Читать книгу Kants ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ - Philipp Richter - Страница 6
Vorbemerkung
ОглавлениеDieser Kommentar zu Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ist für all diejenigen gedacht, die nicht auf eine Inhaltsangabe vertrauen, sondern eine selbständige Auseinandersetzung mit Kants Text versuchen wollen. Es empfiehlt sich daher, die Grundlegung immer griffbereit zu haben, um das eigene Verständnis und die Erläuterungen des Kommentars direkt am Text überprüfen zu können.
Das Vorgehen des Kommentars ist systematisch und nicht philosophiegeschichtlich; es wird auf historische Ausführungen zur Text- und Rezeptionsgeschichte der Kantischen Schrift sowie auf ein Referat philosophischer Positionen und Diskussionshintergründe des 18. Jahrhunderts weitgehend verzichtet.1 Vielmehr wird Kant möglichst direkt als philosophischer Gesprächspartner angesprochen, der eine klare Fragestellung formuliert und im Zuge ihrer Beantwortung Argumente vorbringt. Es geht darum, die einzelnen Schritte der Argumentation sowie ihren Gesamtzusammenhang möglichst transparent zu machen.2 Aus diesem Grund soll der Text – dem principle of charity folgend – stark gemacht werden, immer mit dem Zweck, Kants Gedanken so kohärent wie möglich zu verstehen. Die textanalytische Darstellung ist dabei freilich nicht standpunktlos, sondern geht von einer „methodischen Kontinuität“3 der theoretischen und praktischen Philosophie Kants aus (mehr dazu in der Einleitung). Der Kommentar will also schwere Textpassagen oder scheinbare Lücken der Argumentation nicht vorschnell als dogmatisch-spekulative Setzungen im Sinne einer „vorkritischen Metaphysik“4 abtun.
Sicherlich ist Kants kurze Abhandlung von 1785 an inhaltlicher Tiefe und methodischer Stringenz kaum zu überbieten. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – gilt Kants Moralphilosophie vielen prominenten Kritikern als weltfremder Formalismus (Hegel) oder gefühlloser Rigorismus der Pflicht um der Pflicht willen (Schopenhauer). Tatsächlich scheint ein flüchtiger Blick in die Grundlegung auch Anlass zu solchen Vorwürfen zu geben. Wer aber genauer hinschaut und versucht, die Grundlegung in erster Linie immanent zu kritisieren, erkennt, dass Kant ausgehend vom moralischen Urteil des Alltagsverstandes terminologisch strenge Unterscheidungen für dessen rationale Klärung vorschlägt – in begrifflicher Hinsicht ist Kants Vorgehen also in der Tat rigoros. Darauf muss man sich freilich einlassen bei einem Text, der explizit nicht allzu gefällig und zugänglich formuliert wurde, um keine vorschnelle „Parteilichkeit“ für sein Anliegen, das absolute Moralprinzip zu explizieren, hervorzurufen. Was letztlich dazu führen würde, die Argumente der Grundlegung nicht mehr „ohne alle Rücksicht“ kritisch zu prüfen, sondern nur noch als Dogmen zu rezipieren (AA IV, 392)5.
Und in der Tat ist die Diskussion der Grundlegung noch heute in vollem Gange. Viele Fragen der Interpretation gerade zentraler Stellen des Textes sind alles andere als einmütig geklärt. Vor allem der Dritte Abschnitt der Grundlegung verweigert sich scheinbar einer klaren Deutung – vielen Interpreten gilt er als „dunkel“: Wie z.B. rechtfertigt („deduziert“) Kant die Vorstellung eines unbedingten Sollens? Ist diese Deduktion des kategorischen Imperativs erfolgreich? Weshalb ist die Unerklärbarkeit von Freiheit dabei kein Problem, sondern eher ein Vorteil für die Kantische Argumentation? Und gleiten Kants Ausführungen nicht doch in den Bereich metaphysischer Spekulationen ab, wenn er von einem „eigentlichen Selbst“ des Menschen oder einer Sinnen- und Verstandeswelt spricht? Angesichts derartiger Fragen wird der Kommentar auch auf widerstreitende oder alternative Interpretationen der Grundlegung Bezug nehmen müssen.6
Ich möchte vor allem Prof. Christoph Hubig danken, der mich motiviert und unterstützt hat, das Projekt eines Kommentars zur Grundlegung in die Tat umzusetzen. Darüber hinaus danke ich den Darmstädter Kollegen sehr herzlich für Diskussion und Kritik, allen voran Dr. Michael Nerurkar und Dr. Jan Müller.
Stuttgart, im März 2013