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​Die Rache des Jonathan Randall

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Western von Pete Hackett

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war – eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie „Texas-Marshal“ und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: „Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung.“

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie „Der Kopfgeldjäger“. Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author www.Haberl-Peter.de

© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

Jonathan Randall zügelte sein Pferd und starrte auf die Ansammlung von Häusern, Hütten und Schuppen in der Senke, die sich am Fuß des Hügels erstreckte, auf dem er verhielt. Ein heißer Südwind wehte den feinen Staub Über die Dächer, die Hitze ballte sich auf der breiten Main Street.

"Sterling City", murmelte er. "Heiliger Rauch, der Ort sieht noch genauso aus wie vor fünf Jahren."

Das Pferd trat auf der Stelle und schnaubte. Jonathan Randall hatte die Hände über dem Sattelhorn verschränkt und ließ das Bild, das sich ihm bot, auf sich wirken. Es war ein verschlafenes Nest am North Concho River, ruhig und beschaulich, ein Ort, den er vor etwas mehr als fünf Jahren verlassen musste...

Er war fortgejagt worden. Wie einen tollwütigen Hund hatte ihn sein Vater aus dem Land gejagt. Jetzt war er zurückgekommen. Und er hatte den Vorsatz gefasst, sich seinen Platz hier zurück zu erobern...

Jonathan Randall trieb das Pferd an. Er lenkte es den Hügel hinunter. Die Hufe stampften. Das Tier peitschte mit dem Schweif. Pferd und Reiter waren verschwitzt. Die Luft schien zu kochen.

Dann passierte Jonathan die ersten Häuser der Stadt. Breit und staubig lag vor ihm die Main Street. Winzige Kristalle glitzerten im Staub. Kinder spielten am Straßenrand. Einige Hunde lagen in den Schatten und dösten. Auf den Gehsteigen zu beiden Seiten waren nur wenige Passanten zu sehen.

Es war Mittagszeit und die Stadt hielt Siesta. Die meisten Menschen hatten sich in ihren Behausungen verkrochen, wo sie nicht der sengenden Mittagssonne ausgesetzt waren.

Jonathan Randall ritt bis zum Saloon und saß ab. Er führte sein Pferd zu einem Tränketrog. Sofort tauchte das Tier seine Nüstern in das Wasser und soff. Als es seinen Durst gelöscht hatte, führte es der Mann zum Holm und schlang den langen Zügel lose um den Querbalken. Dann ging er in den Saloon. Der Schankraum war leer. Mitch Henders, der kahlköpfige Salooner, fegte den Boden. Jetzt hielt er in seiner Arbeit inne, wischte sich über die Stirn und knurrte: "Verdammte Hitze. - Guten Tag, Fremder."

Jonathan erwiderte den Gruß und ging zum Tresen. Er stemmte beide Ellenbogen darauf. Mitch Henders ging hinter die Theke, lehnte den Besen weg und fragte: "Was möchten Sie trinken? Bier oder Brandy?"

"Erkennst du mich nicht wieder, Mitch?"

Der Salooner kniff die Augen eng. Er fixierte den Mann. Dann lief der Schimmer des Begreifens über sein gerötetes Gesicht. "Ich werd verrückt", entrang es sich ihm. "Jonathan Randall!"

Jonathan nickte und grinste. "Sehr richtig, Mitch. Ich habe den Weg auf die Heimatweide zurückgefunden. Was denkst du? Ist Old Amos immer noch sauer auf mich?"

Das Gesicht des Salooners verschloss sich. "Das kann ich dir nicht sagen, Jonathan. Old Amos ist tot. Er starb vor zwei Jahren…"

Jonathan prallte zurück. "Old Amos ist tot?", wiederholte er und dehnte die Worte in die Länge. "Mein Gott. Er war doch noch keine 60. Woran ist er gestorben?"

"An einer Unze Blei. Calem Gibson hat ihn erschossen."

"Mein Stiefbruder?"

"Ja. Calem hatte Spielschulden. Etwas über 500 Dollar. Er wollte das Geld von Old Amos. Der weigerte sich, es ihm zu geben. Gibson bedrohte deinen Vater mit dem Revolver. Es kam zu einem Handgemenge. Ein Schuss löste sich..."

"Großer Gott."

"Die Ranch bewirtschaftet seitdem dein Bruder Link. Du wirst dich wundern, wie sehr alles verkommen und heruntergewirtschaftet ist. Link ist eben kein Rancher. Wovon er seinen Lebensunterhalt bestreitet, weiß niemand genau. Manchmal ist er zusammen mit seinen Freunden, die mit ihm auf der Ranch hausen, wochenlang verschwunden. Ich denke, Old Amos hat damals den falschen Mann zum Teufel gejagt." Der Salooner hob die Hände und ließ sie wieder sinken. Es mutete an wie eine Geste des Bedauerns. Henders endete: "Sicher, du warst ein wilder Bursche und du hast das Vieh deines Vaters verkauft, aber du wärst der richtige Mann für die Ranch gewesen."

"Gib mir ein Glas Wasser, Mitch", verlangte Jonathan Randall. "Damit habe ich weiß Gott nicht gerechnet, als ich mich entschloss, nach Hause zurückzukehren." Jonathan ging zu einem der runden Tische und setzte sich. Er bewegte sich sattelsteif und ein wenig linkisch. "Musste sich Calem wegen des Todes meines Vaters vor Gericht verantworten?"

"Er nahm alles Geld, das dein Vater zu Hause aufbewahrte, und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Nun, Calem hat nie viel getaugt. Link stand dabei, als es zwischen deinem Vater und Calem zur Handgreiflichkeit kam. Er war nicht stark genug, Calem aufzuhalten. Vielleicht hätte Calem auch ihn getötet..." Mitch Henders zuckte mit den Achseln, schüttete Wasser aus einem Zinnkrug in einen Bierkrug und brachte das Getränk Jonathan. Der bedankte sich und trank einen Schluck. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und sagte:

"Eigentlich hatte ich vor, hier zu bleiben. Ja, ich wollte Old Amos um Verzeihung bitten und das unstete Leben aufgeben. Er war zwar verdammt streng, er war aber auch gerecht. Er hätte mir sicherlich verziehen."

Henders nickte. "Aus einigen Gesprächen mit deinem Dad weiß ich, wie sehr er es bereute, dich so hart und unnachgiebig behandelt zu haben. Denn eines hat dein Vater sehr schnell einsehen müssen: Weder Calem noch Link hatten das Zeug dazu, einmal die Ranch zu übernehmen. Alles, was Old Amos geschaffen hatte, wäre bei jedem der beiden in die falschen Hände gekommen."

"Beschäftigt die Ranch noch Cowboys?"

"Ein halbes Dutzend. Aber wenn du mich fragst, dann hüten sie keine Kühe, sondern sie bilden zusammen mit deinem kleinen Bruder eine Bande, die von Zeit zu Zeit fortreitet und sich holt, was sie braucht."

"Es sind also die Kumpane Links, von denen du gesprochen hast?"

"So ist es."

"Ich werde auf die Ranch reiten und herausfinden, wovon mein kleiner Bruder seinen Lebensunterhalt bestreitet. Und dann..."

"Was?"

"Ich werde Calem suchen und ihn zur Rechenschaft ziehen. Old Amos war ihm immer ein guter Vater. Er hat ihn groß gezogen wie einen leiblichen Sohn. Mag es auch ein Unfall gewesen sein. Calem hat seinen Tod verschuldet. Dafür muss er bezahlen. Wo wurde Old Amos begraben?"

"Auf der Ranch, neben eurer Mutter."

Jonathan trank noch einen Schluck, dann erhob er sich. "Hat Dad wirklich bereut, dass er mich so ungnädig behandelt hat?"

"Ja. Du warst aus seinem Holz geschnitzt. Er begriff sehr schnell, dass nur du in der Lage gewesen wärst, in seine Fußstapfen zu treten. Allerdings hast du nie was von dir hören lassen. Was hast du getrieben in all den Jahren?"

"Ich war Town Marshal in Altuda. Vorher arbeitete ich als Begleitmann bei der Overland Mail Company. Im vergangenen Jahr ritt ich nur noch durch's Land und verdiente mir meinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs. Keine besondere Karriere..."

"Das kann mal wohl sagen", bestätigte Mitch Henders. "Aber immerhin bist du kein Gesetzloser geworden. Und das ist ja schon ein Erfolg, möchte ich sagen. Dein Vater prophezeite dir, dass du am Galgen enden wirst."

Jonathan Randall zeigte ein freudloses Lächeln. "Ich zeigte alle Ansätze für eine gesetzeswidrige Karriere, Mitch. Als mich Dad zum Teufel jagte, hat mir das zu denken gegeben. Es hat mich sozusagen geläutert. Nein, ich bin kein Gesetzloser geworden. Im Gegenteil..."

"Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück hier, Jonathan. Vielleicht bringst du die Randall Ranch wieder zur Blüte. Und eventuell gelingt es dir sogar, deinen kleinen Bruder wieder auf den rechten Weg zurückzuholen. Du solltest damit beginnen, dass du die fünf verkommenen Kerle zum Teufel jagst, mit denen sich dein Bruder umgibt. Es sind Banditen."

"Was muss ich bezahlen, Mitch?"

"Wasser kostet bei mir nichts. Ich freue mich, dass du wieder nach Hause zurückgefunden hast, Jonathan. Du hattest zwar deine Fehler, dennoch mochte dich jeder in der Stadt und im Umland. Viel Glück, Jonathan. Und solltest du wieder in die Stadt kommen, vergiss nicht, bei mir vorbei zu schauen."

"Dann trinken wir einen auf meine Heimkehr", versetzte Jonathan und schwang herum...

*

Jonathan Randall verließ den Saloon. Auf der anderen Seite stand ein Mann im Schatten eines Vorbaudaches. Jonathan achtete nicht besonders auf ihn. Jetzt verließ der Bursche den Schatten. Er kam über die Straße. Nun wurde Jonathan auf ihn aufmerksam. Ihm entging nicht, dass der Mann einen Stern trug. Es war ein Fünfzack – der Lone Star.

Jonathan wandte sich dem Mann zu. "Hello, Jack."

"Ich hab mich also nicht getäuscht, als ich dich am Office vorbei reiten sah. Hello, Jonathan. Lange nicht gesehen."

"Etwas über fünf Jahre. Ja, es war eine lange Zeit."

Der Sheriff schüttelte Jonathan die Hand. Er war ein Mann von etwa 50 Jahren, groß und hager. Graue Fäden zogen sich durch seine ehemals blonden Haare. "Hat dir Mitch schon alles erzählt?"

Jonathan nickte. "Es war nicht viel Gutes darunter, Jack. Ich möchte fast sagen, überhaupt nichts Gutes. Dad ist tot. Mein Stiefbruder hat ihn wegen einiger Dollars erschossen. Was Link macht, weiß keiner so genau..."

"Link befindet sich in schlechter Gesellschaft", versetzte der Sheriff. "Calem haben wir damals bis nach San Angelo verfolgt. Dort verlor sich zunächst seine Spur."

"Zunächst?"

"Ja, es gibt Nachricht von Calem. Er wird steckbrieflich gesucht. Auf seinen Kopf hat die Regierung 1.000 Dollar ausgesetzt. Er hat mehrere Banken und Postkutschen überfallen und bei einem seiner Überfälle einen Mann erschossen. Auf dem Steckbrief steht tot oder lebendig."

"Großer Gott, hören denn die schlechten Nachrichten nicht auf?"

"Der Steckbrief liegt bei mir in der Schublade. Ich habe ihn gar nicht ausgehängt, weil ich davon ausgehe, dass Calem hierher niemals zurückkehrt. Es weiß niemand in der Stadt, dass er ein gesuchter Outlaw ist."

"Wo sah man ihn zuletzt?"

"In Wichita Falls. Sie haben dort die Bank überfallen. Das war vor einer Woche. Man nimmt an, dass Calem sich mit seiner Bande ins Indianer-Territorium abgesetzt hat."

"Ich werde Calem finden", knurrte Jonathan Randall düster.

"Willst du ihn wegen Old Amos' Tod zur Verantwortung ziehen?"

"Ja. Old Amos hat ihn wie einen leiblichen Sohn groß gezogen. Zum Dank dafür hat er ihn erschossen. Das muss gesühnt werden."

"Es war ein Unfall."

"Nein. Calem hatte nicht das Recht, seine Waffe gegen Old Amos zu ziehen. Er wollte von ihm die Herausgabe von 500 Dollar erzwingen, um seine Spielschulden begleichen zu können. Als sich der Schuss löste, war das kein Unfall, Jack. Calem hat es sozusagen herausgefordert."

"Was hast du in all den Jahren getrieben, Jonathan?"

Jonathan erzählte es dem Sheriff.

"Old Amos' Prophezeiung ist also nicht in Erfüllung gegangen", murmelte der Sheriff.

Jonathan Randall zeigte ein finsteres Lächeln. "Sieht nicht so aus. Ich bin nach Hause gekommen, um mit meinem Vater Frieden zu schließen. Wahrscheinlich hätte er mir meine Verfehlungen von damals verziehen. Leider kam ich zwei Jahre zu spät."

"Versuch deinen kleinen Bruder auf den rechten Weg zurückzuholen, Jonathan. Es wäre schade um ihn, wenn er so enden würde wie Calem. Auf den fällt bereits der Schatten des Galgens."

Jonathan leinte sein Pferd los. "Ich werde mein Bestes tun, Jack. Ich hoffe nur, dass es bei Link nicht schon zu spät ist." Mit dem letzten Wort schwang er sich auf's Pferd und hob grüßend die Hand. Dann ritt er an.

Jonathan Randall wandte sich nach Süden und überquerte den North Concho River. Die Stadtbewohner hatten eine Furt aufgeschüttet. Auf ihr reichte das Wasser dem Pferd gerade bis zu den Sprunggelenken. Randall folgte dem Fluss etwa drei Meilen nach Südosten, dann schlug er wieder die Route nach Süden ein. Einige Rudel halbwilder Longhorns kreuzten seinen Weg. Die meisten von ihnen trugen kein Brandzeichen.

Nach etwa fünf Meilen lag vor ihm die Ranch. Jonathan parierte das Pferd. Alles wirkte grau in grau. Das Dach eines Schuppens war teilweise eingebrochen. In einem Corral befanden sich ein halbes Dutzend Pferde. Das Windrad beim Brunnen drehte sich im heißen Wind. Das Tor einer Scheune stand offen und hing schief in den Angeln. Wahrscheinlich ließ es sich gar nicht mehr schließen.

Ja, die Ranch machte einen verwahrlosten, herunter gewirtschafteten Eindruck.

Jonathan Randall ritt weiter. Er gelangte hinter das Haupthaus. Hier gab es zwei Gräber mit Holzkreuzen. Auf einem der Schilder war mit schwarzer Farbe gepinselt: Kath Randall, geborene Gibson, gestorben 1869. Das andere Kreuz erinnerte daran, dass unter dem Grabhügel Amos Randall seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Jonathan stieg vom Pferd und verharrte minutenlang vor den beiden Gräbern. Er hielt stumme Zwiesprache mit Old Amos, den er vor Jahren total enttäuscht hatte und den er um Verzeihung bitten hatte wollen. Schließlich nahm er das Pferd am Kopfgeschirr und führte es in den Ranchhof. Vor dem Haupthaus warf er den Zügel über den Querbalken des Holms.

Sein Blick schweifte in die Runde.

Was er sah, gefiel ihm nicht.

Ein Mann kam aus dem Haupthaus. Er war blond. Sein Gesicht wirkte ein wenig aufgedunsen. Wahrscheinlich trank er zuviel. Fragend und misstrauisch zugleich musterte er den Ankömmling.

Aus dem Bunkhouse trat ebenfalls ein Mann. Er war stoppelbärtig, ein unsteter Lebenswandel hatte tiefe Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, er mutete hart gesotten und verwegen an. Um seine Hüfte schlang sich ein Revolvergurt. Das Holster mit dem Eisen hing tief an seinem rechten Oberschenkel.

Jonathan wandte sich dem Burschen zu, der aus dem Ranchhaus gekommen war. "Hello, Link."

In den wässrigen, blauen Augen Link Randalls blitzte es auf. "Mich laust der Affe", stieß er heiser hervor. "Bist du es wirklich, Jonathan?"

"Ja, Link, ich bin nach Hause zurückgekehrt. Aber nach allem, was ich in Sterling City hörte, steht meine Heimkehr unter keinem besonders guten Stern. Mitch Henders und Jack McBrian haben mir alles erzählt."

"Ich habe Dad hinter dem Haus neben Mutter begraben", erklärte Link Randall. "Es war tragisch. Calem ist seitdem spurlos verschwunden..."

Dem Burschen, der aus der Mannschaftsunterkunft getreten war, hatte sich ein weiterer Mann hinzu gesellt. Zwischen engen Lidschlitzen hervor fixierte er Jonathan Randall. Die beiden schlenderten näher. Sie hatten die Daumen in die Revolvergurte gehakt. Jonathan spürte den Anprall einer mitleidlosen Strömung. Sie ging von den beiden Kerlen aus wie etwas Animalisches. Jonathan wurde klar, dass es sich bei den beiden um Schnellschießer handelte. Sie hielten fünf Schritte ihm an.

"Wer ist das?", fragte einer der beiden.

"Mein großer Bruder", erwiderte Link Randall, ohne seinen Blick von Jonathan zu nehmen. "Der verlorene Sohn ist heimgekehrt, nachdem es fünf Jahre lang kein Lebenszeichen von ihm gab. - Was willst du hier, Jonathan?"

"Ich wollte mit Dad Frieden schließen, ihn um Verzeihung bitten, und meinen Platz auf der Ranch wieder einnehmen."

"Es gibt hier keinen Platz mehr für dich, Jonathan. Vater hat dich damals enterbt. Die Ranch hat er mir vermacht. Nun, du brauchst dich deswegen nicht zu wundern. Du hast immerhin Vaters Vieh gestohlen und auf eigene Rechnung verkauft. Verzeihen, sagte Dad immer, ist Sache des Himmels, nicht seine. Er hat dir nie verziehen, Jonathan."

"Mag sein, Link. Jetzt bin ich jedenfalls wieder hier. Ob es dir passt oder nicht. Old Amos hat uns Burschen immer ziemlich kurz gehalten. Wir bekamen fast kein Geld von ihm. Darum habe ich einige Rinder gestohlen und verkauft. Mein Verhalten war unentschuldbar. Old Amos hatte recht, als er mich seine ganze Härte spüren ließ. Aber gewiss hätte er mir nach all den Jahren, die verstrichen sind, verziehen."

"Wir werden es wohl nie erfahren, Jonathan. Es gibt jedenfalls hier keinen Platz für dich. Also reite wieder dorthin, wo du hergekommen bist. Ich brauche dich nicht. Und ich will dich hier nicht haben."

"Man erzählte mir, dass du schlechten Umgang pflegst, Bruder. Du hast die Ranch verkommen lassen. Was treibt ihr, wenn ihr wochenlang unterwegs seid? Machst du es wie Calem? Überfällst du Banken und Postkutschen?"

Im Gesicht Link Randalls zuckten plötzlich die Nerven. Verlegen schaute er zur Seite. Dann stieß er fast wütend hervor: "Das geht dich nichts an, Jonathan. Und jetzt steig auf dein Pferd und verschwinde."

"Das werde ich nicht", knurrte Jonathan.

"Es wäre aber ratsam", sagte einer der beiden Kerle halblaut, die ihn anstarrten und einzuschätzen schienen. "Wir können dir aber auch Beine machen, Randall, wenn du nicht freiwillig verschwindest."

Jonathan wandte sich den beiden zu. Er nickte, dann sagte er: "Wie mir scheint, pflegt mein kleiner Bruder tatsächlich schlechten Umgang. Ich gebe euch und euren Kumpanen eine Stunde Zeit, euer Zeug zu packen und von der Randall Ranch zu verschwinden. Wenn ich nach Ablauf dieser Stunde noch da sein solltet, mache ich euch Beine."

Seine letzten Worte waren wie Hammerschläge gefallen. Die Atmosphäre im Ranchhof war plötzlich angespannt und gefährlich.

Die Hände der beiden Revolverschwinger tasteten sich in die Nähe der Revolver. Sie vermittelten plötzlich einen sprungbereiten Eindruck und belauerten Jonathan wie Raubtiere, die sich jeden Moment auf ihr Opfer stürzen.

"Dein Bruder hat ein ziemlich großes Mundwerk", stieß einer der Kerle hervor. "Was hältst du davon, wenn wir ihn ein wenig auf seine richtige Größe zurecht stutzen?"

Zwei weitere Kerle kamen aus der Mannschaftsunterkunft. Sie waren von der selben Sorte wie die beiden, die sich bereits im Hof befanden. Und ein fünfter Mann zeigte sich an einem der Fenster der Unterkunft. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt.

"Lasst ihn", sagte Link Randall. "In einem hast du allerdings recht, Jesse. Er hat ein großes Mundwerk. – Ich denke, dein Selbstbewusstsein ist krankhaft übersteigert, Jonathan. Vielleicht aber bist du wirklich so ein harter Brocken geworden, wie du dich gibst. Ich weiß es nicht, und ich will es auch gar nicht wissen. Hau ab und lass mich in Ruhe. Das ist ein gut gemeinter Rat. Du solltest ihn dir zu Herzen nehmen."

Die Feindschaft, die von Link Randall ausging, war wie ein heißer Atem, der Jonathan streifte. Er spürte Enttäuschung in sich. Er war nach Hause zurückgekehrt, um mit seinem Vater ins Reine zu kommen. Aber Old Amos lebte nicht mehr. Und sein Bruder ließ keinen Zweifel daran offen, wie wenig willkommen er auf der Ranch war. Mit der Enttäuschung kam die Verbitterung, kam aber auch eine Art Zorn, der Jonathan grollend sagen ließ: "Du kannst mich nicht fortjagen, kleiner Bruder. Wenn Old Amos mich enterbt hätte, müsste es ein entsprechendes Schriftstück geben. Hat er ein Testament gemacht, mit dem er dich als seinen Alleinerben eingesetzt hat?"

"Er hat es mir gesagt, und das muss dir genügen, Jonathan. Du hast ihn bestohlen und betrogen..."

"Es gibt also kein Testament", knurrte Jonathan. "Und weil das so ist, bleibe ich. Das ist mein gutes Recht, Link. Du wirst es schlucken müssen."

"Nein, ich werde es nicht schlucken. Ich werde dich von der Ranch prügeln, Jonathan." Link sprang vom Vorbau und stapfte auf Jonathan zu. Sein Gesicht spiegelte wilde Entschlossenheit wider. Er war fest entschlossen, seine Worte in die Tat umzusetzen.

Als er auf zwei Schritte an Jonathan heran war, stieß er sich ab, um sich auf diesen zu werfen und ihn zu Boden zu reißen...

*

Jonathan steppte einen halben Schritt zur Seite. Die Hände Links griffen ins Leere. Link wurde von der Wucht seines Angriffs halb herumgerissen, er geriet ins Taumeln und hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu bewahren.

Sofort machte Jonathan einen halben Schritt auf ihn zu, knallte ihm einen Haken auf die kurzen Rippen und ließ sofort die linke Faust fliegen, mit der er seinen Bruder am Kinnwinkel erwischte.

Aber Link schüttelte sich nur, ihm entrang sich ein abgerissenes Grunzen, und dann warf er sich mit ausgebreiteten Armen Jonathan entgegen, als wollte er ihn umschlingen und zerquetschen. Jonathan sprang zurück und entging der Umklammerung. Er hatte die Arme angewinkelt und die Fäuste gehoben. Wild mit den Armen schwingend folgte ihm Link.

Völlig überraschend stieß Link sich ab. Mit einem fürchterlichen Schwinger wollte er Jonathan von den Beinen fegen.

Jonathan reagierte instinktiv. Er tauchte ab und die Faust Links pfiff über seinen Kopf hinweg. Sie fegte ihm den Hut vom Kopf. Er landete im Staub. Link wurde von der Wucht seines Schlages halb herumgerissen und geriet ins Taumeln, bekam seinen Körper jedoch sofort wieder unter Kontrolle.

Er warf sich herum. Seine Arme umklammerten Jonathan. Ein Rammstoß mit seiner Stirn sollte Jonathans Gesicht treffen. Jonathan warf den Kopf zurück und sprengte Links Umklammerung. Dann hämmerte er ihm die rechte Faust in den Leib und ließ sofort die geballte Linke folgen, die gegen den Kinnwinkel seines Bruders knallte. Ein Haken in den Leib ließ Link in der Mitte einknicken, ein Schwinger gegen das Kinn ließ ihn zur Seite wanken.

"Ich werde dich in Stücke schlagen, Jonathan!", knirschte Link. Dann kam er wieder mit wild schwingenden Fäusten. Sie pfiffen auf Jonathan zu. Dieser konnte zwei der Schläge ausweichen, den dritten parierte er mit dem Unterarm und schlug mit der linken Faust zu. Er traf Link auf das Brustbein und sah ihn nach Luft japsen. Link taumelte einen Schritt zurück. Sein Gesicht lief dunkel an, seine Augen traten aus den Höhlen.

Der Schlag hatte ihm die Luft aus den Lungen gepresst.

Mit erhobenen Fäusten stand Jonathan da und wartete.

Als Link wieder angriff, knallte er ihm einen Haken auf die kurzen Rippen und ließ sofort die Linke folgen, mit der er Link am Ohr erwischte. Einen Herzschlag lang hatte Jonathan Randall das Gefühl, seine Handknochen zersplitterten unter der Wucht des Treffers. Aber Link schluckte auch diesen Schwinger. Er war unheimlich hart im Nehmen. Und wieder griff er an...

Er warf sich mit ausgebreiteten Armen Jonathan entgegen, als wollte er ihn umschlingen und zerquetschen. Jonathan sprang zurück und entging der Umklammerung. Er hatte die Arme angewinkelt und die Fäuste gehoben. Link folgte ihm. Seine Fäuste wirbelten durch die Luft. Ein einziger Treffer hätte ein Rind umgeworfen. Es war die blinde Wut, die ihn trieb. Er zwang Jonathan immer weiter zurückzuweichen.

Link zwang sich zu klarem Verstand, begann Jonathan zu umrunden, belauerte ihn und suchte nach einer Blöße bei seinem Bruder.

Jonathan drehte sich auf der Stelle. Und unvermittelt unternahm er einen Ausfallschritt. Seine linke Faust zuckte nach Links Kopf, und Link riss unwillkürlich beide Fäuste zur Deckung hoch. Da bohrte sich ihm Jonathans Rechte in die Magengrube. In diesem Schlag lagen alle Empfindungen, die Jonathan beherrschten.

Ein wilder Schrei brach aus Links Mund. Sein Oberkörper pendelte nach vorn, genau in Jonathan Randalls hochgezogenen Schwinger hinein. Dieser knallharte Uppercut ließ den Schädel Links wieder hochsausen, und Jonathan schoss eine kerzengerade Rechte mitten in das Gesicht seines Bruders ab.

Link ächzte. Blut rann aus seiner Nase und aus einer Platzwunde auf seiner Unterlippe. Die Benommenheit nach den unerbittlichen Treffern ließ seinen Kopf von einer Seite auf die andere pendeln. Er war angeschlagen. Das war deutlich. Und er hatte Mühe, die Fäuste oben zu halten.

Doch Jonathan ließ ihm Zeit. Und Link erholte sich schnell.

Er stürzte sich Jonathan entgegen. Seine Fäuste flogen. Link kämpfte mit Kraft und Verbissenheit. Seine Zähne waren fest aufeinandergepresst. Hart traten seine Backenknochen hervor. Er schien die Umwelt vergessen zu haben.

Sein Angriff kam wie eine Explosion. Doch Jonathan blieb in den Knien elastisch. Er federte zurück, steppte zur Seite, duckte sich ab, tauchte unter Links Heumachern hinweg, und bald spürte Link, wie seine Arme ermüdeten. Der Rhythmus seiner Schwinger kam längst nicht mehr so schnell, und die Erkenntnis, dass er Jonathan noch kein einziges Mal ernstlich getroffen hatte, fraß sich in sein Gemüt wie ätzende Säure.

Link hielt inne und japste nach Luft. Jonathan war zwei Schritte auf Distanz gegangen. Und jetzt begann Jonathan, seinen Bruder zu umrunden. Er bewegte sich leichtfüßig und pantherhaft. Plötzlich schnellte er auf Link zu, warf sich mit der linken Schulter gegen dessen Leib und feuerte ihm gleichzeitig die geballte Faust ins Gesicht. Link stolperte rückwärts, ein Gurgeln quoll aus seinem Mund, mit letzter Willenskraft schickte er seine Rechte noch einmal auf die Reise, im nächsten Moment die Linke.

Und sie traf.

Jonathan, der dem ersten Schwinger ausweichen wollte, beugte sich genau in den zweiten Haken hinein. Er hatte das Gefühl, der Kopf würde ihm von den Schultern geschlagen. Er flog regelrecht zur Seite, Blitze zuckten vor seinen Augen, und die Welt schien sich um ihn herum zu drehen. Er wankte und spürte, wie seine Beine nachgeben wollten.

Link entging Jonathans momentane Schwäche nicht. Er wandte sich ihm schnell und wild zu. Wie durch Nebelschleier sah Jonathan ihn vor sich auftauchen. Mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung, an der sein ganzer Körper beteiligt zu sein schien, rammte Link ihm das Knie von der Seite her gegen die Rippen.

Jonathan stöhnte mit weitaufgerissenem Mund. Der Atem entwich seinen Lungen wie einem Blasebalg. Er sah nur noch feurige Garben, und dann traf ihn Link mit aller Härte an der Schläfe. Sein Kopf wurde auf die linke Schulter gedrückt, er sank auf die Knie und war in diesem Augenblick vollkommen orientierungslos, wusste nicht mehr, wo hinten oder vorne war.

Auch Link zeigte Anzeichen von Erschöpfung. Die Treffer, die er einstecken musste, zeigten Wirkung.

Jonathan mobilisierte noch einmal alle Energien, die in ihm steckten. Der Wille, diesen Kampf zu gewinnen, gewann die Oberhand. Die Nebelschleier vor seinen Augen rissen. Verschwommen sah er Link einen Schritt vor sich.

Er überwand die Betäubung, die sekundenlang über ihn triumphieren wollte, bot all seinen Willen auf, und dann sah Jonathan Randall wieder klar. Sein Verstand funktionierte wieder. Sein Körper beantwortete wieder die Signale, die sein Gehirn aussandte. Seine Muskeln und Sehnen reagierten wieder.

Aus seiner knienden Haltung warf er sich nach vorn. Seine Hände erwischten Links Beine dicht über den Knöcheln. Mit einem kraftvollen Ruck riss Jonathan die Füße seines Bruder vom Boden weg. Link war total überrumpelt. Seine Arme ruderten haltsuchend, aber da war nichts, woran er sich klammern konnte. Der Länge nach krachte er auf den Rücken.

Jonathan kämpfte sich hoch. Er wischte sich mit dem Hemdärmel Staub und Schweiß aus den Augen. Steifbeinig setzte er sich in Bewegung.

Link vernahm das Knirschen von Sand und Kies unter den harten Ledersohlen, das leise, melodische Klirren der Sporen, und er beeilte sich, hochzukommen. Schließlich lag er auf allen Vieren. Sein unterlaufener Blick tastete sich an Jonathan in die Höhe. Aus seiner liegenden Perspektive kam ihm Jonathan riesengroß und gewaltig vor. Links Zahnschmelz knirschte. Er stieß sich mit den Händen ab. Aber ehe er die Knie durchdrücken und sich zu seiner vollen Größe aufrichten konnte, landete Jonathan eine knochentrockene Doublette an seinem Kinn. Links Kopf flog in den Nacken. Er sank auf die Knie zurück, ein ersterbender Laut quoll über seine Lippen. Und als ihn Jonathans weit aus der Hüfte gezogener Schwinger genau auf den Punkt traf, kippte er hinüber und blieb verkrümmt liegen.

Link war fertig. Er hob den Kopf, versuchte, sich noch einmal hochzurappeln, fiel aber kraftlos zurück.

Jonathans Arme schmerzten bis in die Schultergelenke. Er spürte schmerzhafte Verspannungen in seinen Händen. Seine Atmung beruhigte sich, das Herz fand wieder zu seiner regulären Schlagfolge zurück.

Einer der Kerle, die dem Kampf zugeschaut hatten, begann Applaus zu klatschen. Er grinste hämisch. Die anderen klatschten gleichfalls in die Hände. Einer von ihnen rief: "Mit den Fäusten kannst du umgehen, Randall. Wie aber sieht es mit dem Revolver aus? Bist du da auch so eine gefährliche Nummer?"

Jonathan ging zum Tränketrog. Auch er war angeschlagen und verspürte Erschöpfung. In diesem Zustand war er nur halbwertig und sicherlich keinem der fünf verwegenen Burschen gewachsen. Also forderte er nichts heraus. Er tauchte seinen Kopf in das Wasser. Prustend kam er wieder hoch. Jonathan schaute sich um, sah seinen Stetson und holte ihn sich. Er stülpte ihn sich auf den Kopf. Dann ging er zu seinem Pferd, nahm den Zügel vom Holm und saß auf. Er zog das Pferd um die linke Hand.

"Ich bleibe in Sterling City", sagte er laut. "Bestellt meinem Bruder, wenn er wieder klar denken kann, dass ich aus der Randall Ranch wieder das machen werde, was sie einmal war, als Old Amos noch lebte. Die Ranch gehört mir zu gleichen Anteilen wie Link. Er hat zwei Möglichkeiten. Entweder er schwenkt auf meinen Kurs ein, oder er verschwindet."

Mit dem letzten Wort ritt Jonathan an.

Die fünf Kerle ließen ihn ziehen. Jesse Dalton ging zu Link hin und half ihm auf die Beine...

*

Jonathan ritt zum North Concho River und folgte dem Fluss nach Südosten. Er musste fast zwei Stunden reiten, dann sah er vor sich die Gebäude der Water Valley Ranch. Jonathan hielt sein Pferd an und nagte an seiner Unterlippe. Er schien unschlüssig zu sein.

Schließlich ritt er weiter. Das Pferd trug ihn zwischen die Gebäude. Hier war alles sauber und gepflegt. Zwei Cowboys befanden sich bei einem der Corrals und sattelten ein Pferd. Ein Ranchhelfer schob eine Schubkarre voll Pferdemist aus einem Stall.

Die Sonne befand sich weit im Westen. Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Jonathan ritt bis vor das Ranchhaus. Die beiden Cowboys und der Helfer beobachteten ihn. John Watson, der Rancher sah den Mann durch das Fenster des Ranchbüros. Und er erkannte Jonathan auf Anhieb wieder. Er presste die Lippen aufeinander und ging hinaus.

Die beiden Männer begegneten sich auf der Veranda. "Jonathan Randall", sagte der Rancher mit dunklem Bass. "Du bist nach Hause gekommen. Aber wie siehst du aus? Bist du unter einen Heuwagen geraten?"

Er reichte Jonathan die Hand. Dieser ergriff sie und schüttelte sie. "Ich hatte einen Kampf mit meinem Bruder", gab Jonathan mit galliger Stimme zu verstehen. "Der Bursche hat einen Weg beschritten, der mir ganz und gar nicht gefällt. Ich habe ihn vor die Alternative gestellt - entweder er baut mit mir die Ranch wieder auf, oder er schert sich mit seinen Kumpanen zum Teufel."

"Harte Worte für einen, der fünf lange Jahre nichts von sich hören ließ", knurrte John Watson. "Sicher war dein Bruder alles andere als erfreut, dich wieder zu sehen. Du weißt, wie euer Vater ums Leben kam?"

"Ja. Ich werde Calem dafür zur Rechenschaft ziehen."

"Er ist über alle Berge."

"Ich finde ihn. Vorher aber..." Jonathan zuckte mit den Schultern. "Wie geht es Lesley?"

Das Gesicht John Watson verschloss sich. "Wie soll es ihr schon gehen? Gut, denke ich mal. Sie hat fast ein Jahr gebraucht, um zu verarbeiten, dass du das Land verlassen hast. Sie war tief enttäuscht von dir. Nur einer, der nichts taugt, klaut das Vieh seines Vaters und verkauft es. Lesley ist darüber hinweg gekommen. Sie ist mit Ringo Hagan verlobt."

"Mit Ringo..." echote Jonathan.

"Du wirst es akzeptieren müssen, Jonathan. Im nächsten Monat wollen die beiden heiraten." John Watson machte eine kurze Pause. "Lesleys wegen bin ich nicht begeistert darüber, dass du wieder den Weg nach Hause gefunden hast, Jonathan", fuhr er schließlich fort. "Deine Heimkehr könnte alte Erinnerungen in ihr wecken. Ringo meint es ehrlich mit ihr. Du solltest dich von Lesley fernhalten, Jonathan."

"Natürlich. Wie konnte ich glauben, dass sie jahrelang auf mich wartet. Es war vermessen von mir. Ich werde mich nicht zwischen Lesley und Ringo schieben. Keine Sorge, John."

"Es gab mehr als fünf Jahre nicht das geringste Lebenszeichen von dir." Es klang fast entschuldigend. John Watson musterte Jonathan mit einer Mischung aus Bedauern und Härte. "Genauso gut hättest du zehn oder zwanzig Jahre wegbleiben können. Du kannst nicht verlangen, dass eine Frau so lange auf dich wartet."

"Ich verlange es nicht, John. Ich wollte dir und Lesley nur guten Tag sagen. Aber es wird wohl besser sein, wenn ich Lesley aus dem Weg gehe."

"Das denke ich auch", murmelte John Watson.

Da erklang ein heller Schrei. "Jonathan!"

Lesley stand in der Haustür. In ihren Augen blitzte die Wiedersehensfreude. Sie trat hinaus auf die Veranda.

Lesley war etwa einssiebzig groß, schlank und rothaarig. Ihre Augen waren grünlich und beherrschten das schmale, rassige Gesicht. Die Nase war klein, der Mund gut geschnitten. Ihr Hals war weiß und schlank, die Linie des feingeformten Kinns makellos. Sie lächelte, und dieses Lächeln ließ ihre weichen Lippen noch verlockender erscheinen.

"Lesley!", entfuhr es Jonathan.

Sie kam auf ihn zu und nahm ihn bei den Händen. "Fünf Jahre", murmelte das Mädchen. "Warum hast du nie was von dir hören lassen? Du bist ein Mann geworden, Jonathan."

"Ich schämte mich für meine Verfehlungen", sagte Jonathan und entwand ihr seine Hände. "Ich schämte mich so sehr, dass ich keinem mehr unter die Augen treten wollte, der davon wusste. Fünf Jahre habe ich gebraucht, um mit mir ins Reine zu kommen. Und ich bin nach Hause geritten, um auch mit Old Amos Frieden zu schließen..."

Sekundenlang herrschte betretenes Schweigen.

"Wirst du bleiben?", fragte Lesley Watson schließlich.

"Ja. Ich will die Ranch wieder auf Vordermann bringen. Und ich will Calem suchen, um ihn für den Tod von Old Amos zur Rechenschaft zu ziehen."

"Es wird deinem kleinen Bruder nicht gefallen", gab Lesley Watson zu verstehen.

Jonathan presste kurz die Lippen aufeinander. "Mit ihm habe ich bereits gesprochen. Du hast Recht, Lesley. Es hat ihm in der Tat nicht gefallen, dass ich zurückgekehrt bin. Sieht du die Blessuren in meinem Gesicht? Sie stammen von Link."

"Haben sich etwa die Kerle eingemischt, die mit ihm auf der Ranch hausen?", wollte John Watson wissen.

Jonathan schüttelte den Kopf. "Nein. Aber ich darf sie nicht außer Acht lassen. Link empfahl mir, wieder zu verschwinden. Ich gehe davon aus, dass seine Kumpane dieser Forderung irgendwann Nachdruck zu verleihen versuchen."

Lesley schaute ernst in Jonathans Gesicht. "Ich weiß nicht, ob es dir Dad schon gesagt hat, Jonathan. Nachdem du nichts mehr von dir hören hast lassen, habe ich mich mit Ringo verlobt. Wir wollen im nächsten Monat heiraten."

Jonathan verzog schmerzlich das Gesicht. "Dein Vater hat es mir gesagt, Lesley. Es ist in Ordnung. Du hast das einzig Richtige getan. Ich bin dir nicht gram deswegen. Es wäre vermessen von mir gewesen, von dir zu verlangen, auf mich zu warten. Ich habe mich treiben lassen in den fünf Jahren, habe von der Hand in den Mund gelebt. Alles, was ich gelernt habe, ist schießen. Ich war Town Marshal und Postkutschenbegleiter. Ich habe nichts aus mir gemacht, Lesley. Zu deiner Entscheidung, Ringo zu heiraten, kann ich dir nur gratulieren."

Er wandte sich um und sprang von der Veranda. Gleich darauf saß er auf seinem Pferd. "Auf eine gute, nachbarschaftliche Beziehung, John", sagte er und hob die Hand zum Gruß. Dann ritt er weg...

*

Es war finster, als Jonathan nach Sterling City zurückkehrte. Er brachte sein Pferd in den Mietstall. Der Stallmann übernahm das Tier und sagte: "Ich habe es schon gehört, dass du wieder nach Hause zurückgekehrt bist, Jonathan. Die Verhältnisse, die du hier vorgefunden hast, waren sicher nicht besonders erfreulich. Wirst du bleiben?"

"Ja, ich bleibe", versetzte Jonathan und schnallte seine Satteltaschen ab. Er legte sie sich über die Schulter, dann zog er die Winchester aus dem Scabbard. "Was sind das für Kerle, die mit meinem Bruder auf der Ranch hausen. Ich habe sie heute gesehen. Cowboys sind das auf keinen Fall."

"Ihre Namen sind Jesse Dalton, Hank Dodson, Price Sherman, Jim Snyder und Steve Dalton. Ein höllisches Quintett. Nein, das sind keine Cowboys. Das sind Coltschwinger der ganz besonders üblen Sorte."

"Mein Bruder ist oft wochenlang mit ihnen verschwunden. Hat man eine Ahnung, wo sie sich in dieser Zeit aufhalten und was sie treiben?"

"Nein. Ich denke, dass sie nach New Mexiko reiten, dort die eine oder andere Bank ausräumen und dann wieder nach Texas zurückkehren. Weiterhin denke ich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Staatenreiter aus New Mexiko hier auftaucht, um diesen Kerlen das Handwerk zu legen."

Jonathan verließ den Stall. Er mietete sich im Hotel ein Zimmer, brachte das Gewehr und seine Satteltaschen hinauf, dann ging er in den Saloon. Er bestellte sich ein Abendessen, bekam es und trank dazu ein Bier. Als er schon bezahlen wollte, um ins Hotel zu gehen und zu schlafen, tauchte Sheriff Jack McBrian auf. Er setzte sich zu Jonathan an den Tisch. "Du warst auf der Ranch?"

"Und auch bei John Watson."

"Hast du mit Lesley gesprochen?"

"Ja. Sie hat sich mit Ringo Hagan verlobt. Es ist in Ordnung."

"Was sagst du zu den Freunden deines Bruders?"

"Üble Kerle. Banditen, wenn du mich fragst."

McBrian nickte. "In Texas liegt nichts vor gegen sie. - Wer hat dich so zugerichtet?"

"Ich hatte einen Kampf mit meinem Bruder. Er wollte mir mit den Fäusten klar machen, dass ich auf der Randall-Weide nichts mehr zu suchen habe."

"Der schlechte Umgang hat auf Link abgefärbt", murmelte der Sheriff. "Du wirst ein Problem haben, Jonathan. Link gehört die Hälfte der Ranch. Du und er seid die gesetzlichen Erben eures Vaters. Du weiß, was ich zum Ausdruck bringen will?"

"Dass ich Link samt seinen Kumpanen nicht zum Teufel jagen kann. Aber das war mir von vorneherein klar. Auf irgendeine Art und Weise werde ich mich mit meinem Bruder arrangieren müssen."

"Er wird davon nichts wissen wollen."

"Dann muss ich es ihm wohl auf die raue Tour klar machen." Jonathan erhob sich. "Ich bin müde und hau' mich jetzt auf's Ohr, Jack."

"Ja, schlaf nur, Jonathan. Ich denke, die nächsten Tage werden es zeigen, ob es dir gelingt, in diesem Landstrich Fuß zu fassen, oder ob du dich geschlagen geben musst. Ich kann dir nicht helfen, denn wie ich schon sagte, gegen deinen Bruder und seine Freunde liegt nichts vor."

Jonathan bezahlte an der Theke und verließ den Saloon.

Zwischen den Häusern nistete die Finsternis. Sie mutete fast greifbar und stofflich an. Aus einigen Fenstern fiel Licht. Aus einem der Häuser drang die keifende Stimme einer Frau. Dann wurde eine Tür zugeworfen. Irgendwo in der Stadt bellte ein Hund. Der Nachtwind trieb auf der Main Street kleine Staubspiralen vor sich her.

Tief sog Jonathan die würzige Luft in seine Lungen. Dann wandte er sich nach links. Seine Schritte tackten leise auf den Gehsteigbohlen. Seine Sporen klirrten melodisch. Jonathan war tief in Gedanken versunken. Er erschrak, als er aus der Finsternis einer Passage zwischen zwei Häusern angesprochen wurde. "Na endlich, Randall. Wir dachten schon, du kommst überhaupt nicht mehr."

Die Spannfeder eines Colthahns knackte metallisch. Dann versanken sämtliche Geräusche in der Stille, die sich anschloss.

Unwillkürlich hatte Jonathan die Rechte auf den Knauf des Sechsschüssers gelegt. Aber er ließ die Waffe stecken. "Wer ist da?"

"Ein paar Freunde deines kleinen Bruders. Du hast heute eine ziemlich große Lippe riskiert auf der Ranch. Und du hast Link ziemlich zurechtgestutzt. Er liegt zu Hause in seinem Bett und leckt seine Wunden."

"Was wollt ihr?"

"Wir wollen dir klar machen, dass es für dich besser ist, wieder zu verschwinden."

Eine schemenhafte Gestalt schälte sich aus der Finsternis. Eine zweite folgte. Stiefelleder knarrte, Hosenstoff schabte übereinander. Jonathan spürte etwas Hartes an der Seite. Es war die Mündung eines Revolvers, die ihm gegen die Leberpartie gedrückt wurde.

"Vorwärts, wir gehen ein Stück."

Der Druck auf seiner Leber wurde härter. Jemand trat hinter ihn und zog ihm den Revolver aus dem Holster. Ein kalter Hauch schien Jonathan zu streifen. Er spürte Beklemmung.

Sie dirigierten ihn aus der Stadt. Es waren fünf Kerle. Das Mondlicht umriss ihre Gestalten, nachdem sie den Schlagschatten verlassen hatten.

Hinter einer Buschgruppe kam der Pulk zum Stehen. Hier sah Jonathan auch die Pferde der Schufte.

"Das ist weit genug", sagte einer der Kerle.

Jonathan ahnte, was ihm blühte. Etwas in ihm straffte sich. Er spannte seine Muskeln.

Sie holsterten ihre Colts. Er war ihnen sicher. Es waren fünf niederträchtige, skrupellose Kerle, die entschlossen waren, ihn in Stücke zu schlagen und zu zerbrechen.

Jonathan wartete nicht länger. Er explodierte geradezu. Sein Fuß flog hoch und traf den Burschen vor ihm an der empfindlichsten Stelle. Der quittierte den erbarmungslosen Tritt mit einem gellenden Aufschrei und beugte sich genau in Jonathans hochschnellendes Knie hinein.

Jonathan warf sich herum. Seine Fäuste flogen. Er spürte Widerstand, vernahm ein schmerzhaftes Ächzen. Ein Arm legte sich von hinten um seinen Hals. Sein Ellenbogen zuckte nach hinten. Der Bursche gurgelte, als er diese Ramme in die Rippen bekam. Der Druck um Jonathans Hals lockerte sich.

Noch zweimal traf Jonathan. Er legte alles, was sich während der letzten Minuten in ihm aufgestaut hatte, in seine Schläge hinein. Er verkaufte seine Haut so teuer wie möglich. Schließlich aber fielen sie über ihn her. Ihre Fäuste und Tritte trafen ihn überall. Er hatte diesem Strom aus brutaler Gewalt nichts entgegen zu setzen. Bald wusste er nicht mehr, wo hinten und vorne war. Er ging zu Boden. Mit seinen Armen schützte er, so gut es ging, seinen Kopf und sein Gesicht. Mehr konnte er angesichts der Übermacht nicht tun. Sie traten ihn, schlugen auf ihn ein, und hörten erst auf, als sie außer Atem waren.

Jonathan bekam es nicht mehr mit. Eine gnädige Ohnmacht hielt ihn umfangen.

Die Kerle rieben sich die aufgeschlagenen Knöchel, massierten ihre schmerzenden Hände und kamen nur langsam wieder zu Atem.

Einer stieß Jonathan mit der Stiefelspitze an. "Der braucht so schnell nichts mehr. Ich denke, dass ihm diese Tracht Prügel klar gemacht hat, dass er hier nicht erwünscht ist."

Sie gingen zu ihren Pferd, lösten die Zügel und saßen auf. Dann ritten sie davon.

*

Als Jonathan erwachte, lag er in einem Bett. Helligkeit umgab ihn. Über ihm war eine weißgekalkte Zimmerdecke. Eine dunkle Stimme sagte: "Na endlich. Dachte schon, du willst überhaupt nicht mehr wach werden."

Jonathan drehte etwas den Kopf. Er fühlte sich wie gerädert. Es schien keine Stelle an seinem Körper zu geben, die nicht schmerzte. Die Erinnerung stellte sich sein. Die Freunde seines Bruders hatten ihm aufgelauert und ihn übel zusammengeschlagen.

Auf einem Stuhl, den er sich an das Bett herangezogen hatte, saß Sheriff Jack McBrian.

"Wo bin ich?", fragte Jonathan.

"Ich habe dich zu mir nach Hause bringen lassen", erwiderte der Sheriff. "Hier bekommst du die Pflege, die du brauchst. Wer hat dich so brutal zusammengeschlagen?"

"Es waren die Kumpane meines Bruders. Sie wollten mir klar machen, dass die Gegend ziemlich ungesund für mich sei."

"Ich dachte es mir schon. Wie du dich fühlst, brauche ich wohl nicht zu fragen. Nun, da du meinen Verdacht bestätigt hast, werde ich mich wohl drum kümmern müssen. Ich..."

Der Sheriff brach ab, weil die Tür aufging. Eine junge Frau – mehr noch ein Mädchen - betrat das Zimmer. Sie trug ein Tablett, auf dem eine dampfende Schüssel stand. Dunkle, lange Haare rahmten ihr sonnengebräuntes, schmales Gesicht ein.

Jonathan sah sie und war von ihr gebannt. "Ist das Sarah?", fragte er.

Unter seinem Blick errötete das Mädchen. Es gelang Jonathan nicht, sich der Faszination, die sie verströmte, zu entziehen.

"Ja, es ist Sarah", erwiderte der Sheriff lächelnd. "Aus dem Mädchen ist eine Frau geworden, Jonathan."

"Yeah", entrang es sich Jonathan, und es klang fast ehrfürchtig. "Das kann man wohl sagen."

"Ich bringe dir eine kräftige Fleischbrühe, Jonathan", sagte Sarah und stellte das Tablett auf den Nachttisch neben dem Bett. "Wirst du selbst essen können, oder soll ich dich füttern?"

Der Sheriff erhob sich und sagte: "Ich reite zu eurer Ranch, Jonathan. Ich kann nicht zulassen, dass diese Schufte unbescholtene Männer brutal zusammenschlagen. Also höre ich mir an, was sie zu sagen haben, und dann werde ich sie zur Anzeige bringen."

Jonathan setzte sich auf. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen und war eine Überwindung, die all seinen Willen erforderte. Ein Stöhnen entrang sich ihm. "Ich werde alleine essen, Sarah", erklärte er.

Sie stopfte das Kissen zwischen das Kopfende des Bettes und seinen Rücken, dann stellte sie das Tablett auf seine Oberschenkel und sagte: "Du musst aufpassen, die Brühe ist sehr heiß..."

"Vielen Dank", murmelte Jonathan, dann richtete er den Blick auf Jack McBrian. "Du solltest nicht alleine reiten, Jack. Diese Schufte respektieren den Stern, den du trägst, sicherlich nicht. Warte zwei oder drei Tage, bis ich wieder einigermaßen fit bin. Dann begleite ich dich."

"Du wirst in drei Tagen nicht fit sein, Jonathan", antwortete der Sheriff. "Ich denke mal, dass du mindestens eine Woche das Bett hüten musst. So lange kann ich nicht warten."

"Dann nimm wenigstens ein paar Männer mit", sagte Jonathan. "Ein Aufgebot. Zahlenmäßige Überlegenheit werden diese Kerle respektieren."

"Ich werde einige Männer fragen, ob sie mich begleiten", gab McBrian zu verstehen. "Allerdings glaube ich nicht daran, dass sich jemand bereit erklärt."

"Du musst es jedenfalls versuchen, Jack", murmelte Jonathan.

Der Sheriff verließ das Zimmer.

"Du warst, als ich wegging, ungefähr 15 Jahre alt", sagte Jonathan.

"Ich war 16", versetzte Lesley.

Jonathan löffelte seine Suppe. Zwischen ihm und Lesley herrschte Schweigen. Sie beobachtete ihn nur.

Währenddessen betrat der Sheriff die Schmiede. Der Gehilfe des Schmiedes trat auf den Blasebalg. Mehrere Eisen steckten im Feuer. "Was treibt dich zu mir?", fragte der Schmied. Sein Name war Ed Mallory.

"Ich brauche ein paar Freiwillige, die mit mir zur Randall Ranch reiten."

"Warum?"

"Die Kumpane von Link Randall haben Jonathan Randall brutal zusammengeschlagen. Körperverletzung, Ed. Ich kann das den Kerlen nicht dahingehen lassen."

"Willst du sie einsperren?"

"Ich will mir anhören, was sie zu sagen haben. Und dann entscheide ich, ob ich Anzeige erstatte oder nicht."

"Dazu brauchst du mich sicher nicht, Jack", sagte Mallory. "Ich habe ein paar wichtige Aufträge zu erledigen. Tut mir leid, Jack..."

"Schon gut." Jack McBrian machte kehrt und verließ die Schmiede. Er begab sich noch zum Futtermittelhändler, zum Barbier und zum Storebesitzer. Jeder hatte eine andere Ausrede. Der Sheriff gab es auf, ging in den Stall, sattelte sein Pferd, führte es ins Freie, saß auf und ritt aus der Stadt. Er überquerte den North Concho River und ritt nach Süden. McBrian ließ das Pferd traben. Und so erreichte er nach etwas über einer Stunde die Randall Ranch.

Vor dem Haupthaus zügelte der Sheriff das Pferd. Er schaute sich um. Die Pferde im Corral verrieten, dass die Ranch nicht verwaist war. McBrian saß ab. Er schlang den Zügel lose um den Haltebalken. Da trat Link Randall aus dem Ranchhaus. Seine Brauen waren finster zusammengeschoben. Offensichtlich bereitete ihm der Besuch des Sheriff nicht viel Freude. "Sie, McBrian?" Link ging bis zum Geländer und legte seine Hände auf die von Wind, Sonne und Regen glattgeschliffene Querstange. "Was treibt sie her?"

Links Gesicht trug noch deutliche Spuren der Fäuste Jonathans. Der Sheriff sah blauschwarze Blutergüsse und einige kleine Platzwunden, die zwischenzeitlich verschorft waren. Sein linkes Auge war dunkel unterlaufen und fast zugeschwollen.

"Deine Freunde haben Jonathan brutal zusammengeschlagen, Link", sagte der Sheriff grollend. "Ich denke, du weißt Bescheid."

"Ja, ich weiß Bescheid, McBrian. Jonathan hat es sich selber zuzuschreiben. Er kam auf die Ranch und forderte meine Freunde auf, zu verschwinden. Dann schlug er mich zusammen. Jonathan hat nur bekommen, was er verdient hat. Ich hoffe, es war ihm eine Lehre und er verschwindet wieder."

"Ich habe schon seit längerer Zeit ein Auge auf dich und deine Kumpane geworfen, Link", knurrte der Sheriff. "Wovon lebt ihr, nachdem ihr die Ranch nicht bewirtschaftet? Die Rinder haben sich nach und nach auf den benachbarten Weidegründen verlaufen. Einen großen Teil hast du verkauft. Ihr seid oft wochenlang verschwunden. Es gefällt mir nicht, Link."

"Das ist ein freies Land, Sheriff", versetzte Link und grinste schief. "Und wir sind freie Männer, die reiten können, wohin sie wollen."

"Wo sind deine Freunde überhaupt?"

"Wir sind hier", erklang es hinter dem Sheriff.

McBrian drehte sich um. Zwei der Kerle waren aus dem Bunkhouse getreten. Einer stand an einem der Fenster. Von den beiden anderen war nichts zu sehen. "Sie sind Dalton, nicht wahr?", fragte der Sheriff und schaute dabei einen großen, hageren Burschen an.

"Jesse Dalton – sehr richtig. Was gefällt Ihnen denn nicht daran, dass wir hin und wieder mal die Ranch für einige Zeit verlassen?"

"Um Ihnen Rede und Antwort zu stehen, bin ich nicht hier, Dalton. Sie und Ihre vier Freunde haben Jonathan Randall halb tot geschlagen. Das Gesetz sieht darin einen Straftatbestand. Warum sind Sie zu fünft über Randall hergefallen?"

"Wir haben ihn auf seine richtige Größe zurechtgestutzt, Sheriff. Er hatte sich ein Paar Stiefel angezogen, die ihm zu groß waren. Es war so etwas wie die Aufforderung an ihn, sehr schnell wieder aus dem Landstrich zu verschwinden."

Jetzt traten zwei weitere Männer aus der Mannschaftsunterkunft. Ihre Haare standen ein wenig wirr vom Kopf ab. Zeichen dafür, dass sie auf ihren Bunks gelegen hatten. Einer der beiden rief: "Sie wollen uns doch nicht etwa zur Rechenschaft ziehen, weil wir Randall ein wenig in die Mangel genommen haben? Das wäre ziemlich vermessen, Sternschlepper."

Langsam kam der Sprecher auf McBrian zu. Bei jedem seiner Schritte streifte sein Handgelenk den abstehenden Knauf des Revolvers, den er tief am linken Oberschenkel trug.

"Doch", erwiderte McBrian furchtlos, "ihr werdet dafür zur Rechenschaft gezogen. Wir leben zwar in einem freien Land, wie Link schon richtig bemerkte, doch endet die Freiheit des einzelnen dort, wo die Rechte und die Freiheit anderer beschnitten werden. – Link hat gewissermaßen zugegeben, dass ihr zu fünft über Jonathan Randall hergefallen seid. Das ist schwere Körperverletzung. Darauf steht Gefängnis. Ich werde also eine Strafanzeige schreiben und sie dem Friedensrichter vorlegen. Ihr werdet dann eine Vorladung erhalten, die ich euch persönlich vorbeibringen werde."

"Du wirst den Teufel tun, Sheriff", stieß Hank Dodson hervor, ein rothaariger Bursche mit sonnensprossigem, rattenhaften Gesicht. Seine Rechte lag auf dem Griff des Revolvers. In seinen Augen zeigte sich ein heimtückisches Schillern.

"Wollen Sie es verhindern?" Auch die Hand des Sheriffs legte sich auf den Coltknauf.

Die Situation begann sich zuzuspitzen. Hier entwickelte sich etwas, das für den Sheriff gefährlich werden konnte...

*

Der Hauch einer jähen, tödlichen Gefahr sprang ihn an. Ein unsichtbarer Strom von Härte und Brutalität ging von den Kerlen aus. Sie belauerten den Sheriff wie ein Rudel hungriger, blutrünstiger Wölfe.

Niemand sprach ein Wort. Dieses Schweigen konnte nicht über die erwartungsvolle, drohende Spannung hinwegtäuschen, die zwischen den Gebäuden der Ranch hing.

"Du solltest mal in dich gehen und dir ein paar Gedanken machen, Link", knurrte McBrian. "Zusammen mit deinem Bruder könntest du aus der Ranch wieder etwas machen. Jonathan hat das Zeug dazu, er ist aus dem gleichen Holz wie Old Amos geschnitzt. Solange du dich aber mit Kerlen wie denen abgibst..." Der Sheriff zuckte mit den Achseln und griff mit der linken Hand nach dem Sattelhorn, den linken Fuß stellte er in den Steigbügel.

"Stopp!", fauchte Jesse Dalton. "Habe ich Sie richtig verstanden, Sheriff? Sie halten uns für Abschaum, für Gesindel..."

"Ihr habt zumindest keinen guten Einfluss auf Link." Mit dem letzten Wort zog sich McBrian in den Sattel. Er angelte sich die Zügel.

"Wir lassen uns nicht beleidigen", knirschte Dalton. "Auch nicht von einem, der einen Stern mit sich herumschleppt. Steig ab, Sheriff, oder müssen wir dich vom Pferd holen? Wir werden..."

Plötzlich ging alles blitzschnell. Der Sheriff zog seinen Colt. Er fühlte sich bedroht und wollte sich mit dem Sechsschüsser in der Faust durchsetzen. Das missverstanden jedoch der rattenhafte Hank Dodson, Price Sherman und Jim Snyder. Auch sie rissen die Revolver heraus. Die Waffen brüllten auf. Der Oberkörper des Sheriffs pendelte zurück, das Pferd machte einen erschreckten Satz zur Seite, McBrian stürzte aus dem Sattel und krachte auf den Boden. Staub schlug unter seinem Körper auseinander. Seine Finger verkrallten sich im Boden. Er versuchte noch einmal, den Kopf zu heben, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Sein Gesicht fiel in den Staub.

Die Schüsse waren verklungen. Pulverdampf wölkte. Aus den Revolvern der drei Kerle kräuselen dünne Rauchfäden. Ohne die Spur einer Gemütsregung starrten sie auf den reglosen Körper des Sheriffs.

"O verdammt!", murmelte Link Randall. "Musste das sein?" Er tauchte unter dem Verandageländer hindurch und sprang in den Hof. Dann drehte er den Sheriff auf den Rücken und beugte sich über ihn.

Dodson, Sherman und Snyder stießen ihre Revolver in die Holster. Langsam schlenderten sie näher.

"Er lebt noch", murmelte Link. "Er hat eine Kugel in der Brust und eine in der Schulter. Wir müssen ihn in die Stadt bringen, sonst verblutet er."

"Du bist wohl verrückt", sagte Jesse Dalton. "Ein Sheriff, der zwei oder drei Kugeln im Leib hat, wirft Fragen auf. Wahrscheinlich überlebt er den Weg in die Stadt überhaupt nicht. Wir legen ihn auf seinen Gaul. Das Tier wird ihn schon in die Stadt bringen. Wir aber sollten verschwinden. Wegen dieses alten Narren will ich nicht am Galgen baumeln."

"Jesse hat Recht", pflichtete Jim Snyder seinem Kumpan bei. "Ein toter Sheriff bringt wahrscheinlich einen US-Marshal auf den Plan. Mit diesen Kerlen aber ist nicht gut Kirschen essen. Verschwinden wir."

"Ich bringe McBrian in die Stadt", murmelte Link Randall. "Ich kann ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Wenn er zum Doc gebracht wird, hat er eine Chance. Wenn wir ihn einfach auf sein Pferd legen und es dem Tier überlassen, ob es ihn die Stadt bringt, stirbt er."

"Weißt du, was los ist, wenn der Mob in der Stadt verrückt spielt?", schnappte Steve Dalton.

"Das ist mir egal. Ich bringe McBrian in die Stadt."

"Dann geh zur Hölle, Link. Hoffentlich bereust du es nicht." Jesse Dalton sprach es, schwang herum und ging zum Corral. Dodson, Sherman, Snyder und sein Bruder Steve folgten ihm.

Link Randall schien einen Augenblick lang unschlüssig zu sein. Dann gab er sich einen Ruck. Er ging zu einem der Schuppen, öffnete ihn und zog gleich drauf einen leichten Ranchwagen ins Freie. Dann ging er ins Haus und holte ein paar Decken, die er auf der Ladefläche des Fuhrwerks auseinanderbreitete. Es kostete ihm Mühe, die schlaffe Gestalt des Sheriffs hochzuheben und auf den Wagen zu legen. Aber Link schaffte es. Er holte sein Pferd und spannte es vor das Fuhrwerk. Das Pferd des Sheriffs band er hinten an den Wagen. Dann stieg er auf den Wagenbock und angelte sich die Zügel.

Seine Kumpane hatten ihre Pferde gesattelt und gezäumt. Jesse Dalton saß auf und ritt zu Link hin, der ihn abwartend fixierte. Dalton sagte: "Wir reiten nach Westen, um bei El Paso über die Grenze nach Mexiko zu gehen. Wenn du willst, warten wir in El Paso auf dich."

Link Randall nickte. "Ja, wartet auf mich. Ich komme nach. Es kann nicht schaden, für einige Zeit nach Mexiko zu verschwinden."

"Wir warten aber nicht länger als drei Tage", erklärte Dalton.

Dann ritten sie davon. Link blickte ihnen hinterher, bis sie über einer Bodenwelle aus seinem Blickfeld verschwanden. Dann ließ er die Zügel auf den Rücken des Pferdes klatschen. Das Tier zog an. Die Räder des Fuhrwerks begannen sich mahlend zu drehen...

*

Es ging auf Mittag zu, als Link Randall die Stadt erreichte. Er hielt vor dem Sheriff's Office an. Einige Menschen kamen näher. Sie sahen den Sheriff auf der Ladefläche liegen und ihnen entging nicht das Blut, das das Hemd McBrians dunkel gefärbt hatte. Jemand holte den Arzt. Er bat Link, den Verwundeten zu seinem Haus zu fahren.

"Ich muss operieren", gab der Doc zu verstehen. "Großer Gott, Jack ist dem Tod näher als dem Leben."

Es ging wie ein Lauffeuer durch Sterling City, dass der Sheriff niedergeschossen worden war. Und die Nachricht wurde auch Betty McBrian und Sarah überbracht. Mutter und Tochter begaben sich sofort ins Haus des Arztes.

Jonathan hielt nichts mehr im Bett. Er erhob sich und kleidete sich an. Jede Bewegung, die er machte, war mir bohrenden und ziehenden Schmerzen verbunden. Aber er biss die Zähne zusammen und versuchte den Schmerz zu überwinden. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass sich ihm hin und wieder ein gequälter Laut entrang.

Zuletzt legte er sich den Revolvergurt um die Hüften und schloss ihn. Dann verließ er das Haus.

Jeder Schritt, jeder Atemzug war eine Qual. Der Schmerz wehte wie ein heißer Wind durch sein Bewusstsein. Er bewegte sich steifbeinig. Doch er erreichte das Haus des Arztes. Dort erfuhr er, dass sein Bruder Link den Sheriff in die Stadt gebracht hatte und dass sich Link in den Saloon begeben habe...

Link lehnte am Tresen. Er trank ein Bier. Etwa ein Dutzend Männer hielten sich im Schankraum auf. Dumpfes Stimmengemurmel hing in der Luft. Niemand wusste etwas genaues. Keiner wagte es, Link zu fragen, was sich zugetragen hatte.

Schlagartig wurde es ruhig, als Jonathan den Saloon betrat. Knarrend und quietschend schlugen die Türpendel hinter ihm aus. Er machte zwei Schritte und blieb dann stehen.

Link wandte sich langsam um. Er maß seinen Bruder von oben bis unten, dann sagte er mit klarer, präziser Stimme: "Es waren Dodson, Sherman und Snyder. Sie haben McBrian niedergeschossen. Ich wollte das nicht. Aber ich konnte es auch nicht verhindern. McBrian griff zuerst zum Revolver."

"Wo sind deine Freunde jetzt?", fragte Jonathan.

"Sie haben die Gegend verlassen."

"Was ist mit dir, Bruder?"

"Ich werde ihnen folgen. Es sind – wie du schon sagtest - meine Freunde."

"Es sind skrupellose Schläger und Schießer. Wenn der Sheriff stirbt, sind Dodson, Sherman und Snyder reif für den Galgen. Wohin sind sie geritten?"

"Das verrate ich dir nicht."

"Du bist nicht der kaltschnäuzige, unverfrorene Bursche, als den du dich ausgibst, kleiner Bruder. In dir steckt noch ein guter Kern. Ich sehe es daran, dass du McBrian in die Stadt gebracht hast. Du stehst sozusagen an einem Scheideweg. Entscheide dich nicht für deine Freunde. Es sind Banditen, die eines Tages am Strick oder durch eine Kugel enden. Bau mit mir die Ranch wieder auf, Link. Ich denke, dass wir beide gut miteinander auskommen werden."

"Keine Chance, Jonathan. Ich folge meinen Freunden. Wir gehen nach Mexiko. Du kannst die Ranch haben, Jonathan. Werde glücklich mit ihr."

"Ehe ich beginne, die Ranch wieder auf Vordermann zu bringen, will ich Calem suchen. Der Tod unseres Vaters darf nicht ungesühnt bleiben."

"Es war ein Unfall."

"Nein. Als Calem den Revolver in die Hand nahm und ihn auf Vater richtete, war er entschlossen, zu schießen. Er wollte Geld. Dad wehrte sich. Es war Mord, Link. Raubmord!"

"Denk, was du willst, Jonathan. Calem treibt sich sonstwo herum. Wie willst du ihn jemals finden? Es ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen." Link grinste herablassend.

"Zuletzte wurde Calem in Wichita Falls gesehen", versetzte Jonathan. "Vor einer Woche. Calem und seine Bande haben dort die Bank ausgeraubt."

"Woher weißt du das?"

"Ich weiß es eben."

Da kam ein Mann in den Gastraum. Er blieb an der Tür stehen und rief: "Der Sheriff ist gestorben. Die Kugel saß zu nahe beim Herz. Der Doc konnte nichts mehr tun."

Nachdem der Mann das gerufen hatte, kam er zum Schanktisch. Er schaute Jonathan an. "Jack war ein guter Mann. Es ist schade um ihn. Diese dreckigen Banditen..."

Link war etwas blass geworden. Er nagte an seiner Unterlippe. "Das tut mir leid", murmelte er und vermied es, seinen Bruder anzusehen. "Verdammt noch mal! Warum musste Jack auch nach dem Revolver greifen?"

"Er war Sheriff", gab Jonathan zu verstehen. "Und er wird einen Grund gehabt haben, warum er nach der Waffe griff. Du bist nicht ganz unschuldig an seinem Tod, kleiner Bruder. Auch wenn du nicht geschossen hast."

"Wieso ich?", knirschte Link Randall. "Ich habe nicht nach dem Revolver gegriffen. Im Gegenteil, ich habe alles getan, um sein Leben zu retten."

"Es waren deine Freunde, Link. Du hast diese Strolche auf die Ranch geholt. Du bist mit ihnen geritten. Du hast es akzeptiert, dass die Kerle mir auflauerten und mich zusammen schlugen. Jack wäre niemals zur Ranch geritten, wenn du deine Freunde zurückgepfiffen hättest. Und er würde noch leben."

"Ich kann nichts für diese Verkettung unglücklicher Umstände", stieß Link hervor. Er trank einen Schluck von seinem Bier. "Und jetzt reite ich, Jonathan. Versuch nicht, mich aufzuhalten. Ich habe mit McBrians Tod nichts zu tun."

Link warf fünf Cent für das Bier auf den Tresen, dann stieß er sich ab und setzte sich in Bewegung. Er ging direkt auf seinen Bruder zu. Jonathan trat nicht zur Seite. Dann standen sich die beiden Brüder gegenüber.

"Geh aus dem Weg!", knurrte Link drohend.

"Denk an unsere Mutter", sagte Jonathan. "Und an Dad? Sie haben die Ranch für uns aufgebaut. Für dich, für Calem und für mich. Sie haben Schweiß, Blut und Geld investiert. Willst du das alles ignorieren, nur weil du dich einer Hand voll Banditen verpflichtet fühlst?"

Links Entschiedenheit geriet ins Wanken. In seinem Gesicht spiegelte sich Unschlüssigkeit wider. Er wollte etwas sagen, verbiss es sich aber, trat zur Seite, ging an Jonathan vorbei und strebte der Tür zu. Ehe er den Saloon verließ sagte er über die Schulter: "Versuch nicht, mir zu folgen, Jonathan. Es würde dir schlecht bekommen."

Die Verbitterung verschloss sekundenlang Jonathans Mund. Er fragte sich erneut, was aus seinem Bruder geworden war? Alles in ihm sträubte sich dagegen, Link einfach ziehen und mit offenen Augen in sein Unglück laufen zu lassen. Er zog blitzschnell den Colt und spannte den Hahn. "Stopp, Bruder, nicht so schnell. Ehe die Umstände, die zu McBrians Tod führten, nicht geklärt sind, stehst du unter Arrest. Ich werde mich vom Friedensrichter als Deputy Sheriff einsetzen lassen, der kommissarisch den Job des Sheriffs wahrnimmt."

Link, der mit beiden Armen die Türpendel auseinander gedrückt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne. Er schien den Worten seines Bruders hinterher zu lauschen. Dann ließ er seine Stimme erklingen: "Du bist nicht kompetent, um mich zu verhaften, Jonathan. Darum werde ich jetzt weitergehen. Und du wirst mich nicht daran zu hindern versuchen."

"Doch. Schnall deinen Revolvergurt ab und nimm die Hände in die Höhe, Link. Es ist mein voller Ernst. Es ist nicht auszuschließen, dass auch du auf den Sheriff geschossen hast. Wenn sich deine Unschuld herausstellt, dann soll mir das Recht sein und du kannst gehen, wohin du willst. Zunächst aber..."

Link ließ die Türpendel fahren und wirbelte geduckt herum. Seine Rechte sauste zum Revolver.

Jonathan hob die Hand mit dem Revolver etwas an. Link schaute in die Mündung. Sein Verstand holte den Griff zum Colt ein. Seine Hand blieb über dem Knauf in der Luft hängen.

"Abschnallen!", gebot Jonathans mit scharfer, klirrender Stimme.

Link entspannte sich. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Die kalte Entschlossenheit Jonathans war ihm nicht entgangen. "Der Richter wird mich laufen lassen müssen", presste er zwischen den Zähnen hervor. "Denn du bist nicht legitimiert, mich zu verhaften." Er zog die Schnur auf, mit der das Holster an seinem Oberschenkel befestigt war und öffnete die Schließe des Revolvergurts. Der Gürtel rutschte an seinen Beinen zu Boden. Dumpfes Poltern war zu hören.

"Geh vor mir her zum Sheriff's Office", sagte Jonathan.

Link wandte sich um. Er verließ den Schankraum. Jonathan folgte ihm dichtauf. Er stieß Link die Mündung des Revolver gegen den Rücken. "Ich habe es schon gesehen, kleiner Bruder", sagte er. "Man muss dich zu deinem Glück zwingen."

"Zur Hölle mit dir, Jonathan. Meine Freunde warten nur drei Tage auf mich."

"Wo warten deine Freunde?"

"Das möchtest du gern wissen, wie?"

"Ja. Denn ich werde sie wegen Jacks Tod zur Verantwortung ziehen. Zumindest Dodson, Sherman und Snyder, die auf Jack schossen."

*

Wenige Minuten später saß Link Randall hinter Schloss und Riegel. Jonathan verließ das Office und ging zum Haus des Arztes. Betty McBrian, die Frau des Sheriffs, und Sarah standen am Bett des Toten. Ihre Gesichter waren bleich. Ihre Augen waren rot vom Weinen.

Sarah wandte sich Jonathan zu. Sie kam ihm entgegen und lehnte ihre Stirn an seine Brust. Ihre Schultern erbebten unter einem trockenen Schluchzen. "Er ist gestorben, Jonathan", murmelte das Mädchen. "Dad ist tot. Es – es ist so furchtbar."

Jonathan legte den Arm um sie. "Es tut mir leid um Jack", murmelte er abgehackt und jedes Wort schien tonnenschwer zu wiegen in seinem Mund. "Aber ich weiß, wer ihn auf dem Gewissen hat. Vielleicht tröstet es Sie, Mrs. McBrian, und auch dich, Sarah, wenn ich euch verspreche, Jacks Mörder zur Verantwortung zu ziehen."

"Rache ist kein guter Weg", erwiderte Mrs. McBrian. "Hass und Rache..."

"Keine Rache, Mrs. McBrian", sagte Jonathan und unterbrach die Frau. "Es ist auch kein Hass im Spiel. Es geht einzig und allein darum, dass Jacks Mörder bestraft werden müssen. Wie es das Gesetz befiehlt."

"Jonathan hat Recht, Ma", mischte sich Sarah ein. "Dads Mörder müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wäre ich ein Mann, würde ich mich selbst auf den Weg machen, um diese Schufte der Gerechtigkeit zuzuführen."

Jonathan warf einen Blick auf den Toten. Er lag mit wächsern anmutendem Gesicht auf dem Bett. Seine Hände lagen übereinander auf seiner Brust. Er sah friedlich und entspannt aus.

"Er ist in Ausübung seines Dienstes gestorben", murmelte Jonathan. "Gerade das macht die Sache besonders tragisch." Er nahm den Arm von Sarahs Schultern und trat einen Schritt zurück. Sein Blick begegnete sich mit dem Sarahs. "Dein Vater war ein guter Mann, Sarah. Seine Mörder werden kriegen, was sie verdienen."

Er nahm den Stern von der Brust des Toten und verließ das Zimmer.

Jonathan begab sich zum Haus des Friedensrichters. Abel Hodt war ein Mann von 58 Jahren. Seine Haare waren grau, fast weiß. Sein Gesicht war zerklüftet wie die Rinde einer alten Föhre. Aber seine Augen blickten klug und hellwach. Er hörte sich an, was Jonathan zu sagen hatte. Dann antwortete er: "Ja, ich bin befugt, Sie kommissarisch als Sheriff einzusetzen, Jonathan. Und wenn Sie das wollen, tu' ich es auch. Ich kann es noch immer nicht begreifen, dass Jack tot sein soll. Er hat fast ein viertel Jahrhundert den Stern im Sterling County getragen. Stecken Sie sich Jacks Stern an, Jonathan, damit ich Sie vereidigen kann."

Gleich darauf war Jonathan Randall Deputy Sheriff mit Vollmacht, den Job des County Sheriffs auszuüben, bis ein solcher neu gewählt werden würde.

"Ich wünsche Ihnen viel Glück, Jonathan", sagte der Friedensrichter und reichte Jonathan die Hand. Der schüttelte sie. Dann verließ er das Haus Hodts.

Jonathan ging ins Sheriff's Office und betrat den Zellentrakt. An seiner linken Brustseite glitzerte der Lone Star.

Link saß auf einer der beiden Pritschen in der Zelle. Jetzt erhob er sich und kam zur Gitterwand. Seine Hände legten sich um zwei der zolldicken Eisenstäbe. "Wie ich sehe, hast du deinen Willen durchgesetzt", knurrte er.

"Sag mir, wohin sich deine Freunde gewandt haben, Link."

"Du kannst mich mal, Bruderherz", kam es hohnvoll von Link.

"Ich will die Kerle, die auf Jack geschossen haben, vor Gericht stellen, Link. Es ist auch zu deinem besten. So kann ich unter Umständen beweisen, dass du nicht auf den Sheriff geschossen hast. Oder willst du für die Schufte, die du Freunde nennst, den Kopf in die Schlinge stecken?"

"Das Gericht kann mir gar nichts", zischte Link. "Man muss mir eine Schuld beweisen, um mich zu verurteilen. Nicht ich muss meine Unschuld beweisen, Bruder. Das solltest du wissen."

"Sicher, ich war lange genug Town Marshal, Link. Ich weiß aber auch, dass ich dich wegen des Verdachts, am Tod des Sheriffs mitschuldig zu sein, im Jail behalten kann, bis ich die Sache lückenlos geklärt habe. Und das kann lange dauern. Denn ich muss herausfinden, wohin deine Kumpane geflohen sind, ich muss sie verfolgen und festnehmen, und ich muss sie nach Sterling City bringen. Und dann dauert es noch einmal einige Wochen, bis der Prozess gegen euch alle beginnen kann."

"Du elender Hundesohn!"

Jonathan fuhr unbeirrt fort: "In der Verhandlung wird vielleicht festgestellt, dass du nicht auf den Sheriff geschossen hast. Man wird dich vom Vorwurf des Mordes freisprechen. Aber bis dahin hast du ein viertel oder halbes Jahr im Gefängnis verbracht."

Jonathan schwang herum und verließ den Zellentrakt. Er begab sich zum Haus der McBrians. Betty und Sarah McBrian waren zwischenzeitlich nach Hause zurückgekehrt. Sarah öffnete Jonathan die Tür. Er sagte: "Ich reite jetzt, Sarah. Ich werde die Mörder deines Vaters ihrer gerechten Bestrafung zuführen. Mein Wort drauf."

Sarah nickte. "Sie dürfen nicht ungeschoren davon kommen." Ihre Augen waren gerötet vom Weinen. Sie trug schwarze Trauerkleidung. Das Schwarz unterstrich die fahle Blässe ihre Gesichts.

Jonathan wollte sich abwenden. Er zögerte. Dann gab er sich einen Ruck. Seine Hände umfassten Sarahs Oberarme. "Vorhin, als du dich gegen mich lehntest, Sarah, da verspürte ich etwas, das ich schon lange nicht mehr verspürt habe."

Sarah senkte den Blick und errötete. "Mir ist es ähnlich ergangen, Jonathan", kam es fast zaghaft über ihre Lippen. "Ich habe dieses Gefühl noch bei keinem anderen Mann verspürt. Es begann, als dich Dad nach Hause brachte, damit ich dich pflege."

"Dann weiß ich Bescheid, Sarah. Ich komme wieder." Er lächelte. "Ich habe jetzt allen Grund dazu."

"Meine Gebete werden dich begleiten. Gib auf dich Acht."

Jonathan nahm sie kurzerhand in die Arme und küsste sie. Sarah erwiderte seinen Kuss. Dann gab er sie frei, schob sie mit sanfter Gewalt zurück und sagte: "Es wird Zeit für mich..."

Zwanzig Minuten später war Jonathan Randall auf dem Weg zur Randall Ranch. Er ritt mit dem Bewusstsein, von Sarah geliebt zu werden. Es beflügelte ihn auf besondere Art.

Die Ranch war verwaist. Im Corral standen keine Pferde. Jonathan suchte nach Spuren. Und er fand die Fährten mehrerer Pferde, die nach Westen gegangen waren. Im staubigen Gras war sie deutlich zu erkennen. Jonathan folgte den Spuren ein Stück. Auf dem Kamm einer Anhöhe parierte er das Pferd. Die Spur zog sich schnurgerade am Creek entlang nach Westen. Die nächste größere Stadt, die die Kerle anreiten konnten, war Odessa. Sie lag an der Überlandstraße, die von El Paso nach Abilene und von dort aus weiter nach Fort Worth führte. Zwischen Odessa und Sterling City gab es noch eine kleine Ortschaft namens Garden City...

Jonathan ritt nach Sterling City zurück. Nachdem er sein Pferd versorgt hatte, ging er in den Zellentrakt. Link lag auf der Pritsche und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er erhob sich nicht, als Jonathan eintrat. Jonathan sagte: "Ich habe die Spur deiner Kumpane gefunden, Link. Sie führt nach Westen. Nachdem du mir gesagt hast, dass sie sich nach Mexiko absetzen möchten, gehe ich davon aus, dass sie nach El Paso reiten und sich dort nach Süden wenden."

Mit einem Ruck saß Link. Er schwang die Beine von der Pritsche. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern. "Bis El Paso sind es einige hundert Meilen", knirschte er. "Du wirst wochenlang unterwegs sein. Soll ich in dieser Zeit hier hinter Gittern verfaulen?"

"El Paso ist also richtig, Link?"

Link Randall kniff die Lippen zusammen. In seinem Gesicht arbeitete es. Dann überwand er sich. "Ja, verdammt. Sie wollen in El Paso auf mich warten. Allerdings nicht länger als drei Tage. Dann verschwinden sie nach Mexiko."

"Ich werde nicht bis El Paso reiten. Die erste Stadt, die diese Schufte anreiten, wird Garden City sein. Dort warte ich auf sie."

"Es sind fünf, Jonathan. Jeder von ihnen ist mit dem Revolver ein Akrobat. Wie willst du sie überwältigen?"

"Das lass meine Sorge sein, Kleiner. Für dich wird gesorgt werden. Ich setze einen Gehilfen ein, der dich verpflegt und der die Stellung im Office hält."

"Dalton und die anderen werden dich in Stücke schießen."

Jonathan verließ den Zellentrakt. Er ging noch einmal zum Haus des Friedensrichters.

"Wer von den Männern in der Stadt kommt Ihrer Meinung als Nachfolger für Jack McBrian in Frage?", fragte er Abel Hodt.

Der Friedensrichter überlegte nicht lange. "Ringo Hagan", sagte er. "Der Bursche besitzt meiner Meinung nach das nötige Format. Warum fragen Sie das?"

"Ich verfolge Jacks Mörder. Sie sind auf dem Weg nach El Paso. Bis ich zurück kehre, muss in der Stadt jemand für Ordnung sorgen und auf meinen Bruder achten."

"Gehen wir zu Ringo Hagan, Jonathan. Ich begleite sie. Sicher ist er, wenn wir ihm den Sheriffsposten in Aussicht stellen, bereit, als Deputy Sheriff zu fungieren. Seine Anwaltskanzlei wirft nicht besonders viel ab. Und der Sheriffsjob ist ziemlich lukrativ. Immerhin bekommt der Posteninhaber fünf Prozent des Steueraufkommens im County also Lohn."

Hagan betrieb eine kleine Anwaltskanzlei in Sterling City. Zunächst begegnete er dem Angebot des Friedensrichters mit Zurückhaltung und Misstrauen. Er sagte an Jonathan gewandt: "Es hat mich nicht gerade mit Freude erfüllt, als ich hörte, dass du wieder nach Hause gekommen bist. Zwischenzeitlich bin ich mit Lesley verlobt. Wir wollen heiraten. Ich hoffe, du versuchst nicht, dich zwischen uns zu drängen."

"Ich respektiere Lesleys Wahl, Ringo. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen."

Hagan schaute in Jonathans Gesicht und konnte darin lesen, dass diese Worte aufrichtig gemeint waren. Und so zeigte er Bereitschaft, den Stern des Deputy Sheriffs zu nehmen. Der 30-Jährige schnallte sich einen Revolvergurt um, nahm sein Gewehr und begab sich sofort ins Sheriff's Office, um seinen Dienst anzutreten.

Jonathan Randall verließ noch am selben Tag Sterling City. Sein Bestreben war es, vor den fünf Banditen Garden City zu erreichen.

*

Das Aufgebot aus Abilene hatte Calem Gibson und seine Bande in die Felswildnis getrieben. Die Bande hatte in der Stadt die Bank überfallen. Der Clerk gab Alarm, nachdem die Kerle die Bank verlassen hatten und sich auf ihre Pferde schwangen. Sofort rannten einige beherzte Bürger mit Waffen auf die Straße und lieferten den Banditen ein kurzes Feuergefecht.

Einer der Schufte blieb auf der Strecke. Die anderen hatten sich in der Felswüste nördlich von Buffalo Cap verkrochen. Es waren noch vier Mann. Heruntergekommene, stoppelbärtige Burschen mit dem typisch wachsamen Blick der Gesetzlosen, der ständig Gehetzten.

Sie ritten durch eine enge Schlucht. Sie mutete an wie ein riesiges, steinernes Grab. Die Hufe krachten und klirrten. Calem Gibson ritt an der Spitze. Er hielt das Gewehr in der Hand und hatte es quer über dem Mähnenkamm seines Falben liegen. Auch seine Kumpane hielten die Gewehre in den Fäusten.

Das Aufgebot aus Abilene hatte sicher noch nicht aufgegeben. Die Banditen ahnten, was ihnen blühte, wenn sie erwischt wurden. Der Clerk und ein weiterer Bürger der Stadt waren bei der Schießerei nach dem Überfall getötet worden.

Kühle Luft wehte den Banditen entgegen. Am Fuß der Felswände türmten sich Haufen ineinander verkeilter Felsen. Dorniges Buschwerk wucherte. Der Wind trieb Staub über die Ränder der Schlucht. Der Staub bedeckte alles wie eine dünne, schmutziggraue Puderschicht. Er kroch unter die Kleidung und scheuerte die Haut wund.

Dieses Gebiet musste der Satan persönlich erschaffen haben. Unbarmherzig brannte die Sonne hernieder. Die Luft flirrte. Ein Mann konnte in diesem unwirtlichen Gebiet verschwinden wie ein Staubkorn in der Sonora Wüste.

Calem Gibson zügelte sein Pferd. Seine Kumpane folgten seinem Beispiel. Die Hufschläge versanken in der Stille. Nichts war zu hören.

"Sieht aus, als hätten wir sie abgehängt", meinte James Younger. Er hatte das Gesicht erhoben und ließ seinen Blick über die Ränder der Felswände schweifen.

"Da wäre ich mir nicht so sicher", versetzte Calem Gibson. "Vielleicht haben sie uns überholt und verlegen uns irgendwo den Weg."

"Du und deine verdammte Schwarzmalerei", erregte sich Tom Ballinger.

"Würde ich in der Vergangenheit deinen Leichtsinn an den Tag gelegt haben, befänden wir uns schon längst in der Hölle der Gehenkten. – Reiten wir weiter."

"Wohin wollen wir überhaupt?", fragte Wes Anderson, der vierte Mann der Bande.

"Ich weiß ein gutes Versteck, Leute", sagte Calem Gibson. "Dort können wir uns für einige Zeit verkriechen. Es ist die Ranch meines Stiefvaters, des alten Narren, den ich aus Versehen erschossen habe. Ich denke, dort vermutet uns niemand."

"Hast du uns nicht erzählt, dass du einen Stiefbruder hast? Sicher bewirtschaftet er die Ranch."

"Ich habe zwei Stiefbrüder. Jonathan und Link. Jonathan jagte Old Amos vor fünf Jahren zum Teufel, weil er sein Vieh verkaufte und sich auf diese Weise einen guten Nebenverdienst verschaffte." Calem lachte auf. "Link ist ein junger Narr. Er hasste es, hinter Kühen herzureiten und das Lasso zu schwingen. Vielleicht ist er längst von der Ranch verschwunden."

Die Banditen ritten weiter. Der Lärm, den die Hufe verbreiteten, staute sich in der Schlucht und rollte den Reitern voraus.

Das Ende der Schlucht nahte. Die Felsen traten etwas auseinander. Eine sandige Ebene schloss sich an. Überall lag Geröll herum. Die Ebene wurde nach Süden, Westen und Osten von Höhenzügen und Felsmassiven begrenzt. Die dunklen Einschnitte waren Spalten und Schluchten.

Die Sonne stand weit im Westen. Die Schatten waren lang. Die Banditen zügelten am Ausgang der Schlucht die Pferde. Aus zusammengekniffenen, rotgeränderten Augen starrten sie in die weitläufige Ebene.

"Wenn wir hindurch reiten präsentieren wir uns gegebenenfalls wie auf einem Schießstand", knurrte Tom Ballinger.

"Wir nehmen den Umweg um die Ebene herum in Kauf", sagte Calem Gibson.

Sie wandten sich nach rechts und folgten den Windungen zwischen Felsen und Hügeln. Die Wüste schien nur aus totem Gestein, Wind und Staub zu bestehen. Nur Eidechsen, Skorpione und Klapperschlangen trieben hier ihr Unwesen. Hinter jedem Felsen konnte die Gefahr lauern. Der Tod war allgegenwärtig.

Ungeschoren gelangten sie auf die andere Seite der Ebene. Erneut nahm sie eine Schlucht auf. Ehe sie jedoch in der Schlucht verschwanden, schaute Calem Gibson zurück. Und er sah die Männer des Aufgebotes aus Abilene in die Ebene reiten. Es waren mehr als ein Dutzend.

"Sie sind schlimmer als Bluthunde!", knirschte Calem Gibson. Er hatte angehalten. Auch seine Kumpane waren ihren Pferden in die Zügel gefallen. Unruhig traten die Tiere auf der Stelle, als wäre der Funke der Rastlosigkeit von den Reitern auf sie übergesprungen. "Wir sollten sie hier erwarten und mit Pulverdampf und Blei von unserer Fährte fegen", sagte Calem Gibson. "Was meint ihr?"

"Anders bringen wir diese Hurensöhne nicht los", stimmte James Younger zu. "Bringen wir die Pferde tiefer in die Schlucht und postieren wir uns."

"Ich bin dafür, dass wir weiter reiten", gab Tom Balliner zu verstehen. "Sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen und..."

Gibson fiel ihm ins Wort: "Aber wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite, Tom. Ehe sie zum Denken kommen, fliegen vier Mann von ihnen aus den Sätteln."

"Ich bin auch dafür, dass wir auf sie warten", erklärte Wes Anderson, der vierte Bandit.

"Du bist überstimmt, Tom", sagte Gibson. "Vorwärts!"

Sie ritten tiefer in die Schlucht hinein. Die Pferde wurden in eine Seitenschlucht geführt und an Sträuchern festgebunden. Dann bezogen die Banditen mit ihren Gewehren Position im Maul der Seitenschlucht und in der Hauptschlucht hinter übereinander getürmten Felsklötzen. Metallisches Knacken ertönte, als sie ihre Gewehre durchluden.

Dann wurde es still.

Laut wurde es erst wieder, als das Aufgebot in die Schlucht ritt. Der Sheriff von Abilene führte das Rudel an. Er hob die Hand und rief: "Anhalten!"

Der Trupp kam zum Stehen. Die Pferde stampften, Gebissketten klirrten. Eines der Tiere wieherte. Der Sheriff nannte drei Namen und sagte dann: "Ihr steigt auf den Felsen und sichert unser Eindringen in die Schlucht von oben. Gebt uns ein Zeichen, wenn ihr oben seid. Erst dann reiten wir weiter."

Die drei Männer entfernten sich. Die anderen warteten. Einige drehten sich Zigaretten und rauchten. Es dauerte einige Zeit, dann waren die drei Männer auf dem oberen Rand der rechten Felswand zu sehen, die die Schlucht säumte. Einer hob die Hand. Dann verschwanden die drei. Sie schlichen am Rand der Schlucht entlang, und schließlich sahen sie die Banditen.

Der Sheriff und die anderen Männer waren abgesessen und gingen zu Fuß weiter. Die Gewehre waren schussbreit und entsichert. Jeden Schutz, der sich bot, ausnutzend pirschten die Männer in die Schlucht.

Und dann krachte ein Schuss. Der Knall staute sich zwischen den Felswänden, wurde vom Echo verstärkt und verhallte schließlich mit geheimnisvollem Flüstern.

"Sie sind über uns!", brüllte einer der Banditen. Und dann begann es fürchterlich zu krachen. Der Sheriff und seine Männer stürmten. Der Lärm artete zu einem höllischen Crescendo aus. Querschläger jaulten Ohren betäubend. Die Banditen wurden von vorne und von oben unter Feuer genommen. Tom Ballinger taumelte hinter seiner Deckung hervor, drehte sich um seine Achse und stürzte.

"Nichts wie fort!", brüllte Calem Gibson, sprang auf und rannte zu seinem Pferd. Mit fliegenden Fingern löste er den Zügel, dann warf er sich in den Sattel. Ohne sich um seine Kumpane zu kümmern jagte er das Pferd in den Seitencanyon hinein. Die Hufe trommelten. Calem Gibson lag fast auf dem Hals des Tieres. Mit dem langen Zügel und den Sporen feuerte er das Pferd an.

Der Schusslärm blieb zurück. Gibson fegte um einen Knick der Schlucht. In diesen Minuten war er nur sich selbst der Nächste. Es ging um das blanke Überleben. Der Boden stieg an. Schonungslos peitschte Gibson das Pferd vorwärts. Dann endete die Schlucht bei einem Geröllhang. Wenn er seine Haut retten wollte, musste er den Steilhang überwinden. Andernfalls saß er wie eine Ratte in der Falle...

Er sprang vom Pferd und führte es am Zügel. Der Aufstieg war steil. Hinter dem Banditen erklang Hufschlag. Er schaute zurück. James Younger donnerte auf seinem Pferd heran. Er riss das Tier zurück und sprang ab, als es noch nicht richtig zum Stehen gekommen war.

"Wir müssen da hinauf!", schrie Gibson und wies mit der Hand den Steilhang hinauf. "Was ist mit Wes?"

"Den hat es ebenso erwischt wie Tom. Die beiden können wir abschreiben."

Younger zerrte sein Pferd hinter sich her. Geröll löste sich und kollerte hangabwärts. Wie Säulen stemmten die Pferde ihre Hinterbeine gegen das Gefälle. Die Tiere scheuten und bockten. Doch die Banditen bezähmten sie mit eiserner Faust. Und schließlich langten sie oben an. Sie führten die Pferde zu einem Strauch und banden sie an. Dann bezogen sie auf dem Kamm des Geröllhanges Stellung.

Ein halbes Dutzend Reiter jagten auf dem Grund der Schlucht näher. Gibson und Younger feuerten. Einer der Reiter stürzte vom Pferd. Ein Pferd brach vorne ein und fiel auf die Seite. Wie von einem Katapult geschleudert flog der Reiter durch die Luft. Die Männer trieben ihre Pferde auseinander, sprangen ab und deckten den oberen Rand des Steilhanges mit ihren Kugeln ein.

Aber die beiden Banditen saßen schon wieder auf ihren Pferden und jagten die Tiere über das windige Hochplateau hinweg, das sich vor ihnen erstreckte.

Die Männer des Aufgebotes wagten nach einiger Zeit den Aufstieg. Von den Banditen war nichts mehr zu sehen. Die Erde schien sie geschluckt zu haben. Auf dem steinigen Untergrund waren auch keine Spuren auszumachen.

Calem Gibson und James Younger waren ihren Häschern entkommen. So schien es zumindest.

Die beiden Banditen schlugen den Weg nach Südwesten ein...

*

Jonathan Randall hatte die Nacht im Freien verbracht. Am frühen Morgen war er weitergeritten. Jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte ihn. Um die Mitte des Vormittags erreichte er Garden City. Die Stadt lag an einem der Quellflüsse des North Concho River. Es war ein verschlafenes Nest mit einem Dutzend Häusern zu beiden Seiten der Straße, einer kleinen Kirche und einem Saloon.

Jonathan ritt zum Mietstall. Im Hof saß er ab und leinte das Pferd am Rad eines Fuhrwerks an. Dann ging er in den Stall. Düsternis empfing ihn, der Geruch von Heu, Stroh und Pferdeausdünstung stieg Jonathan in die Nase. Der Stallmann belud soeben eine Schubkarre mit Pferdemist.

"Oha, ein Sheriff", sagte der Stallmann. "Sind Sie hinter jemandem her? Sie sehen aus, als wäre eine Stampede über Sie hinweggedonnert."

"Es sind fünf Kerle. Ihre Namen sind Jesse Dalton, Steve Dalton, Dodson, Sherman und Snyder. Sie sind auf dem Weg nach Westen. Haben Sie diesen Ort angeritten?"

"Nein. Nichts gesehen. In diesem Nest wären sie mir sicher nicht entgangen, wenn sie angekommen wären. Was haben sie denn ausgefressen?"

"Sie haben den Sheriff von Sterling City getötet."

Der Stallmann kratzte sich hinter dem Ohr. "Schwere Jungs also. Wollen Sie alleine auf diese Kerle losgehen? Fünf zu eins. Kein gutes Verhältnis, Sheriff. Für Sie kein gutes Verhältnis."

Jonathan zuckte mit den Achseln. "Vielen Dank für die Auskunft", sagte er dann, ging in den Hof, band sein Pferd los und saß auf.

Der Stallmann kam ebenfalls ins Freie. "Sie reiten gleich weiter?"

Jonathan nickte. "Ich will nicht bis El Paso hinter den Burschen herreiten. Darum will ich so wenig Zeit wie möglich verlieren."

Er ritt an, bog in die Main Street ein und verließ die Stadt in Richtung Westen...

*

Die fünf Banditen zügelten die Pferde, als sich aus dem Sonnenglast die Häuser eines kleinen Ortes schälten.

"Reiten wir das Nest an?", fragte Hank Dodson, der sein Pferd neben Jesse Daltons Tier getrieben hatte. "Ein Schluck Brandy könnte nicht schaden."

"Von mir aus", knurrte Dalton. "Machen wir eine Stunde Rast in dem Nest."

Sie trieben die Pferde wieder an. Auf ein verwittertes Ortsschild am Ortsrand war der Name der Stadt gepinselt. Garden City...

Die Stadt mutete ruhig und friedlich an. Ein Oldtimer zog einen zweirädrigen Karren aus einer Gasse und verschwand in einer Hofeinfahrt. Einige Hunde lagen in den Schatten und dösten. Vor dem Store spielten drei Kinder auf dem Gehsteig. Ein Mann schlenderte die Straße herauf.

Die fünf Banditen lenkten ihre Pferde zum Mietstall. Im Hof saßen sie ab. Der Stallmann trat ins Freie. Er sah die fünf und wusste, dass es sich um die Sheriffsmörder handelte. Die fünf Kerle blickten ihm entgegen. Es waren Sattelstrolche der übelsten Sorte. Das war dem Stallmann sofort klar. Ein etwas mulmiges Gefühl beschlich ihn. Kerle wie sie waren unberechenbar und kaum einzuschätzen.

"Kümmere dich um die Gäule, Alter", sagte Dalton. "Die Sättel brauchst du ihnen nicht abzunehmen. Wir gehen etwas trinken. In einer Stunde etwa sind wir zurück." Er reichte dem Stallburschen die Zügel.

Die anderen ließen die Zügel ihrer Pferde einfach zu Boden baumeln. Sie nahmen ihre Gewehre und staksten vom Hof. Wenig später betraten sie den Saloon. Der Salooner fegte mit einem Reisigbesen den Boden. Gäste gab es um diese frühe Zeit noch nicht. Ehrbare Männer gingen um diese Zeit irgendeinem Tagwerk nach.

Die Banditen setzten sich an einen der Tische. "Gib uns eine Flasche Whisky und fünf Gläser", forderte Jesse Dalton.

Der Salooner beeilte sich, dem Wunsch nachzukommen. Die Kerle schenkten sich die Gläser voll und tranken. Als die Flasche leer war, war etwa eine Stunde verstrichen. "Gehen wir", sagte Dalton. Sie erhoben sich. Keiner machte Anstalten, die Flasche Whisky zu bezahlen. Der Salooner wagte nicht, die Kerle an die Bezahlung zu erinnern.

Die fünf gingen zum Mietstall. Die Stadt mutete jetzt an wie ausgestorben. Die Pferde der Banditen standen beim Holm bei der Tränke. Der Stallmann ließ sich nicht sehen. Die Kerle knüpften die Zügel auf und kletterten in die Sättel. Auch hier dachte keiner daran, die angefallenen Kosten zu begleichen.

Das Rudel nahm sich einfach, was es brauchte. Niemand wagte sich dagegen aufzulehnen.

Die Bande verließ die Stadt. Im Westen buckelten Hügel und Felsen. Die Sonne stand im Südosten. Die Banditen blickten auf ihrer Fährte nicht zurück. Sie fürchteten keine Verfolger. Sheriff Jack McBrian hatten sie niedergeschossen...

Die Pferde gingen im Schritt. Sattelleder knarrte. Vögel zwitscherten, in den Büschen summten Bienen. Zu beiden Seiten der Straße dehnte sich Weideland. Hoch oben im Norden war Wald zu sehen.

"Wie lange werden wir bis El Paso unterwegs sein?", wollte Price Sherman wissen. Er ritt neben Steve Dalton.

"Es sind etwa 350 Meilen", antwortete der jüngere Dalton-Bruder. "Wenn wir die Pferde schonen, werden wir fast zwei Wochen unterwegs sein."

"Wir sollten, wenn wir in El Paso sind, nicht auf Link warten", knurrte Sherman. "Drei Tage! Das ist Irrsinn. In zwei Wochen hat unserer Steckbrief mit Sicherheit auch El Paso erreicht. Und dort gibt es ein ganzes Rudel Deputys."

"So schnell läuft die Fahndung nach uns nicht an", meinte Steve Dalton. "Unabhängig davon bin ich auch nicht dafür, auf Link zu warten. Ich finde, er passt sowieso nicht zu uns."

Jesse Dalton und Jim Snyder ritten vor den anderen. Ihnen folgte Hank Dodson. Den Schluss bildeten Sherman und Steve Dalton. Der Weg führte zwischen die ersten Hügel.

"Heh, Jesse", rief Price Sherman. "Willst du in El Paso tatsächlich auf Link waren?"

Jesse Dalton schaute über die Schulter. "Warum nicht? Er gehört zu uns. Wir warten drei Tage. Wenn er dann nicht kommt, verschwinden wir nach Mexiko. Keine Sorge, Price. So schnell bringen sie die Fahndung nach uns nicht auf die Reihe. Es vergehen mindestens vier Wochen, bis unsere Steckbriefe überall in Texas angeschlagen sind. Und bis dahin sind wir über alle Berge."

"Das ist ein Trugschluss!", ertönte es klirrend. "Hier ist nämlich euer Trail zu Ende. Anhalten und Hände in die Höhe. Vorwärts, ihr dreckigen Mörder! Ich sage das nur einmal."

Die Banditen parierten erschreckt die Pferde. Automatisch zuckten ihre Hände zu den Waffen. Ein Schuss peitschte. Die Kugel pfiff über ihre Köpfe hinweg. Sie erstarrten. Das trockene Geräusch des Repetierens folgte dem Knall.

"Wer bist du?", fragte Jesse Dalton, als er seine Überraschung abgeschüttelt hatte.

"Jonathan Randall."

"Wer hat dir auf's Pferd geholfen?", fragte Dalton lachend. "Als ich dich das letzte Mal sah, warst du nur ein wimmernder Haufen Elend."

Jonathan trat hinter einem Felsblock hervor, der auf halber Höhe eines Hanges aus dem Boden ragte. Er hielt das Gewehr an der Hüfte im Anschlag. Der Zeigefinder seiner Rechten lag um den Abzug. "Hände hoch und absitzen. Das geht schon mit erhobenen Händen. Vorwärts. Und keine krummen Gedanken. Ich werde nicht zögern..."

Die Banditen hoben die Hände in Schulterhöhe. Dann ließen sie sich von den Pferden gleiten. Und diese Chance nutzten sie. Sie rissen die Revolver heraus und begannen auf Jonathan zu feuern. Aber der war darauf gefasst. Keinen Moment lang hatte er daran geglaubt, dass sich die fünf Kerle ohne Widerstand festnehmen ließen. Er war nicht nur darauf gefasst, er hatte sogar darauf gewartet, dass sie nach den Revolvern griffen.

Und jetzt feuerte er aus der Hüfte. Er machte sich nicht die Mühe, genau zu zielen. Er feuerte einfach in den Pulk aus Pferden und Männern hinein. Ein heilloses Durcheinander entstand. Zwei Pferde brachen zusammen. Gewieher und Geschrei erhob sich und vermischte sich mit dem Dröhnen der Waffen. Im Handumdrehen wälzte sich ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde- und Menschenleiber am Boden.

Price Sherman bekam sein Pferd frei und drosch dem Tier die Sporen in die Seiten. Das Pferd vollführte einige Bocksprünge, und Sherman hatte Mühe, sich im Sattel zu behaupten. Dann aber stob es voll Panik davon. Die Hufe schienen kaum den Boden zu berühren.

Ein Pferd kam hoch, es stieg auf die Hinterhand. Die Vorderhufe vollführten einen Trommelwirbel durch die Luft. Jesse Dalton kniete am Boden und schoss. Jetzt schnellte er auf die Beine und griff nach dem Sattelhorn. Die Vorderhufe des Pferdes krachten auf die Erde zurück. Dalton stieß einen schrillen Schrei aus. Das Tier streckte sich aus dem Stand. Dalton wurde mitgerissen. Er stieß sich ab und landete im Sattel...

Jim Snyders Pferd war tot. Sein linker Oberarm war durchschossen. Er ignorierte den Schmerz. Der Selbsterhaltungstrieb peitschte ihn vorwärts. Der Bandit rannte in die Deckung eines Felsens. Die Zeit, sein Gewehr aus dem Scabbard zu ziehen und mitzunehmen, hatte er nicht gefunden.

Plötzlich war der Spuk vorbei. Nur noch der ferne Hufschlag, den die Pferde Jesse Daltons und Shermans verursachten, war zu vernehmen. Aber bald versank auch dieses Geräusch in der Lautlosigkeit.

Jesse Dalton und Price Sherman waren auf ihren Pferden zwischen den Hügeln verschwunden. Zwei Pferde lagen am Boden und rührten sich nicht mehr. Ein drittes war ein Stück zur Seite gelaufen und spielte nervös mit den Ohren.

Steve Dalton lag still. Seine gebrochenen Augen starrten zum Himmel hinauf.

Der rattenhafte Hank Dodson wimmerte leise und drückte die linke Hand auf seine zerschossene Schulter. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.

Jim Snyder lauerte hinter dem Felsen. Seine Chance, Jonathan Randall zu entkommen, war gleich Null. Das Pferd, das etwas abseits stehen geblieben war, konnte er nicht erreichen, ohne von Jonathans Kugeln getroffen zu werden.

"Gib auf, Bandit!", rief Jonathan.

"Niemals! Du musst schon kommen und mich holen, Randall. Solange ich eine Patrone im Colt habe, wird dir das allerdings nicht gelingen."

Jonathan gab einen Schuss ab. Die Kugel klatschte gegen den Felsen, hinter dem Snyder steckte, wurde abgefälscht und quarrte als Querschläger zum Himmel. "Dein Freund ist verwundet", rief Jonathan, als sich das letzte Echo des Knalls verflüchtigt hatte. "Er verblutet, wenn er keine Hilfe bekommt. Heh, wer bist du überhaupt? Einer der Daltons? Oder Dodson? Oder vielleicht..."

"Ich bin Jim Snyder. Was interessiert mich Dodson. Von mir aus geht er vor die Hunde. Mich überredest du jedenfalls nicht zur Aufgabe."

"Dann komme ich dich holen, Snyder", versprach Jonathan.

Er schnellte hinter der Deckung hervor und rannte einige Schritte hangabwärts, warf sich in die Deckung eines dichten Strauches und kroch sofort ein Stück zur Seite. Snyder feuerte wie besessen. Seine Kugeln pfiffen durch das Gebüsch. Zweige und Laub segelten zu Boden. Und dann schlug der Hammer auf eine leere Patrone.

Jonathan kam hoch und rannte los.

Snyder schaffte es nicht, den Revolver nachzuladen. Er hatte die Trommel herausgeklappt und die Hülsen herausgeschüttelt. Als er die zweite Patrone in die Kammer schob, kam Jonathan Randall um den Felsen herum. "Lass fallen, Bandit!"

Snyder starrte in die Mündung der Winchester. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Seine Hände öffneten sich. Der Revolver und eine Patrone fielen auf den Boden. "Ich – ich bin verwundet", entrang es sich dem Banditen. "Der linke Arm..."

"Daran gehst du nicht zu Grunde. Hoch mit dir. Ich werde dich und deinen Kumpan nach Garden City bringen. Ich hoffe für euch, dass es dort einen Arzt gibt, der euch für den Galgen zusammenflickt."

"Wieso für den Galgen?", fragte Snyder.

"Der Sheriff ist an euren Kugeln gestorben. Es war Mord. Und auf Mord steht der Strick."

Jim Snyder wurde blass.

Jonathan verband die beiden Banditen, so gut es ging. Dann begrub er Steve Dalton unter einem Haufen von Steinen, die er zusammentrug. Da für Dodson und Snyder nur noch ein Pferd vorhanden war, mussten sie beide auf das Tier steigen. Jonathan hatte darauf verzichtet, die beiden zu fesseln. Er hatte ihnen die Revolver weggenommen, und das Gewehr das im Scabbard am Sattel des Tieres steckte, das die beiden ritten, hatte er in seine Deckenrolle geschoben.

Vor allem von Dodson, dessen rechte Schulter zerschossen war, ging keine Gefahr aus.

Die beiden Banditen ritten vor Jonathan.

Nach einer halben Stunde etwa erreichten sie Garden City. Es gab keinen Arzt in dem kleinen Ort. Und auch kein Gefängnis. Also blieb Jonathan nichts anderes übrig, als die beiden Banditen nach Sterling City zurückzubringen...

*

Sheriff Grat Seymour starrte aus engen Augenschlitzen über das windige Plateau hinweg. Um ihn herum standen die Reiter des Aufgebotes. Der Wind trieb Staubspiralen über die Ebene. Nach Südwesten zu war das Plateau von einer Felswand begrenzt. Im Westen und Süden buckelten Hügel und Felsen.

"Wir haben sie verloren", knurrte einer der Männer. "Auf dem steinigen Untergrund gibt es sicherlich auch keine Spuren. Ich schätze, Grat, wir müssen umkehren."

Seymour nickte. "Kehrt um Leute. Miller braucht ärztliche Hilfe. Begrabt die beiden Banditen, ehe ihr zurückreitet."

"Du willst nicht mit uns kommen?

"Ich versuche, die Spur der Schufte aufzunehmen. Sie dürfen nicht ungeschoren wegkommen. Dieser Calem Gibson ist schlimmer als ein wildes Tier. Es wird Zeit, dass ihm jemand das Handwerk legt."

"Deine Vollmachten enden an der Countygrenze", gab einer der Männer aus Abilene zu bedenken.

"Wenn es darum geht, diesen Banditen aus dem Verkehr zu ziehen, bin ich sogar bereit, an der Grenze meinen Stern in die Tasche zu stecken und als Privatmann seiner Fährte zu folgen."

"Mit den beiden Schuften ist nicht zu spaßen", wandte ein anderer der Männer ein. Sie bildeten einen Kreis um Grat Seymour. "Das haben Sie bewiesen, als sie in der Schlucht auf uns warteten."

"Mein Entschluss steht fest", knurrte der Sheriff. "Ich reite weiter. Macht euch keine Gedanken meinetwegen. Ich kann schon auf mich aufpassen." Seymour zeigte ein kantiges Grinsen. "Sicher rechnen die beiden nicht mehr mit Verfolgung. Umso längere Gesichter werden sie machen, wenn ich plötzlich vor ihnen stehe."

"Na schön, dann reiten wir zurück. Hals- und Beinbruch, Grat. Komm gesund nach Abilene zurück."

"Ich werde mir alle Mühe geben."

Der Pulk stieg den Steilhang hinunter. Auch Sheriff Grat Seymour. Unten schwangen sich die Männer des Aufgebotes auf ihre Pferde, dann ritten sie davon. Einige hoben in Richtung des Sheriffs die Hand zum Gruß.

Seymour blickte ihnen hinterher, bis sie zwischen den Hügeln verschwunden waren. Dann nahm er sein Pferd am Zügel und führte es den Steilhang hinauf...

*

Jesse Dalton und Price Sherman hatten zwischen den Hügeln ihre Pferde zurück gerissen. "Dieser verdammte Hund!", knirschte Dalton. "Die Hölle verschlinge ihn."

"Daraus wird wohl nichts", versetzte Sherman. "Ich denke viel eher, dass dieser Hurensohn einen Pakt mit dem Satan geschlossen hat. Wo ist er auf einmal hergekommen?"

"Er hat uns überholt, ganz einfach. In Garden City hat er erfahren, dass wir noch nicht durchgeritten sind, uns so konnte er sich an fünf Fingern abzählen, dass wir noch aufkreuzen würden. Er brauchte nur auf uns zu warten."

"Es war falsch, ihn nur zu verprügeln", presste Sherman hervor. "Wir hätten ihm eine Kugel in den Schädel knallen sollen. Was wird aus Dodson, Snyder und deinem Bruder geworden sein?"

"Das finden wir nur heraus, wenn wir zurückreiten." Dalton trieb sein Pferd einen Abhang hinauf. Von der Kuppe aus blickte er in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Fährte, die sie hinterlassen hatten, zog sich wie ein schwarzer Strich durch das verstaubte Gras. Niemand kam auf ihrer Spur. Irgendetwas musste Jonathan Randall aufgehalten haben.

Sherman war Dalton auf den Hügel gefolgt. "Vielleicht sind nicht alle tot und Randall bringt sie nach Garden City."

Sie ritten auf ihrer Spur zurück. Jeder der beiden war hellwach und auf blitzschnelle Reaktion eingestellt. Jeder ihrer Sinne war aktiviert. Ihre Augen waren unablässig in Bewegung. Doch sie blieben ungeschoren und erreichten den Platz, an dem Jonathan Randall sie gestellt hatte. Das Gras war hier niedergetreten. Zwei leblose Pferde lagen am Boden. Ein flacher Hügel aus Steinen zeigte an, wo Jonathan den toten Banditen begraben hatte.

Dalton und Sherman saßen ab, nahmen einige Steine von dem Grabhügel und wussten schließlich, wen Randall hier begraben hatte.

"Bruder", flüsterte Jesse Dalton heiser. "Steve, großer Gott!" Er fuhr sich mit der linken Hand über die Augen, als wollte er das Bild, das sich ihm bot, wegwischen. Dann starrte er wieder in das leblose Gesicht seines Bruders. Und jäher Hass veränderte sein Gesicht zu einer Fratze des Bösen. In seinen Augen glomm ein böses Licht. "Dafür werde ich Randall eine blutige Rechnung präsentieren, Steve", knirschte er zwischen den Zähnen. "Ich lasse deinen Tod nicht ungesühnt."

"Wie es aussieht, leben Snyder und Dodson", stellte Price Sherman fest. "Womöglich sind sie verwundet."

"Randall hat meinen kleinen Bruder getötet", grollte Jesse Dalton. Hass und Rachsucht irrlichterten in seinen Augen. "Dafür werde ich ihn töten. Ich werde ihn für Steves Tod zur Rechenschaft ziehen."

Es klang wie ein Schwur.

Sie ritten weiter auf ihrer Spur zurück.

Nach einer halben Stunde etwa tauchte Garden City vor ihnen auf. "Ich schleiche mich in die Stadt und erkundige mich", erklärte Jesse Dalton. "Du wartest hier."

Er rutschte vom Pferd, reichte Sherman die Zügel und zog sein Gewehr aus dem Scabbard. Dann lief er davon. Sherman saß ab und leinte die beiden Pferde an einen Strauch. Dann drehte er sich eine Zigarette, zündete sie an und setzte sich auf den Boden...

Dalton erreichte den Mietstall von der Rückseite. Einige Pferde standen im Corral hinter dem Stall. Dalton stieg über das Gatter, durchquerte den Corral und lief durch das rückwärtige Tor ins Stallinnere. Der Stallmann striegelte auf dem Mittelgang ein Pferd. Er hielt inne und richtete sich auf. Ein Schatten lief über sein Gesicht, als er den Banditen erkannte. Die Angst griff mit knöcherner Klaue nach ihm.

Dalton richtete wortlos das Gewehr auf den Stallburschen und repetierte.

"Nicht schießen", entrang es sich entsetzt dem Stallmann.

"Hast du gewusst, dass Randall außerhalb der Stadt auf uns wartet?" Daltons Stimme klang drohend. Als der Stallmann den Mund zu einer Erwiderung öffnete, winkte er ungeduldig ab. Der Bandit gab sich die Antwort auf seine Frage selbst. "Du hast es gewusst, denn der Hundesohn hat sicherlich in der Stadt Erkundigungen nach uns eingezogen."

"Ich – ich hatte keine Ahnung", beteuerte der Stallmann händeringend. "Ich sah Randall zum ersten Mal, als er mit zwei Gefangenen in die Stadt kam und sich nach einem Arzt erkundigte." Glatt kam die Lüge über die Lippen des Stallburschen. Die Angst ließ ihn schauspielerische Qualitäten entfalten.

"Sind die beiden verwundet?"

"Einer hat eine Kugel in der Schulter, der andere im linken Oberarm. Dieser Randall trug einen Sheriffstern..."

"Sprach er etwas?"

"Ja. Er sagte, dass die beiden reif seien für den Henker, da sie den Sheriff von Sterling City erschossen hatten."

"Waren das seine Worte? Sagte er tatsächlich erschossen?"

"Ja."

Dalton schluckte hart. "Befindet sich Randall noch in der Stadt?"

"Nein. Er ritt sofort weiter, als er erfuhr, dass wir in Garden City keinen Doc haben. Er will die beiden Gefangenen nach Sterling City zurückbringen."

Dalton verließ den Mietstall auf dem selben Weg wieder, auf dem er ihn betreten hatte. Wenige Minuten später langte er bei Sherman an. Dieser erhob sich. Dalton sagte: "Dodson und Snyder sind verwundet. Randall bringt die beiden nach Sterling City." Dalton atmete tief durch, ehe er fortfuhr: "Jack McBrian, der Sheriff, scheint gestorben zu sein. Randall sprach vom Mord an dem Sheriff und dass Dodson und Snyder dafür gehängt werden würden."

"O verdammt! Das heißt, dass man uns als Sheriffsmörder jagen wird." Price Sherman machte ein Gesicht, als hätte er einen Kaktus verschluckt. "Ich bin dafür, dass wir uns absetzen. Deinen Bruder kannst du nicht wieder lebendig machen. Was Dodson und Snyder anbetrifft – die beiden haben eben Pech gehabt."

Doch Jesse Dalton schüttelte den Kopf. "Nein. Wir folgen Randall und schicken ihn in die Hölle. Der Tod meines kleinen Bruders darf nicht ungesühnt bleiben."

Tödliche Leidenschaft hatte in seinem Tonfall gelegen. Besessenheit funkelte in seinen Augen. Sherman begriff, dass Jesse Dalton nicht umzustimmen war. Hass auf Jonathan Randall bestimmte sein Denken und Handeln.

*

Es wurde Abend. Der Abendsonnenschein legte einen rötlichen Schimmer auf das Land. Die Schatten verblassten. Bis Sterling City waren es noch fünf Meilen.

"Ich kann nicht mehr", rief Hank Dodson. Schweiß rann über sein Gesicht und zog helle Spuren in die dünne Staubschicht, die es puderte. "Der Schmerz in meiner Schulter bringt mich um den Verstand. Warum legst du keine Pause ein, Randall?"

Jonathan parierte das Pferd. "In Ordnung", sagte er. "Eine Stunde."

Er schwang sich vom Pferd und führte das Tier zum Fluss.

Jim Snyder und Hank Dodson saßen ebenfalls ab. Dodsons rechter Arm lag in einer Schlinge. Der Schmerz schien die Linien und Furchen in seinem Gesicht vertieft zu haben. Dodson ging auf sattelsteifen Beinen zum Ufer des North Concho Rivers und ließ sich auf die Knie nieder. Er schöpfte mit der Linken Wasser und wusch sich Staub und Schweiß aus dem Gesicht. Er stöhnte.

Snyder führte das Pferd zum Wasser. Zwei Schritte neben ihm befand sich Jonathan.

"Du hast Jesse Daltons kleinen Bruder getötet, Randall", sagte Snyder. "Er wird das nicht schlucken. Jesse wird nicht eher ruhen, bis du in der Hölle schmorst."

"Das heißt also, dass ich ihm nicht mehr zu folgen brauche, weil er freiwillig kommt", versetzte Jonathan unbeeindruckt. "Das erspart mir viele Meilen auf dem Pferderücken."

Das Pferd, das Snyder am Zügel führte, tauchte seine Nüstern in das Wasser und begann zu saufen. Snyders linker Arm hing schlaff von der Schulter. Die Kugel hatte ihn glatt durchschlagen. Es handelte sich um eine harmlose, wenn auch stark blutende Fleischwunde. Der Schmerz, den sie ausstrahlte, war erträglich.

Snyder beobachtete Jonathan aus den Augenwinkeln, einen heimtückischen Ausdruck im Blick. Er wartete nur auf eine günstige Chance. Er, Dodson und Sherman hatten auf den Sheriff geschossen. Snyder wusste, was ihn erwartete, nachdem der Sheriff gestorben war. Randall hatte keinen Zweifel daran aufkommen lassen.

Wenn seine Worte eben, wonach Jesse Dalton blutige Rache üben würde, ziemlich überzeugend gekommen waren – ein Rest Unsicherheit war vorhanden. Der Bandit vertraute nicht 100-prozentig darauf, dass Dalton und Sherman ihnen folgten, um Randall zur Rechenschaft zu ziehen und sie – ihn und Dodson -, zu befreien.

Jonathan Randall war auf das linke Knie niedergegangen und schöpfte mit den zusammengelegten Händen Wasser, um sich das Gesicht zu waschen. Zwischen ihm und dem Banditen befand sich Jonathans Pferd. Jonathan warf sich die beiden Hände voll Wasser ins Gesicht. Er prustete.

Snyder entging nicht, dass Jonathan einen Augenblick nicht aufpasste. Mit zwei schnellen Schritten war er bei Jonathans Pferd, mit einem Ruck zog er die Winchester aus der Deckenrolle, die vier Finger seiner Rechten schoben sich in den Ladebügel...

Jonathan hörte das Knacken, als der Bandit repetierte und handelte ansatzlos. Er hechtete unter dem Leib des Pferdes hindurch und packte Snyders Beine mit beiden Händen. Ein wilder Ruck. Snyder brüllte auf. Er verlor das Gleichgewicht. Der Schuss löste sich, doch die Kugel pfiff schräg zum Himmel. Dann krachte Snyder auf den Rücken. Er brüllte einen Fluch hinaus und riss am Ladebügel.

Jonathan kam auf die Knie hoch. Mit beiden Händen packte er das Gewehr und versuchte, es Snyder zu entreißen. Doch da glitt Dodson heran. Sein Bein schnellte vor, sein gemeiner Tritt traf Jonathan in die Seite und warf ihn um. Er krümmte sich vor Schmerz. Die Luft war ihm aus den Lungen gedrückt worden. Es war ihm fast nicht möglich, seine körperliche Not schnell genug zu überwinden. Aber sein Verstand arbeitete scharf und klar, und er sagte ihm, dass er hier tot zurückbleiben würde, wenn es ihm nicht gelang, die beiden Banditen zu überwältigen.

Jonathan griff zum Revolver. Aber das Holster war leer. Der Colt war aus dem Futteral gerutscht und lag am Boden. Jonathan rollte herum, sein Oberkörper ruckte hoch. Da traf ihn Snyder mit dem Gewehr. Der Lauf knallte von der Seite her gegen Jonathans Kopf. Vor Jonathans Augen schien die Welt zu explodieren. Sekundenlang sah er nur feurige Blitze. Er lag auf dem Rücken. Instinktiv rollte er sich herum. Ein Schuss krachte. Dort, wo Jonathan eben noch gelegten hatte, pflügte die Kugel das Erdreich.

Der Blick Jonathans wurde wieder klar. Er wälzte sich erneut herum und spürte etwas Hartes unter seinem Körper. Es war der Colt. Noch einmal warf sich Jonathan herum. Wieder peitschte das Gewehr. Jonathan spürte den sengenden Hauch der Kugel auf seinen Rippen. Die Kugel hatte Weste und Hemd durchschlagen und zog ihm einen blutigen Striemen über die Seite. Es war ein brennender Schmerz wie von einem Peitschenhieb. Doch dann hielt Jonathan den Colt in der Faust. Ihn hochreißen, spannen und abdrücken waren ein einziger, fließender Bewegungsablauf.

Dumpf wummerte der Revolver.

Snyder wurde halb herumgerissen. Er brach auf das rechte Knie nieder. Sein Gesicht hatte sich auf erschreckende Art verändert. Schmerz und Angst verzerrten es. Dennoch brachte er den Willen auf, Dodson das Gewehr zuzuwerfen. Doch Dodson war darauf nicht vorbereitet. Und so reagierte er zu spät. Die Waffe klirrte auf den Boden. Als sich Dodson danach bücken wollte, peitschte Jonathans Stimme: "Rühr dich nicht, Bandit!" Das Knacken des Colthahns unterstrich diese Aufforderung.

Snyder war zusammengesunken. Er lag auf der Seite. Seine Beine zuckten unkontrolliert. Sein Atem ging rasselnd. Er presste beide Hände gegen den Leib.

Hank Dodson war mitten in der Bewegung erstarrt. Er stand da wie versteinert. Seine Rechte hatte sich wie zu einer Klaue verformt und hing zehn Zoll über dem Gewehr, das am Boden lag.

Jonathan kam hoch. Die Streifschusswunde brannte. Dort, wo ihn Dodsons Fuß getroffen hatte, ballte sich der Schmerz und pulsierte bis unter seine Hirnschale. Wahrscheinlich waren einige Rippen angebrochen. Jonathan ging um Dodson herum, drückte ihm die Revolvermündung gegen die Wirbelsäule und stieß mit gepresster Stimme hervor: "Weg von dem Gewehr! Mach schon, bevor ich dein Zögern falsch deute."

Dodson richtete sich auf und machte zwei Schritte nach vorn.

Jonathan hob die Winchester auf. Dann glitt er von hinten an Dodson heran, wirbelt das Gewehr herum und schlug zu. Wie vom Blitz getroffen brach der Bandit zusammen.

Jonathan holsterte den Revolver und schob das Gewehr wieder in seine Deckenrolle. Dann nahm er eine dünne Lederschnur aus der Satteltasche und fesselt Dodsons Hände auf den Rücken. Er ging nicht gerade zimperlich mit dem Banditen um.

Die Sonne versank hinter den Horizont im Westen. Wolkenfetzen, deren Ränder zu glühen schienen, begleiteten den Sonnenuntergang. Der Himmel färbte sich purpurn.

Snyder lag da und wimmerte. Jonathan ging zu ihm hin und drehte ihn auf die Seite. Seine Kugel hatte Snyder in den Bauch getroffen. Die Zeit, um genau zu zielen, hatte ihm der Bandit nicht gelassen. Snyder musste schnellstens in ärztliche Behandlung.

Fünf Meilen bis Sterling City! Jonathan überlegte nicht lange, schwang sich auf sein Pferd und trieb es an. Er ließ das Tier galoppieren.

Jonathan schonte das Pferd nicht. Und er benötigte nur 20 Minuten, um in die Sadt zu gelangen. Er stob die Main Street hinunter, bog in die Gasse ein, in dem das Haus des Arztes war und sprang vor dem Haus aus dem Sattel. Jonathan lief durch den Vorgarten und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Es dauerte nicht lange, dann ging die Haustür auf und der Doc erschien in ihrem Rahmen.

"Fünf Meilen vor der Stadt liegt ein Mann mit einem Bauchschuss", stieß Jonathan hervor. "Sie müssen sofort kommen, Doc."

"Im Hof steht mein Buggy", sagte der Arzt. "Spannen Sie mein Pferd davor..." Der Doc machte kehrt.

Jonathan lief um das Haus herum. Der Buggy stand unter einem Vordach beim Schuppen. Das Verdeck war zurückgeklappt. Jonathan lief in den Stall und führte das Pferd ins Freie. Da kam auch schon der Arzt. Er trug eine schwarze Ledertasche mit sich.

Jonathan arbeitete schnell. Jeder Handgriff saß. Dann stand das Pferd im Geschirr. Der Arzt warf die Tasche in den Buggy, stieg ein und griff nach den Zügeln. "Reiten Sie voraus, Randall", gebot der Doc.

Jonathan rannte los und holte sein Pferd...

*

"Er kommt", knirschte Jesse Dalton. "In seiner Begleitung befindet sich der Arzt von Sterling City.

Die beiden Banditen waren vor wenigen Minuten auf Hank Dodson und Jim Snyder gestoßen. Dodson, der wieder zu sich gekommen war, hatte ihnen erzählt, was sich zugetragen hatte. Dalton und Sherman verschanzten sich auf einem Hügel. Sie hatten alles so gelassen, wie sie es vorgefunden hatten. Und nun sahen sie den Buggy und den Reiter.

Die Dunkelheit war schon fortgeschritten. Die Schatten waren verblasst. Der Himmel im Westen hatte sich violett verfärbt. Dalton hob das Gewehr an die Schulter. Über Kimme und Korn ruhte sein kaltes Auge auf Jonathan. Langsam krümmte er den Finger. Als der Abzug den Druckpunkt erreichte, staute Dalton den Atem. Dann zog er durch.

Jonathan erhielt einen fürchterlichen Schlag gegen die Brust. Du Wucht der Kugel ließ seinen Oberkörper zurückpendeln. Im letzten Moment griff er nach dem Sattelhorn und es gelang ihm, sich wieder in sicheren Sitz zu ziehen. Als es erneut aufpeitschte, zerrte er schon sein Pferd herum und trieb es an. Die zweite Kugel ging fehl.

Doc Haines hatte angehalten. Der Knall wurde über ihn hinweggeschleudert. Sein Blick glitt über den Hügel, auf dem die Schüsse gefallen waren. Dann schaute er Jonathan Randall hinterher, der zwischen die Hügel stob. Er saß nach vorne gekrümmt auf dem Pferd. Der Doc konnte keinen klaren Gedanken fassten. Sein Kopf zuckte wieder herum, sein Blick tastete sich über den Kamm der Anhöhe hinweg.

Zwei Reiter trieben ihre Pferde auf den Scheitelpunkt des Hügels und lenkten die Tiere hangabwärts. Sie stoben näher. Bei Doc Haines zerrten sie die Pferde in den Stand. Sie hielten ihre Waffen in den Fäusten. Jesse Dalton sagte: "Kümmern Sie sich um unsere beiden Freunde, Doc. Bringen Sie sie in die Stadt. Wir werden nach Sterling City kommen, sobald wir Randall zum Teufel geschickt haben. Ich hoffe, Sie geben sich alle Mühe mit unseren Freunden."

"Ich habe einen Eid geleistet", erklärte der Doc und brachte mit alles zum Ausdruck, was es für ihn zu sagen gab.

Die beiden Banditen trieben wieder ihre Tiere an...

Jonathan zügelte. Die Kugel hatte ihn unterhalb des Schlüsselbeins in die linke Schulter getroffen. Die Wunde blutete stark. Der Schmerz war nahezu unerträglich. Benommenheit brandete gegen Jonathans Bewusstsein an. Er knüpfte sein Halstuch auf, schob es unter das Hemd und presste es auf die Wunde.

Plötzlich vernahm er das Pochen von Hufen. Jonathan ahnte, dass Jesse Dalton und Price Sherman zurückgekommen waren, um ihre Kumpane zu befreien und ihn zu töten. Er hatte Jesse Daltons jüngeren Bruder erschossen. Jesse Dalton wollte Rache...

Jonathan ritt weiter. Mit der Verwundung hatte er den Banditen nichts entgegen zu setzen. Er war nur halbwertig. Sie aber waren mit allen schmutzigen Wassern gewaschen und kannten keine Skrupel.

Die Dunkelheit nahm zu. Immer wieder hielt Jonathan an, um hinter sich zu horchen. Manchmal war nichts zu hören, doch dann sickerte wieder Hufschlag heran und Jonathan wusste, dass die beiden Banditen ihn verfolgte. Dann sah Jonathan weit vor sich einige Lichter der Stadt. Er ritt nach Süden. In der Stadt war er nicht sicher. Jonathan überquerte den North Concho River und wandte sich dem Flussverlauf entsprechend nach Südosten. Sein Ziel war die Water Valley Ranch John Watsons. Watson würde ihm helfen. Auf der Ranch war er in Sicherheit...

Jonathan verlor Blut. Wie flüssiges Blei kroch die Schwäche durch seinen Körper. Ein eiserner Wille hielt ihn im Sattel. Als er die Ranch erreichte, war es stockfinster. Aus zwei Fenstern des Haupthauses fiel Licht, ebenso aus den Fenstern der Mannschaftsunterkunft. Das Pferd trug Jonathans bis zum Holm beim Haupthaus. Doch saß er ab. Seine Knie waren butterweich, seine Beine wollten ihn kaum noch tragen.

Jonathan stieg die vier Stufen zur Veranda hinauf. Er musste sich am Geländer festhalten. Ihm wurde es schwindlig. Er schloss die Augen, sammelte sich, konnte sich überwinden und ging weiter. Die Haustür war von innen verriegelt. Jonathan schlug mit der Faust dagegen. Dumpf hallten die Schläge durch das Haus. Dann schepperte innen der Riegel, die Haustür ging auf, Jonathan wurde vom Licht einer Laterne übergossen. Geblendet schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er John Watson vor sich.

Dem Rancher entging nicht der üble Zustand, in dem sich Jonathan befand. Er sah das Blut, das Jonathans Hemd getränkt hatte und ihm entfuhr es: "Großer Gott, Jonathan! Was ist geschehen?"

Jonathan taumelte an ihm vorbei in die Halle der Ranch. In einem der Sessel saß Lesley. Sie erhob sich, ihr Blick hatte sich an Jonathan verkrallt. "Jonathan!" Sie kam auf ihn zu. Tiefes Erschrecken prägte ihre ebenmäßigen Züge.

John Watson hatte die Tür geschlossen und wandte sich Jonathan zu. Dieser setzte sich in einen der Sessel. Ein gequälter Laut entrang sich ihm. Er räusperte sich, musste zweimal ansetzen, dann sagte er: "Es waren Links Freunde. Ich habe sie verfolgt. Zwei von ihnen verwundete ich. Ich holte Doc Haines. Als ich zurückkehrte, ritt ich in ihren Hinterhalt. Ich – ich wusste nicht wohin." Jonathans Stimme war nur noch ein heiseres Gekrächze.

"Du hast gut daran getan, zu uns zu kommen", stieß John Watson hervor. "Wirst du verfolgt?"

"Keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob ich die Schufte abgehängt habe. Du solltest vielleicht Wachen aufstellen, John. Es ist nicht auszuschließen, dass sie hinter mir her sind. Schließlich habe ich Jesse Daltons jüngeren Bruder erschossen."

"Wie kommst du zu dem Stern?"

Jonathan erzählte es mit knappen Worten. "Ringo vertritt mich in der Stadt", endete Jonathan. "Vom Friedensrichter weiß ich, dass seine Kanzlei nicht gerade ertragreich ist. Ich denke, dass sich Ringo der Wahl zum Sheriff im Sterling County stellt."

"Was ist mit deiner Schulter?", fragte Lesley.

"Die Kugel steckt drin. Du – du musst sie mir heraus holen, Lesley." Jonathan schaute John Watson an. "Kann ich ein paar Tage auf der Ranch bleiben? Bloß so lange, bis ich wieder in den Sattel klettern kann."

"Ich lasse den Doc aus Sterling City holen", knurrte John Watson. "Der soll sich um dich kümmern. Natürlich kannst du auf der Ranch bleiben, und zwar so lange du willst. Du bist unser Gast. Fühl dich wie Zuhause hier."

Lesley nickte zu den Worten ihres Vaters.

"Nicht den Doc", murmelte Jonathan. "Wenn die Schufte meine Spur verloren haben, begeben sie sich vielleicht nach Sterling City. Dodson und Snyder sind schwer verwundet und der Doc wird sie bei sich zu Hause betreuen müssen. Ihren Kumpanen würde es nicht verborgen bleiben, wenn Haines für einige Stunden die Stadt verließe."

"Im Falle, dass sie sich in die Stadt begeben, wird ihnen Ringo hilflos ausgeliefert sein", sagte Lesley besorgt.

Der Rancher kniff die Lippen zusammen. Dann fragte er skeptisch: "Traust du dir zu, ihm die Kugel herauszuholen, Lesley?" Fragend schaute er seine Tochter an.

"Sie muss raus", versetzte Lesley. "Andernfalls bekommt er Wundbrand. Ich werde es versuchen. Vielleicht sitzt sie gar nicht so tief."

"Vielen Dank, Lesley", murmelte Jonathan. Er lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne des Sessels und schloss die Augen.

"Ich mache mir Sorgen wegen Ringo", sagte die junge Frau.

"Ich schicke einige Männer in die Stadt", erklärte John Watson. "Sie sollen Ringo gegebenenfalls unterstützen."

Der Rancher sagte es und ging zur Tür, öffnete sie und ging nach draußen.

"Es tut mir leid, Lesley", murmelte Jonathan. "Es war Abel Hodts Vorschlag, Ringo als Deputy einzusetzen. Hätte ich gewusst, wie sich alles entwickelt, hatte ich dieses Ansinnen zurückgewiesen."

"Dich trifft keine Schuld, Jonathan", erwiderte Lesley. "Wahrscheinlich war dir Ringo sogar dankbar dafür, dass ihm eine Chance geboten hast, in Sterling City sein Auskommen zu finden."

"Wenn du ihn heiratest..."

Lesleys Gesicht verschloss sich. "Sag nicht, dass er dann ausgesorgt hat, Jonathan. Denn das ist nicht der Fall. Eine Seuche vor zwei Jahren hat den Rinderbestand ziemlich dezimiert. Dad stand dicht vor dem Ruin."

"Dann hat diese Seuche auch den Bestand der Randall Ranch gefährdet?"

"Ja. Dennoch wollte Calem Geld von deinem Vater... Du kennst die Geschichte."

Draußen erklang die Stimme John Watsons.

Dann kam er zurück. "Vier Mann reiten morgen früh in die Stadt. Zwei Männer halten Wache. Sollten die Schufte aufkreuzen, wird es ihnen nicht gelingen, unbemerkt auf die Ranch zu kommen."

"Ich setze Wasser auf", gab Lesley mit resoluter Stimme zu verstehen. "Dad, ich brauche eine Flasche Whisky und ein scharfes Messer mit spitzer Klinge. Du musst mir assistieren..."

*

"Der Bastard ist im Flussbett geritten", stieß Jesse Dalton hervor. "Seine Spur endet hier. Weiß der Henker, wohin er sich gewandt hat."

"Er ist verwundet", versetzte Sherman. "Allzu weit kann er nicht mehr geritten sein. Vielleicht zur Water Valley Ranch." Sherman spuckte aus. "Früher oder später wird er auftauchen. Reiten wir nach Sterling City."

"Warum nicht zur Water Valley Ranch?", schnappte Dalton. "Ich will den Hurensohn tot sehen. Ich möchte auf seinen Kadaver spucken."

"Auf der Ranch findet er mit Sicherheit Unterstützung. Willst du es gegen ein Dutzend Cowboys aufnehmen? Ich nicht. Und das hat nichts mit Feigheit zu tun. Ich bin nur nicht lebensmüde."

"Na schön. Begeben wir uns nach Sterling City."

Die beiden Banditen schlugen den Weg zur Stadt ein. Es war dunkel. Der Mond stand im Osten. Am Himmel funkelten einige Sterne. Wolken waren im Westen aufgezogen. Ein drohender Horizont hatte sich aufgetürmt. Es roch nach Regen. Hin und wieder schoben sich Wolken vor den Mond und verdunkelten ihn.

Eine halbe Stunde später begann es zu regnen. Für kurze Zeit schien der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet zu haben. Es goss wie aus Eimern. Ein bretterharter Wind trieb den Regen vor sich her. Doch dann flaute der Sturm ab und es nieselte nur noch. Die Wolkendecke brach auf, der Mond schickte sein Licht wieder auf die Erde und versilberte die Abhänge und Kuppen.

Die beiden Banditen waren durchnässt, als sie in Sterling City ankamen. Aus dem Saloon drang verworrener Lärm. In das Durcheinander vieler Stimmen mischte sich das Hämmern eines Orchestrions. Der Regen hatte den knöcheltiefen Staub auf der Main Street in Schlamm verwandelt. Pfützen hatten sich gebildet. Unter den Hufen der Pferde schmatzte und gurgelte es.

Dalton und Sherman ritten zum Mietstall. Der Hof hatte sich in ein Morastloch verwandelt. Die beiden zügelten die Pferde und saßen ab. Wasser tropfte von den Dachkanten. Das Stalltor war geschlossen. Sherman zog es auf. Im Stall brannte eine Laterne. Sie hing an einem Nagel, der in einen Haltebalken geschlagen worden war. Es war hier drin wohlig warm. Stallgeruch schlug den Banditen entgegen. Die Tür eines Holzverschlages öffnete sich und der Stallmann trat auf den Mittelgang. Er kannte die beiden Banditen. "Wo kommt ihr denn her bei diesem Sauwetter?", fragte er. "Ich dachte, ihr wärt schon längst aus der Gegend verschwunden, nachdem..." Er brach ab.

"Nachdem was?", blaffte Dalton.

"Nachdem der Sheriff an euren Kugeln gestorben ist. Link Randall hat ihn in die Stadt gebracht. McBrian starb unter den Händen des Arztes."

"Wo ist unser Freund Link?", fragte Dalton. "Er wollte uns nach Westen folgen. Gesehen haben wir ihn aber nicht auf dem Weg hierher." Zwingend musterte der Bandit den Stallmann. Sein Blick übte Druck auf den Oldtimer aus. Er trat von einem Bein auf das andere, knetete seine Hände, bewegte die Lippen, sagte aber nichts.

Jesse Dalton kniff die Augen eng. "Raus mit der Sprache, Alter! Was hat sich zugetragen? Muss ich dir vielleicht auf die Sprünge helfen?"

Der Stallmann schaute fast verzweifelt drein. Er hatte Angst und schalt sich einen verdammten Narren, weil er soviel geredet hatte. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter. "Jonathan Randall hat sich vom Friedensrichter den Stern anstecken lassen..."

"Das wissen wir! Was wurde aus Link?"

"Er – er sitzt im Jail. Jonathan hat die Stadt verlassen. Er sucht euch. Der Friedensrichter hat Ringo Hagan zu Jonathans Stellvertreter ernannt."

"Den Anwalt?"

Der Stallmann nickte. "Link hat im Saloon erzählt, dass Dodson, Snyder und du, Sherman, auf den Sheriff geschossen haben."

"Wollte er mit dieser Behauptung seinen Kopf retten?", knurrte Price Sherman.

"Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat Jonathan geschworen, euch drei zur Rechenschaft zu ziehen. Er ist noch einmal in die Stadt zurückgekehrt, um den Doc zu holen..."

"Und ist er danach noch einmal aufgetaucht?"

"Nein. Nicht dass ich wüsste."

Die beiden Banditen nahmen ihre Gewehre. Dann verließen sie den Stall. Sie begaben sich zum Sheriff's Office. Dort brannte Licht. Die Gardine war innen vor das Fenster gezogen. Die Tür war geschlossen. Ohne anzuklopfen betraten Dalton und Sherman das Büro.

Ringo Hagan saß hinter dem Schreibtisch. Er blätterte in einer Zeitung. Betroffen starrte er die beiden Banditen an. Wasser tropfte aus ihrer Kleidung und am Boden bildeten sich kleine Pfützen. Der Regulator an der Wand tickte monoton.

Hagan erhob sich langsam. Er stemmte sich mit beiden Armen auf die Platte des Schreibtisches und schob das Kinn vor. "Was wollt ihr?"

"Unseren Freund Link Randall. Du wirst ihn aus dem Käfig lassen, Hagan. Solltest du dich weigern, holen wir Link auch ohne dein Zutun raus. Du aber wirst es bereuen."

"Ich kann ihn nicht freilassen", sagte Hagan abgehackt. "Was euch beide anbetrifft, so verhafte ich euch im Namen des Gesetzes. Ich habt Sheriff McBrian erschossen. Das war Mord..." Hagan brach ab und griff nach dem Revolver.

Er war zu langsam. Als er das Eisen im Holster lüftete, blickte er schon in die Mündung von Daltons Schießeisen. "Lass Link raus, Price", stieß der Bandit hervor. "Und du nimm die Hand vom Knauf, Hagan. Oder muss ich dir wirklich erst ein Loch ins Fell brennen?"

Ringo Hagan ließ den Revolver los, als wäre der Griff plötzlich glühend heiß geworden. Das Eisen rutschte ins Holster zurück. Langsam hob Hagan die Hände.

Price Sherman ging an ihm vorbei in den Zellentrakt. Der Zellenschlüssel hing an einem Haken, der in den Türstock der Tür zum Zellenanbau geschlagen war. Sherman nahm ihn. Dann erklang eine Stimme: "Sherman, du!"

"Ich und Jesse. Wir holen dich heraus, Kleiner. Und dann warten wir gemeinsam, dass sich dein Bruder in die Stadt wagt. Er hat Steve Dalton erschossen. Jesse hat blutige Rache geschworen."

Shermann schloss die Tür auf, Link verließ die Zelle. Er ging in das Office. Sherman folgte ihm. "Ich habe es schon gehört, Jesse", sagte Link. "Dein Bruder ist tot, Dodson und Snyder sind verwundet. Hagan hat es mir schon erzählt. Du willst also in der Stadt auf meinen Bruder warten?"

"Ja. Ich verlasse diesen Landstrich erst, wenn er tot ist. – Vorwärts, Hagan. Wir gehen auf die Straße. Ab sofort pfeift diese lausige Stadt nach unserer Pfeife. An dir werden wir ein Exempel statuieren."

Link Randall trat hinter den Deputy, zog ihm den Revolver aus dem Holster und schob das Eisen hinter seinen Hosenbund.

"Was – was wollt ihr..." Die Angst erstickte Hagans Stimme. Sein Atem ging schneller. Seine Lippen zuckten.

"Wir werden dieser Stadt unseren Stempel aufdrücken, Hagan", knurrte Jesse Dalton. "Und jetzt schwing die Hufe nach draußen. Oder müssen wir dich hinausprügeln?"

Ringo Hagan zog den Kopf zwischen die Schultern. Gehetzt schaute er von Dalton auf Sherman und von diesem auf Link. "Wir waren früher mal Freunde, Link..."

Link Randall versetzte Hagan einen derben Stoß. "Ich kann dir nicht helfen, und ich will dir nicht helfen, Ringo. Du hast dich auf die Seite meines Bruders geschlagen. Und der ist unser Feind. Jetzt musst du die Konsequenzen tragen."

Sie trieben Ringo Hagan ins Freie.

"Hol eins der Pferde vor dem Saloon", sagte Dalton zu Sherman. "Nimm eins, an dessen Sattel ein Lasso hängt."

Price Sherman lief schräg über die Straße. Wenig später kam er mit einem Pferd zurück. Er führte es am Kopfgeschirr.

Ringo Hagan zitterte an Leib und Seele. Er verfluchte die Stunde, in der er den Stern genommen hatte.

Dalton stieg auf das Pferd und nahm das Lasso in die Hände. Er warf die Schlinge. Einen Augenblick lang schien sie über Hagan zu stehen, dann senkte sie sich auf ihn herab, ein Ruck und sie zog sich um seine Oberarme zusammen. Das andere Ende des Lassos band Dalton am Sattelknauf fest.

"Bitte", entrang es sich Ringo Hagan. "Ich – ich gebe den Stern zurück. Ich..."

Dalton ritt an. Das Pferd verfiel in Trab. Das Lasso spannte sich. Hagan rannte hinter dem Pferd her. Dalton trieb das Tier in Galopp. Hagan stolperte und wurde von den Beinen gerissen. Dalton zügelte, vollführte eine halbe Körperdrehung und starrte auf Hagan hinunter. Der drückte die Arme auseinander, um die Schlinge zu lockern und sich zu befreien. Aber da trieb Dalton mit einem rasselnden Lachen sein Pferd schon wieder hart an.

Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde Ringo Hagan hinter dem Pferd hergeschleift. Sein Körper hinterließ eine breite Spur im Schlamm. Der raue Untergrund zerfetzte Hagans Kleidung und schürfte seine Haut auf. Hagan brüllte seine Not hinaus.

Ungerührt trieb Jesse Dalton sein Pferd die Straße hinunter. Plötzlich riss er das Tier herum. Er ritt einen weiten Bogen. Die Fliehkraft warf Hagan auf den Rücken. Er verlor einen seiner Schuhe. Er hatte dem Irrsinn brutaler Gewalt nichts entgegen zu setzen.

Ringo Hagan schrie nicht mehr. Nur noch Röcheln und Stöhnen drangen aus seiner Kehle. Die vorbeirasenden Häuser nahm er nur unterbewusst wahr. Über ihm schien der tintige Nachthimmel dahinzuhuschen. Und dann versank die Welt um ihn herum. Eine gnädige Ohnmacht hielt ihn umfangen.

Dalton kam zurück. Er öffnete den Knoten und ließ das Lasso achtlos in den Schmutz fallen. Dann stieg er vom Pferd. "Du kannst den Gaul wieder an den Holm stellen, Price", murmelte er. "Und dann gehen wir in den Saloon."

Er beugte sich über Hagan, drehte ihn auf den Rücken und riss ihm den Stern von der Jacke. Einen Augenblick starrte er auf das Symbol des Gesetzes, dann schleuderte es in den Schmutz. "Ich spucke drauf", knurrte er verächtlich, dann setzte er sich in Bewegung...

Niemand kam auf die Straße, um Hagan zu helfen. Die Stadt stand voll und ganz im Banne des Bösen. Nachdem die drei Banditen den Saloon betreten hatten, wagten sich die Männer dort kaum noch zu atmen. Jeder vermied es, die drei anzusehen, die sich beim Tresen aufgebaut hatten. Im Schankraum war es still. Die Männer der Stadt kuschten vor den Banditen. Keiner wollte sich ihrer wechselhaften Stimmung ausliefern. Sie bestellten Whisky. Der Keeper schenkte ihnen die Gläser voll. Dalton trank einen Schluck, wandte sich um und rief: "Von nun an geben wir den Ton in diesem Nest an. Ich rate keinem, uns herauszufordern. Er würde es bereuen. Jonathan Randall hat meinen kleinen Bruder erschossen. Wir werden die Stadt erst verlassen, wenn Steves Tod gesühnt ist. Solang werdet ihr mit uns auskommen müssen."

Er grinste in die Runde. Seine Haltung war herausfordernd. "Hat jemand etwas dagegen einzuwenden?"

Die Männer zogen die Köpfe ein.

"Dann sind wir uns ja einig", gab Dalton zu verstehen.

*

Ringo Hagan kam zu sich und lag wie betäubt im Schlamm. Wasser durchdrang seine Kleidung. Jede Stelle an seinem Körper schmerzte. Nach und nach stellte sich die Erinnerung ein. Hagan biss die Zähne zusammen, dass der Schmelz knirschte. Dann stemmte er sich hoch. Er kam auf die Beine. Schwankend stand er. Er war von oben bis unten schmutzig. Die Main Street lag wie ausgestorben vor ihm. Wären nicht die Lichter hinter den Fenstern gewesen, hätte bei Hagan der Eindruck entstehen können, sich in einer Geisterstadt zu befinden.

Er schleppte sich in Richtung Mietstall. Seine Zähne schlugen aufeinander. Schwäche und Übelkeit befielen ihn. Er taumelte nach vorn, sank auf die Knie, raffte sich wieder auf...

Mit letzter Kraft schleppte er sich durch die Gasse. Seine Bronchien pfiffen. Eine Woge von Benommenheit spülte ihn hinweg und ebbte dann ab. Schließlich wankte er in den Stall.

"Heiliger Rauch!", rief der Stallmann, als er den Mann sah. Im ersten Moment erkannte er ihn gar nicht. Die Schmutzschicht im Gesicht Hagans wirkte wie eine Maske. "Was hat man mit Ihnen angestellt?"

"Ich bin's, Mathew, Ringo Hagan. Dalton und Sherman haben Randall aus dem Gefängnis befreit. Mich haben sie..." Die Stimme brach, Hagan schluchzte, räusperte sich und fuhr dann mit etwas festerer Stimme fort: "Mich hat Dalton am Lasso hinter einem Pferd hergeschleift. Sattle mir ein Pferd, Mathew. Ich muss zur Water Valley Ranch. Watson muss mir helfen."

"Natürlich, Hagan, ich sattle Ihnen gern ein Pferd. Aber werden Sie es bis zur Ranch schaffen. Sie sehen aus, als würden Sie nach drei Meilen aus dem Sattel fallen."

"Ich muss es schaffen. Es geht nicht nur um mich. Es – es geht um die ganze Stadt. Sie darf nicht dem Terror durch Dalton und seine Handlanger ausgeliefert werden."

Mathew, der Stallbursche, beeilte sich. Dann half er Hagan in den Sattel. Hagan ritt an, verließ den Stall, durchquerte den Hof und ritt hinter den Häusern entlang nach Südosten.

Jeder Schritt des Pferdes bereitete ihm Schmerzen. Es erforderte all seinen Willen, im Sattel zu bleiben. Sein Kinn sank auf die Brust. In seinen Schläfen dröhnte es. Ein milchiger Schleier legte sich über seine Augen, seine Lider wurden schwer wie Blei. Doch schon in der nächsten Sekunde gewann der Durchhaltewille die Oberhand und erfüllte den schwer angeschlagenen Körper mit neuer Kraft.

Irgendwann erreichte er die Ranch. Hagan hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren. Die Gebäude lagen in Dunkelheit. Das Knarren, das das Windrad beim Brunnen verursachte, erfüllte neben dem Säuseln des Windes die Nacht. Die Luft war frisch vom Regen. Die Wolken hatten sich verzogen. In den Wasserpfützen spiegelte sich der Sternenhimmel.

"Halt!" Die Stimme kam aus der Finsternis. Ein Gewehr wurde repetiert. "Wer bist du?"

"Hagan. Ich bin Ringo Hagan. Dalton und Sherman sind nach Sterling City gekommen..." Hagan verlor die Kontrolle über seinen Körper. Langsam kippte er zur Seite, dann fiel er vom Pferd. Hart prallte er am Boden auf.

Der Schemen eines Mannes löste sich aus der Dunkelheit. Er beugte sich über Hagan. Ein zweiter Mann näherte sich. "Wir müssen den Boss aufwecken", sagte er.

"Ja, wecke ihn", stimmte der andere zu. "Was ist seit gestern bloß los in dieser verdammten Ecke? Sieht aus, als müsste der Boss morgen die gesamte Mannschaft nach Sterling City schicken, um dort für klare Verhältnisse zu sorgen."

Der Mann entfernte sich. Der andere zerrte Hagan aus dem Schlamm in die Höhe und führte ihn zur Veranda des Ranchhauses. Ringo Hagan setzte sich auf die Kante. Haltlos baumelte sein Kopf vor der Brust. Er war zu benommen, um Schmerz zu empfinden.Immer wieder glitten die Schatten der Bewusstlosigkeit an ihn heran, doch rissen sie ihn nicht in die Tiefe.

Der Cowboy schlug mit der Faust gegen die Tür des Ranchhauses. Nach einiger Zeit kam John Watson mit einer Laterne in der Hand ins Freie. Die Laterne schaukelte leise quietschend am Drahtbügel. Licht und Schatten wechselten. Die Reflexe zuckten über die Veranda. "Ringo!", stieß der Rancher hervor. "Was ist vorgefallen?"

Hagan berichtete mit schwacher Stimme.

Während er sprach, kam auch Lesley. Sie trug ein knöchellanges, weißes Nachthemd. Ihre roten Haare waren aufgelöst und fielen ihr in weichen Wellen über die Schultern und den Rücken. Nachdem Hagan geendet hatte, sagte John Watson: "Ich kann nicht zulassen, dass diese Kerle die Stadt terrorisieren. Chandler, weck die Männer. Sie sollen sich anziehen. Wir reiten heute noch in die Stadt."

Der Cowboy namens Chandler wollte sich abwenden, um dem Befehl nachzukommen, als eine harte Stimme sagte: "Nein, John. Das ist das Problem des Sheriffs. Und der bin ich. Dalton und Sherman sind tödlicher als Cholera. Und sicher bliebe der eine oder andere deiner Männer auf der Strecke. Das will ich nicht."

Jonathan Randall war unbemerkt von den anderen in die Tür getreten. Er war mit seiner Hose bekleidet. Sein Oberkörper war nackt. Weiß leuchtete der Verband, den ihm Lesley um Schulter und Brust angelegt hatte.

"Was willst du unternehmen, Jonathan?", fragte Watson. "Willst du mit deiner zerschossenen Schulter in die Stadt reiten und dich den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Anders kann man es nicht bezeichnen."

"Du sprichst nur von Dalton und Sherman, Jonathan", sagte Hagan gallig. "Dein Bruder ist vom gleichen Schrot und Korn. Sie haben ihn aus dem Jail geholt. Er hat ohne mit der Wimper zu zucken zugeschaut, als Dalton mich am Lasso hinter dem Pferd her schleifte."

"Du hast Recht, Ringo", murmelte Jonathan. "Ich darf meinen kleinen Bruder nicht außer Acht lassen."

"Ich lasse nicht zu, dass du in deinem Zustand in die Stadt reitest", sagte John Watson mit Nachdruck. "Wenn du nicht umzustimmen bist, dann werden dich zumindest ein halbes Dutzend meiner Männer begleiten. Auch ich werde mit euch reiten."

"Reden wir morgen drüber", erwiderte Jonathan. "Zunächst einmal sollten wir uns um Ringo kümmern."

*

Calem Gibson und James Younger zogen am Waldrand dahin. Das Mondlicht lag auf ihnen. Als es noch hell gewesen war, hatten sie den Reiter bemerkt, der ihnen folgte. Er ließ sich nicht abschütteln.

Dort, wo der Wald endete, wandten sie sich nach links. Das Gelände stieg an. Auf dem von der Sonne hartgebackenen Untergrund pochten die Pferdehufe. Der Wald lag jetzt rechter Hand von ihnen. Das Licht der Nacht reichte nicht aus, um zwischen die Bäume zu dringen. Irgendwo schrie eine Nachteule. Es klang durchdringend und gespenstisch.

Auf der Hügelkuppe erhoben sich eine Gruppe von Felsen aus dem Boden. Comas und Mesquitesträucher wucherten zwischen den haushohen Monumenten, die Wind und Regen im Laufe der Jahrmillionen blank geschliffen hatten.

"Wir machen hier für den Rest der Nacht Rast", gab Calem Gibson zu verstehen. "Allerdings werden wir Wache halten müssen. Ich will nicht im Schlaf von dem Narren überrascht werden, der auf unserer Fährte klebt."

Schnell waren sie sich einig, dass Calem Gibson die erste Wache übernahmen.

Sie trieben die Pferde zwischen die Felsen, saßen ab und lockerten die Sattelgurte. Die Tiere banden sie an einem Strauch fest. Younger schnappte sich die Deckenrolle von seinem Sattel und schüttelte sie neben einem Felsen aus. Gibson kletterte auf einen der Steinklötze und ließ sich im Schneidersitz nieder.

Stille herrschte im nahen Wald und zwischen den Felsen. Der Hang, den sie heraufgeritten waren, lag im vagen Licht des Mondes. Calem Gibsons Augen brannten. Schweiß verklebte seine Poren. Er war müde und konnte sich nicht so richtig konzentrieren.

Immer wieder fragte er sich, wer der einzelne Reiter sein mochte, der ihnen folgte. Dem Aufgebot aus Abilene waren sie entkommen. Davon war Gibson überzeugt. Der einzelne Reiter ging ihm jedoch nicht aus dem Sinn.

Immer wieder drohte der Bandit einzunicken. Gewaltsam hielt er sich wach. Langsam verrann die Zeit. Er erhob sich und stieg vom Felsen. Er musste sich bewegen, um der Erschöpfung Herr zu werden. Er stapfte am Waldrand den Abhang hinunter und beobachtete dort, wo der Wald zu Ende war, das Terrain im Süden.

Weit konnte er in der Nacht nicht schauen. Außerdem behinderten die dunklen, drohend anmutenden Silhouetten der Hügel sein Blickfeld.

Er stieg wieder den Hang empor und umrundete die Felsengruppe. Youngers Schnarchen drang an seine Ohren. Je weiter sich Gibson von den Felsen entfernte, umso leiser wurde es.

Er lehnte sich gegen raues Gestein.

Und plötzlich wehte dumpfes Pochen den Hang herauf. Der Bandit war wie elektrisiert. Hellwach lauschte er. Das Geräusch ertönte aufs Neue. Die Hufe eines einzelnen Pferdes verursachten es. Die Hände Gibsons verkrampften sich um das Gewehr. Er lief um den Felsklotz herum und starrte hangabwärts. Rechts zog sich die schwarze Front des Waldes nach unten.

Das Klopfen der Hufe nahm an Lautstärke zu. Das Klirren einer Gebisskette erklang. Und dann zog der Reiter aus dem Schutz des Waldes in das Blickfeld Gibsons. Warnte ihn sein Instinkt? Verfügte er über einen besonderen Sinn für Gefahr? Er zerrte jedenfalls an den Zügeln und brachte das Pferd zum Stehen.

Der Bandit konnte das Gesicht des Reiters als hellen Fleck erkennen. Das Pferd stampfte auf der Stelle. Und an der Brust des Mannes glaubte Baldwin ein mattes Schimmern wahrzunehmen. Schnell kam er zu der Erkenntnis, dass es der Sheriff von Abilene war, der ihnen nach wie vor auf den Haken saß.

Das Aufgebot war umgekehrt. Der Sheriff aber schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, die Bankräuber und Mörder zu schnappen.

Doch jetzt war er Calem Gibson direkt vor die Mündung geritten. Der Tod begann die Knochenfaust nach ihm auszustrecken...

Grat Seymour starrte den Hang hinauf und sein Blick tastete über die Felsen auf der Kuppe. Gibson konnte er nicht wahrnehmen, denn dessen Gestalt verschmolz mit den riesigen Steinklötzen. Das Pferd unter dem Gesetzesmann prustete und tänzelte auf der Stelle. Der Reiter tätschelte ihm den Hals. "Ruhig, Alter", flüsterte er heiser.

Er zog das Tier herum und wollte es den Abhang hinauftreiben. Diese Bewegung rettete dem Sheriff das Leben. Auf dem Hügel peitschte ein Gewehr. Der Sheriff spürte den Luftzug der Kugel auf seiner Wange. Das Pferd vollführte einen erschreckten Satz.

Zwischen den Felsen blitzte es erneut auf. Die Kugel richtete allerdings keinen Schaden an, denn der Sheriff setzte unerbittlich die Sporen ein und trieb das Tier in den Schutz der Bäume. Pochender Hufschlag verkündet, dass der Sheriff floh.

Der Tod hatte die knöcherne Klaue wieder zurückgezogen...

Gibson rannte den Abhang hinunter. Als er am Fuß des Abhangs ankam, hatte den Reiter die Nacht geschluckt.

Der Bandit rannte wieder nach oben. Younger war aufgewacht. Er hielt das schussbereite Gewehr mit beiden Händen schräg vor seiner Brust.

"Ich habe ihn verfehlt", keuchte Gibson. "Es ist ein Sternschlepper. Wahrscheinlich der Sheriff von Abilene, der uns ohne das Aufgebot gefolgt ist."

"Wir müssen verschwinden", stieß Sherman hervor.

Sie zogen die Sattelgurte straff, Sherman rollte seine Decke zusammen und schnallte sie fest, dann leinten sie die Pferde los und kletterten in die Sättel.

Rastlosigkeit und Unsicherheit trieben sie weiter. Sie ritten mit geschärften Sinnen. Ihnen war klar, dass sie es mit einem entschlossenen und erfahrenen Mann zu tun hatten. Auf sie wartete der Galgen.

"Wir müssen ihn töten", murmelte Gibson. "Nur so kriegen wir vor ihm Ruhe.

"Du hattest ihn vor der Mündung", erwiderte Younger. "Aber leider hast du vorbei geschossen."

Sie ließen die Pferde im Schritt gehen. Unablässig sicherten sie um sich. Die Erfahrung hatte ihnen genügend Lektionen erteilt, so dass sie vorsichtig, wachsam und misstrauisch waren. Vom Mond beschienende Flächen mieden sie und hielten sich in den Schlagschatten der Hügel. Wenn es irgendwo im Gebüsch knackte, fuhren sie zusammen und griffen nach den Waffen.

Ihre Nerven lagen blank.

Doch es geschah nichts, was die Anspannung von ihnen genommen hätte.

*

Vom Scheitel eines Hügels aus sah Calem Gibson den einsamen Reiter weit im Westen.

Die Sonne stand über den Hügeln im Osten. Eine ruhelose Nacht lag hinter Calem Gibson und James Younger. Sie waren ziemlich ausgelaugt und am Ende.

Unten, an der Basis der Erhebung, lagerten sie. Die Pferde knabberten an den Trieben der Büsche, die hier wuchsen. James Younger lag lang ausgestreckt am Boden.

Calem Gibson beobachtete noch eine ganze Weile den Mann, der ihnen unermüdlich folgte. Dann verschwand der Reiter in einer Senke aus seinem Blickfeld. Der Bandit lief den Hang hinunter.

"Der verdammte Bastard reitet nach wie vor auf unserer Spur. Ich dachte, dass wir ihn in der Nacht abgeschüttelt hätten. Aber das war wohl ein Trugschluss. Der Hundesohn ist zäher als Sattelleder."

Younger erhob sich mit hölzernen, linkischen Bewegungen. Der harte Ritt der vergangenen Tage hatte ihn ziemlich mitgenommen und steckte ihm in den Knochen. "Er will es nicht anders", knurrte er. "Diesmal putzen wir ihn ein für alle mal von unserer Spur."

Er holte sein Gewehr.

Die beiden Banditen stiegen den Hang empor. Oben wuchsen sporadisch einige Felsklötze aus der Erde. Sie suchten sich Deckung, luden die Gewehre durch und warteten.

Der Reiter kam wieder in ihr Blickfeld. Er war jetzt schon viel deutlicher auszumachen. Die Metallknöpfe des Zaumzeugs reflektierten das Sonnenlicht. Der Stern an der Weste des Reiter blitzte.

Er dirigierte das Pferd einen Abhang hinunter. Auf dem Grund zwischen den Hügeln und Felsen ritt er weiter. Immer wieder sicherte er um sich.

Dann verschwand er wieder hinter einem der Hügel. Wenig später trieb er sein Pferd über den Kamm. Er hielt an und starrte in die Richtung der Banditen.

War es eine Warnung seines Instinkts, die ihn veranlasste, das Gewehr aus dem Scabbard zu ziehen? Oder hatte er die Banditen wahrgenommen, die auf dem Hügelkamm weit vor ihm hinter hüfthohen Felsen lauerten, um ihm den Garaus zu machen?

Er repetierte und stellte das Gewehr mit der Kolbenplatte auf seinem Oberschenkel ab.

Das Tier stampfte weiter. Unaufhaltsam näherte sich Sheriff Grat Seymour den beiden Outlaws.

Über die Zieleinrichtungen ihrer Gewehre beobachteten sie jede seiner Bewegungen. In ihren Mienen war die kalte Bereitschaft zu lesen, ohne mit der Wimper zu zucken abzudrücken.

Ein lauer Wind strich über die Hügel und kam Grat Seymour entgegen. Sein Pferd spielte mit dem Ohren. Der Wind schien die Witterung seiner Artgenossen hinter der Erhebung heranzutragen. Plötzlich wieherte das Tier.

Seymour riss es nach links und drückte ihm die Sporen in die Weichen. Das Tier streckte sich. Auf dem Hügel peitschten die Gewehre. Pulverdampfwolken zerflatterten über den Felsen. Die Kugeln sengten heran, verfehlten den Sheriff aber.

Er jagte das Tier hinter einen Felsen und sprang aus dem Sattel, rannte um den Felsen herum und erklomm einen Hügel. Aus der Deckung eines turmähnlichen Felsens beobachtete er den Scheitelpunkt der Anhöhe, auf der die Banditen lauerten. Das Blinken von Stahl im Sonnenlicht verriet ihm, dass sie noch da waren.

Im Schutz von Felsen und Büschen arbeitete er sich hangabwärts. Dann war er in der Ebene. Es galt, ein Stück Terrain ohne den geringsten Schutz zu überwinden. Seymour zögerte. Zwanzig Yards etwa, auf denen er den Gewehren der Schufte ausgeliefert war. Schließlich gab er sich einen Ruck. Er hetzte los.

Schon peitschten die Gewehrschüsse in die Senke. Kugeln schlugen neben ihm ein. Eine Kugel riss ihm den Stetson vom Kopf. Eine zupfte an seinem Hemdsärmel. Aufjapsend warf er sich schließlich hinter den Felsen in den Sand und riss das Gewehr hoch.

Er feuerte dreimal. Die Detonationen rollten den Hang hinauf und stießen über die Banditen hinweg. Das Feuer wurde sofort mit wilder Verbissenheit erwidert. Schüsse peitschten und verdichteten sich zu einem einzigen, lauten Knall. Das durchdringende Heulen der Querschläger zog durch das Tal, brüllendes Echo hallte von den Felswänden und Hängen wider.

Dann trat Stille ein.

Grat Seymour lugte über seine Deckung hinweg.

Die nächste Deckung war zehn Schritte entfernt. Er peilte sie an. Es war ein dichtes Gebüsch, zwischen dem einige Felsbrocken lagen. Keine 100-prozentig sichere Deckung. Aber er musste das Risiko eingehen. Er durfte sich nicht hier hinter dem Felsen festnageln lassen.

Also setzte er zum Spurt an. Geduckt lief er in Zickzacklinie auf die dürren Büsche zu, die ihm als einzige Schutz versprachen. Mit einem Hechtsprung warf er sich dahinter, ruderte mit der Winchester, weil er keinen Halt fand, und stürzte aufs Gesicht. Schüsse krachten. Die Kugeln peitschten durchs Gebüsch, konnten ihm aber nichts anhaben, denn er lag hinter einem der Gesteinsbrocken, an dem die eine oder andere Kugel abprallte oder sirrend abgefälscht wurde. Zweige und Blätter regneten auf Grat Seymour herunter.

Der Sheriff aus Abilene hielt nach der nächsten Deckung Ausschau. Es war ein dichtbelaubter Strauch. Er schnellte hoch und rannte los...

Grat Seymour gelang es, sich ein Stück hangaufwärts zu kämpfen. Der Schweiß rann dem Sheriff in die Augen und entzündete sie. Seine Lippen waren salztrocken und rissig. Jetzt kauerte er schwer atmend hinter einem Felsbrocken. Er spähte über den Felsen hinweg, äugte nach der nächsten Deckung, und stieß sich ab.

Mit langen Sätzen hetzte er geduckt auf den Felsklotz zu, hinter dem er Schutz suchen wollte.

Oben begannen die Gewehre zu hämmern. Ein furchtbarer Schlag gegen den Oberschenkel riss Grat Seymour halb herum. Er stürzte und rollte ein Stück hangabwärts. Um ihn herum schlugen die Kugeln ein und warfen Erdreich über ihn. Heiß fuhr es ihm über den Rücken, stechender Schmerz durchzuckte ihn. Dann fing er sich und robbte schnell zu einem Felsen in seiner Nähe.

Aus der Wunde am Oberschenkel des Sheriffs sickerte dunkles Blut. Sein Rücken brannte von dem Streifschuss wie Höllenfeuer. Grat Seymour sah seine Felle jäh davonschwimmen. Er ließ sich sekundenlang von dem niederschmetternden Gedanken treiben, dass hier sein Trail wohl zu Ende war.

Steine kollerten plötzlich hangabwärts.

Es riss ihn aus seiner Betäubung. Am Felsen vorbei starrte er nach oben.

Die Banditen kamen. Jede Deckung, die sich ihnen bot, ausnutzend versuchten sie, ihn in die Zange zu nehmen.

Aus dem Jäger war der Gejagte geworden.

Das Unabänderliche seiner Lage war Seymour voll und ganz bewusst. Und diese Erkenntnis nahm alle Furcht von ihm. Seine Hand war ruhig, sein Blick klar, wachsam und scharf. Wenn er einen Moment nahe daran gewesen war, zu resignieren, so flackerte jetzt sein Widerstandsgeist auf.

Der Sheriff zog sich zurück. Schlangengleich kroch er von Strauch zu Strauch, von Felsen zu Felsen. In einer Gruppe von Felsen erhob er sich und humpelte weiter. Die Winchester benutzt er wie eine Krücke. Der Schmerz, der von seinem Bein aus durch seinen ganzen Körper pulsierte, ließ ihn stöhnen.

Den Sheriff beherrschte ein nahezu dämonischer Durchhaltewille. Und er erreichte sein Pferd, leinte es los und saß auf. Dann trieb er das Tier an.

Plötzlich begannen die Gewehre der Banditen zu krachen. Sie begriffen, dass der Sheriff im Begriff war, ihnen zu entkommen. Grat Seymour stob zwischen die Felsen und Büsche. Keine der Banditenkugeln traf ihn. Gibson und Younger schossen viel zu hastig und ungezielt. Folgen konnten sie Seymour nicht, da ihre Pferde auf der Kuppe des Hügels zwischen Felsen standen und sie sich ein ganzes Stück von den Tieren entfernt hatten.

"Er ist verwundet", knurrte Calem Gibson. "Er humpelte stark. Jetzt wird er sich erst einmal zurückhalten und seine Wunde lecken."

Die beiden Banditen liefen den Hang hinauf...

Im Laufe des Vormittags erreichten sie die Randall Ranch. Obwohl die Ranch heruntergewirtschaftet und verwahrlost war, konnten Calem Gibson und James Younger erkennen, dass sie bis vor kurzem noch bewohnt gewesen war. Im Corral lag Pferdedung, der nicht älter als zwei Tage war. In der Küche des Ranchhauses roch es nach kaltem Zigarettenrauch.

"Sieht aus, als wäre mein kleiner Bruder ausgeflogen", gab Calem Gibson zu verstehen. Er dachte kurz nach. "Reite du weiter nach Sterling City, James, und hör dich dort ein wenig um. Ich bin viel zu bekannt dort, als dass ich mich sehen lassen könnte. Ich warte auf der Ranch auf dich."

James Younger zeigte wenig Begeisterung, aber er fügte sich. Gibson führte sein Pferd zum Corral. Der Boden war noch feucht vom letzten Regen. Aber die Sonne begann, das Land zu trocknen. Die Wälder im Norden und Westen dampften. Gibson nahm seinem Pferd Sattel und Zaumzeug ab, dann ging er ins Ranchhaus zurück. Alte Erinnerungen wurden geweckt...

*

"Was ist das für einer?", fragte Price Sherman, als James Younger zum Holm vor dem Saloon ritt. Der Bandit war durch das große Frontfenster gut zu erkennen.

"Nie gesehen den Mister", sagte Link Randall.

Die drei Banditen saßen an einem Tisch. Außer ihnen gab es keinen Gast. Der Salooner stand hinter dem Tresen und spülte Gläser. "Kennst du den Burschen?", fragte Jesse Dalton in seine Richtung.

"Nein. Er ist fremd", antwortete der Salooner.

"Lassen wir ihn hereinkommen", knurrte Link Randall. "Und dann werfen wir ihm einen intensiveren Blick unter den Hutrand."

Draußen polterten Schritte über den Vorbau. Dann waren Kopf und Schultern des Fremden über den geschwungenen Rändern der Pendeltür zu sehen. Im nächsten Moment stieß er die Türflügel auseinander und kam in den Gastraum. Während er zum Tresen schritt, beobachtete er die drei Banditen am Tisch. Dalton, Younger und Link Randall starrten ihn an. Es war der Geruch der selben Spezies, der von dem Fremden auszugehen und den Banditen am Tisch in die Nasen zu steigen schien.

Younger erreichte den Tresen, stützte beide Ellenbogen darauf und verlangte ein Glas Whisky. Er bekam es, nahm es in die linke Hand und drehte sich um. "Kann mir jemand sagen, wo ich Link Randall finde?"

"Was willst du denn von ihm?", fragte Jesse Dalton.

Ohne auf diese Frage einzugehen, sagte James Younger. "Wir haben ihn auf der Ranch nicht angetroffen. Deshalb haben wir angenommen, dass er vielleicht in der Stadt hier anzutreffen ist."

Link Randall erhob sich und nahm eine lauernde Haltung ein. Auch Dalton und Sherman zogen ihre Hände vom Tisch und legten sie auf die Revolverkolben. "Wer ist wir?"

"Ein guter Freund und ich. Wir haben vor, einige Tage auf der Ranch zu bleiben."

"Woher kennst du meinen Namen?"

"Aaah, du bist also Link Randall." Younger stieß sich von der Theke ab und ging zum Tisch. "Darf ich mich zu euch setzen?"

Link wies auf einen freien Stuhl. Als Younger saß, ließ auch er sich wieder nieder. "Kommst du aus New Mexiko?", fragte Link. Jeder Zug seines Gesichts zeigte Anspannung. Seine Rechte hing locker neben dem Revolverkolben.

"Erwartest du jemand aus New Mexiko?"

"Das ist keine Antwort auf meine Frage."

"Nein." Younger schüttelte den Kopf. "Ich komme nicht aus New Mexiko. Mein Name ist Younger – James Younger." Er schob den Kopf nach vorn. Seine Stimme sank herab, und als er weiter sprach, fielen die Worte nur noch murmelnd: "Ich bin ein Freund deines Bruders Calem, Link. Wir mussten ziemlich überstürzt die Gegend um Abilene verlassen. Calem wartet auf der Ranch..."

Links Miene verschloss sich. "Der Bastard hat meinen Vater erschossen. Ich habe geschworen, ihn umzubringen, wenn sein Weg noch einmal den meinigen kreuzt."

"Ihr werdet vom Gesetz gesucht", sagte Jesse Dalton leise, so dass eine Worte nur am Tisch zu verstehen waren. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich der Bandit an Link und sagte: "Die beiden kommen uns gerade recht. Sie können die Plätze von Hank und Jim einnehmen. Damit wären wir zu fünft, wenn Jonathan Randall auftaucht."

"Aber...", wollte Link aufbegehren, doch Jesse Dalton unterbrach ihn schroff.

"Auch wenn du Calem umlegst, Link, dein Vater wird dadurch nicht wieder lebendig." Er richtete den Blick auf James Younger. "Jonathan Randall hat meinen Bruder erschossen. Und er hat zwei Freunde von uns mit heißem Blei aus dem Verkehr gezogen. Sie liegen wie zwei flügellahme Bussarde beim Doc in dessen Krankenstation und sind für mich wertlos."

"Jonathan Randall ist auch hier?", fragte Younger überrascht. Calem hatte ihm die Geschichte Jonathans erzählt, der seinen eigenen Vater bestohlen hatte und in die eigene Tasche wirtschaftete. "Ich denke, der ist seit mehreren Jahren verschollen."

"Ja, er ist zurückgekehrt", sagte Link. "Und er trägt den Stern in dieser Stadt. Darum wird er früher oder später hier auch auftauchen."

"Alle Teufel!, entfuhr es Younger. "Das wird Calem ausgesprochen interessieren. Du solltest dich mit deinem Stiefbruder aussöhnen, Link. Wie dein Freund es schon zum Ausdruck brachte: dein Vater wird nicht wieder lebendig, wenn ihr euch gegenseitig erschießt. Calem und ich können euch aber eine wertvolle Hilfe sein."

Link erhob sich. "Ich reite auf die Ranch."

"Die beiden können sehr wertvoll für uns sein", mahnte Dalton. "Dein Bruder Jonathan hat bewiesen, dass er eine höllisch harte Nummer ist. Jeder Revolver gegen ihn ist ein Gewinn für uns."

"Ich hole mein Pferd aus dem Mietstall", sagte Link. "Und dann reite ich." Er verließ den Saloon.

"Calem und ich kommen euch ja wie gerufen." Younger grinste schief.

"So ist es. Gemeinsam werden wir Jonathans Randall schon die Flügel stutzen."

Sie tranken sich zu und besiegelten damit ihren Pakt.

Wenig später erschien Link Randall auf seinem Pferd vor dem Saloon. Younger trank sein Glas aus und erhob sich. "Ich reite mit ihm und achte drauf, dass er keine Dummheiten macht. Man kann schließlich nie wissen..."

Er verließ den Saloon, leinte sein Pferd los und saß auf. Steigbügel an Steigbügel ritten er und Link Randall aus der Stadt. In Link tobte ein Sturm von Empfindungen. In einer guten Stunde würde er seinem Stiefbruder, dem Mörder seines Vaters, gegenüber stehen. Er hatte Calem für den Mord gehasst. Und wie Jonathan hatte er geschworen, Calem zur Rechenschaft zu ziehen.

Vor zwei Jahren hatte er Calem noch gefürchtet. Deshalb ließ er ihn ziehen. Aber zwischenzeitlich empfand er keine Furcht mehr – sondern nur noch Hass. Der Umgang mit den Daltons, mit Dodson, Sherman und Snyder hatte ihn geformt. Er hatte es gelernt, den Revolver blitzschnell zu ziehen, zu schießen und zu treffen. Er hatte keine Angst mehr vor Calem. Und jetzt sollte er gemeinsame Sache mit ihm machen.

Das behagte Link nicht.

Schweigend ritten sie. Sie ließen die Pferde traben. Und nach einer knappen Stunde tauchte die Ranch vor ihnen auf. Sie ritten in den Hof. Calem Gibson trat auf den Vorbau. Sein Blick kreuzte sich mit dem Links. Link verschränkte beide Hände über dem Sattelhorn, beugte sich etwas vor und sagte: "Du bist also heimgekehrt, Calem. Hast du keine Angst, dass ich dich wegen Vaters Tod zur Verantwortung ziehen werde?"

Calem verzog geringschätzig den Mund. "Es war ein Unfall. Der alte Narr war selbst schuld. Hätte er mir die verdammten 500 Bucks gegeben, damit ich meine Schulden bezahlen hätte können, dann wäre es nicht so weit gekommen."

"Jonathan ist auch hier."

Calem zuckte zusammen. "Jonathan ist auch nach Hause zurückgekehrt?"

"Ja. Er trägt den Stern in Sterling City. Und er nimmt den Job verdammt ernst. Außerdem hat er geschworen, dich wegen Vaters Tod zur Rechenschaft zu ziehen."

"Jonathan hat den Bruder seines Freundes Dalton erschossen, Calem", mischte sich Younger ein. "Dalton will ihm dafür die Haut abziehen. Sattle dein Pferd, Calem. Wir reiten nach Sterling City. Dalton wartet dort auf uns."

"Wie sieht es bei dir aus, kleiner Bruder?", fragte Calem Gibson. "Hast du auch Rachegelüste? Dann sollten wir nicht warten, sondern es gleich austragen." Er legte die Hand auf den Knauf des Revolvers.

Links Schultern strafften sich. Sekundenlang sah es so aus, als würde er die Herausforderung annehmen. Doch dann sanken seine Schultern wieder nach unten. "Es würde nichts ändern", murmelte Link, "außer dass einer von uns beiden ins Gras beißen würde. Es ist in Ordnung, Calem. Wie du schon sagtest: Es war ein Unfall."

Calem Gibson sprang vom Vorbau und ging zum Corral...

*

"Ich komme mit dir in die Stadt", sagte Ringo Hagan. "Dalton hat mir zwar den Stern heruntergerissen, was aber nicht heißt, dass ich ihn nicht mehr vertrete. Es ist unser Job, die Bande hinter Schloss und Riegel zu bringen."

Hagan hatte seine Angst überwunden. Er wollte Sheriff werden...

John Watson, seine Tochter, Ringo Hagan und Jonathan Dalton befanden sich in der Halle des Ranchhauses. Um Jonathans Hüften lag der Revolvergurt. In der Rechten hielt er die Winchester. Der linke Arm lag in einer Schlinge. Dieser Arm warf infolge der Schulterverletzung nicht zu gebrauchen.

"Ich komme mit meinen Männern mit euch", grollte die Stimme Watsons. "Ihr seid beide nur halbwertig. Die Banditen werden leichtes Spiel mit euch haben. Ernenne meine Männer und mich einfach zu Hilfssheriffs, Jonathan. Dann hat es seine Ordnung und wir können in Sterling City Nägel mit Köpfen machen."

"Bitte, Jonathan, nimm das Angebot an", beschwor Lesley den Mann. "Du und Ringo – ihr seid den Banditen nicht gewachsen. Sie werden euch töten. Es – es ist selbstmörderisch, wenn ihr beide ohne die Unterstützung meines Vaters gegen die Banditen vorgeht. Bitte..."

"Es sind nur drei Mann", erwiderte Jonathan. "Und es ist einzig und allein Sache des Gesetzes, sie zur Strecke zu bringen. Ich will nicht, dass du dein Leben und das Leben deiner Männer riskierst, John. Sei bitte nicht böse, wenn ich dein Angebot ablehne. Aber ich will weder dich noch sonst jemand gefährden. Ringo und ich erledigen das. Uns verpflichtet der Stern dazu."

Ringo Hagan nickte beifällig. Auch er trug einen Revolver und ein Gewehr. Einige Schürfwunden im Gesicht und an den Händen erinnerten an den Abend, an dem Hagan der Gehässigkeit und Niedertracht Jesse Daltons zum Opfer gefallen war.

"Dann will ich euch meine Hilfe nicht länger aufdrängen", knurrte der Rancher und wechselte einen viel sagenden Blick mit seiner Tochter.

Jonathan und Hagan verabschiedeten sich von Watson und Lesley. Draußen standen zwei Pferde. Sie verließen das Haus, und gleich darauf ritten sie weg.

Watson wandte sich seiner Tochter zu. "Ich werde ihnen mit einem halben Dutzend Männern folgen, um gegebenenefalls in den Kampf einzugreifen. Es geht hier nicht um Fairness oder sonst einen Ehrenkodex. Es geht darum, ein paar skrupellose Mörder ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Um das zu erreichen, ist jedes Mittel recht."

*

Jonathan Randall ritt langsam die Main Street von Sterling City hinunter. Er führte die Zügel mit der Rechten. Das Tier ging im Schritt.

Er zog am Saloon vorbei. Drei Pferde standen am Holm. Jonathan ritt bis vor das Sheriff's Office und ließ sich dort aus dem Sattel gleiten. Lose schlang er die Zügel um den Querholm. Er ging um das Pferd herum, zog das Gewehr aus dem Scabbard und wandte sich den drei Vorbaustufen zu...

Aus dem Saloon traten Dalton, Sherman, Calem, Younger und – Link. Sie verließen den Vorbau und schritten bis zur Mitte der Fahrbahn, wo sie sich nebeneinander aufstellten.

"Jonathan!", rief ein klirrendes Organ.

Jonathan Randall wandte sich um. Überraschung prägte sein Gesicht, als er seinen Stiefbruder Calem erkannte. "Du!"

Calem nickte. "Ja, ich. Ich habe gehört, du willst mich wegen Old Amos' Tod zur Rechenschaft ziehen."

Jonathan ging langsam auf die fünf Kerle zu. "Das ist richtig, Calem. Du hast Old Amos ermordet. Es war kein Unfall. Nachdem er tot war, hast du sämtliches Geld gestohlen und bist aus der Gegend verschwunden."

"Heh, Randall", rief Jesse Dalton. "Mein kleiner Bruder Steve wartet an der Pforte der Hölle auf dich."

"Du solltest hier nicht mitmachen, Link", sagte Jonathan, ohne auf Daltons Worte zu achten. "Ich will nicht auf dich schießen müssen, Bruder. Also geh zur Seite."

Link aber schüttelte den Kopf. "Ich werde kämpfen, Jonathan."

"Denk an unsere gemeinsamen Eltern, Link."

"Ich denke an sie", dehnte Link. Es klang irgendwie hintergründig.

Jonathan nahm die Beine etwas auseinander und beugte sich leicht nach vorn, um einen festen Stand zu haben. Dass Dalton und seine Banditen Verstärkung erhalten hatten, damit hatte er nicht rechnen können. Er war auf drei Gegner eingestellt gewesen.

Sekunden der knisternden Spannung verstrichen.

"Stirb!" Das Wort sprengte die angespannte Stille. Daltons Hand sauste zum Revolver.

Auch Sherman, Gibson, Younger und Link Randall griffen nach den Revolvern.

Es ging alles blitzschnell.

Jonathan ließ das Gewehr fallen und zog den Colt. Es war eine fließende Bewegung von Hand, Arm und Schulter, der man mit den Augen kaum zu folgen vermochte.

Die Waffen begannen zu bellen wie eine wütende Hundemeute.

In der Mündung einer Gasse erschien Ringo Hagan mit dem Gewehr.

Jonathan schoss auf Dalton. Ihm entging nicht, dass Link auf Calem feuerte. Im Bruchteil einer Sekunde begriff Jonathan der Worte Links, als dieser sagte: Ich denke an sie.

Dalton brach zusammen und streckte sich.

Ringo Hagan schoss James Younger von den Beinen.

Link verfehlte Calem. Sherman feuerte auf Link. Link Randall wurde halb herumgewirbelt und stürzte zu Boden.

Jonathans zweite Kugel warf Price Sherman in den Straßenschmutz.

Calem Gibson richtete den Colt auf Jonathan und drückte ab. Jonathan spürte den Einschlag, glühender Schmerz durchzuckte ihn, dann sackte er zusammen.

Hagans Gewehr krachte. Aber Calem rannte schon schräg über die Straße auf eine Passage zwischen zwei Häusern zu.

Plötzlich hinkte Sheriff Grat Seymour hinter einem der Häuser hervor. Er hatte sich sein Halstuch um die Oberschenkelwunde gebunden. Calem Gibson hielt an, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Seymour feuerte ohne zu zögern. Der Stern an der linken Brustseite Seymours war die letzte Wahrnehmung im Leben des Banditen. Er bäumte sich auf, machte das Kreuz hohl, und stürzte...

Grat Seymour humpelte an den Rand der Straße.

Der laue Wind zerpflückte den Pulverdampf. Die Waffen schwiegen. Ringo Hagan trat auf der anderen Straßenseite in die Fahrbahn. Grat Seymour hielt das Gewehr auf ihn angeschlagen.

"Ich bin Deputysheriff Ringo Hagan", rief dieser, und Seymour ließ das Gewehr sinken.

Hagan beugte sich über Jonathan. Er hatte eine Kugel in die rechte Brustseite erhalten, war aber bei Bewusstsein. "Der Doc wird gleich kommen", sagte Hagan, dann ging er zu Link hin.

Auch Link lebte noch. Er war ebenfalls bei Bewusstsein. "Es – es tut mir leid", murmelte er. "Sag Jonathan, dass ich unseren Vater rächen wollte. Leider - habe – ich – vorbeigeschossen."

Zuletzt waren seine Worte nur noch unzusammenhängendes Gestammel gewesen. Blutiger Speichel rann aus seinem Mundwinkel, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Sein Kopf rollte zur Seite, seine Gestalt erschlaffte. Ein letztes, unkontrolliertes Zucken seiner Beine... Link Randall war tot.

Auch Dalton, Sherman und Younger waren tot.

Menschen traten aus ihren Häusern. Innerhalb kürzester Zeit befand sich alles, was in der Stadt zwei Beine hatte und laufen konnte, auf der Straße. Stimmendurcheinander erfüllte die Luft. Der Doc kam.

Eine Gruppe Reiter passierte die Ortsgrenze. Es war John Watson mit seinen Cowboys. Sie waren zu spät gekommen. Es war nicht mehr nötig, in den Kampf einzugreifen.

Bei Jonathan kniete ein Mädchen. Seine Augen schwammen in einem See von Tränen. "Jonathan", flüsterte es. "Mein Gott, Jonathan..." Es war Sarah McBrian, die ihn schon einmal pflegte, nachdem er brutal zusammengeschlagen worden war, und die ihm später ihre Liebe eingestanden hatte.

Ein Mann baute sich neben Sarah auf. Er blickte auf den Verwundeten hinunter und sagte: "Ich bin Sheriff Grat Seymour aus Abilene. Ich hörte eben, dass Calem Gibson ein Stiefbruder von Ihnen war. Er war ein steckbrieflich gesuchter Bandit."

"Ist er tot?"

"Ja. Ich habe ihn erschossen. Wenn ich ihn lebend erwischt hätte, würde er gehängt werden."

Ringo Hagan trat neben Grat Seymour. Er sagte: "Link ist auch tot, Jonathan."

"Er hat sich zuletzt doch noch besonnen", murmelte Jonathan. "Ich sah ihn auf Calem feuern."

"Dennoch war es zu spät für ihn", sagte Hagan. "Ich soll dir von ihm bestellen, dass er euren Vater rächen wollte. Es waren seine letzten Worte."

John Watson und seine Reiter waren heran. Sie stiegen von den Pferden.

Der Doc kam und kniete bei Jonathan ab. Er sah das durchschossene Hemd über Jonathans linker Brust und das viele Blut und rief: "Bringt ihn zu mir nach Hause. Ich muss sofort operieren."

Einige Männer hoben Jonathan vorsichtig hoch und trugen ihn fort. Sarah folgte ihnen.

"Eine Menge Arbeit für den Totengräber", murmelte John Watson. Er legte Ringo Hagan die Hand auf die Schulter. "Du solltest zu Ranch reiten, Ringo. Lesley vergeht vor Sorge nach dir."

Hagan nickte und wandte sich ab...

*

Als Jonathan erwachte, sah er zuerst Sarah. Sie saß auf einem Stuhl, den sie sich neben das Bett gezogen hatte. Er fühlte sich schwach und elend. Der Arzt hatte ihn mit Äther betäubt und ihm dann die Kugel aus der Brust geholt. Seine Mundhöhle war ausgegetrocknet. Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.

"Er ist wach", rief Sarah und erhob sich.

Zur Tür kamen Mrs. McBrian und Lesley herein.

Jonthan hatte den Kopf gewandt und sah die beiden Frauen.

"Wir haben abwechselnd an deinem Bett Wache gehalten", sagte Lesley. "Deine Chancen, zu überleben, standen 50 zu 50. Der Doc meinte jedoch, dass du über den Berg seist, wenn du es schaffst, aus der Narkose zu erwachen."

Jonathan verzog den Mund. Es sollte ein Lächeln werden, doch es verrutschte kläglich. "Gebt mir was zu trinken", ächzte er und seine Stimme raschelte wie abgefallenes Herbstlaub. "Ich bin am Verdursten."

Sarah brachte ihm kalten Tee. Er trank mit gierigen Zügen. Als er dann sprach, klang seine Stimme zwar rau, aber verständlich. Er sagte: "Link hat sich in den letzten Minuten seines Lebens noch besonnen und auf die richtige Seite gestellt. Es ist schade um ihn. Er hätte vielleicht noch ein guter Mann werden können."

Doch Lesley schüttelte den Kopf und erwiderte: "Heute ist ein Mann in Sterling City eingetroffen. Ein US-Deputy-Marshal aus New Mexiko. Er war hinter Link und seinen Kumpanen her. Sie haben in New Mexiko einige Überfälle auf Postkutschen und Eisenbahnen verübt. Dabei kamen insgesamt drei Männer ums Leben. Link wäre für den Galgen reif gewesen."

"Gütiger Gott", ächzte Jonathan. "Sie endeten also beide im Banditentum. Calem und Link. Was ist nur aus den Söhnen der Kath Randall geworden? Steckbrieflich gesuchte Banditen. Es ist gut, dass sie es nicht mehr erleben musste."

"Nicht alle wurden Banditen", sagte Sarah McBrian. "Aus einem von ihnen ist ein guter Mann geworden – der Mann, den ich liebe." Sie lächelte auf ihn hinunter.

"Und der dich liebt", murmelte Jonathan. "Heh, Sarah, willst du an meiner Seite die Randall Ranch wieder aufbauen und mir eine gute Rancherin sein?"

"Ja, Jonathan, ich will." Sarah sagte es mit klarer, präziser Stimme. Mit dem letzten Wort beugte sie sich über Jonathan und küsste ihn auf die trockenen, heißen Lippen...

E N D E

Nimm den Colt, Marshal! Super Western 7 Romane

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