Читать книгу Lone und der Vagabund - Poul Nørgaard - Страница 5

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„Was mag denn hier bloß los sein?” rief Lone aus, als sie und Kirsten vom Bahnhof der jütländischen Provinzstadt, wo sie sich mit dem Maler und Tjep verabredet hatten, auf die Straße hinaustraten. Es herrschte ein derartiges Gewimmel von Kindern und jungen Leuten, daß sie sich kaum hindurchdrängeln konnten.

„He! Hallo! Lone, Kirsten!” ertönte in diesem Augenblick eine gewaltige Stimme, und da gewahrten die Mädchen auch schon die riesige Gestalt des Malers, der alle anderen mit seinem rotbärtigen Kopf weit überragte und sich mit rudernden Armen einen Weg zu ihnen bahnte.

„Guten Tag, guten Tag!” riefen die Mädchen wie aus einem Munde. „Und vielen Dank, daß … “ Doch der Maler unterbrach sie. „Keine Zeit für Höflichkeiten”, sagte er und nahm ihnen die Koffer ab, „jetzt müssen wir vor allen Dingen sehen, daß wir von hier verschwinden. Kommt!” Damit schob er sich wie ein Eisbrecher durch den Menschenschwarm, und die beiden verwirrten Mädchen folgten ihm dicht auf den Fersen. „Die Polizei ist hier”, erläuterte er über die Schulter hinweg. „Ich darf hier nicht halten, weil wir einen Auflauf verursachen.”

Das ist auch nicht weiter verwunderlich, dachte Lone, als sie das sonderbare Fahrzeug sah, um das sich die Leute drängten. Es war ein großer und sehr altmodischer Möbelwagen. Das eigentlich Bemerkenswerte daran war jedoch die ungewöhnliche und höchst eigentümliche Einrichtung und Bemalung. Aus dem Dach ragte ein langes Ofenrohr hervor; an beiden Seiten des Wagens waren zwei Fenster ausgesägt und mit Gardinen verhängt, und an der Rückseite befand sich eine Tür, zu der eine Klappleiter hinaufführte, die man während der Fahrt hochziehen konnte. Das auffallendste an dem ganzen Fahrzeug aber war seine Farbenpracht. Der vordere Teil war grün angestrichen, was, wie der Maler später erläuterte, gut für die Augen sei, und auf der Vorderseite und der Rückseite stand mit großen Buchstaben: Vagabund. Darüber hinaus war der ganze Wagen wie ein großes Landschaftsgemälde mit blauem Himmel, Wald, Strand und grünen Feldern dekoriert, und über allem strahlte eine mächtige zitronengelbe Sonne. Denn, so sagte Jakob Langaa: „Es ist gut, Sonnenschein von zu Hause mitzunehmen, falls man unterwegs in Regen geraten sollte.”

„Das ist der Zirkusdirektor selbst”, flüsterte ein kleiner Junge seinem Kameraden ehrfürchtig zu, als der Maler sich dem Wagen näherte. „Traust du dich, ihn zu fragen?”

„Macht ihr heute abend Zirkus?” ließ sich eine laute Jungenstimme vernehmen.

„Nein”, brummte der Maler. „Wir graben nach Gold.”

Die Augen des Jungen wurden so groß wie Teetassen.

„Au, hast du das gehört, Egon? Das sind richtige Goldgräber.”

Eine goldbetreßte Mütze tauchte im Gewimmel auf.

„So, jetzt müssen Sie aber wirklich machen, daß Sie wegkommen”, trieb der Polizist den Maler ungeduldig an. „Sie halten ja den ganzen Verkehr auf.” Er stand an der Klappleiter, um die neugierige Menge etwas auf Abstand zu halten.

Der Maler reichte ihm eine Zigarre. „Bitte sehr, und schönen Dank für Ihre Geduld.” Er schubste die beiden benommenen Mädchen die Leiter hinauf in Tjeps Arme; dann sprang er selbst auf den Führersitz und ließ den Motor an. Es hörte sich an, als ob eine Dreschmaschine eingeschaltet würde; das ganze Fahrzeug zitterte und bebte. Alles Hupen nützte nichts, die Leute machten keinen Platz. Erst als der Polizist vor den Wagen lief, lockerte sich die Menge so weit auf, daß der Maler anfahren konnte. Der vagabund setzte sich mit einem solchen Ruck in Bewegung, daß Lone sich schnell festhalten mußte, um nicht zu fallen.

Die Reise ins Ungewisse hatte begonnen. „Bitte, setzt euch”, sagte Tjep mit einer einladenden Handbewegung in Richtung auf ein altes Sofa, das am Fußboden festgenagelt war, wie übrigens die meisten Möbel. „Es ist wirklich nett, daß man euch mal wiedersieht.” Sie selbst setzte sich auf den Tisch. Obwohl schon nahezu vierzig Jahre alt, war sie schlank wie ein Windhund. Das kurzgeschnittene, blonde Haar bildete einen dichten Kranz um ihren Kopf, und wie sie dort auf dem Tisch saß und mit den Beinen baumelte, in einem Khakihemd mit aufgekrämpelten Ärmeln, einer halblangen, engen blauen Leinenhose und blauen Leinenschuhen, glich sie einem aufgeschossenen Jungen. „Warum sagt ihr gar nichts? Findet ihr es hier nicht gemütlich?”

Die Mädchen hatten dagesessen und sich umgesehen. Verschwenderisch konnte man die Einrichtung nicht nennen. Aber es war sicher praktisch, und die hellen, frohen Farben, in denen alles gehalten war, wirkten einladend und ermunternd.

Das Wageninnere war wie eine Stube mit Tisch, Sofa und zwei Stühlen ausgestattet. An der einen Wand waren zwei Schlafstellen befestigt, die eine über der anderen. „Dort schlaft ihr”, sagte Tjep. „Breit sind die Betten zwar nicht, aber solange ihr eure schlanke Linie bewahrt, werdet ihr schon Platz haben. Wer unten und wer oben liegen soll, darüber müßt ihr euch selber einig werden.” An den Wänden hingen Bilder, einige in Glas und Rahmen, und die Gardinen vor den Fenstern ließen sich nachts vorziehen. In der einen Ecke stand ein kleiner, fester Tisch mit einem Petroleumkocher, darüber an der Wand hing alles Küchengerät, und in einem Kasten, der unter den Tisch geschoben war, klirrte das Geschirr. „Eisenporzellan”, klärte Tjep die Mädchen auf.

„Ja, hier ist es wirklich gemütlich”, lächelte Kirsten. „Aber wo schläfst du und dein Mann?”

Tjep zeigte auf das Sofa. „Dort rolle ich mich hin. Ich sage absichtlich ,rollen’ denn das Sofa ist nicht nur sehr kurz, sondern auch holprig, aber es geht eigentlich ganz gut. Man hat ja schon von indischen Fakiren gelesen, die auf Nägeln schlafen; da muß ich wohl zufrieden sein. Das Schlimmste ist, daß es nach vorn hängt, deshalb muß ich mich mit den Nägeln festkrallen, um nicht herunterzufallen. Aber man gewöhnt sich an vieles. Jakob schläft in Zelt und Schlafsack, das hat er immer schon so gern getan.”

Kling, kling, drrrrrr! Es hörte sich an wie ein erkälteter Wecker.

„Du meine Güte, habt ihr hier auch Telefon?” flüsterte Lone bewundernd, als sie sah, wie Tjep den Arm ausstreckte und den Hörer von der Gabel abhob. Man hörte ein paar kratzende Geräusche, dann reichte Tjep ihr den Hörer.

„Das ist für dich”, sagte sie.

„Für mich?” Lone war sprachlos. Wie konnte denn das angehen? „Ja, hallo!”

„Hallo”, ertönte die Stimme des Malers. „Ja, wir hatten vorhin gar keine Zeit, uns richtig guten Tag zu sagen. Wie geht’s dir?”

„Danke, mir geht’s sehr gut.” Lone hatte sich noch immer nicht von ihrem Erstaunen erholt.

„Freut mich, meine Liebe. Sag Tjep Bescheid, daß wir uns eine Tasse Kaffee genehmigen müssen, sobald wir bei einem Bäcker vorbeikommen, wo wir ein bißchen was zu knabbern kriegen können. Und jetzt laß mich eben noch Kis guten Tag sagen.”

Tjep lachte hellauf, als sie die offensichtliche Verblüffung der Mädchen bemerkte, und ihre graugrünen Augen leuchteten vor Stolz und Heiterkeit. „Das ist bloß ein altes, ausrangiertes Haustelefon, das Jakob zu einem Spottpreis auf einer Versteigerung erstanden und selbst in Ordnung gebracht hat”, sagte sie.

„Ach so, das ist also keine drahtlose Anlage oder so was Ähnliches”, stellte Kirsten fest, und Lone fragte: „Man kann wohl nur zu Herrn Langaa hinaus telefonieren und umgekehrt?”

„Ja, natürlich. Glaubtest du etwa, man könnte das Fernamt verlangen?”

Lone sah, daß sich in der Wand eine Tür befand, die zum Führersitz hinausführte. Außerdem bemerkte sie unmittelbar hinter dem Chauffeur ein kleines Schiebefenster. „Aber dann ist es doch viel leichter, direkt durch das kleine Fenster zu sprechen.”

„Leichter schon, aber längst nicht so lustig”, lachte Tjep und klammerte sich an den Tisch, als der Wagen in diesem Augenblick mit einem so jähen Ruck stehenblieb, daß eines der Bilder von der Wand herunterfiel.

„Das liegt an der Bremse, sie hat eine fatale Neigung zu blockieren, selbst wenn man nur leicht auf das Pedal tritt”, kommentierte Tjep Lone guckte aus dem Fenster und sah, daß sie in einem kleinen Dorf vor einem Bäckerladen hielten.

Das Telefon klingelte. „Was soll ich euch mitbringen?” fragte der Maler. „Habt ihr irgendwelche besonderen Wünsche?”

„Nein, danke, du kannst ja sehen, was sie haben”, antwortete Tjep.

„Hast du Kleingeld?”

Tjep schob das Fenster zur Seite. „Ja, das dachte ich mir gleich, ich muß wieder spendieren. Extramahlzeiten sollen eigentlich nicht vom Haushaltsgeld bestritten werden. Hier, bitte sehr!” Sie reichte ihm ein Geldstück und schob die Scheibe wieder vor. „Und beeil dich ‘n bißchen, wir haben Kaffeedurst”, fügte sie am Telefon hinzu, bevor sie den Hörer auflegte.

„Wir werden wahrscheinlich nie ganz erwachsen, Jakob und ich”, lachte sie und machte sich an dem Petroleumkocher zu schaffen. „Ihr könnt inzwischen Tassen auf den Tisch stellen. Sie stehen dort. Damit trat sie gegen den kleinen Kasten auf dem Fußboden. „Ihr könnt euch ruhig ein bißchen nützlich machen.”

„Wo ist denn der Maler nur hingegangen?” fragte Kirsten, als der Tisch gedeckt und der Kaffee fertig war.

„Zum Bäcker.”

„Ja, aber das sind doch keine zehn Schritte!”

„Ach, da kennst du Jakob nicht. Er schwatzt. Am besten hupst du mal.” Das half. „Netter Mann, der Bäcker”, sagte der Maler, indem er sich in den Wagen hinaufschwang und eine große Tüte mit Gebäck ablieferte. „Ich fragte ihn, ob er ‘ne Tasse mittrinken wolle, aber dazu habe er keine Zeit, meinte er.”

Kunstmaler Jakob Langaa war sehr groß und breitschultrig, er hatte einen feuerroten Vollbart und klare, blaue Augen, in denen der Schalk saß. Er trug ein großkariertes Hemd und schwarze Samthosen.

„Wo geht die Reise hin?” fragte Lone neugierig, während sie am Kaffeetisch saßen.

Er zuckte die Achseln. „Keine Ahnung.”

„Wissen Sie das nicht?”

„Nein. Woher sollte ich es wissen? Und ehrlich gesagt, Lone, es interessiert mich auch nicht. Sonne und Luft sind ja überall schön, und wir machen diese Fahrt, um uns zu amüsieren. Wenn wir Lust haben zu fahren, dann fahren wir. Und wenn nicht, ja, dann bleiben wir eben, wo wir sind, und machen uns das Leben angenehm. Das nenne ich Ferien haben!”

Lone und der Vagabund

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