Читать книгу Bern ... und seine Machenschaften - Peter Baumgartner - Страница 5

Ein Auftrag für Philippe

Оглавление

In der Zwischenzeit stand Weihnachten vor der Tür. Philippe rang nach wie vor mit sich, wie er sich in der ganzen Angelegenheit verhalten wollte. Auch war ihm unwohl dabei, dass er bereits schon so viel wusste. Das war nie gut. Weniger oder nichts zu wissen, liess einem zumeist besser schlafen.

Schliesslich besprach er das Ganze nochmals mit Deborah. Diese hielt dafür, dass er besser die Finger davonlassen und sich seinem Rentendasein widmen sollte, im Wissen darum, dass dies nur leere Worte waren. Sie kannte ihren Mann nur allzu gut, als dass dieser, hatte er einmal Lunte gerochen, der Sache nicht auf den Grund gehen wollte. Und so war es auch hier.

Philippe liess Frau Vögtli über ihren Mittelsmann per E-Mail ausrichten, dass er unter den folgenden Voraussetzungen bereit sei, den Auftrag anzunehmen:

Er wolle einen konkreten, schriftlichen Auftrag vom Bund, welcher ihn ermächtige, tätig zu werden. Wer diesen unterzeichne sei ihm egal.

Er verstehe seine Tätigkeit im Auftrag der Aufsichtskommission des Bundes, wo es darum gehe, die Abläufe im EJPD, namentlich im Bundesamt der Polizei, dem SEM und in der Bundesanwaltschaft, aber auch in einzelnen Polizeikorps zu überprüfen, mit dem Zweck Doppelspurigkeit zu vermeiden.

Er wünsche verbindliche Ansprechpersonen in diesen Diensten; zudem eine den Umständen entsprechend möglichst offene Kommunikation mit diesen und ein fixes Büro bei fedpol.

Schliesslich erhoffe er sich auch eine der Brisanz des Falles entsprechende Honorierung, sei er doch als Rentner einem Zustupf nicht abgeneigt.

Last but not least sei das Honorar unabhängig vom Ergebnis seiner Abklärungen geschuldet.

Weihnachten war für Philippe immer etwas Besonderes. Man kam in der Familie zusammen und genoss die gemeinsame Zeit. Schon als Kind hatte er diesen Moment in sich aufgesogen, und er wollte Gleiches auch seinen Kindern schenken. Es kam nicht auf die Geschenke an, es kam darauf an, wie man sich gab und wie man miteinander umging. Das Fest der Liebe war für ihn wichtiger als Ostern oder Pfingsten, obschon in der Bibel etwas anderes steht. Die Geburt Jesu verstand er als Auferstehung und dies gleichsam der Geburt eines jeden Kindes.

Die wärmenden Lichter erfüllten sein Herz, und er liebe es, am Abend durch die Stadt zu laufen, um eben diese Lichter einzufangen. Das Ganze hatte für ihn etwas Mystisches, etwas Verborgenes und dieses galt es zu erforschen. – Eben ähnlich der Frage, auf die er noch keine Antwort hatte. Philippe war neugierig, wissbegierig und hungrig nach Antworten. Er stellte sich trotzig der Unwissenheit und er verzweifelte manchmal schier ob seiner Unfähigkeit, Dinge nicht oder nicht richtig erkennen und einordnen zu können. Er wollte alles und noch viel mehr wissen, im Wissen darum, dass dies unmöglich war. Und trotzdem hatte er den inneren Antrieb, Sachen auf den Grund zu gehen. – So auch im Fall Nummer 101.

Das Fest der Liebe kam mit Riesenschritten auf sie zu, und es galt doch noch das eine oder andere vorzubereiten und zu erledigen. Der Weihnachtsbaum wollte geschmückt werden, der Kühlschrank gefüllt und das Haus noch einmal von unten nach oben oder umgekehrt gesäubert werden. Schliesslich kamen die Söhne mit ihren Freundinnen und da wollte man eben einen guten Eindruck machen.

In all den Vorbereitungen klingelte das Handy von Philippe, und er erkannte auf dem Display die Nummer von Bernard. «Salut Bernard, comment vas-tu?» «Trés bien et à toi?» «Auch sehr gut, danke.» «Hör mal Philippe, Isabelle und ich hatten eine Idee. Nachdem wir uns schon so lange nicht gesehen haben, würden wir euch liebend gern wiedersehen, vielleicht zu Neujahr. Was hältst du davon?» «Sehr viel, lieber Bernard, aber nicht bei euch, sondern bei uns, wenn es euch recht wäre! Ihr seid herzlich willkommen und Deborah würde sich sehr über euren Besuch freuen. Was meinst Du?» - Deborah nickte zustimmend im Hintergrund und sie konnte Philippe nur unterstützen. Es würde sie ehrlich freuen, die beiden bald wieder einmal zu sehen.

«Ok, das ist auch eine sehr gute Idee. Isabelle hat auch freudig zugestimmt, womit wir uns, wenn es für euch stimmig ist, am 31. Dezember treffen werden. Ist das für euch so in Ordnung?» «Mehr als in Ordnung. Das sind ja nur noch 10 Tage. Ich freue mich schon jetzt. In diesem Fall à bientôt et bonne fête de Noël.» «Adieu, mon cher, à bientôt, tout bon et aussi une bonne Fête de Noël à tous et à toutes.»

Das war nun wirklich eine freudige Überraschung, und Philippe und Deborah waren sich einig, dass der Jahreswechsel mit Sicherheit schön sein werde. Sie alle verstanden sich wirklich gut und da gab es immer viel zu erzählen. Philippe fügte noch an, dass Dissan, der Hund von Bernard und Isabelle, ebenfalls mit dabei sein werde; aber auch das würde kein Problem darstellen, so wie sie Enrico kannten.

Die Zeit verging wie im Flug, das Weihnachtsfest war bereits vorbei und es war wie immer wunderschön, aber viel zu kurz. Die Söhne und ihre Freundinnen mussten bereits wieder ihrer Arbeit nachgehen, und nur Philippe und Deborah konnten den Alltag so gestalten wie sie ihn wollten.

In der Zwischenzeit meldete sich Freddy und er ersuchte um ein Treffen. Er wisse ja, um was es gehe und er schlage ihm das Restaurant ‘Lorenzini’, im hinteren Teil an der Hotelgasse in Bern vor. Wenn es ihm recht sei, so werde er morgen so gegen 1000 Uhr dort sein. Philippe bestätigte den Termin und er war ein wenig überrascht, wie kurzangebunden Fred war.

Fred war ein wenig verschnupft, wurde er doch vom EDA zum Briefträger oder Handlanger degradiert. Dies hat man nun davon, wenn man allzu leutselig Bekannten unter die Arme greift und ihnen einen Gefallen erweisen will, dachte er. So auch hier: gibt man den kleinen Finger, so wird bald einmal die ganze Hand genommen.

«Ciao Freddy, wie geht es dir?», erkundigte sich Philippe. «Na ja, so lala», gab im Fred zur Antwort. Er sei nicht nur glücklich über seine Rolle in dieser Sache, sondern mache sich auch ernsthaft Sorgen um Philippe, ob das Ganze nicht eine Spur zu gross für ihn sei. Er wisse ja, dass er ihn gut möge und schätze und deshalb seine Befürchtungen. In seiner beruflichen Tätigkeit als Journalist und vor allem während seiner Zeit als Korrespondent im Nahen Osten habe er zu oft mit angesehen oder zumindest mitbekommen, wie kriminelle Kreise im Balkan operieren würden. Urplötzlich würden Bekannte von der Oberfläche verschwinden und niemand wisse, wo sie steckten oder was mit ihnen passiert war. Er hoffe nur, dass Gleiches nicht auch mit ihm geschehen werde.

«Ja, das hoffe ich natürlich auch, Fred. Aber ich denke, mein Auftrag wird kaum so dramatisch sein. Auch glaube ich, dass ich zu jeder Zeit mein Mandat niederlegen kann, sollten die Ermittlungen aus dem Ruder laufen. So verstehe ich zumindest den Auftrag.»

«Dein Wort in Gottes Ohren, mein Lieber. Ich werde Dir auf jeden Fall zur Seite stehen, so gut es geht» … und er händigte ihm das nachfolgende Schreiben der Generalsekretärin aus:

An das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement;

An das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport;

An die Bundesanwaltschaft

und

An die Polizeikorps der Kantone Bern und Zürich

Herr Philippe Baumann, pensionierter Kriminalbeamter, wird hiermit im Namen des Bundesrates und der Aufsichtskommission des Bundes ermächtigt, folgende Handlungen auszuüben:

Überprüfung der Organisationsstruktur eines jeden Dienstes, mit dem Zweck die vorhandenen Personalressourcen und die Abläufe zu optimieren.

und

.

Überprüfung der Schnittstellen untereinander, mit dem Zweck Doppelspurigkeit zu vermeiden und gegeben falls Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Es ergeht hiermit der Auftrag an alle Betroffenen, Herrn Baumann in seiner Aufgabe zu unterstützen.

Freundliche Grüsse

Im Namen des Bundesrates

GS Vögtli

Der Auftrag war zeitlich unbefristet und dies freute Philippe natürlich, da er dadurch nicht unnötig unter Druck gesetzt wurde und er auf diese Weise doch ein ansehnliches Sümmchen verdienen konnte. Der Stunden- respektive Tagesansatz, welcher ihm mit separatem Schreiben geboten wurde, war zwar nicht umwerfend, aber auch nicht abzulehnen. Das obige Schreiben war zudem mit einem Stempel versehen, der dem Ganzen einen gewissen seriösen Anstrich gab, wenngleich es ja nicht allzu schwer wäre, einen solchen zu fälschen. Immerhin hatte das Papier eine gewisse Stärke, was ebenfalls auf einen offiziellen Charakter schliessen liess.

«Ja, das sieht ja mal nicht so schlecht aus. Ich werde dann also Anfang des neuen Jahres tätig werden und dich regelmässig auf dem Laufenden halten. Wollen wir als Treffpunkt das «Lorenzini» beibehalten oder hast du einen besseren Vorschlag.» «Nein, das ist für mich so in Ordnung; pass nur gut auf dich auf. Dann warte ich also, bis du dich wieder meldest.» - «Genau. In der Zwischenzeit wünsche ich dir alles Gute und bereits jetzt einen guten Rutsch ins neue Jahr.» «Das wünsche ich dir auch.» Womit das Treffen beendet war.

Weihnachten war wie gesagt bereits vorüber und so schön wie in den vorangegangenen Jahren. Philippe genoss die Zeit und er freute sich auch darüber, dass Frau Holle sich gnädig gezeigt und rechtzeitig zum Weihnachtsfest ihre Decke kräftig geschüttelt hatte. Rund fünf Zentimeter Neuschnee lagen in und rund um Bern. In höheren Lagen waren es natürlich deutlich mehr. Dies würde Bernard und Isabelle sicherlich freuen, haben sie wahrscheinlich doch schon längere Zeit keinen Schnee mehr gesehen oder gar angefasst. Eine kleine Schneeballschlacht sollte dann schon drin liegen; kann es ja nicht falsch sein, wenn Erwachsene es den Kindern gleichtun und sich am Schnee erfreuen.

Punkt vier Uhr nachmittags klingelte die Glocke, und Bernard und Isabelle mitsamt ihrem Hund Dissan standen vor der Tür. Enrico war kaum zu bremsen und er kam mit seiner Begrüssung Philippe und Deborah zu vor. Sie seien gut gereist und es habe erstaunlich wenig Verkehr gehabt.

Nach einem herzlichen «bienvenue», und nachdem sich Bernard und Isabelle ein wenig frisch gemacht hatten, begaben sich alle ins Wohnzimmer. Dissan und Enrico mussten vorher natürlich noch den Garten ein wenig unsicher machen und selbstverständlich die eine oder andere Schnauze voll Schnee fressen. Für Dissan war es das erste Mal, dass er Schnee sah und somit war das Ganze für ihn völlig neu. Enrico schien ihm jedoch schnell erklärt zu haben, was man mit Schnee so alles machen kann.

Es gab viel zu erzählen und mit der Zeit stellte sich doch langsam der Hunger ein. Philippe präsentiere den beiden Gästen die Menükarte mitsamt einem Rezeptvorschlag und diese waren hellbegeistert.

‘Chinesisch’ à la mode du chef

Zutaten für 4 Personen

200 – 300 g Rindfleisch in feine Scheiben geschnitten

250 g rohe, geschälte Crevetten

1 kg frisches Gemüse (Spargeln, Kohlrabi, Rübli …) in mundgerechte Stücke schneiden

4 Portionen chinesische Nudeln

Marinade für das Rindfleisch (ca. 20 Min. marinieren)

1 Knoblauchzehe fein gehackt

1 Scheibe Ingwer fein gehackt

1 Essl. dunkle Sojasauce

1 Essl. Wein

1 Essl. Öl (Erdnussöl)

½ Teel. Maispuder

½ Teel. Salz

1 Prise Zucker

1 Prise chinesischer Pfeffer

Marinade für die Crevetten (ca. 20 Min. marinieren)

1 Teel. Maispuder

2 Essl. Sherry

½ Teel. Salz

Würzmischung (in einer kleinen Schüssel vermischen)

½ Tasse Wasser

½ Teel. Maispuder

½ Teel. Zucker

3 Essl. Austernsauce

Zubereitung

- Nudeln in siedendem Wasser garkochen – anschliessend mit kaltem Wasser abschrecken und beiseitestellen

- etwas Öl (Erdnussöl) und etwas Salz in den Wok geben

- das Rindfleisch unter ständigem Rühren anbraten, bis es Farbe annimmt, aber noch teilweise roh ist – anschliessend sofort vom Feuer nehmen und beiseitestellen

- die Pfanne reinigen und für die Crevetten gleich vorgehen

- die Pfanne nochmals reinigen und wiederum etwas Öl und Salz in den Wok geben; anschliessend das frische Gemüse beigeben und ca. 1 Minute lang rühren – die Würzmischung dazu geben und weiterrühren

- wenn das Gemüse gar, aber immer noch etwas knackig ist, das Fleisch und die Crevetten beigeben – gut verrühren

- abschliessend die Nudel dazu fügen und alles gut vermischen

et voilà … bon appétit

Als Wein sollte eine Flasche Bergerac Rouge, Clos des Verdots, aus dem Jahr 2015 herhalten, dies in Anlehnung an die Zeit von Bernard und Isabelle in Bordeaux und in Anspielung an ihren «gemeinsamen Freund» Bruno, Chef de Police. - Deborah und Isabelle wünschten zum Essen lieber Tee und Wasser.

Während seiner Zeit in Bordeaux war Bernard auf die Kriminalromane von Martin Walker gestossen, die seit einiger Zeit auch auf Französisch erhältlich sind. Bruno, ‘Chef de Police’ in Saint-Denis, führte ihn nach Bergerac und seiner geschichtsträchtigen Umgebung. Und so kam es, dass sich Bernard vertiefter mit der Widerstandsbewegung in dieser Gegend auseinandersetzen wollte. – Mit der Lektüre der Bruno Romane hatten Bernard und Philippe eine weitere Gemeinsamkeit, die sie verband und worüber es einiges zu diskutieren gab. Philippe genoss die Romane von Martin Walker ebenso, und er freute sich jedes Mal bereits auf den nächsten Band, wenn er wehmütig den aktuellen Roman zur Seite legte, da er diesen auch schon wieder fertiggelesen hatte.

Das Essen mundete vorzüglich und wurde – comme il faut – mit Stäbchen aus Reisschalen gegessen. Lediglich der Salat wurde auf einem separaten Teller serviert und «durfte» mit einer Gabel verspeist werden. Das Menü aus dem Wok erlaubte es, immer wieder eine Pause einzuschalten, um danach das Gericht von Neuem zu geniessen.

Die Vier sassen sicher fast zwei Stunden am Tisch und sie staunten, als es bereits 2300 Uhr war. Eigentlich wollten sie noch auf den Münsterplatz in Bern gehen, um das Glockenspiel zum Jahreswechsel zu hören, jedoch war es dafür nun doch schon etwas spät und Bernard und Isabelle waren ob der langen Reise auch recht müde, so dass alle bereits kurz nach Mitternacht ins Bett gingen; natürlich nicht, bevor sie sich vorgängig alles Gute zum neuen Jahr gewünscht und sich mit ihren Kindern in gleicher Weise ausgetauscht hatten.

Am nächsten Morgen sah die Landschaft aus wie auf einer Neujahrskarte; es hatte die ganze Nacht hindurch leicht geschneit. Strahlender Sonnenschein, gepaart mit ein wenig Neuschnee und der dazu passenden Temperatur: nicht zu kalt aber auch nicht zu warm. Bernard und Philippe konnten es kaum erwarten, mit ihren Hunden auf einen Säuberungsspaziergang zu gehen. Es gab kaum etwas Schöneres, denn als Erster seine Spuren in den Schnee zu legen und den eigenen Abdrücken nachzublicken. Und so war es an diesem Morgen. Noch vor dem Frühstück atmeten Philippe und Bernard die frische, saubere Luft ein und sie genossen ihren Rundgang.

«Aber nun erzähl einmal Philippe. Wie ist es dir seit deiner Pensionierung so ergangen?», dies die einleitende Frage von Bernard. «Eigentlich ganz gut, dann aber doch nicht nur meinem Wunsch entsprechend», antwortete Philippe. «Weisst du, am Anfang war alles super, aber dann überkam mich auf einmal ein Unwohlsein und ich sah mich im Krankenhaus wieder. Ich dachte, ich hätte einen Herzinfarkt erlitten und gleiches dachten am Anfang auch die mich behandelnden Ärzte.»

Philippe musste sich am Tag vor seinem sechzigsten Geburtstag in Spitalpflege begeben. Ein Unwohlsein nötigte ihn dazu. Hoher Blutdruck und Pulsschlag, gekoppelt mit Unwohlsein und Schmerzen in Brust und Rücken deuteten für ihn auf eine Herzattacke hin. Da Philippe nun aber keinen Hausarzt hatte, weil er eigentlich und glücklicherweise nie ernsthaft krank war, erkundigte er sich telefonisch im nahen gelegenen Spital nach dem weiteren Vorgehen. Der Kardiologe riet ihm dringendst, sofort vorbei zu kommen und sich untersuchen zu lassen. Was dann geschah, war äusserst interessant, zum Teil aber auch befremdend.

Deborah fuhr Philippe postwendend ins erwähnte Spital, nachdem sich Philippe endlich dafür hatte, ihr sein Unwohlsein mitzuteilen. Besorgt um Philippe fuhr sie nicht eben langsam und absolvierte die Strecke in halb so langer Zeit wie Philippe normalerweise hätte. Trotzdem war er ihr dankbar, bald in ärztliche Hände zu gelangen. Im Spital angekommen, wussten die Ärzte auch nicht so genau, was sie von ihrem neuen Patienten halten sollten. Der Blutdruck war nach wie vor sehr hoch, der Puls raste, und die Schmerzen in Brust und Rücken waren auch nicht geringer geworden. Medikamente wurden verabreicht und es wurde entschieden, Philippe den Spezialisten im Kantonsspital zuzuführen. Auf dem Weg dorthin verabreichte ihm der Rettungssanitäter nochmals eine gehörige Portion eines Blutdrucks senkenden Mittels.

Auf der Notfallstation wurde nun schnell gehandelt. Diverse Ärzte standen um das Bett des Patienten, gaben ihm erneut irgendwelche Medikamente und beratschlagten sich. Deborah und auch Marwin und Rouven konnten in der Folge nur noch mitverfolgen, wie Philipp ohnmächtig wurde. Er selber hatte dies insofern wahrgenommen, als ihm zuerst speiübel, alsdann schwarz vor Augen wurde …

Kurze Zeit später erwachte Philippe aus der Ohnmacht und er fühlte sich eigentlich viel besser, allerdings hundemüde. Am liebsten hätte er nur noch geschlafen, jedoch ging es jetzt erst richtig los. Jeder wollte etwas von ihm wissen: Wie stark sind die Schmerzen von 1 bis 10? An was können Sie sich noch erinnern? Wissen Sie, wo Sie sind? Und so weiter …

Philippe wäre am liebsten aufgestanden und wieder nach Hause gegangen. Aber, das ist nun nicht so einfach, wenn man einmal im Spital ist. Alles wird durchgecheckt und sämtliche Apparaturen werden amortisiert. Unzählige Ärzte drücken an einem rum und stellen immer wieder die gleichen Fragen: Wie stark sind die Schmerzen von 1 bis 10 und an was können Sie sich noch erinnern? Wissen Sie noch wie sie heissen und welches ihr Geburtsdatum ist?

Irgendwann fängt man dann an, am eigenen Verstand zu zweifeln und fragt sich, was das Ganze denn soll. In der Zwischenzeit, das heisst am Folgetag, wurde Philippe 60 Jahre alt. Nebst dem Besuch der Familie gab es an diesem Tag ein weiteres Highlight. Ein junger Arzt, dunkler Hautfarbe, kam zu Philippe und sagte ihm: «Für mich sind Sie gesund». – Punkt und fertig.

Ok. – Philippe nahm dies gerne so zur Kenntnis, nur sahen andere Ärzte dies leider nicht ebenso, mit der Konsequenz, dass weitere Untersuchungen anstanden. Letztlich wurde mittels Katheter das Herz untersucht. Und weil der Eingang in die rechte Herzkammer nicht offenstand und auch die dicksten Kanülen nicht halfen, dies zu ändern, standen der behandelnde Assistenzarzt, der Oberarzt und letztlich auch der Chefarzt vor einem Problem. Sowas hatten sie offensichtlich noch nie oder schon lange nicht mehr erlebt. – Eine Herzanomalie! Geburtsfehler, da kann man nichts machen.

Mit dieser Diagnose wurde Philippe nach Hause entlassen, und er selber war glücklich darüber, wieder daheim sein zu dürfen. Was sein Unwohlsein ausgelöst hatte, weiss er zwar noch heute nicht, ist für ihn aber weiter auch nicht schlimm. Hauptsache, er konnte das Spital verlassen und dies auf eigenen Beinen.

«Und du, lieber Bernard, wie ist es dir ergangen seit deiner Pensionierung?», erkundigte sich Philippe. «Sehr gut!», kam die spontane und ehrlich klingende Antwort von Bernard. «Jetzt habe ich endlich Zeit, mich meinen Hobbies zu widmen. Du weisst, dass ich liebend gern male und mich auch stundenlang und mit Freude mit unterschiedlichster Lektüre auseinandersetze. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob es sich hierbei um ein hochliterarisches Werk handelt, oder eben um einen Kriminalroman von Georges Simenon. Beides ist für mich Entspannung pur, und ich verstehe es eben auch als Abwechslung zur ebenfalls geliebten Gartenarbeit. Daneben ist es für mich natürlich immer wieder wunderschön, mich mit Isabelle austauschen zu können oder eben mit lieben Freunden wie euch zusammen sein zu dürfen.»

Den Neujahrstag verbrachten alle vier mit einem gemütlichen Schwatz, begleitet von leichter Musik aus dem Radio und einem Tariquet Classic 2013 aus der Gascogne. Philippe wählte diesen Wein ebenfalls in Anspielung an die Zeit von Isabelle und Bernard in der Aquitaine. Philippe schmeckte der Wein zwar nicht sonderlich, er bevorzugte den Schweizer Weisswein und dort vorweg den Saint-Saphorin aus Chexbres, einem kleinen, lieblichen Winzerdorf am Genfersee; aber eben, Geschmäcker sind verschieden und so soll es auch sein. Vielleicht wollten sie später noch eine solche Flasche öffnen und degustieren. Man musste Bernard ja schliesslich auf den Geschmack bringen.

Plötzlich wurde das Thema auf den in Tirana verhafteten Polizeichef gelenkt, und Bernard wusste folgendes zu berichten: Gérard, der ehemalige Journalist beim Var-Matin habe ihm erzählt, dass seinen Informationen zufolge, der Polizeichef mit Drogen im grossen Stil handeln soll. Er sitze nun nach offiziellen Quellen in einem Polizeigefängnis etwas ausserhalb von Tirana und dürfe keinen Besuch empfangen. Das Ganze sei ‘top-secret’. Diese Information habe er von einem befreundeten Journalisten aus Ankara erhalten und dieser wiederum habe die Information von einem Freund aus Tirana.

Nun aber werde es richtig interessant. Von einer anderen Quelle habe er allerdings erfahren, dass das Ganze gar und gar nicht stimme. Der Polizeichef werde nicht zurückbehalten, und es werde ihm auch nicht der Kontakt zur Aussenwelt verwehrt. Er halte sich auch nicht in einem Gefängnis, sondern in der Sommerresidenz des neugewählten Ministers auf, wo er jeglichen erdenklichen Luxus sich leisten könne. Die Residenz befinde sich direkt am Meer und verfüge über einen eigenen Hafen, wo regelmässig Schnellboote anlegten. Mit diesen Schiffen würden Fässer mit Olivenöl in einen Vorort nördlich von Brindisi verbracht. Vom Flughafen Brindisi, dem Aeroporto del Salento, würden die Fässer dann mittels Privatflieger nach Bern-Belp in der Schweiz und von dort weiter in ein dubioses Geschäft in der Stadt Bern gebracht. Speziell sei nicht nur der Weg, wer benütze schon den Privatflieger für den Transport für Olivenöl, sondern auch der Umstand, dass mit Olivenöl nun doch wieder nicht so viel Geld gemacht werden kann, damit sich das Ganze lohnen würde.

«Wow, das tönt wirklich interessant», und Philippe erzählte nun Bernard seine Geschichte, so wie sie ihm bislang präsentiert worden war. - Die beiden Frauen, Isabelle und Deborah, hörten gespannt zu.

Tatsächlich gab es einige Parallelen, aber auch Unterschiede in den Darstellungen. Auch wäre die Rolle des neugewählten Ministers völlig neu, würde sie denn den Tatsachen entsprechen. Ebenfalls wurde bislang nicht erwähnt, dass in den Eichenfässern vermutlich Heroin geschmuggelt werde. Auch von Menschenschmuggel oder gar Menschenhandel wusste die Quelle von Gérard nichts zu berichten. – Gut, er wurde auch nicht danach gefragt.

Und trotzdem war erstaunlich, selbstverständlich nur dann, wenn die Informationen auch tatsächlich stimmten, dass der oder die Informanten von Gérard mehr wussten als die involvierten Nachrichtendienste. Gut, vielleicht hatten diese oder Frau Vögtli ihm auch nicht alles erzählt. Auf jeden Fall galt es die Informationen in die weiteren Überlegungen miteinzubeziehen. Ein altes Sprichwort lautet ja bekanntlich: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.

Nun wollten sich die Anwesenden aber doch lieber wieder der leichteren Kost bedienen, und Philippe schlug vor, das Abendessen vorzubereiten. Natürlich waren alle damit einverstanden. Philippe hatte vorgesehen, einen Fisch zu servieren. Er entschied sich beim Einkauf für Rotzungenfilets und zwar nicht nur, weil sie besonders gut schmecken, sondern auch noch einigermassen bezahlbar sind. Seezungenfilet hatte er zwar noch lieber, diese sprengten jedoch sein Rentengeld und somit gab es eben Rotzunge, immerhin Wildfang aus dem Atlantik. Dazu sollte es Reis und Salat geben. Philippe war bekannt für seine Salatsauce und die Gäste rühmten diese zumeist. Philippe war sowieso erstaunt, dass er in Frankreich noch nie eine wirklich gute «französische Salatsosse» gegessen hatte, obschon in der Schweiz dieser Begriff auch verwendet wird.

Seine Sauce besteht aus drei Teilen Sonnenblumenöl, einem Teil Weinessig, Aromat (!) und Pfeffer, Mayonnaise und Senf, gut proportioniert, und einen Schuss Halbrahm; als vegane Alternative kann auch Soja verwendet werden. Das Ganze wird dann mit einem kleinen Schwingbesen verrührt und mit frischen Zwiebeln, Radieschen und Tomaten und allenfalls mit frischen Kräutern wie beispielsweise Schnittlauch verfeinert. Letztlich kommt es aber darauf an, dass der Salat frisch ist und nicht in geschnittener und in Plastik abgepackter Form daherkommt. Bei Philippe sträubten sich jedes Mal die Nackenhaare, wenn er einen Plastiksack Fertigsalat mit elend langem Verbrauchsdatum öffnete. Der Geschmack war einfach nur widerlich.

Das Abendessen war köstlich und Philippe und Bernard gönnten sich nach dem Essen noch einen Digestif. Dieses Mal sollte es ein Marolo, Grappa di Barolo, 12-jährig sein. Bernsteinfarben leuchtend im Glas, mit einem leichten Duft nach Zwetschen und Zitrusfrüchten, geschmeidig und elegant, erfreute dieser Grappa die beiden. Deborah und Isabelle zogen abermals einen Tee vor, dieses Mal einen Bio-Früchtetee mit Zichorie und Lindenblüten, welcher unter dem Namen Lemon Sorbet von Special.T angeboten wird.

Leider neigte sich der Besuch von Bernard und Isabelle schon bald dem Ende zu. Morgen Vormittag wollten sie zurückfahren, da die Mutter von Isabelle, Fabienne Bertrand, ihren 80-igsten Geburtstag feiern werde. Es werde sicherlich ein schönes Fest, auch wenn ihr Mann Paul, der Vater von Isabelle, nicht mehr dabei sein werde. Paul sei vor gut einem Jahr verstorben, jedoch habe sich Fabienne einigermassen gefasst und sie freue sich nun auf das Fest, an welchem auch Désirée, die Schwester von Isabelle, und die beiden Töchter von Bernard und Isabelle, Michelle und Danielle, teilnehmen werden.

Nach einem nochmaligen kurzen Umtrunk begaben sich alle zu Bett. Vorgängig durften Enrico und Dissan nochmals kurz in den Garten, und sie liessen es sich nicht nehmen, den Schnee noch einmal mit allen Sinnen zu geniessen.

Der Abschied am nächsten Morgen viel kurz aus, und es wurde vereinbart, sich bald wieder zu treffen, es gelte schliesslich, auch in die Zukunft zu blicken, was das denn auch immer heissen mochte. Ein letztes Händeschütteln und ein letztes Winken und fort waren sie. Enrico schaute dem Fahrzeug traurig hinterher, sass darin doch sein neu gewonnener Freund und nun war dieser schon wieder weg. Philippe und Isabelle mussten Enrico richtiggehend trösten und nur ein ‘Goodie’ konnte hier Abhilfe schaffen. Nach dem zweiten Leckerchen legte sich Enrico noch ein wenig in seinem Korb nieder und träumte vielleicht von seinem neuen Freund.

Bern ... und seine Machenschaften

Подняться наверх