Читать книгу Soantà und Als Paolos Hände reden lernten - Peter Georgas-Frey - Страница 5

1. Die Entdeckung

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Es war ein ganz durchschnittlicher Tag, als Paolo entdeckte, dass die Dinge ihm ihre Geschichte erzählten, sobald er sie berührte. Anfangs zweifelte er, ob es eine Gabe sei oder ob er sich nur einbilde, dass die Szenen und Ereignisse, die er beim Berühren vor sich sah, wirklich geschehen waren.

Aber nicht nur, dass die Bilder sich mehrten. Paolo begann nachzufragen und fand, dass alles, was er beim Berühren wie ein Träumender sah, sich ereignet hatte. Dass er tatsächlich fähig war, die Beseelung von Gegenständen und die Vergangenheit von Menschen zu erspüren.

Eine Geschichte erzählen konnte ihm alles, was er berührte. Einige dieser Geschichten waren für ihn unverständlich. Wenn ihm eine Orange, ein Stück Rinde, eine Kuh eine Geschichte erzählte, so war dies so fern dem Erleben eines Menschenkindes, dass er zwar Bilder empfing, sie für ihn aber keinen Sinn ergaben. Etwas anderes war es, wenn er Gegenstände berührte, die Bezug zu einem Menschen, zum Beispiel zu einem der Bewohner des Dorfes hatten, in dem er lebte. Oder wenn ihm die Dinge Geschichten des Lebens selbst erzählten, über den Ursprung und das Werden des Lebens. Dann waren die Bilder ihm leicht verständlich. Es kam vor, dass er selbst Teil der Geschichte eines Gegenstandes war, dass er sich als Randfigur in der Geschichte einer Gabel, einer Decke oder eines Freundes erlebte.

Die Befragten, die Paolo heimlich aushorchte, ob seine Visionen richtig waren, wunderten sich über seine Fragen. Und sie wunderten sich besonders, dass ein grade mal Zwölfjähriger auf solche Fragen kam. Aber sie gaben redlich Antwort und so kam Paolo zu einem Ergebnis.

Paolo verschwieg, fest entschlossen sich nicht lächerlich zu machen, warum er fragte und behielt sein Wissen vorerst für sich.

Er entdeckte erst nach und nach, dass es sowohl Menschen als auch Gegenstände waren, deren Geschichte er durch Berührung erfuhr. Steine, Bäume oder ein Apfel konnten ihm die Bahn ihres Lebens oder jene lange allen Lebens erzählen. Genauso wie seine Mitmenschen, Freunde, Verwandte oder Mitbewohner des Dorfes.

Paolo erfuhr den Knabenstreich eines alten Mannes, als er ihm half, einen Baumstamm zu überqueren und ihm dazu die Hand bot. Er sah in seiner Vision dem Altgewordenen plötzlich in ein Knabengesicht. Sah ihn rennen, laut lachen und sich freuen, dass ihnen gelungen war, der Nachbarsfrau heimlich den Maiskuchen zu entlocken. Paolo ließ die Hand los und sah den Alten, zittrig und schwach geworden, und erschrak über die Kraft der Zeit, die Menschen erhob und niederdrückte, sie zerknitterte wie ein welkes Blatt.

Paolo nahm einen Besen und der erzählte ihm, wie er einst entstanden war. Nämlich aus einem Ast, von einem der ältesten Bäume des Waldes, und aus Stroh, das im letzten Augenblick dem Schicksal, vom Maul eines Büffels zermalmt zu werden, entronnen war. Paolo las einen auffälligen Stein vom Boden und der berichtet ihm aus den ersten Stunden der Erde, als Vulkane und Erdbeben ihr Angesicht gestalteten. Ein Baum erzählte ihm, als er sich an dessen Rinde lehnte, von den Spielen seines Vaters, als der noch ein kleines Kind war und der Baum selbst kaum mehr als ein halbwüchsiger Sprössling. Und als er einen Apfel essen wollte, erfuhr er von ihm den Namen der Biene, die die Blüte, aus welcher der Apfel entstanden war, befruchtet hatte.

Diese Erlebnisse hatten Zauber und Schrecken zugleich. Große Furcht hatte Paolo vor dem Augenblick, da er vielleicht den Tod eines Menschen oder die Vernichtung eines Gegenstandes durch Berührung vorausahnen konnte. Das war bislang nur eine Sorge, denn Paolo konnte die Vergangenheit betrachten, aber nicht die Zukunft. Doch bis vor einigen Wochen hatte er nicht einmal die Vergangenheit gesehen. Wer wusste, was noch kam?

Bis zu dem Tag, da er seine Gabe entdeckte, hatte Paolo immer geglaubt, er müsse viel lernen, um die Dinge zu verstehen. Jetzt erfuhr er, dass er sie entdecken und hören konnte, auch ohne Belehrung. Wenn seine Seele nur offen war. Und das war eine sehr schöne Seite seiner neuen Fähigkeit.

Natürlich erfühlte nicht jede Körperstelle Geschichten. Es wäre das Kind ja nicht zur Ruhe gekommen. Ließ es sich doch nicht leben, ohne irgendetwas auf der Welt zu berühren. Nein, es waren seine Hände, die als Übermittler dienten. In den Wochen nach seiner Entdeckung betrachtete Paolo sehr oft, sehr lange und gründlich seine kindlichen Hände, die noch keine Hornhaut, noch keine Risse oder gar Falten entstellte. Er dachte, dass es zarte Hände waren, die er besaß. Hände zum Beten, zum Streicheln, zum Fühlen und nicht zum wehe tun. Er schätzte und betrachtete sie wie ein neues Spielzeug, das er gut aufheben und recht ausgiebig genießen wollte. Oft konnte er gar nicht anders, als irgendetwas zu berühren, um sich zu vergewissern, dass seine Gabe nicht verloren war, oder um sich zu unterhalten, weil ihn langweilte. Eines Nachts setzte er sich spät, als alle anderen bereits schliefen, allein vor ihre Hütte und betrachtete seine Hände im Sternenlicht und dem hellen Schein eines vollen Mondes. Er hoffte, irgendetwas Besonderes an ihnen zu entdecken, was das Sonnenlicht verbarg. Aber seine Hände blieben, von ihrer jugendlichen Schönheit abgesehen, schlichte Hände.

Das Dorf, in dem Paolo lebte, lag verborgen in wildem Wuchs von Bäumen und Farnen, vielfarbigen Sträuchern und Büschen. Der liebe Gott neigte ja dazu, Pflanzen, hohe und niedere, zusammenzubauen und dem Menschen durch ein Vielerlei an Formen die Übersicht zu nehmen. Inmitten eines solchen Gottesgartens, inmitten einer großen Insel lag das Dorf. Auf einem von der Menschheit vergessenen oder aus göttlicher Sorge um seine Unschuld verborgenen Eiland, einsam in der tropischen Südsee. Die Insel, welche ihre Bewohner Tokanata nannten, was so viel wie Glückselige Insel bedeutet, hatte sich aus einem gewaltigen Schlot, den ein untermeerischer Vulkan vor Urzeiten ausgestülpt hatte, entwickelt und war über Jahrmillionen nach und nach von verschiedenem Leben besiedelt worden. Sie war von allen Seiten weit mit Meer umgeben. Und es mochte wohl nichts zu ihr gehören, was nicht von Anbeginn zu ihr gehörte. Das Leben auf der Insel war leicht. Es war ganzjährig warm, es gab viele essbare Pflanzen, viel Fisch, reine, gute Quellen und man mochte kaum glauben, dass anderswo Hunger oder Kälte möglich waren.

Paolo lebte mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder, der grade neu geboren worden war, in einer großen, hellen Hütte inmitten des Dorfes und alles, was er sich je wünschte, war, das Leben seiner Eltern fortzuführen. Seine beiden Schwestern waren beide älter als er, sechzehn und achtzehn, und bald würden sie das Haus ihrer Eltern verlassen, um das eines Bräutigams zu beziehen. Nono, die Achtzehnjährige, sollte im nächsten Jahr mit Madosch verheiratet werden, und Litau, die Jüngere, hatte wohl einen Verehrer, darüber durfte aber noch nicht offen gesprochen werden.

Paolos Vater, Rentai, war ein gerechter und wohlmeinender Familienvorstand, der es mit all seinen Kindern gut meinte, aber auch früh darauf achtete, dass sie lernten, den Vorteil des Dorfes zu sehen und sich nicht auf die Sippe zu beschränken. Er war Fischer, wie alle Männer des Dorfes. Nur selten gingen die Männer für einige Tage über die Insel, um Wild zu jagen.

Paolos Mutter, Sintat, war eine hübsche und warmherzige Frau, die dem Haus und den Kindern ihre eigene Schönheit einhauchte, sodass die Nachbarn und die anderen Kinder gern nach ihr und der Familie sahen.

Überhaupt war das Dorf eine stolze, schöne, fröhliche, fleißige und ehrbare Gemeinschaft, die wusste, wie sehr der Friede aller am Glück jedes Einzelnen hing und dass man nie würde nachlassen dürfen in dem Bemühen, für Gerechtigkeit und Ausgleich zu sorgen.

Wenn einem ein Kind starb, so trauerten alle und derjenige durfte, sofern er es wollte, umso inniger die anderen Kinder mit großziehen. Wem die Mutter starb oder der Vater, der fand in allen Männern oder Frauen Ersatz. Die Kinder nannten die älteren Pa, was Vater bedeutete, und die Mütter Ma.

Es gab im Dorf keinen Hunger. Was gefangen wurde, erhielt die Gemeinschaft zu gleichen Teilen, nur leicht abgestuft zum Vorteil der Kinder. Es gab einen Häuptling, aber dessen Wort wog nur bei Streitigkeiten. Er saß dann der Dorfversammlung vor, bei der abgestimmt wurde, wie die Gemeinschaft einen Streit entschieden haben wollte. Parteilichkeit wurde dabei nicht geduldet. Es war verpönt, jemanden im Vorfeld einer Abstimmung für sich zu gewinnen. Deshalb versuchte es niemand.

Es würde den Rahmen dieser kleinen Geschichte sprengen, alle vorstellen zu wollen. Denn es waren beinahe vierhundert Menschen. Aber wie immer gibt es einige, die sind für einen bestimmten Zusammenhang wichtiger als andere, und diese vorzustellen, bietet sich dem Erzähler hier an:

Da war zum einen der alte Kamall. Er gehörte zu den Dorfältesten und war für Paolo ein Ersatzgroßvater, nachdem Paolos Großvater vor einem Jahr gestorben war. Kamalls Haut war alt und sie war grob und furchig wie Baumes Rinde, und seine Augen waren tief wie ein stilles Meer. Er war nicht mehr gut auf den Beinen und saß die meiste Zeit des Tages vor seiner Hütte auf einer Bastmatte, saugte Zuckerrohr oder rauchte ein heimisches Kraut, das er versteckt in den Wäldern fand, aus einer selbstgebauten Wasserpfeife aus Bambusrohr und einer Kokosnuss. Das Kraut hatte eine leicht berauschende Wirkung und durfte nur von denen geraucht werden, die alt genug waren.

„Für die Kinder mehr Essen, damit sie stark im Leben werden, und für die Alten ZuckZuck”, so hieß das Kraut, „damit sie leicht beim Sterben werden”, pflegte Kamall zu sagen. Und wies wenn nötig auch einmal den jungen Paolo zu Recht, wenn der sich beklagte, das Kraut nicht versuchen zu dürfen.

Kamall also saß auf dem Bast, mit dem Rücken gegen die Stämme gelehnt, aus denen die Wände seiner Hütte bestanden, die Beine angezogen, die Ellbogen auf die Knie abgelegt und den Kopf in beweglicher Veränderung. Rauchte ZuckZuck und beobachtete mit weise gewordenen Augen die Männer beim Netzeflicken, die Frauen bei der Zubereitung von Fisch oder Früchten und die Kinder beim Spiel. Des Alten Hütte lag, wie die aller Älteren, am Rande des Dorfes, damit sie ihre Ruhe hatten vor Lärm und zu lautem Kinderspiel und nahe bei dem waren, zu dem sie bald wieder werden sollten: Erde und Wald.

Neben Kamall gab es die Kräutersammlerin Lavel. Die brachte dem alten Kamall dessen Kraut, wenn der gar nicht gut zu Fuß war, und sorgte mit ihren Kräutermischungen für Erleichterung unter den Kranken. Lavel lebte allein. Sie hatte, nach ihrem Verständnis, keinen Mann und durch ein Unglück ihr Kind früh verloren. Darum hatte sie sich das Recht erstritten, für sich allein zu leben.

Es gab unter den Menschen des Dorfes kein Gesetzbuch, das alles erklärte. So war die Gemeinschaft gezwungen, auf bestimmte Zusammenhänge bestimmte Lösungen zu finden. Es gab Konflikte, in denen man sich auf frühere Streitfälle berufen konnte, aber manche brachten auch ganz Neues hervor. Ein solch eigenwilliger Fall war der von Lavel gewesen. Nach dem frühen Tod ihres Kindes hatte sie nicht mehr mit ihrem Mann leben wollen und erklärt, sie wolle nun der Gemeinschaft durch das Sammeln und Verabreichen von Kräutern dienen, aber nicht mehr als Ehefrau oder Mutter.

Das war eine bis dahin unbekannte Forderung. Normalerweise trennte die Partner nur der Tod, und so hatte man sich lange beraten, wie es im Falle Lavels gehen sollte. Diese hatte schließlich die Gemeinschaft überzeugt, dass für sie und ihren Mann ein Zusammenleben nur unerträgliche Erinnerung wach halten würde. Die Dorfgemeinschaft hatte dies eingesehen und beiden ein Haus, jeweils am entgegengesetzten Dorfende zugesprochen. Seitdem verteilte Lavel die Kräuter, die sie im Wald fand, und saß am Abend vom nahenden Dunkel still und einsam gemacht, dem Weh ihres Verlustes nachsinnend, allein in ihrer Hütte.

Den Tag über aber war sie eine geachtete und auch gefürchtete Person im Dorf. Sie verschwand für Stunden im Wald, um sich nach geheimer Suche und Zubereitung ihrer Tinkturen weiteren Stunden der Pflege eines Kranken zu widmen. Manche von Lavels Kräutern verhalfen ihr zu Visionen. Nicht selten zeichnete sie, nach Einnahme einer ihrer Tränke, Bilder und deutete später durch die Farben ihrer Vision einem Dorfbewohner die Zukunft.

Paolo mochte die Kräuterfrau, weil der alte Kamall gut von ihr redete. Er hatte aber auch Angst vor ihr und wusste nicht, ob er ihr trauen konnte. Lavels Augen waren streng und ernst und voll unergründlicher Trauer, und Paolo war froh, dass der Moment noch nicht gekommen war, da er sie hätte berühren müssen.

Madosch, der nächste im Kreis derer, die in dieser Geschichte bedeutsam sind, war der zukünftige Ehemann von Paolos ältester Schwester. Er war der Sohn von Paolos Nachbarsfamilie. Madosch war frisch in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen. Er schien aber mit seinem Leben und mit seinen neuen Pflichten nicht glücklich. Madosch war, seit er einmal als Kind vom Vater Prügel bekommen hatte, was im Dorf unüblich war und nach dem Übergriff zu einer Rüge von Madoschs Vater durch den Dorfrat geführt hatte, düsterer und unnahbarer als die anderen Bewohner des Dorfes. Er mied die gemeinsame Arbeit mit den anderen Männern und versuchte so gut er konnte, nicht in ihre Aufgaben eingebunden zu werden. Madosch redete nicht viel und nicht gern, und es gab nur eine Ausnahme, bei der man ihn fröhlich erlebte. Nämlich, wenn er sich mit Paolo, seinem zukünftigen Schwager, einen Spaß erlaubte. Paolo ließ es sich gefallen, weil ihm Madosch Leid tat und weil er seiner Schwester Streit ersparen wollte, die es gar nicht leiden konnte, dass Madosch ihren kleinen Bruder so oft neckte. Madosch aber taten die Späße gut. Er war dann ein ganz anderer. Und wenn es ihm gelang, Paolo in eine Falle tappen zu lassen, konnte es sogar vorkommen, dass man ihn lachen sah.

Samsam nun war der kräftigste unter den Männern und Paolos Schutz gegen alle Bedrohungen. Sei dies Madosch, seien es Hunde oder andere Ärgernisse, wenn Samsam mit seiner Bärengestalt in Paolos Nähe war, durfte sich dieser in Sicherheit wiegen.

Samsam klug zu nennen, wäre eine Schelmerei. Denn wenn es darum ging, Zusammenhänge schnell und zielgerichtet zu überschauen, zeigte Samsam keine Stärke. Passender ist es, ihn als treu und mutig und gerecht zu charakterisieren. Denn Samsams langsames Denken verhalf ihm zu einer gewissen Gründlichkeit des Denkens, so dass er einen Freund für lange Zeit in sein Herz schloss, hatte er erst einmal den Freund in diesem Menschen gesehen. Er nahm Gefahren gleichmütig in Kauf, denn wenn er sich auf ein Abenteuer einließ, dann war alles gut bedacht und Samsam kannte nur noch den Weg nach vorne. Sein Gerechtigkeitssinn war tief und ausgeprägt. Er prüfte lange und genau die Gründe der anderen und die eigenen, bevor er sich einer Sache anhängte.

In Paolo hatte Samsam einen Freund erkannt, obwohl es selten war, dass Männer und Knaben Kontakt unterhielten. Samsam nahm Paolo mit auf Erkundungsgänge über die Insel. Er zeigte ihm viele Tiere und versteckte Schluchten und Höhlen, in denen sich manches Geheimnis träumen ließ. Paolo lauschte und folgte Samsams Erklärungen, obwohl er dem Älteren viel Wissenswertes hätte beibringen wollen. Aber Samsam war zu alt, als dass man noch viel hätte an ihm ändern können, und es lag auch nicht in der Natur der Dinge, dass der Jüngere dem Älteren auf den Weg verhalf. Paolo konnte von Samsams Wissen profitieren und dadurch nicht nur klug, sondern auch stark und geschickt werden.

Zuletzt war da noch das Mädchen Ysop. Auf zarte und sanfte Art für diese Geschichte wichtig, wie Morgentau und Frühlingslicht. Sie war wenige Tage älter als Paolo und in seinen Gedanken von großer Bedeutung. Es gab Nächte, da lag er lange wach und dachte an Ysop und wunderte sich über diesen seltsamen Bann, den sie auf ihn ausübte.

Ysop, die etwas Ältere, lebte mit ihren Eltern und drei Brüdern am Dorfrand, nahe zu Kamalls Haus. Paolo schaffte es nie, dem Mädchen länger in die Augen zu sehen oder sich so unbeschwert zu unterhalten, wie er es mit seinen Schwestern oder Samsam oder sonst jemand vermochte. Ysop hatte schöne, dunkle Augen und die zarte Gestalt eines Schmetterlings in Menschenform. Sie trug ihr Haar bereits wie die Frauen, nämlich zu einem Knäuel gewickelt, den sie hochsteckte. Dabei zeigten sich ihr schöner, grader Nacken und ihre flaumige, reine Haut bis hinab zu den Schultern. Paolo wusste dies alles ganz genau. Er hatte es in vielen Tagtraumstunden vor seinem inneren Auge nachgezeichnet.

Was Ysop von ihm dachte, das nun wieder konnte er gar nicht sagen. Sie sah ihn immer ganz offen und zutraulich an. Sie ging aber nicht auf ihn zu und sprach ihn auch nicht an. Sie wartete, bis er nach ihr sah und versuchte dann seinen Blick zu halten. Der von Paolo aber entglitt rasch und er lief mit eiligen Füßen zu Kamalls Haus weiter, das zumeist sein Ziel war, wenn sie sich begegneten.

Mit diesen und vielen anderen Menschen lebte Paolo sein friedliches, freies Leben. Der Wind war ihre Kleidung, nur dass Frauen und Männer einen Lendenschurz trugen. Ihre Füße waren geschützt von einer Sohle harter Hornhaut, die aber nicht viel mehr abzuwehren hatte als seltene Dorne einiger Hecken und gröberen Stein im Inselinnern.

Es vergingen noch einige Wochen, bis Paolo schließlich mit der Entdeckung, die er an sich gemacht hatte, nicht mehr allein sein wollte und beschloss, einen anderen Menschen einzuweihen. Dafür kam zu Anfang nur einer in Betracht.

Soantà und Als Paolos Hände reden lernten

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