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Vorspiel

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Rom – die Vatikanstadt – eine Piazza neben der Peters-kirche, so römisch, wie irgend etwas in Rom: an zwei Seiten turmhoch eingerahmt von der Rückseite der Fassade der Basilika und ihrem Langhaus in Madernos elfenbeingelbem Travertiner Marmor, ausgeschwungen in den gigantischen Proportionen und phantasievollen Formen des Barocks; an der dritten Seite begrenzt durch die überdeckte Brücke von der Kirche zu Papa Braschis kathedralgroßer und doch so graziöser Sakristei; die vierte Seite von einer zwei Stockwerke hohen, ockergelb gestrichenen und von Rosen umrandeten Mauer flankiert, die von uralten Zypressen und feierlichen Palmen auf langen, angsterwekkend dünnen und von Jahrhunderten verschrammten Stämmen überragt wird, in der Mauer eine schön geschmiedete Gitterpforte mit der Inschrift Teutones in Pace und altchristlichen Auferstehungssymbolen ...

Vor dieser Friedhofspforte unter der Peterskuppel stand ich an einem Sommertag des Jahres 1913 als einundzwanzigjähriger Student und starrte in die dunklen kühlen Schatten zwischen Lorbeer, Oleander und Myrte, Rosen und Wistaria unter den Palmenwipfeln, sah über die einfachen Steine, Kreuze und Blumen der Gräber und entdeckte im Hintergrund des Campo Santo zwei winkelig zusammenlaufende Palazzoflügel mit Bögen und Säulen und Loggias und blumengeschmückten Dachterrassen. Ich sah es und dachte: »Herr, wohnte man hier, könnte man eine Arbeit des Geistes tun!«

Hoch oben hinter dem schwindelerregenden, vom sonnenhellen Goldstaub des Südlandes erfüllten Blau hat ein Auge gelächelt und eine Stimme, die ich nicht hörte, gesprochen: »Warte nur, mein Junge, warte 35 Jahre, dann sollst du dort einziehen und für beständig dort wohnen und schließlich dort drinnen in der Friedhofserde von Gethsemane ruhen! Ich habe auch eine Arbeit des Geistes für dich, die du dir heute noch nicht träumen läßt. Aber zuerst muß ich dich in die Schule nehmen und dich durch Feuer und Wasser gehen lassen. Und dann habe ich noch verschiedene Arbeiten, die du ausführen sollst, wovon du aber vorher nichts zu wissen bekommst. Du hast nur Schritt für Schritt vorwärts zu gehen, wohin dich der Stachel treibt; aber du darfst nicht löcken wider ihn!«

Am Silvesterabend 1947 zog ich durch diese Pforte ein, und jetzt ist der alte Palazzo mein Heim hienieden; der Campo Santo ist mein Garten; die Bibliothek mit den vielen tausend Bänden ist mein Eigentum, das ich mit den anderen vierundzwanzig gelehrten Arbeitern des Hauses teile; ich habe meinen Platz am Tischende in einem Refektorium mit geschnitzten Paneelen und verblichenen Gemälden unter der Balkendecke; und ich habe ein Studierzimmer von der raucherfüllten, spartanischen Traulichkeit der klassischen Studierstuben dänischer Pfarrhöfe in alten Tagen, hier aber bereichert durch Bilder, Bücher und Erinnerungen aus vielen Ländern ... All das ist mein geworden. Und als Zugabe erhielt ich die geistige Arbeit, die mir die höchste in der Welt dünkt, und auf die, wie ich jetzt deutlich zu sehen vermag, meine ganze Entwicklung hingezielt hat.

Ich kam also dahin, wohin ich wollte: vielleicht deshalb, weil ich dahin wollte, wohin ich sollte. Bevor ich »der glücklichste Priester der Welt« wurde, mußte ich durch 25 Jahre eine Tätigkeit ausüben, hier und da auf verschiedene Weise, so wie mich »der Stachel« trieb, und niemals kannte ich sie im voraus, und niemals erhielt ich ein Attest dafür. Im Campo Santo Teutonico habe ich den Frieden gefunden, nach dem ich an anderen Orten vergeblich gesucht habe: Frieden mit Gott und mit allen Menschen, Herzensfrieden und Arbeitsfrieden, was mich voll Dank dazu treibt, das Tagewerk mit dem Gebet zu beschließen:

Dank Dir, gütiger Heiliger Geist,

Daß Du mir das Lebenslos beschieden hast,

Mit Wort und Geist allein zu wirken;

Daß Du zum Kampf der Geister

Und zum Dienst an Deiner Kirche

In meine Hand die Feder gabst,

Die aus Deiner Brust Du rissest.

Warum habe ich dieses Vorspiel nicht dem ersten Abschnitt meiner Lebensbeichte »Das Netz des Petrus« als Nachwort folgen lassen und meine Lebenserinnerungen damit abgeschlossen? Weshalb berichte ich nun von meinem ganzen Rückweg nach Rom, der wahrhaftig kein Richtweg war, jedoch auch kein Umweg, geschweige denn ein Spazierweg oder die Fahrstraße der vielen? Nicht aus Vergnügen, dazu ist es zu wenig vergnüglich, von mir selbst zu berichten; sondern weil einige, ja recht viele, die meinten, ich hätte ihnen auf den richtigen Weg oder unterwegs geholfen (wenn auch oft auf anderen Wegen als dem meinen), mich gebeten, nein, von mir begehrt haben, ich sollte von meinem weiteren Weg zu Gott Bericht ablegen.

Da viele unter diesen Seelen sind, die sich in der Bedrängnis befinden, welche die Religion – in dieses Wortes höchster Bedeutung – oft verursacht und verursachen muß, wage ich mich der Aufgabe nicht zu entziehen, selbst nicht mit der guten Entschuldigung, daß mein Weg des Durchbruches nicht der normale war und in den Einzelheiten nicht als ein für alle befahrbares Geleise aufgefaßt werden darf. Wie ich nicht auf gewöhnlichen Wegen nach Rom kam, so habe ich auch in der Kirche nicht auf gewöhnliche Weise gelebt. Aber der Umstand, daß selbst der Bericht von einem ungewöhnlichen Weg zum Felsen des Petrus einigen helfen konnte, berechtigt mich zu der Annahme, daß auch der Bericht über ein ungewöhnliches Leben auf den Zinnen dieses Felsens, ja selbst der Bericht vom Schwindligwerden am Rande des Felsens dem einen oder andern eine Hilfe sein könnte. Das einzige, was mich veranlaßt, die Qual zu überwinden, die es mir macht, von mir selber zu berichten, ist die Überzeugung, daß kein Roman und keine Abhandlung, sondern nur ein wahrheitsgetreues Zeugnis imstande ist, den, der sich am Rande des Abgrundes befindet, vor einem ähnlichen Absturz zu bewahren. Möge, wer kann, vom Alltag und von Festtagen, von Idyll und Sicherheit berichten, er lebt zu weit ab vom Rande des Felsens, um zu entdecken, daß es auch hier Abgründe gibt ...

Es ist ein verbreitetes Mißverständnis nicht nur unter Katechumenen vor ihrer Konversion, sondern noch mehr unter »geborenen« Katholiken, vor allem aus lateinischen Völkern, daß es leicht sei zu konvertieren. Sie haben nicht begriffen, daß dies bedeutet, »sich zu bekehren«. Sie glauben, daß Konversion ein Abschluß ist, nichts als eine »Unterwerfung«. Beim Konvertitenunterricht wurde das philosophisch-dogmatische System grundgelegt; man hat erkannt, daß die römische Kirche nicht »eine Konfession« unter den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften ist, sondern die Kirche, identisch mit dem »Reich Gottes«; wir wurden zu den Sakramenten, die wir als Heilsmittel Christi anerkannt hatten, zugelassen, gleichwie wir Mitglieder der Herde des Guten Hirten geworden sind ... Und doch ist Konversion nur ein Anfang: Gottes reale Möglichkeit, eine Seele zu heilen. Man hat übersehen, daß wirkliche Konversion zwei Etappen hat: die Bekehrung des Gedankens und die Bekehrung des Herzens (und dazu einige Krisen, die nur die wenigsten Konvertiten umgehen können). Diese zwei Etappen können in einem Lebensabschnitt zusammenfallen, auch kann die Bekehrung des Herzens der des Gedankens vorausgehen, doch oft hinkt die Herzensbekehrung der des Gedankens ziemlich lange nach. Geschieht das nicht, dann haben wir das peinliche Phänomen eines Katholiken, der nicht Christ ist – so wie es Christen gibt, die nicht katholisch sind.

Gott hat durch den Konvertitenunterricht – wo er so gründlich ist, wie ihn die Lateiner nicht kennen – seinen Pflug an unseren ganzen Menschen gesetzt, und dieses Pfluges dogmatischscharfe Schneide hat im Dschungel oder der Wüste unserer Ideen ein für allemal klare Linien gezogen. Jetzt muß das Wort gesät werden, um vielfältige Frucht in den geraden Furchen zu tragen; sonst liegt der von Gott bestellte Boden, durch die Taufe getränkt, brach und wird Unkraut zwischen dem Weizen tragen. Wehe uns, wenn wir den Boden unseres Herzens nicht immer wieder durch die Beachtung der Gebote jäten und durch die Sakramente düngen; wehe uns, wenn wir – wie die Arbeiter des Evangeliums – auf dem Erworbenen ausruhen und nach Gottes Frühlingspflügung schlafen: dann kommt der »Feind« und sät sein Unkraut in den bestellten Boden. Und dann können wir nur danken, wenn Gott unseren Herzensacker trotzdem für wert hält, ihn von neuem umzupflügen und zu besäen, statt sich anderswo ein Feld zu bereiten. Seid überzeugt, wenn Gott umpflügen muß, dann setzt er eine Schar auf seinen Pflug, die Buße heißt. Und diese Schar pflügt schneidend tief bis zu den letzten Wurzeln des Herzens.

Niemand, der nicht den leichten und den schweren Pflug kennengelernt hat, darf seine Hand an Gottes Pflugschar legen und seine Furche durch andere Menschenherzen ziehen. Denn nur ein solcher kann es mit Verständnis und Ehrfurcht vor seelischer Pein tun; nur er hat durch schmerzliche Erfahrung gelernt, daß Gottes Pflug, auch wenn er durch die Hand der ewigen Liebe gesteuert wird, oft sehr lange wieder und wieder und (so leid es Gott selber tut) schmerzlich tief pflügen muß. Das Entscheidende (für Gott und unsere Seele) ist ja nicht, ob das Feld ein oder mehrere Jahre lang etwas Unkraut unter dem Weizen trägt; das Entscheidende ist der Schlußerfolg unserer Konversion: ob das, was zuletzt geerntet wird, für wert erachtet wird, in die Scheunen gesammelt, oder verurteilt wird, ins Feuer geworfen zu werden als nutzloses, wenn vielleicht auch munter blühendes Unkraut.

Lieber einen brennenden Schmerz aushalten, wenn der Prozeß sich entwickelt: zu konvertieren sowohl mit dem Denken als auch mit dem Herzen; ein Prozeß, der bedeutet: sowohl katholisch zu werden als auch Christ zu werden bis zur letzten Fiber seines Lebens. Dieser Prozeß läßt sich Zeit (niemand weiß vorher, wie lange), und er kann viel Leid bringen (niemand weiß vorher, wieviel), weil Gottes Pflug das Kreuz ist.

Hat man dies nicht gewußt, als man unter uns missionierte? Warum sagte man uns nicht vorher, daß Katholizismus nicht nur die Religion der Kirche, sondern auch die des Kreuzes ist? Wir müssen selbst die bittere Erfahrung machen. Aber das Kreuz wurde für uns zum Zeichen, daß der Katholizismus das wahre Christentum ist. Vielleicht war es gut, daß eine durchbohrte Hand es damals im Anfang vor unseren Augen verborgen hat, bis der Heilige Geist der Kirche uns reif machte, es durch diese klaffende Wunde zu ahnen.

Wir nichtlateinischen Völker sind vom Katholizismus so weit abgekommen, daß Konversion für uns nicht bloß eine dogmatische und historische Rechenschaft bedeutet, die abgelegt werden muß, sondern eine Änderung unserer ganzen Mentalität, jeder Fiber in unserem Gemüt – ein Wort, das die Lateiner überhaupt nicht besitzen. Sie können sich darüber ärgern, sie können uns deshalb Vorwürfe machen, aber es ist so. Der Lateiner (hauptsächlich in Spanien und Italien, aber auch in Frankreich und Belgien) kannte Religion, um nicht von Christus-Religion zu reden, nie auf eigene Faust und aus eigener Verantwortlichkeit der Bibel gegenüber. Darum versteht er auch nur schwer, daß es für uns das Kreuz bedeutet: unser persönlich teuer erkämpftes biblisches Christus-Verhältnis für Christus in der Kirche, Christus im Amt, Christus in den Sakramenten und in der Liturgie einzutauschen. Er versteht nicht die Belastungsprobe, die für uns eintritt, wenn – sobald das Philosophisch-Dogmatische für uns eine Selbstverständlichkeit geworden ist – erst noch das Problem auftaucht, sowohl Katholik als auch persönlicher Christ zu sein – um nichts geringer persönlich und christlich als früher –, also weder Katholik zu sein nur als intellektuelles Korrektiv zu unserem bisherigen Christentum, noch ein Christ zu sein, der das Katholische als etwas Aufgepfropftes empfindet, sondern das Christsein und das Katholischsein in einer unteilbaren Persönlichkeit, verschmolzen mit unserem nichtlateinischen Menschentum und unserer Kultur.

Man kann an sein Ziel am Ende des Weges zwar lebendig, aber doch mit leeren Händen und ausgeplündert kommen, nachdem man Schiffbruch erlitten hat oder zwischen Jericho und Jerusalem unter die Räuber gefallen ist – und man kann an sein Ziel mit wohlbewahrten Koffern kommen, ja mit solchen, die nicht nur unbeschädigt sind, sondern sogar noch vieles enthalten, was man unterwegs dazuerworben hat.

An jenem Neujahrsmorgen 1948, als ich zum ersten Mal aus meinem Studierzimmer im Campo Santo in die klare Sonne auf der Terrasse hinaustrat, blickte ich aufwärts und sah, direkt über meinem Kopf, die schwellende, mütterlich reife Gestalt der Peterskuppel in leuchtendem Silber gegen den grünblauen Äther. Ich brauchte nicht ausdrücklich festzustellen, daß ich mein Ziel wohlbehalten erreicht hatte; der Anblick dieser gewaltigen Krone über dem Apostelgrab, die mich immer wieder, seitdem ich sie im Jahre 1913 zum ersten Male gesehen hatte, bezaubert hat, ließ mich fühlen, daß auch das geistige Erbgut, das ich auf dem Wege nach Rom mit mir geführt und hier um manchen Schatz vermehrt hatte, vor Schiffbruch und Räuberhand auf dem Wege zurück nach Rom gerettet worden war.

Hoch oben glänzte die goldene Kugel über der Kuppel, und auf ihrer Spitze flammte die Neujahrssonne in dem weißen Email des Kreuzes. Hätte ich zum Dank tun sollen, was die alten Römer zu tun pflegten, wenn sie glücklich nach Hause gekommen waren, nämlich ex voto einen Marmorfuß mit einer Inschrift aufzustellen, so hätte der Stein die Worte des weitgereisten Apostels tragen müssen: bonum certamen certavi, fidem servavi: ich habe einen Kampf gekämpft, der des Kämpfens wert war, ich habe den Glauben bewahrt.

Der Pflug Gottes

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