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Vorwort

In den gesellschaftlichen und politischen Streitigkeiten während und nach der Flüchtlingskrise wirkte es oft, als bestünde zwischen christlichem Abendland und christlicher Nächstenliebe ein unüberbrückbarer Gegensatz – dabei ist beides doch untrennbar miteinander verbunden. Während aber die einen Ersteres retten wollten, versuchten die anderen, Letzteres zu leben.

Natürlich ist nicht nur in der Flüchtlingsfrage das Christentum als normativer Bezugspunkt unterschiedlicher politischer Weltanschauungen präsent. Es gibt kaum eine gesellschaftliche und politische Debatte, die heutzutage ohne einen Rückgriff auf ‚Christliches‘ auskommt. Die einst totgeglaubte Religion ist quicklebendig, und das trotz schwindender Mitgliederzahlen. Inwieweit es aber redlich ist, dass in außerkirchlichen Auseinandersetzungen ‚christlich‘ zu einem Attribut politischer Anschauungen wird, ist eine alte Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt.

Unbestreitbar ist, dass der Inhalt des Wortes ‚Christliches‘ gegenwärtig nicht fest umrissen ist, im Gegenteil. Mitunter werden gegensätzliche politische Positionen vertreten und gleichsam als ‚christlich‘ etikettiert. Deutlich ist das besonders, seitdem Rechtspopulisten die bundesrepublikanische Gesellschaft aufmischen, wie das Beispiel vom christlichen Abendland, das scheinbar in Gegensatz zur christlichen Nächstenliebe geraten ist, zeigt. Den Fragen, ob es christliche Inhalte in politischen Parteien geben darf, was eine christliche Position auszeichnet und wann es sich um einen Etikettenschwindel handelt, haben die Veränderungen in der deutschen Parteienlandschaft jedenfalls neue Brisanz verliehen.

Auch an den Kirchen gehen diese Entwicklungen nicht spurlos vorüber. Zwar haben die Kirchen kein Deutungsmonopol auf das Christentum. Ihre amtlichen Vertreter sehen sich aber doch immer wieder dazu gezwungen, mit Wortmeldungen in diese politischen Debatten einzugreifen, auch wenn die Ansichten darüber, ob das die Aufgabe der Kirchen ist, auseinandergehen. Die ‚Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen‘ mit dem Titel ‚Dem Populismus widerstehen‘, die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erarbeitet und am 25. Juni 2019 vorgestellt wurde, ist ebenfalls im Licht der geschilderten Zusammenhänge zu sehen. Leider konnte die Arbeitshilfe selbst im Folgenden nicht mehr berücksichtigt werden.

In Bausch und Bogen beantworten lassen sich die aufgeworfenen Fragen nicht, und das nicht zuletzt deshalb, weil etwaige Antworten sich mit wandelnden gesellschaftlichen und politischen Kontexten ändern können. Um mehr als einen Konsens der widerstreitenden Ansichten kann es sich dabei ohnehin nicht handeln. Damit sind Antworten auf die gestellten Fragen aber notwendig Teil eines fortwährenden Ringens, zu dem der vorliegende Band einen bescheidenen Beitrag zu leisten versucht. Es handelt sich dabei nicht um eine erschöpfende Abhandlung des Themas, sondern um eine schlaglichtartige Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Umstände in Gesellschaft, Politik und Kirche. Der Band versteht sich als Debattenbeitrag und darf auch nur als solcher gelesen werden. Dass in diesem zwar versucht wurde, beide großen Kirchen zu betrachten, am Ende aber doch ein gewisses Ungleichgewicht zugunsten der katholischen Kirche festgestellt werden muss, soll durch die biografische Prägung des Verfassers versucht werden, zu entschuldigen.

In einem anderen Kontext hatte ich mich im Juli 2018 mit den eben aufgeworfenen und weiteren Fragen beschäftigt (www.feinschwarz.net/missbrauchter-gott, Abruf 15. Juni 2019). Daraufhin trat der Echter Verlag mit dem Wunsch an mich heran, das dort abgehandelte Thema in den Kontext der satirischen Broschüre ‚Christliches in der AfD‘ und des Sammelbands ‚Christliches in den Parteien‘ zu stellen, ohne aber eine Fortsetzung zu schreiben. Diesem Wunsch habe ich gerne versucht, nachzukommen.

Frankfurt am Main, im Juni 2019

Missbrauchter Gott?

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