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Vorwort

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Ich möchte mich in diesem Buch einer Facette aus der tiefen Vergangenheit des Christentums annähern. Damit meine ich die Vorstellung – die unter Juden wie Christen verbreitet war –, Himmel und Erde ließen sich durch Geld verbinden. Ich werde mich insbesondere mit der Art und Weise beschäftigen, auf die jene gedachte Verbindung von Himmel und Erde – wie man glaubte – das Schicksal der Seele im Jenseits beeinflussen sollte. Dabei geht es mir um die westliche, lateinische Christenheit in der Zeit von etwa 250 bis etwa 650 n. Chr. und damit um die Übergangsphase zwischen dem Ende der Antike und dem Beginn des Mittelalters in Westeuropa. Ich werde zu zeigen versuchen, wie der gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext der christlichen Kirche in Westeuropa sich im Verlauf der besagten Zeitspanne wandelte – und wie diese Wandlungen sich auf der religiösen Ebene in veränderten Jenseitsvorstellungen, in neuen Trauer- und Begräbnispraktiken der Gläubigen widerspiegelten.

Nun soll es in diesem Buch aber nicht nur um den Tod und das Weiterleben der Seele im Jenseits gehen. Vielmehr sollen auch die Einflüsse ans Licht kommen, die nach der Überzeugung der Gläubigen von jener anderen Welt auf ihre hiesige Lebenswelt ausstrahlten. Es geht also auch um die Frage, wie das Jenseits ins Diesseits hineingeholt wurde: durch das Erzählen und Weitergeben von Träumen und Visionen, durch beständiges Predigen und andächtiges Nachsinnen über das Jüngste Gericht, durch Wunder, die an den Grabstätten längst verstorbener Heiliger geschahen, sowie durch die zunehmende Verbreitung von Kirchen und Klöstern, deren hauptsächlicher Zweck das Gebet für die Verstorbenen war.

Vielleicht hilft es meinen Leserinnen und Lesern, wenn sie gleich zu Beginn erfahren, was dieses Buch ihnen bietet und wo es von den zahlreichen Forschungstraditionen abweicht, deren Wege ich ganz bewusst verlassen habe. Zunächst einmal betrachte ich im Folgenden die Herausbildung christlicher Jenseitsvorstellungen als etwas, was sich in einer beständigen Debatte der Christen untereinander ereignet hat. Diese Betonung eines andauernden innerchristlichen Streitgesprächs unterscheidet meine Darstellung also von jenen, die sich darin genügen, kurz und bündig das Entstehen ›der‹ christlichen Jenseitslehre zu schildern, ganz so, als wäre es dabei lediglich um die Entfaltung einer einzigen großen Meistererzählung gegangen.

In traditionell angelegten Geschichten der katholischen Kirche wird in einer solchen Meistererzählung gern hervorgehoben, wie bestimmte Vorstellungen, die bereits in den Anfängen des Christentums bestanden hätten, über die Jahrhunderte hinweg ganz allmählich zur Blüte gelangt seien. Im protestantischen Umfeld dagegen trägt die Meistererzählung andere Züge; dort wird viel eher nachgezeichnet, wie über die Jahrhunderte eine ursprüngliche – vermeintlich ›christlichere‹ – Vorstellung von Tod und Jenseits verloren gegangen sei. In beiden Fällen erfährt der Leser meist nur, was passiert ist – nicht aber, wie und warum. Viele solche Erzählungen, in denen es um den Wandel der christlichen Jenseitsvorstellungen geht, erinnern ein wenig an ›Malen nach Zahlen‹, wo einzelne Bereiche der Landschaft hübsch nacheinander mit den jeweils passenden, eindeutig nummerierten Farben ausgepinselt werden. Auf dieselbe Weise werden die einander ablösenden christlichen Jenseitsvorstellungen nacherzählt, Jahrhundert für Jahrhundert und immer schön der Reihe nach. Das Ergebnis ist eine zutiefst verlässliche Darstellung dessen, was Christen zu unterschiedlichen Zeiten über diese Dinge gedacht und geglaubt haben. So gelangen wir schließlich von den gewaltigen eschatologischen Hoffnungsmomenten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, wie sie für die frühe Kirche charakteristisch waren, zu jener Vorstellung einer langwierigen und schmerzhaften Reise der Einzelseele durch das Jenseits, der die im mittelalterlichen Katholizismus entstandene Lehre vom Fegefeuer verpflichtet ist. Doch am Ende hinterlässt diese spannungsarme Art der Darstellung doch einen etwas schalen Nachgeschmack und wir erfahren so gut wie nichts von den Verwerfungen und den Kämpfen innerhalb der Christengemeinden, durch die bestimmte Jenseitsvorstellungen zu bestimmten Zeiten mit höchster Dringlichkeit zutage traten, und zwar aus Gründen, die in keinem Fall rein theologische waren.

So gesehen, verfolgt das vorliegende Buch den Ansatz, der mich auch bei der Arbeit an meiner umfassenden Studie Der Schatz im Himmel: Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Weltreichs (orig. 2012, dt. 2017) geleitet hat; auch das war nämlich ein Buch, in dem es um die beständige Auseinandersetzung der Christen untereinander ging. Ich habe mich darin mit der umstrittenen Verwendung von Reichtümern in den christlichen Kirchen auseinandergesetzt und wollte zeigen, dass die damaligen Debatten über Reichtum und Armut im Christentum keineswegs in einem historischen Vakuum geführt wurden. Vielmehr entstanden sie aus den spezifischen, ganz konkreten Lebensumständen der diversen Christengemeinden des lateinischen Westens, die je nach Gegend und Zeit natürlich unterschiedlich ausfallen mochten. Ich habe in jenem anderen Buch auch darauf hingewiesen, dass, wer die Dringlichkeit verstehen will, mit der viele der damaligen Jenseitsdebatten geführt wurden, nicht umhinkommt, auch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte derselben Zeit in den Blick zu nehmen. Dieses Bemühen um eine größtmögliche Präzisierung des Kontexts brachte mich auch dazu, auf einen Schwachpunkt der vorhandenen Literatur hinzuwiesen: Viele Gemeinplätze zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur der spätrömischen und frühmittelalterlichen Gesellschaften entsprechen – obgleich sie in den gängigen Darstellungen oft wiederholt werden – nicht mehr dem neuesten Stand der Forschung. Dabei beträfe die Korrektur der entsprechenden Auffassungen auch unsere Bewertung der christlichen Debatten über Reichtum und Armut sowie darüber, wie die christlichen Kirchen jener Zeit Reichtümer anhäuften und gebrauchten.

In mancherlei Hinsicht folgt dieses neue Buch also demselben Ansatz, nur dass dieses Mal eben die Debatten über das Jenseits in den Blick genommen werden sollen; aber damit hört die Ähnlichkeit auch schon auf. Den Lesern muss nämlich bewusst sein, dass es sich bei Der Preis des ewigen Lebens keineswegs um ein ›Nebenprodukt‹ oder gar eine ›Fortsetzung‹ von Der Schatz im Himmel handelt. Schließlich betrifft der Zusammenhang zwischen Reichtum und Jenseits auch Aspekte der religiösen Vorstellungswelt, die ich beim Verfassen von Der Schatz im Himmel ganz bewusst außer Acht gelassen habe. Damals ging es mir um Reichtum, Armut und die Debatten über diese beiden Themen in ihren diesseitigen Bezügen. Nun aber geht es mir um die jenseitige Dimension der Problematik und so steht im Zentrum der folgenden Kapitel das Verhältnis von Gesellschaft und religiöser Vorstellungswelt, wie es in der Beschäftigung mit dem Thema Jenseits zum Ausdruck kam.

Indem ich mich nun diesen Fragen zuwende, kehre ich zu einer Thematik zurück, mit der ich mich Ende der 1990er-Jahre intensiv befasst habe. In einer Reihe von Aufsätzen und Vorträgen, die zwischen 1997 und 2000 veröffentlicht wurden, ging ich damals der Frage nach, auf welche Weise der Wandel christlicher Jenseitsvorstellungen (einschließlich des Aufkommens der Idee vom »Fegefeuer«) die kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse widergespiegelt hatte, die den Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter markierten. Diese Wandlungsprozesse führten zum Aufkommen von Vorstellungen über das Jenseits (und schließlich auch über den Einzelmenschen), durch die sich die Christen des Westens bald deutlich von ihren östlichen Nachbarn – in Byzanz und im Nahen Osten – sowie von den Anhängern des Islam unterschieden.

Mir ist bewusst, dass ich mich durch die Wahl meiner Herangehensweise – indem ich die Geschichte der christlichen Jenseitsvorstellungen als Geschichte der von ihnen hervorgerufenen Debatten sowie der gesellschaftlichen und religiösen Spannungen auffasse, die ihnen jeweils zum Durchbruch verhalfen – wieder einmal auf schwieriges Gelände begeben habe. Ich habe erst einmal lernen müssen, wie das geht: wie man in die herkömmliche Art der Ideengeschichte über christliche Jenseitsvorstellungen einen roten Faden einflicht, der den gesellschaftlichen Kontext und die sozialen Implikationen jener Vorstellungen erkennbar werden lässt. Und obwohl es schwierig genug war, die Ursachen und das Wesen des Wandels in den Jenseitsvorstellungen der damaligen Christen zu bestimmen, erschien es mir doch notwendig, zudem auch die Geschwindigkeit und gleichsam die Taktung dieser Wandlungsprozesse zu erfassen: Wann setzten sie ein? Wie schnell griffen sie um sich? Inwiefern stellten sie Brüche in der Kontinuität eines festgefügten religiösen Systems dar? Und inwiefern standen sie selbst in Kontinuität zu älteren Vorstellungen und Vorstellungsgemengen, ob nun christlichen oder nichtchristlichen?

Alles in allem musste ich in meiner ständigen Auseinandersetzung mit den Hauptwerken der Geschichtsschreibung über das frühe Christentum die mitunter schmerzliche Erfahrung machen, dass mit der Frage nach der Geschwindigkeit bestimmter Wandlungsprozesse innerhalb einer religiösen Gemeinschaft – und insbesondere einer Gemeinschaft, die noch so formbar war wie das aufstrebende Christentum der Spätantike – die bei Weitem größte Herausforderung einhergeht, die für einen Historiker des frühen Christentums denkbar ist. Und doch ist es gerade dieser Aspekt, der gerade von heutigen Forschern allzu oft als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Dabei ist diese Frage nach der Geschwindigkeit des Wandels der religiösen Vorstellungswelt von entscheidender Bedeutung. Es ist schwierig genug, die Geschwindigkeit bestimmter säkularer Wandlungsprozesse in den gut erforschten Institutionen und Gesellschaftsstrukturen der römischen und nachrömischen Welt zu ermessen. Nach der Ansicht mancher Kolleginnen und Kollegen scheint die Geschwindigkeit des Wandels im späten Kaiserreich eine geradezu schwindelerregende Rasanz erreicht zu haben. Andere widersprechen dem. Noch immer herrscht in der Geschichtswissenschaft Uneinigkeit darüber, ob der Fall Roms nun einen drastischen Bruch im Lauf der abendländischen Geschichte dargestellt habe oder nicht doch nur eine Transformation unter vielen – und dabei vielleicht noch nicht einmal die verheerendste. Diese Meinungsverschiedenheiten lassen erkennen, wie schwer es ist, für die Geschwindigkeit von Wandlungsprozessen in einer komplexen Gesellschaft das richtige Maß zu finden. Um es kurz zu machen: Soll man diese Geschwindigkeit mit Blick auf die spätrömischen Jahrhunderte nur anhand einer straff gefassten Reihe von Daten erheben – anhand der Regierungszeiten von Kaisern, der Daten großer Schlachten oder des Verlaufs gut erforschter Barbareneinfälle? Oder stellen all diese Daten und Fakten letztlich nicht doch nur flüchtige Schaumkronen dar auf dem großen Ozean der Geschichte, dessen tiefe Strömungen sich womöglich mit einer ganz anderen Geschwindigkeit dahinwälzen – noch schneller manchmal, manchmal aber auch behäbiger –, als es die von der Wucht der politischen und militärischen Ereignisse aufgepeitschte Oberfläche vermuten lässt?

Mit Blick auf die Vorstellungsstrukturen religiöser Gemeinschaften wie der christlichen Kirche hat es sich – im Vergleich mit der Säkulargeschichtsschreibung – als sogar noch schwieriger erwiesen, eine ›Wandlungsgeschwindigkeit‹ festzustellen sowie eindeutige Bruch- und Transformationspunkte auszumachen. Ich selbst habe bei der Arbeit an diesem Buch Folgendes gelernt: Einige der gravierendsten Veränderungen der christlichen Vorstellungswelt lassen sich auf keine vernünftige Weise in einen direkten Zusammenhang mit jenem strammen Schritt der Geschichte bringen, der in den gängigen Lehr- und Übersichtswerken zum Niedergang des Römischen Reiches und Beginn des Mittelalters gepflegt wird. Vermeintlich weltbewegende Ereignisse – etwa die Bekehrung Kaiser Konstantins des Großen – wirkten sich nicht zwangsläufig auch auf die Jenseitsvorstellungen von Christen aus, wie sie uns in Kapitel 1 an den Gräbern ihrer Lieben begegnen werden. Und ganz egal, wie stark das Römische Reich des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts von einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit erschüttert wurde: Allein damit wird man die komplizierten Ergüsse Augustins über das hartnäckige Anhaften der Sünde nicht erklären können. Und kein Barbareneinfall – so traumatisch er für die Betroffenen auch gewesen sein mag – kann dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Gläubigen nun Hölle, Tod und Teufel zu fürchten begannen – und ihre Seelen in der Stunde des Todes auf einmal der Nachstellung dämonischer Mächte preisgegeben sahen. Derlei düstere Vorstellungen lassen sich nicht einfach mit dem Verweis auf politische und gesellschaftliche Krisen erklären. Vielmehr gerieten sie schon Generationen vor dem Fall des Römischen Reiches im Westen in Umlauf und gewannen immer größere Dynamik, selbst in einigen der sichersten und wohlhabendsten Gegenden der römischen Welt. Analog kann kein noch so brutaler Bruch zwischen der römischen Ordnung und einem neuen, ›barbarischen‹ Zeitalter – wie wir es uns mitunter auszumalen versucht sind – die Unterschiede zwischen einem Augustinus und einem Gregor von Tours erklären.

Und doch gibt es ihn ja, den Wandel, und es ist die Aufgabe des Historikers, tiefer zu graben, um nach dessen Wurzeln zu suchen. Diese wird er womöglich in Phänomenen finden, die in den konventionellen Erzählungen über die betreffende Epoche wenig oder keine Beachtung finden. Genau dies – die Wurzeln des Wandels in der großen Menge des oft Übersehenen aufzuspüren – habe ich mir in diesem Buch vorgenommen. Ob ein solcher Ansatz sich als fruchtbar erweist, was unser Verständnis vom Wandel frühchristlicher Jenseitsvorstellung an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter angeht, mögen die Leserinnen und Leser entscheiden.

Aber eines nach dem anderen. Zur Einstimmung auf den Hauptteil der Darstellung möchte ich am Ende meiner Geschichte beginnen: mit einer Skizze des Lebens nach dem Tod, wie es sich ein prominenter Christ des späten 7. Jahrhunderts ausgemalt hat. Die Rede ist von Bischof Julian von Toledo, dessen Aufzeichnungen aus dem Jahr 688 stammen. Wie sehr sich Julians Vorstellungen vom Jenseits von den Vorstellungen der Christen noch früherer Zeiten unterschieden, lässt sich an der Reaktion ermessen, als er – in den Schriften seiner Bibliothek – mit dem so ganz anderen Glauben eines führenden christlichen Denkers konfrontiert wird, der mehr als vier Jahrhunderte vor ihm gelebt hatte: Cyprian, der in den Jahren 248 bis 258 Bischof von Karthago gewesen war. Mit diesem Kontrast zwischen zwei Epochen – zwischen dem 3. und dem 7. Jahrhundert n. Chr. – wollen wir nun beginnen.

Der Preis des ewigen Lebens

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