Читать книгу Lone und "Glück" - Poul Nørgaard - Страница 4

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Kaufmann Berggren stand in der Ladentür und beschattete die Augen mit der Hand.

Die Junisonne leuchtete über den frischgrünen Feldern, und hoch oben unter dem blauen Himmel sang eine Lerche aus voller Brust.

Er war so sehr damit beschäftigt, hinter Lone herzusehen, daß er den Einspänner kaum bemerkte, der sich langsam genähert hatte und jetzt vor dem Laden am Wegrand stehenblieb.

„Tag, Berggren.“

„Guten Tag, Jens Larsen“, nickte der Kaufmann.

„Du guckst hinter deiner Tochter her. — Ist das nicht ’n neues Pferd, auf dem sie heute reitet?“

Lone hatte jetzt den Waldrand erreicht und verschwand zwischen den Bäumen. Berggren nahm die Hand von den Augen. „Ja, das Pony ging ja leider im letzten Frühjahr an Kolik ein.“

Jens Larsen schraubte den Kopf seiner halblangen Pfeife ab und klopfte ihn am Sitzbrett aus. „Was wird so ’n Gaul wohl kosten?“

„Na, ausgesprochen billig war er nicht. Aber Lone war vernarrt in ihn, und schließlich brauchen wir ohnehin ein Pferd, um den Kunden die Waren bringen zu können.“

„Ist’s ’ne Stute?“

„Ja. Aber sie ist erst fünfjährig, und deshalb sehe ich es gar nicht so sehr gern, daß Lone das erste Mal allein ausreitet.“

„Der Gaul ist wohl störrisch?“

„Nein, in keiner Weise. Wir haben ihn vor dem Wagen ausprobiert. Aber Lone reitet erst seit dem letzten Herbst, und bei einem so jungen Pferd kann man nie wissen …“

„Och, sie wird sicher mit ihm fertig werden“, meinte Larsen. „Sie ist ja bald eine Dame. Ist doch schon konfirmiert, nicht?“

„Natürlich, im Frühjahr“, lachte Berggren. „Jaja, Lone schießt ordentlich in die Höhe. Sie wird im September fünfzehn.“

Larsen durchsuchte seine Taschen. „Ein feines Mädchen, deine Lone. Für sie mußt du deinem Schöpfer dankbar sein. — Wie lange bist du jetzt eigentlich schon Witwer, Berggren?“

„Meine Frau starb, als Lone vier Jahre alt war.“

„Hm, ja. An den Kindern sieht man, daß man älter wird“, meinte Larsen tiefsinnig. „Eines schönen Tages sind sie einem über den Kopf gewachsen, ehe man sich’s versieht.“ Er reichte Berggren die Pfeife. „Hör mal, spendierst du nicht ’n Pfeifchen, Berggren? Ich habe ganz vergessen, mir in der Stadt was zu kaufen.“

Berggren sah ihn scherzhaft zurechtweisend an. „Na, du bist mir auch einer, Jens Larsen. Fährst du bis in die Stadt, um dir ein bißchen Tabak zu kaufen? Ist meiner vielleicht nicht gut genug?“

„Doch, doch, das schon. Aber er kann einem im unrechten Augenblick ausgehn, und man möchte doch auch auf ’m Heimweg was zu rauchen haben.“

„Du kannst ja gleich mal versuchen, wie der hier schmeckt“, sagte Berggren, als er wieder aus dem Laden kam und dem anderen die Pfeife gab.

„Hm, hm“, Larsen beschützte die Streichholzflamme mit der Jacke und zog an der Pfeife, daß seine Backen wegen der fehlenden Zähne geradezu im Kopf verschwanden. „Der ist gar nicht so übel.“

„Das ist ‚Strobels Melange‘“, erläuterte Berggren.

„Hm. — Ja, der Strobel macht immer feine Sachen. Gib mir mal ’n Paket davon mit. — Wie geht’s eigentlich deinem Bruder drüben in Australien? Die Leute sagen, er hätte viel Geld.“

„Danke, ihm geht es gut, wir hören hin und wieder von ihm. Er hat uns für nächstes Jahr zu einem Besuch eingeladen. Aber Lone muß erst mit der Schule fertig sein. Sie redet schon jetzt von nichts anderem mehr.“

Larsen nahm die Pfeife aus dem Mund und sperrte die Augen auf.

„Nach Australien? Aber …“

„Jaja“, lächelte Berggren. „Wir müssen erst mal abwarten, ob überhaupt etwas daraus wird. — Falls du sonst weiter nichts brauchst, dann mußt du mich entschuldigen; die Arbeit wartet. Ein Glück, daß wir so gutes Wetter haben, nicht? Das Getreide steht gut.“

„Ooch, na ja, es geht. Wir könnten eigentlich Regen gebrauchen, für die Rüben — und das Gras.“

„Nein, jetzt hör bloß auf! Es ist noch keine Woche her, da hast du dir trockenes Wetter gewünscht.“

„Jaa — da war es auch zu naß.“ Larsen nahm die Zügel wieder auf. „Na, dann mach’s gut, Berggren. — Schreib den Tabak an.“

„Auf Wiedersehen, Larsen.“

Larsen gab seinem Pferd einen leichten Klaps. „Komm, Prinz, es geht weiter. — Ja, es dauert immer eine Weile, bis wir in Gang kommen. Prinz ist nicht mehr so gelenkig in den Beinen, wie er war. — Woll’n wir nicht tauschen, Berggren? Deine Stute scheint ein Gaul mit Temperament zu sein.“ Und als Berggren lächelnd den Kopf schüttelte, fügte er hinzu: „Prinz springt bestimmt nicht über die Gräben mit dem Mädchen. Er ist verkehrssicher, dafür garantiere ich.“

Währenddessen war Lone ein gutes Stück in den Wald hineingeritten.

Als sie vor zwei Monaten eines Morgens ihr Pony tot im Stall vorfand, war sie untröstlich gewesen. Sie hatte ihren Max so sehr geliebt, und außerdem war er ja ein Geschenk von Onkel Torben. Er bekam denn auch gleich einen Brief von ihr, in dem sie ihm ihren Kummer anvertraute; und postwendend traf darauf ein Telegramm an ihren Vater ein, er solle ihr ein neues Pferd kaufen.

Wie herrlich war es doch, wieder zu reiten. Und sicher hatte Onkel Torben recht mit seiner Behauptung, sie sei inzwischen zu groß geworden, um auf einem Pony zu reiten, denn es war doch etwas ganz anderes, auf einem richtigen Reitpferd zu sitzen. Es sah schneidig aus, wie es so dahintrabte, mit gespitzten Ohren und gekrümmtem Hals. Der Stallmeister hatte gesagt, es sei „Irisches Halbblut“. Welchen Namen sollte sie ihrem Pferd geben?

„King?“

Nein, das war unmöglich, denn es war ja eine Stute.

Weiter kam Lone in ihren Erwägungen nicht, denn jetzt näherte sie sich dem kleinen Zaun, über den sie mit Max zu springen pflegte. Sollte sie es versuchen? Der Stallmeister hatte ja versichert, die Stute sei eingesprungen.

Sie trieb das Pferd zu einem kurzen Galopp an. Es versuchte nicht einmal auszubrechen, sondern hielt gerade auf das Hindernis zu; sicherlich sprang es nicht zum ersten Male im Gelände.

Verwirrt sah Lone sich um und entdeckte, daß sie im Grase saß.

Im letzten Augenblick hatte die Stute alle vier Beine gegen den Boden gestemmt, so daß Lone in einem eleganten Bogen über den Kopf des Tieres hinweggeflogen war.

Gerade wollte sie sich erheben, als sie im weichen Waldboden den Laut von Hufschlag vernahm. Sie drehte den Kopf und erblickte einen älteren Reiter, der sich auf einem stolzen Schimmel in ruhigem Promenadentrab näherte. Er war in einen tadellosen Reitdreß gekleidet, und über seiner straffen Haltung lag etwas Soldatisches.

Das Blut schoß Lone in die Wangen: sie hatte also einen Zuschauer gehabt bei ihrem unfreiwilligen Flug. Uh, das war peinlich. Jetzt würde er selbstverständlich stehenbleiben und fragen, ob sie sich weh getan habe und ob er ihr behilflich sein könne, und lauter solche Fragen.

Ehe sie jedoch auf die Beine kommen konnte, war der Reiter schon vorbei. Ohne seinen Trab zu verlangsamen oder eine Miene in seinem mürrischen, rotbackigen Gesicht mit dem großen weißen Knebelbart zu verziehen, ritt er vorüber und starrte vor sich hin. Dennoch lüftete er korrekt und würdig seinen steifen grauen Hut. Mit offenem Munde sah Lone ihm nach. Er hätte doch wenigstens fragen können, ob sie sich weh getan habe, und ihr seine Hilfe anbieten müssen. Sie erhob sich, klopfte die Kleider ab, schob ihre Mütze zurecht und humpelte ein wenig lahm auf das Pferd zu, das am Waldrand stand und ganz friedlich graste.

Es hörte auf zu kauen und folgte ihr mit den Augen, und als sie die Hand nach dem Zügel ausstreckte, schüttelte es den Kopf und tanzte verspielt ein paar Schritte weiter weg.

Lone riß ein Büschel Gras aus, hielt es der Stute lockend entgegen und näherte sich vorsichtig. Aber das Pferd war offenbar nicht gewillt, sich einfangen zu lassen. Nachdem Lone es einige Male vergeblich zu locken versucht hatte, hob es plötzlich den Kopf, schlug heftig mit dem Schweif und lief feurig schnaubend den Waldweg entlang.

Lone blieb unschlüssig stehen und sah ihm nach. Was jetzt? Sie hatte keine große Lust, zu Fuß nach Hause zu kommen und erzählen zu müssen, sie sei abgeworfen worden und das Pferd sei ihr davongelaufen. Nein, es gab nur eine Möglichkeit: sie mußte versuchen, es wieder zu fangen. Weit war es sicher nicht gelaufen.

Eifrig zwischen den Bäumen Ausschau haltend, lief sie den Waldweg entlang — und blieb auf einmal ganz atemlos stehen. Denn dort kam ja der alte Herr von vorhin auf sie zugeritten, mit der Stute am Zügel.

Froh, aber nicht wenig verlegen lief sie ihm entgegen.

Er reichte ihr den Zügel und lüftete den Hut.

„Hm. Bitt’ schön — äh, kleines Fräulein.“

Lone zupfte die Stute leicht am Ohr. „Pfui, schäm dich, erst wirfst du mich ab und dann läufst du auch noch davon“, und an den älteren Herrn gewandt, fügte sie hinzu: „Sie ist im Springen noch nicht so geübt. Sie ist erst fünf Jahre alt.“

„Hö“ ,brummte er. „Schlechte Entschuldigung! Habe alles gesehen.“

Lone sah erstaunt zu ihm auf.

„Schlechte Entschuldigung“, wiederholte er zugeknöpft. „Erstklassiges Pferd.“

„Na“, wandte Lone ein, „ich finde es nicht besonders erstklassig, wenn es nicht springen will.“

„Will?“ explodierte der alte Herr. „Nichts, was es lieber möchte, wenn es bloß dürfte. Habe alles gesehen!“

„War es vielleicht mein Fehler?“ fragte Lone ein wenig gekränkt.

„Un-be-dingt!“ stellte er fest. „Ärgere mich täglich über diese, hm, Sonntagsreiter. — Sporen, Reitpeitsche, Schlipsnadel mit Hufeisen — ganze Garderobe in Ordnung. Aber keine Ahnung vom Reiten. Transport, junge Dame, rittlings auf einem Pferd. Das nennt man Transport, aber nicht reiten.“

„Oh, ich bin fast jeden Tag geritten seit …“

„Völlig bedeutungslos“, fertigte er sie barsch ab. „Habe ein Menschenalter auf dem Pferd zugebracht. Weiß, wovon ich rede. — Bark, pensionierter Oberst der Dragoner. Guten Morgen.“ Er lüftete den Hut und wandte seinen Schimmel.

Reichlich verblüfft schaute Lone ihm nach. Da hatte sie sich ja einiges anhören müssen! Was so ein selbstgerechter alter Brummbart sich wohl eigentlich einbildete. Na, mochte er reden!

Sie wollte wieder aufsitzen, aber jetzt war es ihr unmöglich, das Pferd dazu zu bringen, einen Augenblick stillzustehen. Es wieherte rufend hinter dem Schimmel her und tänzelte unruhig von einem Bein aufs andere, so daß Lone mit dem Fuß den Steigbügel nicht fangen konnte.

Nach einigen vergeblichen Versuchen gab sie es auf und machte sich auf den Heimweg, die Stute am Zügel hinter sich herziehend.

Der Oberst mußte sie jedoch im Auge behalten haben, denn sie war noch nicht weit gekommen, als er an einer Biegung des Weges auftauchte und in scharfem Trab auf sie zukam.

Er ritt bis zu ihr heran und parierte seinen Schimmel. „Hm — führen Sie Ihr Pferd?“

„Ja, wenn ich nicht reiten kann, dann muß ich das Pferd ja führen“, antwortete Lone ein wenig verdrossen.

„Eh — haben Sie sich weh getan?“

„Nein. Sie sagten doch, ich könnte nicht reiten.“

„Wie bit … — Hm. Muß ein Mißverständnis sein. — Sitzen Sie auf!“

„Ich möchte schon, aber das Pferd will nicht stillstehen, ich kann den Steigbügel nicht erwischen.“

„Den Bügel nicht erwischen!“ schnaubte der ehemalige Oberst und sprang mit erstaunlicher Leichtigkeit aus dem Sattel. „Ist das in Ihrem Alter denn unbedingt nötig? — Sehen Sie her! Klar zum Aufsitzen. Zügel in der linken Hand sammeln und eine Locke von der Mähne um den Daumen wickeln, rechte Hand auf der Kruppe — aufgesessen!“

Lone stieß sich ab, so gut sie konnte, aber hätte der Oberst nicht gleichzeitig durch einen Griff in ihren Hosenboden etwas nachgeholfen, wäre es ihr wohl kaum geglückt. Jetzt aber hatte sie so viel Schwung bekommen, daß sie beinahe auf der anderen Seite wieder hinuntergefallen wäre.

„Hö, hö“, grunzte der Oberst, „wollen Sie sich auf der Stute den Rücken brechen! Plumpsen auf den Sattel wie ein Sack Kartoffeln.“

Lone wurde wütend und wollte gerade eine entsprechende Antwort geben; doch dann beherrschte sie sich.

„Auf Wiedersehen“, nickte sie, „und vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Halt!“ rief der Oberst aus. „Sie vergessen das Hindernis.“

Lone wandte fragend den Kopf. „Das Hindernis?“

„Ja. Es wartet immer noch darauf, genommen zu werden.“

„Nein, vielen Dank. Für heute sind wir genug gesprungen.“

„Wir?“ wiederholte der Oberst. „Soweit ich sehen konnte, haben Sie den Sprung allein gemacht, kleines Fräulein. Die Stute ist nicht gesprungen. — Kehrt!“

Lone verlor die Geduld. „Ich habe Sie nicht darum gebeten, mir Reitunterricht zu geben.“

„Wie bit … Rhm …“ Die Augen des alten Herrn wurden kugelrund. Widerspruch war er offenbar nicht gewohnt. „Fällt mir nicht im Traume ein, mein Fräulein. Fällt mir gar nicht ein. Nur Interesse für das Pferd. Junges Tier, wird aufsässig, wenn es seinen Willen kriegt. — Aber wenn Sie Angst haben, eh …“

„Angst?“ Lone wandte die Stute und ritt zurück. Der Oberst folgte in einigem Abstand.

Als sie sich dem Zaun näherte, begann sie die Zügel anzuziehen, aber der Oberst schnarrte sofort: „Was soll denn das nun wieder? Macht die Stute bloß nervös. Muß ja glauben, es wäre was Besonderes los. — Sehen Sie her! In jeder Hand einen Zügel, und bewegen Sie dem Pferd das Gebiß ein wenig im Maul. Oberkörper zurück und kurzen Galopp — ja! Und drücken Sie die Schenkel an. Mitten auf dem Hindernis! Mehr Zügel, geben Sie ihm Luft! — Jetzt!“

Als Lone die Stute nach dem Sprung wieder hochgenommen hatte, klopfte sie ihr den Hals und ließ sie im Schritt zurückgehen. Jetzt würde der Oberst sicherlich ein paar anerkennende Worte sagen!

„Rhm“, knurrte der Oberst. „Sie sind nicht genügend mitgegangen, rissen das Pferd am Maul. — Erstklassiges Tier.“ Er sah auf seine Uhr. „Morgen zur gleichen Zeit. — Auf Wiedersehen!“

Lone blickte ihm ärgerlich nach. Ob er vielleicht beim Grafen zu Gast war? Oder er war erst vor einigen Tagen hierhergezogen, denn sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Ein sonderbarer Kauz. Sie lachte laut. „Morgen zur gleichen Zeit.“ Hielt er sie etwa für einen Rekruten?

Lone und

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