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Das geheimnisvolle Foto

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Anna stampfte wütend mit den Füßen im Wasser umher.

„Das ist total blöd, ich habe null Ideen für dieses Schulprojekt. Außerdem macht es mir keinen Spaß. Es ist sooo langweilig über alte Häuser zu reden.“

Sie hüpfte wie ein Gummiball durch die Rinne des Brunnens in der Krämerstraße, und das Wasser spritzte zu allen Seiten. Sogar ein kleiner Hund war deswegen schon weggerannt.

„Hör auf damit, deine Schuhe und dein schönes blaues Kleid sind pitschenass.“

Paul schimpfte und schimpfte, aber seine kleine Schwester hörte ihm nicht zu. Naja, eigentlich war Paul nur ein Jahr älter als Anna, aber er fühlte sich sehr erwachsen. Vor allem, wenn sie diese Mädchenzickerei an den Tag legte.

Er zupfte ein wenig an ihrem blonden Zopf, packte sie dann am Arm und zog sie mit sich fort. „Jetzt ist Schluss mit der Meckerei, die Leute gucken uns schon komisch an.“

„Mir doch egal, die brauchen ja auch nicht dieses olle Projekt zu machen.“

„Also, ich musste letztes Jahr auch über die Geschichte eines alten Wismarer Hauses schreiben, und mir hat es total gut gefallen.“

„Ja, du hast ja auch das Rathaus genommen, darüber ist es leicht zu schreiben. Sogar beim Bürgermeister bist du gewesen. Der hat dir soviel darüber erzählt, dass du fast nichts mehr alleine rauskriegen musstest. Kann ich nicht bei dir abschreiben? Einfach so, weil ich morgen Geburtstag habe, als Geschenk von dir? Ach bitte, ich werde nur einmal im Leben zehn Jahre alt.“

„Bist du verrückt?“, Paul schüttelte den Kopf. „Das merkt Frau Michaelsen sofort, schließlich ist sie auch meine Lehrerin. Schau dich lieber einmal um, hier stehen auch tolle Häuser. Die Löwenapotheke zum Beispiel, die ist schon ein paar hundert Jahre alt.“

„Wieso heißt die eigentlich Apotheke, da ist doch ein Cafe drin?“

„Ja siehst du, das könntest du vielleicht herausbekommen und als Thema für das Schulprojekt nutzen.“

„Ach nee, ich glaube darüber schreibt schon die Tanja, die wohnt hier in der Nähe. Ich will ein ganz besonderes Haus erforschen.“

Plötzlich wurden die Geschwister von einem Mann und einer Frau angesprochen, die mit einer Zeitung in der Hand verzweifelt umherblickten.

„Hallo ihr zwei, könnt ihr uns vielleicht helfen? Wir sind das erste Mal in Wismar und kommen gerade vom Hafen. In zehn Minuten wollen wir an einer Führung durch ein historisches Gebäude teilnehmen und wenn wir noch lange suchen müssen, kommen wir zu spät. Ihr kennt euch doch bestimmt hier aus.“

Anna und Paul schauten in die Zeitung die die beiden aufgeschlagen hatten, dann schauten sie sich an und Annas Augen leuchteten.

„Na klar!“, sagte Paul, „das ist das Welt-Erbe-Haus, da bringen wir Sie gerne hin.“

„Ach das ist aber toll!“, antwortete die Frau, „so nette Kinder trifft man auch nicht alle Tage.“

„Das ist gar nicht weit von hier, wir brauchen nur ein paar Minuten bis zur Lübschen Straße.“

Anna strahlte über das ganze Gesicht. Das war die Idee überhaupt. Sie würde über das Haus schreiben, das zurzeit in allen Zeitungen Thema Nummer eins war. Sogar im Fernsehen hatte sie es schon gesehen und im Radio davon gehört. Warum war sie da nur nicht gleich drauf gekommen? Jetzt konnte Tanja mit ihrer ollen Apotheke einpacken.

Es dauerte wirklich nur kurze Zeit, dann standen sie vor dem Haus neben der Heiligen-Geist-Kirche.

„Hier“, sagte der Mann, „ich gebe euch einen Euro für die Mühe uns hierher zu bringen und wir bedanken uns wirklich ganz herzlich.“

„Och“, Anna druckste herum. „Den Euro können Sie behalten. Kann ich mir nicht etwas anderes wünschen?“

„Ist ein Euro nicht genug?“ Das Paar sah sich an und die Frau schüttelte mit dem Kopf. „Was willst du denn haben?“, fragte sie etwas streng.

„Haben möchte ich gar nichts“, sagte Anna. „Ich muss für ein Schulprojekt die Geschichte eines alten Hauses erforschen und ich möchte gerne das Welt-Erbe-Haus dafür nehmen. Wenn Sie jetzt eine Führung durch das Gebäude bekommen, können Sie da nicht sagen, dass wir Ihre Kinder sind und wir schlüpfen einfach mit hinein? Ach bitte bitte!“

Anna schaute die Dame so flehentlich mit ihren blauen Augen an, dass der ganz warm ums Herz wurde.

„Also, ich weiß nicht“, sagte sie. „Was passiert, wenn ihr da drinnen etwas anfasst und kaputt macht? Wir bekommen dann eine Menge Ärger.“

„Oh das machen wir bestimmt nicht, wir sind ganz brav und rühren nichts an.“

„Na gut, wir wollen es versuchen, aber bleibt bitte in unserer Nähe und lauft nicht eigenmächtig durch die Räume.“

Gesagt getan, alle vier gingen, als sei es völlig selbstverständlich, durch die Tür.

Ein junger Mann führte durch das Haus.

„Ich heiße Benjamin“, stellte er sich vor. „Eigentlich studiere ich noch, aber hin und wieder mache ich ein Praktikum und in den letzten zwei Jahren durfte ich mich an der Restauration der Malereien in diesem Bauwerk beteiligen. Ich zeige Ihnen nachher ganz genau, welches meine Pinselstriche sind, und welche historisch erhalten blieben. Sie werden keinen Unterschied bemerken.“

Er lächelte und plauderte und die Besucher folgten seinen Ausführungen aufmerksam.

Anna und Paul ließen sich durch die Räume schieben. Benjamin erzählte so viel, dass Anna schon Angst und Bange wurde. Das meiste davon vergaß sie sicher, bis sie zu Hause war. Sie konnte sich kaum fünf Dinge merken, wenn ihre Mutter sie zum Einkaufen schickte.

Inzwischen waren sie im Obergeschoss angekommen. Was hatte Benjamin gerade über die sprechende Tapete erzählt? Die wurde schon mal geklaut, aber die Diebe mussten sie zurückbringen, weil niemand ihnen die wertvolle Beute abkaufen wollte? Wie konnte man überhaupt Tapete stehlen? Wenn sie die in ihrem Kinderzimmer abreißen würde, dann bekam sie höchstens ein paar Fetzen von der Wand, die war schließlich fest angeklebt. Anna wollte ihren Bruder anstupsen, um ihm zu sagen, dass sie unbedingt noch einmal mit diesem Benjamin reden musste, als sie bemerkte, dass in einer Ecke des Zimmers die bemalte Tapete etwas lose war. Hatten die hier etwa schlampig gearbeitet? Der Student ging mit seinen Besuchern in den Nebenraum. Anna blieb ein wenig zurück. Sie hatte zwar versprochen, hier nichts anzurühren, aber erstens waren die netten Leute gerade nicht zu sehen und zweitens war sie ein Mädchen und unheimlich neugierig!

Noch nie hatte sie so etwas Altes angefasst. Na ja, vielleicht Oma Inge, aber die war noch nicht ganz so alt wie dieses Haus. Vorsichtig nahm sie die lose Ecke zwischen zwei Finger und befühlte sie. ‚Irgendwie ganz normal’, dachte sie und wollte gerade wieder loslassen, als etwas hinter der Tapete hervorrutschte und zu Boden fiel.

Es war ein Foto.

Anna hob es auf. Sie schaute es an und schlug sich im selben Augenblick heftig mit ihrer Hand auf den Mund, um nicht laut zu schreien.

Schnell lief sie zu Paul und zog ihn am Ärmel fort. Sie konnte kein Wort sprechen, so verwirrt war sie von dem Bild. Paul verstand die Aufregung seiner kleinen Schwester nicht, folgte ihr aber die Treppe hinunter bis auf die Straße. Erst hier fand Anna die Worte wieder.

„Schau mal“, sagt sie, „das habe ich hinter der Tapete gefunden.“ Sie hielt Paul das Foto unter die Nase. Auch der riss erstaunt Mund und Augen auf.

„Aber, aber - das sind ja wir!“, stammelte er.

Zu Hause angekommen, verkrümelten sich beide direkt in Annas Zimmer. Sie nahmen das Foto und schauten es immer wieder an. Die alte Schule neben der Marienkirche war darauf zu sehen. Sie war völlig aufgebaut und mit einem komischen Glasdach überdeckt. Es war richtig unheimlich. Paul hockte davor im Schneidersitz auf der Erde und hielt Crazy, den Familienhund, am Halsband fest. Hinter ihm stand eine sehr nett lächelnde Frau, die einen Arm um seine Schwester gelegt hatte. Neben ihnen saß ein alter Mann in einer seltsamen Kiste. Das Ding sah ein wenig aus wie eine Mischung aus Rollstuhl und Sitzbadewanne. Paul musste grinsen. Vielleicht machte der Opa beim Seifenkistenrennen mit?

Anna starrte die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen das Bild an.

„Was ist los?“, fragte Paul. „Bist du immer noch erschrocken?“

„Ja“, antwortete Anna. „Das Bild macht mir Angst. Ich weiß nicht wie es hinter die Tapete vom Welt-Erbe-Haus gekommen ist. Ich kenne die Leute nicht und mein Kleid darauf, das finde ich auch ganz komisch.“

„Wieso ist dein Kleid komisch, es ist gelb mit einer roten Schleife, sieht doch ganz normal aus.“

Anna schaute ihren Bruder an.

„Dieses Kleid“, flüsterte sie, „das hat die Mama gestern erst gekauft. Morgen an meinem Geburtstag soll ich es zum ersten Mal anziehen.“

Wismar 2094

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