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Im Element

Heute ist der 5. Tag an dem der Mistral heftig über das felsige, mit niedrigen Sträuchern und Pinien bewachsene Inselland weht.

Übrigens stürmt er nicht stärker als die westlichen Winde im Frühjahr und im Herbst an der Nordsee.

Sie - eine vor vielen Generationen vertriebene Hugenottin - fühlt sich hier wie Zuhause, sitzt jedoch im Hafen der Iles de Frioul, gegenüber von Marseille, mit Blick auf das Château d’If und auf Notre Dame de la Garde - das Wahrzeichen der Kulturhauptstadt Europas von 2013 - auf einer Bank und wartet.

Worauf wartet eine seriöse Frau, die im Leben alles erreicht hat, was sie erreichen wollte und sogar noch ein bisschen mehr?

Der Mistral pfeift in ihren Ohren, die Fahnen und Schnüre an den Segelmasten flattern und heulen im peitschenden Sturmwind.

Das Mittelmeer prallt krachend auf die Felsen der Inseln, die Fährschiffe bleiben wild schaukelnd im Hafen liegen und können nur sporadisch hinausfahren, weil das Risiko, von einer Monsterwelle erfasst zu werden, sehr hoch ist.

Es ist so stürmisch, dass keine Vögel in der Luft sind und sich die Zikaden verkrochen haben.

Die Atmosphäre erzittert.

Im Windschatten ist es sehr heiß und es duftet nach Pinien.

Schöner kann die Septembersonne kaum scheinen, um sich in der Bucht von Marseille in allen Farbnuancen zu reflektieren.

Dennoch sehnt Sie sich wartend - wonach oder nach wem?

Ein tollkühnes Segelboot durchschneidet die Sonnenbahn auf dem Golfe du Lion und eine vereinzelte Möwe tanzt im Sturmwind, biegt und windet sich mit der Thermik.

Der Ausblick auf die zweitgrößte Stadt Frankreichs mit der Kirche auf dem Felsmassiv über der Einfahrt in den Alten Hafen ist malerisch.

Augenscheinlich fehlt Ihr nichts.

Dennoch wartet Sie.

Geduld, Beharrlichkeit und innere Ruhe, die einen guten Kapitän auszeichnen, sind auch Ihre Eigenschaften.

Fremder Leute Probleme, die Ihr willkürlich auferlegt worden sind, sieht Sie - eine siegreiche Ausdauersportlerin - als Herausforderungen an, die gemeistert werden müssen, genau so wie der Kapitän eines Schiffs das vom Mistral gepeitschte unberechenbare Mittelmeer bezwingen muss.

Sprachlose Aufmerksamkeit ist auf die Naturgewalten gerichtet.

Immer bereit, sofort auf eine neue Situation richtig zu reagieren.

Ein Fährschiff sticht jetzt durch das brausende Meer.

Die darauf folgende Brandung übertönt den Septemberwind.

Gischt spritzt Ihr auf die Lippen.

Das Salz, viel milder als das der Nordsee, schmeckt herrlich.

Ihre Haare werden vom Wind zerzaust.

Sie wirkt glücklich.

Tränen sammeln sich in Ihren Augenwinkeln.

Gegenüber - auf dem Château d’If - saß im Abenteuerroman von Alexandre Dumas der Graf von Monte Christo jahrzehntelang unschuldig in Haft; um die Ecke - vor der Ile de Riou - stürzte 1944 der Pilot Antoine de Saint-Exupéry, von Nazi-Deutschen abgeschossen, mit seinem Flugzeug ins Mittelmeer.

Und was ist Ihr Schicksal?

Plötzlich lugt er um die Ecke - der Fährmann.

Er fordert Sie zur letzten Überfahrt auf: „Darf ich bitten, Madame?“

„Wenn es denn sein muss“, stöhnt sie, bäumt sich auf, wandelt sich zur gewaltigen Sturmwelle, senkt sich herab, um dann tief seufzend mit dem tosenden Meer der Ewigkeit eins zu werden …

> le chant du cygne <

(Schwanengesang)

Gunst

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