Читать книгу Hochmeister der Unsterblichen: Der Thron von Cambalar 8 - Pete Hackett - Страница 7

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Das Land war unter einer dicken Schneedecke begraben. Eisiger Wind pfiff und häufte zum Teil mannshohe Schneewehen auf. Das Meer war zugefroren. Seit Menschengedenken hatte es keinen derart frühen und harten Winter gegeben. In den alten Überlieferungen war des Öfteren von einer Eiszeit die Rede, die irgendwann kommen sollte. Nequest, der Priester des Tason, den Carraq zu seinem Vertrauten erkoren hatte, war davon überzeugt, dass diese Eiszeit ihren Anfang genommen hatte.

Carraq hatte sich endlich zur Invasion auf die Hauptstadt von Cambalar entschlossen. Es war nicht mehr nötig, mit den beschlagnahmten Booten nach Ascolan zu segeln, wo weitere Schiffe gekapert werden sollten, um mit ihnen seine Armee zur Insel überzusetzen. Die Natur war ihm zu Hilfe geeilt. Carraq war fest davon überzeugt, dass es das Werk der Götter war. Das Eis war wie eine Brücke, über die seine Armee ziehen konnte. Es war die Brücke zum Thron von Cambalar, für den er von Tason ausersehen worden war, woran für Carraq in der Zwischenzeit nicht mehr der geringste Zweifel bestand.

Er ließ eine kleine Besatzung in Pendalan zurück. Mit dem Gros seines Heeres machte er sich auf den Weg, was ganz im Sinne von Segol und Tenrar war. Sie waren ähnlicher Überzeugung wie Carraq, nur sollte nicht er es sein, der den Thron bestieg, sondern Tenrar. Dessen Vision hatte ihnen jedoch zu denken gegeben. Segols Rechnung, dass Carraq tot sein würde, wenn es den Thron zu besetzen galt, schien nicht aufzugehen. Sein Plan war, Carraq während des Angriffs auf die Stadt zu töten und es so aussehen zu lassen, als wäre er im Kampf von den Feinden getötet worden. Dagegen sprach die Vision Tenrars. Danach war zu befürchten, dass er, Segol, es war, der während des Angriffs den Tod fand, und zwar durch die Hand Carraqs.

Segol und Tenrar waren vorsichtig geworden.

Dem Heer folgten die Fuhrwerke des Trosses. An der Spitze ritt Carraq, neben ihm saß Nequest, der Priester, auf einem schwarzen Pferd mit schweren Hufen und einem zottigen Haarkranz um die Fesseln. Er hatte sich im letzten Augenblick entschieden, die Invasion mitzumachen. Zunächst hatte er vorgehabt, in Pendalan zu bleiben und in der Bibliothek weiterhin nach Hinweisen zu suchen, die einem Unsterblichen den Weg eröffneten, seine Sterblichkeit und damit seine Seele zurückzuerlangen. Da er aber davon überzeugt war, dass Segol aus Angst vor Carraqs Rache mit Tenrar einen Plan geschmiedet hatte, der Letzteren als König von Cambalar vorsah, was bedeutete, dass Carraq aus dem Weg geräumt werden musste, hatte sich Nequest für die Invasion entschieden. Er war Carraq treu ergeben und hatte sich vorgenommen, dessen Rücken zu decken. Denn er vermutete eine Heimtücke von Seiten Segols und Tenrars.

Es war ein schier endloser Zug, der sich Cambalar, der gleichnamigen Hauptstadt des Reiches, näherte. Da es bitterkalt war, bildeten sich vor den Gesichtern beim Atmen weiße Wolken. Eine große Gruppe Krieger trug die Sturmleitern, mit denen sie Pendalan erobert hatten. Sie waren nicht besonders schwer, und die Söldner wechselten sich ab. Um die Wehren der Hauptstadt überwinden zu können, waren sie unabdinglich. Holz, um neue zu erstellen, gab es auf der Insel nicht.

Tagsüber marschierten sie, sobald die Dunkelheit kam, schlugen sie ihr Nachtlager auf. Auf den Fuhrwerken beförderten sie außer Schilden und Harnischen sowie Waffen viel Feuerholz, Heu und Stroh sowie Decken, Felle und Zelte. Auch die Krieger hatten sich in Felle gehüllt und trugen Pelzmützen. Und dennoch froren sie erbärmlich. Lediglich den Orks und den Unsterblichen schien die Kälte nichts auszumachen.

Sie waren nun seit zwei Tagen unterwegs. Der zweite Tag neigte sich seinem Ende zu. Von Osten schlich schon die frühe Nacht ins Land. Die Tage waren kurz, die Nächte dauerten mehr als doppelt so lang. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Ein scharfer, schneidender Wind trieb harten, trockenen Schnee, mehr Graupel, vor sich her.

Vor Carraqs Blick dehnte sich, so weit das Auge reichte, eine Eiswüste, in die die klirrende Kälte das Große Meer verwandelt hatte. Unberührtes, endloses Weiß, aus dem sich irgendwann in den kommenden Tagen die Türme, Wehren und Dächer der Hauptstadt schälten. Sie musste noch erobert werden. Es war für Carraq die letzte Hürde vor seiner Krönung zum König von Cambalar.

Die Pferde unter Carraq und Nequest stampften durch den kniehohen Schnee. Die Sättel knarrten, die Gebissketten klirrten leise. Die Tiere prusteten und schnaubten.

„Woran denkt Ihr, Auserwählter?“, fragte der Priester, der des Öfteren einen Seitenblick auf Carraq geworfen und dessen Versunkenheit wahrgenommen hatte.

„Es sind mehrere Fragen, die mich beschäftigen“, antwortete Carraq. „Zum einen würde es mich interessieren, ob Thorazan noch am Leben ist. Zum anderen stellt sich mir die Frage, wie ich Segol und Tenrar zuvorkommen kann.“

„Wenn Ihr Tenrar tötet, hat Segol niemanden, mit dem er Euch ersetzen kann“, murmelte der Priester.

„Die Söldner halten Segol und Tenrar für meine engsten Vertrauten“, sagte Carraq. „Sie führen große Truppenteile an und es könnte zu Unruhen unter den Kriegern führen, wenn ich Tenrar töte. Ich selbst habe auch schon daran gedacht, denn mit seinem Tod würden sich viele meiner Sorgen in Wohlgefallen auflösen. Aber da ist die Vorsicht, die mich hindert ...“

„Er ist nach Euch der erste Anwärter auf den Thron“, gab Nequest zu bedenken. „Dass Segol nicht Euch, sondern ihn dort haben will, steht meiner Meinung nach außer Frage, und dass Tenrar bei dieser Inszenierung mitspielt, ebenfalls. Wenn Ihr zu lange zögert, werden die beiden Euch zuvorkommen.“

„Wie kann ich Tenrar töten und seinen Tod rechtfertigen?“, fragte Carraq.

„Ich erledige das“, versicherte Nequest. „Es wird wie ein natürlicher Tod aussehen.“ Seine Stimme senkte sich und nahm einen grimmigen Tonfall an. „Tason vernichtet jeden, der die Hand nach etwas ausstreckt, das ihm nicht zusteht und wofür der Gott längst einen anderen auserwählt hat.“

Als die Dunkelheit kam, gab Carraq den Befehl zum Lagern. Die Pferde wurden versorgt und Zelte aufgestellt, erste Feuer loderten, und die Krieger drängten sich darum, um sich aufzuwärmen. Der Wein in den Schläuchen aus Ziegenleder wurde aufgetaut und die Schläuche machten die Runde. Die Unterführer teilten Wachen ein, denn es war nicht auszuschließen, dass in Cambalar längst bekannt war, dass eine feindliche Armee im Anmarsch war und man ihr das Heer, das Thorazan noch zur Verfügung stand, entgegenschickte.

Segol und Tenrar suchten Carraq in seinem Zelt auf. Hier brannte ein Feuer, und es war wohlig warm. Licht- und Schattenreflexe geisterten über die Gestalten hinweg. Manchmal ließ die Hitze das Holz im Feuer knacken. Die Flammen spiegelten sich in den Augen und ließen sie regelrecht erglühen.

Über das Meer hatte die Nacht ihren schwarzen Mantel gebreitet. Kein Stern erhellte die Finsternis, die geradezu stofflich anmutete.

„Tason atmet“, sagte Segol. „Man kann die Glut seines Atems von hier aus sehen.“

„Sein feuriger Atem wird über seinem Berg die Nächte bis ans Ende der Zeit erhellen“, erwiderte Carraq.

„Eines Tages, in ferner Zeit, werden ihn die Götter begnadigen, und er darf sein Gefängnis im Berg verlassen, um wieder oben im Olymp zu residieren“, prophezeite Segol. „Wahrscheinlich dann, wenn der letzte unter den wenigen Menschen, die das Geheimnis der Unsterblichkeit kennen, tot ist.“

„Die, die das Geheimnis kennen, sind Unsterblich“, gab Tenrar zu bedenken.

„Auch sie sind vor dem Tod nicht gefeit“, erklärte Segol. „Sie sterben spätestens dann, wenn am Ende aller Zeiten die große Schlacht stattfindet, in der die guten den bösen Göttern gegenüberstehen, und sowohl Götter als auch Unsterbliche und Sterbliche vom Chaos verschlungen werden.“

„Was führt euch zu mir?“, fragte Carraq lauernd. Er glaubte zwar nicht, dass sie es wagten, ihn offen zu töten, aber ausschließen konnte er es nicht. Bis seine Leibwachen im Falle des Falles reagierten und einschritten, war er vielleicht schon enthauptet oder durch wuchtige Schwerthiebe Segols gevierteilt. Das Misstrauen saß tief in ihm. In Segols und Tenrars Zukunftsplänen spielte er keine Rolle mehr.

„Hast du dir schon eine Strategie ausgedacht, wie wir die Hauptstadt erobern wollen?“, fragte Segol. „Thorazan und Damlak werden ihre Krieger rund um die Hauptstadt an der Küste in Stellung gebracht haben. Wo wir auch ankommen, es wird jemand da sein, der uns in Empfang nimmt.“

Carraq erwiderte: „Sobald wir uns Cambalar auf einen Tagesmarsch genähert haben, schicken wir Spähtrupps aus, die die Situation auf der Insel und in der Hauptstadt auszuspionieren haben.“

„Den Hafen werden sie am stärksten gesichert haben“, bemerkte Segol. „Es können zwar keine Schiffe ein- oder auslaufen, es führt jedoch eine breite Straße vom Hafen aus durch das Stadttor und die Anhöhe hinauf direkt zur Burg. Jeder, der durch das Stadttor möchte, muss sie benutzen.“

Segols Blick war auf Carraq gerichtet. Er war ausdruckslos und verriet nicht, was hinter der Stirn des Ex-Trunkmeisters vorging.

Carraq griff nach einem Stück trockenem Holz, das die Diener in sein Zelt getragen hatten, damit er das Feuer in Gang halten konnte, und warf es in die Glut. Sofort leckten Flammen darüber hinweg.

„Wenn wir das Tempo beibehalten“, gab der Prinz zu verstehen, „können wir in vier Tagen Cambalar aus der Ferne sehen. Dann schicken wir unsere Späher los. Sobald sie uns melden, wie die Verteidigung der Hauptstadt organisiert ist, legen wir unsere Strategie fest.“

Segol nickte. „Also marschieren wir morgen, bei Tagesanbruch weiter, in der Hoffnung, das Tempo beibehalten zu können. Unsere Krieger sind allerdings von den Strapazen der letzten Zeit ziemlich mitgenommen und erschöpft. Wir, du und ich, Carraq, die wir unsterblich sind“, Segol zeigte ein faunisches Grinsen, und seine Stimme triefte vor Hohn, „sind nicht so sehr auf Ruhe angewiesen, um den Unbilden und Hindernissen, die die nächsten Tage wahrscheinlich wieder mit sich bringen, trotzen zu können.“

„Ein Vorteil der Unsterblichkeit“, versetzte Carraq sarkastisch. „Der Trunk, den du mir verabreicht hast, wirkt nicht, Segol. Jeden Morgen ritze ich meine Haut mit dem Dolch, doch kaum, dass Blut aus der Wunde sickert, schließt sie sich wieder.“

„Ich habe nie behauptet, dass er dir die Sterblichkeit zurückgibt“, versetzte Segol mit kühler Stimme.

„Aber du hast der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass er die Wirkung des Trunks der Unsterblichkeit aufheben könnte.“

„Ich erinnere mich genau meiner Worte, Carraq“, stieß Segol hervor. „Ich sagte, dass der Trunk deine innere Zwiespältigkeit beenden und dir helfen wird, deine Unentschlossenheit zu überwinden, und außerdem deinen Hass auf Thorazan und Damlak schürt, weil er in dir den zornigen Atem Tasons aufsteigen lässt und dich zu seinem starken Arm macht. Möglicherweise, so Tason es will, sagte ich, hebt er auch die Wirkung des Trunks der Unsterblichkeit auf.“

„Der Trunk war wertlos“, sagte Carraq. „Mein Hass auf Thorazan und Damlak ist nicht mehr zu steigern, und vom zornigen Atem Tasons spüre ich nichts.“ Jetzt zeigte Carraq ein spöttisches Lächeln. „Schon einmal hast du einen Trunk gemischt, der fatale Folgen auslöste. Ich glaube, ich brauche dir nicht zu sagen, wovon ich spreche. Mir scheint, du hast es noch immer nicht zur Meisterschaft in deinem Fach gebracht.“

„Du kannst mich nicht beleidigen, Carraq“, knurrte Segol. „Bei dir wird der Trunk sicherlich noch seine Wirkung entfalten. Hass ist immer steigerungsfähig. Entschlossenheit hast du gezeigt, als du plötzlich von dir aus darauf drängtest, die Invasion zu beginnen. Für mich ein Zeichen, dass du – dank meines Trunks – auch deinen inneren Zwiespalt überwunden hast.“

Ohne sich zu verabschieden verließ er das Zelt.

Carraq fragte sich, was der wirklich Grund gewesen war, der Segol und Tenrar zu ihm geführt hatte. Die Frage, ob er sich schon eine Strategie ausgedacht hatte, war es ganz sicher nicht. Denn das war im Moment nebensächlich, solange sie sich kein Bild von der Verteidigungstaktik Thorazans machen konnten.

Tenrar sagte: „Der Trunk scheint dir eine spitze Zunge verliehen zu haben, Prinz. Du solltest dir Segol nicht zum Feind machen. Er wird noch sehr wichtig sein, wahrscheinlich wichtiger, als er es je für dich war. Außerdem hast du ihm sehr, sehr viel zu verdanken.“

„Er hat mich unsterblich gemacht. Wenn ich als Unsterblicher den Thron besteige, fordere ich die Götter, allen anderen voran Tason, heraus.“

„Vielleicht solltest du auf den Thron verzichten“, sagte Tenrar.

„Und ihn dir überlassen?“, platzte es aus Carraq heraus.

„Es wäre das Einfachste“, erklärte Tenrar. „Du würdest die Götter nicht erzürnen, könntest ins Heilige Gebirge zurückkehren und dort in der Nähe Tasons leben, im Reich würden wieder geordnete Verhältnisse herrschen, und mein Sohn, Prinz Farban, dessen Mutter der unwürdige König Thorazan ermordet hat, würde eines Tages mein Erbe antreten. Hast du darüber schon einmal nachgedacht, Carraq?“

„Ich führe den Krieg gegen Thorazan und Hochmeister Damlak nicht für dich, Tenrar“, erwiderte Carraq.

„Du führst ihn für das Reich, für deinen Vater, der legitimer König war, für dessen Vater und alle eure Vorväter, die zu Recht und von den Göttern legitimiert auf dem Thron von Cambalar saßen. Thorazan hat sich den Thron erschlichen. Du bist ebenso wenig befugt, dir die Krone aufzusetzen. Tust du es, bist du ein Gotteslästerer und Thronräuber.“

„Das habe ich Segol zu verdanken. Er hat mir alles kaputtgemacht. Ich möchte fast sagen, er hat mein Leben ruiniert.“

„Vergiss deinen Hass auf Segol, entbinde dich von deinem Schwur, dich an ihm zu rächen, und entsage dem Thron, Carraq“, beschwor Tenrar den Prinzen ein weiteres Mal. „Tust du es nicht freiwillig, werden die Götter einschreiten. Du selbst brachtest vorhin die Geschichte von König Ghaderichs Erstgeborenem ins Gespräch. Die Götter haben an ihm ein Exempel statuiert, indem sie ihn vernichteten. Sie werden auch dich vernichten.“

„War das der Grund, aus dem du und Segol zu mir gekommen seid? Um mich aufzufordern, dir den Thron abzutreten? Jetzt, wo ich kurz vor dem Ziel stehe. Fürchtet ihr, die Götter zu erzürnen, wenn ihr euren schäbigen Plan in die Tat umzusetzen versucht? Fürchtet ihr die Strafe der Götter für den Fall, dass ihr erfolgreich seid?“

Tenrar starrte ihn an, als versuchte er, mit seinem Blick in Carraqs Kopf einzudringen und seine Gedanken zu analysieren. Abrupt wandte Tenrar sich plötzlich ab und verließ grußlos, wie kurz vor ihm Segol, das Zelt.

Ich werde euch einen Strich durch die Rechnung machen, sinnierte Carraq und legte wieder ein Stück Holz ins Feuer. Gleich darauf schlugen die Flammen höher. Sie scheuen sich plötzlich, Hand an mich zu legen, führte er seine Gedanken fort. Wahrscheinlich ist es die Angst vor der Strafe Tasons. Immerhin trage ich sein Mal auf der Stirn. Oder fürchten sie ganz einfach, dass ihr Plan fehlschlägt und ich mich unerbittlich räche? Hatte Tenrar vielleicht eine Vision, die ihm verriet, dass ich ihrer Heimtücke nicht zum Opfer fallen werde?

Hochmeister der Unsterblichen: Der Thron von Cambalar 8

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