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Tag 3

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Das große Unbekannte

Morgens um 6.00Uhr war Rom gerade dabei zu erwachen. Die Kühle der Nacht war noch nicht der Wärme des Tages gewichen und die ersten Schwärme von Tauben zogen durch die Straßen und Gassen der Ewigen Stadt. Dass der Morgen graute, konnte man auch nicht mehr sagen. Die Häuser warfen zwar noch lange Schatten, jedoch war die Sonne schon so stark, dass man es als taghell bezeichnen könnte. Einzig die schmalen Gassen zwischen den hohen Häusern der Stadt lagen noch im Dunkeln.

Im Vergleich zur Rush-hour, die erst in knapp einer Stunde so richtig begann, war der Verkehr noch recht ruhig und die Autos kamen ohne nennenswerte Staus durch die Stadt. Gleichwohl der Morgen so richtig angenehm, frisch und sonnig war, zog es Felipe diesmal vor mit einem Bus des städtischen Nahverkehrs zu fahren. Zum einen war der Vatikan doch ein ganzes Ende entfernt, zum anderen konnte Felipe die Zeit nutzen sich geistig auf den ersten Tag an seinem neuen Arbeitsplatz vorzubereiten. Mit ihm im Bus saßen erstaunlich viele Leute. Ob diese nun alle zur Arbeit wollten, oder von ihr kamen, oder vielleicht ganz und gar woanders hin wollten, vermochte Felipe nicht zu sagen. Die Leute schauten gelangweilt, schweigend und teilweise verträumt aus den Fenstern oder einfach nur vor sich hin.

Ein junger Mann, Felipe vermutete, dass es ein Student war, hatte sich Ohrhörer angelegt und las in einem Buch. Felipe fragte sich wie er das machte? Wie konnte sich dieser junge Mann auf die Handlung des Buches konzentrieren wenn da ständig laute Musik vor sich hin dröhnte? Wenn denn Felipe in seltenen Fällen die Zeit hatte ein Buch zu lesen, dann brauchte er absolute Ruhe um so richtig in die Handlung des Buches abtauchen zu können.

Felipe schüttelte leicht den Kopf um seine momentanen Gedanken beiseite zu schieben.

Du wolltest eigentlich über deinen neuen Job nachdenken!, ermahnte er sich zur Ordnung.

Er hatte noch immer nicht den Hauch einer Ahnung was ihn heute im Vatikan erwarten würde. Wie würden die Priester zu ihm sein? Würden sie kooperieren oder, aus missverstandener Diskretion heraus, sprichwörtlich dicht machen? Felipe hatte noch nie groß mit Klerikern an sich zu tun gehabt, außer vielleicht mit Kardinal Holzenberg. Er wusste noch nicht wie er mit den Kirchenmännern umgehen sollte ohne sie gleich zu verprellen. War ihnen der normale menschliche Umgangston zu banal oder trivial? Lebten sie gar in einer anderen geistigen Ebene, ihr Leben gänzlich Gott gewidmet? Oder konnte man sich mit ihnen wie mit normalen Menschen unterhalten? Wie sollte er vorgehen? Wo sollte er ansetzen? Fragen, Fragen, Fragen! Nichts als Fragen!

Felipe schlug sich vor Frust mit der Faust aufs Knie. Was würde er in einem normalen Mordfall zuerst machen? Was hat er in der Polizeischule gelernt? Normalerweise würde er als erstes den Tatort begehen, einen Blick auf die Leiche werfen. Die Spurensicherung würde den Tatort untersuchen und Spuren sichern. Das waren die ersten und wichtigsten Punkte einer Untersuchung. Die fielen vorerst aus! Denn Felipe war ja nicht in Igoschetsien! Felipe würde normalerweise eventuelle Zeugen über den Tathergang befragen. Das fiel auch erstmal aus! Die waren auch in Igoschetsien! Felipe schniefte durch die Nase und schüttelte den Kopf.

Fassen wir zusammen!, sinnierte er weiter. Was haben wir? NICHTS!!! Blödsinn!! Was haben wir wo wir ansetzen können? Der Papst wurde bei einem Attentat erschossen. Ergo, irgendwo im Leben des Papstes musste es ein faules Ei gegeben haben, was ihm letztendlich den gewaltsamen Tod beschert hat. Es gab Feinde im Leben des Papstes!, das wusste er schon von Kardinal Holzenberg. Welcher dieser Feinde musste einen solchen Hass auf den Papst gehegt haben, um ihn gleich zu töten oder töten zu lassen?

Dieses faule Ei musste Felipe finden! Bis dahin würde jeder der von Felipe befragt wird als verdächtig eingestuft werden! Selbstverständlich würde er das nicht Kardinal Holzenberg erzählen! Im Moment war dieser Mann sein Schlüssel in hoffentlich alle Bereiche des Vatikans!

Jetzt stand für Felipe fest, dass er unter diesen Umständen etwas über den Menschen Papst in Erfahrung bringen musste. Wie war er wirklich? Was waren seine Stärken, was seine Schwächen? Was hielten die anderen Bewohner des Vatikans von ihm? Gab es Vertrauenspersonen des Papstes, wie zum Beispiel einen Butler, einen Sekretär oder ein einfaches Dienstmädchen? Felipe wusste ja nicht wie es bei Päpsten zu Hause so ablief!

Na endlich! Langsam bildet sich aus meinen Gedanken ein verschwommenes Gebilde, was man schon beinahe als Strategie bezeichnen könnte!

Als erstes wollte sich Felipe ganz harmlos den Vatikan zeigen lassen, insbesondere die Privaträume des Papstes. Vielleicht traf er ja dort die eine oder andere Vertrauensperson des Papstes, die Felipe in ein scheinbar harmloses Gespräch verwickeln könnte. Er würde auch das Büro des Papstes, wenn es denn so was gab, inspizieren wollen. Manchmal gab es ja dort Unterlagen aus denen er schlau werden könnte.

Auf keinen Fall durfte Felipe den Personenschutz des Papstes unbefragt lassen. Kaum einer kam dem Papst näher als sein oder seine Personenschützer. Wer waren die Personenschützer überhaupt? Waren das welche von der Schweizergarde oder ein besonderer Dienst für sich?

Doch schon recht bald musste Felipe nach Igoschetsien, die noch vorhandenen Spuren auswerten, solange sie noch warm waren. Das stand für ihn fest. Er musste ebenso einen Blick auf die Leiche des Papstes werfen. Das Aussehen der Verletzungen ließ oftmals Schlüsse auf den Tathergang zu.

Der Busfahrer sagte die vorletzte Station vor Felipes Ausstieg an.

Na siehst Du! Jetzt hast Du schon einen richtigen kleinen Plan!, dachte sich Felipe, lehnte sich zurück und konnte sich dabei ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Er stand nicht mehr so ganz ohne was da!

Nun war er doch schon recht gespannt und aufgeregt auf seinen ersten Arbeitstag. Jetzt wo er sich so was wie eine Strategie über sein weiteres Vorgehen zurechtgelegt hatte, war die größte Unsicherheit oder Scheu verflogen.

Wenn es etwas gab, was Felipe hasste, dann war es die Vorstellung plan- und ziellos durch die Gegend zu laufen. Um dies zu vermeiden war er immer bestrebt sein Leben so halbwegs durchzuplanen. Viele deuteten dies als penibel, pingelig oder kleinkariert. Felipe sah das natürlich ganz anders! Er selbst fand zum Beispiel, kein guter Hausmann zu sein. Auch machte die Ordnung auf seinem Schreibtisch nicht allzu viel her.

Der Bus hatte die vorletzte Station passiert. Gleich musste Felipe raus. Er stand schon mal auf und begab sich nach hinten zur Ausgangstür. Er drückte den Signalknopf für den Busfahrer und sprang, kaum dass sich die Tür geöffnet hatte, die Aktentasche in der Hand, aus dem Bus. Da er der Einzige war, der ausstieg und auch keine Leute einstiegen, fuhr der Bus auch sogleich weiter.

Felipe stand nun da und atmete tief durch. Die Luft war um diese Zeit einfach nur herrlich frisch! Zügig ging er los und erreichte bald das Portal zum Petersplatz. Kaum hatte er die Grenze zum Vatikan überschritten, wurde er auch schon von den ersten Überwachungskameras eingefangen. Felipe machte sich einen Spaß und winkte freundlich in die Objektive der Geräte, obgleich er wusste, dass in den seltensten Fällen jemand permanent im dazu gehörenden Kontrollraum saß und alle Monitore überwachte.

Zügig überschritt Felipe den Petersplatz in Richtung sixtinische Kapelle, wo er sich um Punkt 7.45 Uhr mit Kardinal Holzenberg treffen wollte. Es war inzwischen schon 7.38 Uhr, wie Felipe mit einem Blick auf sein Smartphone feststellte. Da er lieber fünf Minuten früher da sein wollte als exakt pünktlich, erhöhte er seine Geschwindigkeit und rannte schon fast über den Petersplatz. Er hatte keinen Blick für die Taubenschwärme, die sich auf dem großen Platz tummelten und, durch seine Eile aufgescheucht, davon flogen.

Genau um 7.40 Uhr hatte er sein Ziel erreicht, blieb vor dem Eingang des alten Gebäudes stehen und atmete erneut tief durch. Er richtete seinen Dienstanzug her und schaute sich um.

Die Sonne stand knapp über dem Hauptportal zum Petersplatz und erfüllte diesen mit ihren warmen Strahlen. Vielleicht waren deshalb so viele Tauben anzutreffen, weil sie die Energie der morgendlichen Sonnenstrahlen tankten?

Sein Blick schweifte weiter zum Palast, in dem der Papst zu wohnen pflegte. Felipe fand, dass dieser Palast bis auf seine Größe ein eher schlichter Bau mit wenig Prunk und Pomp war. Er wusste nicht zu sagen wo genau der Wohnbereich des Papstes war. Er hat sich einfach nie mit diesem Thema beschäftigt! Doch konnte er sich auch nicht vorstellen, dass ein Mensch allein ein so riesiges Gebäude bewohnen konnte!

Weiter schweifte sein Blick zum alles überragenden, ehrfurchtgebietenden, alles in den Schatten stellenden, gigantischen Petersdom, als wäre er der Nabel der Welt! Vielleicht wurde dieser Eindruck ja auch mit dessen Erbau bezweckt? Noch heute wollte man am liebsten ehrfurchtsvoll, allein wegen der technischen Meisterleistung der damaligen Zeit, in die Knie gehen. Wie musste es da erst einem streng gläubigen Katholiken ergehen?

Felipe nahm seine Aktentasche in die andere Hand. Nicht dass sie irgendwie schwer war! Heute war bis auf ein paar Sandwichs, ein paar Stifte, ein Schreibblock und seine Unterlagen für die vatikanische Verwaltung nichts in ihr enthalten. Er nahm immer seine Aktentasche mit zur Arbeit. Sie hat ihn schon durch die letzten drei Jahre seiner Schulzeit, durch seine Polizeischulzeit und durch sein bisheriges noch junges Arbeitsleben begleitet. Felipe hatte sie schon fast lieb gewonnen und wollte sich nur ungern von ihr trennen. Er hatte sie immer dabei, ob er sie nun brauchte oder nicht!

Ein Blick auf sein Smartphone verriet ihm dass es bereits 7.46 Uhr war.

Na ja! Besser mein Chef ist zu spät als ich!

Felipe glaubte Kardinal Holzenberg als seinen Chef bezeichnen zu dürfen. Immerhin hatte der ihn ja auch eingestellt!

Er drehte sich um, mit der Absicht sich das Gebäude hinter ihm genauer anzuschauen, als er von weitem, hinter seinem Rücken, ein Fahrzeug nahen hörte. Er drehte sich erneut um. Eine große schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben, ein Mercedes älteren Baujahres, rollte, aus Richtung Papstpalast kommend, auf ihn zu.

Das wird er wohl sein!, dachte sich Felipe und lief die paar Stufen vom Portal hinunter auf den Platz. Der Wagen hielt an und ein Chauffeur stieg aus. In schwarzem Anzug mit einer schwarzen Schirmmütze auf dem Kopf, bestätigte der Mann das allgemeine Klischee eines Chauffeurs. Er kam auf Felipe zu.

„Signor Ventucelli?“

„Ja! Der bin ich!“

Felipe reichte dem Mann die Hand, der über derart persönliches Verhalten ihm gegenüber etwas irritiert zu sein schien. Dennoch erwiderte er Felipes Handschlag.

„Monsignore Holzenberg schickt mich, Sie zu ihm, in seine Diensträume zu bringen. Er bittet Sie zu entschuldigen, dass er Sie nicht persönlich begrüßen kann.“

„Schon vergessen!“ Felipe klopfte dem Mann auf die Schulter. „Dann lass uns mal zum Kardinal fahren!“

Der Chauffeur schaute Felipe verblüfft an.

Mein Gott! Hat der nen Besen verschluckt, so steif wie der ist?, dachte sich Felipe.

Der Chauffeur wollte ihm gerade die Tür zum Fahrgastbereich öffnen, als Felipe auch schon die Beifahrertür geöffnet hatte und Platz nahm.

„Ähm..., Signor Ventucelli?“, sagte der Fahrer kleinlaut und hielt noch immer die Tür geöffnet. Felipe schaute ihn lächelnd an.

„Sehe ich etwa aus wie der Kardinal? Ich bin hier ein genauso kleines Licht wie Sie!“

„Wie Sie meinen!“

Der Mann schlug die Tür zu, die nur leise, einem Windhauch gleich, kaum hörbar ins Schloss fiel.

Ach deutsche Autos sind doch was feines!, dachte sich Felipe.

Der Chauffeur setzte sich hinters Steuer und fuhr, stur nach vorne schauend, los.

Felipe musterte ihn. Er war ein Durchschnittstyp, von etwa fünfzig Jahren. Er hatte schwarzes Haar mit leichten grauen Ansätzen an den Schläfen und war glatt rasiert. Nicht ein Bartstoppel war zu sehen.

Wie lange der wohl jeden Morgen für eine derart gründliche Rasur braucht?

Er war weder dick noch schlank. Noch zeigte überhaupt irgend etwas an ihm etwas Markantes. Sein Gesicht war absolut gleichmäßig, eben gewöhnlich! Weder hatte er eine Knollennase noch eine lange spitze Nase, wie Holzenberg. Seine Lippen waren weder dünn noch übermäßig definiert. Er hatte auch keine hohe Stirn, nichts! Stünde dieser Mann auf dem Petersplatz, über den sie gerade fuhren, in zivil mit zwei anderen Personen, man würde ihn glatt übersehen!

„Mein Name ist übrigens Felipe! Wir werden künftig wahrscheinlich häufiger miteinander zu tun haben!“

„Ich bin Signor Balduci!“, erwiderte dieser teilnahmslos, auf die persönliche Annäherung seitens Felipe in keinster Weise eingehend.

„Na Klasse! Seid Ihr Angestellten hier alle so gesprächig?“

„Falls Sie es vergessen haben, der heilige Vater ist vorgestern verstorben!“

Ach Du meine Güte! Sind hier etwa alle streng gläubige Katholiken und stehen unter kollektiver Trauer?

„Entschuldigen Sie Signor Balduci! Ich wusste nicht...!“

„Schon vergessen!“

Da! Tatsächlich! Ein Lächeln huschte über Balducis Lippen.

„Dann lassen Sie uns mal zum Kardinal fahren!“

Felipe musste lachen.

Der hat ja sogar Humor!

Der Wagen hielt vor dem Haupteingang des Papstpalastes.

Also doch! Ahnte ich´s doch! Ein Mensch allein kann ein so riesiges Gebäude nicht allein bewohnen!

Balduci stieg aus und Felipe folgte ihm. Der Chauffeur führte Felipe, der neben ihm her lief über mehrere Treppen und Korridore, die mit einer Vielzahl von Gemälden von verschiedenen Geistlichen geschmückt waren. Felipe konnte nicht sagen ob das alles ehemalige Päpste waren oder nicht. Irgendwann blieb Balduci vor einer zweiflügligen Tür stehen.

„Wir sind da! Warten Sie einen Moment hier!“

Der Chauffeur öffnete die Tür aus schwarzem reich verziertem Holz nur einen Spalt und verschwand dahinter. Die Tür war wohl schalldicht, Felipe hörte nichts von drinnen. Nach nur wenigen Sekunden öffnete sich die Tür wieder lautlos. Felipe schaute sich gerade das Gemälde irgendeines Geistlichen an.

„Seine Eminenz lässt nun bitten!“, sagte Balduci leise und Felipe schoss herum, weil er den Chauffeur nicht hat kommen hören.

„Oh das ist gut! Ich brenne darauf mit ihm reden zu dürfen!“

Felipe ging an Balduci vorbei durch die nur angelehnte Tür und betrat das riesige Büro des Kardinals, welches bestimmt doppelt so groß war wie das von Campresi. Das große Zimmer war reichlich geschmückt mit Gemälden und strotzte nur so vor antiken, scheinbar sündhaft teuren Möbeln. Ob das nun eine riesige, in Eichenholz gefasste, Vitrine, mit einer Vielzahl Ornamenten war, oder ein fast schwarzer, reichlich verschnörkelter, Stuhl oder der schon gigantische Schreibtisch mit seinem wuchtigen Stuhl dahinter, in dem Kardinal Holzenberg saß. Dieser Stuhl hatte schon mehr Ähnlichkeit mit einem Thron als mit einem Bürostuhl.

Demut und Bescheidenheit sieht für mich anders aus!, dachte sich Felipe.

„Ah! Signor Ventucelli! Da sind Sie ja!“ Holzenberg erhob sich ein wenig von seinem Thron, ohne wirklich aufzustehen und winkte zu dem fast schwarzen Stuhl. „Nehmen Sie platz! Ich bin gleich für Sie da! Ich muss nur noch eben ein paar Dokumente abzeichnen.“ Er schaute einen Moment auf seine Papiere um gleich wieder aufzuschauen. „Möchten Sie einen Kaffee trinken?“

Felipe setzte sich und stellte seine Aktentasche neben sich auf den Boden.

„Mit bestem Dank! Aber ich habe heute Morgen schon genug Kaffee getrunken. Machen Sie ruhig Ihre Sachen fertig. Ich habe Zeit!“, antwortete Felipe höflich.

„Das ist nett! Ich bin gleich fertig!“, antwortete Holzenberg, bereits wieder im Studium seiner Unterlagen vertieft.

Felipe sah zu einem Balkonfenster heraus und stellte fest, dass man von hier aus den kompletten Petersplatz überschauen konnte. Holzenberg hätte ihn durchaus kommen sehen können!

Schon bald würden sich dort draußen tausende Menschen drängen um zum einen dem verstorbenen Papst ihre letzte Ehre zu erweisen und um der geheimnisvollen Papstwahl, dem Konklave, beizuwohnen. Doch im Moment war er nur von diesen besagten unzähligen Tauben bevölkert.

Felipe wurde langsam ungeduldig. Der Kardinal wollte nicht fertig werden! War es Zufall? Oder war es Absicht, irgendein psychologischer Trick? Wenn ja warum? Warum wohl, wenn denn dem so wäre, musste Holzenberg vor ihm so den Chef heraus hängen lassen in dem er ihn warten ließ? Es müsste ihm doch ein Anliegen sein, dass die Aufklärung des Papstattentates so früh wie möglich begann. Felipe war etwas verwundert, verschränkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine übereinander, so dass es Holzenberg mitbekommen musste, dass Felipe damit begann sich zu langweilen.

Holzenberg sah kurz auf und schlug mit einem kurzen „Ja!“ die Mappe zu. Er schaute Felipe an, der sich sogleich gerade hinsetzte.

Erstaunt stellte Felipe fest, dass der Kardinal ohne eine besondere Ermahnung das Verhältnis zwischen Holzenberg und Felipe klar definiert hat. Holzenberg hatte ohne ein Wort zu Verstehen gegeben, dass er doch bitte die Richtung vor gab und nicht Felipe! Was sollte das?

Felipe begriff, vor Holzenberg musste er sich in acht nehmen!

„Signor Ventucelli! Ich würde sagen, es kann los gehen. Ich habe mir die Freiheit genommen und uns einen Flug nach Igoschetsien gebucht. Wir werden heute Nachmittag abfliegen. Ich denke mal, das ist auch in Ihrem Interesse.“

Der Kardinal lächelte Felipe wie ein gnädiger König, der einem Bettler einen abgenagten Knochen hin geworfen hat, entgegen.

„Durchaus! Hätten Sie es nicht schon getan, wäre dies meine erste Bitte gewesen. Wir müssen die Spuren und Hinweise am Tatort, sind sie auch noch so klein, auswerten, solange sie noch warm sind.“

Ich muss irgendwie das Steuer zurück gewinnen! Hatte ich es denn schon einmal?

„In der Zwischenzeit möchte ich, wenn es denn möglich ist, das persönliche Umfeld des Papstes kennen lernen. Wenn Sie zeitlich zu sehr eingebunden sind, könnten Sie mir vielleicht einen abkömmlichen Mitarbeiter zur Seite stellen, der mir alles zeigt?“

Das Lächeln im Gesicht von Kardinal Holzenberg schmälerte sich fast unmerklich, entging aber dem beobachtenden Blick Felipes nicht.

„Nun, das sollte sich machen lassen! Aber ich bezweifle mal, dass Sie heute alles schaffen! Das persönliche Umfeld des Papstes ist der Vatikan! Stellen Sie sich den Papst vor und um Ihn herum wurde der Vatikan gebaut, wenn Sie wissen was ich meine.“

„Ja ich verstehe Sie schon! Was ich heute schaffe ist gut. Der Rest muss halt bis nach unserer Reise warten. Daher gebe ich mich heute mit den Privatgemächern, dem persönlichen Büro des Papstes und seinem engsten Vertrauten zufrieden. Das sollte bis heute Nachmittag zu schaffen sein. Sie entschuldigen wenn ich ein wenig das Tempo forciere. Aber uns allen sollte doch an eine zügige Aufklärung des Falles gelegen sein.“

Nun war es an Felipe süffisant zu lächeln. Er war zufrieden. So schnell wie der Kardinal das Steuer an sich gerissen hatte, hatte es ihm Felipe geschickt auch wieder entrissen.

Das breite Lächeln des Kardinals war nur noch schmal und sah gezwungen aus.

„Nun gut! Ich schau eben nach.“ Holzenberg blätterte in einem Terminplaner herum. „Eieieieieiei! Wissen Sie was? Ich stelle Ihnen Erzdiakon Pierre Pierchout zur Seite. Er kann mich würdig vertreten. Sollte es dennoch Probleme geben bin ich ständig telefonisch erreichbar.“

Der Kardinal zog aus einer Schublade ein Kärtchen hervor und reichte es Felipe.

Es war eine elegante Visitenkarte aus einem erhabenen weißen Karton. Unter den Daten des Kardinals sah man ein Zeichen, ein Symbol, das Felipe kannte aber noch nicht einordnen konnte.

Er steckte sich das Kärtchen in seine Jacketttasche.

„Na wunderbar! Dann sind wir uns ja einig! Rufen Sie ihn bitte gleich an! Ich erwarte ihn in den nächsten Minuten draußen auf dem Platz vor dem Palasteingang.“

Ohne eine Einwilligung des Kardinals abzuwarten stand Felipe auf und verließ das Büro.

***

Holzenberg kochte vor Wut! Nicht etwa wegen Ventucelli! Nein! Er könnte sich selber ohrfeigen! Wie konnte es dazu kommen, dass sich er, Kardinal Reinhardt Holzenberg, Mitglied des inneren Zirkels von Opus Dei, von so einem daher gelaufenen jungen Schnösel hat den Schneid ablaufen lassen? Er war ja selber schuld! Warum hat er sich diesen kleinen listigen Kerl ins Boot geholt? Weil unter allen Optionen die er hatte, sie die am wenigsten gefährliche war! Mit ihm würde am Ende auf den Vatikan kein schlechtes Licht fallen! Bisher lief doch alles nach Plan! Er durfte einfach nur nicht diesen Ventucelli unterschätzen! Ventucelli wollte herum schnüffeln? Bitte! Soll er das machen. Pierre Pierchout würde schon dafür sorgen, dass Ventucelli an den richtigen Stellen schnüffelte!

Holzenberg nahm den Telefonhörer und wählte eine Nummer.

„Bruder Pierre, mein Guter!“, begann er nach einigen Sekunden. „Hier ist Holzenberg!“ Der Kardinal lehnte sich zurück. „Jaja mein Freund. Das ist wohl war. Nach jedem Tal und so, ne? Bruder Pierre, könnten Sie mir eben helfen? Ich bin hier leider total eingespannt. Besorgen Sie sich doch mal das Presseprotokoll über das Privatleben unseres heiligen Vaters.“

Ein Moment herrschte Stille.

„Ja ja, genau das, welches wir damals bei den Dreharbeiten von CNN für diese Doku über unseren heiligen Vater benutzt haben. Genau! Überfliegen Sie es noch einmal und begeben sich dann nach unten zum Haupteingang des Palastes. Da steht ein junger Mann namens Felipe Ventucelli, Oberinspektor seines Zeichens. Er arbeitet ab sofort für den Vatikan. Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie ihm das was auf dem Protokoll steht zeigen und auch das erzählen was auf dem Protokoll steht.“

Wieder ein Moment Pause.

„Damit wir uns nicht missverstehen, nur das was auf dem Protokoll steht!“ Holzenberg grinste. „Ich wusste das ich mich auf Sie verlassen kann! Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören!“

Der Kardinal legte auf und rieb sich leise lachend die Hände.

„So Ventucelli! Viel Spaß bei der Vatikanbesichtigung!“

***

„Ja Lorella, mein Schatz! Ich bleibe schlimmstenfalls drei oder vier Tage weg.“

Felipe ging, sein Handy am Ohr, auf und ab.

„Es ist leider geheim Liebling. Aber es ist nicht gefährlich. Ich befrage da nur ein paar Leute und das war’s schon.“ Felipe blieb stehen und stemmte seine freie Hand in seine Hosentasche. „Ja das wäre sehr nett, wenn du mir ein paar Sachen in meine kleine Reisetasche packst. Dann geht es nachher schneller, wenn ich noch mal kurz nach Hause komme.“ Felipe ging weiter auf und ab. „Nein! Ich denke mal die neue Wohnung muss bis nach meiner Reise warten.“ Felipe schaute zum Haupteingang, ob nicht bald dieser Piergout oder Pierchout oder so ähnlich kommen würde. „Ja mein Mäuschen! Ich liebe dich auch! Ich muss jetzt aber Schluss machen. Da kommt mein Chef! Küsschen!“, log Felipe ein wenig und drückte Lorella weg. Es tat ihm in der Seele weh, Lorella anlügen zu müssen. Hoffentlich war bald die Zeit der Geheimniskrämerei vorbei!

Er schaute auf die Uhr seines Smartphones. Es war inzwischen schon kurz nach 9.00Uhr.

Endlich ging die Palasttür auf und ein junger Priester, vielleicht vier oder fünf Jahre älter als Felipe, trat ins Freie. Er schaute sich einen Moment um. Als er Felipe erblickte kam er lächelnd auf ihn zu gelaufen. Herzlich schüttelte er ihm die Hand.

„Sie müssen Oberinspektor Ventucelli sein!“

Felipe nickte.

„Entschuldigen Sie, dass Sie einen Moment warten mussten. Aber ich hatte da noch eine wichtige Sache zu erledigen!“

„Schon vergessen! Machen wir uns an die Arbeit!“

„Seine Eminenz haben schon flüchtig angeschnitten, dass Sie sich einen leichten Überblick über das Leben unseres heiligen Vaters verschaffen wollen. Nun gut, schauen wir mal, dass ich Ihnen alles zeigen kann.“

„Auf geht´s!“

Viele Fragen, schlechte Antworten

Im Schlepptau von Pierre Pierchout bewegte sich Felipe wieder in den päpstlichen Palast. Pierchout hielt am Eingang inne.

„Möchten Sie als erstes die privaten Räume des Papstes besuchen oder doch erst sein Büro?“

Felipe überlegte einen Moment. Wenn er den privaten Bereich des Papstes näher kennen würde, fiele es ihm vielleicht etwas leichter einzuordnen, wonach er in seinem doch etwas unpersönlicherem Büro zu suchen hätte.

„Ich würde sagen, wir beginnen mit seinen privaten Räumlichkeiten.“, gab Felipe freundlich zurück.

„Wie Sie wünschen. Dann folgen Sie mir!“

Pierchout setzte sich mit forschem Schritt in Bewegung. Felipe musste sich erst seinem Schritttempo anpassen.

Vor einem Fahrstuhl blieb Pierchout stehen und drückte den Knopf, der den Fahrstuhl rief. Doch der war wohl gerade unterwegs. Und so standen Felipe und der Erzdiakon schweigend vor der Schiebetür des Fahrstuhls.

„Kannten Sie eigentlich den Papst persönlich?“, fragte Felipe im plaudernden Ton des Gelangweilten.

„Ach wissen Sie, gesehen habe ich ihn schon oft. Das bringt die Sache so mit sich wenn man im Verwaltungsbereich des Vatikans arbeitet. Aber ob ich ihn persönlich kannte? Hier und da mal ein Guten Tag Eure Heiligkeit oder irgendeine freundliche Floskel. Ich weiß nicht ob man das als persönlich bezeichnen könnte.“

Pierchout schaute Felipe noch immer mit dem gleichen Lächeln wie bei der Begrüßung an.

Kann der auch anders, oder wie?

„Wohl eher nicht.“ Felipe blieb freundlich. „Haben Sie mal irgend etwas erlebt, was ihn von seiner menschlichen Seite gezeigt hat? Hat er zum Beispiel…“

Die Schiebetür des Fahrstuhls ging auf. Pierchout, gefolgt von Felipe, der mit seiner Frage noch nicht fertig war, trat in den Fahrstuhl.

„Hat er zum Beispiel mal den Chef raus hängen lassen und einen Untergebenen so richtig zur Sau gemacht?“

„Der heilige Vater lässt nichts raus hängen!“, erwiderte Pierchout pikiert und betonte etwas abfällig die Worte »raus hängen«. „Der heilige Vater verkörpert den Stellvertreter Gottes auf Erden! Er verkörpert und lebt den katholischen Glauben in jeder Sekunde seines päpstlichen Lebens und mit jeder Faser seines Körpers. Da lässt man nicht mal eben den Chef raus hängen. Wie schon in der heiligen Schrift steht: »Liebe deinen nächsten wie dich selbst«!“

„Ja aber er ist, oder vielmehr war doch auch nur ein Mensch, mit Gefühlen und Emotionen! Der muss die doch auch mal irgendwo ausgelebt haben.“

„Wenn der heilige Vater es nötig gehabt haben sollte sich in irgendeiner Art und Weise emotional abzureagieren, dann bestimmt nur in seinen privaten Räumlichkeiten, oder wenn er allein mit Gott war. Ein gläubiger Christ findet emotionalen Frieden in Zwiesprache mit Gott und hat keine Tobsuchtsanfälle wie sie es andeuten.“

„Habe ich das? Hmm!“

Felipe kratzte sich grübelnd das Kinn und beobachtete aus den Augenwinkeln seinen Gesprächspartner. Für einen Moment war das zementierte Lächeln aus Pierchouts Gesicht verschwunden. Er blickte zu Boden.

„Oh! Dann habe ich Sie wohl falsch verstanden.“

Der Fahrstuhl hielt an und die Schiebetür ging auf.

„So! Da wären wir. Folgen Sie mir bitte.“

Pierchout verließ, gefolgt von Felipe, den Fahrstuhl und führte ihn durch einen langen Flur bis zu seinem Ende, das eine große dunkelbraune Tür mit uralten schmiedeeisernen Beschlägen bildete. Doch ein kleiner unauffälliger Kasten zeigte, dass hier der Schein das Sein trügt. Pierchout zog aus der Innentasche seines Jacketts eine Chipkarte in Kreditkartengröße hervor und zog sie durch einen schmalen Schlitz in dem kleinen unscheinbaren Kasten. Ein grünes Lämpchen erleuchtete und die Tür sprang auf.

Schön wie hier alles so hübsch versteckt und kaschiert ist!, dachte sich Felipe und betrat hinter dem Erzdiakon die Wohnung des Papstes.

Wie vom Donner gerührt blieb Felipe stehen. Er glaubte nicht was er da sah.

Das ist jetzt nicht wahr?! Das darf doch wohl nicht wahr sein!?

In der Wohnung des Papstes wirbelte eine Putz- und Räumkolonne. Bestimmt fünf einheitlich gekleidete Zimmermädchen putzten, wischten und entstaubten diverse Gegenstände, während einige junge Priester Säcke und Kisten mit persönlichen Sachen des Papstes zusammenstellten.

„Sofort aufhören!!!“, brüllte Felipe.

Allen stockte der Atem und einem Zimmermädchen fiel vor Schreck ein Staubwedel aus der Hand. Sogar Pierchout war erschrocken.

Hier wird wohl nicht so oft gebrüllt!

„Wer hat angeordnet, dass hier bereits der Kehraus gemacht wird!“, fragte Felipe in einem strengen Ton.

„Ich!“, rief es aus einem Nebenzimmer und ein älterer Herr mit weißem Haar in einem schwarzen Gewand eines Priesters von vielleicht 60 Jahren trat hervor.

Felipe wandte sich der Stimme zu und musterte kurz sein Gegenüber.

„Das ist schön! Und wer sind Sie, wenn ich das fragen darf?“

Der Priester stand nun vor Felipe und reichte ihm die Hand.

„Bischof Warren, Montgomery Warren.“

„Felipe Ventucelli!“ Er reichte dem Bischof die Hand. „Ich bin Oberinspektor und ermittle im Auftrag der römischen Kurie im Fall des Ablebens des Papstes.“

„Ich freue mich Sie kennen zu lernen, Signor Ventucelli.“ Warren war überaus höflich. „Sehen Sie, diese guten Frauen und Männer arbeiten in meinem Auftrag. Denn nach einem Protokoll, was vorliegt, hat man nach dem Ableben eines Papstes unverzüglich mit der Bereinigung und Renovierung seiner Gemächer zu beginnen, damit der neue Papst nach seiner Ernennung, die ja schon bald stattfindet, hier unverzüglich einziehen kann. Sie müssen verstehen im Vatikan gibt es für fast alles und für fast jeden Anlass Protokolle und Regeln, an die wir uns strikt zu halten haben, da sonst unter Umständen das komplette öffentliche Leben des Vatikans, welches geprägt ist von unzähligen Riten und Zeremonien, völlig aus den Fugen gerät.“

„Ich verstehe Sie!“, begann Felipe ebenso höflich. „Aber verstehen Sie auch mich. Eine meiner ersten und dringlichsten Aufgaben ist es, mir einen Überblick über das persönliche Umfeld des verstorbenen Papstes zu verschaffen.“, säuselte Felipe mit Engelszungen. „Dafür ist seine Wohnung in ihrem Zustand am Tage seines Ablebens von allergrößter Wichtigkeit. Allein wie der Papst es beliebte seine Möbel zu arrangieren, welche Blumen er mochte, wenn er sie denn mochte, oder seine Küche, noch besser die Einrichtung seines Schlafgemaches, bis hin zu seiner persönlichen Bibliothek. All diese Aspekte können mir vielfältige und vor allem wertvolle Informationen über den Menschen Papst geben.“ Felipes Stimme wurde etwas schärfer. „Aber das ist alles unmöglich wenn die Wohnung klinisch tot ist!!!“ Bei den letzten Worten wurde Felipe dann doch sehr laut. „Aber vielleicht können wir ja wenigstens noch ein paar Informationen retten.“, fuhr er jetzt wieder in einem ganz ruhigen Ton fort. „Sind Sie für einen Kompromiss offen?“

„Wenn er denn unsere Protokolle nicht allzu sehr aushebelt, durchaus.“, antwortete Warren konsterniert und mit aufgesetztem Lächeln.

„Na fein! Dann schlage ich Ihnen vor, dass Ihre Männer und Frauen eine halbe Stunde Kaffeepause machen, während ich mich hier in aller Ruhe umschauen kann. Sollte Ihnen dadurch die Zeit zu knapp werden, holen Sie sich einfach noch ein paar Leute dazu. Das hilft manchmal.“

Felipe lächelte ebenfalls.

Die lächelnde Mine des Bischofs erstarb zu einem eisigen und ernsten Gesichtsausdruck.

Pierchout, geschockt über so viel anmaßende Respektlosigkeit einem Würdenträger gegenüber, stand nur mit offenen Mund dabei. Auch sein Lächeln war verschwunden.

„Wie Sie meinen!“, erwiderte Warren frostig, um eine Ausrede verlegen. Jedes Dagegenhalten hätte ihn als inkompetent da stehen lassen.

„Ihr habt den Herrn Oberinspektor gehört!“, rief er zu seinen Untergebenen. „Ziehen wir uns für eine halbe Stunde zurück!“

Kurze Zeit später waren nur noch Felipe und Pierchout in der Wohnung des Papstes.

„Dann wollen wir mal!“, rief Felipe und klatschte in die Hände. Er steckte sie in die Hosentaschen und schlenderte zunächst ziellos durch die ganze Wohnung. Er sah sich um und versuchte irgendwelche Eindrücke zu gewinnen. Doch zu seinem Bedauern waren die Putzfrauen schon sehr fleißig gewesen. Da lag nichts mehr irgendwo herum, sei es nun zum Beispiel ein Zettel oder vielleicht eine aufgeschlagene Tageszeitung. Wenn es denn wenigstens nur eine Tageszeitung gewesen wäre, die irgendwo zu finden war! Daraus hätte Felipe vielleicht vermuten können welches politische Spektrum der Papst bevorzugt verfolgte.

Auch wenn die meisten Tageszeitungen sich als politisch neutral und unabhängig bezeichneten, so waren sie doch meist dem einen oder anderen politischen Lager gesonnener. Manchmal kam es sogar nur darauf an wer bei einer Zeitung gerade das sagen hatte, oder wem der Verlag gehörte.

Aber nichts! Alles war hübsch aufgeräumt! Die Möbel standen alle da wo sie hingehörten, hübsch ordentlich zu den anderen Möbeln ausgerichtet.

Bestimmt gibt es für die Anordnung der Möbel auch ein Protokoll!, dachte sich Felipe mit knirschenden Zähnen und wollte das große Zimmer schon wieder verlassen. Wegen des großen Tisches und der vielen Stühle hätte Felipe dieses Zimmer wahrscheinlich als Esszimmer benutzt. Vielleicht war es für den Papst aber auch eine Art Konferenzzimmer für eilig einberufene Versammlungen mit seinem Beraterstab, wenn er denn so was hatte.

Felipe blieb wieder stehen. Ihm war ein vielleicht unbedeutendes Detail aufgefallen. Überall hingen hübsche Gemälde von schönen natürlichen Landschaften und Bauwerken des frühen Mittelalters. Felipe konnte da Stonehenge in England erkennen, den heiligen Berg der Aborigines, den Eyes Rock, oder aber einfach nur eine Mittelgebirgslandschaft in Mitteleuropa. Eines hatten alle Bilder gemeinsam. Sie strahlten in ihrer farblichen Gestaltung, in ihrer Perspektive und sogar im Schattenwurf der einzelnen Motive eine absolute Ruhe und Harmonie aus. Felipe trat näher um ein Signum des Künstlers zu finden. Von ihrem Stil her schienen sie alle von ein und demselben Maler zu stammen. Unten rechts an einem Bild fand Felipe ein kleines Monogramm. Es stellte die beiden miteinander verbundenen Großbuchstaben M und P dar. Felipe überlegte welchen bedeutenden Maler es dazu gab. Doch wollte ihm auf Anhieb niemand einfallen.

„Pierchout!!“, rief Felipe nach dem Erzdiakon.

„Ja Signor Ventucelli!“, antwortete Pierchout, der noch immer auf dem kleinen Flur der Wohnung wartete. Er kam mit eiligen Schritten herbei gelaufen. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Sagen Sie, hat diese Bilder der verstorbene Papst aufhängen lassen? Und von welchem Künstler sind sie?“

Pierchout lächelte breit.

„Das ist richtig! Der heilige Vater hat diese Bilder aufhängen lassen und der Künstler war er selbst! Unser heiliger Vater, müssen Sie wissen, war ein begnadeter Maler.“

„Natürlich!!“ Felipe klappste sich mit der Hand an die Stirn. „M.P. Na klar! Miljan Piljosevic war sein bürgerlicher Name! Und er kam aus Slowenien, glaube ich. Jetzt ist mir alles klar! Vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen!“

„Haben diese Bilder etwas mit dem Tod unseres heiligen Vaters zu tun?“, fragte Pierchout verständlicherweise zweifelnd.

„Nun ja nicht direkt! Aber ich schaue mir diese Bilder an, und weiß, dass er wahrlich nicht der Typ war, der mal eben den Chef raus hängen lässt. Ihm muss es ein inneres Bedürfnis gewesen sein, Harmonie zu verbreiten.“

Pierchout strahlte selig, über soviel Lob für seinen heiligen Vater von einem Atheisten.

„Schauen Sie sich diese Bilder genau an und Sie werden verstehen was ich meine.“

Felipe ließ Pierchout stehen und wollte nun endgültig das große Zimmer verlassen, als ihm ein großes Gemälde der Victoriafälle, am Sambesi in Afrika, auffiel. Es hing ein wenig schief, kaum merklich! Doch ein schmaler heller Rand an der Wand hatte Felipes Blick sensibilisiert.

Da waren wohl diese Putzteufel noch nicht am Werk gewesen!, dachte sich Felipe.

Während Pierchout noch immer mit dem Studium der anderen Bilder beschäftigt war, trat Felipe schlendernd an jenes schiefe Bild heran und tat so als würde er es betrachten. In einem Moment, als Pierchout ihm den Rücken zudrehte und ein kleines Bild weiter unten beäugte, hob Felipe das schiefe Bild etwas von der Wand ab und lunschte von der Seite unter das Gemälde.

Ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus.

Da war ein Zettel oder so was an der Unterseite des Bildes angeheftet! Flink zog er ihn ab. Es war ein weißes Blatt im Format DIN A6. Auf ihm standen einige Worte in einer ihm unbekannten Sprache geschrieben. Schnell ließ er den Zettel in seinem Jackett verschwinden und rückte das Bild gerade, just in dem Moment als sich Pierchout wieder aufrichtete und umdrehte.

„Ach Signor Ventucelli! Diese Bilder, auch wenn sie noch so schön sind, werden sowieso abgenommen und archiviert.“

„Ach ein Archiv haben Sie hier auch?“, fragte Felipe überrascht.

Pierchout entglitten für einen Moment die Gesichtszüge, was Felipe nicht entging.

„Aber das werden wir wohl heute nicht mehr schaffen!“

Das beruhigte Pierchout nur wenig.

Dass ich zuviel seiner Zeit beanspruche, daran kann es schon mal nicht liegen!

„Naja! Ich schau mich mal noch ein wenig um. Wenn ich Sie von was Wichtigem abhalte, können Sie sich ruhig Ihrer Arbeit widmen. Geben Sie mir Ihr Kärtchen, dann rufe ich Sie an, sollte ich Ihre Hilfe brauchen.“

„Ach machen Sie nur! Kardinal Holzenberg hat mich für Sie eingeteilt. Drum gehört all meine Aufmerksamkeit Ihnen.“

Aber ich kann keinen Aufpasser in meinem Rücken gebrauchen!

„Auch gut!“

Grimmig verließ Felipe das große Zimmer und stand in einem weniger mit Bildern geschmückten kleinen Zimmer. Hier gab es nur einem großen Fernsehsessel und einen riesigen Flachbildfernseher. Hinter dem Sessel stand an der Wand ein alter Kamin. Sonst war dieses Zimmer unmöbliert und trostlos.

Ist das wirklich nur ein Fernsehzimmer? Fernsehen war wohl kein Hobby des Papstes!

Felipe vermutete, dass sich der Papst nur hin und wieder die Nachrichten anschaute. Um es heraus zu finden, schaltete er den Fernseher kurz ein. Siehe da, es lief ein Nachrichtensender!

Nachdem der Fernseher abgeschaltet war, trat er an den Kamin heran. Dieser wurde schon seit Ewigkeiten nicht mehr beheizt. An den Wangen des Kamins waren keinerlei Spuren von Ruß zu erkennen, welche jünger als vierzig oder fünfzig Jahre waren. Einzig auf der Sohle, in der Feuermulde, waren ein paar wenige Aschenreste von verbranntem Papier zu finden. Felipe hockte sich hin und zermalmte eine kleine Krume der Asche zwischen Daumen und Zeigefinger. Er spürte eine leichte Wärme.

Nun war er sich sicher! Irgendwer versuchte etwas vor Felipe zu verbergen! Oder weshalb verbrannte jemand an dem Tag, wo Felipe seinen Dienst antrat, Papier in der Wohnung des Papstes in einem Kamin, der schon seit etlichen Jahren tot war?

Dummerweise konnte Felipe auch nicht an der Struktur der Asche erkennen, was da so geheimnisvolles verbrannt wurde. Das Fernsehzimmer war jetzt uninteressant. Felipe ging weiter ins nächste Zimmer und stand in einer kleinen aber umfangreichen Bibliothek. Rundherum waren alle Wände bis unter die Decke mit Bücherregalen verbaut. Einzig die Nischen für das eine Fenster und die beiden Türen waren frei. Hier war noch keine Putzkolonne am Werk gewesen! Das sah Felipe sofort, da ein Stuhl mit Armlehnen vor einem Lesepult mit grüner Leselampe, nicht gerade sondern schief davor stand.

Hätte ich bloß mehr Zeit! Versiegeln kann ich dieses Zimmer wahrscheinlich auch nicht, wenn in ein paar Tagen der neue Papst hier einziehen soll. Verdammter Mist! Was soll ich machen? Zu wissen womit sich der Papst in jüngster Vergangenheit beschäftigt hat, wäre Gold wert!

Da kam Felipe eine Idee.

„Pierchout!!“, rief Felipe und gleich noch einmal und lauter „Pierchout!!!“

„Ja Signor Ventucelli!“, rief der Gerufene und eilte so gleich herbei. „Was ist passiert?“

„Sie müssen mir sofort Bischof Warren ran schaffen!“

„Ich schau mal!“ Pierchout zog sein Handy und wählte eine Nummer. „Ja hier ist Erzdiakon Pierre Pierchout! Wir sind gerade in der Bibliothek seiner Heiligkeit. Signor Ventucelli benötigt wohl dringend Ihre Hilfe.“ Pierchout hörte einen Moment zu. „Vielen Dank! Ich werde es ihm ausrichten!“ Pierchout trennte die Verbindung und sah Felipe lächelnd an. „Er wird in wenigen Minuten da sein.“

„Ich danke Ihnen!“

Felipe zog Kardinal Holzenbergs Visitenkarte hervor und rief ihn auf seinem Handy an.

„Eure Eminenz es ist von äußerster Wichtigkeit, dass Sie Ihren Chauffeur los schicken und aus meiner Wohnung meine Lebensgefährtin holen...“ Felipe wurde wohl unterbrochen. „Nein! Es ist nichts Privates...!“ Felipe verdrehte die Augen. „Es haben sich hier Dinge aufgetan, die keinen Aufschub erlauben, aber dennoch meinen heutigen Zeitplan überschreiten. Sie soll für mich etwas erledigen...“ Felipe steckte die freie Hand in die Hosentasche und klopfte mit dem Fuß auf den Teppich. „Ja selbstverständlich werde ich ihr keine Vertraulichkeiten erzählen. Ich werde sie auch sofort anrufen, und sie über ihr Erscheinungsbild instruieren.“ Gespannt hörte Felipe zu und atmete erleichtert auf. „Ich danke Ihnen Eure Eminenz! Dies wird uns in unserer Sache ein ganzes Stück voran bringen.“

Felipe beendete das Gespräch und rief sogleich Lorella an. Er rief zu Hause an, da er davon ausging, dass sie sich noch einmal schlafen gelegt hat. Das Festnetztelefon klingelte lauter. Nach dem vierten Rufzeichen sprang der Anrufbeantworter an.

„Lorella!!“, rief er laut in sein Handy. „Lorella Tomatini!!!“ rief Felipe noch lauter. „Nun geh schon ans Telefon, Schatz!!!“

Endlich knackte es in der Leitung.

„Ja Schatz?“, hörte er die süße verschlafene Stimme von seiner Freundin.

Na endlich!

„Liebling! Du musst mir hier unbedingt helfen. Bitte! Es ist von äußerster Wichtigkeit!“

„Was ist denn los?“

Lorella war jetzt richtig wach.

„In ein paar Minuten klingelt der Chauffeur eines Kardinals bei uns. Zieh dir besser gleich was über mein Schatz! So was hübsches wie dich ist er wahrscheinlich nicht gewöhnt!“

Felipe stellte sich die hübsche Lorella vor, wie sie gerade splitterfasernackt auf dem Flur vor dem Telefon steht.

„Wenn du es noch nicht gemacht hast, packe gleich noch ein paar Reisesachen für mich zusammen, schnappe dir einen Schreibblock und Schreibzeug und fahre mit dem Chauffeur hier her zu mir in den päpstlichen Palast. Alles…“

„In den päpstlichen Palast??? Oh mein Gott!! Was zieh ich denn da an!!?“, quietschte Lorella panisch.

„Du machst das schon. Trage aber nicht so dick auf. Ich glaube mit so einem sexy Girl wie dir kommen die Priester hier nur schwer zurecht. Außerdem trauern die hier gerade alle. Komm erst mal her! Alles weitere erkläre ich dir dann hier. Machst du das?“

Bischof Warren betrat die Bibliothek. Felipe winkte, etwas Geduld verlangend, ab und unterhielt sich weiter mit Lorella. Bischof Warren schaute verdrießlich drein.

„Ja natürlich! Also Reisetasche, Schreibblock und Schreibzeug! Alles klar!“, bestätigte Lorella noch einmal.

„Oh du bist ein Schatz!“

„Ich weiß!“

„Also bis nachher! Ich liebe dich!“

Felipe trennte das Gespräch und steckte das Handy weg.

„Ah Bischof Warren! Vielen Dank, dass Sie sofort kommen konnten. Wann werden Sie voraussichtlich mit der Reinigung und Renovierung der päpstlichen Wohnung fertig sein?“

„Voraussichtlich übermorgen!“, antwortete Warren verwundert und nicht wissend worauf Felipe hinaus wollte.

„In Absprache mit seiner Eminenz Kardinal Holzenberg…“, flunkerte Felipe ein wenig „…werden Sie die Bibliothek bis übermorgen unberührt lassen. In ein paar Minuten kommt meine Assistentin und wird einige Spuren und Indizien sichern.“

Warren schaute Felipe ungläubig an.

„Assistentin? Sie nennen Ihre Assistentin Schatz?“

„Oh ja!“, beteuerte Felipe. „Wir haben ein unglaublich persönliches Arbeitsverhältnis!“ Felipe grinste Warren breit an. „Auf jeden Fall bleibt die Bibliothek bis übermorgen gesperrt! Niemand außer meine Assistentin darf sie betreten! Ich freue mich über Ihr mir entgegen gebrachtes Verständnis.“

„Ja aber…“, wollte Warren protestierend einwenden.

„Ich muss auch schon wieder weiter machen!“, schnitt ihm Felipe das Wort ab, keine Widerrede gelten lassend. „Sie wollen doch in zwanzig Minuten mit Ihren Leuten wieder weiter machen!“

Felipe drehte sich um und widmete sich einigen Bücherreihen in den Regalen.

Entrüstet aber schweigend verließ Warren die Bibliothek ohne jedes weitere Wort.

Felipe rieb sich entzückt die Hände, als er sich die Bücherreihen so ansah. Fast alle Bücher standen fein säuberlich ausgerichtet im Regal. Und auf den Oberkanten der Seitenstapel hatte sich eine leichte Patina aus Staub abgesetzt, aber eben nur auf fast allen Büchern! Einige Bücher tanzten etwas aus der Reihe, standen mal etwas weiter nach hinten oder vor und hatten nur eine dünnere oder gar keine Staubpatina auf der Oberkante der Seitenstapel.

Nach Auswertung aller betreffenden Bücher und ihrer Spuren konnte Felipe ungefähr ablesen womit sich der verstorbene Papst in der letzten Zeit vor seinem Tod beschäftigt hat. Ob diese Informationen von Wichtigkeit waren, würde sich später zeigen. Später wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Jetzt, zu Beginn der Ermittlungen waren alle Informationen von und über das Opfer wichtig!

Da Felipe aus eigener Erfahrung wusste was das Abstauben hunderter Bücher für eine müßige Arbeit war, wusste er auch, dass man sich diese Arbeit nicht jede Woche machte. Bestenfalls nahm man sich die Bücher alle paar Monate vor, wenn überhaupt!

Wenn sich Felipe den Staub auf den nicht bewegten Büchern so ansah, schätzte er, dass der letzte Staubwisch vor ein paar Monaten stattfand, vielleicht beim letzten Frühjahrsputz!

Doch leider, musste Felipe feststellen, war der verstorbene Papst ein sehr emsiger Leser. Allein in der Regalreihe die sich Felipe gerade betrachtete, erkannte er fünf in Frage kommende Bücher. Und es gab hier viele Regalreihen, sehr viele Regalreihen!

Hier würde Lorella ins Spiel kommen. Als angehende Journalistin, die gerade ein Volontariat sucht, war sie überaus begabt, Beweise und Indizien zu sichten und zu bewerten.

Bliebe einzig noch das Problem, wie Felipe ihr den Sinn und die Notwendigkeit dieser doch recht stupiden Aufgabe vermitteln sollte, ohne ihr zu verraten, dass der Papst nicht einfach so gestorben ist. Da würde Felipe wohl, auch wenn ihm das nicht gefiel, die Situation auf sich zu kommen lassen und entsprechend reagieren müssen. Er hasste es unvorbereitet eine Sache anzugehen!

Felipe schaute sich die beiden Türen zur Bibliothek an. In beiden steckten Schlüssel. Kurzerhand verschloss er die Tür die zu dem „Fernsehzimmer“ führte von innen und steckte den Schlüssel ein. Durch die andere Tür, die zurück auf den Flur führte, verließ er die Bibliothek und verschloss auch diese Tür. Er steckte den Schlüssel ein und suchte das nächste Zimmer auf. Es war das Schlafgemach. Aber hier war nichts zu erkennen. Hier hatte die Putzkolonne bereits ganze Arbeit geleistet. Alles war picobello sauber, nichts lag herum, die Möbel waren perfekt zueinander ausgerichtet, wahrscheinlich wie es irgendein Protokoll vor schrieb, und das Bett war frisch bezogen. Auf dem Nachtschränkchen lag unter einer kleinen grünen Nachttischlampe eine nagelneue kleine Bibel. Ebenso verhielt es sich mit dem Bad und dem WC. Es war alles clean! Gab es da nur noch ein Zimmer, welches Felipe, als er es betrat, als eine Art Wohnzimmer deutete.

In ihm stand eine Couchgarnitur, die man ihrem Stil nach eher in die 60er oder 70er Jahre gelagert hätte. Daran merkte Felipe, dass dem verstorbenen Papst nur wenig an modernem oder luxuriösem Ambiente lag. Scheinbar versuchte er auch im Privatleben, wenn es denn so was für einen Papst überhaupt gab, die Ideale der Kirche zu leben. Auch das übrige Mobiliar wirkte auf Felipe eher altbacken. Ansonsten hatten auch hier die Putzteufel schon ganze Arbeit geleistet. In der Mitte des Raumes standen noch vier große Plastikkisten mit allerlei belanglosem persönlichem Krams des verstorbenen Papstes herum. Felipe schüttelte säuerlich den Kopf. Würden diese Gegenstände noch immer da stehen und liegen, wo sie das Opfer zuletzt gelassen hat, könnte man eine Fülle an Informationen und Schlussfolgerungen sammeln. Beispielsweise waren in einer der Kisten eine Unmenge an Gläsern. Da waren Sektgläser, Weingläser, Weinbrandgläser ja sogar Whiskeybecher und auch neutrale Trinkgläser zu sehen. Allein auf Grund ihrer Anordnung im Schrank hätte Felipe Mutmaßungen über die alkoholischen Vorlieben, sofern es denn welche gab, ziehen können. Hätten unter Umständen noch irgendwo ein paar leere Flaschen herum gestanden, hätte man daraus Schlüsse über eine eventuell vorhandene Trunksucht ziehen können.

Ja gut! Hallo!? Der Papst!? Aber so lief das eben bei Ermittlungen!

So war der ganze persönliche Kram in den Kisten eben nur persönlicher Kram ohne „Geist“ und würde in diesem Archiv wohl verrotten. Einzig ein Stapel persönlicher Fotos erschienen Felipe interessant. Aus Zeitgründen sichtete er sie nicht großartig, sondern steckte sie als Stapel in seine Aktentasche. Er gelobte sich, diese Fotos bei Abschluss der Ermittlungen wieder den übrigen persönlichen Gegenständen zukommen zu lassen.

Felipe verließ wieder das Wohnzimmer und traf dort auf den wartenden Pierchout.

„Na, Signor Ventucelli? Sind Sie in Ihren Ermittlungen voran gekommen?“, fragte er ohne eine konkrete Antwort zu erwarten.

„Wir werden sehen! Wir werden sehen!“, antwortete Felipe, Pierchouts Erwartungen entsprechend und wandte sich ihm zu, als hätte er eben eine Eingebung gehabt. „Sagen Sie Pierre, wissen Sie, ob der Papst irgendwie enge Vertraute hatte? Ich meine Personen die er auch mal mit seinen Alltagsproblemen und andern Sorgen behelligen konnte ohne dass man gleich einen Krisenstab einberief. Ich möchte nicht sagen einen Kumpel, aber jemanden mit dem er reden konnte. Ich könnte mir da zum Beispiel einen Butler, einen persönlichen Assistenten oder vielleicht eine Art Hauswirtschafterin vorstellen. Gab es da so was?“

„Der heilige Vater hatte schon eine rechte Hand!“, erwiderte Pierchout und legte eine Hand ans Kinn. „Aber inwieweit sie persönlich mit dem heiligen Vater vertraut war kann ich nicht sagen. Diese rechte Hand des Papstes ist Bruder Luigi Moranza. Ein junger Diakon, der, den Protokollen gemäß, im Moment das Amt des Camerlengo innehat, der Stellvertreter seiner Heiligkeit, bis ein neuer Papst ausgerufen wurde. Aber ich kann Ihnen im Moment nicht seinen aktuellen Aufenthaltsort nennen. Es kann sein, dass er noch in Igoschetsien ist und sich um die ordnungsgemäße Überführung des Leichnams seiner Heiligkeit kümmert.“

„Wäre plausibel! Dann werde ich ihn ja wahrscheinlich noch heute sehen. Ich danke Ihnen!“

Da ging die Tür zur Wohnung des Papstes auf. Gefolgt von zwei Wachen der Schweizer Garde trat Lorella ein. Sogleich fiel sie Felipe um den Hals. Er bremste sie ein wenig in ihrem Enthusiasmus und gab ihr nur einen Kuss auf die Wange. Er wusste nicht wie freizügig er sich ihr gegenüber verhalten durfte, ohne für Aufregung zu sorgen.

„Ach Schatz es ist schön, dass du da bist. Komm mit ich muss dir was zeigen.“

Er nahm Lorella an die Hand und führte sie zur Tür der Bibliothek. Er schloss auf, trat mit ihr ein, verschloss hinter sich wieder die Tür und gab ihr einen richtigen Kuss. Dabei streichelte Felipe ihre Taille.

„Entschuldige bitte! Aber hier muss man ein wenig aufpassen mit der körperlichen Nähe. Du siehst übrigens super aus!“

Felipe betrachtete sich seine Freundin von oben bis unten. Ihre langen schwarzen Haare zu einer hübschen Steckfrisur hoch gesteckt, in einem eleganten grauen Hosenanzug mit weißer Bluse und schwarzen Pumps sah sie zwar immer noch hinreißend aus, aber ihre wirklich hervorstechenden erotischen Attribute traten nicht mehr ganz so sehr in den Vordergrund, wie zum Beispiel ihre traumhafte Figur, die langen Beine und ihr hinreißendes Dekolletee.

„Es geht um Folgendes. Diese Bibliothek gehörte dem Papst. Ich möchte gerne wissen, womit er sich in den letzten Tagen und Wochen vor seinem Ableben beschäftigt hat.“

„Wieso möchtest du das wissen?“, fragte Lorella verwundert darüber was Felipe wohl mit dem Papst zu tun haben könnte.

Diese Frage hatte Felipe befürchtet und er hoffte überzeugend rüber zu kommen.

„Es geht das Gerücht um, dass im Vatikan ein Komplott oder eine Intrige, vielleicht sogar gegen den Papst im Gange war. Vielleicht hatte der Papst im Vatikan selber mächtige Feinde. Dem soll ich auf den Grund gehen. Doch dazu muss ich wissen womit er sich vor seinem Tod beschäftigt hat. Deswegen sind wir hier.“

Bis jetzt klang das Ganze doch ziemlich schlüssig!, fand Felipe und war guter Dinge, dass Lorella den Köder schlucken würde.

„Sag mal!“, fragte Lorella neugierig. „Hat man den Papst etwa ermordet?“

Bums! So ein Mist!, dachte Felipe und hätte sich in den Hintern beißen können. Da hat er sich eine schöne Geschichte zurechtgelegt, und trotzdem kommt seine clevere Freundin sofort auf die Wahrheit!

„Nein!! Ach der Tod des Papstes hat damit überhaupt nichts zu tun!“, log Felipe schweren Herzens. „Ich glaube der Papst ist an einem Herzversagen gestorben. Er war ja auch nicht mehr der Jüngste!“

Wie gerne hätte er mit Lorella die Wahrheit geteilt und vielleicht sogar nach ihrer Meinung gefragt. Hey hallo!? Sie ist Journalistin!

„Jedenfalls, diese Bibliothek ist der einzige Raum in seiner Wohnung, der noch nicht bereinigt wurde. Wie du siehst, gibt es hier viele Bücher. Einige stehen etwas vor oder zurück und sind entweder gar nicht oder weniger verstaubt als die Anderen. Das heißt die hat der Papst seit dem letzten großen Staubwisch gelesen. Leider war unser Papst ein sehr fleißiger Leser. Du hast Zeit bis übermorgen. Schau dir zunächst alle gelesenen Bücher von außen an, ohne sie zu berühren. Dann kannst du vielleicht eine Art chronologische Liste anhand der Verstaubungsgrade erstellen. Achte darauf nicht zu lüften, auch wenn es hier noch so stickig ist. Zugluft könnte die Spuren verfälschen. Dann kannst du die Bücher erfassen, fix durchblättern und eventuell Besonderheiten aufzeichnen. Zum Beispiel ein Eselsohr an einer markanten Stelle, oder, es soll ja Leute geben die in Büchern herum kritzeln und so weiter. Würdest du das für mich tun? Ich muss heute noch nach Igoschetsien...“

„Igoschetsien? Was willst du denn da? Ich denke deine Arbeit hat nichts mit dem Tod…“

„Das kann ich dir jetzt nicht erklären!“, schnitt er Lorella das Wort ab. „Das würde zu lange dauern! Ich habe für die Bibliothek keine Zeit mehr, bevor das Zimmer übermorgen spätestens bereinigt wird. Bitte mein Schatz!“

„Das klingt langweilig!“

„Ich weiß! Wenn es nicht so wichtig wäre, würde ich dich nicht darum bitten.“

„Also gut! Aber da habe ich was gut bei dir!“

„Auf jeden Fall!“

Voller Freude, dass das so gut und reibungslos geklappt hat, nahm Felipe seine Freundin in die Arme und hob sie hoch.

„Alles klar Chef!“ sagte Lorella mit tiefer Stimme und salutierte, nachdem Felipe sie wieder abgesetzt hatte. „Flieg du nach Igoschetsien, ich schaukle das Baby schon!“

Felipe lächelte Lorella an. Sie war einfach nur der Hammer!

Aufbruch

„Mein Lieber Ventucelli! Es tut mir wirklich ausgesprochen leid, wenn an Ihrem ersten Tag nicht alles Reibungslos geklappt hat.“, begann Holzenberg in seiner schwarzen klimatisierten Limousine. Ihm gegenüber saß Felipe und war, auf Grund seiner paar kleineren Notlügen, auf eine Standpauke von Kardinal Holzenberg gefasst.

„Drum bin ich froh, dass Sie scheinbar das Beste daraus gemacht haben und Ihr Improvisationstalent ein erstes mal unter Beweis stellen konnten.“, säuselte Holzenberg wie mit Engelszungen weiter.

Felipe war drauf und dran, erfüllt von Stolz, zu grinsen. Doch er konnte sich zusammenreißen und wartete nur auf den Haken, den Holzhammer oder die Hand an seinen Eiern. Er war wachsam und wollte nicht in eine von Holzenbergs Psychofallen tappen.

„Doch können wir uns nicht darauf festlegen, dass Sie Ihren Umgangston mit meinen Glaubensbrüdern etwas überarbeiten? Wenn Sie schon der Meinung sind, sich auf mich berufen zu müssen, möchte ich es doch wenigstens von Ihnen umgehend erfahren.“

Holzenbergs Worte waren weich wie Schokoladensoße und doch so scharf wie eine Chilischote. Milde lächelte Holzenberg sein Gegenüber an.

So ein Mist!, dachte sich Felipe. Warren hat gepetzt! Doch was habe ich erwartet?, überlegte Felipe weiter. Das Warren hübsch die Füße still hält, nur weil so ein junger Schnösel das so möchte?

Am Ende war es Ihm egal! Lorella hatte sich in der Bibliothek eingeschlossen, und Holzenbergs Segen bekam er im Nachhinein auch. Also war doch alles gut! Außer, dass er mit Bischof Warren einen Freund weniger im Vatikan hatte. Im Augenblick stand Felipe vor dem Dilemma, sich vor Holzenberg verteidigen zu müssen. Doch wie? Holzenbergs Kritik war so lieblich verpackt, dass man sie ja kaum noch erkennen konnte. Doch einfach klein beigeben wollte Felipe auch nicht! Das würde eventuell seinen Status als selbständig arbeitender Polizeiinspektor untergraben, oder so was. Felipe beschloss es mit der gleichen Süßholzraspelmethode wie der Kardinal zu probieren.

„Eure Eminenz. Ich verstehe voll und ganz, dass Sie versuchen die Interessen Ihrer Glaubensbrüder zu vertreten. Gewiss ist es für einen Priester nicht immer einfach mit einem weltlich erzogenen Mann klar zu kommen.“

Leutselig lächelnd lehnte sich der Kardinal zurück und faltete in seinem Schoß die Hände.

„Ich gehe davon aus...“, fuhr Felipe weiterhin äußerst höflich fort. „...dass Sie mich in meiner Situation verstehen. Ich wurde von Ihnen gerufen, und ich bin gekommen um einen Mord aufzuklären. Das erste was ich vor finde ist, dass Unmengen von Spuren, Indizien und Hinweise zerstört werden, nur weil es da irgendwelche Protokolle gibt. Natürlich haben diese Protokolle ihren Sinn und Nutzen! Doch in meiner Situation haben sie mir nur geschadet. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten war ich gezwungen sozusagen die Notbremse zu ziehen und nach unkonventionellen Mitteln zu greifen.“

Holzenberg nickte, den Verständnisvollen heuchelnd.

„Ich muss Ihnen gestehen...“ Auch Felipe lehnte sich jetzt wie zuvor der Kardinal zurück und lächelte süffisant. „...würde etwas die Aufklärung des Mordes stören oder gar gefährden, ich würde erneut so oder ähnlich handeln. Da Sie ebenso an der Aufklärung des Mordes interessiert sind wie ich, wovon ich mal ausgehe, setze ich auch künftig Ihre Zustimmung bei meinen Ermittlungen voraus.“

Felipe lächelte wie ein Honigkuchenpferdchen. Holzenbergs Gesichtsausdruck erstarrte einen Moment zu Stein. Doch fand er schon recht bald sein Lächeln wieder.

„Gewiss doch! Aber an einer besseren Kommunikation zwischen uns wäre mir doch sehr gelegen.“

Wow! Er geht einen Kompromiss ein. Jetzt noch ein wenig Zugabe von mir und wir fühlen uns beide als Sieger!

„Das lässt sich bestimmt einrichten!“

„Das freut mich!“

Die Limousine fuhr durch ein Seitentor, am anderen Ende des Flughafens von Rom, direkt auf das Flugfeld. An einem Schlagbaum wurde ihre Limousine von zwei schwer bewaffneten Polizisten angehalten. Als Holzenberg seine verdunkelte Scheibe herunter ließ und dem einen Polizisten zulächelte, winkte der Polizist die Limousine einfach durch und der Schlagbaum öffnete sich. Die Limousine befand sich, ohne eine Kontrolle, im Hochsicherheitsbereich des römischen Flughafens!

„So geht das hier!“, warf Felipe erstaunt ein, als der Wagen über das Flugfeld sauste.

„Haben Sie geglaubt, dass der Papst oder seine Gefolgschaft sich durch die Kontrollprozeduren am Terminal quält?“

Holzenberg grinste schräg und Felipe kam sich ein wenig naiv vor. Er schaute aus dem Fenster und erblickte in der Ferne schon eine große Maschine der Alitalia. Sie glänzte im Schein der nachmittäglichen Sonne.

„Eure Eminenz?“, fragte Felipe.

„Ja?“

„Was meinen Sie, wann werden wir voraussichtlich in Igoschetsien landen?“

„Rechnen wir mal mit vier Stunden Flugzeit.“

„Mhm! Also am späten Abend! Besteht die Möglichkeit, dass ich noch heute Abend den Tatort besuchen könnte?“

„Es wird bereits dunkel sein!“

„Das ist richtig, wie zu dem Zeitpunkt des Attentats.“

„Nun, wenn Ihnen soviel daran liegt, lässt sich das bestimmt einrichten. Ich werde an Bord der Maschine versuchen den Igoschetsischen Staatspräsidenten zu kontaktieren, auf dass er uns zu so später Stunde noch in seine Sommerresidenz lässt.“

Enttäuschung

In dicken Tropfen fiel der Regen wie aus Eimern und prasselte mit aller Macht auf den schwarzen Regenschirm hernieder, dass sich sogar das Nylontuch zwischen den einzelnen Blechstreben ausbeulte. Hinzu kam noch dieser hässliche Gegenwind, der es Kordes ungemein erschwerte voranzukommen. Den Kragen seiner braunen Lederjacke hoch geklappt, den Regenschirm gegen Wind und Regen gestemmt, stapfte er, gegen dieses Unwetter ankämpfend, den schwarz glänzenden Fußweg in der Kempener Innenstadt entlang.

„Fuck! So ein beschissenes Wetter!“, fluchte er wütend und ärgerte sich, dass er für die fünfhundert Meter von seinem Hotel bis zu diesem Internetcafé nicht mit seinem VW-Transporter gefahren ist. Er war seinem Ziel bereits näher als dem Hotel, als das Unwetter über Kempen herein brach. Daher kam ein Umkehren nicht in Frage. So lief er verdrießlich weiter durch den Wolkenbruch, passierte die letzte Hausecke und stand auf dem zum Internetcafé gehörenden Parkplatz. Selbstverständlich waren jede Menge Parkplätze direkt vor dem durch eine Art Baldachin überdachten Eingang frei.

„Ich Idiot!“, schimpfte sich Kordes selbst und lief zügig, den Wind und den Regen jetzt von der Seite, zum Eingang. Aufdringlich flackerte eine Leuchtreklame an der Tür mit dem Schriftzug »Videopalace«. Darunter war in etwas kleineren Buchstaben »Internetcafé« zu lesen.

Unter diesem Baldachin schüttelte Kordes den Schirm aus, klappte ihn zusammen und besah sich kurz von oben bis unten. Seine Jeans und die weißen Turnschuhe mit diesen drei blauen Streifen haben vom Regenschirm wohl nicht ganz so viel Schutz abbekommen und waren hoffnungslos durchnässt.

„So ein Mist!“

Noch immer wütend über sich betrat er das Internetcafé. Von außen machte es ja einen etwas schmuddeligen und heruntergekommenen Eindruck. Das hing vielleicht damit zusammen, dass das Haus indem es sich befand schon etwas altbacken war und einen neuen Anstrich hätte vertragen können. Das schlechte Wetter und diese aufdringliche Leuchtreklame trugen noch ihr Übriges dazu bei. Aber drinnen entpuppte sich dieser Schuppen als eine saubere, modern eingerichtete Mediathek. Der große Saal war hell ausgeleuchtet, der himmelblaue Teppichboden sauber und neben den sechs Internetplätzen, die sternförmig zueinander angeordnet, mitten im Saal standen, gab es noch etliche Regale mit einer schier unzähligen Auswahl an auszuleihenden DVD, Blue Ray´s, CD´s und Konsolenspielen aller Marken. Alles schien modern, trendig und gepflegt zu sein.

Die Mediathek war, wie bei diesem Wetter und zu dieser vorgerückten Stunde verständlich, nur schwach besucht. Zwischen den vielen Regalen schlichen zwei oder drei Typen herum und an zwei der sechs Internetplätze saßen zwei junge Teenagerinnen. Sie schienen sich gerade köstlich im Internet zu amüsieren. Auf jeden Fall waren diese jungen Dinger ständig albern am herum kichern. Amüsiert begutachteten sie das Erscheinungsbild von Kordes und kicherten sich quasi ins Fäustchen, wussten sie doch nicht, dass Kordes nur eine seiner vielen Maskeraden trug und die entsprechende Identität lebte.

Er trat an den Tresen des Verleihers. Der Kerl der dahinter saß war eher mit dem äußeren Erscheinungsbild dieser Mediathek zu vergleichen. Da saß auf einem vielleicht 50 Euro teuren Chefsessel aus Kunstleder und Plastik, ein dicker und ungepflegter Mann mit durchgeschwitztem und grauen T-Shirt, Stoppelbart und fettigem Haar. In seinen dicken Händen hielt er eine Tüte Kartoffelchips. Auf dem Tisch neben ihm stand noch eine geöffnete Büchse Cola. Über einen kleinen Fernseher schaute er sich wahrscheinlich eine der unzähligen DVD´s an. Er schien Kordes noch gar nicht bemerkt zu haben.

Das Alter dieses Mannes konnte man aufgrund seines allgemeinen Erscheinungsbildes kaum einschätzen. Er könnte 25 Jahre oder auch 55 Jahre alt sein, fand Kordes.

„Hey!“, raunte er, sich auf den Tresen aufstützend, zu diesem ungepflegten Videothekenbesitzer oder -angestellten rüber.

Endlich schaute der dicke Mann durch seine zierliche Brille zu Kordes auf.

„Ja!“, erwiderte er mit teilnahmslosem Gesicht.

„Ich muss mal ins Internet.“

„Halbe Stunde zwei Euro jede weitere halbe Stunde ein Euro. Nimmste die Drei!“

Kordes schaute sich um. Platz 3 war der Monitor, der direkt neben diesen jungen Dingern stand.

Platz 5 wäre gut! Da könnte mir der Fettwanst nicht so ohne weiteres über die Schultern schauen. Und diese Weiber gingen mir auch nicht auf den Sack!, dachte sich Kordes.

„Gib mir die Fünf!“, erwiderte er gelassen.

Angenervt darüber bei seinem Film gestört zu werden sah der Verleiher auf.

„Die Drei ist genau so gut!“

„Hör zu! Ich brauche meine Ruhe! Die habe ich nicht neben diesen dummen Hühnern da! Entweder schmeißt du die Beiden jetzt raus und ich nehme die Drei. Oder du gibst mir gleich die Fünf.“

„Oder? Hey Mann du kannst dir auch ein anderes Internetcafé suchen!“, erwiderte der Mann trotzig und langte in seine Chipstüte.

Kordes sah zur Eingangstür heraus. Es goss noch immer wie aus Eimern. Mit ausdruckslosem Gesicht schaute er zu dem dicken Verleiher rüber, der gerade geräuschvoll von seiner Coladose trank.

„Ach ne! Ich vergaß ja...“, warf der dicke Mann mit einem ironischen Unterton noch hinterher, als er die Coladose wieder abgesetzt hatte und erneut in die Chipstüte langte. „...wir sind ja das einzige Internetcafé in Kempen! Also nimmste nun die Drei oder verpisste dich?“

Augenblicklich schoss mit einer blitzschnellen Bewegung Kordes sein Arm nach vorn, packte den dicken Mann bei den fettigen Haaren und zog ihn über den Tresen zu sich ran. Schreiend und beflügelt durch den Schmerz sprang der dicke Mann auf. Die Tüte Chips viel zu Boden und deren Inhalt verstreute sich über den himmelblauen Teppich. Ruckartig schlug Kordes den Kopf des Mannes auf die hochpollierte Granitplatte des Tresens. Leblos sackte der dicke Mann zusammen und riss noch die Coladose mit sich. Sie ergoss sich über sein verschwitztes T-Shirt. Kordes stand da und hatte ein größeres Büschel fettige Haare in der Hand.

„Warum hast du mir nicht einfach die Fünf gegeben?“

Kreischend liefen die jungen Dinger von Platz 1 und 2 aus dem Laden. Die drei Typen in den Regalreihen schauten auf. Die waren so der Typ Straßengang, wo man immer die Befürchtung hatte, jeden Moment könnten ihnen die Hosen komplett den Hintern herunter rutschen. Sie gehörten wohl zusammen und wollten sich eigentlich etwas ausleihen. Entschlossen traten sie cool und lässig, wie sie sein wollten, mit gezückten Butterflymessern und Schlagringen an Kordes heran.

„Hey! Was hat dir der arme Günni getan?“, fragte einer von denen, wohl der Anführer.

Ohne zu zögern trat Kordes dem Redner beherzt in den Schritt. Der sackte schreiend und sich krümmend zusammen. Sogleich stürmten die anderen Beiden mit ihren Messern und Schlagringen auf Kordes los. Blitzschnell schlug er dem einen, bevor dieser auf Schlagdistanz war, mit einem Tritt das Messer aus der Hand und rammte ihm krachend die Faust ins Gesicht. Der flog nach hinten und landete auf dem blauen Teppichfußboden. Er war bewusstlos und aus seiner gebrochenen Nase schoss viel Blut, welches den schönen blauen Teppichfußboden ruinierte. Bei dem Dritten, dessen Messer schon auf Kordes zu schnellte, wich er reaktionsschnell zur Seite aus und rammte gezielt zwei Finger seiner Hand in dessen Augen. Gellend aufschreiend sank dieser zusammen. Unter seinen Händen, die er vor den Augen hielt, rannen Rinnsale von Blut. Mit einem schweren Kinnhaken schlug er den Typ, dem er in den Schritt getreten hatte, k.o.

Jetzt war Kordes ungestört und trat hinter den Tresen. An dessen Arm zerrte er den noch immer bewusstlosen, schwer aus der Nase blutenden, Verleiher beiseite und rief am Hauptrechner die Seite seiner Schweizer Bank auf. Er überprüfte nach Eingabe diverser PIN´s und Passwörter sein Konto.

„Verflucht!“, knurrte Kordes, den schreienden und sich am Boden windenden Typen ignorierend. Der junge Bursche hielt noch immer die Hände vor seine ausgestochenen Augen.

Kordes wurde beim Anblick seiner Kontoübersichten noch wütender, als er durch dass schlechte Wetter eh schon war. Sein Auftraggeber hatte noch immer nicht, wie vereinbart, die andere Hälfte der 50 Mio. US-Dollar überwiesen.

Scheinbar glaubten die Auftraggeber, nur weil Kordes für sie inkognito blieb und im Vorfeld nie irgendwelche Namen oder Adressen erwähnt wurden, dass sie für Kordes ebenfalls unbekannt waren. Scheinbar glaubten sie, Kordes übers Ohr hauen zu können! Jedoch hatte er Vorkehrungen getroffen. Angesichts der Brisanz des Themas und der Größenordnung der Gelder musste er das auch tun. So konnte er durch eine raffinierte Zurückverfolgung der Telefon und Internetverbindungen die Standorte der Auftraggeber ermitteln und kannte kurze Zeit später deren Identität. Kordes allerdings hatte seine medialen Verbindungen aufwendig, über etliche Server und Knotenpunkte weltweit, tarnen und sichern lassen. Versuchte jemand ihn zurückzuverfolgen, kam er im Urwald von Borneo raus, und landete in einer wissenschaftlichen Station von ein paar Biologen.

Schnell verließ er wieder die Seite seiner Bank, löschte am PC noch den Verlauf und verließ, die vier Verletzten sich selbst überlassend, das Internetcafé.

Der Regen ließ langsam nach und Kordes lief zügig zu seinem Hotel. Von weitem hörte er schon die Sirenen von Streifenwagen.

Haben diese dummen Hühner doch tatsächlich die Bullen gerufen! Aber auch egal! Sollen sie mich doch ruhig beschreiben. Die Polizei wird ein Phantom jagen!

Schon bald hatte er sein Hotel erreicht. Als Kordes das Foyer betrat, empfing ihn gleich die junge, hübsche Frau hinter der Rezeption.

„Oh Herr Rößler! Sie Ärmster. Da sind Sie wohl mitten rein geraten in dieses böse Unwetter!“

„Das Glück ist immer mit den Anderen! Ich habe auch erst einmal genug von Ihrer schönen Stadt. Ist natürlich Quatsch!“ Kordes lächelte die Blondine an. „Aber ich muss überraschend abreisen. Machen Sie mir doch bitte meine Rechnung fertig. Ich packe nur eben.“

„Ach das tut mir jetzt aber leid.“, erwiderte die Blondine mit diesem gewissen Unterton und reichte Kordes seinen Schlüssel. Dabei beugte sie sich vorn über. Wahrscheinlich wusste sie, dass Kordes ihr dabei tief in den Ausschnitt schauen konnte.

Auch wenn dieses Angebot sehr verlockend war, so musste er doch schweren Herzens ablehnen.

Zwanzig Minuten später saß Kordes in seinem Transporter und verließ gerade Kempen in Richtung Krefeld. Der netten Blondine hat er beim Auschecken in einem lockeren Plauderton erzählt in Richtung Venlo zu reisen. Sollte denn die Polizei früher als erwartet im Hotel nach ihm suchen, würde diese kleine Lüge ihm vielleicht ein paar Minuten Vorsprung verschaffen. Kurz nachdem er die Umgehungsstraße auf der Abfahrt verlassen hatte, fuhr er in Höhe eines großen Landgutes rechts in einen Waldweg rein. Nach etwa hundert Metern ging ein weiterer Waldweg ab. Auf diesen bog er erneut ein und hielt am Rande des Weges an. Kordes nahm die blonde Perücke, Schnauzbart und Brille ab. Er entfernte aus seinem Mund eine Art Prothese, die seine Zähne etwas schief und vom vielen rauchen gelblich erscheinen ließ.

„Das war Georg Rößler!“

Kordes stieg aus und begann damit vom roten Transporter eine selbstklebende Folie abzuziehen. Unter dieser Folie kam der schwarze Originallack des Transporters zum Vorschein. Die abgezogene Folie packte er in eine Einkaufstüte und verstaute sie im Laderaum des Wagens. Bei Gelegenheit würde er die Folie entsorgen. Zum Schluss tauschte Kordes noch die deutschen Kennzeichen gegen österreichische aus und setzte sich wieder hinters Steuer. Im Wagen langte er hinter sich in den Laderaum und holte einen großen Aluminiumkoffer hervor. Er klappte ihn auf und verstaute Perücke, Schnauzbart, Brille und Prothese seiner letzten Identität darin. Die alten Hamburger Kennzeichen schob er in ein Fach als er die erste Ebene im Koffer anhob. Aus einem Stapel Pässe suchte sich Kordes einen österreichischen Reisepass und glich mit diversen Hilfsmitteln sein Aussehen dem Gesicht auf dem Passbild an.

Nun war er Alois Wedebacher aus Tirol. Alois Wedebacher hatte bereits eine sehr hohe Stirn. Nur noch ein Kranz von dunkelblonden Haaren zierte sein Haupt. Alois Wedebacher war 53 Jahre alt und wohnte auf einem kleinen entlegenen Resthof in Tirol. Ein Bauchansatz und gerötete Wangen verrieten dem Beobachter, dass er einem Glas Bier und ein paar Kurzen am Abend nicht abgeneigt war. Alois Wedebacher war so ziemlich das genaue Gegenteil von Kordes und das war auch gut so!

Mit einem veränderten Aussehen, einem neuen Wagen und einer neuen Identität fuhr er nun wieder in Richtung Kempen auf die Umgehungsstraße. Er schlug die Richtung A61 ein, mit dem Ziel Tirol. Unterwegs würde er genug Zeit haben, darüber nachzudenken, wie er nun mit seinem säumigen Auftraggebern weiter verfahren würde.

Am Ort des Verbrechens

Die Nacht in Igoschetsien war sternenklar, und über der Parkanlage des Palastes lag eine gespenstische Ruhe.

Würden nicht die vereinzelten Lichter im Palast, die Sterne am Himmel und der abnehmende Mond leuchten, hätte man nicht vermocht das Portal und das Rondell vor dem Palast auszumachen.

Die rote Sandsteintreppe war an diesem Abend mit einem gelben Flatterband abgesperrt. Mitten drin in der Absperrung stand Felipe mit einer Taschenlampe und neben ihm eine weitere Person mit asiatischem Aussehen.

Felipe leuchtete die Treppe aus. Ganz schwach waren auf dem roten Sandstein und den ebenfalls aus rotem Sandstein bestehenden Pflanzkübeln Spuren einer großen Blutlache zu erkennen.

„Der Staatspräsident versucht dem Blut mit Chemie Herr zu werden.“, erzählte der Mann auf gebrochenem Englisch.

Da weder der eine Russisch noch der andere Italienisch konnte, einigten sich Felipe und Kagujew, der leitende igoschetsische Ermittlungsbeamte, auf Englisch. Das konnten Beide gleichermaßen schlecht.

„Dummerweise hat der Sandstein das Blut tief eingesogen. Wenn die Chemie nicht hilft, lässt er die Treppe abtragen und neu bauen.“

Das interessierte Felipe alles herzlich wenig.

„Von wo kamen die Schüsse genau?“, fragte er dennoch freundlich.

„Ach ja! Sehen Sie da drüben diesen hübschen Berg?“

Felipes Blick folgte dem Arm von Kagujew. Nur schwach war in der Dunkelheit die pechschwarze Silhouette eines großen rundlichen Berges auszumachen.

„Das sind doch wenigstens Fünfhundert Meter, oder?“

„Am Fuße des Berges sind es bis hier her 635 Meter. Aber wir gehen davon aus, dass sich der Schütze ziemlich weit oben in Richtung Bergkuppe positioniert hat. Da hätte er die günstigste Schussposition gehabt. Also war der Schütze zwischen 800 und 850 Meter von seinem Ziel entfernt.“

„Das ist, für meine Begriffe, bei einem solch präzisen Schuss eine enorme Entfernung!“

„Das ist richtig! Hier war ein Scharfschütze mit einem speziellen Präzisionsgewehr am Werk!“

„Haben Sie das Projektil gefunden?“

„Ja! Es hat einen Pflanzkübel da drüben durchschlagen, und sich in der Pflanzenerde festgesetzt. Es war nicht schwer sie zu finden. Der Kübel ist dabei zersprungen.“

„Du meine Güte! Was muss das für eine Waffe gewesen sein, mit einer derartigen Durchschlagskraft!?“, rief Felipe erstaunt. „Konnten Sie schon etwas über die Waffe in Erfahrung bringen, außer das es ein Präzisionsgewehr ist? Nun ja, Mister Ventucelli, es war auf keinen Fall eine russische Waffe. Russische Gewehre dieser Art arbeiten mit Munition vom Kaliber 10 mm oder, wie fast alle Waffen der Kalaschnikowserie, mit 9 mm Stahlmantelgeschossen! Außer das Schwere Maschinengewehr von Kalaschnikow, das feuert mit Kaliber 15 mm.“ Kagujew geriet ins Schwärmen. „Sie müssen wissen, jede Kalaschnikow, egal ob eine AK47 oder eine kleine handliche MPi für Fallschirmspringer oder ein LMG beziehungsweise SMG besitzen in den funktionswichtigen Teilen die identischen Bauteile, so auch die Munition, mit Ausnahme des SMG. Diese Kompatibilität hat den Vorteil, dass ein Soldat auf dem Schlachtfeld sich zu jeder Zeit bei einem toten Kameraden bedienen kann. So könnte zum Beispiel ein AK47-Schütze seinen defekten Schlagbolzen gegen einen intakten Schlagbolzen eines zerstörten Schwermaschinengewehrs aus der Kalaschnikowserie einbauen. Ist das nicht genial? Die Truppe führt sozusagen ihr Ersatzteillager mit sich. Kalaschnikow ist nicht umsonst das meist verkaufte Schusswaffensystem der Welt.

Nun kommt aber das Wesentliche! Die Waffe unseres Attentäters hat aber ein Kaliber von 12,7 mm, keine 9 oder 10 oder gar 15 mm.“

„Was gibt es da noch für Möglichkeiten?“

„Nicht viele. Es gibt eine kleine Waffenschmiede in Italien, die derartige Waffen herstellt. Natürlich sind da noch die waffenverrückten Amerikaner. Und eine kleine Waffenfabrik in Polen hat schon derartige Präzisionsgewehre hergestellt, damals im kalten Krieg. Aber heute bauen die nur noch Jagdwaffen.“

„Was haben Sie noch?“

„Nicht mehr viel. Der Typ war ein absoluter Profi. Aber das dachten Sie sich bestimmt schon. Er hat die benutzte Munition, ich sage mal, leicht verändert und damit die Zerstörungskraft des Projektils noch erhöht.“

„Wie meinen Sie das?“

„Die Amerikaner haben im Vietnamkrieg ihren Stahlmantelgeschossen die Spitzen der Projektile abgefeilt und kreuzförmig eingekerbt. Dies hatte zur Folge, dass die abgeschossenen Projektile in ihrer ansonsten korrekten Flugbahn unruhig rotierten und wie kleine Fräsen in ihr Ziel eintraten. Im weichen inneren des Körpers verursachten sie verheerende Schäden. Erfunden haben es aber die Engländer während ihrer indischen Kolonialzeit. Gemeinhin nennt man diese Projektile auch Dum Dum Geschosse. Wird ein Mensch von so einem Geschoss auch nur an einer harmlosen Stelle getroffen, stirbt er oftmals trotzdem. Er verblutet, da die inneren Verletzungen zu schwerwiegend und umfangreich sind. Nach dem Ende des Vietnamkriegs wurden die Dum Dum Geschosse auf die Liste der geächteten Waffen gesetzt.“

„Warum sollte sich ein Killer daran halten?“

„Richtig! Noch eine Kleinigkeit. Wir hatten an dem Tatabend zwar eine helle Vollmondnacht, aber der Mörder wird über diese Distanz eine Zielvorrichtung gebraucht haben. Also muss die betreffende Waffe ausrüstbar sein für eine solche Zielvorrichtung.“

„Haben Sie den genauen Abschussort gefunden?“

„Vom Schusswinkel her eingrenzend können wir nur das obere Drittel dieses Berges mit Sicherheit bestimmen. Unsere Männer haben auf dem Berg quasi jeden Grashalm umgedreht. Doch nichts! Scheinbar hatte die Waffe einen Hülsenfang. Noch nicht einmal die haben wir gefunden! Auch wenn wir eine helle Vollmondnacht hatten, findet man nicht so schnell eine Patronenhülse die durch die Gegend fliegt.“

„Da habe ich doch schon mal eine Menge Informationen erhalten.“ Felipe zog aus seiner Jackentasche ein Diktiergerät hervor. „Fassen wir zusammen. Tatabend war eine Vollmondnacht. Abschuss erfolgte von einem noch zu begutachtenden Berg. Schussdistanz zwischen 800 und 850 Metern, Kaliber 12,7 mm.“

Felipe schaute Kagujew an, der eifrig nickte.

„Keine russische Waffe. In Frage kommende Hersteller aus Italien, Polen und den USA. Verwendung von Dum Dum Geschossen und Zielvorrichtung. Ein sogenannter Hülsenfang ist wahrscheinlich.“

Felipe sah erneut zu Kagujew, der unauffällig auf die Uhr schaute.

„Zwei Fragen hätte ich noch. Sie scheinen sich ja auf diesem Gebiet bestens auszukennen. Dann entlasse ich Sie für heute in Ihr Bett!“

„Ach, Mister Ventucelli! Ich arbeite gerne mit engagierten Polizisten zusammen. Zumal es um den Papst geht! Nun, was haben Sie noch?“

„Ach wissen Sie, diese Waffe hat Kaliber 12,7 mm und auf über 800 Metern eine höllische Durchschlagskraft. Ich könnte mir vorstellen, dass eine solche Waffe groß, schwer und nicht einfach zu händeln ist. Braucht man da nicht schon fast eine...“ Felipe überlegte kurz „...eine Art Aufstellvorrichtung, eine Verankerung?“

„Wissen Sie, heutzutage ist das alles eine Frage der Technik und des Geldes! Ein derartiges Gewehr muss nicht mehr viel größer als eine normale Jagdflinte sein. Wenn sie zwischen 150 und 160cm lang ist, dann ist sie schon groß. Was wird so ein Teil wiegen? Zehn maximal Fünfzehn Kilogramm, vielleicht! Sie sprechen wahrscheinlich auf den Rückstoß an. Da gibt es heutzutage schon hervorragende Rückstoßdämpfer. Ein einfaches Zweibein am Lauf würde reichen. Nichts desto trotz muss man für einen solchen Schuss ein hervorragender Schütze sein, trotz aller Technik. Ich sage mal so, im Zweiten Weltkrieg hätte man einen derartigen Schuss, beim damaligen Stand der Technik, nicht hin bekommen, oder nur mit Glück.“

„Es gab nur einen Schuss?“

„Definitiv!“

„Das war es jetzt endgültig, Mister Kagujew! Ich bedanke mich, dass Sie mir zu so später Stunde Ihre Zeit geopfert haben!“

„Hören Sie auf, Mister Ventucelli! Nicht dafür! Hier!“ Kagujew zückte eine Visitenkarte und drückte sie Felipe in die Hand. „Sollten Sie noch Fragen haben, egal wann, rufen Sie mich an!“

„Vielen Dank! Ich komme bestimmt noch einmal auf Sie zurück! Wenn es auch nur auf ein Glas Wodka ist.“

Die beiden Männer lachten und schüttelten sich die Hände.

Die Tage des Chamäleons

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