Читать книгу Der Prinz des Unheils: Der Thron von Cambalar 1 - Pete Hackett - Страница 7
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ОглавлениеDas Heer war gewaltig, Gesichtslose Sandlinger und Barbaren strömten zu Abertausenden aus der wüstenhaften Ödnis. Sie schwenkten ihre Waffen. Und hier und da waren Kampfschreie zuhören. Ein gewaltiger Zug des Schreckens war, der sich da formierte.
Und sein Ziel war Cambalar...
*
Zwischen zwei der mannshohen Zinnen des Burgfrieds hindurch schaute König Ghaderich angespannt nach Norden. Kein Muskel zuckte in dem von unzähligen Runzeln und Falten zerklüfteten Gesicht, der Blick des Regenten von Cambalar schien sich nach innen verkehrt zu haben. Seine Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen.
Hochmeister Damlak, der halbrechts hinter dem König Stellung bezogen hatte, beobachtete seinen Herrn aufmerksam. Seine Stirn lag in Falten, sein Mund war verkniffen. Er wagte nicht, die Versunkenheit des Königs dadurch zu stören, indem er ihn einfach ansprach. Der Hochmeister verstand es meisterhaft, Ungeduld und Neugier im Zaum zu halten.
Plötzlich sanken die Schultern Ghaderichs nach unten, die Anspannung wich aus seinen Zügen, in seine Augen schlich sich ein unruhiges Flackern.
„Was habt Ihr gesehen, Herr?“, stellte Damlak nun die Frage, die ihm geradezu brennend auf der Zunge gelegen hatte.
Mit einer fahrigen Geste strich sich der König über die Augen. „Ein starkes Heer, Hochmeister, das von Norden, aus der großen Einöde, kommt und aus Kriegern der Sandlinger und Barbaren besteht. Es zieht in die Richtung meines Reiches.“
„Bei den Göttern!“, entfuhr es Damlak. Er war ein hochgewachsener, hagerer, geradezu asketisch wirkender Mann mit schwarzen, schulterlangen Haaren und dunklen Augen, die in tiefen Höhlen lagen und wie glühende Kohlestücke glitzerten. Der Mantel, den er trug, war von grüner Farbe und wies goldene Stickereien auf, die an geheimnisvolle Runen erinnerten. „Wir müssen es zurückschlagen, Majestät, ehe es die Grenze erreicht. Die Krieger der Sandlinger und die Barbaren morden, plündern und brandschatzen wahllos. Denkt an Euren ungeborenen Sohn, den Eure Gattin, die hochwohlgeborene Heres, unter dem Herzen trägt. Ihm müsst Ihr Euer Reich erhalten, für ihn müsst Ihr die Grenzen des Reiches sichern.“
„Wir können nur hoffen, dass es ein Sohn wird, Hochmeister Damlak“, erwiderte der König und trat nahe an die Mauer heran, die ihm zwischen den Zinnen bis zum Bauch reichte, stemmte sich mit beiden Armen ab, beugte sich weit nach draußen und ließ den Blick schweifen. Die Hauptstadt, die denselben Namen trug wie das Reich, nämlich Cambalar, war auf einer Insel inmitten des Großen Meeres errichtet worden. In ihrer Mitte erhob sich auf einer Anhöhe die Königsburg mit dem alles überragenden Burgfried. Hoch oben im Norden schienen das Meer und der Himmel in einem endlos anmutenden Grau miteinander zu verschmelzen. „Genauso gut ist es möglich, dass meine Gemahlin von einer Tochter entbunden wird.“
„Nur mit einem männlichen Nachkommen ist die Thronfolge gesichert, Herr“, gab Damlak zu bedenken.
Das Gesicht des Königs verschloss sich noch mehr. Dachte er an Jylan, seinen Sohn, der einen jämmerlichen Tod gestorben war? Ja, er war mit seinen Gedanken bei Jylan. Hass begann in seinen Augen zu glimmen und zu lodern wie ein mörderisches Feuer, als er auch des Mannes gedachte, dem er die Schuld am Tod seines Erben zuschob. Seine Zähne mahlten übereinander, seine Hände ballten sich zu Fäusten, weiß traten die Knöchel unter der Haut hervor. „Ich weiß. Ich habe zu den Göttern gebetet und ihnen Opfer dargebracht. Vielleicht haben sie mir vergeben und schenken mir einen Sohn, der mir irgendwann einmal, wenn er groß und stark ist, ich aber alt und krank und gebrechlich bin, auf den Thron folgen kann.“
„Die Götter sind Euch seit damals nicht freundlich gesinnt, mein König“, erklärte Damlak.
„Ich tue alles, um sie zu besänftigen“, erwiderte der Herrscher. Mit erhobener Stimme fuhr er fort: „Bin ich nicht gerecht zu meinen Untertanen? Bin ich meiner Gemahlin kein guter Gemahl? Ich lasse mein Volk nicht bluten, indem ich viel zu hohe Steuern eintreibe, schenke jedem Gehör und biete allen Menschen in den Provinzen Schutz und Sicherheit. Ich lasse die freien Städte am kleinen Meer in Frieden und lebe in Eintracht mit dem König von Tolvanea. Das muss den Göttern doch gefallen, und sie müssen mir endlich den Frevel von damals verzeihen. Schließlich war der Schuldige ein anderer.“
„Verzeihen ist nicht die Sache der Götter“, sagte Damlak. „Aber bringt ruhig weiterhin Opfer, mein König, huldigt den Göttern und fleht um Vergebung. Dann werden sie sich auch wieder mit Euch versöhnen. – Ihr habt das feindliche Heer dank Eurer seherischen Fähigkeiten nahen sehen, Herr. Wir dürfen nicht zulassen, dass es in Euer Reich einfällt und ganze Landstriche im Blut ihrer Bewohner ertränken.“
„Wir schicken dieser Allianz aus mordlüsternen Barbaren und beutegierigen Sandlingern eines unserer Heere entgegen“, entschied König Ghaderich. „Unsere Krieger werden die Angreifer mit aller Härte zurückschlagen. Vielleicht vergessen sie das Wiederkommen, wenn sie eine vernichtende Niederlage erleiden. Hochmeister, leitet das Erforderliche in die Wege. Ich habe etwa fünfhundert Feinde gesehen. Sie sind auf dem Marsch zur Küste, wo meine Untertanen leben. Wir schicken Ihnen genug Soldaten entgegen, die ihnen die Mord- und Raublust verleiden sollen. Wenn alles bereit ist, sagt mir Bescheid. Ich selbst will das Heer den Feinden entgegenführen.“
„Ihr, Herr? Wollt Ihr Euch tatsächlich einer solchen Gefahr aussetzen? Denkt daran, Ihr seid nicht unsterblich und könntet im Kampf getötet werden. Was dann? Cambalar steht dann möglicherweise ohne Thronfolger da. Eure Gemahlin kann nicht an Eure Stelle treten. Wie Ihr selbst bemerkt habt, ist es nicht auszuschließen, dass sie keinen Sohn, sondern eine Tochter gebiert. Mit Eurem Tod, mein König, würdet Ihr das Reich ins Chaos stürzen.“
„Es entspricht dem Ehrenkodex cambalarischer Herrscher, an der Spitze ihres Heeres, dessen oberster Befehlshaber sie schließlich sind, in den Kampf zu ziehen“, erklärte der König mit Nachdruck. „Aber sorgt euch nicht, mein guter Damlak. Ich werde nicht kämpfen.“ Der Blick Ghaderichs verlor sich wieder in der unendlich anmutenden Ferne. „Aber ich will den Einsatz unserer Krieger organisieren und koordinieren. Ich werde mit meiner Strategie die Feinde das Fürchten lehren, mir Respekt verschaffen und einen Ruf erwerben, der andere potentielle Angreifer vorsichtig werden lässt. Abschreckung ist manches Mal besser als blutiger Kampf, Hochmeister Damlak. Wenn sich die Barbaren und die Echsenmenschen nicht mehr in unser Land wagen, weil sie uns fürchten, ersparen wir meinen Untertanen viel Leid.“
„Ich verstehe Euren Entschluss, mein König“, gab Damlak zu verstehen. „Er zeugt von sehr viel Mut und Entschlossenheit, aber auch von Schläue und Erfahrung. Dennoch solltet Ihr Euer Leben keiner Gefahr aussetzen. Das Land braucht Euch, mein Herr.“
Plötzlich stutzte Damlak, schien einen Moment lang mit seinen Gedanken weit, weit weg zu sein, dann stieß er hervor: „Vielleicht ist es sogar beabsichtigt, Euch aus der Stadt hinaus und in eine Falle zu locken, mein König. Erinnert Euch des Schwurs des Mannes, dessen Name in Cambalar verpönt ist und nicht in den Mund genommen werden darf. Er hat damals geschworen, sich fürchterlich an Euch zu rächen.“
Sekundenlang presste der König die Lippen zusammen, sodass sie in seinem Gesicht nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. War es Verbitterung, die diese Reaktion bei ihm hervorrief? Möglicherweise war es die Angst, dass es so sein könnte, wie Damlak es zum Ausdruck gebracht hatte. Es konnte aber ganz einfach nur die schlimme Erinnerung sein, die ihn für einige Augenblicke überwältigte.
Ghaderich schüttelte den Kopf. „Daran glaube ich nicht. Er ist wahrscheinlich längst tot. Draußen, in der Ödnis der Berge, hatte er kaum eine Chance. Sollte es ihm dennoch gelungen sein, meinen Kriegern zu entkommen, haben ihn die Gnome oder Dämonen, die dort hausen, getötet.“
„Er war listig, mit allen Wassern gewaschen, und – gehörte zu den Unsterblichen“, wandte Damlak ein.
„Auch ein Unsterblicher kann getötet werden“, widersprach der König. „Nein! Dieser Angriff der Barbaren und Sandlinger ist nicht inszeniert, um sich an mir zu rächen, Hochmeister. Es ist einer der Raubzüge, denen das Reich nicht zum ersten Mal ausgesetzt ist. Mobilisiert ein Heer, mit dem wir den Eindringlingen entgegenziehen. Mich wird meine Leibwache begleiten. Es sind die besten Krieger, über die wir verfügen, in ihrer Mitte bin ich so sicher wie in Tasons Schoß.“
„Bringt dem Totengott ein Opfer, ehe Ihr loszieht, Herr. Es wird ihn gnädig stimmen.“
„Das ist ein weiser Rat, mein Freund Damlak“, lobte König Ghaderich. „Ich werde darüber nachdenken. Ihr, mein guter Damlak, werdet nicht zögern, ein starkes Heer einzuschiffen und meine Leibgarde auf der königlichen Fregatte zu versammeln. Sagt mir Bescheid, wenn alles zum Auslaufen bereit ist. Ihr findet mich entweder in meinen Gemächern oder im Gemach meiner Gemahlin.“
„Ich werde Eure Befehle unverzüglich ausführen, mein König“, erklärte der Hochmeister und neigte ergeben den Kopf. „Es ist anzunehmen, dass während Eurer Abwesenheit ich die Geschicke der Hauptstadt lenken soll.“
„Bei Euch ist Cambalar in den besten Händen, Damlak.“
Jetzt legte der Hochmeister die rechte Hand flach gegen den Leib und deutete eine Verbeugung an. „Habt Dank für Euer Vertrauen, mein König. Ich werde es nicht enttäuschen.“ Ein unergründliches Lächeln ließ seine dunklen Augen funkeln.
„Dann lasst uns keine Zeit verlieren“, sagte Ghaderich und ging zu dem hölzernen Aufbau in der Mitte der Plattform, in den eine Tür führte, hinter der die Treppe begann.
Damlak wandte sich, ehe er dem König auf die Treppe folgte, an den Wachposten, der die ganze Zeit über stumm und fast regungslos in einer der Ecken gestanden hatte. „Richte den Blick nach Norden, Soldat. Falls die Feinde schon näher sind, als wir annehmen, wirst du vielleicht dort, wo das Meer und der Himmel zusammenwachsen, bald Feuer und Rauch sehen. Dann zögere nicht und melde es deinem Vorgesetzten. Denn dann tut Eile Not.“
Die Gestalt des Wächters straffte sich. Er gehörte nicht zur Kampftruppe des Königreichs, denn er trug nicht die äußerlichen Merkmale der Unsterblichen. „Ich habe verstanden, Herr“, schnarrte er.
Damlak folgte seinem König.
Es dauerte seine Zeit, bis sie unten ankamen. Im Burghof trennten sie sich. Der König begab sich in die Gemächer seiner Gemahlin Heres. Sie lag stöhnend und ächzend unter einem Baldachin aus goldfarbenem Stoff in ihrem riesigen Bett, bleich, mit dunklen Augenhöhlen und gequältem Gesichtsausdruck, umlagert von einem halben Dutzend Hebammen und Zofen und einem Mann im schwarzen Medizinerhabit; schwarze Jacke, schwarze, eng an den Beinen anliegende Hose, spitze, schwarze Schnabelschuhe, einen schwarzen Hut auf dem Kopf. Lediglich das Hemd war weiß.
Der Arzt sah den König kommen, trat sofort vom Bett weg, ging auf das rechte Knie nieder, senkte den Kopf und sagte: „Eure hochwohlgeborene Gemahlin liegt in den Wehen, Herr. Ich schließe nicht aus, dass sie heute noch gebiert.“
Ghaderich bedeutete dem Mediziner, sich zu erheben. „Tut alles, Medikus, um meiner Gattin so viele Schmerzen wie möglich zu ersparen, und seht zu, dass das Kind gesund das Licht der Welt erblickt. Lasst mich in Kenntnis setzen, sobald es da ist.“
Der Arzt verbeugte sich. „Euer Wunsch ist mir Befehl, mein König.“
Ghaderich trat an das Bett seiner Gattin heran. In ihren Augen und in ihrem Gesicht wühlten die Schmerzen. Soeben fuhr wieder eine Wehe durch ihren Leib, und ihr entrang sich ein langgezogenes, gequältes Röcheln. Sie presste beide Hände auf den Leib.
Die Wehe ging vorüber und ihre Gestalt erschlaffte. In ihren Augenhöhlen glitzerte der Schweiß. Mit geröteten, fiebrigen Augen schaute sie hoch zu Ghaderich. „Es tut so weh“, murmelte sie mit verlöschender Stimme. „Aber ich halte durch, mein geliebter Gemahl. Ich bin sicher, dass ich dir einen Sohn schenke. Nicht umsonst habe ich die Götter tausendmal und noch öfter angerufen. Es wird ein ...“
Eine neue Wehe ließ sie aufschreien. Der Schmerz weitete ihre Augen, der Schrei ging schließlich zu einem nicht enden wollenden Stöhnen über, und dann war es nur noch gequältes Gewimmer, das über die bebenden Lippen der Gebärenden brach.
„Die Götter werden mit dir sein, meine über alles geliebte Gemahlin“, sagte Ghaderich und nahm Heres‘ Hand. „Ich kann dir leider nicht beistehen, meine Liebe. Aber dir steht der beste Arzt, den Cambalar zu bieten hat, zur Seite, außerdem kümmern sich die besten Hebammen und deine treuen Zofen um dich. Ich bin davon überzeugt, dass ich der stolze Vater eines Sohnes und Thronerben sein werde, wenn ich zurückkomme.“
„Du gehst weg, mein König?“, ächzte Heres.
„Ich habe einen Blick in die Zukunft werfen dürfen, meine geliebte Gemahlin“, erwiderte Ghaderich, „und ein Heer von Barbaren und Sandlingern von Norden her auf das Küstengebiet meines Reiches zumarschieren sehen. Hochmeister Damlak wurde von mir angewiesen, ein Heer aus Unsterblichen einzuschiffen. Mit mir an der Spitze wird es den Friedensstörern entgegenziehen und sie vernichtend schlagen.“
Zum gepeinigten Ausdruck in den blauen Augen der Königin gesellte sich das Entsetzen. „Du willst in den Kampf ziehen? Bei den Göttern, mein geliebter Gemahl, das darfst du nicht. Deine Offiziere können die Krieger in den Kampf führen. Warum willst du dein Leben aufs Spiel setzen? Soll dein Sohn seinen Vater niemals kennenlernen, weil der auf irgendeinem Schlachtfeld sein Leben gelassen hat?“
„Ich bin der König, meine Liebe, der erste Diener seines Reichs. Ich kann nicht meine Krieger in den Kampf schicken, ohne als ihr Anführer zu fungieren. Sollen sie die Achtung vor mir verlieren? Sollen meine Feinde behaupten, dass König Ghaderich zu feige ist, an der Spitze seines Heeres sein Reich zu verteidigen? Nein, meine geliebte Gemahlin. Ich muss achtunggebietend auftreten, respekteinflößend vor den Gegner hintreten und ihn das Fürchten lehren. Unsere Feinde sollen künftig einen weiten Bogen um das Reich von Cambalar machen.“
„Ich habe Angst um dich“, jammerte Heres, „und möchte nicht mehr leben, wenn dir was geschieht.“
Im nächsten Moment bäumte sie sich wieder unter einer Wehe auf und gab unartikulierte Laute der grenzenlosen Qual von sich.
„Ich selbst werde nicht kämpfen“, erklärte Ghaderich, als die Wehe vorüber war und Heres keuchend atmend in den Kissen lag, „sondern lediglich unser strategisches Vorgehen koordinieren. Das ist das Zugeständnis, das ich dir und unserem noch ungeborenen Kind mache. Das verspreche ich dir, meine Liebe: Ich werde mich nicht der Gefahr aussetzen, von unseren Feinden erschlagen zu werden. Wenn die Eindringlinge besiegt und vertrieben sind, kehre ich im Triumphzug zu dir und unserem Kind zurück. Das verspreche ich dir in die Hand, geliebte Gemahlin.“