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Die Glatzen

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Als sie ankommen, die Glatzen, beginnt sie sich Gedanken zu machen, über leere Bierflaschen und überquellende Aschenbecher im ganzen Haus, zerrissene, verschmutzte Bettlaken und so.

Als sie aussteigen aus dem gemieteten Van, die Glatzen, beginnt sie sich Sorgen zu machen über kaputtgeschlagene Möbel, vollgekotzte Sofas, Weit-Pinkel-Wettbewerbe am Pool und so.

Sie sieht in ihrer Vorstellung die Lautsprecher-Boxen der Musik-Anlage geborsten von zu lauter, dröhnender, harter Rockmusik.

Und Drogen sind bestimmt auch mit im Spiel, vielleicht dealen sie ja sogar.

Unangenehm wird es auf jeden Fall, vielleicht sogar bedrohlich, gefährlich, da ist sie sich fast sicher, die Vermieterin.

Bei allem, was man so hört über die Glatzen.

Ihr Mann, der Vermieter, hatte sie gewarnt. Guck‘ sie dir gar nicht erst an. Nach zwei Wochen sind sie wieder weg. Sagte er.

Er wusste, wie viele Gedanken sie sich machte auch bei Ferien-Gästen, die normal aussahen. Doch, was ist denn schon normal?

Sie hatte das Ferienhäuschen mit sehr viel Liebe und Geschmack eingerichtet. Freunde bestätigten ihr ein „Händchen“ für sowas.

Damals hatte es sich so ergeben, dass direkt gegenüber von ihrem schönen Haus am Meer ein anderes Haus verkauft wurde, nicht ganz am Meer. Es war heruntergekommen und sie erneuerten, veränderten, verschönerten. Sie fliesten Bäder, strichen Türen und Schranktüren, verlegten neue Fußböden und polsterten Stühle und Sofas neu. Sie entdeckten die Freude an Arbeiten, die sie in ihrem früheren Leben von Handwerkern erledigen ließen.

Sie nähte Gardinen und Bettwäsche, sie legten zusammen den Garten neu an. Und dann war es fertig zur Vermietung, das Haus, ein kleines Juwel, fanden sie.

Sie sah sich die Gäste gut an, die Vermieterin, und so manches Mal gefiel ihr nicht, was sie sah. Wer hat von meinem Tellerchen gegessen, wer hat in meinem Bettchen geschlafen?

Ihr Mann lachte sie aus. Von der Miete konnten sie ganz gut leben.

Und jetzt das. Sechs junge Männer zwischen 20 und 30. Bis auf einen alles Glatzen. Der eine hat eine Irokesen-Bürste in Pink. Alle tragen sie Springerstiefel und Armeeklamotten. Wahrscheinlich sind sie alle tätowiert an Stellen, von denen sie gar nichts wissen will. Die Vermieterin.

Und an diesem ersten Abend geht es dann auch richtig zur Sache. Alles hell erleuchtet, Gelächter und laute Musik die ganze Nacht bis zum frühen Morgen. Dauernd springen sie mit Ur-Schreien in den Pool, es plantscht, als sei eine ganze Elefanten-Herde dort eingebrochen auf der Suche nach dem Wasserloch. Ich hab‘s ja gleich gewusst, stöhnt die Frau.

Lachen dürfen sie aber schon und sich amüsieren, das sind junge Leute, sie haben Urlaub, jetzt entspann dich mal, sagt der Vermieter und er versorgt die Frau ausreichend mit sun-downern und anderen legalen Drogen.

So ganz wohl ist ihm aber insgeheim auch nicht.

Sie beobachtet das Haus gegenüber den ganzen Tag. Jeden Tag. Sie steht hinter ihrer schönen alten Eingangstür, die nach marokkanischem Vorbild kleine Fenster hat, die sich nach innen öffnen lassen, die nach außen ein Holzgitter haben als Schutz vor neugierigen Blicken. Neugierige Blicke von innen nach außen lassen sie zu, die Holzgitter.

Sie beobachtet sie, die Glatzen, wenn sie das Grundstück verlassen, wenn sie ihre Einkäufe aus dem Van räumen, kistenweise Bierflaschen - ich hab’s ja gewusst. Einige haben sich Motorroller geliehen und fahren vollbeladen mit Strand-Utensilien davon. Unsere schönen Badetücher, sie nehmen sie sicher mit an den Strand.

Die Springerstiefel und die Armeeklamotten tauchen nicht mehr auf. Sie tragen das, was man im Urlaub so trägt, kurze Hosen und T-Shirts oder auch oben nichts. Bisher hat sie nur bei dem Irokesen Tattoos auf „oben nichts“ entdeckt, aber sie hat ja noch nicht alle Oberkörper nackt gesehen.

Es wird gegrillt und das Gelächter am Pool ebbt nicht ab. An einem Tag kommt ein zweiter Van mit einer Ladung Frauen. Oh, oh, stöhnt es hinter dem marokkanischen Gitter, jetzt fangen die Sexorgien an, wie werden sie das Haus nur zurichten. Das ist Betrug, sie mieten das Haus für 6 und dann sind sie 12.

Und die Party geht jetzt richtig los. Heiße Rhythmen, eigentlich ist sie sogar ziemlich ansteckend die Musik, die Hüften der Vermieterin hinter ihrer vergitterten Tür entwickeln ein Eigenleben, sie zucken verräterisch, gar lustvoll im Takt von Salsa, Rumba und Tango.

Ich glaube, jetzt sind alle nackt, ruft sie aufgeregt nach hinten, wo ihr Vermieter-Mann nur mit den Schultern zuckt, kein Interesse, Hauptsache sie zahlen.

An einem Tag, die Frauen sind verschwunden und bisher nicht wieder aufgetaucht, steht einer der Glatzen vor der Tür. Das Wasser im Bad läuft nicht ab.

Sie wappnen sich, das Vermieter-Ehepaar. Sie mehr. Er weniger.

Zwei von den Jungs begrüßen sie mit Handschlag. Sie tragen Boxer-Shorts. Direkt hinter dem Hoftörchen liegt ein Stiefel, ein paar Schritte weiter der andere. Eine wilde Mischung aus Armee- und anderen Hemden, Armee- und anderen Hosen. Socken und Unterhosen auf der Terrasse und um den Pool herum.

Leere Flaschen, natürlich! Keine vollen Aschenbecher, erstaunlich!

Im Haus geht das Chaos weiter. Im Wohnzimmer zieht ein wirrer Kabelsalat kreuz und quer durch den ganzen Raum, sechs Spiele-Konsolen am Fernseher angeschlossen. Zwei sind in Betrieb. Die Jungs sind völlig vertieft in ihr Spiel. Als die Vermieter direkt neben ihnen stehen, springen sie auf, Händeschütteln. Inneres Kopfschütteln bei den Vermietern. Sie wundern sich. Alles hatten sie erwartet, Höflichkeit nicht.

Sie werden in das große Bad geführt, Rasierschaumdosen, Rasierer, Duschgel-Flaschen, Handtuchklumpen, alles wild durcheinander. In der Dusche steht das Wasser. In der Wanne ebenfalls. Kein Problem, der Installateur wird den Schaden heute noch beheben können. Auf dem Rückweg gehen sie an der Küche vorbei, hier wird gekocht, es duftet köstlich. Der mit dem Kochlöffel wischt sich die Hände an den Boxershorts ab, er begrüßt sie, Handschlag. Er macht Konversation. Höflich. Nett. Ein sympathischer Junge. Erstaunlich!

Der Rückweg durch das Wohnzimmer, über die Terrasse, am Pool vorbei. Die drei, die mit riesengroßen aufgeblasenen Krokodilen im Wasser kämpfen, winken freundlich, es sieht alles irgendwie anders aus, nicht bedrohlich, überhaupt nicht bedrohlich. Es sieht fast friedlich aus. Auf jeden Fall vertraut. Das Chaos.

Sie haben Söhne, die Vermieter. Erwachsen, aus dem Haus, sollen sich doch ihre Frauen darum kümmern.

Sie gehen zurück in ihr schönes Haus am Meer, die Vermieter. Sie bestellen den Installateur, die Vermieter. Und sie wundern sich ein bisschen.

Glatzen. Murmelt die Frau.

Glatzen. Murmelt der Mann.

Na ja, die Frau hat dann nicht mehr den ganzen Tag hinter ihrer schönen marokkanischen Eingangstür gestanden. Und der Mann hat ein paarmal gesagt, dass er es doch gleich gesagt habe. Er hat es leise gesagt. Mehr zu sich selbst hat er es gesagt.

Sie konnte dann wieder besser schlafen, die Frau. Jedenfalls ein paar Nächte. Mitten in der Nacht dann irgendwann eine Riesenschreierei.

Sie schrecken beide aus dem Schlaf.

Ich hab‘s gewusst. Das geht nicht gut mit denen. Jetzt zeigen sie ihr wahres Gesicht.

Die Frau ist als erste auf ihrem Platz hinter der schönen Eingangstür. Die kleinen Fenster in der Tür sind geöffnet. Das Holzgitter gibt Schutz, den neugierigen Blicken von innen. Der Mann steht jetzt hinter ihr. Der Tumult ist wirklich bedrohlich.

Wenn Männer so schreien, denkt man an Krieg.

Es ist noch dunkel. Einer der jungen Männer steht neben dem Hoftörchen. Der Irokese. Er trägt Armeehosen und Springerstiefel. Neben ihm steht ein Koffer. Er schreit am lautesten. Es ist auch ein bisschen Weinen in dem Geschrei.

Und ihr wollt Freunde sein. Schreit er. Damit ist es jetzt vorbei. Schreit er. Ihr könnt mich mal, ich betrete dieses Haus nicht mehr. Lieber übernachte ich auf dem Flughafen, die paar Tage halte ich schon aus. Scheißfreunde seid ihr.

Seine Stimme kippt, er weint jetzt wie ein Kind, der Irokese.

Einer der Jungs kommt in Unterhosen aus dem Törchen, er schreit ebenfalls, er versucht, den Irokesen zu umarmen. Der wimmelt ihn ab. Mich ganz allein zu lassen! Einfach abzuhauen! Das verzeih‘ ich euch niemals! Fass‘ mich bloß nicht an!

Der eine geht über die Straße und setzt sich auf die Mauer vor dem Haus der Vermieter. Die anderen Jungs sind wohl auf der Terrasse oder im Garten, sie schreien alle. Und wieder kommt einer raus, in Unterhosen.

Ein Reisebus fährt jetzt vorbei. Es ist immer noch dunkel. Die Passagiere werden zum Flughafen transportiert. Der Bus hält an und der Fahrer fragt, ob es Schwierigkeiten gäbe, ob er helfen könne. Sie winken ihn weiter.

Es kommen wieder zwei der jungen Männer, sie bauen sich vor dem Irokesen auf, sie versuchen ihn zu beruhigen, doch er schreit immer weiter. Sie versuchen, ihn zu umarmen, er wird richtig wild. Die beiden, sie sind auch in Unterhosen, sie haben alle nur Boxer-Shorts an, schlendern über die Straße. Jetzt fängt der, der auf der Mauer sitzt, ebenfalls an zu schreien. Da beugt sich der eine der beiden vor, zieht seinen Kopf nah zu sich herunter und küsst ihn mitten auf seine Glatze. Nun geht das Geschrei hinüber und herüber, es beginnt eine heftige Diskussion. Zu der dann auch die beiden, die bisher wohl noch auf der Terrasse waren, dazukommen, sie setzen sich auf die Mauer, die das Ferienhäuschen umgibt.

Was nun folgt, ist eine perfekte Lektion in Konflikt-Bewältigung unter Freunden. Sie gehen hart mit dem Irokesen ins Gericht. Er hatte sich, - nach dem, was die Lauscher hinter dem Gitter verstehen können, und sie können es gut verstehen, sie sind nah genug dran -, in der Nacht mit einer Gruppe einheimischer Schläger angelegt. Es war zu einer wilden Rauferei gekommen.

Die fünf Glatzen erklären ihm jetzt, warum sie ihm nicht zu Hilfe gekommen sind. Es war vorher besprochen worden, dass sich keiner auf irgendeine Auseinandersetzung einlassen sollte. Bei irgendwelchen Differenzen sofort einlenken und den Rückzug antreten! Das war die Devise. Sie sind im Ausland, sie hatten sich leider in einer ausgelassenen Bierlaune gegenseitig die Köpfe geschoren, sind deshalb angreifbar und sie wollen keinen Ärger. Und als er sich nicht von der Rauferei abhalten ließ, fuhren sie nachhause und ließen ihn alleine dort.

Für ein Taxi war es schon zu spät und so ist er in der Nacht zu Fuß hierher gelaufen. Ein weiter Weg. Und jetzt ist er stinksauer und er wird dieses Haus nie mehr betreten. Sagt er.

Scheiß doch auf Freunde. Sagt er.

Wieder geht einer zu ihm und versucht, ihn zu umarmen, mit etwas mehr Erfolg. Dann verpasst er ihm eine Kopf-Nuss, haut ihm auf den Oberarm. Was man aus der nun folgenden, immer noch quer über die Straße hinweg lautstark geführten Diskussion heraushören kann, ist, dass die sechs Jungs Sportler sind, demselben Verein angehören. Sie kennen sich, seit sie kleine Rotzlöffel waren, sie erinnern sich gegenseitig an Situationen, in denen sie zusammengehalten haben, in denen sie füreinander da waren. Sie hatten doch jeden Scheiß untereinander geregelt.

Und plötzlich, zwei Stunden sind vergangen und mittlerweile dämmert schon der neue Morgen, sind sie alle auf der Straße, umarmen sich, rempeln sich an, boxen sich, verteilen Kopfnüsse und Glatzenküsse. Immer noch laut diskutierend und jetzt unter Gelächter gehen sie durch das Hoftörchen.

Einer kommt zurück. Der Irokese.

Er schnappt sich seinen Koffer und betritt das Haus, das er nie mehr hatte betreten wollen und dessen Eigentümer seltsam berührt ihren Platz hinter der verschwiegenen Tür jetzt verlassen haben.

Als sie nach einigen Tagen wieder abreisen, die Glatzen (niemals zuvor hatten Gäste die Bettwäsche abgezogen und die Mülleimer entleert), beginnt sie sich Gedanken zu machen, die Vermieterin.

Gedanken über Freundschaft und über Vorurteile und darüber, wie sehr der Schein doch manchmal trügt.

Glatzen. Murmelt die Frau.

Ihr Mann, der Vermieter, zählt indessen das Geld und sagt, dass er es ja gleich gesagt habe. Er sagt es leise. Mehr zu sich selbst.

Glatzen. Murmelt der Mann.





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