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Im Tal der Hexe
ОглавлениеSchon das Haus allein sah so aus, dass ich es erst mal neugierig umrundete. Es musste sehr alt sein. Die kleinen, mittelalterlichen Luken, die es im unteren Teil aufwies, waren mit großen rostigen, eisernen Zargen versehen, um unliebsame Besucher unmissverständlich davon abzuhalten, auf diesem Wege eindringen zu wollen.
Es stand auf einer kleinen Lichtung, hinter ein paar Apfelbäumen, halb versteckt, in einem Tal, das ich zwar von der Ferne kannte, aber noch nie zuvor hatte ich einen Fuß dorthin gesetzt – als Kind nannte ich es, ein bisschen ängstlich, das "Hexental", weil es sich oft so geheimnisvoll im Nebel verkleidet zeigte und eigentlich zu keinem Besuch verlockte.
Auch diesmal zogen da einige Nebelschwaden, da es kurze Zeit davor ein wenig geregnet hatte, ein früh-sommerliches Gewitter, welches das Land und den Wald nun wie eine Blume duften ließ.
Ich zog an dem Griff, der die Leine bis in den Eingang des Hauses spannte und eine silberne Glocke zum Klingen brachte, zog nach einer Weile ein weiteres Mal an der Leine, aber nichts rührte sich im Haus. Auch mein Klopfen an der Haustür brachte keinen Erfolg, so stieg ich die kurze Treppe wieder hinunter, ging nochmals um das Haus herum, um zu sehen, ob vielleicht auf der Hinterseite ein Zeichen von Leben zu entdecken war. Die Abendsonne tauchte die Nebelschwaden in ein goldenes Licht, zauberte eine seltsame Stimmung in die Lichtung.
Eigentlich hatte ich nur einen Freund von mir besuchen wollen, der mir einige Tage zuvor erzählte, dass er sich für eine bestimmte Arbeit, in eben jenem Hause aufhielt, sich in "Klausur" zurückzog, um von weltlichen Verlockungen ungestört zu sein.
Ich schellte noch einmal, sah hoch zu dem Erker, da war sogar eine Pechnase in der Wand, wahrscheinlich noch aus den Türkenkriegen, das Haus war wirklich sehr alt, die Mauern dick wie bei einer Festung.
Ich wollte mich schon wieder abwenden, als sich ein Fenster im oberen Stockwerk mit einem leichten Quietschen öffnete. Ein Kopf beugte sich heraus, aber es war nicht mein Freund Michael. Ich ging einige Schritte zur Seite um das Gegenlicht, das die Sicht erschwerte, zu vermeiden und sah nochmals hinauf.
Es war eine junge Frau, die da zu mir herunter sah und nach meinem Begehr fragte.
"Ich wollte zu Michael, er hat gesagt, dass ich ihn hier finde, er wollte hier…"
"Michael ist gestern Abend wieder in die Stadt gefahren, musste wohl irgendwas Wichtiges erledigen…"
Ich war enttäuscht, war schon im Begriff mich für die Störung zu entschuldigen und zurück zum Wagen zu gehen, als die Frau mich zurückrief und meinte, ich solle doch einen Moment warten, sie komme gleich hinunter an die Tür.
Als sie dann die Tür öffnete, war es, als ob ein Licht aufginge. Sie trug ein langes weißes Kleid, eher so etwas wie einen Umhang, hatte langes, rotes Haar, das ihr bis weit über die Schultern fiel. Das Gegenlicht der Sonne umriss ihren Körper unter dem Kleidungsstück, sie sah aus wie eine Göttin, die da nur zur Abwechslung kurz einmal in die profanen Niederungen der irdischen Welt hinabgestiegen war. Ihre märchenhafte Erscheinung ließ mich an meinem Realitätssinn zweifeln – war dies die Wirklichkeit ?
"Hallo, ich bin Marah, und du brauchst nicht vor mir davonzulaufen, ich beiße nicht…" Ihre Augen waren strahlend grün und lachten mich unverhohlen an. Ich stammelte mehr, als dass ich tatsächlich sagte, sie wäre ja nichts zum "Davonlaufen", schon eher was zum "Nachlaufen". Sie lächelte, ergriff meine Hand und zog mich ins Innere des Hauses. Jegliche Gegenwehr wäre sinnlos gewesen, ich fühlte mich wie von einem Zauber ergriffen, folgte ihr fast willenlos. Sie hätte mich auch geradewegs zur Schlachtbank führen können, ich war ihr sofort verfallen, wäre ihr wie in Hypnose überallhin gefolgt.
Das war der zu fleischgewordene Traum eines jeden Mannes – ihr wallendes, rotes Haar, ihr gertenschlanker Körper, mit den richtigen Kurven an den richtigen Stellen, ihr schwebender Gang, die grünen Augen, das schmale Gesicht, dazu noch der glockenhelle Klang ihrer Stimme, aber vor allem auch dieses Lachen, das wie eine Verheißung klang, ein fast paradiesisches Versprechen. Da hatte ich noch keine Ahnung, was nun auf mich zukommen sollte.
Die Räumlichkeiten waren an die moderne Zeit angepasst, der Boden mit weichen, persischen Teppichen ausgekleidet, mit dicken Matratzen und Kissen, verteilt im Raum, niedere Tischchen um darauf etwaige Speisen und Getränke abzustellen - ein Bild, wie in ein orientalisches Gemälde.
"Komm setz dich zu mir, erzähle mir, wer du bist, aber die Wahrheit, keine Märchen, das durchschaue ich sofort !"
Ich sagte ihr meinen Namen, und dass ich eigentlich nur meinen Freund Micha hier besuchen hatte wollen, es klang schon fast wie eine Entschuldigung für mein Dasein, das hier nun ihre Kreise zu stören wagte. Sie lachte silberhell, strahlte mich an, goss ein Glas dunkelroten Wein in ein Glas, reichte es mir. Sie berührte dabei meine Hand, und es war fast wie ein Stromstoß, der da durch meinen Körper fuhr. Was hatte diese Frau an sich, war sie eine Zauberin ? Ich war völlig fasziniert von dieser Lichterscheinung, von der Magie, die sie umspielte. Natürlich wusste sie genau, dass die einfallende Abendsonne ihren Körper unter dem dünnen Stoff scharf abzeichnete, sie war sich und ihrer Wirkung wohl bewusst.
"Ich… äh, seit wann wohnst du denn hier, in diesem Haus, ich hatte keine Ahnung und wenn ich das gewusst hätte…"
Ich stammelte, schalt mich ob meiner offensichtlichen Verwirrung, verspürte sogar ein zartes Rot in meinem Gesicht aufsteigen, wandte mich ab, aber es war zu spät. Sie hatte es schon gesehen, strich mit ihrem Handrücken vorsichtig über meine Wange, lächelte mich lieblich an, was mich nur noch mehr verwirrte und das Rot in meinem Gesicht nun erst so richtig vertiefte.
"Ich hab' schon von dir gehört, Micha hat auch erwähnt, dass da vielleicht 'jemand' vorbeikäme, um ihn zu besuchen."
"Ich will ja auch gar nicht stören, es tut mir leid… ich meine, nein, es tut mir nicht leid, du… bist wunderschön !"
Sie nahm meine Hand in die ihre und ich sah, dass ihre Hände groß und stark waren, fast schon wie Männerhände, aber dann doch auch wieder nicht. Sie streichelte meine Hand, besah sich die Innenseiten, als ob sie darin lesen wollte, strich mit ihrem Zeigefinger über meine Handfläche, erkundete sie auch mit ihrem Tastsinn. "Du hast schöne Hände, grob und stark, das mag ich, die können sicher gut zupacken !" Ich zog meine Hand schnell zurück, verspürte einen Anflug von Scham, als ob sie ein Geheimnis entdeckt hätte - wie oft hatte ich mir gewünscht, doch etwas feingliederigere Hände zu haben.
Sie erzählte, dass sie ja eigentlich auch nur auf Besuch hier sei, eigentlich in der Stadt wohne, aber nicht mal da häufig anzutreffen wäre, weil sie berufsbedingt, viel reisen müsse. Wir erzählten einander einige Geschichten aus unser beider Leben, redeten über dies und jenes, wie man das halt so tut, wenn man einem interessanten Menschen begegnet, den man näher kennenlernen will. Die Sonne ging unter, aber es war noch immer warm, der kommende Sommer kündigte sich schon mit einer ersten lauwarmen Nacht an.
Sie stand auf, ging ein paar Schritte in den Raum, drehte sich dann abrupt um ihre Achse, sah mich unmittelbar an. "Du bleibst doch noch… ein wenig, oder ?" Ihre Stimme gurrte nun, sie sah mich mit einem Blick an, der gut und gerne auch von einer Spinne hätte kommen können, die ihr Opfer schon einmal in Vorfreude auf das kommende Mahl begutachtete. "Wir wollen etwas essen… du musst was essen, nicht dass du hier bei mir an allgemeiner Schwäche verstirbst !" Die Musik, die auf einmal den Raum erfüllte, war Zigeunermusik, ein Geiger spielte sich da die Seele aus dem Leib. Ich sank zurück in die Kissen, war wohl vom Wein schon leicht benebelt, aber doch noch mehr trunken von dieser elfenhaften Frau, von Marah – war sie Wirklichkeit oder nur Traum, ein Wunschbild von einem Traum. Ich kniff mich tatsächlich in den Arm, ward mir aber bewusst, dass man sich auch in einem Traum kneifen konnte, dies also jetzt nicht als Wahrheitsbeweis dienen konnte.
Marah kam mit einem Tablett voller Delikatessen zurück, ich aß wie ein Verhungernder, während sie nur neben mir saß, einen kleinen Bissen Brot in ihren Mund steckte und mir lächelnd zusah, mir neuerlich Wein einschenkte, den ich sofort gierig trank. Ich ließ mich zurücksinken, lehnte mich gegen die Wand. "Du bist eine Zauberin, oder… und reist von Land zu Land um die Menschen mit deiner Magie zu beglücken, gib's zu !" Sie lachte aus vollem Halse, schüttelte ihr rotes, wallendes Haar, prostete mir zu. "Du hast mich durchschaut, mein Lieber, wie machst du das nur ?" Sie lächelte belustigt, strich mir wieder übers Gesicht. "Ich bin eine weiße Hexe !"
Sie hielt meine Hand nun mit ihren beiden Händen fest umfasst, drückte sie an ihre Brust. "Bleibst du heute Nacht bei mir… und bist mein Gemahl ?"
Ich saß wie erstarrt, sah sie zweifelnd an, konnte erst gar nicht sprechen. Die Frage war klar und deutlich und auch unmissverständlich - sie der Mann, ich die Frau – nein, umgekehrt – eins und eins ergab zwei. Ich stammelte vor mich hin, kaum noch Ton in meiner Stimme. "Ja klar… ich bleibe - ich bin gerne dein Gemahl… wenn ich darf…"
Sie küsste mich zart auf den Mund, ich roch den Duft ihres nahen Körpers, es war Sandelholz. Sie zog mich in einen Nebenraum, der fast zur Hälfte mit weichen Matratzen ausgelegt, aber auch an den Wänden gepolstert war, Kissen, Decken und eine Art Tischchen neben diesem großen "Bett", dies musste das "Schafzimmer" sein. Sie küsste mich nochmals, begann mich auszuziehen und ich war nicht zu scheu ihre Liebkosungen zu erwidern, half ihr sich ebenfalls sich ihres Kleides zu entledigen. Wir sanken auf das Lager hin, versanken ineinander, rollten uns auf den Matratzen hin und her. Es war wie ein Sturm, der über alle Höhen bläst, völlig enthemmte Gewalt der Natur, sich selbst umkreisend, in einer Art Urknall explodierendes All, dessen Teil ich war, ohne zu wissen, ob ich jemals wieder in meine Gesamtheit zusammengefügt würde, wie vor dieser elementaren Auflösung in meine molekularen Bestandteile.
Ich versank in der Tiefe meiner Erschöpfung, nicht nur der körperlichen Anstrengung wegen, auch der Wein und die ausgeschütteten, opiatartigen chemischen Verbindungen in meinem Gehirn ließen mich in tiefen Schlaf verfallen.
Marah weckte mich sanft, mein Kopf lag auf ihrem Busen, sie kraulte meinen Kopf, ich küsste ihre Brüste, sie roch nach Vanille und es dauerte nicht lang, bis wir wieder ineinander versanken. Ein neuerliches Aufbäumen des Sturmes, eine neuerliche gigantische Explosion, die – wie ich mir dachte – die ganze Welt erschüttern und erschauern lassen musste. Aber diesmal ließ mich Marah nicht einschlafen. Sie zog mich hoch, sagte sie wolle mir etwas zeigen, ich solle nur kurz auf sie warten, sie hole sich nur ein anderes Kleid. Ich nahm inzwischen noch ein Stück des geräucherten Fleisches, biss genussvoll hinein, so eine Nacht machte hungrig.
Sie trug ein hauchdünnes Nichts, als sie wiederkam, bedeutete mir ihr zu folgen. Wir verließen das Haus, gingen hinaus auf die Waldlichtung. Die nackten Füße im feuchten Gras fühlten sich gut an, so frisch, aber trotzdem nicht kalt, ganz im Gegenteil. Hinter einer Reihe von Büschen lag ein kleiner Teich mit einem Bootssteg. Der Vollmond zeichnete eine silbrige Straße auf das Wasser, einige kleine Wölkchen am Himmel vervollständigten die optische Perfektion. Sie hielt mich umfangen, drückte sich fest an mich, küsste mich leidenschaftlich, riss sich dann los streifte ihr Kleid ab und sprang mit einem übermütig-lustvollen Schrei in das dunkle Wasser, ließ die silbrige Mondstraße zerlaufen. "Komm herein zu mir, es ist schön im Wasser, und gar nicht kalt !" Es hätte dieser Aufforderung gar nicht bedurft, ich folgte ihr auf den Fuß, zog mich schnell aus und sprang ebenfalls in das kühle Nass. Es tat wohl das Wasser auf der Haut zu spüren, die Hitze des gerade erlebten Höhenfluges abzukühlen. Ihr warmer Körper drückte sich auch im Wasser ganz fest an mich, ich konnte mich kaum bewegen "Ja, es ist mir recht, lass mich hier einfach ertrinken…" Lachend gab sie mich frei. "Ich kann mir beim besten Willen keinen schöneren Tod vorstellen…" Sie lachte wieder, als sie zum Bootssteg schwamm, hin zur Leiter. Sie kletterte hinauf, blieb aber auf der obersten Sprosse kurz stehen, reckte ihr Hinterteil provozierend ins Mondlicht. "Du darfst noch nicht sterben, ich habe noch so einiges mit dir vor, mein Gemahl…" Lasziv kichernd reichte sie mir ihre Hand, um mir auch aus dem Wasser zu helfen.
"Du… kleine Hexe du !" Ich gab ihr einen Klaps auf ihr nacktes Hinterteil und zog sie an mich. "Mhhhm… das fühlt sich aber gut an, mein liebster Gemahl, ist das da unten ein Stück Holz, das du aus dem Wasser mitgebracht hast ?" – "Nein, das ist der Zauberstab meines Heizkörpers…" – "Ah ja, mir ist ohnedies etwas kühl, komm leg dich hin und wärme mich." Sie drückte mich auf den Bootssteg, legte sich auf mich und begann ihren nassen Körper an mir zu reiben. Selbst in diesem Zustand roch sie betörend nach Sandelholz.
Sie sah wunderschön aus, in dem klaren kühlen Mondlicht, als sie auf mir saß und genussvoll stöhnte, sich an mir rieb, bis die nächste Explosion der Gefühle uns beide emotional wieder weit hinaus ins Universum beförderte. Wir lagen keuchend nebeneinander, sahen in den dunklen Nachthimmel hinauf.
"Ich schenke dir eine Sternschnuppe !" Sie zeigte mit ihrer Hand hinauf, zog mit dem Zeigefinger eine imaginäre Linie quer über das Dunkel. Eine Sekunde später kam die Sternschnuppe, zog genau so, wie sie es vorgezeichnet hatte, ihre Bahn über den Himmel. Ich lachte leise auf. "Noch eine… warte mal." Wieder zeichnete ihre Hand eine Bahn – die zugehörige Sternschnuppe war gleich darauf auf ihrem Weg. Sie lächelte, fragte, ob ich noch Sternschnuppen wolle, sie habe da noch so ein paar in der Hinterhand. Ich zeigte nach Osten, an den Rand des Horizontes. "Da möchte ich eine haben…" Marah hielt ihre Hand an die meine, zeichnete nun mit mir zusammen eine Spur über das Firmament und die Sternschnuppe kam wie bestellt, verglühte hinter den Hügeln. Mir stand der Mund offen, aber damit war noch nicht genug, Sie zeichnete noch weitere drei Spuren, mit mir gemeinsam, über das Dunkel und die zugehörigen Sternschnuppen kamen jedes Mal, ohne große Verzögerung, immer genau so wie gewünscht. Ich sah Marah von der Seite her an, sie begann mir unheimlich zu werden. Sie drehte sich der anderen Seite des Tales zu, da war in einiger Ferne der Schornstein einer Fabrik zu sehen. "Ich kann auch Wolken machen, wenn du magst… schau mal !" Sie schnippte mit den Fingern und zeigte auf den Schornstein, ein kleines Wölkchen kam heraus, schwebt über dem Kamin. "Warte, ich mach dir mehrere…" Wieder schnippte sie, zeigte auf den Schornstein, wo postwendend wieder ein Wölkchen aufstieg. Nach jedem Mal Schnippen und auf den Schornstein zeigen, kam ein Wölkchen, reihte sich ein, nun schwebten sie wie Perlen an einer Kette über dem Fabriksschlot. "Jetzt reicht's aber, glaube ich, wir wollen doch nicht die ganze gute Luft verpesten oder… Komm, lass uns wieder ins Haus gehen !" Sie lächelte verführerisch, ich lächelte zurück - eng umschlungen gingen sie den Weg zum Haus. "Brauchen wir Licht… Es werde… LICHT !" Die Lampe vor dem Eingang erstrahlte mit einem Mal, entzündet wie von Geisterhand, ich konnte einfach nur mehr staunen.
"Komm rein, jetzt habe ich auch Hunger bekommen – Schwimmen und Liebe machen – das erzeugt Hunger – ich habe auch schon für Nachschub gesorgt, es wird dir schmecken – es wird uns schmecken – ich ziehe mir nur schnell etwas anderes an, jetzt ist mir ist doch etwas kühl geworden !" Sprachs und verschwand im Nebenzimmer, während ich mich dem frisch bestückten Tablett mit allerlei Köstlichkeiten näherte. Eigenartig, als wir zuvor aus dem Haus gegangen waren, hatte ich schnell noch ein Stück Käse genommen, da war das Tablett fast leer gewesen und dann waren wir doch gleich zum Teich gegangen. Wie waren die Speisen, die nun auf dem Tablett lagen, dahin gekommen? Gab es hier Heinzelmännchen, oder war Marah tatsächlich eine Hexe? Die Sternschnuppen, die Wölkchen über der Fabrik, das Licht, das anging, wenn sie es wollte, die Musik die auf einmal spielte. Was war das hier, vielleicht wirklich das Hexenhaus im Hexental und am Ende würde sie mich in ein Warzenschwein verzaubern?!
Marah kam in dem langen weißen Kleid zurück, das sie anfangs getragen hatte, und setzte sich dicht neben mich. "Mhhm, du riechst so gut…" sagte ich, und zog sie an mich, vergrub mein Gesicht in ihrem Hals und ihrem roten Haar. "Frische Vanille, wo kriegst du das her ?" – "Direktimport aus Indien, das ist Vanille-Öl !" – "Es riecht zauberhaft und verlockend, zum Reinbeißen, wie ein Stück Torte !" Man aß von dem kalten Braten, Appenzeller-Käse dazu, schwarzes Brot, und diesmal sogar eine Flasche Bier, um den Durst zu löschen.
"Komm, lass uns einander noch ein bisschen lieben, mein Gemahl, den Zauber der Stunde nutzen – wer weiß schon, was morgen ist ?" Der Morgen begann schon leicht zu grauen, als wir uns wieder ins Schlafzimmer begaben. Sie lächelte, wie es nur eine klassische Circe konnte oder die Sirenen, die schon Odysseus fast zum Verhängnis geworden waren – halb zog sie mich, halb sank ich hin. Sie rollte sich auf mich und nahm mich einfach, wie man eine Festung ohne Widerstand nimmt, ohne weiteres Federlesen, ich war Wachs in ihren Händen. Ihr Leib war so heiß, wie er die ganze Nacht noch nicht gewesen war. Ein wahres Furioso, wenn man es mit einem musikalischen Ausdruck beschreiben wollte, rollte über uns hinweg – als ob Liszt mit Beethoven einen Krieg auskämpfen wollte, in einem wagnerianisches Weltuntergangsszenario mit Wiedergeburt. Der Schlaf kam gnädig, und erlöste meinen nun schon fast schmerzenden Körper, ließ mich traumlos und gnädig in Morpheus Armen versinken.
Im Erwachen plagten mich tiefe Zweifel, ob ich dies denn alles nur geträumt hatte, oder ob das alles tatsächliche Wirklichkeit gewesen war. Es gab seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde und nicht alle diese Dinge waren erklärbar – hatte sich Traum mit Realität vermischt oder umgekehrt ?
Ich öffnete die Augen und fand mich in eben jenem mittelalterlichen Haus, in dem ich diese fast unwirklichen Geschehnisse erlebt hatte. Ein wohliges Gefühl in meinem Unterbauch, ein Grinsen, das sich mir ins Gesicht stahl. Na, das war ja Mal eine Nacht gewesen… und Marah, ich musste versuchen, sie wieder zu sehen. Das konnte man doch nicht einfach nur auf sich beruhen lassen, und zur Tagesordnung übergehen. Wann lernte man schon mal eine echte Hexe kennen, und ward von ihr verhext, denn genau das war mit mir geschehen, in dieser letzten Nacht.
Ich fuhr nach Hause, wie in Trance, nochmals kamen mir die wunderlichen Details zu Bewusstsein - die Sternschnuppen, die Wölkchen an der Perlenschnur, das Licht, die magische sich selbst füllende kalte Platte, die Musik die einfach losspielte… und nicht zuletzt, Marahs gesamte Erscheinung.
Der Straßenverkehr forderte meine Aufmerksamkeit, ich musste mich zusammenreißen, um nun wieder in der realen Welt anzukommen, zu funktionieren, den Weg nach Hause zu finden. So war ich dann letztlich auch ganz froh, als ich sicher und wohlbehalten - und nicht in ein Warzenschwein verwandelt - in meiner Wohnung landete, mich anschließend sofort in mein Bett verzog, um etwas Schlaf nachzuholen.
Einige Wochen vergingen, ich suchte nicht nach Marah, wusste auch gar nicht, wo ich sie hätte suchen sollen. Die Nacht mit ihr war fast schon zu einem Trugbild verkommen.
Es passierte wieder ganz unvermutet - eines Nachts dann, in einer Diskothek - ich saß nach einem langen Tag müde an der Bar, wollte nur ein Bier trinken, den Tag ausklingen lassen. Es war inzwischen Sommer geworden, die Frauen zeigten wieder ihr Fleisch, ich sah neugierig zur Tanzfläche hinüber.
DA – da war sie… unverwechselbar, sie schüttelte ihre rote Mähne, trug auch wie damals ein weißes Kleid, nur dieses bedeckte kaum ihre Blößen. Ihre Hände malten Figuren in die Luft, ihr Körper wand und aalte sich förmlich in ihrem Tanz. Sie hatte mich noch nicht gesehen und ich beschloss, die Szene erst einmal unerkannt zu beobachten. Ich genoss es, ihren Bewegungen zu folgen, genoss auch den Gedanken, dass ich diesen Körper "besessen" hatte, genau so wie sie meinen Körper "besessen" hatte, in jener Nacht, im Hexental.
Dann ging auf einmal die Tür zur Toilette auf und meine Augen wurden groß und größer – da kam eine zweite Marah auf die Tanzfläche, schüttelte frech ihr langes, rotes Haar, in einem ebenso weißen knappen Kleid, wie es auch ihre Doppelgängerin trug. Sie unterschied sich auch körperlich nicht sehr, war vielleicht ein paar Zentimeter größer, bewegte sich gleich, lachte dasselbe Lachen, zeichnete während des Tanzes Figuren mit ihren Händen ins Licht der Scheinwerfer.
Nun konnte ich mich nicht mehr zurückhalten, drängte mich durch die Leute, hin zur Tanzfläche, versuchte aber nach wie vor von den beiden rothaarigen Frauen nicht gleich gesehen zu werden, schlich mich gewissermaßen an sie heran. Ich packte die Erste, hielt sie fest, und roch an ihr – der unverwechselbare Duft von Sandelholz stieg mir in die Nase. Ich zog auch den Körper der zweiten Frau an mich heran, sie roch nach Vanille. Beide drehten sich mir nun zu, verwundert über die Attacke auf der Tanzfläche. Ihrer beider Augen wurden groß vor Erstaunen, sie erkannten mich sofort, ein breites Lächeln umspielte ihre Gesichter.
Wir tanzten einfach gemeinsam weiter – meine Müdigkeit jedenfalls war mit einen Mal verschwunden. Sie lachten mich an, küssten mich beide nacheinander intensiv auf den Mund. Ich küsste sie zurück, was sollte ich auch sonst machen, mit zwei solchen Hexen.