Читать книгу 519 Park Avenue - Peter Stockfisch - Страница 12

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“Hier ist Jennifer. Vadim, Herr Bergstraesser möchte heute zu Fuß nach Hause gehen. Sie brauchen ihn also nicht abzuholen. Er will aber heute noch nach draußen. Ich hab’ den Hubschrauber am Heliport für 19 Uhr bestellt. Sie sollten ihn um 18:30 Uhr zu Hause abholen. Okay?”

“Wird gemacht”.

Lars Bergstraesser wollte an die frische Luft. Und er brauchte etwas Bewegung. Zu Fuß waren es nur circa 20 Minuten zu seinem Apartment in der Park Avenue. Aber seit einem Sicherheitsseminar der NYPD für einen exklusiven Kreis von Top-Vertretern der New Yorker Finanzszene benutzte er fast immer den Wagen. Heute nicht, er brauchte jetzt einen klaren Kopf. Er hatte sich von seinem Schock einigermaßen erholt und musste nachdenken, was zu tun sei.

Über 20 Jahre war es her, seit er ein neues Leben in einer neuen Welt begonnen hatte. Er hatte seine Vergangenheit , die erste Hälfte seines Lebens, in all den Jahren recht gut verdrängt. Er war erfolgreich in beiden Lebensabschnitten – im Bösen wie im Guten. Ein diabolisches Grinsen huschte über sein Gesicht, als er die Madison Avenue überquerte. Er glaubte inzwischen beinahe selber an seine neue Identität. Die Identität des Lars Bergstraesser, die die CIA damals für ihn kreiert hatte.

Was immer in der Vergangenheit war, hier in der neuen Welt hielt er sich an die Spielregeln, an Recht und Ordnung. Das war gar nicht so schwer, wenn man Geld hat – viel Geld. Und das hatte er reichlich gemacht. Während seiner Zeit als DDR-Diplomat mit riesigen Waffengeschäften in Afrika und später – legal – in Amerika mit seiner Investment – und Brokerfirma.

Er hatte Glück: Eine der längsten Hausse-Perioden der Finanzgeschichte ließen die Gewinne nur so sprudeln. Man konnte ohne Tricks viel Geld verdienen, obwohl die Versuchung, mit nicht ganz lauteren Mitteln noch mehr Geld zu machen, in diesem Sektor natürlich vorhanden war.

Man kannte ihn inzwischen an der Wall Street. Die Medien lieben erfolgreiche Newcomer und wollen nicht ständig nur über die Goldman Sachs und Morgan Stanleys dieser Welt berichten. Die Fachpresse hat zeitweilig überschwenglich über ihn und die Engelhard Capital Group, das aufstrebende, dynamische Unternehmen an Wall Street, geschrieben. Es ließ sich auch nicht vermeiden, dass ihm Mitgliedschaften in Aufsichts- und Beiräten von professionellen und politischen, insbesonderen transatlantischen, Vereinigungen angetragen wurden. Das Metropolitan Museum und das New York City Ballet zählten ihn zu ihren Sponsoren.

Er war jetzt an der Park Avenue angekommen. An der Ecke bei Borders bog er links ab. Nur noch ein paar Straßen und er war zu Hause.

Wie sind die beiden auf mich gekommen ? Er war immer sehr vorsichtig mit Interviews und insbesondere mit Fotos gewesen.

Werner Rehbein und Ulf Servatzki ! Ja, er erinnerte sich an sie. Er hatte beide zum ersten Mal auf einer Schulungsveranstaltung in Berlin getroffen, bei der er über seine Tätigkeit in Mosambik referiert hatte. Und später dann in Maputo, wo sie ihm im Auftrag des MfS, Hauptabteilung II, mit tausend Fragen auf den Zahn fühlen wollten. Beide waren recht smart. Besonders der eine war ein scharfer Hund. Die beiden hatten im MfS bereits eine gute Karriere gemacht und gehörten zu den aufstrebenden Kadern der Stasi. Aber es gelang ihnen damals nicht, ihm auf die Schliche zu kommen. Er hatte alles äußerst geschickt eingefädelt. Bei jeder Verschiffung von Rohkaffee oder Mineralöl machte er seinen Schnitt Aber auch bei den Lieferungen von LKWs und insbesondere Waffen aus der DDR sorgte Kutschinski für seine Marge. Gegenüber seinen Partnern in Mosambik begründete er diese Extrazahlungen immer mit der reibungslosen Abwicklung der Geschäfte, die er garantiere, sowie mit dem Hinweis, dass er dafür Sorge tragen würde, dass beste Qualität zu einer günstigen Bewertung geliefert wird. Die Zahlungen gingen an diverse Adressen in verschiedenen Ländern, zum Teil an Strohmänner, die von seinen Kontaktleuten in Mosambik organisiert wurden. Zum Teil aber auch und in zunehmendem Maße an anonyme Nummernkonten in Genf.

Jetzt wollten sie ihn zur Strecke bringen, oder vielmehr abkassieren. Kutschinski hatte manchmal daran gedacht, dass dieser Moment kommen würde. Insbesondere nach der Wende war das Risiko deutlich größer geworden. Er hatte sich manchmal gefragt, wie er reagieren würde. Hat dies aber nie zu Ende gedacht, nach dem Motto let’s play it by ear. Er würde sich zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden. Erneut huschte ein teuflisches Grinsen über sein Gesicht: Es würde sich zeigen, wer smarter ist, Kutschinski oder die beiden Ex-Stasi-Kollegen.

“Hallo, Mr. Bergstraesser, wie geht es ihnen ?” Der Doorman von 519 Park Avenue hielt ihm die Tür auf.

“Hallo, Mike.” Er steuerte auf den Fahrstuhl zu. “In etwa zwei Stunden holt mich Vadim ab. Sorg’ dafür, dass er vor dem Haus halten kann und sag’ mir Bescheid, wenn er da ist.”

Er fuhr in den 34.Stock. Die Fahrstuhltür öffnete sich direkt zu seiner Wohnung. Er hatte das Apartment vor acht Jahren gekauft, als das Gebäude gerade fertiggestellt worden war. Der Bau war selbst für Manhattan eine Sensation: Mit 43 Stockwerken war es das höchste Wohngebäude in der Park Avenue. Es hatte nur 38 Appartments, von denen sich 12 über zwei Stockwerke erstreckten, sogenannte Duplex.

Er hatte damals den irren Preis von 14 Millionen Dollar für die 8-Zimmer-Wohnung bezahlt. Die Duplex mit 13 Zimmern gingen für circa 24 Millionen Dollar weg.

Natürlich war die Wohnung zu groß für ihn und Yvonne, aber er musste etwas mit seinem Cash machen, der nur zu einem Teil in den letzten Jahren in den Staaten erworben worden war. Der größte Teil stammte aus seinen Aktivitäten während seiner sozialistischen Diplomatenzeit und musste behutsam und über komplizierte Transaktionen von diversen Depots in verschiedenen Ländern disponibel gemacht werden.

Ein weiterer Anreiz für diese enorme Akquisition war die Lage. Sie waren mitten in Manhattan, absolut sicher und sehr diskret. Anonymität und Diskretion haben in New York ihren Preis. Hier kümmerte sich kein Mensch um sie.

Das war ganz anders in Connecticut gewesen. Dort hatten sie seit ihrer Heirat 1990 in einem feudalen Landhaus gewohnt, konnten es aber immer weniger vermeiden, in nachbarschaftliche Aktivitäten hineingezogen zu werden. Bergstraesser zog es aber vor, auf Distanz zu bleiben. Außerdem ging beiden die tägliche Fahrerei auf die Nerven. Lars Bergstraesser hatte zwar seinen Fahrer, aber Yvonne, die in einer internationalen Anwaltskanzlei an Wall Street arbeitete, musste häufig sehr früh weg und arbeitete abends meistens länger. Obwohl auch sie den Limousinenservice häufig bemühte, war die Entfernung und der Zeitaufwand einfach zu groß.

Sein Handy vibrierte. Er antwortete, bevor es klingelte:

“Ja ?” Es war Yvonne. “Ich komme gerade nach Hause. Ich will heute Abend noch raus. Vadim bringt mich um halb sieben zum Heliport.” Und nach einer kurzen Pause: “Okay, dann komm morgen nach, sobald du kannst.”

Kutschinski suchte ein paar Sachen zusammen, die er mitnehmen wollte. In Watermill hatte er eigentlich alles. Seine Computer, seinen Bloomberg und diverse Bildschirme weiterer Informationsdienste.

Natürlich war da die Sache mit dem Mädchen. Er stand damals unter einem enormen Druck. Da waren die Nachforschungen in seiner Abteilung in der Botschaft, bei der die beiden Typen aus Berlin alles auf den Kopf stellten und nicht locker ließen. Und dann das Mädchen. Sie war durch ihn schwanger geworden und konfrontierte ihn mit einer Situation, die für ihn gefährlich werden konnte. Sie stellte Forderungen, die er nicht erfüllen konnte und wollte. Er hatte seine Flucht für den Tag X lange vorbereitet, in allen Einzelheiten. Dieser Tag war gekommen. Das Mädchen hätte damals alles vereiteln können. Sie ließ ihm daher keine andere Wahl. Sie musste mundtot gemacht werden.

Dagegen war die Sache mit seinem sowjetischen Diplomatenkollegen keine große Affaire. Den Behörden in Maputo war es damals zwar nicht gelungen, den Scharfschützen zu fassen, aber sie schrieben dieses Attentat, wie diverse Anschläge in der Vergangenheit, der Renamo zu, die bei ihrer Bekämpfung der marxistischen Fremlino und ihrer russischen und ostdeutschen Protektoren immer aggressiver geworden war. Bei seiner Einvernehmung durch die Polizei vermochte Bergstraesser alias Kutschinski sogar zu streuen, dass er selber diesem Anschlag nur mit Glück entkommen war. Allerdings war er sich nicht so sicher, ob die Russen selbst seinerzeit über den Hergang der Dinge zu der gleichen Schlußfolgerung gekommen waren. Spätestens bei seinem plötzlichen Verschwinden nach dem Tod des Mädchens waren in der sowjetischen Botschaft wohl Zweifel an der offiziellen Theorie aufgekommen. Ob es aus dieser Wolke nach so langer Zeit und dem Untergang der Sowjetunion heute noch regnen würde, hielt Bergstraesser für eher unwahrscheinlich. Allerdings konnte man beim KGB und seinen Nachfolgern, wenn es um einen ihrer Leute ging, nie ganz sicher sein.

Der Fall mit dem Mädchen wog natürlich schwer. Das war es auch, was ihn jetzt, als er über die beiden Ex-Kameraden nachdachte, beschäftigte. Mit einer halbherzigen Lösung war es daher auch nicht getan. Er musste entschlossen und radikal handeln. Hilfe von anderer Seite konnte er nicht erwarten. Das hatte ihm der CIA-Mann damals in Langley ganz klar zu verstehen gegeben. Nie gesehen, nie gekannt.

Der Deal damals vor über 20 Jahren war, dass er den Amis alle Informationen über das MfS, seine Strukturen, Aktivitäten, Personen, Rolle der Stasi in den diplomatischen Vertretungen der DDR, die Waffengeschäfte in allen Einzelheiten preisgab im Austausch für eine neue Identität, für ein neues Leben in einer neuen Welt. Man ließ keinen Zweifel daran, dass er von nun an auf sich allein gestellt sei und zu keinem Zeitpunkt und in keiner Situation mit der Unterstützung der Agentur rechnen könne. Als hätte es niemals einen Kontakt zwischen ihnen gegeben.

Das Haustelefon brummte:

“Hier ist Mike. Herr Bergstraesser, Vadim ist da. Brauchen Sie Hilfe ?”

“Nein danke, ich bin in fünf Minuten unten.”

In der Lobby angekommen, nahm ihm Mike seine Reisetasche aus der Hand und reichte sie am Ausgang an Vadim, der unter dem Baldachin wartete, weiter. Die Wagentür stand bereits offen.

Der Feierabendverkehr war in vollem Gange.

“Wie sieht’s aus, Vadim ?”

“Ich nehme den FDR Drive. Um diese Zeit ist zwar stop-and-go, aber es bewegt sich. Und wir sind dann gleich beim Heliport”.

“Okay.” Kutschinski lehnte sich zurück und überlegte.

“Vadim, Du kennst doch einige Leute in New York, die auch High-Risk-Jobs übernehmen, oder ?”

“Kommt drauf an, was sie mit High-Risk meinen.”

“High-Risk und High Reward. Ein Job, bei dem viel Geld zu verdienen ist”.

“Darüber lässt sich immer reden. Aber worum geht es ?”

“Vergiß es, wir reden ein anderes Mal darüber.” Er wollte das Thema jetzt nicht weiter erörtern. Aber er hatte den Nagel schon einmal eingeschlagen. Vielleicht gab es ja noch eine andere Lösung.

Sie waren jetzt auf dem FDR Drive. Es war sehr dichter Verkehr und sie kamen nur langsam voran. Aber der Heliport an der 34. Straße war nicht mehr weit.

519 Park Avenue

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