiehern. Er hatte sich nach der Flucht von allein wieder zu den Zurückbleibenden gesellt. Jim tätschelte ihn.

„Reg dich ab, Amigo. Natürlich bleiben wir beide zusammen.“

Sanchez brachte ihm einen halbvollen Kaffeebecher.

„Mehr haben wir nicht. Das restliche Wasser brauchen wir für die Gäule.“

Jim trank. Er spürte die Spannung, die alle umfing. Der Mond ging auf. Bleiches Licht fiel auf die Sträucher, die bis auf wenige Yard an den Planwagen heranreichten. Kein Laut kam über die Ebene. Jim runzelte die Stirn.

„Wir sollten weiterfahren. Das ist kein guter Platz.“

„Die Pferde können nicht mehr.“

Jims besorgter Blick galt den im Westen aufziehenden Wolken.

„Spätestens um Mitternacht ist es stockfinster. Dann sehen wir Websters Banditen erst, wenn sie zu schießen anfangen.“

„Ich hab ein altes Hausmittel gegen nächtliche Überfälle.“ Grinsend zog Sonora-Rick ein dunkles, längliches Bündel aus der Satteltasche. Es waren drei zusammengeschnürte Dynamitpatronen. „Ein Andenken aus Dryhill.“

*

Eine Hand berührte Jim Marlowes Schulter. Er war bereits wach. Seine Rechte umspannte den Coltgriff. Ein Rascheln und Knistern kam aus dem Gebüsch, obwohl kein Lufthauch die

Sträucher bewegte.

„Sie kommen!“, flüsterte Sonora Rick. „Sag den ändern, sie sollen sich unterm Wagen verstecken – und kümmere dich um Sally!“

Lautlos glitt er davon. Die Dunkelheit verschluckte ihn.

Jim schlug die Decke zurück, kroch zu Sally und weckte sie. Wolken verhüllten das Firmament. Nur vereinzelte Sterne blinkten. Die Sicht reichte nur wenige Schritte. In der Ferne heulten Kojoten. Die Pferde bewegten sich unruhig. Die Zugtiere waren für alle Fälle noch angeschirrt. Sanchez schlief bei ihnen. Erschrocken fuhr er hoch, als Jim ihn rüttelte.

„Bei allen Heiligen …“

„Leise, verdammt!“, raunte Jim. „Die Kerle wissen sonst, dass wir sie erwarten.“

„Tut mir leid, Señor.“ Fahrig tastete der Mexikaner nach seinem zerknautschten Sombrero. „Ich … ich bin zu aufgeregt.“

Das Rasseln war verstummt. Schnaufend und ächzend zwängte Sanchez sich zu Sally, McLane und Pratt unter den Studebaker‑Schoner. Jim wartete, den Colt in der Faust. Damit die Pferde nicht durchgingen, wenn es zu einer Schießerei kam, zog er die Bremse noch fester. Die Plane war wieder festgezurrt. Das Laufbündel der Gatling zeichnete sich undeutlich ab.

Jim lauschte. Auch der ferne Kojotenchor verstummte. Nichts rührte sich. Wie eine schwarze Mauer ragten die Büsche um den Wagen auf. Rick schien vom Erdboden verschluckt. Plötzlich erhellte ein gleißender Blitz die Umgebung des Fahrzeugs.

Ein Donnerschlag erschütterte die Nacht. Die Pferde wieherten schrill. Jim duckte sich, als er die erschrocken zurückprallenden oder sich zu Boden werfenden Gestalten ausmachte. Gewehr‑ und Revolverläufe glänzten. Einige Banditen waren nur mehr ein Dutzend Schritte vom Wagen entfernt.

Die Druckwelle der Explosion rauschte wie eine Sturmbö durchs Dickicht. Zerfetzte Zweige und Blätter umwirbelten den Planwagen. Die Pferde rissen wiehernd an den Stricken. Nach wenigen Sekunden herrschte wieder pechige Finsternis. Sonora-Ricks Ruf durchdrang sie.

„Wir haben noch mehr Dynamit, Webster! Wenn deine Leute schießen, riskieren sie, dass der Wagen samt der Gatling in die Luft fliegt.“

„Dann geht ihr mit drauf.“

Rick lachte. Es kam aus einer anderen Richtung. „Welchen Unterschied macht’s, ob eure Kugeln oder das Dynamit uns ins Jenseits befördern?“

„Verdammter Bluffer!“

Revolverfeuer blitzten. Aber Sonora‑Rick hatte bereits wieder die Stellung gewechselt.

„Du kannst es natürlich drauf ankommen lassen, Webster. Aber dann kassiert Juan Calaveras das Gold im Canyon del Sol.“

Die Geräusche verebbten. Sally kroch unter dem Wagen hervor, band die Plane los und schwang sich auf den Bock. Jim sah, dass sie an der Schnellfeuerkanone hantierte.

„Sie könnten Rick treffen! Warten Sie, bis die Banditen angreifen,“

McLane und Pratt schoben sich mit feuerbereiten Gewehren neben Jim. Nur Sanchez blieb schwitzend unter dem Fahrzeug.

„Sam, wer hat dich eigentlich neulich befreit?“, rief Jim.

Webster lachte. „Was würde geschehen, Amigo, wenn ich behaupte, du warst das?“

Jim biss die Zähne zusammen. McLane murmelte eine Verwünschung.

Dann meldete sich Webster wieder. „He, Sonora-Rick, was hältst du davon, wenn wir Calaveras gemeinsam zum Teufel jagen? Die Hälfte von dem Gold genügt meinen Leuten und mir.“

„Werd’s mir überlegen.“

„O nein, Compadre. Du täuschst dich, wenn du glaubst, du kannst Zeit schinden. Mein Angebot gilt nur jetzt. Entscheide dich!“

„Ihr verfluchten Mörder werdet kein Körnchen von dem Gold bekommen“, versprach Sally.

„McLane, was sagst du?“

Jim bemerkte eine Bewegung am Heck des Fahrzeugs. Zuerst dachte er, dass Rick zurückkam. Aber ein Zögern der dunklen Gestalt warnte ihn. Im Bruchteil einer Sekunde begriff Jim, dass Webster sie nur ablenkte. Er trat, noch immer nicht ganz sicher, einen Schritt auf den Mann zu.

„Rick?“

Er ahnte die ruckende Bewegung der Revolverfaust mehr, als er sie tatsächlich sah. Sein 44er dröhnte. Die von der Dunkelheit umwobene Gestalt stürzte zu Boden.

„Rick!“, gellte Sally.

„Ich bin hier.“ Der Revolvermann glitt katzenhaft aus der Dunkelheit. „Webster hat ’nen Killer geschickt. Wenn Jim ihn nicht erwischt hätte …“

Der Getroffene bewegte sich.

„Kein Dynamit, Sam!“, krächzte er. „Sie bluffen …“

Rick feuerte. Der Bandit fiel auf den Rücken, ein blutiges Loch in der Stirn. Alle hielten den Atem an.

„Mord“, flüsterte Doyle Pratt.

Klickend drehte sich die Trommel von Sonora-Ricks Colt. Der Revolvermann sah über die Schulter.

„Hast du was gesagt, Amigo?“, erkundigte er sich sanft.

Pratt schluckte. Jim erwartete das Krachen von Schüssen, aber alles blieb still. Nur die Pferde stampften und prusteten, und die Deichsel knarrte. Plötzlich flackerte Licht zwischen den Büschen.

„Zu den Pferden!“, befahl Webster. Männer hasteten davon.

Flammen züngelten, der Lichtschein wuchs.

Jim schrie: „Fort! Das Dickicht brennt!“

Mehrere Sträucher loderten wie Fackeln. Gierig griff das Feuer um sich. Schüsse peitschten, aber die Kugeln stifteten keinen Schaden. Dichter Qualm nahm den davonjagenden Banditen die Sicht.

*

Der Wagen schlingerte. Sally klammerte sich an die Seitenlehne. Der Mexikaner stemmte die Füße ein, dirigierte das durch die Nacht stürmende Gespann mit der Linken und schwang die Peitsche. Der Sombrero war ihm in den Nacken gerutscht. Das runde Gesicht mit dem buschigen Schnurrbart glühte. Paco Sanchez war zwar kein Kämpfer, aber wenn einer es schaffte, den Gatling‑Wagen vor dem Feuer zu retten, dann war er es.

Sträucher und Felsen huschten vorbei. Pratt galoppierte mit einer funkensprühenden Fackel voraus. Aber Sanchez verließ sich mehr auf die Pferde und den eigenen Instinkt. Haarscharf lenkte er das Gefährt an einem im Dickicht verborgenen Felsen vorbei. Zwei Sekunden holperte der Wagen auf nur zwei Rädern dahin. Sally schrie. Die Achsen krächzten. Die geflochtene Peitschenschnur tanzte über den Pferderücken, ohne sie zu berühren.

„Hey, hey!“, schrie der dicke Mexikaner.

Jim lenkte seinen Braunen neben den Wagen.,

„Mehr nach Norden, Sanchez! Wir müssen zu den Felsen am Arroyo Blanco. Glaubst du, dass wir’s schaffen?“

„Wenn die Pferde durchhalten, Señor!“

Jim blickte zurück. Eine Feuerwalze folgte ihnen. Funken wirbelten voraus und entfachten immer neue Brandherde. Das Feuer breitete sich nach allen Seiten aus. Ein Brausen erfüllte die Nacht. Die Banditen waren verschwunden.

„Lauft, meine Braven! Zeigt, was ihr könnt!“ Die allmählich heiser werdende Stimme des Fahrers gellte Jim in den Ohren. Ein Zipfel der Wagenplane flatterte. Die Gatling war festmontiert, die Munitions‑ und Proviantkisten mit Stricken gesichert. Der Wagen fegte wie auf einer Rennbahn dahin. Eins der Pferde stolperte. Sofort riss Sanchez an den Zügeln. Die Braunen liefen wieder im aufeinander abgestimmten Galopp.

Jim jagte nach vorn und wies Pratt die Richtung. Die zusätzlichen Pferde, die Rick von der Webster‑Bande erbeutet hatte, waren an Pratts Sattel festgeleint. Die Hufe schlugen dumpf. Das Feuer holte auf. Roter Lichtschein erfasste das schwankende Gefährt. Doch die Büsche wuchsen jetzt spärlicher. Die Räder malmten über steinigen Boden. Schließlich ragten mehrere Felskegel vor den Flüchtenden auf. Kein Strauch und kein Grasbüschel bot hier dem Feuer neue Nahrung.

Sanchez lenkte das Gespann auf eine felsige Anhöhe und hielt. Die Flanken der Pferde waren schweißbedeckt.

„Dafür habt ihr euch ’ne Extraration verdient“, lobte der Mexikaner. Ohne sich selbst eine Pause zu gönnen, rieb er sie trocken und tränkte und fütterte sie. Durchgerüttelt und benommen blieb Sally sitzen.

Jim versorgte ebenfalls sein Pferd. Der Druck in seinen Schläfen ließ langsam nach. Allmählich verblasste der Feuerschein. McLane und Pratt kamen zum Wagen.

„Wo ist Rick?“

Jim erhielt keine Antwort. Jeder hatte nur auf sich selbst geachtet. Sally kletterte bleich vom Bock. Auch sie hatte den Revolvermann nicht gesehen.

Sie lauschten, warteten, aber Sonora‑Rick kam nicht. Fahle Dunkelheit senkte sich auf die Wildnis. Der Mond leuchtete durch einen Riss in der Wolkendecke, aber Rauchschwaden vernebelten die Sicht. Da und dort brannten noch Sträucher. Plötzlich drang das Krachen von Schüssen durch die Nacht.

Sofort saß Jim wieder im Sattel.

„Es kann ’ne Falle sein, Señor“, warnte Sanchez.

Jim zog das Gewehr aus dem Scabbard. Nichts regte sich mehr. McLane und Pratt standen bei ihren Pferden, jeder die Hand am Revolver. Jim spürte Sallys Blick, ohne in ihre Richtung zu sehen.

„Bleibt hier“, entschied er und ritt den steinigen Hang hinab.

Die Dunkelheit löschte den hellen Fleck der Wagenplane hinter ihm aus. Die Skelette verkohlter Sträucher umgaben ihn. Die Erde war heiß. Jims Wallach schnaubte und tänzelte. Jeder Huftritt wirbelte Asche auf. Brandgeruch erfüllte die Luft.

Mit schussbereitem Gewehr ritt Jim in die Richtung, in der die Schüsse gefallen waren. Alle zwanzig, dreißig Yards hielt er und lauschte. Der Mond verschwand und tauchte wieder in einer Wolkenlücke auf. Noch immer knisterten Flammen. Glimmende Zweige lagen in der Asche. Rauchschleier umwogten den Reiter.

Plötzlicher Hufschlag trieb Jim aus dem Sattel. Er legte dem Wallach eine Hand auf die Nüstern.

„Ruhig, mein Guter“, raunte er. Mann und Pferd verharrten reglos. Schattengestalten bewegten sich in der Schwärze. Pferde stampften.

„Verdammt, das gibt’s doch nicht. Er muss in der Nähe sein“, verstand Jim. Die Finsternis verschluckte die Reiter.

Sie suchten Sonora-Rick. Jim wartete eine Minute, ehe er aufstieg und weiterritt.

Nach zwanzig Yards lag etwas Dunkles, Massiges vor ihm – ein totes Pferd – Ricks Tier.

Mehrere Kugeln hatten es gefällt. Im Glimmen eines halbverbrannten Strauchs sah Jim, dass Ricks Winchester und die Sattelflasche fehlten. Dann kamen Geräusche von rechts. Noch ein zweiter Suchtrupp war unterwegs. Jim duckte sich. Verstreute Lichtpunkte flackerten im Rauch.

Es gab nur einen Platz, wo Rick sich in Sicherheit gebracht haben konnte, ein Geröllfeld westlich jener Stelle, wo der Kadaver lag.

Befand Rick sich noch dort? Entschlossen ritt Jim weiter, jeden Moment auf einen Zusammenstoß mit Websters Sattelwölfen gefasst.

Jims Finger ruhte am Abzug der Winchester. Die Waffe flog hoch, als unvermittelt eine dunkle Gestalt vor ihm stand. Im letzten Augenblick erkannte Jim den Revolvermann. Ricks Zähne blinkten im rußverschmierten Gesicht.

„Ich hab auf dich gewartet.“

*

Die Sonne beschien den Wagen und die Felsen. Das Land im Süden und Osten war verbrannt. Westlich der Anhöhe erstreckten sich Geröllfelder, von vereinzelten Buschstreifen durchbrochen. Die Hualapai Mountains standen scheinbar zum Anfassen nahe dahinter. In der kristallklaren Morgenluft war jede Felskerbe und jeder Grat deutlich zu erkennen. Im Norden erhoben sich zerklüftete Hügel. Das Arroyo Blanco schlängelte sich zwischen ihnen. Die Wildnis war totenstill. Von den Banditen gab’s kein Lebenszeichen.

Jim kauerte neben dem Studebaker‑Schoner. Mit dem Coltlauf zeichnete er Linien in den Sand.

„Es gibt zwei Wege zum Canyon del Sol. Der eine führt zwölf Meilen nordwestlich von hier durch die Apache Gulch, der andere südlich davon über die Redstone Hills. Er ist allerdings nur für Reiter passierbar.“

McLane schob das eckige Kinn vor.

„Wir haben genug Pferde, die Gatling samt Munition umzuladen und auch ausreichend Wasser und Proviant mitzunehmen.“

„Stimmt“, pflichtete Rick bei. „Aber welchen Weg wir auch einschlagen, Webster und seine Kumpane werden vor uns da sein und auf uns lauern. Ich bin sicher, dass sie den Hügel beobachten. Einige von ihnen müssen zwar zu zweit mit einem Pferd auskommen. Sie werden trotzdem genug Zeit haben, ’ne Falle aufzubauen, sobald sie unseren Aufbruch mitbekommen.“

„Wir werden uns durchkämpfen“. Sally sah noch blass und erschöpft aus. Aber in ihren Augen funkelte die alte Entschlossenheit.

Sonora-Rick brannte sich ein dünnes, schwarzes Zigarillo an. „Ich hab ’ne bessere Idee. Und zwar schlag ich vor, dass wir den Spieß umdrehen und Websters Bande in die Falle locken.“

„Wie?“

„Wir benutzen den Wagen als Köder. Wir laden die Gatling und die Munition auf die Gäule, die ich Websters Banditen abnahm. Der Wagen fährt zur Apache Gulch. Webster und seine Meute werden ihn dort erwarten. Dann nehmen wir sie mit der Gatling in Empfang. Jim wird uns durchs Arroyo Blanco lotsen, ohne dass sie was merken. Solange sie den Wagen auf dem Hügel sehen, schöpfen sie bestimmt keinen Verdacht.“

„Möglich. Aber sie werden gewiss misstrauisch, wenn nur ein paar von uns noch den Wagen begleiten.“

„Sanchez muss dafür sorgen, dass der Wagen genug Staub aufwirbelt, bis er die Hügel erreicht. So nahe sind die Burschen auch wieder nicht, dass sie Einzelheiten erkennen. Sie hätten sonst nicht den nötigen Vorsprung. Es genügt, wenn Sanchez fährt und Pratt ihn begleitet. Wir könnten Decken ans Heck binden. Das erzeugt genug Staub.“

Pratt machte ein bedenkliches Gesicht. „Was meinst du, Sanchez?“

„Die Señorita ist der Boss.“

Sally strich eine blonde Strähne aus der Stirn.

„Wenn es sein muss, fahre ich den Wagen selbst. Ich halte Ricks Plan für durchführbar.“

„Dann ist es entschieden“, erklärte Sanchez.

Pratt zögerte, dann nickte er. „Also gut, laden wir um.“

*

Jim nutzte jede Deckung, bis sie das ausgetrocknete Flussbett erreichten.

Sally ritt hinter ihm. Dann folgten Sonora-Rick und McLane mit den beladenen Pferden.

Der Wagen stand noch auf der Anhöhe. Die verwaschene Plane war wie das Segel eines gestrandeten Schiffs weithin zu sehen. Die Felsen verbargen Sanchez und Pratt. Rick hatte eine halbe Stunde Abstand vereinbart, damit Jim die Gatling‑Gruppe auf einem Umweg zur Apache Gulch führen konnte.

Nach zwei Meilen gabelte sich das Arroyo. Jim wartete, bis die anderen aufschlossen. Die Sonne stand inzwischen über den Hügeln. In der tiefeingeschnittenen Rinne war es brutheiß. Jim deutete auf den nach Nordwesten gerichteten Einschnitt.

„Wir müssen uns beeilen, sonst sind die Banditen vor uns dort.“

„Wir reiten geradeaus“, bestimmte Rick hinter ihm.

Jim drehte sich. Seine Rechte fuhr zum Colt.

Doch Rick hielt bereits den Sechsschüsser. Er lächelte. „Mach keinen Fehler, Jim. Wenn alles klappt, sind wir übermorgen im Canyon del Sol, ohne dass wir nur noch einmal Sam Websters Nasenspitze sehen.“

Sally sah ihn erschrocken an.

Langsam nahm Jim die Hand von der Waffe. „Und was wird aus Sanchez und Pratt? “

Ricks Antwort war ein Achselzucken. Er blieb wachsam. Offenbar traute er es Jim zu, dass er doch noch zog. Da drehte Sally das Pferd.

Aber schon war McLane neben ihr und entwand ihr die Zügel. „Er hat recht, Sally! Das ist die beste Lösung. Wir würden nur unnötig unser Leben und die Gatling riskieren, wenn wir uns mit den Banditen anlegen. So aber gewinnen wir einen ausreichenden Vorsprung.“

„Hast es erfasst, Compadre“, bestätigte Rick.

Sallys Blick schnellte von McLane zu ihm. „Das kann nicht euer Ernst sein!“

„Sie haben mich angeworben, Miss Sally, die Gatling unter allen Umständen durchzubringen.“

„Nicht um den Preis des Verrats!“

„Alle kannten das Risiko, als wir Flagstaff verließen. Außerdem will Webster nur die Schnellfeuerkanone. Wenn sich rausstellt, dass sie nicht mehr auf dem Wagen ist, lässt er Sanchez und Pratt in Ruhe.“

„Das glaub ich nicht! Ed, gib mir die Zügel.“

„Tut mir leid Sally. Ich hab deinem Pa versprochen, dass ich dich beschütze…“

„Nimm ihr das Gewehr ab, McLane!“, befahl Sonora-Rick. „Sie wird noch froh sein, dass wir so handeln. Jim, schnall die Kanone ab. Gib den Gurt McLane. Das Gewehr auch.“

„Jetzt zeigst du dein wahres Gesicht, Rick. Aber du wirst nicht schießen. Die Banditen könnten es hören, und dann, Rick, war alles umsonst.“

Ihre Blicke trafen sich wie Dolchklingen. Kein Muskel bewegte sich in Ricks Gesicht.

„Das hoffst du nur.“

Jim wendete. Für einen Augenblick schien die Zeit stehenzubleiben. McLane hielt die Zügel von Sallys Pferd und ihr Gewehr. Rick musste an den mit der Gatling und den Kisten beladenen Pferden vorbei, wollte er Jim den Weg abschneiden.

Gleich darauf war Jim an der Gabelung. Der Schatten, den die Felsen aufs Arroyo warfen, sog ihn auf.

*

Das Krachen der Revolver und Gewehre alarmierte Jim. Der zur Schluchtkante emporschwingende Hang war so steil, dass er aus dem Sattel musste. Er zog den Wallach mit. Steine klirrten. Auf Jims Wangen glänzten Schweißrinnsale. Seine Rechte umspannte die Winchester.

Der Kampfeslärm schwoll an, erstarb, und Jim fürchtete schon, dass er zu spät kam. Da fielen wieder Schüsse.

Keuchend erreichte Jim den Grat. Unter ihm lag die Apache Gulch. Pulverdampf quoll wie Nebel zu Jim empor.

Eine Gerölllawine hatte den Planwagen umgeworfen und die Pferde getötet. Die Beine eines Mannes ragten unter den Steinen hervor. Sie gehörten Pratt.

Sanchez hatte sich demnach allein verteidigt. Die Schüsse waren verstummt. Die Banditen hatten ihre Deckung verlassen. Schussbereit näherten sie sich dem Gefährt.

Der Mexikaner saß am Heck. Websters stämmige Gestalt überragte ihn. Der Revolver des Bandenführers berührte Sanchez’ Schläfe. Jim handelte. Er gab einen Schuss in die Luft ab.

„Lass ihn am Leben, Sam!“

Die Banditen zuckten herum.

Ein Wildpferd schlängelte sich vor Jim in die Tiefe.

Websters Waffe blieb am Kopf des Mexikaners. „All right, Jim, ihr habt uns reingelegt. Ich will die Gatling für den Greaser!“

„Rick und McLane haben sie. Ich bin allein.“

„Sieht dir ähnlich. Was hältst du davon, wenn wir uns doch noch zusammentun?“

Jim antwortete nicht. Vorsichtig lenkte er den Wallach den schmalen Pfad hinab. Die Gewehre und Revolver der Banditen bewegten sich mit.

Webster trat zwar einen Schritt zurück, aber seine Waffe blieb auf Sanchez gerichtet. Der Mexikaner blutete an der rechten Schulter. Sein schnurrbärtiges Gesicht war schmutzigbraun. Fünf Mann befanden sich bei Webster.

„Kanone weg, sonst stirbt der Greaser“, drohte Webster, als Jim die Schluchtsohle erreichte.

Jim schnallte den Waffengurt ab und warf ihn einem der herbeieilenden Banditen zu.

Sanchez verdrehte die Augen. „Fliehen Sie, Señor Marlowe! Diese Bastarde werden Sie töten!“

„Ich denke nicht.“ Jim ritt zum umgestürzten Wagen. „Rick und McLane sind mit der Gatling nämlich inzwischen in den Redstone Hills. Nur ich weiß, wo Sam sie abfangen kann.“

*

Es wurde ein Gewaltritt, bei dem die Banditen keine Rücksicht auf Sanchez nahmen. Sie banden ihn auf Pratts Pferd, das den Überfall unversehrt überstanden hatte. Zum Glück war der Mexikaner nicht ernsthaft verletzt. Die Kugel hatte ihn nur gestreift. Trotzdem schwankte er bei jedem Sprung des Braunen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Die Banditen besaßen jeder ein eigenes Pferd. Das hieß, dass sie ihre Kumpane zu Fuß zurückgelassen hatten. Keiner von ihnen verschwendete einen Gedanken an sie.

Die Tiere waren schweißbedeckt, als sie Stunden später eine Anhöhe über dem Reitpferd durch die Redstone Hills erreichten. Der Schatten windzerzauster Kiefern lag auf ihnen. Tiefe Stille herrschte. Nur Sanchez ächzte. Seine Finger krallten sich in die Pferdemähne. Keine Staubfahne über den Kämmen verriet das Nahen von Reitern.

Jim hielt sich mit den gefesselten Händen am Sattelhorn fest, als er ohne Websters Erlaubnis abstieg.

„Verlass dich drauf, Sam, du brauchst mich noch.“

Webster gab ihm einen wütenden Blick. „Bleibt hier und haltet die Augen offen!“, befahl er.

Sein Pferd stampfte den Hang hinab. Der Pfad wand sich an haushohen Klippen und gestrüppbedeckten Hängen vorbei. Webster musste nicht absteigen, um die Hufabdrücke zu erkennen. An der Biegung fand er Pferdedung. Fluchend spornte er seinen Braunen zu den Wartenden.

„Die Fährte ist keine Stunde alt.“

Die Banditen murrten.

„Wir erwischen sie trotzdem“, knirschte Webster, „und wenn wir die halbe Nacht durchreiten.“

„Verlorene Zeit.“ Jim schüttelte den Kopf. „Es gibt nur zwei oder drei Plätze zwischen den Redstone Hills und dem Canyon del Sol, wo du Sonora-Rick und McLane abfangen kannst. Ich kenne beide, und ich weiß auch, wie du Rick und McLane am besten überholst.“

Jim saß auf einem umgestürzten Baum. Schwerfällig stapfte der Bandenboss zu ihm.

„Wir warten, bis die Pferde sich erholt haben. Du wirst uns führen. Mills bleibt mit dem Greaser zurück. Wenn du nicht spurst, ist der Bursche tot.“

„Ich führe euch nur, wenn ihr Sanchez mitnehmt.“

Das bärtige Gesicht des Anführers bekam einen verbissenen Ausdruck.

„Du willst mit ihm fliehen, stimmt’s?“

„Ihr seid genug, um auf Sanchez und mich aufzupassen.“

Webster schlug plötzlich zu. Jim stürzte rücklings vom Baumstamm. Sofort war Webster wieder bei ihm und versetzte ihm einen Tritt.

„Du hältst dich für weiß wie gerissen. Einmal hast du mich überrumpelt. Das schaffst du aber nicht mehr. Eher breche ich dir sämtliche Knochen, du hinterlistiger Bastard!“

„Du bist viel zu nachtragend, Sam.“

Jim rollte sich ab, als der Bandenboss wieder zutrat. Da zerrten die anderen Banditen ihn hoch. Schläge trafen ihn. Sanchez riss an den Fesseln.

„Hört auf, ihr Schweine!“

Ein klatschender Hieb brachte ihn zum Schweigen. Websters grobschlächtiges, bartumwuchertes Gesicht tauchte wieder vor Jim auf.

„Stell keine Bedingungen mehr! Wenn uns die Gatling durch die Lappen geht, bleibt mir immer noch Zeit, Calaveras zu warnen und ’nen Anteil am Gold auszuhandeln. Richte dich danach!“

In der Nacht lagerten die Banditen am Yellow Water, einem brackigen Wasserloch in den Ausläufern der Hualapai Mountains.

Jims Befürchtung, dass Webster sich des verletzten Mexikaners doch noch entledigen würde, hatte sich nicht bestätigt. Jim lag auf der einen Seite des Wasserlochs, Sanchez zehn Schritte entfernt gegenüber.

Ocotillo‑ und Catclaw‑Büsche wuchsen an den Hängen ringsum. Der Mond leuchtete zitronengelb über einer Wolkenbank. Sterne bekränzten die Berggipfel. Das Feuer brannte herab, und die Banditen rollten sich in die Decken. Einer hielt Wache auf dem Senkenrand.

Webster kam zu Jim und kontrollierte die Fesseln. Jims linke Braue war blutverkrustet, die Haut über dem Wangenknochen aufgeschürft. Beim Sprechen schmerzten die Lippen.

„Wer hat dich neulich befreit, Sam?“

Webster grinste. „McLane.“

*

Jim war überrascht. Der Bandenboss lachte glucksend.

„Ich versprach dem Dummkopf, euch für ’nen Viertelanteil am Gold in Ruhe zu lassen. Sonora-Ricks Anteil, wenn du verstehst, was ich meine. McLane ging darauf ein.“

„Dann hat er Jerry Baker auf dem Gewissen.“

„Du liebe Zeit, das ist doch alles nicht mehr dein Bier, Amigo“, lachte Webster, als hätte er nie die Hand gegen Jim gehoben.

Eine Eule rief in der Nähe des Camps. Es klang täuschend echt, und erst als sich der Ruf noch zweimal wiederholte, war Jim sicher, dass es eine menschliche Stimme war.

Seine Kopfhaut kribbelte. Er dachte an die Jahre, in denen er und Rick Bügel an Bügel geritten waren und den letzten Tabak miteinander teilten. Der Eulenschrei war ihr Verständigungssignal gewesen.

Webster stutzte. Doch die „Eule“ schwieg fortan. Der Bandenboss richtete sich mit der Hand am Revolver auf.

„Clint, alles in Ordnung?“

Die dunklen Umrisse des Postens tauchten zwischen den Sträuchern am Senkenrand auf. Der Mann trug zum Schutz gegen die Nachtkühle einen Poncho. Ein breitkrempiger Stetson thronte auf seinem Kopf. Ein Mondlichtstrahl brach sich am Gewehr.

„Alles ruhig, Boss.“

Webster zögerte. Da strich ein Nachtvogel über die Senke. Der Anführer entspannte sich.

„Pass bloß auf, Clint! Es können Rothäute in der Nähe sein.“

Eine Minute später hüllte sich auch Webster in die Decke, der Sattel diente als Kissen.

Jim spürte die Müdigkeit wie Blei in allen Gliedern. Doch das Eulensignal hielt ihn wach. Er konnte sich allerdings nicht vorstellen, was Rick noch bewog, ihm zu helfen. Calaveras’ Übermacht? Andererseits hatten Rick und McLane die Gatling. Es steckte mehr dahinter, ahnte Jim.

Vorerst blieb alles ruhig. Der Schatten der Büsche verbarg den Wächter. Der Mond wanderte auf seiner Bahn. Eine Stunde verstrich, dann noch eine. Jim dachte schon, dass er sich getäuscht hatte. Da kam der Poncho‑Mann in die Senke, wahrscheinlich um die Ablösung zu wecken. Jim fiel auf, dass er sich mit katzenhafter Lautlosigkeit bewegte. Er schritt an den Schläfern vorbei.

Jims Atem stockte einen Moment, als er Sonora-Rick erkannte. Ein Wolfsgrinsen lag auf Ricks Gesicht'.

„Hallo, Jim.“

Er zerschnitt die Fesseln und gab Jim den Colt.

„Die Pferde stehen hinter dem Hügel im Süden“, raunte er, und als Jim sich in Richtung Sanchez in Bewegung setzte: „Nur zwei.“

„Ich nehm Sanchez trotzdem mit.“

„Zum Teufel, dein Fehler ist, dass du nicht hart genug bist.“

„Wart’s ab.“

Jim kroch zu dem Mexikaner und befreite ihn.

„Beiß die Zähne zusammen, Amigo, und komm mit …“

Ein Bandit erwachte.

„He, was …“ begann er schlaftrunken.

Wieder bewies Sonora-Rick, dass er ein kaltblütiger Killer war. Sein Schuss zerschmetterte dem Aufwachenden die Stirn.

Jim zerrte Sanchez hoch. „Lauf!“

Schreie gellten. Die Banditen schleuderten die Decken zur Seite und ergriffen die bereitliegenden Waffen. Rick tötete einen weiteren Mann. Dann trieb ihn Websters Blei in die Flucht. Jim und der Mexikaner waren bereits zwischen den Sträuchern. Im Laufen drehte Rick sich und feuerte abermals. Auch Jim schoss.

Webster und seine Komplizen warfen sich in Deckung. Ein ohrenbetäubender Feuerschlag füllte die Senke. Sanchez schrie, stolperte und fiel.

„Weiter, verdammt!“, zischte Rick, als Jim umkehren wollte.

Die Schüsse zwangen Jim, ihm zu folgen.

„Zu den Pferden!“, brüllte Webster. „Lasst sie nicht entkommen!“

Rick wartete an der Felsbiegung. Ein Zigarillo steckte zwischen seinen Zähnen. Im flachkronigen schwarzen Stetson, den er wieder trug, klaffte ein Kugelloch. Die Hufe der Verfolgerpferde weckten ein dumpfes Grollen an den Felsflanken der Hualapai Mountains. Der Tag erwachte mit einem Streifen Helligkeit über den Kämmen im Osten. Jim zügelte seinen Braunen neben dem Revolvermann.

„Weshalb hat du mich befreit?“

„Alles ’ne Preisfrage.“

Jim stutzte. „Was hat Sally dir versprochen?“

Ricks dunkle Augen funkelten spöttisch. „Die Kleine gefällt dir, stimmt’s?“

„Antworte!“

Das Grollen wurden lauter. Sonora‑Rick senkte die Rechte auf den Coltkolben.

„Trag’s mit Fassung: Wenn alles vorbei ist und wir mit Tilburn samt dem Gold in Sicherheit sind, wird Sally meine Frau.“

Für Sekunden vergaß Jim Marlowe die Verfolger. Die Farbe wich aus seinem kantigen Gesicht.

„Tu’s nicht. Sally wünscht, dass ich dich lebend zurückbringe. Vergiss nicht, dass du deine Unschuld an jenem Postkutschenraub beweisen willst. Oder ist das nicht mehr wichtig?“

„Vielleicht nicht wichtig genug, dich zu schonen.“

Der Revolvermann lachte leise. „Ist dir eigentlich klar, dass ich dir wahrscheinlich das Leben rettete?“

„Nicht für diesen Preis!“

„He, wo willst du hin?“

Jim wendete. „Ich werd’ mich Websters Meute stellen!“

„Schätze, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden hab.“ Der Revolvermann holte Jim ein, als die Verfolger aus einer Felskerbe stoben. Revolver blitzten. Jim spürte einen heftigen Schlag am Kopf. Sein letzter Gedanke war, dass eine Kugel ihn getroffen hatte. Aber es war Sonora-Ricks Coltlauf. Geschickt fing Rick den zur Seite Kippenden auf.

*

Jim erwachte mit Kopfschmerzen. Der mittlerweile von der Sonne beschienene Boden befand sich eine Armlänge unter ihm. Seine Arme und Beine baumelten im Rhythmus der stampfenden Hufe. Es dauerte eine Weile, bis Jim begriff, dass er über dem Rücken des eigenen Pferdes lag und außer der Beule hinter dem rechten Ohr unverletzt war. Nun hörte er auch die Schüsse.

Als er mühsam den Kopf drehte, sah er Rick, der vom Poncho umflattert, auf die Verfolger feuerte. Die Pferde galoppierten über eine Sandfläche. Ricks Ziel war der Eingang einer schmalen Schlucht. Die Sonne beglänzte die Felsmauern. Blauer Himmel wölbte sich darüber. Das immer heftigere Dröhnen der Colts verriet Jim, dass die Banditen aufholten. Kugeln schwirrten vorbei.

Trotzdem lachte Sonora-Rick, als er bemerkte, dass Jim bei Bewusstsein war.

„Ausgeschlafen? “

Jim wollte mit einer Verwünschung antworten. Da entdeckte er die Bewegung im Schluchteingang. Gleichzeitig lenkte Rick die Pferde zu den Felsquadern rechts davon. Das plötzliche Hämmern der Gatling‑Gun löschte alle anderen Geräusche aus.

Websters Banditen sprengten in einen vernichtenden Bleihagel. Männer und Pferde stürzten. Dichter Qualm trieb aus der Schlucht. Die Schnellfeuerkanone dröhnte noch, als der Revolvermann die Pferde im Schutz der Felsen zügelte.

Die Gatling verstummte. Der Hufschlag eines einzelnen Pferdes entfernte sich.

„Wir haben sie erledigt!“, triumphierte McLane. Die Rauchschwaden verzogen sich. Jim schluckte, als er die hingeschmetterten Männer und Pferde sah.

Sally trat aus dem Schatten. Ihr Gesicht schimmerte kalkweiß. Die blonden, im Nacken zusammengebundenen Haare waren staubverfilzt. Nichts Mädchenhaftes war mehr an ihr. Jim spürte einen Stich.

Lachend fasste Rick sie um die Taille. „Du bist ein Ass, Honey!“

Jim ballte die Fäuste.

Das Mädchen starrte an ihm vorbei. McLane, der noch das Gewehr hielt, mit dem er auf die Banditen geschossen hatte, zuckte herum.

„Verdammt, wie redest du mit Bob Tilburns Tochter, Mann!“

Rick schob die Hand an den Colt. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Partner.“

„Lass es gut sein, Ed“, sagte Sally tonlos, als McLane zu einer heftigen Antwort ansetzte. Da trat Jim hinter dem Pferd hervor, schnallte den Coltgurt um und band das Holster am Oberschenkel fest. Die ganze Zeit war sein Blick auf Sonora-Rick gerichtet.

„Wenn du sie noch mal anfasst, töte ich dich.“

„Du kannst es versuchen aber erst, wenn wir mit Calaveras und seiner Meute fertig sind. Webster ist entwischt. Wie ich ihn kenne, wird er versuchen, mit Calaveras ins Geschäft zu kommen.“

*

Bei Einbruch der Dunkelheit befanden sie sich nur mehr zwanzig Meilen östlich vom Canyon del Sol. Unterwegs hatten sie ihre Wasserflaschen im Warbow Creek aufgefüllt, einem Rinnsal, das nur hundert Yards weit an der Erdoberfläche floss.

Jim fand einen geeigneten, von Rotdornsträuchern geschützten Lagerplatz am Rand eines ausgetrockneten Sees. Der Mond versilberte die Zinnen der Hualapai Mountains, die ringsum aufragten. Jim wartete auf eine Gelegenheit, mit Sally zu sprechen. Sie half den Männern die Pferde abzuladen, dann verließ sie das Camp. Als sie nach zehn Minuten nicht zurückkehrte, folgte ihr Jim.

Eine dünne Nebelschicht bedeckte die von Rissen durchzogene Oberfläche des einstigen Sees. Weit draußen entdeckte Jim eine reglose Gestalt: Sally. Sein Herz pochte, als er sie erreichte.

„Ich hab auf Sie gewartet, Jim.“

„Warum gaben Sie Rick das Versprechen? “

„Es war der Preis für Ihr Leben. Ich stehe dazu.“

„Ich werde es verhindern.“

„Nein, Jim, ich will nicht …“

Ihr Blick verschleierte sich, als er sie umarmte und küsste. Sie klammerte sich an ihn. Ihre Lippen öffneten sich. Dann stieß sie ihn zurück. „Es gibt keine Zukunft für uns beide, Jim.“

„Keine Zukunft mit einem Mann, der acht Jahre im Zuchthaus verbrachte oder weil Rick zwischen uns steht?“

„Ich fürchte ihn.“

„Wenn du nichts von ihm wissen willst, wird er dich nicht bekommen, Sally. Das ist auch ein Versprechen.“

„Jim, ich …“ Seine Lippen verschlossen abermals ihren Mund.

Schritte knirschten. Eine spöttische Stimme dehnte: „Kleine Verschwörung, wie? All right, wenn ihr’s unbedingt drauf anlegt, können wir auch gleich zur Sache kommen, Jim.“

Sonora-Rick stand im mondlichtdurchtränkten Dunst. Seine Rechte schwebte zum Ziehen bereit über dem Colt. Jim drehte sich und winkelte leicht den Arm an, aber Sally hielt ihn fest.

„Nein! Er ist schneller!“

„Bestimmt“, lächelte Rick.

„Ich glaub jetzt, dass er dich damals absichtlich ins Zuchthaus brachte“, stieß das Girl hervor.

Rick lachte leise. „Hast sie also rumgekriegt! Obwohl dir alle Beweise fehlen? Nicht schlecht.“

Jim riss sich los. Da krachte am Ufer, wo die Pferde hinter dem Wall aus Dornbüschen standen, ein Schuss. Ein Mann schrie in Todesnot. Es war McLanes Stimme. Sally fröstelte. Sonora-Rick murmelte eine Verwünschung.

„Webster!“

Männer mit spitzkronigen Sombreros tauchten im Nebel auf. Gewehrläufe blinkten matt.

Jim, Sally und der Revolvermann kauerten sich nieder.

„Calaveras’ Meute“, flüsterte Jim, den Sechsschüsser in der Faust. Auch Sonora-Rick hielt den Colt. Sally war unbewaffnet. Die Mexikaner näherten sich wie Raubkatzen. Der Abstand zwischen ihnen betrug wenige Yards.

„He, Jim, Sonora! Wo steckt ihr?“, schallte Websters Stimme vom Camp. „Ich soll euch Grüße von Juan Calaveras bestellen.“

Die Angreifer verharrten.

Webster lachte höhnisch.

Rick kroch ein Stück zur Seite und wölbte die linke Hand vor dem Mund, damit die Bandoleros nicht feststellen konnten, woher seine Antwort kam.

„Du bist ein Narr, Webster, wenn du glaubst, dass du auf diese Weise zu ’nem Anteil an dem Gold kommst. Wie würdest du denn an Calaveras’ Stelle handeln, nachdem die Gatling keine Gefahr mehr ist? “

Sam Webster schwieg. Die Schattengestalten verschwanden, als würden sie im Erdboden versinken. Die dichte untere Nebelschicht verbarg sie. Nur ein Scharren und Knacken kam von verschiedenen Stellen.

Jim und Rick verständigten sich mit Handzeichen. Jim glitt nach rechts, Rick nach links. Jim zog das Mädchen mit. Er achtete darauf, dass kein Mondstrahl die Waffe traf.

Sie bewegten sich geduckt, knapp über dem Boden. Dabei stützten sie sich zwischendurch mit den Fingern ab.

Plötzlich peitschten Schüsse. Jim und Sally warfen sich nieder.

Mündungsfeuer blitzten. Ricks Colt antwortete. Ein Mann stürmte vorbei, blieb abrupt stehen, krümmte sich und fiel, beide Hände an den Leib gepresst, ächzend nach vorn. Weitere Schüsse folgten. Das dumpfe Dröhnen von Sonora-Ricks Waffe unterschied sich deutlich vom Knall der Gewehre. Nach jedem Schuss wechselte der Revolvermann die Stellung.

Jim bedeutete dem Girl, liegenzubleiben. Er lief einige Yard, kniete und feuerte auf einen im Nebel zuckenden Mündungsblitz. Ein Getroffener schrie.

„Zwei weniger!“, lachte Sonora-Rick.

Jim hechtete zur Seite, drehte sich mehrmals um die eigene Achse und schoss wieder. Schatten huschten vor ihm. Jim riss die Waffe herum, als er eine Bewegung neben sich bemerkte.

Es war Sally. Er umschlang sie und wälzte sich mit ihr nach rechts. Wo sie eben noch gelegen waren, pflügten Gewehrkugeln den Lehmboden. Webster meldete sich wieder: „He, Sonora, wir beide sind doch sozusagen Geschäftsleute, stimmt’s?“

„Richtig.“

Drei, vier Gewehre peitschten. Aber Rick war schon an einem anderen Platz.

„Nehmen wir mal an, ich helfe euch“, rief Webster. „Was springt dabei für mich raus?“

„McLanes halber Anteil.“

„Wieso nicht sein ganzer?“

„Weil die andere Hälfte mir gehört.“ Das Krachen von Sonora-Ricks Colt kam diesmal dem neuerlichen Feuerschlag der Gewehre zuvor. Ein Schmerzensschrei verriet, dass er getroffen hatte.

Sally keuchte: „Ich denk nicht dran, gemeinsame Sache mit Webster zu machen.“

Jim flüsterte: „Webster hat die Gatling. Wir haben keine Wahl.“

„Welche Garantie bekomme ich?“, fragte Webster.

„Keine“, antwortete Rick. „Aber du hast ja deinen Colt.“

Wieder fielen Schüsse. Dann zogen sich die Bandoleros zurück.

Nach einer Weile gesellte sich Rick zu Jim und Sally. Eine erwartungsvolles Grinsen spannte seinen Mund. Mehrere Minuten verstrichen. Plötzlich kam aus der Richtung des Camps heftiger Lärm. Wütende Stimmen schallten, dann krachten Schüsse. Ein langgezogener Schrei gellte, ähnlich jenem, den McLane ausgestoßen hatte. Danach herrschte Stille, bis Webster sich erneut meldete: „All right, ihr könnt kommen!“

*

Rick stand vorsichtig auf.

„Es kann eine Falle sein“, raunte Sally.

„Ich denke nicht“, antwortete Rick, behielt aber den Colt in der Hand, als er sich in Bewegung setzte.

Jim und Sally folgten ihm. Webster erwartete sie im Camp. Die Pferde waren noch angebunden. Die Kisten standen am Boden, die Gatling war samt dem zusammengeklappten Eisendreibein in eine Segeltuchplane gepackt.

McLane lag zwischen den Rotdornbüschen, nicht weit von ihm zwei tote Mexikaner. Drei weitere Bandoleros standen bei den Pferden, kräftige, finsterblickende Burschen. Patronengurte kreuzten sich über ihren Oberkörpern. Breitklingige Macheten hingen an ihren Seiten.

„Nur keine Aufregung.“ Webster grinste. „Die Muchachos haben sich entschlossen, bei uns mitzumachen.“

Sonora-Rick ließ den Colt sinken. „Bei der ersten Gelegenheit laufen sie garantiert zu Calaveras über.“

„Nicht, wenn sie bei uns die doppelte Beute erhalten. Kannst sie ja außerdem im Auge behalten.“

„Ich werde reichlich beschäftigt sein, auf dich aufzupassen.“

Webster lachte wie über einen gelungenen Scherz. Dann wandte er sich an Jim. „Sieht aus, als müssten wir doch noch ’ne Weile miteinander auskommen, Kumpel.“

„Ich werd’s verkraften.“ Jim setzte ihm die Faust ans bärtige Kinn.

Die Pferde scheuten, als Webster zwischen sie fiel. Sofort lagen die Hände der Mexikaner an den Waffen.

Jim beachtete sie nicht.

„Bist du verrückt?“, rief Sonora-Rick.

Keuchend stützte Webster sich auf die Ellbogen. Der Stetson war ihm in den Nacken gerutscht. Schweißverklebte Zotteln hingen ihm in die Stirn. „Na warte, du verdammter …“

„Ich hab nur ’ne Anzahlung geleistet, Sam. Die endgültige Rechnung begleiche ich später.“

Böse starrte der Bandit zu ihm hoch. Dann grinste er wieder. „Hast du eigentlich auch Freunde, Jim?“

„Er hat mich.“ Sallys Stimme klirrte. „Ich werde beizeiten darauf achten, dass er keine Kugel in den Rücken bekommt.“

*

Ein felsiger Höhenrücken wölbte sich vor den Reitern. Es war Nachmittag und so heiß, dass ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter lief. Keine Wolke stand mehr am flammenden Firmament. Das stundenlange monotone Pochen der Hufe setzte aus. Webster deutete auf den Felskamm. „Dahinter liegt der Canyon del Sol.“

Für den Fall, dass Posten den Canyoneingang bewachten, hatten sie einen Bogen geschlagen. Sie befanden sich südlich der Route nach Flagstaff und Dryhill. Stille umgab sie. Die gleißenden Bergflanken glichen Gefängnismauern. Außer Fettholzstauden, Dornsträuchern und vereinzelten dürren Grasbüscheln gab es keine Vegetation. Die einzige Wasserstelle im Umkreis von dreißig Meilen lag im Canyon. Die Pferde dösten.

Mühsam unterdrückte Erregung spiegelte sich auf Sallys Gesicht. Von der anderen Seite der Anhöhe kam kein Laut. Nichts deutete auf die seit Wochen währende Belagerung der Goldmine hin.

„Die Mine befindet sich über einem Hang hinter der zweiten Biegung“, hatte Sally den Gefährten erklärt. „Pa und seine Leute haben sich im Hauptstollen verschanzt. McLane und ich entkamen nachts über ein Felsband, das zum Canyonrand hinaufführt.“

Webster belauerte Jim, Sally und Rick.

Die drei Mexikaner hielten neben ihm. Ihre Mienen waren ausdruckslos.

„Calaveras erwartet mich. Er wird keinen Verdacht schöpfen, wenn ich euch als Gefangene mitbringe.“

„Wenn du uns reinlegen willst, Hombre, dann mach schon mal dein Testament“, entgegnete Sonora-Rick.

Der Bandenboss drehte den Kopf und spuckte aus. „Habt ihr vielleicht ’nen besseren Vorschlag?“

„Im Canyon haben wir keine Chance“, erklärte Jim. „Wir müssen Calaveras provozieren, dass er ihn mit seinen Leuten verlässt nachdem wir die Gatling da oben in Stellung gebracht haben.“

„Wie?“

„Ganz einfach – du holst ihn.“

„Soll das ein Witz sein?“

Jim Marlowes Mundwinkel deuteten ein Grinsen an.

„Ein bisschen was musst du schon tun, damit du dir McLanes Anteil verdienst, Sam. Du bist doch sonst ein großer Märchenerzähler. Sag Calaveras, die Pferde können nicht mehr. Lass dir was einfallen, Sam. Er wird’s schon schlucken, wenn du ihm erklärst, dass er die Gatling‑Gun auf dem Höhenrücken kriegen kann.

*

Die Pferde standen mit hängenden Köpfen im Schatten. Die drei Mexikaner saßen am Fuß einer Klippe, rauchten und warteten. Ihre Gewehre lehnten neben ihnen. Aber Jim und Rick hatten dafür gesorgt, dass die Waffen nicht geladen waren. Sie trauten den schweigsamen Burschen nicht. Rick kauerte hinter der aufs Eisengestell montierten Gatling. Jim und Sally duckten sich neben ihn, beide mit Winchester und Colt bewaffnet.

Der von ihnen abfallende Hang war so gut wie deckungslos. Die wenigen Fettholzstauden boten keinen Schutz. Vom Fuß der Anhöhe zu den Felsschultern, die den Canyoneingang säumten, erstreckte sich gleichfalls offenes Gelände. Die Büsche standen da zwar dichter, aber nur steigbügelhoch. Im Norden säumten mächtige Felstrümmer den Flagstaff Trail. Die Huf und Radspuren waren jedoch kaum zu erkennen. Webster war seit einer halben Stunde fort. Im Canyon rührte sich nichts.

Stille und Hitze zerrten an den Nerven der Wartenden. Im Sand um die Mexikaner lagen Zigarettenkippen. Die Gesichter unter den breitrandigen Sombreros waren angespannt.

Rick schüttelte den Kopf. „Irgendwas ist schiefgelaufen.“

Sally verkrampfte sich.

Da drang Hufschlag aus dem Canyon. Reiter tauchten auf, Mexikaner, die entweder in zerschlissenes Leinenzeug oder Wildleder gekleidet waren, alle schwerbewaffnet. Es waren acht Mann. Sie führten Packpferde. Webster fehlte. Ricks Rechte umschloss die Feuerkurbel.

„Der Große, der wie ein Indianer aussieht, ist Juan Calaveras. Sein Steckbrief hängt in Flagstaff in jedem Saloon.“

Der Mann trug ein fransenverziertes, indianisch besticktes Lederhemd. An den Seitennähten seiner engen Chivarrahose glänzten Silberknöpfe. Ein Concho‑Band bändigte das rabenschwarze, schulterlange Haar. Statt Stiefel trug er Mokassins. Revolver und Messer hingen am Gürtel. Der Sattel war silberbeschlagen. Im Scabbard steckte ein Gewehr. Geschmeidig passte der Mexikaner sich den Bewegungen des Pferdes an. Es war ein schneeweißer Araberhengst, ein Tausend‑Dollar‑Pferd. Calaveras hatte es wahrscheinlich auf einer Hazienda südlich der Grenze erbeutet.

Die Zigarettenraucher sprangen auf.

„Ruhig, Amigos“, warnte Sonora‑Rick. „Lasst euch nichts anmerken, sonst seid ihr die Ersten, die es erwischt.“

Calaveras und seine Begleiter schienen ahnungslos. Trotzdem war etwas faul. Webster tauchte nicht auf. Außerdem befand sich nur die halbe Bande bei dem indianerhaften Anführer. Die Entfernung für die Gatling‑Gun war auch noch zu groß.

Zaghaft hoben auch die drei Mexikaner auf dem Felskamm die Hände.

„Maul auf!“, zischte Rick. „Sagt ihm, dass er sich verdammt viel Zeit gelassen hat.“

„Hey, Jefe!“, rief der Mann mit dem Goldring am rechten Ohr. „Wir dachten schon, ihr kommt nicht mehr.“

„Wir waren beschäftigt, Amigos. Wo ist die Gatling?“

„Hier, Jefe. Dazu jede Menge Munition.“

„Frag ihn nach Webster“, raunte Sonora-Rick. Er hängte ein leises, aber scharfes „Wird’s bald!“, an, als der Bandolero zögerte.

„Hey, Jefe, wo steckt der Gringo?“

Die Reiter waren inzwischen fast am Fuß der Anhöhe. Rick richtete das Laufbündel der Gatling, während Calaveras’ Lachen heraufwehte. „Gut aufgehoben, Amigos. Wir brauchen ihn nämlich nicht mehr. Es ist alles vorbei.“

Jim Marlowe spürte Sallys klammernde Hand. Ein kalter Hauch schien sie zu berühren. „Heute wird gefeiert“, triumphierte der Bandolero‑Häuptling. „Wir haben Tilburn und das Gold!“

*

Die Sekunden dehnten sich. Nur die Hufe malmten. Sally atmete gepresst. Ihre Mundwinkel zuckten. Zum ersten Mal, seit Jim ihr in jenem vom Sandsturm umtobten Schuppen begegnet war, schien sie nahe daran, die Nerven zu verlieren. Aber es war der Ohrring‑Mann, der durchdrehte.

„Zurück, Jefe! Eine Falle!“, kreischte er und stürzte den Reitern entgegen. Seine Kumpane flohen ebenfalls den Hang hinab.

Rick schwang die Gatling herum.

Sein schmales Gesicht war mitleidlos. Ein Feuerstoß wirbelte die Flüchtenden ins Fettholzgestrüpp. Der nächste Bleihagel galt den Reitern. Sie hatten bereits die Pferde gedreht. Der Sattel des Schimmelhengstes war leer. Schemenhaft huschte Calaveras durch den Staub.

Jim hob die Winchester. Als er abdrückte, warf der Bandolero‑Jefe sich hinter eine Bodenwelle.

„Deckung, Muchachos!“

Die Gatling hieb zwei Mexikaner, die nicht schnell genug aus den Sätteln kamen, in den Sand. Pferde brachen blutüberströmt zusammen. Der Rest der Meute verschwand in den vom Fettholzdickicht verborgenen Mulden. Nur mehr ein paar Sombrerospitzen waren zu sehen. Dann brodelte Pulverrauch. Blitze stachen heraus.

„Holt euch die Gatling!“, schrie Rick und drehte die Feuerkurbel. Es krachte und schmetterte, dass Sally sich die Ohren zuhielt. Sandgarben spritzten zwischen den Stauden. Zerfetzte Blätter wirbelten. Ein Getroffener schrie. Sonora-Rick lachte nur wild, als mehrere Kugeln die Felsen trafen, zwischen denen die Gatling stand.

Aber das Lachen verging ihm, als ein Dutzend waffenschwingende Reiter aus dem Canyon stoben. Ponchos, bunte Hemden und Leinenkittel flatterten.

„Nur nicht drängeln, Herrschaften, hier wird jeder bedient“, stieß Rick hervor.

Das Hämmern der Schnellfeuerkanone stoppte die Kavalkade. Jims Winchester peitschte dazu. Auch Sally schoss. Die Bandoleros folgten dem Beispiel ihrer Kameraden, jagten die Pferde in den Canyon zurück und suchten Deckung.

Calaveras schrie Befehle. Die Gatling bestreute die Fläche zwischen dem Canyon und der Anhöhe mit Blei. Heftiger Beschuss antwortete. Steinsplitter wirbelten über Jim, Sally und Rick.

„Sie ziehen sich zurück“, rief Sally. Jim öffnete eine neue Munitionskiste. Rick brannte ein Zigarillo an. Die Gatling qualmte.

„Das sind nur sechs oder sieben. Sie wollen zu den Felsen im Norden. Wahrscheinlich werden sie versuchen, uns von dort in den Rücken zu gelangen.“

„He, Gringos, ihr könnt nichts mehr für Tilburn tun“, rief Calaveras. „Haut ab!“

Sally blickte Jim und Rick verzweifelt an.

„Sie werden Pa töten, wenn sie mit dem Gold in Sicherheit sind.“

„Noch ist es nicht so weit“, murmelte Jim. „Rick, traust du dir zu, sie zwei Stunden aufzuhalten?“

„Sicher. Du denkst daran, dass Tilburn und das Gold gewiss nur von wenigen Männern bewacht werden.“

„Außerdem wissen sie nicht, wie viele wir sind. Wenn ich verschwinde, bevor die Kerle in unserem Rücken aufkreuzen, schöpfen sie keinen Verdacht.“

„Jim, wenn du Pa befreien willst …“

„Seit ihr taub, Gringos? Ich biete euch freien Abzug, wenn ihr die Gatling zurücklasst.“

„Halt die Luft an, Greaser.“ Rick schickte einen Feuerstoß in die Richtung, aus der Calaveras’ Stimme kam. Flüche schallten, Schüsse flammten.

„Die Schwierigkeit ist, wie du in den Canyon kommst“, wandte Rick sich an den Partner.

„Über das Felsband, auf dem Sally und McLane flohen.“

„Hm, richtig. Na, dann viel Glück.“

Rick visierte eine Reihe Fettholzbüsche an, hinter denen er eine Bewegung erkannte. Die Gatling knatterte wieder. Ein Bandolero schnellte mit emporgeworfenen Armen in die Höhe, drehte sich und fiel. Der Revolvermann sah Jim fragend an.

„Noch was?“

„Ich nehm Sally mit.“

„Wirst du nicht.“ Ricks Hand rutschte von der Gatlingkurbel auf den Colt. „Ich möchte vermeiden, dass du das Wiederkommen vergisst.“

*

Jim nahm die Pferde der drei Bandoleros mit, die nun reglos im Fettholzgestrüpp lagen. Er erreichte den Anstieg zum Canyonrand zwei Meilen südwestlich des Kampfplatzes. Das immer wieder einsetzende Gatlingfeuer klang wie Hagelschlag auf einem Blechdach. Steile Hangabschnitte zwangen Jim aus dem Sattel, aber er wollte die Tiere nicht zurücklassen. Möglicherweise hingen sein und Tilburns Leben davon ab, wie schnell sie aus dem Canyon del Sol verschwanden.

Keuchend und schwitzend mühte Jim sich ab. Nach seiner Schätzung war über eine Stunde verstrichen, als er den Felsrand erreichte. Die Sonne neigte sich nach Westen. Ein sanfter Wind trocknete den Schweiß auf Jims Gesicht. Er fluchte, als er feststellte, dass sich die Mine und das Felsband schräg gegenüber befanden.

Er brachte erst einmal die Pferde in den Schatten. Dann suchte er sich mit dem Gewehr einen geeigneten Platz, eine über den Canyon ragende Felskanzel.

Damit er von den Wächtern im Canyon nicht entdeckt wurde, kroch er darauf. Die Canyonsohle lag hundertzwanzig Fuß unter ihm. Auf seiner Seite gab es keine Möglichkeit zum Abstieg. Die Kanzel war so schmal, dass er den Eindruck gewann, auf einem Brett über dem Canyon zu liegen.

Die Mine bestand aus mehreren tief in die Felsmauer getriebenen Stollen. Ein terrassenförmig abgestufter Hang schwang zu ihnen empor. Auf der mittleren und breitesten Terrasse erhob sich der Schmelzofen, der es Tilburn und seinen Helfern erspart hatte, das gewonnene Erz viele Meilen weit durch die Wildnis zu transportieren. Das Gold wurde an Ort und Stelle zu handlichen Barren gegossen.

Ein Funkeln trat in Jims Augen, als er den mit einer Plane überdachten Wagen am Fuß einer Geröllhalde sah. Kiefern verdeckten ihn halb.

Jim brauchte nicht mehr zu raten, wo das Gold sich befand. Sein Blick tastete am Rand des Kieferngehölzes entlang. Pferde standen in einem Lasso‑Korral. Eine Quelle speiste ein steinumrandetes Überlaufbecken. Saftiges Gras wuchs ringsum, das erste leuchtende Grün, das Jim seit langem sah. Drei Mexikaner saßen auf einer bunten Decke, rauchten und würfelten. Eine bastumwickelte Flasche wanderte von einem zum ändern. Gewehre lagen neben ihnen. Die Schüsse, die immer wieder im Canyon hallten, berührten sie offenbar nicht.

Zwei Gefangene waren an die Bäume gebunden. Der eine war Webster, der andere ein hagerer, grauhaariger Mann, der halb ohnmächtig in den Stricken hing: Tilburn. Sein Kinn ruhte auf der Brust. Das Hemd war zerfetzt, ein schmutziger Verband um den linken Oberarm gewickelt.

Jim presste die Lippen zusammen. Er bezweifelte, dass der Minenbesitzer sich auch nur eine Meile im Sattel halten konnte, falls es überhaupt gelang, die Gefangenen zu befreien. Eine Reihe von Grabhügeln unter den Bäumen ersparte Jim die Überlegung, was aus Tilburns Helfern geworden war.

Webster war unverletzt, hatte es jedoch aufgegeben, die Fesseln zu lockern. Mürrisch schaute er den Mexikanern beim Würfelspiel zu. Jim dachte an die mit Rick und Sally vereinbarte Frist.

Die Gatling schwieg seit einer Weile. Drunten setzte ein Bandolero wieder die Flasche an den Mund. Webster rief ihn an. Wahrscheinlich wollte er auch einen Schluck. Der Mexikaner lachte ihn aus.

Jim hob den Winchesterkolben an die Schulter und zielte. Die Schüsse peitschten in rascher Folge. Die erste Kugel traf den Trinker in die rechte Schulter. Die zweite streifte einen der erschrocken Aufspringenden am Arm, und die nächste warf ihn vornüber als er mit einem Wutschrei die Waffe hob.

Der Dritte schaffte den Sprung hinter einen Baumstamm. Aber in der Aufregung hatte er nicht mitbekommen, von wo die Schüsse fielen. Er erwischte die falsche Seite, und Jim jagte ihm eine Kugel ins Bein. Schreiend wälzte er sich im Gras.

Jim stützte sich auf ein Knie.

„Befrei’ die Gefangenen, Hombre, sonst trifft die nächste Kugel deinen Kopf!“

Der Mexikaner starrte zu ihm herauf, dann packte er das neben ihm liegende Gewehr. Jims Winchester krachte. Die Kugel bohrte sich eine Handbreit neben dem Mann in die Erde.

„Finger vom Abzug! Nimm das Messer! Wenn du Tilburn und Webster nur ein Haar krümmst, Hombre, bis du dran.“

„Jim, du Teufelsbraten“, rief Webster. „Der Bursche soll sich beeilen. Calaveras' Meute ist gleich hier.“

Jims Waffe bewegte sich mit dem Bandolero, der sich mühsam aufrichtete. Er benutzte das Gewehr als Stütze. Blut lief an seinem rechten Bein hinab.

„Vorwärts, Muchacho!“, drängte Jim.

Da richtete der Bandit mit der verletzten Schulter den Revolver auf Tilburn.

Jim blieb keine Wahl. Sein Schuss stieß den Mexikaner auf den Rücken, der andere humpelte zu Tilburn und zerschnitt die Stricke. Tilburn sank auf die Knie. Dann befreite der Verwundete Webster. Der Bärtige entriss ihm das Gewehr, hob den Revolver auf und hängte sich zwei Patronengurte um.

„Jim, Amigo, das macht dir so leicht keiner nach!“

„Halt keine Ansprache. Lade Tilburn auf den Wagen, spann die Pferde an und hau ab, bevor deine Kollegen antanzen.“

„Kollegen, pah! Elende Stümper sind das! Eh, Jim, hast du keine Angst, dass ich mit der kostbaren Fuhre verdufte?“

„Mit dem Wagen kommst du allein nicht aus den Bergen raus. Rick und ich würden dich überall aufstöbern. Los, beweg dich!“

*

Nachdem deutlich wurde, dass Calaveras sich mit dem Gros seiner Bande für die Jagd auf den Goldwagen entschied, kam es Jim darauf an, Webster und Tilburn einen möglichst großen Vorsprung zu verschaffen. Sie waren in entgegengesetzter Richtung aus dem Canyon geflohen. Sechs Pferde hatte Webster vorgespannt. Die Räder hatten tiefe Furchen hinterlassen. Jim hoffte, dass keine Achse brach.

Kugeln umpfiffen die Felskanzel. Pulverrauch stieg wie Nebel an der Biegung empor und wurde über dem Canyonrand vom Wind zerpflückt. Drunten regte sich kein Lufthauch. Die Toten lagen neben dem Quellbecken.

Jede Deckung ausnutzend, arbeiteten sich immer mehr Bandoleros in den Canyon vor. Jim schoss, repetierte, schoss. Doch er konnte die Augen nicht überall haben. Einige Gegner verschanzten sich am Hang unterhalb der Mine. Ihr Blei kam Jim gefährlich nahe.

Er konnte kaum mehr über die Kanzel lugen, ohne dass ihn Blei umschwirrte. Außerdem wurde ihm allmählich die Munition knapp. Die Sonne berührte bereits die westlichen Bergkämme. Mit pulvergeschwärztem Gesicht verließ Jim die Felskanzel, band die Pferde los und benutzte den Weg, den er gekommen war.

Die Hufe lösten Steine. Ihr Klirren begleitete Jim. Immer wieder blieb er stehen, lauschte und spähte, überzeugt, dass Calaveras einige Männer zurückließ, die ihn zur Strecke bringen sollten. Von der Gatling‑Gun war nichts mehr zu hören. Die Schatten wuchsen, der Himmel färbte sich pflaumenblau.

Noch immer war es stickig heiß. Ein Gefühl der Einsamkeit befiel Jim. Außerdem war er durstig, hungrig und erschöpft.

Da ertönte ein leiser Pfiff.

Fast noch im selben Augenblick zielte Jims Gewehr auf die dunkle Gestalt am Rand einer Felsgruppe. Es war Sonora‑Rick.

„Du kommst gerade zum Abendessen recht“, begrüßte er Jim.

Die Felsen umschlossen einen freien Platz, dessen Zugang ein einzelner verteidigen konnte. Jim musste an der Gatling vorbei, neben der eine Munitionskiste stand. Es war gerade noch genug Platz für die Pferde. Sally lief zu Jim.

„Wo ist Pa?“

„Wahrscheinlich in Sicherheit“, grinste der Revolvermann. „Sonst wäre Jim nicht hier.“

Jim berichtete knapp.

„Ein paar von Calaveras’ Amigos schleichen hier noch herum“, bemerkte Rick, einen Streifen Dörrfleisch kauend.

„Das sollte kein Grund sein, hier noch lange herumzusitzen“, begehrte Sally auf.

Der Revolvermann aß ruhig weiter.

„Bald ist es dunkel. Solange der Mond nicht aufgeht, kommen wir nicht weit. Außerdem wird Webster verhindern, dass das Gold Calaveras in die Hände fällt.“

*

Sie brauchten Wasser. Das bedeutete, dass sie in den Canyon mussten.

„Wenn die Burschen, die Calaveras zurückließ, nur ’nen Funken Verstand besitzen, lauern sie auf uns“, meinte Rick achselzuckend. Er löschte sein letztes Zigarillo. Ein silberner Schimmer über den Felsrändern kündigte den bevorstehenden Mondaufgang an.

Als sie den Canyoneingang erreichten, war es fast taghell. Die rotbraunen Felsmauern glänzten silbern, die Büsche wirkten größer und kugeliger, die Bäume glichen verzauberten Wächtern. Der Sand war heiß. Jeder Gegenstand warf scharfe Schatten. Ein Meer von Sternen glitzerte über dem Canyon. Es war kühl. Der Hufschlag klang verräterisch laut.

Sie blieben im Schatten. An der zweiten Biegung hielten sie; fünfzig Yard vor ihnen schimmerte das Quellbecken. Rick baute die Gatling auf, dann zog er eine Münze aus der Tasche.

„Losen wir aus.“

„Nicht nötig.“ Jim ergriff die Zügel und ritt ins Mondlicht. Die dunklen Stolleneingänge glichen toten Augen in einem zerfurchten Steingesicht. Jims Ahnung, dass er nicht nur von Rick und Sally beobachtet wurde, verdichtete sich zur Gewissheit, als er das Klicken eines Steins vernahm.

Ein Schatten bewegte sich beim Schmelzofen, aber das mochte auch ein Tier sein. Die Ohren von Jims Braunem zuckten nervös. Die übrigen Pferde strebten durstig dem Becken zu. Kein Schuss fiel, kein Angriff erfolgte.

Aber Jim spürte: Die Banditen waren da. Nur der Gedanke an die Tod und Verderben spuckende Schnellfeuerkanone hielt sie zurück. Wahrscheinlich warteten sie auf eine günstigere Gelegenheit. Jim tränkte die Pferde, löschte den eigenen Durst und füllte sämtliche Wasserflaschen. Dann ritt er zurück.

Sally war in Schweiß gebadet. Sonora-Ricks Zähne blinkten.

„Solange wir dieses Prachtstück haben, nehmen wir’s mit allen Teufeln auf!“

*

Vier Meilen westlich vom Canyon del Sol stießen sie auf die Spur des goldbeladenen Wagens. Aber außer dieser Fährte gab es noch zahlreiche Hufabdrücke. Webster hielt seinen Vorsprung nur, indem er einen unberechenbaren Zickzack‑Kurs fuhr. Die Fährte endete immer wieder auf felsigem Boden, und nur ein scharfes, erfahrenes Auge konnte die Kratzer entdecken, die verrieten, in welche Richtung das Hunderttausend‑Dollar‑Fahrzeug gerollt war. Wie eine Wolfsmeute folgten Calaveras und seine Muchachos. Jim, Sally und Rick brauchten sich nur anzuhängen.

Mittags rasteten sie im Schatten einer überhängenden Felswand. In den Schluchten und Tälern der Hualapai Mountains war es drückend heiß.

Jim teilte nach einem kargen Mahl seinen letzten Tabak mit Sonora-Rick.

Als sie aufbrachen murmelte Rick: „Wie gut kennt Webster die Berge?“

Sally war in Gedanken bei ihrem Vater.

Jim antwortete nicht. Seine angespannte Haltung alarmierte Sonora‑Rick. Er hob den Kopf. Ein Reiter blickte von einem Bergrücken auf sie nieder. Er trug einen buntgestreiften Poncho und einen großen Strohsombrero. Jim wies nach rechts. Zwei weitere Mexikaner hielten auf einem anderen, ungefähr gleich weit entfernten Kamm.

Rick hob das Gewehr, aber die Späher rührten sich nicht. Sie kannten die Schussweite der Winchester.

„Wahrscheinlich sind’s noch mehr, aber nicht genug, um uns anzugreifen“, vermutete Jim. „Sie begnügen sich damit, für Calaveras zu beobachten.“

„Damit wir in ’ne Falle reiten, sobald Calaveras den Wagen hat.“

„Wir müssen die Kerle erledigen.“

„Wann?“

Jim trieb sein Pferd an. „Heute Nacht.“

Ehe der Mond aufging, bot sich den Bandoleros, die das Camp aus sicherem Abstand beobachteten, ein bemerkenswertes Schauspiel.

Ein kleines Feuer flackerte in einer Senke. Die Pferde waren von ihrer Last befreit. Nachdem die Gringos ihre spärliche Ration verzehrt hatten, verließ Jim Marlowe das Lager. Es befand sich in einem von Bodenwellen und Buschstreifen durchzogenen Tal. Anscheinend wollte Jim die Umgebung erkunden. Inzwischen reinigte Sally die benutzten Becher. Der schwarzhaarige Revolvermann sprach auf sie ein.

Als er sie plötzlich an sich ziehen wollte, sprang sie auf. Rick hielt sie fest und versuchte, sie zu küssen. Das Girl wehrte sich. Da trat Jim aus der Nacht. Seine Hand lag am Sechsschüsser. Sein Anruf riss Sonora-Rick herum. Rick stieß Sally zur Seite. Reglos standen sich die Rivalen gegenüber.

„Jetzt!“, raunte Rick.

Im selben Moment als sie gleichzeitig zu den Colts griffen, wurde Jim klar, dass es Rick vor allem auch darauf ankam, ohne Risiko herauszufinden, wer der Schnellere war. Das Ganze war Ricks Plan. Er baute darauf, dass die Bandoleros die Gelegenheit, die Gatling zu kassieren, nicht ungenutzt lassen würden.

Die Colts sausten hoch. Es sah so echt aus, dass Sally einen Schrei ausstieß. Rick war den Bruchteil einer Sekunde schneller.

Sein Triumphschrei mischte sich in das Krachen des 44ers. Die Kugel pfiff so nahe an Jim vorbei, dass dieser einen Augenblick dachte, Rick hätte ihn tatsächlich zu treffen versucht. Geistesgegenwärtig stieß er ebenfalls einen Schrei aus und ließ sich fallen. Scheinbar leblos rollte er aus dem Licht.

Sally floh. Rick stieß den Sechsschüsser ins Leder und rannte ihr nach. Sie schienen sich in der Dunkelheit außerhalb der Senke aufzulösen. Eine Weile war noch das Geräusch hastiger Schritte zu hören. Jim horchte gespannt. Die Pferde bewegten sich unruhig. Die Flammen sanken tiefer. Ein blassroter Schimmer lag auf den Munitionskisten und der in die Plane gehüllten Gatling‑Gun.

Der Köder wurde geschluckt. Es dauerte nicht viel mehr als fünf Minuten, bis Jim das leise Malmen von Tritten hörte. Gleich darauf tauchten zwei geduckte Gestalten am Feuer auf. Die braunen Gesichter waren verkniffen. Gewehrläufe funkelten. Jims Rechte presste sich fester um den Colt, aber er bewegte sich nicht.

Die Kerle hielten ihn für tot. Dann glitten noch zwei Mexikaner in die Senke. Ein leises, kehliges Lachen ertönte.

„Beeilt euch!“, befahl der Anführer. „Zuerst die Kanone, dann die Kisten!“

Jim wartete, bis sie die Schnellfeuerkanone anpackten, um sie aufs Pferd zu hieven. Lautlos richtete er sich auf.

„Das war’s, Muchachos! Pfoten hoch und keine Bewegung!“

Ein Blitzeinschlag hätte sie nicht mehr erschrecken können. Sie starrten Jim wie ein Gespenst an. Der Anführer vergaß, dass er das Gewehr hielt. Sein Mund blieb offen.

„Pass auf, dass dir keine Bleihummel reinfliegt, Compadre!“, warnte Sonora‑Rick von der Seite. Sein Colthammer knackte.

Das Gewehr fiel neben das Feuer. Vier Paar Hände streckten sich nach den Sternen. Jim hielt die Bandoleros in Schach, Rick entwaffnete und fesselte sie. Dann warf er Brennholz aufs verlöschende Feuer.

„Wir haben sie, Miss Sally!“, rief er in die Nacht. Aber keine Antwort kam.

*

Als der Mond endlich das Tal ausleuchtete, fanden sie Sallys Spur. Vierzig Yards vom Camp entfernt stießen fremde Stiefelabdrücke dazu.

„Sie waren zu fünft“, knirschte Rick. „Der Bursche sollte offenbar Sally und mich erledigen.“

Es hatte einen Kampf gegeben. Zweige waren geknickt. An einem Strauch hing ein Fetzen von Sallys Bluse. Jim hob einen abgerissenen Knopf auf. Er stammte von einer Mexikanerjacke. Dann folgten Jim und der Revolvermann einer Schleifspur. Sie führte zu der buschbestandenen Kuppe, auf der die Bandoleros ihre Gäule zurückgelassen hatten. Die letzte Strecke hatte der Mexikaner seine bewusstlose Gefangene getragen.

Die Pferde waren fort. Die Spur verriet, dass die Hufe mit Leder umwickelt waren. Sie verlief zum westlichen Talrand. Kein Laut war zu hören. Jim spürte einen Kloß im Hals.

„Er bringt sie zu Calaveras.“

*

Die Fährte des Entführers vereinigte sich am nächsten Tag mit den Hufabdrücken der Reiter, die den Goldwagen verfolgten. Die Radfurchen führten immerzu nach Westen. Sam Webster wollte anscheinend die kalifornische Grenze erreichen.

Jim wusste, dass es in der Nähe von Needles eine Fähre über den Colorado gab. Aber die Bandoleros hatten aufgeholt. Webster blieb keine Zeit mehr für irgendwelche Finten.

Ab Mittag folgten Jim und Sonora‑Rick einem Bachbett, in dem ein wenige Fuß breites Rinnsal glitzerte. Die Bandoleropferde hatten den Lehm zertrampelt. Unruhig tastete Jims Blick die vor ihnen liegenden Berge ab. Die Gegend wirkte weniger kahl. Kiefernwälder bedeckten die Hänge. Es schien auch mehr Wasser zu geben. Die Sträucher trugen frisches Grün, auch wenn der Boden steinig war oder aus hart gebackenem Lehm bestand.

Am Rand eines Kiefernwäldchens hielt Jim. Die Fährte schlängelte sich durch ein von Felsmassiven durchbrochenes Becken auf einen Einschnitt zwischen bewaldeten Bergrücken zu.

„Jetzt haben sie ihn. Webster steckt in ’ner Sackgasse.“

Eine halbe Stunde später hörten sie die Schüsse.

„Zwei Meilen“, schätzte Rick. Er zog die Winchester aus dem Scabbard.

Jim schüttelte den Kopf.

„Bleib hier und pass auf die Gatling auf. Ich seh mir die Sache mal an.“

„Willst du Sally befreien?“

„Ich glaub nicht, dass ich das schaffe. Sie ist für Calaveras immerhin ’ne Wagenladung Gold wert.“

Jim ritt davon. Er näherte sich dem Bergeinschnitt von der Seite. Das Krachen der Gewehre wurde lauter. Jim tauchte in den Schatten der Kiefernwälder. Ein Wildpfad führte ihn an den Bergflanken empor. Die Bäume standen weit genug auseinander, dass er im Sattel bleiben konnte. Ein Nadelteppich dämpfte das Pochen der Hufe. Der Pfad wand sich an Felsbrüchen und Geröllhalden vorbei. Dann lichtete sich der Wald.

Jim blickte auf ein schmales, sonnenbeschienenes Tal. Der Wagen stand neben einer Klippe, die in das fast ausgetrocknete Bachbett ragte.

Webster und Tilburn verteidigten ihn. Sie befanden sich im Schatten. Jim sah nur die in unregelmäßigen Abständen aufblitzenden Mündungsfeuer. Freies Schussfeld lag vor ihnen. Der steile Geröllhang verhinderte, dass die Gegner in ihren Rücken gelangten. Der Platz war nicht schlecht gewählt. Die Frage war nur, wie lange Webster und Sallys Vater mit der Munition auskamen.

Calaveras’ Männer hatten es nicht eilig. Sie bildeten, hinter Felsblöcken und Baumstümpfen kauernd, einen lockeren Halbkreis um den Wagen und begnügten sich, die Verteidiger mit gelegentlichen Schüssen festzunageln. Aus einer nahen Senke stieg der Rauch eines Kochfeuers.

Jim entdeckte zuerst nur die abgesattelten Pferde. Als er einige Yards weiter den Pfad hinaufritt, sah er die ums Feuer Sitzenden.

Ein von einem Poncho umhüllter Mexikaner drehte den Holzspieß mit den brutzelnden Fleischstücken. Zwei andere bewachten die Gefangene.

Obwohl Sally an Händen und Füßen gefesselt war, bedrohten die Kerle sie mit schussbereiten Revolvern.

Jim biss die Zähne zusammen. Trotz der Entfernung erkannte er, wie erschöpft das Girl war. Der Kopf war nach vorn gesunken. Die blonden Haare verdeckten halb das bleiche Gesicht.

Calaveras saß mit dem Rücken zum Kampfplatz auf einem Stein. Die Zierknöpfe an der Chivarrahose und die Conchos am Stirnband funkelten. Ein Zigarillo steckte zwischen den Zähnen. Über den Knien lag ein mit Silberbeschlägen verziertes Gewehr. Dann und wann beschattete Calaveras die Augen mit der flachen Hand und spähte zur Bergflanke.

Jim begriff, dass er wartete – auf Sonora-Rick und ihn.

*

Jims Pferd stampfte durchs Unterholz. Die Bandoleros sprangen auf. Einer riss Sally an den Haaren hoch und drückte ihr den Revolver an den Hals.

Nur Calaveras blieb sitzen. Mit starrer Miene ritt Jim auf sie zu. Sein Colt steckte im Holster, das Gewehr im Sattelfutteral. Am gegenüberliegenden Talrand krachte es wieder. Eine Bodenwelle verdeckte dem Reiter die Sicht. Er sah nur die Klippe und das Planwagendach.

Sally atmete heftig. Sie presste die Lippen zusammen, damit sich ihr kein Schrei entrang.

Calaveras besaß ein breitflächiges, gelbbraunes Gesicht mit aufgeworfenen Lippen. Die wulstige Narbe auf der rechten Wange machte es nicht anziehender. Seine schwarzen Augen glänzten wie Basaltsplitter. Grinsend nahm der Bandit das Zigarillo aus dem Mund.

„Hallo, Gringo.“

„Hallo, Greaser.“

Der Fleischbrater hob drohend den Karabiner, aber Jim beachtete ihn nicht.

„Wo ist dein Amigo?“, wollte Calaveras wissen.

„Er bewacht die Gatling. Rechne dir nichts aus.“

„Ich rechne mir aus, Gringo, dass ihr beide mir zu der Ladung Gold verhelft – oder die Muchacha stirbt. Und es gibt viele Arten eines langsamen und qualvollen Todes.“

„Wenn Sally Tilburn etwas zustößt, gibt’s keinen Ort, wo du vor mir sicher bist, Calaveras.“

Der Bandolerohäuptling lachte. „Du willst sie, nicht wahr?“

Jim starrte ihn an. „Welche Garantie haben wir, dass ihr sie freigebt, wenn wir euch das Gold beschaffen?“

„Mein Wort.“

Jim ballte die Fäuste. „Ich weiß, was das wert ist.“

„Dann ist ja alles in Ordnung“, grinste Calaveras.

*

Sonora-Ricks Miene verriet nichts von seinen Gedanken. Der Blick war ausdruckslos. Er saß im Schatten an einen Felsen gelehnt. Die Pferde dösten. Aus dem Bergeinschnitt drangen vereinzelt Schüsse. Jim blieb im Sattel.

„Es gibt keine andere Möglichkeit, Sally zu retten. Calaveras wird nicht zögern, sie zu töten, wenn wir sie zu befreien versuchen.“

„Webster wird nicht mitspielen.“

„Es kommt nicht auf Webster an, sondern auf dich.“

„Webster wird Tilburn als Geisel benutzen. Sein Vorteil ist, dass er nur das Gold will.“

„Und du?“

Der Revolvermann erhob sich. Seine Äugen funkelten, als er die Zügel ergriff.

„Ich will das Gold – und Sally.“

*

Es war ein Scheinangriff.

Trotzdem sah es ziemlich verwegen aus, wie die beiden Reiter mit feuerspuckenden Waffen aus der Talbiegung preschten.

Jim zog die Packpferde mit. Seine Winchester blitzte.

Nach etlichen überhasteten Salven ergriffen die Bandoleros – wie verabredet – die Flucht. Das ganze Spektakel geschah, um Webster zu täuschen.

Keuchend erreichten sie den Wagen. Webster und der Minenbesitzer traten dahinter hervor. Tilburn sah mitgenommen aus. Der Verband an seinem Arm war blutdurchtränkt. Webster schickte den im Wald eintauchenden Mexikanern eine Kugel nach.

„Nimm mir die Bleispritze ab“, rief Rick ihm zu. „Schnell, gleich kommen sie wieder!“

Webster ließ sich überrumpeln. Jim glitt hinter ihm vom Pferd und hob den Colt.

„All right, Sam, bleib so stehen. Tilburn wird Rick helfen.“

Websters Karabiner lehnte am Wagen. Sein Revolver steckte im Holster.

„Der Teufel soll euch holen! Ihr habt mich reingelegt.“

„Mach dir nichts draus“, spottete Rick.

Tilburn wirkte ratlos. Er wusste von Webster, wer die beiden Ankömmlinge waren.

„Was habt ihr vor?“

„Zuerst einmal wollen wir verhindern, dass Freund Sam sich das Gold unter den Nagel reißt“, erklärte Sonora‑Rick.

Jim nahm Webster den Revolver ab. „Ihre Tochter befindet sich in Calaveras’ Gewalt. Für das Gold lässt er sie frei.“

Der Minenbesitzer zuckte zusammen.

Webster keuchte: „Ihr werdet doch nicht darauf eingehen!“

„Wir haben keine Wahl“, erwiderte Jim.

„Er … er will das ganze Gold?“

„Alles“, bestätigte Rick.

„Aber das ist …“ Webster fuchtelte herum. „Dann ist alles umsonst gewesen. Das könnt ihr nicht tun!“

„Es ist nicht dein Gold, Sam.“

„Ihr seid verrückt, wenn ihr euch von dem verdammten Greaser erpressen lasst.“

„Tilburn entscheidet.“

„Die Schurken sollen das Gold haben, wenn es sonst keine Möglichkeit gibt, Sally zu retten“, murmelte Tilburn erschöpft.

Webster lachte zornig. „Sie werden das Gold kassieren und uns dann die Hälse durchschneiden! Und deine Tochter, Tilburn …“

„Wir haben die Gatling“, unterbrach Rick scharf.

„Mann, das ist es ja! Dieser Bastard Calaveras wird kein Körnchen von dem Gold sehen, wenn du klaren Kopf behältst. Mit der Gatling sind wir unschlagbar. In zwei Tagen können wir an der kalifornischen Grenze sein. Rick, Hombre, überleg doch! Es ist Gold im Wert von mehr als hunderttausend Bucks. Hunderttausend für uns beide, Rick! Dreht sich dir nicht der Magen um, wenn Calaveras es kassiert?“

„Wir holen uns das Gold zurück, Sam.“

Webster starrte ihn ungläubig an. Dann spuckte er verächtlich aus.

„Du bist genauso närrisch wie Jim. Ich glaube, das Girl hat euch beiden den Kopf verdreht. Zum Schluss werdet ihr euch noch wegen ihr gegenseitig über den Haufen knallen. Macht was ihr wollt! Ihr habt doch wohl wenigstens nichts dagegen, dass ich ein paar Goldbarren mitnehme, wenn ich verschwinde.“

„Doch, Sam.“ Jims Colt ruckte, „denn du bleibst.“

*

Zehn Minuten später tauchte eine waffenstarrende Reiterkette am Waldrand auf. Juan Calaveras saß auf dem rassigen Schimmelhengst. Rick stand hinter der feuerbereiten Gatling‑Gun.

„Bleibt, wo ihr seid!“

„Wir wollen das Gold!“

„Ihr könnt es auf eure Pferde verteilen. Wir behalten den Wagen.“

Jim und Tilburn hatten das Fahrzeug bereits halb entladen. Missmutig half Webster ihnen dabei.

Calaveras hob das mit Silberbeschlägen verzierte Repetiergewehr.

„Das ist nicht abgemacht.“

„Es war abgemacht, dass ihr Sally freilasst. Schickt sie her!“

„Nicht, bevor wir das Gold haben.“

Die Bandoleros warteten. Zwei befanden sich mit der Gefangenen unter den Bäumen.

Jim, Tilburn und Webster arbeiteten schneller. Sie stapelten das Gold an der Klippe. Die glänzenden Barren waren schwer. In den Satteltaschen der Mexikaner würden sie die Pferde zusätzlich belasten und das Vorankommen erschweren. Trotzdem fluchte Webster erbittert vor sich hin. Dann war es so weit.

„Fertig!“, verkündete Jim.

Die Pferde waren angespannt, die Plane zurückgerollt. Die Gefährten wuchteten die Schnellfeuerkanone auf die Ladefläche. Jim klappte das Heckbrett hoch. Der Mündungskranz ragte darüber. Tilburn und Webster kletterten auf den Bock. Webster nahm die Zügel.

„Jetzt könnt ihr kommen“, rief Sonora-Rick.

Die Reiter wollten antraben, aber Calaveras’ Befehl bannte sie. „Kommt ihr doch, wenn ihr die Muchacha wollt.“

Webster fluchte. „Ich wusste es. Er will unsere Skalps.“

Jim stieg in den Sattel.

„Ich hole Sally.“

Die Hufe klapperten durchs Bachbett, dann stampften sie auf weichem Grasboden.

„Ihr könnt ihn und das Girl abschreiben“, murrte Webster.

„Red kein Blech! Noch haben die Kerle das Gold nicht“, widersprach Rick.

Die Mexikaner luden ihre Karabiner durch. Jim ritt zu Calaveras. Sie befanden sich außer Schussweite der Gatling‑Gun.

„Sobald ich mit Sally verschwinde, gehört euch das Gold keinen Augenblick früher.“

Calaveras’ fleischige Lippen verzogen sich zu einem grimassenhaften Grinsen.

„Du hast Mut, Gringo.“

„Mein Name ist Jim Marlowe. Merk ihn dir.“

Calaveras’ Grinsen erlosch, als Jim sein Pferd unter die Bäume lenkte. Sally kauerte gefesselt an einer riesigen Kiefer. Ihre Wächter richteten die Gewehre auf Jim. Er stieg ab, zerschnitt die Fesseln und half dem Mädchen auf.

„Dein Pa wartet.“

Sie wollte sprechen, brachte aber kein Wort heraus. Jim stützte sie. Die Bandoleros belauerten ihn. Nachdem Sally sich gefangen hatte, brachte Jim ihr ein Mexikanerpferd.

„Wirst du durchhalten?“

Sie nickte stumm. Jim hob sie hinauf, dann schwang er sich ebenfalls wieder in den Sattel. Sein Blick traf Calaveras’ verkniffenes Gesicht. Die Fäuste des Schimmelreiters umkrampften das Gewehr.

„Denk an das Gold“, mahnte Jim.

„Dein Name wird bald auf einem Grabkreuz stehen, Marlowe.“

*

Schluchzend fiel Sally ihrem Vater um den Hals. Es waren Tränen der Freude und Erleichterung. Der Wagen hielt unter den Bäumen am Talausgang.

Rick ließ die Gatlingkurbel los und reckte sich. Kein Verfolger war zu sehen, aber Webster unkte: „Bildet euch bloß nicht ein, dass sie uns entkommen lassen.“

Jim dachte an das mitleidlose Glitzern in Calaveras’ Augen. Er hätte jetzt einen Drink oder wenigstens eine Zigarette gut vertragen.

Rick grinste. „Wir fangen sie ab.“

Websters Kopf ruckte. „Wer, zum Teufel, ist wir?“

„Du, Jim und ich. Willst du nicht deine Waffen wieder?“

„Ich will das Gold.“

„Einen Anteil davon“, berichtigte Sonora-Rick ironisch. „Wir sind bescheiden und teilen uns McLanes Hälfte. Oder?“

Ein Lauern trat in Websters Augen. Schnell warf er einen Blick auf Tilburn und das Girl.

„Wie könnt ihr immer noch an das Gold denken“, rief der Minenbesitzer. „Ich bin froh, wenn wir lebend aus diesen verfluchten Bergen rauskommen.“

„Lebend und reich. Sie brauchen nur zu kutschieren. Miss Sally begleitet Sie. Der Wagen dient als Köder. Es ist kein Risiko für Sie dabei.“

Der Revolvermann spürte Jims Blick.

*

Es waren acht Mann, Calaveras an der Spitze. In dichtem Pulk folgten sie der Wagenspur. Ihre Ponchos waren bunte Tupfer zwischen den Felsen und Bäumen. Sie entdeckten das Fahrzeug an einer mit Klippen übersäten Steigung, die zu einer Passkerbe hinaufschwang. Der Sonnenuntergang überflammte die Berge. Von weitem schien die Wagenplane zu brennen. Die Felsschultern über dem Passweg leuchteten rot. Der Himmel dahinter war dunkelblau. Der Planwagen verschwand, tauchte wieder auf und verschwand abermals. Fernes Peitschengeknall drang zu den Bandoleros.

„Wir reiten durch den Wald“, entschied Calaveras. „Dann sind wir vor ihnen oben. Es wird ein Kinderspiel.“

Mit wilden Drohungen gegen die Gringos spornten sie die Pferde unter die Bäume. Hier war es fast dunkel. Vereinzelte rote Lichtbündel fielen auf den Nadelteppich. Obwohl es steil bergan ging, blieben die Mexikaner im Sattel. Calaveras feuerte sie an. Die Hufe hinterließen tiefe Trittsiegel. Leder knarrte, Metallzeug klirrte. Jeder Bandolero schleppte ein Arsenal von Waffen mit.

Plötzlich scheuten die Gäule. Drei scheinbar von der Dämmerung ausgespuckte Gestalten sprangen zwischen sie. Gewehrkolben sausten nieder. Drei Mexikaner stürzten aus den Sätteln. Erschrocken rissen die anderen ihre Karabiner hoch. Aber in dem jähen Durcheinander war Freund und Feind nicht zu unterscheiden. Pferde prallten zusammen. Flüche ertönten. Die Angreifer bewegten sich wie Schatten.

Gewehrkolben trafen Köpfe, Schultern und Rücken. Macheten blinkten. Doch Jim, Webster und Rick wichen den Klingen aus und erledigten auch die Machetenschwinger. Der Kampf dauerte nicht viel länger als eine Minute.

„Haltet die Pferde!“, rief Jim.

Kein reiterloses Tier durfte ins Tal zurück, wo der Rest der Bande den Goldschatz bewachte. Sie fingen die Gäule ein. Einige hatten sich sowieso mit den Zügeln im Unterholz verfangen. Ihre Besitzer lagen ächzend am Boden. Webster drehte den Anführer auf den Rücken. Calaveras’ Augen waren aufgerissen, sein Kopf seltsam verdreht. Er hatte sich das Genick gebrochen.

Webster spuckte aus. „Wenn ich abergläubisch wäre, würde ich sagen, das Gold hat ihm kein Glück gebracht.“

Sonora-Rick grinste. „Ich wette, du bist abergläubisch.“

„Einer fehlt“, stellte Jim fest.

Webster fluchte. Ihr Plan war keinen Pfifferling wert, wenn der Bandolero seine Kumpane warnte. Rasch zählte Rick die Pferde.

„Er ist zu Fuß abgehauen.“

Sie lauschten. Weiter unten am Hang brachen dürre Zweige. Einen Moment hörten sie hastende Schritte. Sonora‑Rick führte sein Pferd aus dem Schutz der Sträucher.

„Mein Job.“

Eine Eisschicht schien sein Gesicht zu überziehen, als er aufsaß. Die sehnige Gestalt verschwand in der Dunkelheit.

„Den möchte ich nicht auf der Fährte haben“, brummte Webster.

Sie entwaffneten und fesselten die aus ihrer Betäubung erwachenden Bandoleros. Außer Calaveras war noch ein Mann tot. Ein Kolbenhieb hatte ihm den Schädel zertrümmert. Jim und Webster banden die Gefangenen auf die Pferde. Es war schon Nacht, als sie den Wagen erreichten.

„Wo steckt Sonora-Rick?“ Tilburn schien beunruhigt.

Jim berichtete. Der hagere Minenbesitzer schüttelte den Kopf. „Ich bin nach wie vor dafür, dass wir auf das Gold verzichten.“

„Ihre Zukunft hängt davon ab.“

„Welche Zukunft hat ein Mann mit ’ner Banditenkugel im Bauch?“

Sie warteten. Kein Laut drang aus den Tälern. Ein Stern nach dem anderen tauchte über den Berggipfeln auf. Die Gefangenen kauerten am Boden. Ihr Traum vom Reichtum war aus.

Endlich schälte sich ein Reiter aus der Schwärze – Sonora-Rick.

„Hast du ihn erwischt?“, rief Webster.

Rick lächelte nur starr. Sally fröstelte.

„Es kann losgehen.“ Rick deutete auf die Mexikaner. „Wir brauchen ihre Ponchos und Sombreros.“

*

Jim Marlowe hielt an derselben Stelle, von der er bereits am Nachmittag das Tal überblickte. Die Entfernung kam ihm jetzt größer vor. Der Mond stand über dem Taleingang.

Ein Lagerfeuer beleuchtete die Goldbarren. Ihr Glitzern und Gleißen schien unwirklich. Sekundenlang war Jim, als träumte er alles nur. Sieben Mexikaner bewachten den Schatz. Keiner legte auch nur eine Sekunde das Gewehr aus der Hand.

Sie warteten, rauchten und tranken ab und zu aus ihren Kürbisflaschen. Revolver und Macheten hingen an ihren Gürteln. Sie blieben am Rand des Lichtkreises, gespannt wie Raubkatzen und bereit, die Beute bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.

Jim spürte, wie sie mit jeder Minute unruhiger und misstrauischer wurden. Er wendete, um den Gefährten seine Beobachtungen mitzuteilen.

An der ersten Pfadbiegung wartete Sam Webster. Seine Hände ruhten auf dem Sattelhorn. Trotzdem schob Jim die Hand an die Waffe.

„Was willst du?“

Ein Lauern flackerte auf Websters bärtigem Gesicht. „Ich wollte dich nur was fragen, Amigo.“

„Spuck’s aus.“

„Bist du sicher, Amigo, dass Sonora‑Rick sich mit ’nem Viertelanteil begnügt?“

„Ich bin nicht sicher, dass du damit zufrieden bist, Sam.“

Webster lachte rau.

„Der Unterschied zwischen mir und Rick ist, dass es ihm nicht nur auf Gold ankommt.“

„Was willst du?“, wiederholte Jim scharf.

Der Bandit beugte sich vertraulich zu ihm. „Wir sollten uns zusammentun, wenn’s so weit ist.“

„Findest du nicht, dass du ein bisschen viel verlangst? “

„Sonora-Rick ist der kaltschnäuzigste und gefährlichste Bastard, der mir je unterkam. Jeder von uns ist für sich allein aufgeschmissen. Ich vertrau’ dir, Jim. Klar, ich bin nicht immer nur freundschaftlich mit dir umgesprungen. Aber das war auch deine Schuld. Immerhin haben wir ein ganzes Jahr gemeinsam in ’ner lausigen Zelle verbracht …“

„Fang nicht damit an! Wer sagt mir denn, dass du nicht bereits auch ein Abkommen mit Rick getroffen hast?“

„Ich würde ihm nie trauen.“

Jim ritt an ihm vorbei. „Und ich trau dir nicht, Sam.“

*

Tilburns Hände lagen auf der Seitenlehne der Fahrerbank. Im Mondlicht wirkte er alt und müde. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht.

„Es ist mein Gold. Wenn ihr dafür kämpft, komm ich mit.“

„Wir haben vereinbart, dass Sie mit Sally hierbleiben“, erwiderte Jim ruhig. „Nehmen Sie’s mir nicht übel, Tilburn, aber Sie sind kein Kämpfer. Sie sind uns nur im Weg.“

Jim saß, die Zügel in den Händen, auf der Fahrerbank. Rick stand hinter ihm an der Gatling. Sie hatten die Wagenplane entfernt. Das Dreibein, auf dem die Waffe ruhte, war an der Ladefläche festgeschraubt, das Laufbündel nach allen Seiten schwenkbar.

Webster hockte mit Colt und Gewehr auf dem Pferd. Jeder trug Poncho und Sombrero, so dass man sie, solange sie nicht direkt angeleuchtet wurden, für Mexikaner halten musste.

Sally trat neben ihren Vater.

„Pass auf dich auf, Jim.“

„Er weiß, dass er noch als Trauzeuge benötigt wird“, grinste Rick.

Tilburn fragte: „Was meint er damit?“

„Ein Scherz, Pa.“ Das Mädchen wandte sich ruckartig ab.

Jim schwang die Peitsche. Der Wagen ruckte. Mit quietschenden Achsen rollte er in den Bergeinschnitt. Webster ritt nebenher. Die Hufe pochten dumpf. Sie hatten die Gefangenen am Passtrail zurückgelassen. Die Pferde blieben bei Sally und Tilburn. Jim folgte dem Bachbett. An der Talbiegung sahen sie den rötlichen Schein des Lagerfeuers.

„Macht ein bisschen Lärm, Compadres“, raunte Sonora-Rick. „Die Burschen glauben sonst nie, dass wir Calaveras Reiter sind.“ Er schwenkte den Sombrero. „Amigos! Stellt den Tequila kalt. Wir haben sie!“

Sein Akzent war lupenrein. Webster grölte. Jim ließ die Peitsche knallen. Das Gespann lief, der Wagen schaukelte. Lachend leerte Jim den Sechsschüsser in den Nachthimmel. Er achtete darauf, dass kein Mündungsblitz sein Gesicht erhellte. Mit heiseren Schreien feuerte Jim die Pferde an. Webster schwang das Gewehr. Die Ponchos flatterten.

Die Männer am Feuer riefen und winkten. Einige liefen dem Fahrzeug entgegen.

„Wo sind die anderen? Wo habt ihr die Muchacha? “

„Schneller!“, zischte Sonora-Rick. „Wir müssen näher zum Feuer und dem Gold.“

Jim stemmte sich ein. Der Wagen rumpelte durchs Kiesbett. Funken umsprühten die Räder.

„Amigos!“, johlte Webster. Da malte sich Betroffenheit auf den braunen Gesichter. „Zurück! Es sind …“

Die Gatling fetzte. Jim glaubte, seine Trommelfelle müssten platzen. Feuerstöße hieben an ihm vorbei und zerfetzten Körper. Er sah hochgeworfene Arme und blutüberströmte Leichen. Das Hämmern der Gatling übertönte die Schreie. Der Wagen sauste vorbei, auf die Männer am Feuer zu.

Die Gatling mähte alles nieder. Eine Geschossgarbe traf die an der Klippe gestapelten Goldbarren.

Jim duckte sich. Kugeln pfiffen an ihm vorbei. Zwei Mexikaner lagen in Deckung. Webster sprengte mit feuerspuckender Winchester auf sie zu. Schreiend bäumten sie sich auf.

Der Wagen hielt. Rauchschwaden trieben durchs Tal. Nur mehr ein Bandolero war übrig. Er floh zu den Pferden, die am Rand eines Dickichts angepflockt waren.

„Heyah!“, schrie Sonora-Rick, schwenkte das Laufbündel und drehte die Kurbel. Die Gatling bockte und blitzte. Ein halbes Dutzend Einschläge warfen den Mexikaner zu Boden und ließen ihn als blutendes Bündel zurück.

Jim wickelte die Zügel um die Seitenlehne und sprang ab. Er war nicht dazugekommen, einen Schuss abzufeuern. Irgendwie war er froh darüber. Lachend schleuderte Rick den Sombrero weg. Der Poncho flatterte hinterher.

„Wir sind reich, Amigos!“

Jim beugte sich über einen Getroffenen.

„Wasser“, stöhnte der Mann. Als Jim sich umdrehte, stand Rick mit erhobenem Colt vor ihm. Sein Grinsen war eine Maske, hinter der der Tod sich verbarg. Die Kammern des 44er waren wieder mit Blei gefüllt.

„Er braucht kein Wasser mehr – und ich will nichts riskieren.“

Jim bezwang die Panik, die in ihm aufwallte. Er dachte nicht mehr an die Jahre im State Prison, sondern an Sally.

„Hast du Angst vor ’nem Zweikampf?“

„Es wäre närrisch, wenn ich jetzt noch etwas dem Zufall überließe. Ich werde Sally sagen, dass eine Mexikanerkugel dich traf. Mach dir keine Hoffnungen: Webster steht auf meiner Seite.“

„Du irrst.“ Jims Stimme kratzte. „Webster ist abgehauen. Er will das Gold allein. Sally und Tilburn sind sein Trumpf.“

*

Zuerst hielt Rick es für einen Bluff. Ohne Jim aus den Augen zu lassen, ging er um das Feuer herum.

„Webster!“, rief er, erhielt jedoch keine Antwort.

Das Röcheln des Sterbenden verstummte. Ein Kojote heulte, die Bandoleropferde schnaubten. Gespenstisch erhellten die auseinandergefetzten Glutbrocken die schlaffen Gestalten, die Goldbarren und die Gatling. Fluchend band der Revolvermann das nächste Pferd los, schwang sich hinauf und brachte das erschreckte Tier mit Fersenstößen und kurzen Zügeln unter Kontrolle.

„Zur Hölle mit dem Verräter!“

Webster wusste, dass er nur einen von ihnen erwischen konnte, auch wenn er ihnen in den Rücken fiel. Deshalb wollte er sich die Tilburns als Geiseln schnappen.

Schon saß auch Jim im Sattel. Er feuerte drei Warnschüsse ab. Ein mehrmaliges Krachen antwortete beim Taleingang.

Jim und Rick nahmen es zuerst für ein Signal, dann fielen, weiter entfernt, wieder zwei Schüsse. Eben noch standen sie sich als Todfeinde gegenüber, jetzt preschten sie Seite an Seite los.

Das Gold blieb unbewacht. Aber noch bestand keine Gefahr, dass Sam Webster damit floh. Ein Mann allein brauchte gewiss eine Stunde, die Barren aufzuladen. Kühle Nachtluft fächelte die Gesichter der Reiter. Sie galoppierten am Bachbett entlang. An der Biegung nahmen sie die Abkürzung durch den Wald. Zweige streiften sie. Der Mond warf Silberstreifen auf den mit Kiefernnadeln gepolsterten Boden. Kein Schuss ertönte mehr.

Sie brauchten nur Minuten, aber Jim kam es wie Stunden vor, bis sie den vom Mond beleuchteten Platz erreichen, wo sie Sally und ihren Vater zurückgelassen hatten. Verwitterte Felstürme ragten am Fuß eines Bergkegels auf, der so hoch war, dass die Sterne ihn zu berühren schienen. Die Pferde waren fort. Ein Stöhnen kam aus einer Rinne.

Es stammte von Bob Tilburn. Mehrere Kugeln hatten ihn getroffen. Sein zerfetztes Hemd war blutbesudelt. Erschüttert kniete Jim neben ihn. Sonora‑Rick machte sich nicht die Mühe, abzusteigen. Sein Pferd tänzelte.

„Wo ist Sally?“

„Geflohen …“ Der Minenbesitzer atmete mühsam. Seine zitternde Hand deutete auf den Berg. „Hab versucht, ihn aufzuhalten …“

„Bleib bei ihm“, rief Jim. „Ich schnapp mir den Schuft!“

Ohne Jims Einverständnis abzuwarten, jagte er um die Felstürme herum. Die Hufe klapperten. Von weiter oben am Berg kamen verschwommene Geräusche. Der Mond tauchte die Südwestflanke in bleiches Licht. Der Rest der mächtigen, von Felsen gekrönten Kuppe lag in fahler Finsternis.

Jim erkannte, dass es für Tilburn keine Rettung gab.

„Ich werde Sie verbinden“, murmelte er.

Der Sterbende hielt ihn fest.

„Zeitverschwendung …“ Und nach einer Pause: „Sally hat mir alles erzählt … Dieser Revolvermann, Ihr ehemaliger Freund … Marlowe, lassen Sie nicht zu …“

Tilburns Hand rutschte von Jims Arm. Sein Kopf fiel zur Seite. Er atmete nicht mehr. Der Gedanke an Sally drückte Jim die Kehle zu. Es war ein schwacher Trost, dass Webster das Mädchen lebend brauchte. Jim häufte Steine auf den Toten, damit die Kojoten nicht an ihn herankamen. Er hoffte, dass sie Tilburn später ein anständiges Grab geben konnten.

Dann stieg Jim aufs Pferd und ritt den scheinbar in den Sternenhimmel stoßenden Hang hinauf. Die Winchester lag quer vor ihm auf dem Sattel. Das nicht sehr große, aber kräftige Mexikanerpferd war ein guter Kletterer. Lehmflächen wechselten mit Grasstreifen. Dann wieder schlugen die Hufe auf blanken Fels. Sträucher krallten sich in Spalten. Regengüsse hatte weißschimmernde Rinnen ausgewaschen. Überall türmten sich Felsblöcke und Klippen. An einigen Stellen klafften senkrechte Kamine, und nur wenige Yard entfernt ging es über grasbewachsene Terrassen.

Jim hielt. Der Berg bestand aus einem Labyrinth von Verstecken und Pfaden. Licht und Schattenmuster sprenkelten den Abschnitt, an dem Jim sich befand. Kojotengeheul schallte aus dem Tal. Außerhalb Jims Sichtkreis polterte Steinschlag. Dann peitschte ein Schuss. Das Echo verzerrte die Richtung.

Jim trieb den Braunen weiter. Ein Schnauben kam aus dem Schatten.

Sonora-Rick wartete an der Krümmung eines sich um den Berg schlängelnden Felsbands. Er deutete mit dem Gewehr auf den riesigen Schattenfleck rechts unter der Kuppe.

„Webster ist irgendwo da oben. Sally auch. Wenn er sie erwischt, gehört das Gold ihm. Ich schlage vor, jeder von uns sucht auf eigene Faust.“

*

Der Tag brach an, ohne dass Jim Marlowe ein Lebenszeichen von Sally, Webster oder Sonora-Rick erhielt.

Nebel stieg und hüllte den Berg ein. Das Tal mit dem Goldschatz war hinter einem dichten milchigen Schleier verborgen. Es war kalt. Jim ruhte, in die Decke gewickelt, unter einem Felsüberhang. Der Braune war erschöpft. Er hatte sich tapfer gehalten, aber ohne Pause schaffte er den Aufstieg nicht mehr.

Jim hatte den Inhalt der Canteen‑Flasche mit ihm geteilt. Dazu gab es eine Scheibe Maisbrot und ein Stück Ziegenkäse. Jim aß ohne Appetit. Immer wieder horchte er, ob nicht ein Geräusch ihm Sallys oder Websters Nähe verriet.

Jim glaube nicht, dass Webster aufgegeben hatte. Sicher, der Bandit konnte unbemerkt ins Tal gelangen, das Gold aufladen und auch die Gatling‑Gun mitnehmen. Doch dann gab es keine ruhige Minute mehr für ihn. Dann war es nur eine Frage der Zeit, bis Jim Marlowe eines nachts, wenn Webster die Augen vor Erschöpfung zufielen, ans Lagerfeuer trat oder Sonora-Ricks Schuss ihn im Flimmern der Mittagshitze vom Wagenbock riss.

Der Braune schnaubte plötzlich. Witternd drehte er den Kopf. Steine rollten. Jims Hand umfasste unter der Decke den 44er‑Kolben. Dann entspannte er sich. Eine Kojote huschte vorbei. Jim erhob sich, rollte die Decke zusammen und befestigte sie hinter dem Sattel.

Ein Schuss krachte.

Jim sah noch das Mündungsfeuer weiter unten am Hang. Er ließ sich fallen. Die Kugel streifte das Pferd. Wiehernd riss es sich los und stob davon. Jim hob den Colt und wartete auf den nächsten Mündungsblitz.

Das Echo verrollte. Jims Kehle wurde trocken. Das war kein Gewehr gewesen, sondern ein Sechsschüsser, Sonora‑Ricks bevorzugte Waffe. Jims Gedanken wirbelten. Wenn Rick da unten im Nebel lauerte, dann hielt er ihn entweder für Webster – oder Rick hatte das Mädchen gefunden, und von dem Augenblick an ging es für ihn ebenso wie für Webster nur mehr um den alleinigen Besitz des Goldes.

Jim presste sich flach an den Boden. Vergeblich hoffte er, dass der Schütze kam, um nachzusehen, ob er ihn getroffen hatte. Am Berg stampften Hufe. Ein entferntes Wiehern erklang. Dann war alles wieder still. Nässe perlte auf dem Coltlauf. Jim fror. Der Nebel wurde noch dichter. Kein Sonnenstrahl durchdrang ihn. Jim warf einen Kiesel den Hang hinab, aber kein Schuss flammte auf. Kein Laut verriet, ob der Gegner noch da war.

Dann hörte Jim von weiter oben am Berg einen leisen, zaghaften Ruf.

„Jim …“ Es war Sallys Stimme.

*

Jim verließ die Deckung. Bleischwer lag der Colt in seiner Faust. Er musste damit rechnen, dass auch Webster und Rick den Ruf gehört hatten.

Oder war es eine Falle? Zwang einer von ihnen Sally, seinen Namen zu rufen? Hartnäckig umgab der Nebel den Berg. Die Felsen glänzten vor Feuchtigkeit. Nasse Halme streiften Jims Stiefel.

Jim kletterte. Er konnte nicht vermeiden, dass Steine den Berg hinabrollten. Sträucher tauchten vor ihm auf. An einem Zweig hingen nasse blonde Haare. Jims Herz hämmerte. Dann entdeckte er eine Bewegung. Ein Gewehr krachte.

Jim sprang hinter einen Felsblock und schoss zurück. Eine heisere Stimme fluchte. Es war Webster. Ein Gewehrschloss schnappte. Sofort jagte Jim einen Schuss in die Richtung.

„Sally!“, schrie er.

„Ich bin hier, Jim, bei den Felsen, die vom Tal wie ein liegender Elefant aussehen.“

„Klettere auf die andere Seite und versuche ins Tal zu kommen. Ich halte Webster auf.“ Wieder krachte Jims Colt.

„Webster hat mein Pferd getötet. Ich bin eingeklemmt.“

Der Bandit lachte. Wütend feuerte Jim abermals. Der Bandit ließ sich zu keinem Schuss mehr verleiten. Klirrende Steine verrieten, dass er die Stellung wechselte. Rasch ersetzte Jim die abgefeuerten Patronen. Der Nebel bewegte sich, formte seltsame Figuren.

Tief unten wieherte ein Pferd. Rick blieb verschwunden. Jim kletterte einige Yards. Als er innehielt, hörte er, dass Webster sich auf gleicher Höhe mit ihm bewegte.

Jim schoss. Webster fluchte böse, ein Beweis, dass Jims Blei ihm gefährlich nahe kam. Sein Gewehr antwortete. Dann rief Webster: „Sonora-Rick wird sich freuen, wenn wir uns gegenseitig ins Jenseits befördern. Warum einigen wir uns nicht? Du bekommst das Girl, ich das Gold. Auf ein paar Barren kommt’s mir nicht an. Was hältst du davon?“

„Nichts!“

Jim stieg weiter. Ein wütender Kugelhagel zwang ihn, sich in eine Rinne zu pressen. Er kroch zu einer Felsgruppe, die, wenn seine Orientierung stimmte, unterhalb der Stelle lag, wo Sally sich befand. Webster hielt Anschluss. Wieder rollten Steine, Metall schepperte.

„Schieß, Sally, wenn Webster kommt!“, rief Jim.

Sally antwortete nicht. Vielleicht hatte sie die Waffe beim Sturz verloren. Jim umrundete eine Klippe. Es war ihm jetzt gleich, ob Webster ihn hörte. Wenn der Bandit Sally vor ihm erreichte …

Ein plötzlicher Windstoß zerriss den Nebel. .

Sallys blonder Schopf schimmerte vierzig Schritte weiter oben am Berg. Der Kadaver des erschossenen Pferdes verdeckte sie. Webster befand sich seitlich von Jim. Der Abstand betrug ein Dutzend Yards. Beide Männer waren ohne Deckung.

Webster hielt den Karabiner, Jim den Colt.

Sie feuerten gleichzeitig und zu überhastet.

Websters Kugel zupfte an Jims Ärmel.

Jim drückte erneut ab, Webster versuchte in Deckung zu gelangen.

Jim erwischte ihn am Bein. Der bärtige Bandit brüllte mehr vor Zorn als Schmerz, als er das Gleichgewicht verlor, auf einen Geröllstreifen fiel und inmitten polternder Felsbrocken den Hang hinabrutschte. Der Nebel schloss sich wie ein Vorhang.

Eine Minute später war Jim bei Sally.

Sally war erschöpft und durchgefroren, aber bis auf einige Prellungen und Abschürfungen unverletzt. Ihr linker Fuß war zwischen den Steinen festgeklemmt, die jedoch verhinderten, dass das volle Gewicht des erschossenen Pferdes darauf lastete.

„Pa wollte, dass ich fliehe. Ich tat es, um Webster abzulenken. Trotzdem …“ Sie begann, zu weinen.

Jim hielt sie. Er wusste keinen Trost. Im Nachhinein war es ihm fast unvorstellbar, dass er mit Tilburns Mörder ein Jahr auf engstem Raum verbracht hatte. Von dieser Stunde an durfte Sam Webster mit keinem Pardon mehr rechnen.

Wind kam auf. Die Schleier um den Berg zerflatterten. Der Himmel war bedeckt. Nur im Süden schimmerte dann und wann ein Fleckchen Blau.

„Lass uns nach Dryhill zurückkehren“, bat das Mädchen. „Sie mögen sich des Goldes wegen gegenseitig erschießen.“

„Wir brauchen Pferde. Wir müssen ins Tal.“

*

Es war fast Mittag, als sie das Tal erreichten, ständig auf Schüsse aus dem Hinterhalt gefasst. Sie blieben unter den Bäumen. Es war warm, auch wenn nur vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke blitzten. Wind säuselte in den Kiefernkronen. Die Sträucher am Waldrand raschelten. Die Toten des nächtlichen Kampfes lagen noch genauso da.

Der Wagen war beladen und fahrbereit. Die Gatling ragte aus einer Ummauerung gelb glänzender Goldbarren. Das Ganze glich einem Trugbild. Die Pferde waren angespannt, die Zügel um einen Ast geschlungen. Niemand war zu sehen.

Jim und Sally verbargen sich in einem Cottonwoodgebüsch. Nur der Wind rauschte, zauste die Mähnen der Pferde und trieb Wellen über die Grasfläche. Ein Häher schrie.

Der Wagen stand als Köder da, ein Hunderttausend‑Dollar‑Preis für den, der zum Schluss am Leben blieb.

Webster oder Rick, einer hatte das Gold aufgeladen und war, ehe er mit der kostbaren Fracht das Tal verlassen konnte, von dem anderen gestört worden. Sie waren beide da, belauerten sich gegenseitig, warteten und hofften, dass der Gegner die Nerven verlor und einen Fehler beging. Websters Verletzung würde ihn nicht hindern, seine Gefährlichkeit zu beweisen, wenn Rick sich eine Blöße gab.

„Eine Menge hängt davon ab, ob sie wissen, dass wir hier sind“, flüsterte Jim.

Im Wald knackte es. Sally duckte sich ängstlich. Vorsichtig bog Jim einige Zweige auseinander. Aber in der Dämmerung unter den Bäumen war keine Bewegung zu erkennen. Die Pferde vor dem Goldwagen stampften ungeduldig. Vielleicht standen sie schon Stunden so da.

Jim wusste, dass Sonora-Rick ein Draufgänger war, aber auch die Geduld eines Indianers besaß. Er würde erst schießen, wenn er sich seiner Sache sicher war, ob nun Webster oder Jim ihm vor den Colt kam. Eine halbe Stunde verging. Der Häher schrie, erbost über die Eindringlinge in seinem Revier.

„Die Reitpferde sind fort“, überlegte Sally. „Vielleicht sind Rick und Webster gar nicht mehr hier.“

Jim schüttelte den Kopf. „Das Gold hält sie.“

Er gab Sally das Gewehr.

Ihr Blick ruhte besorgt auf seinem entschlossenen Gesicht. „Was hast du vor?“

„Ich werde sie zum Handeln zwingen.“ Jim überprüfte die Ladung des Sechsschüssers. In den Gurtschlaufen steckten genug weitere Patronen, die Waffe nachzuladen, wenn ihm Gelegenheit dazu blieb.

„Die Überraschung ist mein Trumpf.“

„Jim, ich möchte nicht, dass du …“

Er beugte sich zu ihr und küsste sie. Dann schob er sich aus der Deckung. Kein Schuss fiel. Jim packte den Colt fester und begann, zu rennen. Der Wagen war sein Ziel. Die Pferde drehten die Köpfe, schnaubten und wieherten.

*

Jim wusste, dass er um sein Leben lief.

Auf halber Strecke, überzeugt, dass jeden Moment das Krachen von Gewehr und Revolver die Stille zerreißen musste, änderte er die Richtung und stürmte auf das schmale, bis auf das Rinnsal ausgetrocknete Bachbett zu. Sein Puls hämmerte, seine Lungen pumpten. Aber Rick und Webster schossen nicht, weil sie sich sonst gegenseitig verrieten.

Schweißgebadet ließ Jim sich ins Kiesbett fallen. Er war nur mehr vierzig Schritte von dem goldbeladenen Fahrzeug entfernt. Die Pferde bewegten sich aufgeregt. Der Ast, an dem die Zügel verknotet waren, knackte verdächtig. Jim verschnaufte einige Sekunden, dann kroch er auf den Wagen zu. Das Bachbett war ziemlich flach, die Bewegung vom Waldrand zu sehen.

Noch dreißig Schritte, dann fünfundzwanzig …

„Jim, du verdammter Bastard, bleib weg von dem Gold! Es gehört mir!“, brüllte Webster.

Der Karabiner krachte. Lehmklumpen und Grasbüschel umwirbelten Jim. Er spähte über die Böschung.

Webster stürmte mit blitzendem. Gewehr über die Grasfläche.

Er hatte den Streifschuss am Oberschenkel mit einem Stofffetzen verbunden. Er hinkte, was aber seine Entschlossenheit nicht beeinträchtigte. Der Repetierbügel zuckte. Feuerstoß auf Feuerstoß verließ die Waffe.

Jim wartete, bis Webster die letzte Kugel hinausjagte und das Gewehr mit dem Revolver vertauschte.

Da erhob sich inmitten der Goldbarren eine sehnige Gestalt. Die Gatling ratterte.

Webster schrie. Eine Geschossgarbe durchschlug seinen Oberkörper.

Jim hatte sich, den Colt mit beiden Händen umfassend, auf ein Knie gestützt. Das qualmende, feuerspuckende Laufbündel schwang herum.

Jim schleuderte sich zur Seite. Die nächste Bleigarbe hämmerte dicht an ihm vorbei.

Jim presste sich an die Böschung. Kugeln wühlten den Boden um ihn auf. Ein wuchtiger Schlag riss ihm den rechten Stiefelabsatz weg. Dann spürte er ein Brennen am Bein, und eine weitere Kugel ritzte die rechte Schulter. Das ohrenbetäubende Knattern setzte aus.

Sonora-Ricks Lachen gellte.

„Aus, Jim! Die Gatling und ich, wir sind unschlagbar. Ich hab lange darauf gewartet. Wo ist Sally?“

„Schieß nicht mehr, Rick.“

Sally tauchte am Waldrand auf. Der Wind zerrte an ihrem Haar und drückte den knöchellangen Rock an ihre schlanken Beine. „Begnüge dich mit dem Gold, wenn du willst, dass ich mein Versprechen einlöse.“

„Keine Bedingungen, Honey!“ Ricks Lachen klang, als hätte er zu viel getrunken. „Ich hab Jim einmal gerettet, weil du es verlangt hast. Jetzt hab’ ich das Gold – es gibt keine Rücksichtnahme mehr. Hab ich recht, Jim?“

Die Gatling zerhämmerte Jims Deckung.

„Flieh, Sally!“, schrie er. „Die Pferde stehen im Wald. Reite nach Westen. In zwei Tagen erreichst du den , Colorado …“

„Jim, du vergisst, dass sie ’ne Lady ist und ich ihr Wort hab“, lachte Rick. Er wirkte völlig überdreht. Das Gold und Sally erschienen ihm so gut wie sicher. Jim, nur mit dem Colt bewaffnet, von ein paar kümmerlichen Erdbuckeln gedeckt, war in seinen Augen keine Gefahr mehr. Er selbst besaß die Goldbarren als Schutzwall.

Sally hatte das Gewehr im Dickicht gelassen. Sie verharrte reglos.

„He, Jim“, höhnte der Gatling‑Schütze. „Wolltest du mich nicht nach Flagstaff schleppen? Nun wird kein Mensch mehr erfahren, dass du acht Jahre unschuldig im Zuchthaus warst – für nichts!“

Jim schloss die Augen, nicht aus Wut oder Angst. Er konzentrierte sich. Er hörte das Stampfen und Prusten der Wagenpferde und versuchte sich genau zu erinnern, in welchem Schusswinkel sich der Ast befand, an dem die Zügel festgebunden waren.

Dann zuckte er jäh hoch, feuerte zwei Schüsse ab, und schon dröhnte die Gatling wieder.

Jim duckte sich. Seine Kugeln trafen den ohnehin schon angesplitterten Ast. Nun brach er.

Die Wagenpferde stürmten an der Klippe vorbei. Sonora-Ricks Bleihagel fetzte in das Gebüsch schräg hinter Jim. Das Fahrzeug schlingerte.

Jim sprang auf, schoss und traf Rick in die Schulter.

Die Goldbarren polterten durcheinander. Schreiend stürzte Rick von der Ladefläche. Während der Wagen zwanzig Yards entfernt im Kiesbett steckenblieb, lief Jim zu ihm.

Keuchend betastete der Revolvermann das verrutschte Holster, aber er hatte den Sechsschüsser beim Sturz verloren.

Atemlos beobachtete Sally, wie Jim stehenblieb und den Colt hob. Rick lag auf der Seite. Wut und Schmerz verzerrten sein Gesicht.

„Verdammt, worauf wartest du? Sallys Aussage wird dich rehabilitieren! Schieß doch endlich.“

„Ich hab ’ne bessere Idee“, erwiderte Jim ruhig. „Meine Zelle im State Prison wartet auf dich.“

ENDE

Revolverstolz: Western Sheriff Sammelband 7 Romane

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