Читать книгу Mein Haus - eine Burleske - Peter Hesselbein - Страница 4

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Eingang

Also als Tante Anneliese das erste Mal vor meinem Haus gestanden ist, da hat sie ihren Hut festgehalten und entsetzt gesagt: »Ach Gott, Junge, wo bist du denn da hingeraten?« Ja, was hätte ich hier einwenden sollen?

Sie hat ja Recht gehabt. Oder zumindest nicht ganz Unrecht. (Und dass sie nicht Anneliese heißt sondern irgendwie anders, wird jedermann klar sein, denn ich habe mich ja mit meinem ersten Buch1 bekanntlich dermaßen in die Nesseln gesetzt, weil Leser Anklänge an Wirklichkeiten zu vermuten unternahmen und damit auch Gerichte befassten, dass ich mich dieses Mal gern etwas besser absichern möchte. Es ist eigentlich höchst amüsant: erst wollte kein Verlag das Ding drucken, aber das ist ja wohl immer so; ich könnte Ihnen aus Ablehnungsschreiben zitieren, dass Ihnen die Augen tränen. Ich habe das alles ziemlich klaglos ertragen, aber als es dann draußen war, das Buch, begann der Zirkus mit den Gerichtsprozessen.)

Ich muss da etwas weiter ausholen, ob Ihnen das gefallen mag oder nicht.2 Die Geschichte mit dem Haus ist nicht ganz einfach zu verstehen.

Die Hüte von Tante Annemarie sind übrigens Legende in der Familie. Sie trug – und bisweilen war der eine oder andere tatsächlich geneigt, sie diesbezüglich mit der Queen oder gar Queen Mom (selig) zu vergleichen (übrigens gibt es daneben ja noch namhafte andere hütetragende Mitglieder der königlichen Familie, irgendwie scheint hier der Hut die Krone abgelöst zu haben) – sie trug sozusagen majestätische Kopfbedeckungen, meist in gedeckten oder Pastellfarben, oft in gewagten Ausformungen und stets häufigem Wechsel. Dabei gelang es ihr fast vollständig, auf ausgesprochen widerwärtige Modelle zu verzichten; einen Strohhut mit einer Applikation aus schwarzen (sozusagen süßen) Kirschen3 hätte sie z.B. nie getragen, ebenso wenig etwas mit auch nur einer Andeutung von Zylinder. Aber Borsalinos hat es schon gegeben (es können auch Kalabreser4 gewesen sein, die Unterscheidungsmerkmale habe ich mir nie merken können). Mit einer Art Melone war sie schon gesehen worden, und natürlich besaß sie eine Vielzahl von Modellen mit gerundeten Krempen, ausgebuchteten Krempen, schmalen oder sehr breiten Krempen, von Kopfbedeckungen mit rundem Korpus, eingebuchtetem Korpus, nahezu spitzem Korpus usw. Mit den Bändern und Bordüren möchte ich Sie nicht langweilen, und über Muster muss ich mich nur insofern auslassen, als es nicht sehr viele gab (was den Kenner beruhigen wird). Welche Sorte Hut sie nun an diesem bewussten Tag trug, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, mir schwebt etwas Gelbes mit leichtem Schleier vor, vielleicht bekrönt von einer ebenfalls gelben Rose? Ja, das könnte passen.

Ich schweife ab.

Sie stand da also vor mir (denn sie war um ein Erhebliches, ja, man könnte sogar sagen Erkleckliches kleiner gewachsen als ich, und hinter mir hätte sie wohl nur sehr wenig von diesem Hause gesehen oder sich in höchst undamenhafter Weise nach links oder rechts verbiegen müssen), aber auch von hinten war ihrer Haltung deutlich anzumerken, dass sie besagte Immobilie oder ihre Lage5 oder ihren Erwerb durch mich oder gar das Leben, dem ich ihrer Einschätzung nach dort oblag, missbilligte. (Vielleicht sogar das Leben an sich, zumindest das anderer Leute.)

Jetzt fällt mir ein, dass wir natürlich auch nebeneinander hätten stehen können. Gut. Aber es war eben nicht so. Wir standen hintereinander, bildeten sozusagen eine Warteschlange mit nur zwei Gliedern.

Dass sie mit Grund, mit Fug, mit Fug und Recht missbilligte – oder mindestens nicht ohne – (in Bezug auf das Haus wohlverstanden, nicht in Bezug auf meinen Lebenswandel, was ich ausdrücklich anmerken möchte), konnte sie gar nicht wissen, aber sie war gewöhnlich nicht nur schnell in ihrem Urteil, sondern auch fest und gar nicht einmal so daneben.

Als sie z.B. den ersten Ehemann meiner Mutter kennen lernte (also nicht meinen Vater), da muss sie wohl so etwas gesagt haben wie: Liebe Schwester, ich will hoffen, dass du weißt, was du tust. Und es soll Wochen gedauert haben, bis meine Mutter sie wieder eines Wortes würdigte. Zumal besagter Bräutigam (in diesem Stadium befand sich die Beziehung noch) in Hörweite gestanden haben soll. Blicke bezog sie dagegen viele (und alsobald), wenngleich nicht allzu liebevolle. Aber das ist eine alte Familienge-schichte, die ich nur vom Hörensagen her kenne. Später hinderte diese Episode meine Tante auch nicht daran, mit dem Mensch eine längere Liaison einzugehen, was wiederum die Chancen meines leiblichen Vaters bei der Bewerbung um die noch (wenn auch nicht glücklich) verheiratete Frau erheblich erhöhte, die dann meine Mutter wurde, bevor sie ihren zweiten Gatten auch rechtsgültig freien konnte.

Kompliziert, gell? Aber ich will Sie auch nicht allzu sehr mit Begebenheiten aus dem Kreise meiner Verwandtschaft langweilen, zumal, wie ich hier schon versichern möchte, kein einziges Mitglied dieser, ja, soll ich Sippe sagen? in meinem Haus wohnt oder jemals wohnte. Darauf lege ich Wert. (Der Begriff Sippe soll hier gar nicht abschätzig, sondern, bitte, wirklich rein genealogisch gemeint sein.)

Dass ich trotzdem bestimmte Absichten damit verband, Tante Auguste mein Haus vorzuführen, werden Sie wohl vermuten können, denn noch ist sie Ihnen nicht sympathisch, das ahne ich.

Mit Sympathien muss man im Übrigen vorsichtig umgehen. Ich habe da so meine Erfahrungen gemacht, und sie waren durchaus nicht immer erfreulich. All zu leicht fällt es mir z.B., junge Mädchen nett zu finden (junge, nicht kleine). Gut, das geht vielen so, aber wie fatal diese Neigung für einen älteren Mann ist – ich könnte auch »gereiften« sagen –, darauf brauche ich wohl nicht näher einzugehen.

Meine Tante Aglaia verfügte, fürchte ich, nicht gerade über große Erfahrung mit Häusern, aber dass es hier nicht um etwas ausgesprochen Exquisites ging, muss sie gleich bemerkt haben. In der Tat: von außen gesehen, kann man mein Haus nicht gerade als Schmuckstück bezeichnen. Der Putz ist grau, der Schnitt einförmig-glatt, ohne Ornament, ohne Gepränk, ohne Farbakzente. Leider auch nicht so formvollendet-bauhausig, dass man das Schlichte vergessen ja verzeihen würde. Die Fenster machen einen ärmlichen und abgeschabten Eindruck, auch gibt es wenig Blumengekräusel, der sozusagen von den Fensterbänken herunterquellen könnte wie an so vielen anderen Gebäuden: gar nichts quillt. Auf dem schmalen Gehsteig, der aus diesen quadratischen Betonplatten der Nachkriegszeit zusammengesetzt ist, liegt Hundeköttel. (Habe ich eben Tante Amelie gesagt oder Tante Adelheid? Annemie meine ich natürlich. Bei Amelie – ich denke da immer an Kamelie – weiß man ohnehin nie, wie es richtig auszusprechen ist.) Nicht einmal einen anständigen Fahrradständer gibt es, oder ein Dach über der Haustür, paar Marmorstufen davor mit einem schönen antiken Stiefelkratzer oder so etwas Ähnliches. Auch fallen weder Briefkästen noch eine Zeitungsrolle vor dem Eingang auf.6 So hat man den Eindruck, die Bewohner wollten nicht gestört sein, nicht Kontakt finden oder aufnehmen, nicht Neues erfahren, und so wirkt das Haus unbewohnt, die Fassade hässlich nackt.

Der Begriff ›nackt‹ ist ja nun eigentlich eher positiv belegt, zumindest in den zurückliegenden drei Jahrzehnten war er das (oder wurde). Gemeinhin verbindet man damit die immer häufiger auch öffentliche Zurschaustellung der Körper eher jüngerer, dünnerer, hübsch gestalteter Menschen durchaus beiderlei Geschlechts (auch holt in den letzten Jahren der männliche Teil der Bevölkerung hier deutlich auf, mag das als Zeichen der Gleichberechtigung interpretieren wer da will, mir läge diese Deutung nicht so präsent, mir fielen da ganz andere Muster ein). Als sehenswert empfindet man das aber vorwiegend dann, wenn es sich um Menschenfleisch handelt. Bei Tieren verhält es sich höchstens ambivalent, möchte ich meinen; sicher sind diese exotischen Exemplare von Nacktkatzen und Nackthunden den meisten Menschen eher unangenehm und Nacktschnecken ekelig.7 Schon der nackte Hals des Geiers lässt uns erschauern. Auch liebt man nackte Jungmäuse, -ratten, -vögel nicht sehr. Immerhin wecken sie bei manchen noch Beschützerinstinkte. Bezieht man den Begriff aber auf ein Zimmer, eine Wand, eine Fassade wie in unserem Falle, auf einen Wald oder anderes Landschaftliches (was etwas weithergeholt klänge, höchstens zulässig bei Schlucht8 oder Kluft oder Fels – aber da liegt einem ja schon wieder die Fels-Wand auf der Zunge), auf das Entsetzen natürlich9, auf Armut oder dergleichen ohnehin negativ besetzte Wörter (es war einmal eine Zeit, da gab ›Armut‹ eine wünschenswerte Orientierung an, und zwar nicht einmal nur für Mönche, man stelle sich vor), so steht es nicht mehr so sexy um dieses Wort, da verliert es jede Attraktion, da haftet ihm sogar etwas Höllenmäßiges an, im schlimmsten Falle natürlich. Aber in diesem trifft’s, man könnte auch von ›bloß‹ sprechen, wenn nicht dieses Wort seines ursprünglichen Sinns allmählich verlustig gegangen wäre. Nackt und bloß (ja, so klingt’s wieder) wirkt die Fassade, von schlichter Einfachheit kann aber gar nicht die Rede sein, es mangelt mindestens an etwas oder sogar an mancherlei.

Hundeköttel habe ich gesagt; das gehört ursächlich nicht zur Fassade, ergänzt sie aber sozusagen, indem es – oder sie? – den dazugehörigen Gehsteig, Fußweg, Bürgersteig – auch ein etwas aus dem Gebrauch gekommenes Vokabelchen (als ob es keine Bürger mehr gäbe. Aber vielleicht gibt es ja wirklich keine Bürger10 mehr?) –, das Trottoir eben, bedeckt, wenngleich nicht vollständig, so doch sichtbar und auch, das muss betont werden, störend, das bringt mich auf ein wichtiges und vielleicht sogar interessantes Thema. Warum nimmt der Mensch Hundeköttel als Verunreinigung wahr? (Sogar Hundehalter wären hier erstaunlicherweise zu subsumieren; mein Erstaunen bezieht sich in diesem Falle auf ihre diesbezügliche Rolle und Wahrnehmung dieser Fäkalien trotz eigener Teilbetroffenheit, nicht auf ihr Sein als Menschen, es soll also nicht irgend etwas abschließend Vernichtendes über die Gruppe der Hundebesitzer ausgesagt werden.) Vielleicht hat sich bei den Hundebesitzern aber auch eine selektive Wahrnehmung herausgebildet, vielleicht schätzen sie nur das Liegenlassen beim Tier anderer Leute weniger, aber durchaus beim eigenen? So sie es nicht schätzen, so tolerierten sie es doch? Warum sieht und riecht er (der Mensch jetzt wieder) diese Hinterlassenschaften mit einem solchen Ekel, ja Abscheu? Verfolgt (jetzt ist wieder der Mensch allgemein gemeint, Hundebesitzer höchstens inbegriffen) das Herumliegenlassen mit Strafen oder droht diese zumindest so häufig an? Begegnet er doch Pferdeäpfeln und Rinderdung, auch Karnickellosung mit so ganz anderer Emotionalität und offenbar geringerem, vielleicht sogar mangelhaft ausgeprägtem Regulierungsbedürfnis. Man mag einwenden, dass in unseren Städten ein zahlenmäßig außerordentlich verschobenes Verhältnis zwischen diesen Kotarten bestehe und die Schwerpunktsetzung so gerechtfertigt wenn nicht geboten erscheinen lassen möchte (ganz anders als auf dem imaginären Bauernhof mit aller Art Getier und allerhand Scheiße, den es vielleicht einmal gegeben hat aber nicht mehr gibt, oder höchstens noch in Gestalt von geschmackvoll bemaltem hölzernem Kinderspielzeug), aber das trifft es – so vermute ich – auch wieder nur teilweise. Ich denke vielmehr, dass den Menschen die so unmittelbar spürbare Ähnlichkeit seines eigenen Auswurfs mit der? dem? Hundeköttel betroffen macht, diese übrigens frappierend erstaunliche Ähnlichkeit selbst in der Größe, obwohl ja die meisten Hunde deutlich kleiner geraten sind als die meisten Menschen. Diese Ähnlichkeit ärgert, denn unsere eigene Scheiße lieben wir ja auch nicht mehr, zumindest nach einem gelungenen Abschluss der ersten Kindheitsjahre lieben wir sie nicht mehr (wiewohl die erstaunliche Vorliebe für Würstchen z.B. bei vielen deutschen Volksgruppen eine gewisse Zurückhaltung beim Aufstellen solcher Behauptungen geraten erscheinen lassen sollte), und hier wird einem etwas so Gleichartiges vor Augen geführt, unter die Sohlen geklebt, in den Weg gelegt. Das ergrimmt uns. Wir betrachten Hundehalter, die ihre Liebsten Abends durch die Straßen zerren, auf der Suche nach geeigneten Orten, mit Misstrauen, trauen ihnen einfach nicht zu, dass sie Behältnisse zur Entsorgung der Hundeköttel mit sich führen oder, selbst wenn sie sie unterm Arm trügen, zu ihrer Benutzung Neigung spüren. Dem Ausführen der Hunde haftet auf diese Weise etwas gemäßigt Kriminelles an, fast wie dem Rauchen von Zigarren. Übrigens ähneln weggeworfene Zigarrenreste manchmal der Hundeköttel ein wenig, zumal wenn ein Regen über der Stadt niedergegangen ist, allerdings weniger ein reinigender Sturzregen als vielmehr einer von den schmierenden, sich Zeit lassenden, gemächlichen, die den Schmutz eher zu vermehren scheinen als ihn davon zu waschen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die Hundeköttel die Menschen immer wieder infam daran erinnert, dass sie selber etwas Ähnliches absondern, und daran möchten wir wohl nicht in dieser Form erinnert sein.11

Die Stadtverwaltung tut etwas für ihre Bürger: Ab heute dürfen Hundebesitzer auch selber aufs Trottoir machen.

Zum Zigarrenrauchen wäre auch noch so einiges zu sagen. Allein die häufigere Notwendigkeit, bei dieser Tätigkeit auszuspucken. Wissen Sie, man kann ja unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob es noch zum guten Ton gehört, auf dem Trottoir auszuspucken.12 Versteht sich, nur solange man nicht beobachtet wird dabei. Sonst wird man, will man, sollte man das Ausspucken eigentlich stets vermeiden. Die Spucke ist ja auch eine etwas ambivalente Flüssigkeit, manchmal höchst willkommen, manchmal auch sehr eklig. Der süße Speichel ist das Eine, der stinkend-gelbe Rotz das andere. Hand aufs Herz, wenn Sie sich eine Person vorstellen sollten, die aufs Trottoir spuckt, fiele Ihnen da eher ein anmuthig Jungfräulein ein oder ein verzottelt-krätziger Alter im zerlumpten Gewande? Na, sehen Sie. Und welche Person von beiden würden Sie lieber, sagen wir einmal, küssen? Ah ja, merken Sie’s? Daher weht der Wind.

Es kömmt vor, dass so ein Alter, so ein Bettler vor dem Haus sitzt. Vielleicht lockt ihn der Laden, der Laufkundschaft vermuten lässt, obschon die meisten meiner Ladenmieter – später sollten Sie noch einige davon kennen lernen, denke ich – leider nie über den genügenden Andrang der Laufkundschaft verfügten. Die Läden hielten sich meistens nicht sehr lange, was in einzelnen Fällen schon bedauerlich war, finde ich. Die Bettler jedenfalls, die dort saßen, wurden auch nicht fett.

Geben Sie gern an Bettler? Ich gebe nicht gern. Es ist eigentlich egal: wenn sie diese unterwürfige Haltung einnehmen, gesenkten Kopfs und Blicks, sich offenbar eines möglichst zerlumpten Äußeren befleißigend (so scheint’s mir oft), ist es mir peinlich, und ich mache einen Bogen um sie. Blicken sie einem frech ins Gesicht, geradezu das Geld fordernd, meistens einen Hund neben sich, der zwar besser genährt erscheint als sie, aber dennoch dazu dient, das Mitleid der Vorübergehenden auf sich zu ziehen, so es der Bettler nicht schafft (und diese vermuten wohl, es werde ihnen nicht gelingen) (dass indes ich Hunde nicht so sehr mag, muss ich nach dem oben Ausgeführten wohl nicht noch besonders betonen) –, so schlage ich fast noch weitere Bogen um sie als um Vertreter der anderen Gruppe. Ich glaube immer, sie stänken, wiewohl ich dieses nicht positiv behaupten kann, da ich ihnen wohl nie nahe genug gekommen bin, um es sinnlich zu verspüren. (Ich meine jetzt die Bettlerhunde im Zusammenhang mit den unerfreulichen Ausdünstungen, nicht die Bettler selber.)

Ich brauche wohl nicht näher darauf einzugehen, dass ich die Haltung von Haushunden bei meinen Mietern nicht dulde.

(Hm. – Den »Haushund« gibt es eigentlich gar nicht. Lauschen Sie mal: ›Die Hauskatze traf auf den Haushund‹, nein, nicht wahr, das klingt nicht richtig. Unter Hauskatze stellen wir uns sofort bildlich13 etwas vor, und zwar die freundliche Nicht-Rassekatze, aber beim Haushund wollen wir doch etwas mehr wissen, z.B. ob er nun Locken hat oder glatt trägt, ob er so groß ist wie ein Kalb oder unters Sofa14 passt. Was aber interessanterweise geht, ist ›der Hofhund‹. ›Die Hauskatze lief zum Hofhund und beschwerte sich über den dummen Pudel‹, damit wäre ich sofort einverstanden. Der Hofhund muss arbeiten, er ist dabei eine Mischung aus Proletarier und Hausmeister15, ein bisschen abhängig und ein bisschen selbständig.

Natürlich ist die Katze gar nicht abhängig16. Sie erlaubt es ausgewählten Menschen, sie zu füttern. Lässt es zu. Ein Freund von mir besaß einmal eine Katze, die er »Hoheit« nannte, glaube ich mich zu erinnern. Manchmal wohl auch Gräfin.17)

Auch den »ehrlichen Bettler« gibt es wohl, der schriftlich oder – auch das habe ich schon bemerkt – auf einem vor ihm stehenden Pappschild ganz genau zu beschreiben versucht, wie er in diese Notlage hineingekommen ist. Und dann den Musicalbettler, der mit Cassettenrecorder, mit Gitarre, bisweilen Querflöte (das sind meist jüngere Bettlerinnen ohne grüne Haare), heute auch schon mal Akkordeon oder Geige – die Palette wird immer breiter, scheint mir, bald könnte man ein ganzes Bettlerorchester aufmachen, das, wenn man wollte – zur obligaten Mütze musiziert.

Das war jetzt ein etwas anspruchsvolleres Wortspiel, und ich würde mich freuen, wenn Sie es erkannt und gewürdigt hätten.

Bei Musicalbettler muss ich an den Musicalclown denken. Sagen Sie, ist es Ihnen nicht auch immer so erschienen, als sei der kleine feiste hässliche im Ensemble derjenige, der sich die ganzen Gags ausgedacht hat? Und der schöne strahlende mit den Pailletten auf dem Wams, der so wunderbar auf der kleinen silbernen Geige spielen kann oder auf der polierten Posaune, als sei der von dem kleinen Hässlichen engagiert und angelernt worden? Mir war das immer klar, schon als ich das erste Mal im Zirkus war.18 Das war Hagenbecks Zirkus. Den gab es damals noch. Ich glaube, heute ist er längst untergegangen, wie auch Sarrasani selbstverständlich. Das hat mir auch so einen Stich ins Herz versetzt, als ich über den Konkurs von Sarrasani gelesen habe. Natürlich hat mich auch die Liquidation des DDR-Staatszirkus getroffen, aber der kam doch nicht an Sarrasani heran! Oder schrieb man es Sarasani?

Mit dem VEB Staatszirkus war es natürlich noch eine ganz andere Geschichte, aber die hat ja schon Fritz Rudolf Fries aufgeschrieben, teilweise. (Wussten Sie, dass es in der DDR ungern gesehen, ja wohl zeitweise geradezu verboten war, die Vokabel »Staatszirkus« zu verwenden, wegen der allfälligen Assoziationen?)

Natürlich fällt mir bei Bettlern auch immer Mr. Peachums Geschäft ein. Nun ist Frau Elisabeth Hauptmanns und ihres Mitarbeiters Sichtweise ja so, dass einerseits der Bettler präsentiert wird als Proletarier, also durchaus noch des Ausgebeutetseins fähig ist und darum seinerseits natürlich Standesbewusstsein und Professionalität entwickelt, tendenziell die Opferrolle verlässt und Täter wird (letzteres ist allerdings nicht allzu deutlich herausgearbeitet, aus verständlichen, ideologischen, Gründen), andererseits die Rolle des Gebenden, des Kunden also, nur ganz am Rande gestreift wird. Das kann man als ganz typisch für diese produktionslastige Sichtweise der Linken ansehen, die immer den Kunden und damit den Markt zu wenig würdigt, und wenn, dann auch wieder nur als Opfer. Peachums Bemühungen erscheinen dem Leser geradezu als grandioser Betrug, als die Unterhaltung einer bombastischen Fälscherwerkstatt. So kann man natürlich fast jedes bedeutende Unternehmen denunzieren.

Überhaupt hat der Handel ja viel mit dem Bettel zu tun, was dann in der epischen Version des Stoffes auch herausgearbeitet wird, und in diesem Fall sehr profund (hier hat der Stückeschreiber übrigens mit Frau Steffin zusammen gedichtet, Frau Hauptmann war ihm zeitweise abhanden gekommen). Schon der Standort, die Straße, ist ein nicht unwichtiges Signal, dass hier Verwandtschaften wirken. Versandhandel hat sein Pendant im professionellen postalischen Betteln der Wohltätigkeitsorganisationen. Ich habe einmal eine namhafte Spende an einen solchen Verein gegeben und erhalte seither immer wieder, vorzugsweise zu Weihnachten, Bittbriefe von einer großen Anzahl mildtätiger Vereine. Den diesbezüglichen Adressenverkauf kann man durchaus mit dem Markieren der Türen durch Bettlerzinken vergleichen.

Ich weiß wovon ich rede! Junge, hat meine Tante immer gesagt, damals, als ich nämlich noch als Handelsvertreter gearbeitet habe, Junge, das ist doch kein Beruf, das ist doch nur eine Verkaufstätigkeit. Das letzte Wort ließ sie in ihrer Sprachmelodie in der zweiten Silbe ungefähr um eine übermäßige Quinte absinken, was Geringschätzigkeit ausdrücken sollte. Hoffentlich vorübergehend? schloss sie dann gleich an, und ich nickte schnell und bereitwillig.19

Die Griechen aber, so denke ich, hatten durch die Mehrfachzuständigkeit ihres Gottes Hermes den Handel eher dem Stehlen gleichgesetzt. Stehlen gilt ja doch wohl als ehrenwerter denn Betteln, nicht wahr? Zumindest verlangt es eine überlegenere Organisation, und in vielen Fällen auch arbeitsteilige Vorgehensweise, das Vorhandensein bzw. die Beschaffung von Kapital u.v.m. Auch die Sache mit der Harfe oder Lyra fand ich immer prima, und so typisch: Hermes hatte das Instrument flugs erfunden, aus einem Schildkrötenpanzer mit Saiten bespannt gebastelt (…mit Bonbons gefüllt)20, aber dann stahl er seinem Bruder Apollon eine Herde, und als Vater Zeus schließlich diesen Streit (wieder mal, wie so viele in seinem nun weiß Gott auch nicht leichten Leben) schlichten musste, ward gerechterweise die Herde, ungerechterweise aber auch das Instrument21 Apollon zugesprochen. Und nicht Hermes preist man seither als Erfinder der Musik, sondern sein zugegebenermaßen ebenfalls einfallsreiches Brüderchen. Zum Beispiel erbte Hermes von diesem ja einen Stab, mit dem er – wen er möchte – in tiefen Schlaf versetzen kann. Und das ist ja wohl ein Instrument, das sich sowohl Diebe wie Handelsleute für ihre jeweiligen Opfer inniger wünschen als irgendeine Klimperkiste. Also Entwurf, Budget, Schaltplan und allem wieder bei ihm zu sein. Als ich sein Café verließ, stolperte ich auf der Treppe und stieß mir ziemlich schmerzhaft ein Bein an. Später, als ich über den Traum nachdachte, fiel mir ein, was mir da zugestoßen war. Eigentlich schätze ich nämlich an diesem Bäcker, dass er so ganz und gar nur gute Backwaren macht ohne dafür zu werben, im Gegensatz zu den Großbäckern, die schlechte Backwaren machen und sie mit hohem Geschick erfolgreich vermarkten. Ich merkte, dass ich mir in dieser Rolle überhaupt nicht mehr gefiel, wie ich ihm da anriet, es auch so zu machen wie die anderen und damit den Typ Bäcker, den ich eigentlich selbst an ihm schätzte, sozusagen zu verraten. Ich war ein Anstifter zum Selbstverrat. Also wieder: besser wärst du nicht mehr in diesem Geschäft tätig. diese Nachbarschaft von (Diebes)kunst und Handelsbrauch (und der Fähigkeit den Partner in Hypnose zu versetzen) wäre und ist mir immer schon höchst interessant erschienen. Man denkt doch gleich an Herrn Hood aus dem Sherwood Forest, den ehrlichen Dieb & Diebstahlkünstler; auch aber an diese schmale Brücke, die den ehrlichen Dieb und ehrbaren Kaufmann voneinander trennt – miteinander verbindet – ach Gott, was rede ich da22 – aber eine interessante Triole sind diese drei ja nun doch: Dieb, Künstler und Händler. Meine Tante wusste wenig von antiken Göttern und war auch des Griechischen nicht fähig. Gott sei Dank, vielleicht. Nein, nicht mächtig sagt man wohl.

(Damit wurde jetzt endlich einmal ein lohnendes Thema angeschnitten, leider aber nicht im Geringsten befriedigend ausgeführt, werden Sie denken. Vielleicht müssen Sie sich an solche Vorgehensweise des Autors erst noch gewöhnen.23 Manchmal kommt er im Übrigen noch später auf liegen gelassene Fährten zurück.)

Nun müssen Sie nicht glauben, diese Leute – also die Bettler, um Ihnen einzuhelfen – säßen tagein tagaus vor meinem Haus, aber es kommt bisweilen eben vor, und an jenem Tag, dem der Vorführung des Hauses für die Tante, war es ausgerechnet auch so. Bei der Tante jedenfalls bewirkte das so ein weiteres Mal in seiner Anmutung herabgesetzte Hausesäußere eine gewisse Missstimmung, so schien es mir.

Dabei ist das Gesindel ja überall. Es sitzt auf der Straße, läuft am Haus vorbei, es wartet in der Stadt, bettelnd oder wachsam. Bettelnd und wachsam. Bettelnd und stehlend. Das Gesindel kennt sich gut aus, es schlägt sich nur durch, weil es die Schlupfwinkel findet, die kleineren Gaunereien beherrscht, stets auf dem Sprunge ist, das Gesindel kennt die Regeln, obwohl es sie ignoriert, ja auf sie scheißt, aber so geht das.

Das Entscheidende ist überhaupt, dass man die Re-geln kennt und auf sie scheißt. Es ist ja unbestritten immer weniger Leuten vorbehalten, in geregelten Verhältnissen leben zu dürfen. Die meisten schlagen sich so gerade durch (»Der HErr24 ist mein Hirte / Mir wird nichts mangeln«25). Gesetzt, diese Leute müssten auf die Einhaltung der Regeln verpflichtet werden: schier verhungern hieße das für sie. Und die andern erst recht: wer etwas werden will, bedarf doch gerade der heilsamen Fähigkeit, sich über die offiziell existierenden oder besser niedergelegten Usancen hinwegzusetzen. Er muss, und das wird ihn adeln, in seinen Kreisen geradezu darauf hinweisen können, dass er wohl wisse, wie es eigentlich gemacht werden soll, dass er also wohl auch wisse, dass es nicht so gemacht werden kann, wie die üblichen Regeln für die Plebs es bestimmen. Aber die Plebs hat – mittlerweile, unglücklicherweise – diese Regeln für sich ja auch außer Kraft gesetzt. Auch die Plebs könnte, beherrschte sie nur diese göttlich-herablassende Ausdrucksweise, darauf hinweisen, dass sie wohl weiß, dass das, was sie da so tut, nicht gut ist und nicht den Herrn Kant erfreuen würde. In Bezug auf die Einhaltung seiner Regel. Dieser besonderen Regel, die der Herr Helmut Schmidt immer so gern zitiert hat. Das muss wohl damals noch irgendwie eine andere Art Welt gewesen sein.26 Heute interessiert so was keine tote Fliege mehr.

Stubenfliegen, letale27, scheinen ja interessanterweise gar nicht zu stinken. Im Gegensatz, beispielsweise, zu Bettlerhunden. Vielleicht stinkt die gesamte Species der Insekten überhaupt nicht. Oder es kommt uns nur so vor, weil bei uns in Mittel- oder Westeuropa die menschlichen Nasen nicht mehr so empfindlich sind oder, weil bei uns in Mittel- oder Westeuropa Kerbtiere nur in Abarten bescheidener Körpergröße vertreten sind, und es möglicherweise nur eine Frage der fehlenden bzw. nicht in ausreichender Quantität vorhandenen Körpersubstanz ist28 29, weniger eine der Qualität, nämlich der Beschaffenheit des Insektenfleisches, falls man da überhaupt von Fleisch sprechen kann. Was man aber wohl tun sollte, denn immerhin gelten z.B. geröstete Grillen, namentlich in Honig getaucht, Wüstenbewohnern als ausgesuchte Delikatesse. Was mag daran schmecken, wenn nicht Fleisch? Und was soll das gestorbene Fleisch, wenn nicht verzehrt, tun, als verwesen und demnach stinken. Außer der Chitinpanzer, was immerhin eine weitere Möglichkeit wäre, verhinderte den Luftaustausch.

So ein Chitinpanzer scheint ja eine ganz vortreffliche Einrichtung. Wenn z.B. die unbestritten in totem wie in lebendem Zustand stinkenden Mäuse auch einen Chitinpanzer trügen, bliebe diesen Nagetieren wohl so einiges Missgeschick in ihrem Leben erspart. Man könnte sich die Verzweiflung von Katzen und Bussarden angesichts eines solchen Mäuseschutzes vorstellen. Natürlich könnte man sich genau so gut ausmalen, wie die Natur mittels ihres unparteiischen Vorrats an bildnerischer Fantasie dann auch den Chitinmäusen Feinde geschaffen hätte, z.B. in Form der Säbelzahnkatze oder des Bohrbussardes, vermutlich scheußlicher Kreaturen, angesichts derer der Gedanke an Tierschutz uns wieder einmal noch etwas verrückter erscheint. Auch ist meines Erachtens höchst fraglich, ob eine Säbelzahnkatze es zu einer solchen Karriere als Kuschel- und Kindersatztier hätte bringen können wie die Hauskatze mit ihrem zwar auch schon nicht zu unterschätzenden, jedoch meist diskret versteckten Gebisses. (Es ist übrigens bemerkenswert: meist ist in der Tierwelt das Zeigen des Gebisses als Drohung zu verstehen; die Menschen haben sich ihr Zähnefletschen als Lächeln umgedeutet.) Wer indes schon einmal den verzweifelten Gesichtsausdruck einer z.B. von Kindern zwangsgestreichelten Katze gesehen hat, mag den Tieren ein bisschen Verteidigungsfähigkeit durchaus gönnen. Der Evolution hat es ja interessanterweise gefallen, Wehrhaftigkeit sowohl als Schwert wie auch als Schild zu gestalten, was vielfach zu der irrigen Annahme geführt hat, es gebe (wie man auch von nützlichen und unnützlichen Tieren zu sprechen geruht hat) angreifende, also böse, und sich verteidigende, vulgo friedliche, brave Kreaturen. (Wenn man sich mal überlegt, dass Krokodil und Nachtigall recht nah miteinander verwandt sind – man könnte auch Schildkröte und Schwalbe nennen –, falls das denn wirklich stimmt mit der Abstammung der Vögel von den Dinosauriern, das hätte man sich so zu Zeiten von Linné auch nicht ausgemalt, oder? Ja, manchmal könnte es einem fast so vorkommen, als kultiviere die Natur eine Art Humor.)

In der Tat weiß man nichts von Schildkröten, die ihre Gegner unter ihren Panzern zu Tode quetschen. Man weiß ja überhaupt so wenig, und fast täglich werden noch neue Tierarten entdeckt (während andere stillschweigend aussterben). Aber so ganz einfach scheint es doch nicht zu sein, auch ein Elefant kann einen Störenfried schon ganz schön plattmachen, beispielshalber. Zumindest wäre es merkwürdig, wenn es in diesem Fall einmal einfach und klar wäre. Die real existierende Welt neigt leider selten zur Eindeutigkeit.

Die Sache mit den Katzenalternativen bringt mich übrigens zu einem schon früher angeschnittenen Punkt zurück.30 Gesetzt, ER hätte gekonnt wie er wollte und nicht dauernd auf die darwinschen Regeln Rücksicht nehmen müssen, dann wären ja wohl auch Ausnahmen von der Viererregel bei Wirbeltieren möglich gewesen, wodurch dann auch der Dichter Wunsch nach Pegasus und dem der Alten nach Zentauren zu befriedigen gewesen wäre.

Denn – es gibt ja auch interessante Reminiszenzen; also z.B. mindestens zwei Frauen, die ich kannte, litten an ständigen Entzündungen, Furunkeln und anderen Beschwerden just an dieser Stelle, an der der Schwanz bei Säugetieren zu sitzen pflegt. Der Körper schien hier etwas zu wollen, war irgendwie nicht einverstanden mit der offensichtlichen Lücke. Oder es hatte sich eine Schwachstelle gefunden.

In der Tat habe ich einmal eine halbe Nacht wachgelegen und überlegt, erstens ob und zweitens warum es nicht wirklich sechsbeinige Krokodile oder Chamäleons gibt. Es würde am Gesamtbild dieser Kreaturen absolut kaum auffallen geschweige denn stören. Sage ich so, mit meiner geringen Kenntnis schon über das Außen-, gleich gar Innenleben der Chamäleons. Z.B. zweifelte ich vor kurzem in einer Unterhaltung zunächst eisern an, dass diese so wandelbaren Tiere in der Türkei vorzukommen pflegen. Bis mich dann ein Blick ins Lexikon – ich wählte aus den diversen, die ich besitze, den Großen »Meyer« – eines besseren belehrte. In der Türkei! Dabei hatte ich diese Geschöpfe immer über die Äste im oberen Drittel eines tropischen Regenwalds spazieren sehen, in meiner Vorstellung. Denn in der Realität habe ich sie überhaupt nur in den Terrarien von Zoologischen Gärten studieren können, und da hingen die Biester immer fast bewegungslos unter der ultravioletten Lampe und schienen irgendwie übel zu nehmen. Wenn sie dann grämlich ein Auge verdrehen, erinnern sie an ältliche Verwandte. Natürlich darf ich an dieser Stelle nicht unterlassen an die Geschichte mit der Handtasche zu erinnern, die zwar auf den ersten Blick wie aus Krokodilleder wirkt, aber in Wahrheit aus Chamäleonleder hergestellt worden ist. Zwangsläufig ändert die Tasche je nach Standort, an dem man sie abgestellt hat, oder nach dem Kleid respektive Übergewand, dem sie nahe ist, indem die Trägerin sie in der Hand hält, ihre Farbe. Das ist hübsch anzusehen (und spart Kosten, die die Beschaffung einer größere Handtaschenkollektion sonst verursachen würde), und mit dem Charakter der Tasche nicht Vertraute sollen sich immer wieder höchst überrascht geäußert haben.

Ich komme aber im Interesse der allgemeinen Verständlichkeit wieder zurück auf den Hund, der zwar sprachlich tatsächlich in einer fliegenden Variante vorkömmt, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als gar nicht verwandt erweist. Also der normale Haushung31 ist es, der mich zu einem Vorschlag an die Natur oder die Geningenieure? – inspirierte dergestalt, dass man den beliebten Freund des Menschen doch mit einer dritten Achse und daran anmontierten Flügelchen ausrüsten könnte. So brauchte man seinem Liebling dann abends nur das Fenster aufzumachen, ihn aufs Fensterbrett zu setzen und »husch« zu sagen, und der beste Kamerad des Erdenbürgers würde zu seinem abendlichen Ausflug aufbrechen, ohne dass man selbst ihn begleiten müsste (was in diesem Fall ja zugegebenermaßen auch noch erheblich aufwendiger als der obligatorische Abendspaziergang wäre). Wie Karlsson vom Dach.

Ja, da steht er nun der Gedanke, und schon kommen die Bedenken ob der Kontraindikationen dieser neuerlichen Bequemlichkeit. Natürlich wäre es eine einschneidende Reform für die Hundebesitzer. Schon auch eine Bereicherung des Stadtbildes (wobei man vielleicht zunächst nur für eine Stadt die Lizenz zum Fliegen ausgeben sollte, eine bisher in touristischer Hinsicht benachteiligte, die dann die entsprechende Attraktion in der Werbung herausstellen und Scharen von Sensationssüchtigen damit anlocken könnte. Dabei fällt mir ein, dass noch im Jahr 1999 im saarländischen Marpingen drei eher jüngere Damen öffentlich behaupteten, ihnen erscheine die Jungfrau Maria und übermittle ihnen Botschaften, die sie an mehreren aufeinander folgenden Sonntagen in einem Wald auf ein transportables Diktiergerät aufsprachen und den zu Abertausenden erschienenen Pilgern und Neugierigen anschließend über eine eigens installierte Lautsprecheranlage vorspielten. Vielleicht wären also auch in einem solchen Falle die touristischen Chancen gar nicht so gering, ob man nun die entsprechenden Hunde vorrätig hätte oder auch nur ein paar entsprechende Anzeigen veröffentliche). Auch böte dieses Hundemodell natürlich sowohl für den Schnepfen- als auch den Moorhuhnjäger32 erhebliche Erleichterungen, wohingegen die Engländer es bei der Fuchsjagd vermutlich aus Fairnessgründen nicht zum Einsatz brächten. Aber die übrigen Folgen! Stellen Sie sich vor, wie ein Briefträger von einem ganzen Rudel von hyänen-harpyienhaft flatternden und infernalisch kläffenden Dackel durch seinen Zustellbezirk verfolgt wird. Das sind dann wahrlich gefährliche Briefschaften. Allein, so etwas könnte man eher als Nebensache ansehen gegenüber dem, was dann mit der Hundeköttel geschähe, die dann nicht mehr nur in Kontakt mit den Schuhen der Passanten geriete, sondern auch mit deren Hüten, um Schlimmeres gar nicht zu erwägen oder zu erwähnen.

Nein, da lassen wir doch alles lieber so, wie es ist.

(Die Einführung neuer Bequemlichkeiten hat ja oft mehr Schattenseiten als lichtvolle. Aber gemeinerweise scheint es so eingerichtet zu sein, dass Menschheit das immer erst merkt, wenn es spät ist. Die Erfindung des Automobils löste jene verhängnisvolle Entwicklung aus, in deren Verlauf den Leuten zunächst die Beine verkümmerten und schließlich ganz abfielen, die Einführung des warmen Essens führte zu ähnlichen Erscheinungen bei den Zähnen, die Beherrschung des Feuers beim Fell – na ja, und so weiter usw. Der gerade einmal ein paar Jahrzehnte im Einsatz befindliche Computer hat bekanntlich bereits jetzt zum Ergebnis, dass 15-Jährige nicht mehr rechnen können und Buchstaben fast nur noch erkennen, wenn sie aus Pixeln aufgebaut sind, von Augen- und Rückenschäden einmal gar nicht zu sprechen. Jaja sagte die alte Tante Annerose setzte sich in ihrer Sofaecke zurecht pickte sich ein paar Krümel von der Bluse und nahm sich noch ein Stück Kuchen jaja das ist gar nicht gut aber die Leute wollen's ja nicht anders aber wenn sie erst mal so viel gesehen hätten wie unsereiner - - - - - )

(Tanten sind ja in der Literatur meistens ältere, schrullige Damen und kaum jemals junge knackige. Auch diese Tante ist durchaus in die Jahre gekommen. Jemand anders hätte ihr vielleicht sogar schon ein Buch geschenkt »Wie regle ich meinen Nachlass«, aber das wäre mir doch allzu unpassend erschienen, ja, stillos. Wobei: eines tat sie nicht: Patiencen legen. Patiencen legen hat so etwas Miefiges, habe ich immer gefunden. Es erinnert irgendwie an die alten Damen bei Saki, na ja, vielleicht auch nicht, denn die alten Damen bei Saki können manchmal auch ziemlich gefährlich sein; zumindestens bissig. Gleichwohl. Ich dachte das über Patiencen. Lange Zeit. Bis ich dann auf Solitär stieß, dieses Spiel im alten Windows-Betriebssystem. Ich bin ja eigentlich ein eingefleischter Hasser von Spielen, aber dieses Spiel faszinierte mich, ja, einige Wochen lang war ich regelrecht süchtig. Anfangs dachte ich, es sei mir überlegen, wie ich das auch vom Schach weiß. Dann fand ich heraus, dass sich einige Partien eben wirklich nicht lösen lassen, das Programm das dem Spieler aber nicht verrät. Ich überlegte ernsthaft einen Artikel zu schreiben, in dem ich das Spiel als Schule für Unternehmer anpreisen wollte, denn es lehrt Überblick suchen, auf verschiedenen Baustellen arbeiten und überhaupt sich selbst nicht überschätzen – irgend etwas übersieht man immer, und man weiß vorher nie, wie sie Sache ausgeht (und man findet auch keinen Sündenbock). Überhaupt ist das Spiel ziemlich hinterhältig und gemein programmiert, finde ich, schon allein der triumphierende, ja geradezu höhnische Ton, der einem bei einem Tip ankündigt, dass man wirklich wieder blind wie ein Huhn war, ist eine regelrechte Unverschämtheit. Oder die Art, einen immer wieder dieselben dummen Züge machen zu lassen, bevor die erlösende Meldung kommt »Leider verloren«. Vielleicht spielt das Programm ja auch mit getürkten Karten, und behält einem sozusagen in Abhängigkeit vom eigenen Spielverhalten bewusst bestimmte Karten vor, die man unbedingt braucht. – Ich vermute aber, dass es auch bei wirklichen, wirkliche Patiencen aus materiellen Spielkarten legenden Tanten solche gibt, die immer wieder glauben, ihr Lieblingsneffe habe ihnen die Pik-Sieben versteckt. Und nachzählen.33)

Alles so lassen wie es ist: auch leichter gesagt als getan. Nehmen wir nur mal die Haustür; seit einigen Jahren verzieht sie sich. Man sollte das gar nicht für möglich halten, alt wie das Holz schon ist und wenigstens im letzten Jahrzehnt immer mal wieder neu gestrichen, aber sie verändert ihre Form, verliert an Geradheit, will fort vom Linearen (wofern man das bei dreidimensionalen Gegenständen überhaupt so sagen kann) und begibt sich damit ernsthaft in Gefahr, auch ihren derzeitigen und einzigen Beruf nicht mehr verlässlich ausführen zu können, denn was mit Spalten und Ritzen begann, könnte bald zu einer gänzlich Unverschließbarkeit führen und damit eine Wandlung, eine Trennung, eine Veränderung herbeiführen, die ich nicht herbeisehne, denn neue Haustüren sind teuer. Kommt aber noch eins hinzu: die Haustür fügt sich optisch so gut ins Gesamtbild des Hauses ein. Ein Schreiner, der seinen Beruf noch geliebt hat, so scheint’s, kerbte ihr eine Reihe von bescheidenen Verzierungen ein, die mit der Gestaltung der Mauersimse und der äußeren Fensterbänke (ich erwähnte es vorhin beiläufig: viel Kunstfertigkeit ist da nicht vorzufinden, aber immerhin) aufs Freundlichste korrespondieren, und ich ahne schon, dass man einen solchen Tischler heute nicht mehr finden wird (›Manchmal sind Brötchen noch, was Brötchen einmal waren…‹34). Dann bliebe nur noch die Wahl zwischen gähnender Langeweile und standardisiertem Protz; getriebene Bronze etwa, wie von namhaften Türenherstellern gern angeboten, wäre mir ein Graus. Also werde ich doch bald einmal jemanden auftreiben müssen, der die alte Haustür abhobelt und sie wiederum neu anstreicht, für eine weitere Galgenfrist, damit ein kleines Stückchen mehr beim Alten bleiben kann.

Das bringt aber ein weiteres Problem mit sich, Sie ahnen es schon. Wenn ich den Auftrag erteile, die Haustür abzuhobeln, muss man sie aus den Angeln heben und forttragen. Wenn sie angestrichen sein wird, darf man sie zunächst nicht schließen. Es wird also ein paar Tage offenes Haus sein, und das ist gefährlich, denn das Gesindel lauert ja nur drauf.

Tante A – --- Tante Agnes hat, glaube ich, dem Haus den Bettler sehr übel genommen. – Agnes? – Obwohl das Haus gar nichts dafür konnte, und ich auch nicht sehr. Aber das war vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Denn den (ansonsten bekanntlich recht schmucklosen) Sockel schmückten auch noch Graffitis. Adelheid?? Das ist halt so einer der Preise, die man für eine innerstädtische Wohnlage zu zahlen hat.35 In den Metropolen36 gibt es immer eine große Gruppe oder besser viele kleine Gruppen von Sprühern (auch Einzelgänger, natürlich), die einen Teil ihres Glücks im nächtlichen Anbringen mehr oder weniger origineller Zeichen an mehr oder weniger bedeutsamen Stellen im Weichbild einer Siedlung zu finden verdächtig sind.37 Früher waren das einmal hübsche Bilder, heute sind es meist nur noch die Signaturen. Kein Werk, aber eine Signatur, das ist auch so eine Entartung von Kunst, der man einmal näher nachgehen sollte. Sie mögen die Verwendung des Wortes ›Entartung‹ an dieser Stelle vielleicht als zu grob empfinden, aber ich möchte mir nicht immer von der früheren Fehlverwendung einzelner Vokabeln eine heutige Rechtverwendung verbieten lassen. Gleich werde ich es ohnehin wieder relativieren; vielleicht ist das bei genauerem Überlegen, denke ich mir nämlich, gar keine Entartung, es ist nur eine Art Spaltung. Schauen Sie mal: das Kunstwerk ohne Signatur finden wir heute allerorten, es überschwemmt die Rezipienten seit den Dosenbildern, (den Bildern der Campbell’schen Dosen, meine ich, nicht den Bildern auf Campbell’schen Dosen) alles ist Werbung alles ist Kunst, das bestimmt doch unsern Alltag immer mehr, das Verschwinden der Autorenkennung am Werk ist absehbar. Wie angenehm nimmt sich dagegen einmal eine Unterschrift ganz ohne Werk aus. Wie still kommt sie daher, kündigt sozusagen nur etwas an, das sie aber nicht einlöst (damit natürlich wiederum dem Brimborium der Medien vergleichbar), aber dies erspart uns zugleich die Mühe, nun auch das Bild selbst noch genießen zu müssen. Der Künstler war da, er hätte etwas malen können (sagt er uns sozusagen), er unterließ es aber dann (auch strafrechtlich sollte man diesen Aspekt durchaus einmal auf die mildernden Umstände in Sprayerprozessen hin untersuchen), er ist nur potenzieller Künstler, setzte sich bei diesem Nicht-Schaffen sogar nicht unbeträchtlichen Gefahren aus. Ich finde das einen schönen Gedanken, ein bisschen im Sinne von Wolfgang Hildesheimers ›Verhinderern‹. Nur mag ich diese Insignien nicht so sehr auf meinem Haus. Ich schwanke aber immer wieder, ob ich die verschiedenen Kleckse abwaschen lassen soll. Tue ich es, so können andere sich erneut dort versuchen. Lasse ich sie stehen, so ermutige ich andere Urheber, es erneut zu versuchen. Wie man’s macht, macht man’s falsch.38

Haben Sie mal die Campbell’schen Dosensuppen versucht? Genossen? Versucht zu genießen? Ich hin und wieder schon, wenn ich in England war z.B. Nicht besser als Knorr-Suppen, die ja immer noch viel schlechter waren als Maggi-Suppen in Dosen. Ich weiß gar nicht, ob es die überhaupt noch gibt. (Immerhin gibt es noch Erbswurst zu kaufen; manchmal überdauern Dinge erstaunlich lange. Will sagen: halten nicht nur lang, werden auch lang immer wieder neu produziert.) Wenn Sie in England eine gute Dosensuppe essen wollen, nehmen Sie Baxter’s. Von Baxter’s bekommen Sie sogar eine Wildsuppe, wussten Sie, dass »game« in diesem Zusammenhang Wild bedeutet? Es war halt immer ein game für die Herren Barone, auf das game zu schießen. Ein fröhlich game, ein gefährlich game… (»Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen39? Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen, den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich« – klingt ein wenig nach nassen Füßen, finden Sie nicht?! – »Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen. Erstarket die Glieder und würzet das Mahl. Wenn Wälder und Felsen uns hüllend umfangen. Tönt freier und freud’ger der volle Pokal! Jo ho! Tralalala!« – naja, jetzt hat’s ja wohl jeder gemerkt. Das mit dem hüllenden Umfangen der Felsen hätte ich auch gern mal in einer guten Inszenierung auf der Bühne gesehen. Tolle Musik, übrigens, trotz des hirnrissigen Textes. Oder vielleicht gerade weil??)

Wenn ich es mir genau überlege, wäre es natürlich ohnehin lächerlich, Künstler vor Gefahren bewahren zu wollen. Schon bei Hermes kann man da anfangen. Wer hütete ihn? (Sein Bruder schon mal gleich gar nicht.) (Diese Hirtenvölker und -götter werden diesbezüglich, glaube ich, ohnehin stark überschätzt. Keiner hütet da wirklich gern. Jeder lässt sich gern ablenken.) Ein Künstler, der die Gefahr scheut, wird kein wirklich guter werden, oder, was meinen Sie? Immerhin schätzen wir alle die Märtyrer, diese Brechts und andere, die sich in die Schlacht warfen. Und die sich hinter dem Ofen nicht vorgetraut haben, verachten wir. Insgeheim. Und die in der falschen Schlacht waren, die Jüngers – naa ja. Außer natürlich das Feuilleton der F.A.Z., das hält es gerade anders herum. Oder so. Oder es war so, bevor die Leute vom Feuilleton da zwischen der SZ und der F.A.Z hin- und hertauschten. Heute ist ja auf gleich gar nichts mehr Verlass.

Jetzt kommt mir gerade der Gedanke, wie es denn wohl um den Diebstahl bei den Künstlern bestellt wäre und wie dieser einzuschätzen.

Sollte ich vielleicht aber besser übergehen, im Moment, glaube ich.40

Wir standen da also immer noch vor dem Haus, mit dem Bettler davor, den Grafitties am Sockel und der nicht mehr ganz dichten Haustür, und die Tante missbilligte still vor sich hin, während ich ihren Nacken betrachtete mit der winzigen Warze darauf. Just in diesem Moment kam ein Radfahrer vorbei, um das Bild zu vervollständigen (oder auch nur zu ergänzen), sozusagen; selbstredend im pas-senden Kostüm. Überhaupt machen die Leute heute ihren Kram ja nur noch im passenden Kostüm. Radfahren. Wandern. Ins Büro gehen. Wandern mit Wanderschuhen, Wanderstrümpfen mit Wandermustern, Wanderrucksäcken, Wandermützen. Hier und da wollen wir’s ja gern durchgehen lassen: so beim Tauchen zum Beispiel. Aber sonst? Nicht vorzustellen, die Menschen würden das ein-mal austauschen – sei es aus Spaß, aus Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit –, und dann z.B. selbzwanzig im Radfahrerkostüm mit Radfahrerstrümpfen, Radfahrerschuhen und vor allem den so kleidsamen Radfahrerhelmen werktagsüber in einem Büromeeting hocken, präsidiert vom Geschäftsführer, allein dieser in seinem Businesskostüm mit den glänzend-schwarzen Businessschuhen, dazu passenden Businesssocken, dem Businessanzug über dem feinen Businesshemd, der Businesskrawatte mit Businesskrawattennadel, Businessuhr, Businessgesicht. Ob die den nötigen Businessernst die ganze Zeit über bewahren könnten? (Umgekehrt wäre es natürlich noch schöner: alle im feinen Zwirn, nur der Boss trägt bikerdress.)

Alles fest im Griff der Outfitbranche. Nur die Angler sind bisher vergessen, eine schmerzliche Lücke. Vielleicht für beide, für die Angler und die Outfitbranche. Dabei bräuchten doch gerade sie dringlichst die Angleranzüge mit den langen Anglertaschen für die Anglerruten, den innen auswaschbaren Täschchen für die Anglerwürmer, dem Nadelkissen für die Anglerhaken, der am Bein aufgenähten Zentimeterskala fürs Messen des Angelfangs und so weiter. Ich bin einmal an dem Teich, um den ich immer laufe, in meinem Joggerkostüm an mindestens dreizehn Anglern41 vorbeigelaufen, es muss irgend ein besonderer Tag gewesen sein, denn normalerweise angelt sonst dort wirklich niemand und es gibt auch nicht sehr viel zu angeln, was man sowohl den Anglereimern als auch den Anglergesichtern sehr wohl ansah, aber sie saßen dort mit ihrer Anglerdisziplin die ganzen acht oder zehn Runden lang – also meine Runden, nicht ihre –, hielten Anglerdistanz und führten nur ganz selten ein leises Anglergespräch. Ich habe sie wirklich fast bedauert, die Angler, wie sie da ihren Krimskrams und ihr Werkzeug in allen möglichen zweckentfremdeten Kistenkasten aufbewahrten, Marmeladengläsern etwa und Keksbüchsen. Ein wirklich bedauernswert vernachlässigter Freizeitzweig. Und eine unglaublich verpasste Chance der Outdoor-Equipmentbranche, dachte ich und betrachtete weiter Tantchens Nacken. Der Radfahrer war hurtig davon, wie so mancher Gedanke.

Ich bin ja gar nicht so gerne mobil und verbringe die Tage lieber im Sitzen (noch besser im Liegen) als im Stehen, Gehen oder gar Radfahren. Höchstens einmal in der Woche breche ich auf zu einem Gang durch die Stadt, begutachte ihren Zustand. Ich denke, das steht mir nicht mehr und nicht weniger zu als jedem anderen oder dem Bürgermeister und was weiß ich. Es ist um sie nicht zum Besten gestellt, ich fürchte, ich muss es so sagen.

Häuserfassaden bröckeln und weisen Risse auf. Auf den Wänden, an Zäunen kleben hie und da noch die Kandidaten einer zurückliegenden Wahl, natürlich sehen sie irgendwie traurig aus. Nein, nicht die Kandaidaten selbst kleben. Die Abbildungen. An den Laternenpfählen hingegen stößt man auf sogenannte Spuckzettel, die meist sehr noblen Gesinnungen Ausdruck geben, wenn auch nicht immer in sehr vornehmer Sprache. Im Gehsteig fehlen leider öfter Steine, besonders, wenn dieses Basaltkleinpflaster verwendet wurde, das so hübsch aussieht und das ich sehr mag, aber nur, wenn es noch etwas vollständiger ist und nicht von Kräutern überwuchert, die in den Ritzen siedeln. Blumen kümmern in Waschbetonkübeln. Kaugummiflecken und Zigarettenkippen zieren das Trottoir, Unrat vieler Arten liegt umher. Die überfüllten Abfallei-mer sind mit dem teilweise zerfetzten, teilweise verblass-ten Aufkleber »Haltet unsere Stadt sauber« versehen (»unsere« ist ja nun auch mehrdeutig; besser wäre vielleicht »Eure«). Manchenorts lädt eine kleine vernachlässigte Grünanlage oder ein schmutziger Spielplatz ohne Kinder zu allem Möglichen ein, nur nicht zum Verweilen.

Einige alte Gebäude hat man im Erdgeschoss mit Plastikfassaden verstellt, verkleidet, umstellt, umkleidet, ich weiß nicht, auf jeden Fall passt es nicht zu ihnen, eigentlich wollen sie nicht »modern« sein: aus den daraus vorlugenden, dahinter versteckten oder untergebrachten Geschäften blicken Verkäufer mit leeren angstvollen Augen hinaus und hoffen auf Kundschaft. Man weiß eigentlich gar nicht: schauen jetzt die genuinen Ladenbesitzer verzweifelter, für die diese Boutique letztendlich das Grab ihrer Ersparnisse darstellen könnte, oder sind es die gestylten aber billigen Verkäuferinnen der Kettenläden mit ihrem Zeitvertrag oder der Hoffnung auf Aufstockung von Halbtags- auf Ganztagsjob, die wilder auf jeden Passanten gieren, der sich zum Käufer wandelt und so die Ladenschließung vielleicht noch ein paar Tage oder Wochen vermeiden hilft? Ein bisschen ähneln sie auf jeden Fall Raubtieren, die die Antilopen an der Wasserstelle belauern.

Natürlich finde ich bei meinen Gängen viele Läden auch überhaupt ganz leer vor, entweder schon seit Monaten oder Jahren, oder immer wieder kurzfristig, oder eben einfach so. Die Zeit zwischen dem frohgemuten und hoffnungsvollen Bezug eines Ladenetablissements bis zum deprimierten Verlassen unter Hinterlassung von Ladenschild, Teilen der Einrichtung, verlorenem Kapital, wird immer kürzer. Dann vermehren sich wieder eine Zeitlang die Graffitis an Sockel, Wand und Tür, dann sieht man häufig zerbröselte aber vormals verlockende, ja reißerische Plakate von längst stattgefundenen aber vermutlich großartigen Veranstaltungen an den Scheiben, aber auch an den an ihrem unteren Rand begeistert von Hunden beschnüffelten42 Verteilerkästen.

Insofern die Läden zur Zeit mit Waren ausgestattet sind, preisen sie die unglaublichsten Überflüssigkeiten zum Kauf an, locken für ihre billigen Fummel mit den ausgesuchtesten erotischen Verlockungen oder lassen die unwahrscheinlich günstigen Preise für die Massenprodukte, die in aller Welt von billigen Händen zusammengesetzt werden, für sich selbst sprechen. Geheimnisvolle aber faszinierende Labels und Logos erwecken den Eindruck solidester Qualitäten von jahrzehntelang der Kundschaft verbundenen, allerersten Lieferanten.

Auf der Straße, teils flanierend und der Verführung der Warenangebote sich bewusst oder lässig aussetzend, teils einem fernen Ziele energisch zustrebend, teils lethargisch einen Fuß vor den anderen setzend, Arme, Reiche, Hunde, Penner, Bettler, dicke Kinder, Alte, Junge, Tauben, schwerbeladene Boten, schwerbeladene Kunden, schnieke Handelsvertreter, sich auf ihren nächsten Besuch vorbereitend, giggelnde Mädchen, blasierte Schönheiten43, männliche Männer44, blass-dickliche Männer, vielfältige weitere Arten Mensch & Tier.

Restaurants bieten ausländische Spezialitäten; auch ich selber – daraus mache ich gar kein Hehl – bevorzuge ausländische Kost, trotzdem fehlen mir die einheimischen Gaststätten im Weichbild, auch, wenn ich sie seltener bis nie besuchen würde. Das mögen Sie jetzt für ein merkwürdiges Argument halten, aber so ist es nun einmal. Es ist überhaupt eine etwas eigenartige Sache mit den ausländischen Restaurants. Das ist so ein Prozess gewesen, den ich gewissermaßen über die ganze Zeit hinweg beobachten durfte, er weist eine für mich erfreuliche Konkordanz mit meiner Lebenszeit auf. Als ich ein kleiner Junge war, gab es sie ja nicht, oder sie waren etwas ganz Besonderes (ich glaube, damals existierten in einer veritablen Großstadt gerade einmal ein (1) Jugoslawe und ein (1) Chinese). Dann vermehrten sie sich. Sie vermehrten sich wie die Karnickel. Überall wuchsen sie gewissermaßen aus dem Boden: Italiener, Jugoslawen, Griechen, in den 80er Jahren dann der Boom der Chinesen, an jeder Ecke gab es zeitweise einen Chinesen, in jedem Dorf. Hie nannten sie sich chinesisch-vietnamesisch, da chinesisch-thailändisch oder chinesisch-koreanisch, in allen denkbaren Kombinationen. Ich habe mal einen chinesischen Geschäftsmann kennengelernt, der richtete chinesische Restaurants ein, von der Stange sozusagen. Mit all diesen abscheulichen Deko-Elementen, den Goldbildern mit dem Wasserfall, den Buddhas, all diesem abscheulichen Kitsch. Stampfte er alles mit anderthalb Schreinern binnen 14 Tagen aus dem Boden, in einem Hui war die Gaststätte fertig. Möglicherweise lieferte er auch die Speisekarte und das Essen gleich mit, denn die waren auch überall gleich.

Dann kamen die Mexikaner, die Japaner, die Russen, die Volen, die Ungarn, die Spanier, die Couscouserien, die Afrikaner, was weiß ich, wer sonst noch. Nur Franzosen kamen nie. Schade eigentlich.

Zunächst vermehrten sich so die ausländischen Lokale, dann verminderten sich allmählich die Restaurants mit gutbürgerlicher Küche. Etwa gleichzeitig entstanden die Fastfood-Etablissements, also sozusagen die Amerikaner. Und irgendwann gab es keine einheimischen Gaststätten mehr, sozusagen gar keine. Nicht einmal mehr Wienerwald. Ok, Bratwurstbuden, die gab es noch.

Gerade nur um die Ecke bei den Restaurants, da findet sich eine andere Spielart der Diversifikation. Dort stoßen wir schnell auf die mehr oder weniger offen werbenden und reichlich vorhandenen Etablissements, die gleichgeschlechtlich liebendes Publikum ansprechen. Oder Lederliebhaber. Oder Gummibegeisterte. Oder Ichwillliebergarnichtdrandenken. Zwar schätze ich es, wenn die allermeisten freiwilligen sexuellen Tätigkeiten juristisch nicht verfolgt werden, schließlich soll jeder nach seiner Façon unglücklich werden dürfen. Trotzdem wäre es mir etwas dezenter lieber. Es gibt da durchaus Ähnlichkeiten mit bei den gastronomischen45 Betrieben, finde ich: das »Besondere« sollte irgendwie ein wenig in der Minderheit bleiben. Es wäre mir lieber, wenn das Normale seinen Platz behielte, es noch eine Mitte gäbe. Irgendwie zeigt diese Umgangsweise mit dem »anderen« auch, dass es eben nicht – noch nicht, nicht mehr, nie – akzeptiert ist, dass die Gesellschaft eben nicht damit leben will. Wer hat das doch gleich mal gesagt: erst wenn man in Deutschland einen Juden wieder einen Juden nennen darf (und nicht einen jüdischen Mitbürger oder etwas ähnlich Verlogenes), werden wir die Juden nicht mehr als Juden wahrnehmen, sondern als Menschen46. So auch bei den Homos. Und den Moslems. Und allen anderen Negern. Glaube ich.

Geht das eigentlich nur mir so, oder hatten Sie sich die Sache mit der sexuellen Befreiung auch irgendwie anders vorgestellt? Nun gut, die wenigsten Sachen im Leben werden ja nun genauso, wie man es sich einmal vorgestellt hat. Das kann dann natürlich mindestens an drei Ursachen liegen: am Vorher, am Hinterher oder an einem selbst.47 Und: Vorher war es ja auch nicht besser. Aber jetzt ist es eben auch nicht besser.

Wenn Sie sich vielleicht noch erinnern können an die Zeit vorher, so wissen Sie natürlich um diese miefigen, heimlichtuerischen Verhältnisse, als man sich die Neigungen bestimmter Mitmenschen höchstens unter vorgehaltener Hand zuflüsterte und ihnen im Alltag etwas beschämt, doch irgendwie be- oder verschämt entgegentrat. Verschwiemelt, um ein Modewort zu benutzen.

Aber was die sogenannte sexuelle Revolution jetzt aus allem gemacht hat, ist nicht gerade viel erfreulicher. Gab vielleicht mal eine kurze Phase der tatsächlich (aber wohl nur von einer Minderheit) in Liebe und Lust ausgelebten Sexualität. Folgte der aber doch ganz schnell die Kommerzialisierung und Pornographisierung, die vollständige Einvernahme durch Werbung und Mode. Heute ist die hochsexualisierte Stimmung ja geradezu zum normalen Level geworden. Ein junges Mädchen, das nicht bereitwillig seinen Körper zu Markte trägt, gilt als altmodisch, und der Begriff »innere Werte« ist zur Lachnummer geworden. Werte gibt es überhaupt nur noch äußerlich. Im Sinne von Wertsachen. Ist das nun die erhoffte Freiheit, oder hat mal wieder aus Versehen jemand der Büchse der Pandora den Deckel gelüpft (oder sonst etwas falsch gemacht)?

Ich bin ja manchmal auch geneigt zu glauben, dass die Leute, die für diesen ganzen Kram verantwortlich sind – vielleicht ist es ja auch wirklich nur ein einziger – überfordert sind, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Völlig überfordert, oder fahrlässig. Vielleicht auch Böswillig.

Demiurg – war das das Wort? Um nicht Schlimmeres vermuten zu müssen.

Kann aber auch sein, dass man es besser doch ein Stückchen niedriger hängt, dann wäre wieder die Gesellschaft Schuld dran. Oder so. Wie alles nach zarten Hoffnungen, vielversprechender erster Blüte schließlich zur Reife gelangt und dann anfängt zu welken oder zu faulen. – Nein, klingt eher doch nicht nach explizit politischen Gründen.

Falls jetzt überhaupt jemand Schuld ist. Ist an allem jemand Schuld? Und was, wenn nicht? Das wären doch einmal wirklich interessante Fragen.48

Bei meinen Ausflügen in die Nachbarschaft49 deprimiert mich trotzdem dieses Nebeneinander von Geldmacherei und Armut, Gier und Verlorenheit, meist schon nach kurzer Zeit. Um den Zustand meiner Stadt steht es nicht zum Besten. Mit diesem Wissen war ich ja auch schon ausgegangen.50 Aber ich wohne nun einmal da. Wie in meinem Haus auch. Man muss sich schicken.

Manchmal, so an sonnigen Tagen, sieht alles natürlich wieder viel netter aus und ich fühle mich im Grunde genommen sauwohl51 zwischen den netten Leuten und den hübschen Gebäuden. An solchen Tagen begegne ich auch netten Menschen. Also an ein Mal kann ich mich erinnern, das muss ich Ihnen erzählen: ein Säugling, oder zumindest ein noch ziemlich kleines Kind, es saß in seinem Wagen neben der Mutter, die sich um Einkäufe oder so etwas kümmerte. Auf einmal begann zu mich zu fixieren und zu lächeln; ich lächelte zurück, kurz, blicke dann anderswohin. Als mein Blick ihn wieder streifte, strahlte er mich mit der ganzen Kraft seiner wenigen Monate an, lange, lange, bis es mir fast peinlich wurde. Dann legte er sich ein wenig zurück in seinem Gefährt, und ich bemerkte, dass er die Hände zufrieden über dem Bauch gefaltet hatte, wie ich es auch immer tue, wenn ich schlafe (wie man mir oft gesagt hat). Und lächelte weiter, zufrieden wie ein Honigkuchenpferd, mich noch manchmal aus dem Augenwinkel anschauend. In diesem Moment dachte ich mir, dass es vielleicht doch Seelenwanderung gibt, aber – dann müsste das ja schon während der Restlaufzeit beginnen, ginge das denn?

Irgendwann kehre ich dann auch immer nach Hause zurück. Dort fühle ich mich im Grunde genommen gut. Oder immer noch am besten.

Trotzdem hätte ich der Tante jetzt gerade nicht noch mehr vom Hause zeigen wollen, und so traf es sich glücklich, dass sie danach auch gar nicht fragte oder noch Anstalten machte das Haus zu betreten, sondern mich zielsicher durch einige Straßen in die nächste Konditorei zog um Käsesahnetorte zu bestellen und Kaffee zu trinken (Kaffö sagt sie immer, mit ganz kurzem »ö« wie in »Höcker«52, das klingt irgendwie mürrisch). Ich habe ein Bier getrunken, glaube ich.

Ich trinke meistens ein Bier.53

1 Das mit ersten Büchern ist ja sowieso so eine Sache. Sind sie nun die stärkeren – also gegenüber den zweiten – oder, wie heute oft, werden sie erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht, oder frühestens, wenn er einen Namen hat? Ich kannte ja mal einen, der las überhaupt nur Erstlinge. Wobei – wer weiß schon von den wirklichen Erstlingen? Die sind doch meistens in frühen Jahren vernichtet worden.

2 Sollte es Ihnen aber wirklich nicht gefallen, empfehle ich, hier im Anfang das eine oder zu überschlagen. Geflissentlich. Weiter hinten gibt es weniger Fäkalitäten und sonstige Unappetitlichkeiten. (Ich zögere, es Ihnen zu verraten: je weiter hinauf im Haus, umso Ätherischer geht es zu. Und ganz unten, da kann ich nur sagen huuu; aber so ist am Ende für alle etwas dabei. Oder für jeden. Oder für alle und jeden – suchen Sie es sich aus (ich will nicht allzu weit vorgreifen).

3 Weinbergkirschen und Weinbrandschnecken. Fällt mir da unwillkürlich ein. Kann man was für seine Einfälle?

4 Calabrese: mit Zwiebeln, Paprika und scharfer Salami.

5 Natürlich ist die Frage der Lage bei Immobilien ganz wichtig, das versichert einem schon der mieseste Makler (Makler – das wäre auch noch so ein Thema). Dass mein Haus – Gott ja – nun gerade hier stehen muss, das habe ich auch längere Zeit für langweilig gehalten. Wollte ja lieber indieWelthinaus, so Inseln des ewigen Frühlings oder, ja, eine Zeitlang hat es mich auch sehr nach La Réunion gezogen, diesem Übersee-Departement. Rein rechtlich gesehen ein Frankreich wie Lothringen oder die Normandie, ein kleines Hotel de Ville, die Marseillaise flattert leise vor dem Rathaus im Wind, die Gendarmen schlendern über die Märkte in der etwas leichteren Tropenuniform, mit kurzen Hosen und so, nehmen sich eine Papaya, werfen der dicken gutmütigen alten Schwarzen hinter dem Stand einen Franc zu – aber was für Märkte! welche Buntheit! welche Lebensfreude! Was für eine Vulkankulisse! Der Ozean – – – (Überhaupt die französischen Überseebesitzungen; auf einigen ist M. Président nicht nur Staatsoberhaupt, sondern auch Regierungschef! Und auf einer Insel kann man wählen, ob man das französische oder das islamische Recht für sich gelten lassen möchte. Unglaublich.) Ja, und dann hörte man auf einmal von diesem ekligen Chikungunya-Fieber, und die Ärzte rieten, einen Urlaub auf La Réunion am besten vollständig im Nebel von Insektiziden oder unter Moskitonetzen zu verbringen. Ja ja. Das Leben in langweiligen Weltgegenden hat doch auch unzweifelhaft Vorteile. (Übrigens ist es die Trikolore, die da flattert, natürlich. Musik kann nicht flattern. Und inzwischen zahlt man auch mit Euro. Aber es ist Frankreich.) Ich bin dann also doch wieder in die Normandie und ins Elsass gefahren im Urlaub; dort ist es auch sehr schön. Wobei ich zunehmend dahinter komme, dass der Aufwand sich bei den meisten Ferienreisen doch gar nicht lohnt. Unbequeme, teure, laute Verkehrsmittel, dann die Ankunft in irgendwelchen unattraktiven Bereichen des Landes wie Einfallstraßen (nein, das sind nicht die Straßen, in denen man die besten Einfälle hat) oder auch Bahnhöfe oder Flughäfen, dann die Sucherei, das ungewohnte Klima, die unbefriedigenden Unterkünfte, die Suche nach den »Sehenswürdigkeiten« – das alles macht die paar erfreulichen neuen Eindrücke meist gar nicht wett. Wahrscheinlich ist das aber auch nur wieder ein Zeichen dafür, dass ich alt werde.

6 Leider eine etwas unpräzise Formulierung: sie fallen deswegen nicht auf, weil sie nicht da sind.

7 Eine gute Bekannte hat mir jetzt erzählt, dass sie auf ärztlichen Rat sich eine Zeitlang Nacktschnecken über den Daumen gleiten lassen ließ, weil sich dort eine auf andere Weise offenbar unheilbare Warze befand. Es scheint erfolgreich gewesen zu sein. Den Namen des Arztes wollte sie aber lieber nicht nennen und sonst auch keine weiteren Details (und mir fiel natürlich sofort wieder Huckleberry Finn ein).

8 »Eine Schlucht, die hat Wucht!« (Kreisler)

9 Sprach ich eben davon, eine Felswand auf der Zunge liegen zu haben? Welch entsetzlich danebengeratenes Bild! (Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!)

10 Auf Bürgerart: garniert mit kleinen Pastetchen, gefüllt mit Preiselbeerkompott und in Butter gerösteten, blättrig geschnittenen, mit gehackter Petersilie bestreuten Champignons.

11 Dafür spricht auch, dass die Toiletten in den besseren Häusern meist zu den blitzendsten Zimmern überhaupt gehören; dass sich hinter dem blendenden Weiß der Toilettengeräte stinkende Rohre verbergen, weiß ja meist nur der Installateur (ein höchst unerfreulicher Beruf).

12 Ist Ihnen diese Präposition angenehm, oder wäre es Ihnen lieber, ich würde schreiben ›über dem Trottoir‹ oder, transitiver, ›auf das‹?

13 »Über die Grundlagen der ästhetischen Beurteilung der Säugetiere«, erschienen 1900, von Karl Möbius, * 1825 in Eilenburg, † 1908 in Berlin, Professor in Kiel, später Direktor des Museums für Naturkunde in Berlin; Mitglied der Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere. Nicht zu verwechseln mit dem Physiker Möbius, der möglicherweise in den »Physikern« gemeint ist. Und auch nicht mit dem, der »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« verfasste. Ja. Was ich eigentlich sagen wollte: haben Sie schon mal einen Hund gesehen, irgendeinen, der es in ästhetischer Hinsicht mit irgendeiner Hauskatze aufnehmen konnte?

14 Bei Sofa fallen mir immer unwillkürlich Hempels ein, Kunststück. Ihnen auch? Ich habe übrigens mal eine Familie Hempel gekannt. Aber das ist eine andere Geschichte.

15 Auf Haushofmeisterart: mit Kräuterbutter serviert. (Also eher langweilig.)

16 Auch so etwas: warum wir stets ohne Nachzudenken und -zufragen diese Tiere duzen. Selbst wenn uns unbekannte auf der Straße begegnen, kommen wir gar nicht auf die Idee, zu fragen »Na, Frau Katze, wie geht es Ihnen?«

17 Aber geduzt hat er auch. – Wobei jetzt wieder zu untersuchen wäre, ob Hoheit die richtige Anrede für eine Gräfin ist.

18 Wieder so was: die Clownszene war eine ziemlich enttäuschend unlustige; zwei dumme Auguste blieben mit einem Auto liegen, der Musicalclown kam ihnen zu Hilfe, weiß der Henker, wie es weiterging. Sicher erinnere ich mich nur noch daran, dass der eine dumme August dem anderen mit einem Riesenhammer auf den Kopf schlug, und da kam aus dem Pappschädel ein roter Luftballon heraus, der eine Beule darstellen sollte, und der Clown vergoss Tränen, die über seinen Augen als kleine Fontänen in die Manege spritzten. Ich fand das schon mit – vielleicht acht? – entsetzlich dämlich. Aber bis heute ist es so: wenn ich den Anfang von Mahagonny sehe oder höre, muss ich an diese Clownsnummer denken.

19 Habe ich Ihnen schon von diesem Traum erzählt? Das war gerade wieder in so einer Phase, als ich eigentlich am liebsten als Verkäufer aufhören wollte, weil mir wieder ziemlich klar wurde, wie entsetzlich der ganze Werbe-Rummel mit den Anzeigen und so weiter mir eigentlich wirklich zusetzte. Also. Es gibt in unserer Stadt einen Bäcker, der wirklich einen sehr guten Ruf hat, Sonntag Morgens stehen sich die Leute in seinem nicht sehr geräumigen Laden die Beine in den Bauch, um Backwaren zu erwerben, und am berühmtesten ist – sonntags wie werktags – sein Butterkuchen. Nun hatte ich mit dem Bäcker außer als Kunde in seinem Laden nie zu tun, nur einmal mit seiner Frau, am Telefon, wegen einer Todesanzeige. In diesem Traum nun ging ich aber in sein Geschäft, nur war das natürlich an einem ganz anderen Platz, sogar in einer anderen Stadt, nahe an so einem kleinen Tortürmchen gelegen. Ist ja meistens so in Träumen. Der Bäckermeister also saß in seinem eigenen Café, ich erkannte ihn sofort (im wirklichen Leben hatte ich ihn noch nie gesehen), und ich wollte ihm Anzeigen verkaufen. Er war nicht grundsätzlich abgeneigt, wusste aber nicht so recht, für was er werben sollte. Das geht den Kunden öfter so, als man so meinen sollte. Findig, wie ich aber nun einmal bin, zog ich ziemlich schnell einen wunderbaren Gedanken aus der Tasche und erklärte ihm: Sie müssen einfach eine neue Marke schaffen. Nennen Sie doch diese Brötchen da So und So, (das So und So war eine Wortschöpfung unter Verwendung seines Firmennamens), und dann bringen wir die richtig groß raus! Er war begeistert, und ich musste ihm versprechen, das ganz durcharbeiten und schon am Nachmittag mit

20 Das kann man jetzt nicht verstehen. Es handelt sich lediglich um eine Assoziation des Autors, in dessen Erinnerung das »mit Saiten bespannt« sofort eine Drehbuchstelle aus »Die Nacht, in der Minski aufflog« anklingen lässt. Ein übrigens durchaus nicht uninteressanter Film.

21 Herakles aber, Herakles fand den Musikunterricht so ätzend, dass er seinen Musiklehrer mit der Leier erschlug. Ist aktenkundig.

22 Noch eine Parallele fällt mir gerade ein: dass auch der edle Bandit meist als Bandit endet, und in vielen anderen Berufen ist es gleich gar so. Oder umgekehrt: die Welt ist ja auch voll von großen Männern, die von ihrer Vergangenheit nicht mehr gar so viel wissen wollen und sich nicht so gut an ihre ersten großen Coups erinnern.

23 Vor allem auch müssen Sie zu unterscheiden lernen, ob das »Ich« spricht oder »der Autor«. Wobei man nicht so weit gehen sollte, in beiden unterschiedliche Personen zu sehen (nur unterscheidbare). – Ich weiß nicht: war das jetzt einigermaßen verständlich? Wussten Sie übrigens, dass die Lutherbibel auch dem SAtan zwei Versale zugesteht? Hie und da wenigstens.

24 Wussten Sie übrigens, dass die Lutherbibel auch dem SAtan zwei Versale zugesteht? Hie und da wenigstens.

25 Wir empfehlen auch die Keramiktasse »Der Herr ist mein Hirte«, der komplette Psalm zum Meditieren, Grundfarbe weiß, spülmaschinenfest, Höhe 90 mm, Durchmesser 80 mm, Inhalt 0,3 Liter Fassungsvermögen, zu beziehen über den ThankGod-Versand GmbH. Gern genommen wird natürlich die entsprechende Keramikfliese aus dem Chris-Lit-Versand. Den Ring aus 925er Sterling-Silber mit dem hebräischen Text bezieht man für nur 86 € zzgl. Versandkosten über den IsraelBazar. Schlüsselanhänger schon ab 2,40 € über himmlische-connections.de.

26 Das ist auch wieder so etwas: die Welt verändert sich ja ständig. Nur: wenn man jung ist, geht einem das zu langsam, wenn man alt ist, hingegen zu schnell.

27 Geht das überhaupt adjektivisch? (Oder sagt man »adjektivistisch«? Man steigert ja gern heutzutage; islamisch zu islamistisch, Freischärler zu Terrorist und so weiter. Ich selbst werde auch immer mehr zum Anarchisten, stelle ich fest.)

28 Ich weiß, wovon ich rede; mir hat einmal eine Katze eine Maus ins Haus getragen, die sie dann verlor, aber schon in so derangiertem Zustand, dass die Maus das nicht lang überlebte, starb und stank. Aber es war wirklich ein milder Leichengeruch, eigentlich bin ich erst draufgekommen, was ich da die ganze Zeit wahrgenommen hatte, als ich die vertrocknete Mäuseleiche in irgendeiner Ritze fand, einiges später, versteht sich.

29 Die Wissenschaft hat übrigens festgestellt, dass Insekten eine bestimmte Größe gar nicht überschreiten können, das hat aber nichts mit dem Chitin zu tun, sondern mit den Tracheen, die den Körper einfach nur bei relativ kleinen Volumina ausreichend mit Sauerstoff versorgen können. Ein paar Wochen später hat dann die Wissenschaft auch noch festgestellt, dass in der Eifel etwa 300 Millionen Jahre alte Fossilien auf Skorpione mit einer Körperlänge von etwa zweieinhalb Metern hinweisen.

30 Fast hätte ich das schöne alte Dativ-e verwendet und ›Punkte‹ gesagt, aber das hat immer so etwas Behäbiges, oder?

31 Ich verwechsele schon einmal die Tasten und schreibe ›Haushung‹, vielleicht wegen des ›g‹ in ›Zusammenhang‹: Also sozusagen im Zusammenhand mit dem Haushung (wobei die Genera dann auch zu überprüfen wären).

32 Es gibt auch reale Moorhühner, nicht nur virtuelle. Doch.

33 Natürlich gehört zu diesem Thema auch die Tante, die mit verschmitztem Lächeln bei Regenwetter ins Zimmer kommt und raunt »Meine Patience ist aufgegangen«. Solche Momente sollte man unbedingt für Testamentsfragen nutzen…

34 Kennen Sie, vermute ich. Oder soll ich kurz erläutern, woher das Zitat stammt?

35 Kann man die Vokabel ›Preis‹ auch in diesem Falle in den Plural setzen? Ich bin mir nicht ganz sicher.

36 À la metropole: mit einer gebratenen Scheibe Kalbsbries belegt, auf der ein Champagnerkopf thront, überzogen mit Trüffelsauce.

37 Eine zweifellos etwas gespreizte Formulierung, aber Sie müssen doch zugeben, dass Sprayer verdächtig sind. Grundsätzlich gewissermaßen. Überhaupt: gespreizt, gestelzt, verschroben: man kann so allerlei sagen über den Stil des Autors, aber – nun ja.

38 Das ist ohnehin eines meiner Probleme, das Zögern; morgens stehe ich auf und habe mir etwas vorgenommen, plane wohlgemut pfeifend schon die Einzelheiten, dann fällt mein Blick plötzlich auf eine andere Unzulänglichkeit, die eigentlich auch meine tätige Abhilfe erfordert, und schon erstarre ich: was ist jetzt dringlicher? Selbst wenn ich beides mir vornähme, welches zuerst? Gäbe es Gemeinsamkeiten, »Synergie-Effekte«, in welcher Reihenfolge widme ich mich welchen Teilgewerken? Welches muss unbedingt vor welchem erledigt werden? Am Schluss habe ich dann oft wie ein verkehrter Buridanscher Esel keines von beiden hinter mich gebracht (was wiederum am nächsten Morgen den Enthusiasmus spürbar bremst, sich wiederum fröhlich ans Werk zu begeben – oder auch nur die Erörterung fortzusetzen). Am besten, man setzt sich wirklich ganz ruhig in einen Sessel. Hagenbuch eben – oder doch Loriot?

39 Nach Jägerart, alla Cacciatora: mit Peperoncini, Rosmarin und Knoblauch, säurebetontem Weißwein, Oliven und fruchtigen Tomaten.

40 Vielleicht kommen wir später dazu, in einem geeigneten Moment. Ist aber auch wieder so eine Sache. Ich habe nämlich immer festgestellt, dass es eigentlich viel zu wenige geeignete Momente gibt, für was auch immer. Man wartet immer sehnsüchtig auf sie, und dann kommen sie einfach nicht. Oder wenn sie kommen, hat man einfach vergessen, wozu sie hätten gut sein können.

41 Noch so eine Geringschätzung dieses – sagt man das noch? – Hobbys: man gönnt ihnen noch nicht mal einen anglifizierten Namen. – Wobei man das ja nun leider auch nicht sogleich merken würde.

42 Heißt es beschnüffelt oder abgeschnüffelt? Oder geht keins von beiden? Na, vielleicht am ehesten beschnüffelt.

43 So wie die in den Modeanzeigen auf Hochglanzpapier, die immer so grausam schauen, obwohl sie wahrscheinlich erst Dreizehn sind. Naja, was heißt »obwohl«.

44 So wie die in den Modeanzeigen auf Hochglanzpapier, die immer so dämlich glotzen.

45 Nach Gastronomenart: mit glacierten Maronen, Trüffelscheiben und Hahnenkämmen garniert.

46 Wussten Sie übrigens, dass die Vereinigten Staaten von Amerika über 70% aller jüdischen Emigranten aus Deutschland zwischen 1933 und 1945 bei der Ankunft nicht einreisen ließen, weil sie keinen Bürgen vorweisen konnten?

47 An Ursachen liegen kann natürlich gar nichts. Eine Ursache haben, das schon.

48 Die Kongregation der Riten ist ja nicht, wie viele meinen (ich habe das auch früher gedacht, aber ich bin ja auch kein Katholik) zuständig für die Inquisition. Das ist die Kongregation des Glaubens, Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis heißet sie nämlich genau genommen. Die Kongregation der Riten kümmert sich um die Gottesdienstordnung und um Heiligsprechungen. Es gibt halt immer mehr Aufgaben als Kongregationen, früher waren ja auch Ministranten – nein, Ministerien meistens für vielerlei zuständig, Landwirtschaft und Forsten oder Jugend, Familie, Gesundheit. Oder was sich sonst gut rhythmisieren lässt. Und Heilige haben auch oft mehrere Verantwortlichkeiten: Ärzte, Bäcker und Vieh oder Husten und Hundebiss, oder Bergleute, Friseure und Schmiede, oder Sterbende, Zimmerleute und Österreich, oder guten Tod und Kopfweh, oder Arme, Köhler, Bäcker, Feuerwehr und Köche, oder Pferde und Gefängniswärter, oder Körperbehinderte, Apotheker und Schauspieler, also jedenfalls ist das sehr, sehr vielfältig und gibt auch viel zum Nachdenken Anlass (was ja aber nie schaden soll).

49 Ab und an verkleide ich mich auch bei diesen Excursionen; also nicht gerade als Schornsteinfeger oder Harun al Raschid (wäre mir auch viel zu mühsam), aber doch so als armer Mann oder reicher Mann. Sie würden nicht glauben, was schon diese beiden Larven für Veränderungen in der Umwelt hervorbringen! Will sagen im Verhalten der Leute. Sie würden es nicht glauben.

50 Wie nennt man das, selfforfilling prophecy, oder so ähnlich, ja? (Wie kommt das nur, dass so oft auch richtig geschriebene Wörter unheimlich falsch aussehen?)

51 Verzeihen Sie das saugrobe Wort.

52 Dass meine Tante mal mit einem Kamel einen Zusammenstoß – nein, kein Kamel. Und auch in dem Sinne, also wenn man es genau nimmt, kein Zusammenstoß. Ach, vielleicht erzähle ich Ihnen das ein andermal.

53 Die Verwendung des Hilfsverbs ›sein‹ im Zusammenhang mit der Perfektbildung des Verbums ›stehen‹, wie im ersten Satz dieses Kapitels – bitte verzeihen Sie, dass ich Ihnen erst jetzt damit komme –, habe ich ja bisher stets abgelehnt. Unbestreitbar haftet ihr wohl auch etwas Süddeutsches, wenn nicht gar Schweizerisches, an. Als ich noch Schüler war, Deutschschüler, hat unser Deutschlehrer den Unterschied so erklärt, dass in der Regel das Hilfsverb ›haben‹ bei Tätigkeiten Anwendung finde, sein Pendant ›sein‹ hingegen bei Zuständen. Nun drücken die Vollverben ›sitzen‹ oder ›stehen‹ weder eindeutig eine Tätigkeit noch einen Zustand aus oder etwas, das einem passiv geschieht; ein Soldat mag strammstehen und dann sicherlich ›gestanden haben‹, ein Stadtrat eine Sitzung veranstaltet und ›gesessen haben‹, (›über etwas gesessen haben‹. ›Gesessen haben‹ natürlich auch Personen mit einem etwas zu leichtfertigen Verhältnis zu Gesetzesbüchern). Das Herumsitzen oder Herumstehen könnte wohl sicher so oder so konjugiert werden. Wobei ich im Zusammenhang mit Tante Anneliese natürlich ein ›Herumstehen‹ als Formulierung nie in Betracht ziehen würde. Ihr Stehen hat etwas außerordentlich Aktives. In diesem Fall stand sie geradezu fordernd. Herausfordernd. Vielleicht möchte das als Erklärung schon hinreichen. Ich will auch gar nicht den Anschein erwecken, dass ich mich hinter der Grammatik versteckte oder sie gar in Opposition zum Sinn stellen wollte. Zumindest nicht mehr, als mir anstünde oder ihr gut täte. Eigentlich war die Ursache dieser Satzbildung, dass ich die sonst erforderliche Doppelung des ›hat‹ im ersten Satz, nämlich vor und hinter dem Beistrich, hässlich gefunden habe und daher dieser Variante den Vorzug gab. Es gibt, glaube ich, nur zwei Dinge, die in grammatikalischer Hinsicht ähnlich wichtig sind, das wären dann wohl die richtige Bildung des Konjunktiv Präsens und die korrekte Verwendung von »beziehungsweise«. Aber dazu später. (Wobei letzteres, wenn ich es recht erwäge, nicht eigentlich zur Grammatik gehört.)

Mein Haus - eine Burleske

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