Читать книгу Als Gott dem Unternehmensberater R. begegnete - Petra Stödter - Страница 4

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Plötzlich ohne Körper

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„Altwerden ist Scheiße!“

Obwohl es dennoch unser aller Ziel ist, nicht jung in die Kiste hüpfen zu müssen, ist es ganz schön anstrengend, dem illusionären Zeitgeist von unvergänglicher Jugend Folge zu leisten.

Man tut, was man kann, um Dellen und Falten zu bekämpfen - kauft alle möglichen Fitnessgeräte, die wunderwirkend in der TV-Werbung präsentiert werden -, unterstützt Kosmetikindustrie und Schönheitschirurgie mit ebenfalls Unsummen guter Euros und verfällt dem Irrsinn, sich hierdurch ewige Jugend kaufen zu können.

Nun ist es ökonomisch gesehen ziemlich egal, auf welche Weise man dazu beiträgt, die Wirtschaft anzukurbeln. Die Hauptsache ist doch - man tut es. Wenigstens hier zeigt sich dann ein Nutzen unserer falschen Hoffnungen, zu denen das Alter immer „ätsch“ sagt.

Es hat recht mit seiner Häme, denn es lässt sich nicht bestechen - nicht mit weltlichen Mitteln. Ist es etwa erbarmungslos und ungerecht oder will es uns vielleicht mit seiner Unbestechlichkeit drastisch auf etwas aufmerksam machen, was wir vollkommen ignorieren, weil es für unser physisches Auge nicht sichtbar ist?

„Ich kenne die Antwort!“

„Wie das?“, werdet ihr euch jetzt fragen.

Nun, ich bin einer von denen, die viel zu jung in die Kiste springen mussten. Das war ganz schön verrückt, bis ich es endlich begriffen hatte, dass ich zwar existierte, aber keinen Körper mehr besaß. Damit ihr nicht auch erst den Löffel abgeben müsst, bevor ihr erkennt, worum es eigentlich geht, erzähle ich euch meine Geschichte.


Als ich noch unter euch weilte, war ich ebenso oberflächlich wie die meisten von euch. Ich legte viel Wert auf Äußerlichkeiten, gierte nach immer mehr Geld, jagte schnellen, teuren Autos und jedem Weiberrock hinterher. Nun ist das Totsein nicht das Ende aller Weisheit, aber es schafft Erkenntnis. Allerdings - ich muss es zugeben - sehne ich mich manchmal nach meinem irdischen Leben zurück, denn es gibt Momente, in denen ich einen Körper vermisse. Aber das sind nur Momente, denn mein jetziger Zustand ist himmlisch und mit nichts zu vergleichen, was ich je auf Erden erlebt habe.

Jetzt sagt ihr sicher: „Er ist ein Engel!“

Nun gut, wenn ihr euch die Geister der Verstorbenen als Engel vorstellen wollt, dann bin ich wohl einer. Es kommt immer auf die Sichtweise an.

„Bloß jetzt keine Ehrfurcht!“

Falls ich eines dieser himmlischen Lichtwesen sein sollte, so bin ich wohl in meinem jetzigen Zustand ein Engel der untersten Kategorie. Vergesst einfach mal alles, was man euch über uns weismachen will. Wir besitzen weder Flügel noch spielen wir auf der Harfe - alles Humbug.

Im Grunde genommen bin ich immer noch nichts anderes als ihr. Der einzige Unterschied zwischen uns ist das Fehlen meines Körpers. Ich bin einfach nur. Das heißt, dass ich reines Bewusstsein bin und keinen irdischen Beschränkungen unterliege. Es gibt für mich keine physikalischen Gesetze. Ich bin frei!

Seid ihr neugierig und mutig genug, um meine Einladung zu einer Reise ins Jenseits mit Reiserücktrittversicherung anzunehmen?


Nun gut, dann beginne ich jetzt mit meiner Geschichte:

Zunächst einmal zurück zu meinem irdischen Leben.

Mein letzter Tag mit Körper war ein Sonntag - ein eisiger, aber wunderbar sonniger Februartag. Angesichts der guten Wetterlage drängte es mich an die frische Luft. Seit Monaten hatte ich vor lauter Termindruck nichts mehr für meine Fitness getan. Mit meinen 55 Jahren war ich in einem Alter, das allen Männern schwer zu schaffen macht. Da ich ein ziemlich eitler Tropf war, der großen Wert auf Äußerlichkeiten legte, betrachtete ich meinen abgeschlafften Körper kritisch vor dem Spiegel. Ich musste dringend etwas tun, damit ich in meinem Umfeld weiterhin bestehen konnte. Hier war ich angesehen wegen meines beruflichen Erfolges und nicht zuletzt wegen meiner unwiderstehlichen Wirkung auf die Damenwelt. Ich war ein selbstverliebter Gockel, dessen kleines Hirn in jeder Hinsicht auf Bewunderung programmiert war. Dafür ging ich über Leichen. Kurzum - ich war ein arrogantes, oberflächliches Arschloch.

Jedenfalls wollte ich an diesem Tag meine versäumten sportlichen Aktivitäten nachholen. Ich zog mich sportlich an - natürlich Designerklamotten -, fuhr mit meinem Auto - selbstverständlich ein Porsche - an den Stadtrand, um dort in einem Waldstück zu joggen. Nach einigen Metern merkte ich schon, dass mir das Atmen bei dieser eisigen Kälte recht schwer fiel. „Ist ja kein Wunder, Alter, warst ja auch ziemlich faul in letzter Zeit!“ So versuchte ich mir meine Schwierigkeiten zu erklären. Also legte ich Idiot noch einen Gang zu und lief immer weiter in den Wald hinein. Hin und wieder begegneten mir ein paar Spaziergänger, die gemächlichen Schrittes über den gefrorenen Waldboden stapften. Ich war wohl weit und breit der einzige Verrückte, der bei dieser Eiseskälte hechelnd durch den Wald rannte. Das Atmen fiel mir immer schwerer und das Ziehen in meinen Waden und Oberschenkeln wurde immer heftiger, so dass ich ins Taumeln geriet. Spätestens jetzt hätten bei mir die Alarmglocken läuten müssen. Das taten sie wohl auch, aber ich wollte mir beweisen, dass ich gut drauf war, und ignorierte die Warnungen meines Körpers. In mir war ein unüberwindbarer Zwang weiterzulaufen, dem ich mich aus unerklärlichen Gründen nicht widersetzen konnte. Nun, ihr müsst nicht lange rätseln, was dann mit mir geschah.

Ich spürte noch einen unbeschreiblichen Druck in meiner Brust, so als würde sich ein eiserner Ring darum legen und mir die Luft abschnüren. Aber dann spürte ich nichts mehr. Ich befand mich plötzlich über meinem Körper schwebend. Noch ehe ich diese Situation begriffen hatte, erschienen vor mir Bilder. Sie wurden wie ein Film im Schnelldurchlauf für mich abgespielt und ließen mein ganzes Leben noch einmal Revue passieren. Ich lebte es blitzschnell noch einmal durch, fühlte hierbei intensiv alle Emotionen und erkannte schmerzlich die zahlreichen Fehler, die ich begangen hatte. Aber trotzdem war alles gut - niemand klagte mich dafür an. Es war einfach nur ein Erkennen - eine klare Sicht, die mir im Leben verborgen war. Ich erschrak, als ich einen letzten Blick auf meinen leblosen Körper werfen konnte. Wie ein Stück Müll lag er völlig verlassen im dunklen Wald und schneite langsam zu. Ich war ziemlich verwirrt. Ich existierte zwar, aber vor mir lag mein Körper - getrennt von mir. Wie war das nur möglich?

„Du bist tot - du Idiot!“ Diese Erkenntnis drang plötzlich erbarmungslos in mein Bewusstsein. Ich konnte es nicht fassen, denn ich hatte mein Sterben überhaupt nicht mitbekommen. Was sollte ich jetzt tun? Es gab keinen Weg zurück in diesen Körper - das wusste ich. Warum ich das wusste, weiß ich nicht. Ich wusste es einfach. Irgendwie trieb ich völlig orientierungslos umher. Plötzlich befand ich mich in meiner Wohnung. Es war eigenartig, denn ich hatte zuvor an die neue sündhaft teure Designereinrichtung denken müssen, von der ich nun keinen Nutzen mehr hatte. „Wirklich schade“, dachte ich in diesem Augenblick. Wie viele Leute aus meinem Freundeskreis hatten sie noch gar nicht gesehen. Zu der großen Einweihungsparty hatte ich noch nicht einmal die Einladungen verschickt. Während ich das dachte, vernahm ich in meinem Bewusstsein ein völlig anderes Denken - einen anderen Geist - der nicht zu mir gehörte, aber irgendwie auch wieder doch. Es ist schwer zu erklären.

„Was hast du jetzt davon?“

Nun, ich hatte nichts mehr davon, das war mir schon klar. Und mir wurde auch bewusst, dass ich mir diese Einrichtung nur zugelegt hatte, um meine Freunde damit zu beeindrucken. Es war der neueste Trend - hierauf fuhr die Jugend voll ab. Leisten allerdings konnten es sich nur die Alten. Eigentlich gefiel mir dieser glatte, unpersönliche Ufostil überhaupt nicht. Er schaffte keine Gemütlichkeit, strahlte keine Wärme aus, sondern wirkte abweisend und kühl. Die Hightech-Küche erinnerte mich stark an einen Operationssaal, so dass mir ein längerer Aufenthalt zum ausgiebigen Kochen in diesem Raum nicht möglich war, ohne dass mir hierbei eine Gänsehaut über den Rücken lief. Also hatte ich mich auf das Erwärmen von Fertiggerichten beschränkt, um nicht mehr Zeit als eben nötig in dieser Monsterküche verbringen zu müssen.

„Was war ich doch für ein erbärmlicher Schisser!“

„Gute Erkenntnis!“

Der andere Geist schlich sich wieder in mein Bewusstsein. Ihr müsst ihn euch wie eine innere Stimme vorstellen, die nicht eurer Gedankenwelt entspricht. Ich glaube, es ist die Stimme Gottes - sein Geist, der mich jetzt sehr sanft mit viel Verständnis auf meine irdischen Fehler aufmerksam macht.

Nun, ich schäme mich - ein bisschen. Ich war nun einmal der, der ich war und auch immer noch bin. Dieser Typ, den ich verkörpert habe, ist euch mit Sicherheit nicht gerade sympathisch. Aber genau diese Art von Kotzbrocken bewundert und beneidet ihr in eurer Gesellschaft. Gierige, rücksichtslose Typen kommen voran und werden anerkannt. Auch mir war gar nichts heilig. Ich zählte zu den Götzenanbetern, deren Götter Macht, Gier und Geld hießen. Somit entsprach ich voll und ganz dem Zeitgeist. In meinem Beruf als Unternehmensberater ging ich über Leichen. Unter dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ war immer meine erste Strategie das Einsparen von Lohnkosten, um gierigen Konzernmanagern die Gewinne noch zu optimieren. Ich ließ Köpfe rollen, vernichtete Existenzen und stopfte mir selbst hierbei ohne Skrupel die Taschen voll. Mitleid kannte ich nicht, denn Mitleid war für mich der Erfolgskiller Numero 1.

Sicherlich wäre es oftmals auch anders gegangen. Aber Leute zu entlassen und dem verbleibenden Personal hierdurch immer mehr Arbeit aufzubürden, war immer der einfachste und sicherste Weg, um einen ersten Erfolg zu verbuchen.

„Entdecke ich da eine Spur von Reue?“

„Reue? Eigentlich nicht. So läuft das nun einmal bei Erfolgsmenschen. Anders geht es nun mal nicht!

Jetzt aber genug damit. Ich muss mal wieder einen Blick auf meinen Körper werfen.“

„Interessiert er dich noch?“

„Ja, ich will wissen, ob man ihn bereits gefunden hat. Ich will wissen, ob man um mich trauert. Ich will wissen, was aus meinem Vermögen wird.“

„Immer noch ganz schön materiell, mein Sohn!“

„Ich bin ganz schön durcheinander, das kann ich dir sagen!“

*

Das könnt ihr doch sicher verstehen, dass ich mir um all diese Dinge Sorgen machte. Auch wenn ich mich hierbei wieder gänzlich unfrei fühlte. Ich konnte nicht abschließen und loslassen, ohne zu wissen, was da nach meinem Tod so abging.

Außerdem machte es mir in meinem jetzigen Zustand keine große Mühe nach dem Rechten zu sehen. Schließlich konnte ich schneller als das Licht reisen. Es war mir möglich, jeden Ort auf der Stelle mit Gedankenkraft barrierelos zu erreichen.

Mein Körper allerdings lag immer noch im Wald - vollkommen zugeschneit. Auch mein geliebter Porsche stand noch an derselben Stelle.

„Wieso vermisst mich denn niemand?“

„In deinem Büro vermisst man dich schon, der Arbeit wegen. Aber wer soll dich in deinem Zuhause vermissen - vielleicht deine Designereinrichtung?“

„Nun, ganz so trostlos ist es ja auch nicht. Schließlich kannte ich eine Menge Leute und verfügte über einen sehr großen Freundeskreis!“

„Du belustigst mich, Rainer! Was verstehst du unter Freundschaft? Du kanntest eine große Schar von berechnenden Geiern. Niemanden deiner so genannten Freunde hast du wirklich gemocht. Du hast sie zu deinem Vorteil benutzt, so wie auch sie dich aus denselben niederen Gründen um sich geduldet haben.“

„Aber was ist mit Werner, mein Kompagnon und wirklich bester Freund? Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen und haben gemeinsam die Firma aufgebaut.

Er wird mich nicht nur als Partner, sondern vielmehr als Freund vermissen - ganz sicher!“

„Schön, dass du das Beste von ihm denkst!“

Wie ihr euch schon denken könnt, dachte ich mich auf der Stelle in Werners Büro.

Ich sah ihn über Aktenberge brüten. Es war mir möglich, in seinen Geist einzutauchen und seine Gedanken wahrzunehmen:

„Wo treibt das Arschloch sich bloß wieder herum? Wahrscheinlich wieder versackt bei irgendeiner Tussi.“

Ich war geschockt über seine Denkweise. Mit der Energie meines Geistes ließ ich auf der Stelle alle Lampen flackern, bis Werner auf den Gang hinausstürzte und hierbei völlig gereizt die erschrockene Lindner an der Rezeption anbrüllte: „Was ist hier los mit dem Strom?“

Oh, das machte Spaß. Ich trieb es jetzt in sämtlichen Räumen mit den Lampen und unterbrach die Stromzufuhr zu allen Computern. Die Lindner rannte aufgeregt zum Sicherungskasten und rief völlig außer Atem: „Es sind alle Sicherungen an ihrem Platz!“ Werner schob das nervöse Frauenzimmer hieraufhin barsch zur Seite und überzeugte sich selbst von ihrer für ihn unglaubwürdigen Aussage. Die Lampen flackerten weiterhin - an - aus - an - aus, immer schneller im fliegenden Wechsel, bis die Röhren platzten. Ich trieb es richtig bunt, wie ein kleiner Poltergeist, und zog aus dem ganzen Tohuwabohu immer mehr Energie, so dass es in dieser verflixten Firma mittlerweile jedem dämmern musste, dass hier wohl übernatürliche Kräfte am Werk sind.

Werner schrie völlig außer Kontrolle die Mitarbeiter an.

Offensichtlich hatte er Schiss.

„So, mein Freund, das ist für das Arschloch, das bei der Tussi versackt ist!“, dachte ich voller Genugtuung.

Ihr seht, meine Lieben, das Totsein hat auch eine lustige

Seite.

„Entdecke ich hier Rachegelüste?“

„Ja, gönne mir doch diesen kleinen Spaß.“

„Nun ja, wenn es dir Spaß macht und du niemandem erheblichen Schaden dabei zufügst, ist das schon in Ordnung. Auch ich bin für Spaß zu haben. Übertreibe es aber nicht - es ist jetzt genug!“

„Habe schon begriffen.“

„Du lernst schnell - schön für dich!“

„Ich glaube, mit dir kann man Pferde stehlen. Du bist ein richtiger Kumpel.“

„Ich bin, der ich bin. Ich war - Ich bin und Ich werde sein!“

„Oh, jetzt hast du mich aber erschreckt. Das hört sich so förmlich an - so nach Bibelkram und dem Allmächtigen!“

„Rainer, du schaffst wieder eine Distanz zwischen uns. Warum bist du erschrocken?“

„Na ja, ist ja nicht gerade die Regel, mit dem Allmächtigen zu kommunizieren.“

„Aber doch, mein Lieber, das ist die Regel!“

„Für mich nicht, denn ich habe nicht an dich geglaubt. Der ganze religiöse Kram war mir einfach zu suspekt - nicht rational genug. Wer seinen Verstand einsetzt, der kann das einfach nicht glauben.“

„Ach, Rainer, du bringst mich zum Lachen!“

„Schön, dass du auch lachen kannst. Ich dachte immer - vorausgesetzt, dass es dich gibt -, dass du sehr ernst und unnachgiebig bist, dass du keinen Spaß verstehst, dass du eben so eine richtige Spaßbremse bist. Irgendwie hast du so gar nicht in mein Schema gepasst. Ich wollte mit dir nichts zu tun haben.“

„Weil du so von mir gedacht hast, bin ich dir auch so begegnet!“

„Was sagst du da? Das würde ja bedeuten, dass Gott sich nach unseren Vorstellungen richtet. Außerdem bist du mir in meinem Leben gar nicht begegnet. Hättest mich ruhig noch ein wenig in meinem Körper lassen können. Ich wollte noch nicht sterben, das kannst du mir glauben!“

„Mein lieber Rainer, zunächst musst du einmal wissen, dass du ein Teil von mir bist - du bist in mir und ich in dir. Du kannst also gar nicht getrennt von mir sein. Ich war immer da - auch zu deinen Lebzeiten. Aber da du mich abgelehnt hast, war ich in dir tot. Du hast mich durch deinen Unglauben nicht zum Leben erweckt. Ich konnte nichts für dich tun - du warst auf dich allein gestellt. Du lebtest abgelöst von Gott!“

„Ich lebte demnach gefährlich. Also, wenn man nicht an dich glaubt, hat man die ‚Arschkarte‘ gezogen. Ist das so?“

„Du bringst es auf den Punkt! Ich würde es aber anders ausdrücken. Ein Leben mit Gottes Unterstützung ist wesentlich leichter als das Leben im Alleingang.“

„Ist doch egal, wie man es ausdrückt. Wenn man nicht an dich glaubt, ist das Leben - wie du es sagst - unnötig schwer.

Es gibt aber bekanntlich sehr viele Menschen, die hochgradig gläubig waren und trotzdem von dir verlassen wurden. Was hat ihnen ihr fester Glaube letztendlich gebracht? Du hast sie im Stich gelassen. Was denkst du dir nur dabei?“

„Ich werde später darauf zurückkommen.“

„Jetzt weiche nicht aus. Wenn du willst, dass wir miteinander auskommen, dann will ich jetzt eine Antwort.“

„Du bist ungeduldig. Aber wenn du darauf bestehst, will ich es dir einigermaßen verständlich machen!“

„Da bin ich aber gespannt, wie du dich da herausreden willst.“

„Ich brauche mich nicht herauszureden. Es gibt ein Prinzip. Zunächst musst du einmal begreifen, dass Gott nicht wie ein Zauberkünstler oder Superman arbeitet. Was würde dir zum Beispiel die Lösung einer mathematischen Aufgabe bringen, wenn du den Rechenweg nicht verstehen würdest? So hat alles seinen Entwicklungsprozess. In großen Veränderungsprozessen der Menschheit geschehen oftmals Tragödien, die mit Scheitern, Kriegführen, Ungerechtigkeit sowie Mord und Totschlag zu tun haben. Ihr müsst erleben, um zu erkennen. Ihr benötigt Spiegel, die euch drastisch zeigen, was ihr anrichtet, wenn ihr nicht in der Liebe lebt. Nicht in der Liebe leben bedeutet die Abgelöstheit von Gott. Gottlose Führer erschaffen gottlose Gesellschaften, in denen das Böse, das mit unschuldigen Opfern gespeist wird, triumphiert.

„Was würdet ihr lernen, wenn Gott immer eingreifen und euch ständig alle Probleme wegzaubern würde?“

„Jetzt erlaube aber mal, ich rede hier nicht von einfachen Problemchen, sondern von Situationen, in denen unschuldige Menschen geopfert werden. Warum schreitest du hier nicht ein? Warum nur lässt du das zu?“

„Weil die Welt Gott nicht zulässt!

Mein lieber Rainer, auch du hast gottlos und somit nicht in der Liebe gelebt. In deinem grenzenlosen Egoismus hast du viele Existenzen vernichtet. Hast du dich jemals dabei gefragt, welches Leid du damit unter die Menschen gebracht hast? Du hast Lebensgrundlagen zerstört. Das ist ebenso schlimm, als hättest du die Menschen umgebracht, denn du hast sie in die Verzweiflung getrieben.

„Siehst du, jetzt fragst du mich nicht, warum ich das zugelassen und dir nicht Einhalt geboten habe?“

„Autsch, das hat gesessen. Klagst du mich jetzt an?“

„Nein, ich stelle nur fest!“

„Lass uns bitte damit aufhören. Ich kann das alles nicht verstehen und auch nicht ertragen!“

„Ich habe dir ja gesagt, ich werde später darauf eingehen. Um zu verstehen, benötigst du einen Entwicklungsprozess - Schritt für Schritt. Deine Ungeduld aber will immer alles sofort.“

„Ja, ja - schon gut! Jetzt würde ich lieber mal wieder nach meinem Körper sehen.“

*

Habt ihr das alles verstanden? Wahrscheinlich geht es euch wie mir. Ihr seid restlos verwirrt. Es ist schon irgendwie cool und ganz schön abgefahren. Verstehe einer den lieben Gott. Ihr seht, selbst als Toter hat man hart daran zu knacken. Lasst uns jetzt einfach mal entspannen und in die irdische Welt zurückkehren.


Endlich war da ein Spaziergänger mit einem Hund. Mein Gott, ich hätte das Tierchen küssen können, als es meinen zugeschneiten Körper entdeckt hat. Das war eine stolze Leistung für das Hündchen, zumal mein Körper durch die Kälte gut konserviert war und noch nicht stinken konnte.

Jetzt kam aber Leben in das Geschehen: Polizei - Kripo - Leichenwagen, alles zügig - und dann ab die Post auf den Seziertisch zur Feststellung der Todesursache. Auch mein über alles geliebter Porsche wurde jetzt abgeschleppt.

„Oh, das tat weh!“

Totsein ist schon sehr entbehrungsreich. Nie wieder würde ich mit diesem anbetungswürdigen Gefährt durch die Gegend düsen können. Ich glaube, der Porsche war ausnahmslos das Einzige in meinem Leben, das ich wirklich von ganzem Herzen geliebt habe. Für meinen körperlosen Zustand war diese Erkenntnis gelinde ausgedrückt schon recht niederschmetternd, da das andere Bewusstsein alles mitbekam. Es klagte mich zwar nicht an, aber es wies mir den Weg zur Selbsterkenntnis. Das war schon sehr beschämend, zumal ich mir weiterhin die größten Sorgen um einen seelenlosen Gegenstand machte.

„Wer sollte meine ‚Puppenaufreißkiste‘ - wie Werner sich stets über den Porsche belustigt hatte - jetzt bekommen?“, hämmerte es voller Panik in meinem Bewusstsein. Ich war total verwirrt, sollte es aber ganz und gar nicht sein, denn schließlich war ich tot. Ich fragte mich, wo der Zustand des absoluten Friedens war? Mich jedenfalls hatte er nicht erreicht. Dafür plagten mich Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Obwohl ich gestorben war, hatte ich keine Ahnung vom Sinn des Seins. Außer, dass ich irgendwie als Bewusstsein oder Energie weiter existierte, wusste ich nichts. Wozu also diese ganze Prozedur? Ich machte mir weiterhin Sorgen um meine weltlichen Belange und obendrein um meine Zukunft als Jenseitiger. Sollte das jetzt ewig so weitergehen? Hier war einfach nichts los, außer der Kommunikation mit dem anderen Bewusstsein. Aber ich vermisste die Freuden des Lebens und die Menschen. Oh Mann, ich hätte abhauen können. Aber wohin?

Sicher, ich konnte mich mühelos an jeden Ort der Welt begeben. Aber was nützte es mir? Ich war immer nur ein teilnahmsloser Zuschauer, den niemand wahrnehmen konnte - jemand aus einer anderen Welt, der nicht mehr dazugehörte.

Als ich meine Firma erneut heimsuchte, hatte inzwischen alle die Todesnachricht erreicht. Sie waren über die Unfassbarkeit meines plötzlichen Todes spürbar erschüttert. Das Ereignis hatte die gesamte Firma in einen Schockzustand versetzt. Aber ich fand niemanden, der auch nur eine Träne um mich weinte. Das hatte ich nicht erwartet.

„Eiskaltes Pack!“, dachte ich. Am liebsten hätte ich wieder die Lampen flackern lassen. Aber auch hierzu hatte ich nicht wirklich Lust, denn es gab offensichtlich für mich keinen Ort, wohin ich hätte gehen können. Sicher, ich existierte weiter, aber ich fühlte mich nicht wohl. Wenn das nun das allgemein gepriesene Paradies sein sollte, so konnte ich sehr gut darauf verzichten. Für mich jedenfalls war es die Hölle.

„Dann doch lieber für immer weg - und aus die Maus!“, dachte ich in meiner Verzweiflung.

Irgendwie freute ich mich aber doch auf meine Beerdigung. Da würde wenigstens wieder etwas los sein, was ich beobachten konnte. Ich war schon mächtig gespannt darauf, wer zu diesem Ereignis wohl auftauchen würde. Da ich mich jetzt mühelos in jeden Geist begeben konnte, würde es äußerst interessant werden, die Gedanken der Heuchler wahrzunehmen. Ich konnte es gar nicht erwarten. Sogleich stellte ich fest, dass ich auch nicht warten musste. Für mich gab es weder Gegenwart, Zukunft noch Vergangenheit. Ich war überall sofort präsent, wenn ich nur daran dachte. Das, meine Lieben, war nun auch wieder prickelnd und söhnte mich mit meinem Zustand ein wenig aus.

Mann, oh Mann, war das eine Schau. Die Trauerhalle glich einem einzigen Blumenmeer. Kränze über Kränze mit Abschiedsgrüßen von Freunden und Klienten. Das tat schon gut, das muss ich zugeben. Der schwere dunkle Sarg mit meiner sterblichen Hülle bereitete mir allerdings ein wenig Unbehagen. Nun, ich wollte gern einen letzten Blick auf meinen Körper werfen, war mir aber nicht ganz sicher, ob ich das tun sollte. „Ach du Schreck, ich hätte nicht daran denken sollen!“ Der Anblick war ekelerregend. Dieser Körper war fertig - reif für die Mülldeponie. „Gott sei Dank, dass der Deckel bereits auf der Nase war, so dass niemand dieses unansehnliche Stück Fleisch besichtigen konnte“, dachte ich und begab mich zur Ablenkung an das Friedhofstor. Hier erblickte ich eine ganze Armada von sündhaft teuren Luxuskarossen. Die zahlreichen Trauergäste drängten mit ernst aufgesetzten Mienen durch das Friedhofstor. Es war wohl die Beerdigung des Jahres auf diesem kleinen Vorstadtfriedhof. Aber wo blieb Werner? Ich konnte ihn nirgendwo entdecken. „Das würde er doch nicht fertig bringen, meiner Beerdigung fernzubleiben“, dachte ich ziemlich aufgebracht. Aber dann, Leute, sah ich meinen Porsche, wie er um die Ecke bog. Mir blieb vor lauter Rührung das Herz stehen. So fühlte ich, obwohl ich kein Herz mehr hatte. Als hätte Werner es gewusst, dass ich noch einmal einen Blick auf mein geliebtes Auto werfen wollte. „Guter Freund!“, dachte ich voller Dankbarkeit, während ich die unwiderstehlichen Rundungen des Porsche bewunderte. Das war eine Riesenüberraschung - besser als jeder Blumenkranz - das absolute Highlight meiner Beerdigung. So weltlich verbunden war ich noch zu diesem Zeitpunkt.

Nun wollte ich aber die Trauerfeier begutachten. Mal schauen, wer sich wohl ein Tränchen abdrücken konnte. Vollkommen überfüllt war diese sakrale Örtlichkeit. Nicht jeder hatte bei diesem traurigen Ereignis das Glück gehabt, einen Sitzplatz zu erhaschen. Die erste Reihe war mit meiner Familie belegt. Ja, meine Lieben, ich hatte eine Familie, die mir allerdings während meines Erdendaseins ziemlich auf den Wecker gegangen ist. Nun saßen sie hier in der ersten Reihe und überlegten sich bereits, wie und was sie von mir erben konnten. Es ist einerseits schon ganz schön vorteilhaft, Gedanken wahrnehmen zu können, aber andererseits kann die ungeschminkte Wahrheit auch entsetzlich wehtun. Vetter Diethelm und Ehefrau Michaela mit ihren schlecht erzogenen, völlig verstrahlten Teenagern Charlotte und Marvin machten sich augenblicklich die allergrößten Sorgen darüber, ob ich wohl an ein Testament gedacht hatte. In diesem Fall, das wussten sie nur zu genau, hätten sie nichts zu erwarten. Jetzt beteten sie voller Inbrunst zu Gott, dass die gesetzliche Erbfolge eintreten möge, da sie meine einzigen noch lebenden Verwandten waren. „Oh, sie taten mir fast leid. Für wie blöde hatten die mich bloß gehalten?“

Natürlich hatte ich ein Testament hinterlassen - wenn auch nicht in allen Einzelheiten - aber doch dahingehend vorsorgend, dass die mir verhasste Mischpoke jetzt ganz umsonst betete. Ich konnte mich einer gewissen Schadenfreude nicht entziehen, zumal die berechnenden Gebete der überaus frommen Verwandtschaft nicht eine einzige Fürbitte für meine unsterbliche Seele beinhalteten.

Mein Gott, was für ein Trara. Viele Leute fühlten sich verpflichtet, hier eine kleine Rede zu halten. „Ach, was war ich doch für ein herausragender Mensch!“ wenn man ihren selbstdarstellerischen Ausführungen Glauben schenken wollte. Mir war dieser Zirkus mittlerweile egal. Ich wollte dem ganzen Geschehen schon ziemlich angewidert entfliehen, als ich plötzlich Röschen entdeckte.

Völlig in sich gekauert weinte die treue Seele still vor sich hin, und ihre Tränen wurden ausgelöst von ehrlicher tief empfundener Trauer. Es tat so gut, endlich einen Menschen gefunden zu haben, der meinen Tod aufrichtig bedauerte.

Röschen, meine langjährige Sekretärin, hatte mich insgeheim immer geliebt. Jetzt, wo ich ihre Gedanken lesen konnte, wurde mir diese aufrichtige Liebe bewusst. Nein, das stimmt nicht so ganz. Ich hatte das schon zu meinen Lebzeiten bemerkt, aber vollkommen ignoriert. Röschen passte schon rein äußerlich so gar nicht in mein Beuteschema. Sie war aber meine Verbündete, die mich niemals enttäuscht und mir immer den Rücken freigehalten hatte. Hierbei musste sie sehr oft für mich lügen und viele unangenehme Dinge erledigen, die über die Arbeit einer Sekretärin wohl weit hinausgingen. So hatte sie meine zahlreichen Damenbekanntschaften, die fast immer gleichzeitig liefen, koordinieren müssen. Für diese Dinge benötigte sie einen separaten Terminkalender, der alle Vermerke über Eigenschaften sowie Vorlieben der verwöhnten Damen enthielt, so dass Röschen oftmals für meine privaten Belange Überstunden machen musste. Sie war wohl die verständnisvollste und warmherzigste Frau, die mir jemals über den Weg gelaufen ist. Trotz all dieser wunderbaren Qualitäten lebte sie zu meinem großen Unverständnis allein. Gewiss, sie gehörte nicht gerade zu den auffallenden Schönheiten, aber ganz bestimmt war sie auch nicht hässlich - nur ein wenig zu klein geraten und auch ein bisschen zu pummelig in der Figur - und vielleicht ein kleines bisschen zu unvorteilhaft gekleidet. Jedenfalls waren mir all diese Äußerlichkeiten bei Röschen nicht wichtig. Ich wollte ja nichts von ihr. Ich sah sie lediglich als Kumpel, bei dem ich mich wohl fühlte und alle meine Probleme abladen konnte.

Dagegen ließen mich die langen Beine von Vera auch in meinem jetzigen Zustand noch in Verzückung geraten. Sie trug ein hautenges, schwarzes Kostüm mit einem sehr kurzen Rock, der nichts von dem rassigen Fahrgestell verhüllte. Vera war rein äußerlich gesehen ein Vollblutweib der Extraklasse. Aber all ihre Gedanken drehten sich selbst bei diesem traurigen Ereignis ausschließlich um ihre Schönheit. Sie weinte weder eine Träne noch verschwendete sie einen Gedanken an meine unsterbliche Seele. Ihr werdet es nicht glauben, in diesem Augenblick überlegte sie sich tatsächlich, ob sie es wohl wagen könnte, sich während der Trauerfeier die Lippen nachzuschminken. Ich trug ihr diese Oberflächlichkeit nicht nach. Die Kleine war einfach unwiderstehlich und zuckersüß, aber eben auch eine ziemliche Hohlbirne. Alle meine Verflossenen fuhren letztendlich auf dieser Schiene. Nur auf Äußerlichkeiten ausgerichtet hatten sie sich ganz schön herausgeputzt und jede von ihnen beäugte jetzt neidisch die Konkurrenz. Diese Trauerfeier bedeutete für sie nicht etwa das würdevolle Abschiednehmen von einem guten Freund, sondern sie sahen darin eher einen Event der Extraklasse - ein Sehen und Gesehenwerden. Ja, so waren sie, meine so genannten Freunde und Geliebten. Sie waren nichts anderes als Spiegel meiner selbst.

Werner allerdings verzog keine Miene. Er saß wie versteinert auf seinem Platz und starrte gedankenverloren auf den Sarg: „Mensch, Alter, was mache ich jetzt bloß ohne dich?“

Er trauerte tatsächlich um mich und machte sich die größten Sorgen darüber, wie es nun ohne mich mit der Firma weitergehen sollte - vor allem finanziell. Werner geriet hierbei geistig in Panik. Er tat mir aufrichtig leid, denn er sorgte sich völlig umsonst. Ich versuchte, mich in seine Gedanken einzuschleichen. Aber es war schwer, seinen wirren Geist zu erreichen:

„Keine Angst, mein Freund, dafür habe ich gesorgt, dass du nichts von unserer Firma an meine gierigen Verwandten abtreten musst!“

Meine Botschaft kam nicht an. Werner war vollkommen durcheinander.

Nun, dann musste er jetzt da durch. Ich konnte es nicht ändern.

So langsam hatte ich auch die Nase voll von dieser Feier. Eigentlich interessierte es mich absolut nicht mehr, was die Leute über mich sagten oder dachten. Es fiel mir schon wesentlich leichter, alles hinter mir zu lassen.

„Nun, das hört sich gut an - er macht Fortschritte“, werdet ihr jetzt denken. Aber für einen Jenseitigen sieht das alles ein wenig anders aus. Hier kann man keine Zukunftspläne schmieden und keinen neuen Weg beschreiten. Hier ist nichts, aber auch wieder alles.

Jedenfalls befand ich mich derzeit im Nichts und ich suchte das Alles.

Haltet mich nicht für verrückt. Besser kann ich es euch momentan nicht erklären. Das Nichts nahm ich als Seinsform ohne jegliche Bedürfnisse wahr. Aber ich empfand diesen Zustand nicht als Frieden oder gar Glückseligkeit, sondern eher als unerträgliche Langeweile ohne Hoffnung auf ein wenig Abwechslung. Einfach öde, das könnt ihr mir glauben.

„Rainer, was ist denn jetzt so öde an deinem jetzigen Zustand?“

Das andere Bewusstsein meldete sich wieder.

„Das fragst du noch? Was bitte soll ich jetzt tun?“

„Sei doch nicht so ungeduldig, mein Sohn. Vertraue mir!“

„Ach, lass mich doch in Ruhe. Warum hast du mich nicht noch ein wenig leben lassen? Ich habe mein Leben wirklich genossen, und jetzt hänge ich hier ab und weiß nicht, wie es mit mir weitergeht.“

„Ich verstehe dich!“

„Na, das ist ja mal was!“

„Geduld ist nicht gerade deine Stärke. Aber das lernst du schon noch. Nun sage mir erst einmal, was du an deinem Leben derart wunderbar empfunden hast, dass du es so sehr vermisst?“

„Nun, ich war beruflich ziemlich erfolgreich. Ich hatte genügend Geld, um mir alle Annehmlichkeiten des Lebens zu ermöglichen. Gut, ich gebe zu, dass ich sehr wenig Zeit hatte, um etwas für mich zu tun.“

„Um etwas für dich zu tun?“

„Ja, ich hatte nicht viel Freizeit, um mein Leben ausgiebig zu genießen. Aber ich war zufrieden - meine Arbeit füllte mich aus!“

„Ich nehme bei all deinen Aussagen immer nur die pure Ichbezogenheit wahr. Hast du jemals versucht, Licht in die Welt zu bringen?“

„Licht in die Welt bringen? Was meinst du damit?“

„Rainer, Rainer, du bist wahrlich ein harter Brocken. Nun gut, dann werde ich mich deutlicher ausdrücken. Hast du in deinem Leben auch einmal an andere gedacht? Hast du vielleicht einmal völlig selbstlos ohne Berechnung für irgendjemanden ein Opfer gebracht?“

„Nein, das habe ich nicht. Andere Menschen waren mir egal. Ich hatte eine schlechte Meinung von ihnen. Du hast es doch auf meiner Beerdigung gesehen, wie sie sind - heuchlerisch, gierig und berechnend, völlig auf sich selbst ausgerichtet und wenig liebenswert!“

„Empfindest du dich anders, mein Sohn?“

„Nein, ich bin nicht besser als sie. Jetzt kannst du mich verurteilen - ist mir auch egal!“

„Warum sollte ich?“

„Nun, weil ich ein so schlechter Typ bin!“

„Bitte, Rainer, beruhige dich. Ich bin nicht der, der anklagt und richtet. Ich bin der, der versteht - der hilft - der liebt. Ich will, dass du mich kennen lernst, damit du verstehst!“

„Du liebst mich trotzdem?“

„Ja, ich liebe dich trotzdem. Ich nehme dich an - so wie du bist und ich helfe dir, dich weiterzuentwickeln. Hierbei geschehen manchmal Dinge, die du zunächst negativ einstufst, weil sie dir unangenehm sind. Du siehst keinen Sinn darin - kein Fortkommen, sondern eher eine Blockade, eine Strafe. Aber glaube mir, sie sind wichtig für deinen Entwicklungsprozess.

„Dann ist mein viel zu frühes Ableben also wichtig für meinen Entwicklungsprozess?“

„Auf geistiger Ebene - ja!“

„Ich war also zu nichts mehr nütze in der materiellen Welt.“

„So würde ich es nicht sagen. Alles hat nun einmal seine Zeit in der vergänglichen materiellen Welt. Dass dein Herz versagte, hast du dir allerdings selbst zuzuschreiben. Es war deine eigene Dummheit, die dich aus dem Leben gerissen hat.“

„Aber du hättest mein Herz wieder zum Schlagen bringen können!“

„Es hat mich niemand darum gebeten!“

„Was sagst du da? Hätte dich jemand darum gebeten, dann hättest du mir geholfen?“

„Ja - schon möglich, wenn dich jemand sehr gebraucht hätte!“

„Ich glaube das nicht - ich bin empört!“

„Du hast deinem Leben selbst ein Ende gesetzt, weil du mit deinem alternden Körper nicht klargekommen bist. Du wolltest die ewige Jugend. Warum hast du nicht innegehalten, als dir die Luft ausging? Deine Eitelkeit hat dich so weit getrieben, dass du dein Herz überfordert hast. Meine warnende Stimme konntest du nicht hören, weil du nicht an mich geglaubt hast. Es war deine Entscheidung. Was hätte ich tun sollen?“

„Aber du hättest mich doch wieder ins Leben zurückbringen können, als es geschehen war. So eine Art Wunder - das wäre es doch gewesen!“

„Niemand hat dich wirklich gebraucht!“

„Also, das sagte ich doch, ich war zu nichts mehr nütze!“

„Ich sage dir, dein Tod war ganz einfach die natürliche Konsequenz deiner Leichtsinnigkeit. Nimm es bitte so an. Es gibt keinen Weg in dein Leben zurück. Du weißt, dass ich nicht wie ein Zauberkünstler arbeite.“

„Nun, das erwarte ich auch nicht, nachdem ich meine sterbliche Hülle im Sarg gesehen habe. Dieser Anblick hat mir schon einen gehörigen Schreck eingejagt.“

„Du siehst, Rainer, man darf der Materie nicht zu viel Bedeutung beimessen. Sie ist vergänglich. In diesem Bewusstsein solltet ihr Menschen eigentlich leben, damit ihr wirklich jede Sekunde voll auskostet. Aber ihr sträubt euch gegen den Prozess des Alterns und stemmt euch somit gegen den Fluss des Lebens. Wer gegen den Strom schwimmt, macht es sich unnötig schwer. Derjenige muss ständig gegen das Ertrinken ankämpfen. Wer sich aber mit dem Strom treiben lässt, der wird getragen.

Jetzt, mein lieber Rainer, existierst du als wahres Ich - als Bewusstsein ohne jegliche Bindung an einen Körper. Dieser hat ausgedient und löst sich auf.“

„Demnach ist er also austauschbar? Ist das richtig? Könnte ich dann bitte jetzt sofort einen neuen Körper bekommen?“

„So weit sind wir noch nicht. Du bist mal wieder viel zu ungeduldig!“

„Das verstehe ich nicht. Hier vergeude ich doch nur die Zeit. Mit einem neuen Körper könnte ich wieder von Nutzen sein. Ich will dann auch ein wenig anders leben - das verspreche ich dir. Jetzt weiß ich, wie man es besser machen kann.“

„Rainer, Rainer, du bringst mich mal wieder zum Lachen. Hier gibt es keine Zeit. Begreife, dass du in der Schule des Geistes in der ersten Klasse sitzt - und hier haben wir erst angefangen. Du hast gerade die Einschulung hinter dich gebracht.“

„Es freut mich, dass ich dir so viel Spaß bereite. Wenigstens als Hofnarr scheine ich mich zu eignen. Aber sage mir, hört das eigentlich niemals auf mit der Lernerei?“

„Nein, niemals!“

„Das sind ja schöne Aussichten!“

*

Leute, ich sage euch, ich begriff zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig und sehnte mich nach meinem Leben zurück. Das andere Bewusstsein ging mir - wie ihr es sicher schon bemerkt habt - ganz schön auf den Wecker. Obwohl es mir nun wirklich gut gesonnen war und mir in meiner Verlorenheit als Jenseitiger sehr liebevoll und hilfreich zur Seite stand, konnte ich nicht anders, als ihm mit Trotz zu begegnen, weil ich mit meinem Zustand irgendwie nicht zurechtkam. Es war ja auch sonst niemand da, an dem ich hätte meinen Frust ablassen können.

Ich glaube, ihr versteht mich, denn ihr werdet als Lebende die gleichen Fragen und Bedenken haben. Damit es euch nicht langweilig wird, erzähle ich euch am besten mal wieder eine Episode aus meinem irdischen Leben.

Ihr erinnert euch gewiss noch an Röschen, meine gutherzige Sekretärin, die auf meiner Beerdigung aufrechte Tränen der Trauer vergoss. Ich sage euch, es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden, wie abscheulich ich mit Röschen umgegangen bin, so dass ich mich noch als Jenseitiger dafür schämen muss. Wahrscheinlich habe ich damals den größten Fehler meines Lebens begangen, weil ich viel zu sehr auf mich selbst ausgerichtet war.

Na ja, ihr wisst ja bereits, dass ich zu meinen Lebzeiten kein Sängerknabe war, so dass ich euch wahrscheinlich mit nichts mehr schocken kann. Es ist wichtig, dass ihr aus meinen Geschichten lernt, damit ihr nicht die gleichen Fehler begeht.

Nun bin ich der Letzte, der euch belehren kann. Hierzu eigne ich mich wirklich nicht. Aber als leuchtendes Beispiel, wie man es besser nicht machen sollte, bin ich perfekt.

Unsere Weihnachtsfeier im Jahr 2011 sollte der krönende Abschluss eines äußerst erfolgreichen Jahres werden. Werner und ich hatten hierfür ein Restaurant der Extraklasse ausgewählt. Die gesamte Belegschaft hatte sich schwer in Schale geworfen, zumal nach dem Speisen noch der Besuch einer Edeldisco auf dem Programm stand. Aber Röschen übertraf sie an diesem Abend alle. Bei ihrem Erscheinen blieb uns allen die Spucke weg. Sie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Röschen musste wohl offensichtlich bei einem Stylisten gewesen sein. Ihr Outfit war atemberaubend. Sie trug ein schlichtes kleines Schwarzes, das ihre mollige Figur fast schlank erscheinen ließ. Ihre bequemen Leisetreter, die kein Männerherz höherschlagen ließen, hatte sie treffsicher, passend zum Kleid, gegen aufregende Highheels eingetauscht, die das kleine Persönchen mindestens zehn Zentimeter größer erscheinen ließen. Ihr liebes Gesicht strahlte jetzt eine vornehme Schönheit aus. Es war raffiniert, aber dennoch dezent geschminkt. Auch das lange blonde Haar, das Röschen im Alltag stets einfallslos zusammengebunden trug, fiel ihr heute in weichen Wellen über die Schultern. Ich konnte meinen Blick gar nicht von ihr wenden und überschüttete sie mit Komplimenten, die sie einerseits sehr genoss, ihr aber andererseits auch sichtlich peinlich waren, so dass sie hierbei öfter errötete und verschämt zur Seite blickte.

Röschen war nun einmal ein sehr bescheidener, zurückhaltender Mensch, der nicht gern im Mittelpunkt stand. Jedenfalls wich ich an diesem Abend nicht von ihrer Seite. Für mich stand fest, dass ich mit diesem scheuen Aschenputtel die Nacht verbringen würde. Hierzu musste ich meine Beute erst einmal enthemmen. In der Disco flößte ich Röschen dann einen Cocktail nach dem anderen ein. Nachdem sie schon ziemlich angeheitert war, ging ich über zum Balztanz. Das war so meine Vorgehensweise, die eigentlich immer zum Erfolg führte. Eng umschlungen schwebte ich nun mit Röschen zu schwülstiger Schmusemusik über die Tanzfläche und flüsterte ihr Worte meiner Begierde ins Ohr. Ich sage euch, das haut die standfesteste Maid aus den Schuhen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich spürte, dass Röschen am ganzen Körper vor Erregung zitterte und zu Wachs in meinen Händen wurde. Jetzt wurde es höchste Zeit, die Örtlichkeit zu verlassen, damit mir mein Opfer letztendlich nicht noch entwischte, weil es nach dem reichlichen Alkoholgenuss von plötzlicher Müdigkeit übermannt wurde. Das konnte alles passieren und mir einen Strich durch die Rechnung machen.

Werner schüttelte den Kopf, als ich mit Röschen verschwinden wollte. „Du wirst doch wohl nicht mit Röschen!“

„Halte dich da gefälligst raus, mein Alter, schließlich ist sie meine Sekretärin“, entgegnete ich genervt.

Ziemlich empört rief er mir nach: „Du gehst über Leichen, Rainer, das ist wirklich zum Kotzen!“

Werners Moralpredigten waren mir völlig egal. Er war nun einmal der Bessere, aber auch der Langweiligere von uns beiden. „Kein Wunder, dass er sich so schwer tut mit den Frauen“, dachte ich im Hinausgehen.

Jedenfalls verbrachte ich eine heiße Liebesnacht mit Röschen und kam hierbei voll auf meine Kosten. Ihr mit reizvollen Rundungen gesegneter Körper war weich und anschmiegsam. Ich muss es zugeben, es war mit Abstand das Beste, was ich je erlebt hatte. Röschen war sehr sinnlich. Sie gab mir das Gefühl der absoluten Überlegenheit. Ihr zitternder Körper drängte sich dem meinen verlangend entgegen. Jede ihrer Bewegungen erschien mir wie eine Bitte um eine sofortige Erlösung der süßen lustvollen Qual. Ich genoss ihr großes Verlangen nach der Vereinigung und fand es wunderbar, dass sie hierbei nicht fordernd wurde, sondern mir die Alleinherrschaft des reizvollen Spiels übertrug. So ließ ich sie so lange unter mir zappeln, bis ich selbst vor lauter Lust kurz vorm Explodieren war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je ein Vorspiel derart lang hinausgezögert zu haben. Aber mit Röschen war es für mich ein Riesengenuss.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, schlief Röschen noch tief und fest. Sie sah aus wie ein Engel, unschuldig und verletzbar. Ich erwischte mich dabei, dass ich es schön fand, neben ihr aufzuwachen. Es war das erste Mal, dass es mich nicht nervte, eine Frau, mit der ich die Nacht verbracht hatte, am nächsten Morgen noch um mich zu haben. Jetzt freute ich mich sogar auf ein gemeinsames Frühstück.

Ich ging gut gelaunt in die Küche, kochte Kaffee und deckte den Frühstückstisch. Aber plötzlich wurde ich vom Teufel geritten. In meinem Kopf wüteten Attacken der bösesten Vorwürfe, die jenes zart aufkeimende Pflänzchen von Liebe auf der Stelle töteten: „Jetzt reicht es aber - höre sofort mit dieser Gefühlsduselei auf - du hast dich nicht mehr im Griff! Was ist mit deinen guten Vorsätzen? Eine feste Bindung ist nichts für dich - sie macht dich unfrei!“

Ich gehorchte dem bösen Geist und räumte den Frühstückstisch wieder ab. Der Höflichkeit wegen brachte ich Röschen lediglich einen Kaffee ans Bett und erklärte ihr hierbei ziemlich förmlich, dass ich jetzt schnellstens zu einem Termin aufbrechen müsste.

Röschen schluckte und ich bemerkte, dass es ihr schwer fiel, ihre Enttäuschung zu verbergen. Aber sie hatte sofort begriffen. Ich war ihr dankbar dafür, dass sie kein großes Trara darum machte und der vergangenen Nacht offensichtlich nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Während ich ihr ein Taxi bestellte, zog sie sich rasch an und begegnete mir ebenso förmlich, wie ich es ihr gegenüber tat. An der Haustür drehte sie sich noch einmal um, sah mit ihren großen blauen Augen direkt in die meinen und erwähnte abschließend: „Ich möchte Sie noch um eines bitten, Rainer.“ Sie siezte mich wieder. „Das Mädchen lernt schnell“, dachte ich voller Erleichterung, nicht ahnend, was jetzt kam.

„Nennen Sie mich bitte nicht immer Röschen, das klingt einfach respektlos. Mein Name ist Rosemarie!“

Bums - das hatte gesessen. „Röschen“ klang für mich ganz und gar nicht respektlos, sondern eher liebevoll. Mir war schon klar, dass sie mit ihrer diesbezüglichen Entscheidung künftig jegliche Vertrautheit, die über unsere Arbeit hinausging, ausschließen wollte. Nun, ich war gekränkt und wusste nichts zu erwidern. An diesem Tag plagte mich wirklich das schlechte Gewissen. Ich schämte mich für meine Verantwortungslosigkeit. Aber letztendlich war ich davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Alles andere hätte zu einer tieferen Beziehung geführt - und das wollte ich nicht.

Nie wieder erwähnten Röschen und ich ein Wort über die besagte Nacht. Wir verbannten sie einfach aus unserem Gedächtnis und machten arbeitsmäßig weiter wie bisher, allerdings mit einer sich hieraus ergebenden Konsequenz - aus dem naiven „Röschen“ wurde „Rosemarie“, die Respektperson.

*

„Bereust du dein Vorgehen?“

„Ach, du schon wieder!“

„Ja, ich schon wieder. Bereust du nun dein Vorgehen?“

„Irgendwie schon! Mit Röschen hätte ich wohl einen guten Fang gemacht. Ich glaube, mit ihr wäre ich glücklich geworden. Aber ich hatte Angst, mich zu binden und hierdurch unfrei zu werden.“

„Wer Angst vor Bindung hat, der ist unfrei!“

„Das kann ich so nicht sehen. Ich konnte schließlich machen, was ich wollte - war niemandem Rechenschaft schuldig.“

„Warst du glücklich dabei?“

„Es kommt darauf an, was man unter Glück versteht. Ich wollte allein leben und frei sein. Das habe ich getan. Ergo war ich wohl glücklich.“

„Ich sage dir, du warst es nicht!“

„Woher willst du wissen, was mich glücklich macht?“

„Weil du ein Teil von mir bist - weil ich alles über dich weiß - weil ich Dinge weiß, die du nicht weißt!“

„Ja, dann nenne mir die Allheilformel und lasse mich hier nicht so dumm dastehen!“

„Hier wären wir wieder bei deiner Ungeduld. Du willst die Lösung, aber verstehst den Rechenweg nicht. Ein Bergsteiger muss auch Schritt für Schritt alle Hindernisse an der steilen Wand überwinden, um den Gipfel zu erreichen. Du aber willst die schöne Aussicht genießen, ohne den Berg zu erklimmen. Wir sind also wieder auf dem Jahrmarkt, im Land der Zauberei, mein Lieber!“

„Warum muss denn immer alles mit derart viel Mühe verbunden sein? Wer sich nicht müht, hat demnach nichts zu erwarten. Manchmal hat man aber die Schnauze voll von all dem Mühen. Warum bekommt man dann nicht auch einmal etwas geschenkt, ein kleines Wunder - so ganz ohne Mühe? Das könntest du doch auch einmal tun in all deiner großen Barmherzigkeit!“

„Dein Sarkasmus belustigt mich!“

„Freut mich, dass du was zum Lachen hast. Aber was ist mit mir?“

„Was ist mit mir - was ist mit mir - was ist mit mir! Immer wieder dasselbe Lied. Rainer, lege doch mal bitte eine neue Platte auf!“

„Jetzt muss ich aber lachen. Diese Art von Humor liebe ich!“

„Siehst du, schon hast du dein kleines Wunder!“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Nein, ist es nicht!“

„Gibt es überhaupt Wunder?“

„Ja, Rainer, es gibt sie. Röschen war so ein Wunder. Leider hast du es zurückgewiesen. Wunder geschehen hinter den Dingen. Es sind positive Energien, die Ereignisse hervorrufen, auf die ihr keinen Einfluss habt. Ereignisse, die ihr als glückliche Zufälle bezeichnet. Es gibt aber auch die so genannten unglücklichen Zufälle. Das sind negative Einflüsse - also Negativenergien, die - naiv ausgedrückt - durch dunkle Gedanken hervorgerufen werden.“

„Also erschaffen wir unser Glück oder Unglück kraft unserer Gedanken selbst!“

„Im Prinzip ist das schon so, aber auch wieder nicht. Ganz so einfach ist das nicht. Aber durch eure Gedanken könnt ihr schon einiges in Gang setzen. Sie können wie ein Bumerang im positiven wie auch im negativen Sinne auf euch zurückkommen. Die Saat, die ihr aussät, trägt die entsprechende Frucht. Kraft der Gedanken übt jeder Einzelne unbewussten Einfluss auf das Weltgeschehen aus. So üben aber auch die gesamten Gedanken der Weltbevölkerung Einfluss auf jeden einzelnen Menschen aus. Die Gedanken eines Einzelnen sind aber nur ein winziger Draht im mächtigen Vernetzungskabel des Ganzen, dessen Energien gemischt und sehr konfus sind. Sie sind nicht rein - nicht weiß - nicht schwarz - nicht eindeutig zu definieren. Ein jeder wird unbewusst von ihnen beeinflusst!“

„Also haben wir bei aller Anstrengung so gut wie keinen Einfluss. Ist das so?“

„Rainer, stelle dir vor, du bist jetzt das winzige Drähtchen. Du bist das kleinste Teilchen in diesem mächtigen Vernetzungskabel, das überwiegend dunkle, zerstörerische Energie erzeugt. Du, das kaum zu erkennende Mikrodrähtchen, das positiv dagegen steuert, wirst nicht genügend Impulse geben können, um die Energie des Kabels umzupolen. Aber du gibst trotz aller Mühe nicht auf, sondern gehst unbeirrbar deiner Bestimmung nach. Es gelingt dir hierdurch, eine kleine Störung im System zu verursachen. Du tust, was du tun kannst. Darauf kommt es an!“

„Was nützt die kleine Störung, wenn sich hierdurch doch nichts ändert. Was würde demnach eine Änderung bewirken?“

„Viele kleine Störenfriede, die einen Kurzschluss verursachen.“

„Ich verstehe! Aber sage mir, kann man denn ausschließlich rein positiv sein?“

„Eine gute, sehr wichtige Frage!

„Stelle dir das Sein wie eine riesige Waage vor. Alles läuft rund, wenn die Waagschalen sich ausgleichen. Aber ist eine von ihnen überladen, so wird die Waage über kurz oder lang aus den Angeln gehoben. Jeder Mensch benötigt zum Ausgleich seiner Lebenswaage auch Negativenergie, um im Leben bestehen zu können. Sie ist sehr wichtig und nutzbar als Durchsetzungs- und Verteidigungskraft. In diesem Sinne ist Negativenergie absolut nichts Schlechtes, sondern etwas Notwendiges. Die Energien der beiden Waagschalen müssen sich gegenseitig unterstützen und harmonisch zusammenarbeiten, damit das Leben fließen kann.“

„Bedeutet das, dass selbst du zu einem Teil negativ bist?“

„Im naiven Sinne - ja!

Ich wusste, dass du diese Frage stellst. Nun, eure Wissenschaft ist derart weit gekommen, dass sie durch ihre Erkenntnisse Gott vollkommen ausschließt. Gott zu verstehen ist für euer kindliches Denken nicht ganz einfach. Die Entstehung des Universums erklärt ihr mit dem Urknall - eine Megaexplosion, die zufällig aus dem Nichts entstanden ist. Jeder Physiker sollte eigentlich wissen, dass aus einem Nichts auch nichts entstehen kann. Demnach müsste das Nichts neu definiert werden. Was ist es - und wer oder was hat die Energie zur Entstehung des Universums freigesetzt? Diese Fragen solltet ihr euch stellen. Ihr kommt gar nicht auf den Gedanken, dass hinter allem Geschehen eine mächtige, alles auslösende Intelligenz steht, die ihr das Nichts nennt. Nun, mir ist es gleich, wie ihr mich bezeichnet, sofern ihr mich nicht leugnet. Für euch sind alle Geschehnisse, deren Hintergründe ihr nicht erklären könnt, reiner Zufall. Zufall ist für euch auch, dass ihr Bewusstsein habt. Ihr seid aus Sternenstaub entstanden, durch die Explosion eines massereichen Sternes. Die Supernova enthielt bereits alle Daten der Evolution, um letztendlich euer Sonnengestirn und alles Leben auf dem Planeten Erde entstehen zu lassen. Wirklich nur Zufall - nicht vielleicht doch eine Intelligenz, die hinter allem steht? Ihr macht euch überhaupt keine Gedanken darüber, woher euer Bewusstsein kommt. Nach euren Theorien ist es einfach aus der Materie rein zufällig entstanden. Für die Materie ergibt der Geist aber keinen Sinn. Demnach wäre der menschliche Geist aus einem Nichtsinn entstanden und somit eigentlich ein Unsinn, der absolut keinen Sinn ergibt.

„Nun zu deiner Frage, Rainer. Eine Explosion erscheint zunächst einmal negativ, weil hier zerstörerische Energie am Werk ist, die alles bis dahin Gewesene vernichtet. Ich zerstöre aber niemals etwas aus purer Zerstörungslust, sondern aus Notwendigkeit, um etwas Neues, Besseres entstehen zu lassen. Energie ist zudem unzerstörbar - sie ist aber wandelbar. Auch ihr besitzt die Schöpferkraft, weil ihr ein Teil von mir seid. Ihr könnt erschaffen und zerstören und selbst entscheiden, welcher Kraft ihr dienen wollt. Nun ist, wie ich es bereits erwähnte, Zerstörung äußerst konstruktiv, um etwas Neues entstehen zu lassen. Altes muss gehen, damit Neues kommen kann. Das ist der gesunde Fluss des Lebens, in dem sich Negativ- und Positivenergie die Waage halten und beim Einsetzen der Schöpferkraft zusammenfließen.“

*

Als Gott dem Unternehmensberater R. begegnete

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