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»Rammstein« – Das Debüt

Die Bilder waren furchtbar, die am 28. August 1988 von der US Airbase in Ramstein (mit einem »m«!) bei Kaiserslautern über die Fernsehschirme flimmerten. Bei der Kollision von drei Militärflugzeugen der italienischen Kunstflugstaffel Frecce Tricolori während einer Flugschau raste eine der Unglücksmaschinen, nachdem sie eine andere Maschine berührt hatte, mit einem riesigen Feuerball in die Zuschauermenge und riss 70 Menschen in den Tod. Über tausend wurden teils schwer verletzt. Was die sechs Musiker, die sich Anfang 1994 zu einer Band zusammenfanden, bewogen haben mag, sich zunächst »Rammstein Flugschau« zu nennen, woraus dann »Rammstein« wurde; und ob die falsche Schreibweise des Ortes mit Bezug auf ihre Musik beabsichtigt war, bei der ja die Assoziation mit einer Dampframme so weit hergeholt nicht ist, muss offenbleiben. Die Version, die die Band mit dem für sie typischen Understatement erzählt, hat Rhythmus-Gitarrist Paul Landers zu Protokoll gegeben:

Bei einer unserer Fahrten mit Feeling B hatten Schneider, Flake und ich schon den neuen Bandnamen. Wir hatten den an die Wand von unserem LO [ostdeutscher Lkw-Typ der VEB Robur-Werke Zittau] geschrieben: Rammstein Flugschau. Doof, wie wir waren, schrieben wir Rammstein gleich mit zwei M, weil wir nicht wussten, dass der Ort Ramstein nur ein M hat. Wir haben uns erstmal aus Quatsch so genannt, aber der Name blieb kleben wie ein Spitzname, den man nicht gut findet. Wir schafften es nicht mehr, den loszuwerden. Rammstein wollten wir eigentlich nicht heißen, das war uns zu festgelegt.

Der gleichnamige Song, der in den ersten Jahren ihre Live-Shows eröffnete und das Desaster in eindringlichen Worten noch einmal heraufbeschwört, ist der einzige, dessen Text sie alle gemeinsam verfasst haben. Nach Auskunft von Schlagzeuger Christoph Schneider saßen sie an einem Tisch in der Dorfkneipe des Ortes in der Uckermark, in dem Till Lindemann damals lebte, und jeder hat beigetragen, was ihm gerade einfiel. Ansonsten liefert Sänger Till Lindemann die Texte für die mehr oder weniger fertige Musik, die die Gitarristen, der Keyboarder und der Schlagzeuger zusammenbauen, bevor der Text darüber gelegt wird. Seine »Uraufführung« erlebte »Rammstein« am 1. Juni 1994 im Gasthaus »Zum Reußischen Hof« in Görkwitz, nahe der thüringischen Stadt Schleiz. Der Song sollte zur Hymne ihrer Fans avancieren und hat seither noch bei fast keinem Auftritt gefehlt.

Die frivole Lust an der Provokation, die keine Grenze zu kennen scheint, ist der Band von ihrer ersten Stunde an eingeschrieben. Der Song ist eine brutale Mischung aus der nackten Darstellung der Grausamkeiten des Ramstein-Desasters und einem enthemmten Voyeurismus. Doch wie so oft wird die Fiktion längst von der Wirklichkeit übertroffen, wenn bei schweren Unfällen auf deutschen Autobahnen die Gaffer ohne Rücksicht auf die Rettungskräfte darum wetteifern, die krassesten Bilder auf ihre Smartphones zu bekommen.

Die Musiker von Rammstein standen damals vor der Alternative, als ehemalige Ostpunker im medialen Rauschen des Westens unterzugehen oder aber einen Weg zu finden, auf sich aufmerksam zu machen. Sie entschieden sich für eine besonders böse Form der Provokation, die die moralische Selbstgefälligkeit des Westens, die sich nach der Wende über die Landsleute im Osten Deutschlands bis zur Unerträglichkeit ergoss, an ihrer empfindlichsten Stelle traf, indem sie nämlich deren ganz Unterstes nach oben kehrten. Und was in dem Abgrund, der sich da auftat, zum Vorschein kam – Verrohung, Brutalität, Gewalt, Horror, Pädophilie, Sodomie, Inzest –, sollte für mehr als nur ein Album reichen.

Dieser Zusammenhang ging damals durchaus auch dem einen oder anderen der Kommentatoren auf.

»Jetzt habt Ihr es! Erst habt Ihr den Osten geknechtet und geschändet, fiese Investoren und Import-Export-Leute rübergeschickt, der Treuhand die Lizenz zur Abwicklung erteilt. Doch unter dem platt gemachten Land rumorten die Untoten in ihren Gräbern. Nun sind sie da, kalkweiß, hohlwangig, mit stechendem Blick und holen sich Eure Kinder!«

Thomas Mießgang in der ZEIT

Der Spiegel sah in der Band noch 2009 die Rache des Ostens am Westen. Die Bedenkenlosigkeit, mit der die Band das Desaster von Ramstein zu ihrem Aushängeschild machte, passte durchaus in eine Gesellschaft, die im Osten damals gerade unter Beweis stellte, dass ihr eigentlich nichts heilig ist. Und so kam es dann ja auch. Die Band fand ungeachtet aller Tabubrüche und der grotesken Übersteigerung von Horror und Gewalt frenetischen Beifall. Die pflichtgemäße Entrüstung im Feuilleton erwies sich als verkaufsfördernde Maßnahme, vermutlich für beide Seiten. Das Album Herzeleid, als dessen elfter und letzter Song »Rammstein« 1995 erschien, stieg sofort auf Platz 99 in die deutschen Album-Charts ein. Ein Novum für ein Erstlingswerk.

Was Rammstein aber tatsächlich beinahe aus dem Stand heraus in aller Munde brachte, waren ihre spektakulären Bühnenshows, die der in Thüringen geborene und ebenfalls in der DDR aufgewachsene Lichtdesigner Gert Hof bis zu seinem Tod 2012 für sie inszenierte. Ihr Debütkonzert absolvierten sie noch vor einem Dutzend Besucher in einem Leipziger Klub, stocksteif und wie unbeteiligt auf der Bühne stehend, was freilich auch nicht ganz wirkungslos war. Als die Band Ende 1996 mit dem Album Herzeleid auf Tournee ging, war der pyrotechnische Aufwand schon bemerkenswert.

1998 bei der bis dahin größten Show der Band in der Berliner Wuhlheide blieb selbst hartgesottenen Heavy Metal-Fans der Atem weg angesichts des Spektakels, das da vor ihren Augen abrollte. Im Zentrum des aus Gestänge und Gittern aufgebauten, an Fritz Langs futuristischer Grusel-Film-Vision Metropolis erinnernden Bühnenbildes drehte sich langsam ein riesiger Propeller, der die gebündelten Lichtstrahlen zerhackte, die hinter ihm angebrachte Scheinwerfer in die in Neonblau getauchte Bühne abstrahlten. Die Inszenierung des Songs beginnt mit dem aus dem Off erklingenden Intro, der Nachahmung des fluppenden Wummerns eines Helikopters, während sich die Band auf der Bühne in Stellung bringt. Mit den in voller Lautstärke einsetzenden Gitarrenriffs, getrieben von einem unerbittlich hämmernden Schlagzeug, steigt roter Rauch auf – und aus dem Bühnenboden erhebt sich der lichterloh in Flammen stehende Sänger Till Lindemann, die Arme ausgebreitet wie Jesus am Kreuz. Mit den Worten »Rammstein / Ein Mensch brennt / Rammstein / Fleischgeruch in der Luft / Rammstein / Ein Kind stirbt / Rammstein / Die Sonne scheint« wird das Desaster von Ramstein in dunklem, unheilvollem Sprechgesang heraufbeschworen. Lindemann war dabei durch einen mit Metallplatten und einer mehrere Zentimeter dicken Isolierschicht versehenen Asbestmantel geschützt, die Flammen von Bärlappsporen genährt. Bärlapp, auch als Wolfsfuß oder Drudenfuß bekannt, bildet Sporen mit einem hochentzündlichen ätherischen Öl, das einen niedrigeren Flammpunkt als herkömmliche Brennstoffe besitzt und sich deshalb für Feuereffekte auf Bühnen bestens eignet. Der Stoff wird aus China importiert, wobei Rammstein auf ihren Tourneen gut Dreiviertel der Jahresproduktion der chinesischen Produzenten für das flammende Inferno ihrer Shows verbrauchen.


»Rammstein« vereint bereits alle Bestandteile des unverwechselbaren Stils der Schwermetallrocker – sägende Gitarrenriffs über einem dröhnenden Bass und ein martialisch hämmerndes Schlagzeug. »Tanz Metal« nennt die Band selbst ihren Musikstil, für den sich ansonsten die Bezeichnung »Neue Deutsche Härte«, oder im weiteren Sinn »Industrial Metal«, eingebürgert hat.

Doch Rammstein ist viel mehr, ist eine Einheit aus Sound, Licht und Performance. Es war daher keine Frage, dass, zumal in den Hochzeiten von MTV, für den Song ein Video hermusste. Die Plattenfirma – es war das 1994 unter dem Dach von PolyGram entstandene Berliner Alternativ-Label Motor Music, das sich der Band annahm – kam auf die Musiker mit der Frage zu, wen sie sich denn als Regisseur vorstellen könnten. Die Antwort verblüffte damals nicht nur die Verantwortlichen des Labels: Sie wollten David Lynch, den Meister albtraumhafter, surrealistischer Thriller aus Hollywood. Allein diese Antwort hatte etwas von Aberwitz, ihre Umsetzung mit einer Anfrage bei Lynchs Agentur grenzte dann schon an Größenwahn.

Es wurde zwar nichts daraus, aber für Rammstein sollte sich dieser vorschnelle Griff zu den Sternen als ein Karrierebeschleuniger ohnegleichen erweisen. Der Newcomer-Band aus dem Prenzlauer Berg im Ostteil Berlins verhalf er gleichsam über Nacht zu Ruhm und Anerkennung auf dem internationalen Parkett. Lynch hatte der Anfrage einer namenlosen Band aus dem fernen Deutschland natürlich zunächst keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt und die beiliegende CD unbeachtet irgendwo zur Seite gelegt. Der Zufall aber wollte es, dass sie sich in seinem Auto wiederfand, als er auf der Suche nach geeigneten Locations für seinen Film Lost Highway auf dem Weg ins kalifornische Death Valley war. Mangels Alternativen schob er sie in den Player. Er sprang auf den Rammstein-Sound sofort an: »Es war genau das, was ich für Lost Highway brauchte. Das ganze Team war verrückt danach: Rammstein mußte 70 CDs losschicken – eine für jeden in der Filmcrew«, erklärte er 1997 dem Spiegel. Statt einer Antwort auf die Frage nach einem Video-Dreh sollten nun »Heirate mich« und »Rammstein« für den Soundtrack des Films verwendet werden. Dass Trent Reznor, der für den Soundtrack verantwortlich zeichnete, die Rammstein-Songs dann auch noch an ausgesprochen prominenter Stelle für eine Schlüsselszene in dem 1996 gedrehten und 1997 in die Kinos gelangten Psychothriller einsetzte, rollte Rammstein in den USA gleichsam einen roten Teppich aus. Schon im Jahr darauf folgte die erste US-Tournee der Band.

Für das Video besorgten der Videoregisseur Alexander Herzog und der Werbefilmer und Fotograf Kai Kniepkamp einen Zusammenschnitt von Bildmaterial aus Lost Highway mit einigen charakteristischen Szenen der Live-Performance des Songs. Das Live-Material entstand bei dem euphemistisch »100 Jahre Rammstein« genannten Konzert – es war ihr 100. Auftritt – im September 1996 in der Arena in Berlin Alt-Treptow. Erstmals zeichnete hier Gert Hof als Stage- und Light-Designer für die Bühnenshow verantwortlich und entfesselte ein Feuerwerk aus Special Effects und Pyrotechnik ohnegleichen. Die sich anschließende Tournee durch Deutschland sollte zum siegreichen Einzug der sechs Gladiatoren mit dem Hammersound in die Musikwelt werden, die feuerspeiend und wie mit der Dampframme niederwalzten, was sich an kleinlichen, gehässigen, humorlosen, neidvollen, biederen und sonstigen Einwänden ihnen entgegenstellte. Dass diese mit dem wachsenden Erfolg lauter wurden, war kaum vermeidbar, denn wer provoziert, der polarisiert.

Rammstein. 100 Seiten

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