Читать книгу Alpha & Omega - R. R. Alval - Страница 5
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ОглавлениеAls Regina erwachte und erkannte, dass es weit nach Mittag sein musste, wäre sie vor Schreck fast lauthals quiekend aus dem Bett gesprungen. Aber eben nur fast. Viel schockierender war es festzustellen, dass sie in einem fremden Bett lag, in einem fremden Zimmer und sie keine Ahnung hatte, wie sie hierhergekommen war. Jetzt fehlt nur noch, dass ich nichts anhabe. Auf das Schlimmste gefasst tastete sie mit ihren Händen unter das rote Satin, das ihren Körper bedeckte. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass lediglich ihre Hosen und ihre Schuhe fehlten. Suchend schaute sie sich um. Das Zimmer war riesig. Fast so groß wie Ryans Salon.
Ryan! War sie nicht in sein Auto gestiegen?
Eine böse Vorahnung wuchs in ihr, doch die schob sie Kopf schüttelnd beiseite und ließ ihre Augen weiter durch den Raum gleiten, der auffallend exquisit eingerichtet war. Eine wundervoll geschwungene Chaiselongue befand sich direkt am Fußende des Bettes. Farblich passend zu den in Beige- und Brauntönen gehaltenen Barockmöbeln, die mit feinstem Gold verziert waren. An den Fenstern hingen lange weiße Schals, die an den Seiten gerafft waren und einen Blick auf einen strahlend blauen Oktoberhimmel gestatteten. Das Bett selbst war sicher doppelt so groß wie ihr eigenes. Umrahmt von hölzernen Säulen und einem weiß-goldenen Himmel. Die Wände waren hell, mit wunderschönen Mustern in einem warmen Braunton verziert. Regina war überwältigt.
Seltsam gerührt, als wäre sie das Aschenputtel, das in den Palast des Prinzen gebracht worden war, setzte sie ihre Füße auf den weichen Teppich. Der erstreckte sich über den gesamten Boden. Wenigstens brauchte sie sich keine Sorgen darüber machen, dass sie irgendwelche Geräusche verursachte. Trotzdem bewegte sie sich langsam und bedacht auf die hohe Mahagonitür zu. Erleichtert atmete Regina aus, als ihre Finger über das kühle Metall der Klinke glitten. Sie hielt den Atem an, als sie diese herunter drückte. Hoffentlich knarrte die Tür nicht!
Nun, sie konnte beruhigt sein: Sie knarrte nicht.
Allerdings öffnete sie sich auch nicht.
Irritiert versuchte sie es erneut. Vielleicht klemmt sie nur? Nach mehreren sinnlosen Versuchen musste Regina freilich feststellen, dass sie schlicht und einfach abgeschlossen war. Sie war eine Gefangene in einem Schlafzimmer. Wenn auch in einem sehr luxuriösen.
Niedergeschlagen sank sie an der Wand nach unten auf den Boden und starrte nach oben. Die Decke kam ihr verdächtig bekannt vor. Sie war ebenso wunderschön mit Stuck verziert wie die in ihrem bisherigen Zimmer. Ihrem Zimmer in Ryans Haus. Sie kniff ihre Augen fest zusammen und öffnete sie wieder. Doch die Decke veränderte sich nicht. Ein Gefühl begann sich in ihren Fußzehen zu bilden, was durch eines in ihrer Bauchgegend noch verstärkt wurde. Kriechend, wie ein bösartiger, stacheliger Wurm, vereinnahmte es ihren gesamten Körper.
Wut!
Verärgert ballte sie ihre Hände zusammen und bemerkte erst jetzt, dass an ihrem Finger ein Ring prangte. Der Ring. Der, den sie ihm zurückgegeben hatte. Der, mit dem sie die Verlobung gelöst hatte. „Ryaaaaaan!“, schrie sie mit zorniger Stimme. So laut, dass sie beinah befürchtete, die Wände würden einstürzen. Keine Antwort. Aufgebracht rappelte sie sich auf und hämmerte mit ihren Fäusten gegen die riesige Tür. Allerdings hätte sie auch genauso gut eine Rumba tanzen können. Es hätte den gleichen Erfolg gehabt. Hinter der Tür regte sich absolut nichts. Entmutigt schritt sie durch das Zimmer und sah sich weiter um. Kein Staubkrümelchen war auf den Möbeln zu finden.
Neugierig öffnete sie einen der Schränke. Darin hing Ryans Kleidung, die er oft bei Geschäftstreffen trug. Oder wenn er sich mit seiner Sekretärin traf. Ok, sie war also tatsächlich in seinem Haus. Aber war sie auch in seinem Schlafzimmer? Falls ja, warum? Und wo war Ryan? Hoffend, dass sie auf den Rest ihrer Kleidung und ihre Handtasche stieß, schaute sie in den anderen Schränken und Kommoden nach. Leider erfolglos. Grübelnd ging sie ans Fenster und starrte hinaus. Irgendetwas war nicht so, wie sie es erwartet hatte. Sie konnte nur nicht sagen, was es war. Abgesehen davon, dass sie nicht hier sein wollte.
Mürrisch und mit zusammengeballten Händen lief sie zurück zum Bett, legte den Ring auf den Nachttisch und setzte sich. Vielleicht sollte sie sich einfach wieder hinlegen, die Decke über den Kopf ziehen und hoffen, dass sie aus diesem Alptraum wieder aufwachte. Resigniert schaute sie nach oben und runzelte fasziniert die Stirn. In dem dunklen Holz des Betthimmels, der nur von außen mit Stoff verkleidet war, funkelten winzige Kristalle wie Sterne. Vor Staunen klappte Regina ihren Mund weit auf und ließ sich für einen Moment verzaubern. War das hier wirklich Ryans Haus? Er hatte sich in ihrer Gegenwart nie sehr romantisch gezeigt, aber in diesem Zimmer deutete alles darauf hin. Nein, irgendetwas lief hier grundlegend falsch. „Nicht irgendetwas!“, korrigierte sie sich murmelnd, „Ich bin hier falsch. Ich habe hier nichts verloren. Ich müsste bei mir daheim sein und mein Buch weiter schreiben. Glücklicher Single und definitiv ohne diesen – wenn auch sehr schönen – Ring.“ Fluchend ließ sie sich nach hinten fallen, zog den Bettbezug über ihren Kopf und kniff die Augen zusammen. Nochmals einzuschlafen war unmöglich. Vorsichtig lugte sie unter der Decke mit einem Auge hervor. Nichts. Es hatte sich absolut nichts geändert. „Wach endlich auf!“, schrie sie sich selbst an, setzte sich auf und gab sich eine Ohrfeige. „Autsch.“. Jammernd hielt sie sich die Hand vor den Mund. Sie war wach. Definitiv. Das hier war kein Traum, sondern Realität. Wenn auch eine abartig verdrehte, die eigentlich einer Fantasie entsprungen sein musste. Wie verrückt war Ryan, dass er sie gegen ihren Willen zurückgebracht und ihr sogar den Ring wieder an den Finger gesteckt hatte?
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Draußen wurde es bereits wieder dunkel, als sie endlich Schritte von draußen hörte. Kamen die Schritte näher oder entfernten sie sich? Zitternd saß sie auf dem Bett und atmete angestrengt. Ihre Beine hatte sie bis unters Kinn gezogen und mit den Armen umschlungen. In ihren Augen loderte eine Kampflust, die sie nur selten befiel.
Ein Schlüssel wurde umgedreht.
Wie in Zeitlupe sah sie, dass die Klinke heruntergedrückt wurde und die Tür geöffnet. Herein trat Ryan; schön und andächtig wie ein zeitloses Gemälde. Seine Haare lagen offen über den breiten Schultern. Sein weißes Shirt steckte in schwarzen Hosen, was seinen muskulösen, flachen Bauch zum Anbeißen erscheinen ließ. Über sein Gesicht glitt ein unmerkliches Lächeln. „Na, gut geschlafen?“, fragte er mit samtweicher Stimme und kam auf sie zu. „Du Blödmann!“, fauchte sie ihn an. „Kannst du mir mal erklären, was das soll?“ Sie traute sich keinen Millimeter zu rühren, da sonst ihre Bettdecke verrutschen und den Blick auf ihre nackten Schenkel freigeben würde. Sein Blick fiel auf den Nachttisch, auf dem ihr Ring lag. Seine grünen Augen verdunkelten sich. „Warum trägst du ihn nicht?“, fragte er in einem seltsam warnenden Ton. „Weil er mir nicht gehört.“, zischte sie. „Doch, das tut er. Wir sind verlobt oder hast du das vergessen, meine Liebe?“ Ohne die Augen von ihr abzuwenden, setzte er sich auf den Rand des Bettes, was Regina dazu veranlasste, von ihm wegzurutschen. Immer noch darauf bedacht, dass ihre Beine nicht zu sehen waren. „Du scheinst etwas durcheinanderzubringen. Wir waren verlobt. Wir sind es nicht mehr. Gib mir meine Sachen, damit ich nach Hause kann.“ Sie sagte es ruhig, ohne ein Zittern in der Stimme, worüber sie selbst sehr erstaunt war. „Du gehörst mir!“ Regina meinte, ein Knurren zu hören. „Du spinnst doch! In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich? Du hast kein Besitzrecht an mir. Das, was du hier tust, ist Kidnapping.“ Ihre Augen funkelten zornig. Ryan schien das zu amüsieren. „Regina, Regina.“, tadelte er sie kopfschüttelnd, „Wir sind verlobt und daran kannst du nichts ändern.“
„Und ob ich das kann. Schon mal was von freiem Willen gehört?“ Ryan warf seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. „Habe ich. Aber auf dich trifft das nicht zu.“, meinte er nur wenige Sekunden später mit einem durchdringenden, herben Gesichtsausdruck. „Oh, da irrst du dich aber gewaltig. Du kannst mich nicht zwingen dich zu heiraten.“, entgegnete sie giftig. „Um was wollen wir wetten, Regina?“ Sein Schmunzeln ärgerte sie. Sie konterte mit einem direkten Seitenhieb, indem sie ihm geradewegs ins Gesicht sagte, dass sie nur mit Freunden wettete. „Und jetzt gib mir gefälligst meine Hosen! Ich kann schließlich nicht ewig halb nackt rumsitzen.“ Sie war gereizt und ganz, ganz kurz davor Amok zu laufen. Was bildete dieser Schnösel sich ein? Nonchalant lächelnd schüttelte er langsam den Kopf. „Was soll das heißen? Dass du mir zustimmst?“, fragte sie stirnrunzelnd. Seine schmalen, hinreißenden Lippen entblößten seine perfekten, weißen Zähne. „Das heißt, dass es mir egal ist.“ Im selben Moment schob er sich näher an sie heran. Regina lief vor Empörung knallrot an. „Du bist doch verrückt!“, brüllte sie und trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf seine stahlharte Brust. „Treib es nicht zu weit.“ Blitzschnell umfasste er ihre Handgelenke. Regina verzog schmerzlich das Gesicht. „Dann lass mich gehen.“, wimmerte sie und versuchte, sich aus seinem eisernen Griff zu befreien. „Ich kann dir einen Scheck ausstellen. Das ist doch, was du willst. Aber lass mich gehen.“ Ihr war schrecklich bewusst, wie fest seine großen Hände ihre Gelenke umschlangen. Eine eigenartige Hitze breitete sich in ihrem Körper aus, die ihre Gegenwehr merklich schwächte.
Unbewusst leckte sie sich über die trockenen Lippen, was seinen Blick intensiv brennend auf ihr ruhen ließ. „Hm… dein Geld war anfänglich ein großer Reiz. Das muss ich zugeben. Aber die Dinge haben sich geändert. Das hab ich dir gestern Abend schon gesagt.“ Sein Gesicht näherte sich ihrem viel zu sehr. Unwillkürlich neigte sie sich nach hinten. „Schau dich um, Regina! Meinst du wirklich, ich habe dein Geld nötig?“ Wollte er sie in Sicherheit wiegen? Das alles ergab – irgendwie – keinen Sinn. „Schön und gut. Mein Geld ist es nicht, behauptest du. Wozu brauchst du mich dann?“ Fragend zog sie eine Augenbraue nach oben. „Ich zeige es dir.“, hauchte er ihr ins Ohr, was ihr verdeutlichte, dass sich der Abstand zu ihm schon wieder verringert hatte. Mit den Lippen fuhr er über ihre Halsbeuge. Sie erschauerte. Oh nein, nicht mit mir!, brüllte sie innerlich und zog ihr Knie so heftig nach oben, dass es gegen seine Brust donnerte und ihn ins Taumeln brachte.
Erschrocken ließ er ihre Arme los. Sie nutzte diese sich ihr bietende Gelegenheit und stemmte ihn mit aller Kraft von sich weg. „Komm mir bloß nicht zu nah, du… du… Arschloch!“ Zu schade, dass sie ihm keinen Zahn ausgehauen hatte. Für einen winzig kleinen Moment konnte sie ein Staunen in seinen Augen erkennen, was aber sofort wieder von einem eisigen Ausdruck abgelöst wurde. „Du kleines, verzogenes Miststück.“, knurrte er. Regina war darauf gefasst, dass sie ihm völlig unterlegen war und erwartete das Schlimmste. Doch es passierte nichts. Er zog sich zurück und ließ sie verwirrt im Bett hocken. Benommen hörte sie, wie der Schlüssel von außen umgedreht wurde.
Sie saß in der Falle.
Sie kam hier nicht raus.
Sie hatte weder ihr Handy noch konnte sie einfach aus dem Fenster klettern. Nicht nur, weil sie nicht vollständig bekleidet war, sondern auch, weil es viel zu hoch war. Das ist es! Das hatte sie vorhin bei dem Blick aus dem Fenster gestört. Es war zu hoch. Viel zu hoch für ein zweistöckiges Haus. Wo um alles in der Welt war sie? Ihre Knie eng umschlungen, wiegte sie sich vor und zurück und dachte angestrengt nach.
Es musste doch irgendwie möglich sein, aus diesem Haus zu entkommen.
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Eine ganze Weile später – draußen war es inzwischen stockdunkel – knurrte ihr Magen. Außerdem musste sie auf Toilette. Einen Lichtschalter konnte sie nirgends finden und so tastete sie sich durchs Dunkel, rannte sich dabei den linken Fuß an einer Kommode ein und schlug mit dem Knie gegen deren Ecke. Humpelnd, fluchend und extrem gereizt schlug sie ihre Fäuste mit aller Kraft gegen die Tür und brüllte wie eine Irre nach Ryan. Wenn er nicht bald hier auftauchte, würde sie sich vermutlich auf dem teuren Teppich erleichtern müssen. Das schrie sie ihm auch lautstark entgegen. Besser gesagt der Tür. Falls Ryan sie hörte, würde er kommen. Wenn nicht – nun… es war sein Teppich.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich das Knacken des Schlosses hörte und die Tür mit viel Kraft aufgeworfen wurde. Dumm war nur, dass sie noch direkt davor stand. Mit voller Wucht krachte ihr die Tür gegen die Stirn. Sie taumelte nach hinten und plumpste auf den Boden. „Was machst du da?“, fuhr Ryan sie schroff an. „Ich dekoriere den Teppich.“ Sie presste beide Hände gegen ihre Stirn. Verdammte Scheiße! Also… die Tür war echt hart. „Unterstehe dich.“, drohte er ihr, die Situation verkennend. Schroff zog er sie an den Ellenbogen nach oben. Sternchen tanzten vor ihren Augen. Benommen ließ sie sich von ihm in den Flur ziehen und in eine direkt danebengelegene Tür schieben, aus der helles Licht drang. Betreten blinzelte sie und erkannte besänftigt, dass es sich um ein Badezimmer handelte. Ohne sich zu vergewissern, ob er ihr die nötige Privatsphäre gönnte, schwankte sie zum WC. Ihr Kopf dröhnte, ihr war ein wenig übel. Dennoch musste sie bewundernd feststellen, dass auch hier weder Kosten noch Mühen gescheut worden waren. Erleichtert betätigte sie die Spülung und schlurfte zum Waschbecken. Ein riesiger Spiegel ließ sie in ihr bleiches Gesicht blicken, über das ein dicker roter Faden an ihrer Stirn beginnend über ihre Nase lief. „Was zum Teufel…?“ Doch noch bevor sie zu Ende denken konnte, wurde es um sie herum schwarz. Beinah geräuschlos sackte sie in sich zusammen.
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Genervt trommelte Ryan vor dem Bad mit den Fingern auf seine verschränkten Arme. Warum brauchten Frauen immer so lange? Er hatte vorhin einen leichten Blutgeruch vernommen. Vielleicht hatte sie ihre Periode? Doch die Spülung hatte sie schon vor einer halben Ewigkeit bestätigt und das rauschende Wasser konnte unmöglich von der Dusche kommen. Ließ sie sich etwa ein Bad ein? Widerwillig rollte er mit den Augen. Die Wanne müsste bald überlaufen. Versuchte sie, sein Haus unter Wasser zu setzen? Oder war sie lebensmüde und versuchte aus dem Fenster zu klettern. „Mist!“, brummte er. Sie war dickköpfig genug, um genau das zu tun. Im Gegensatz zum Schlafzimmerfenster war dieses Fenster unverriegelt. Ohne anzuklopfen, stürmte er hinein, blieb aber wie angewurzelt stehen, als er sie auf dem kalten Marmor liegen sah. Der unwiderstehliche Duft von Blut stieg ihm in die Nase. Süßer und verlockender als er es je gekostet hatte. Kein Menstruationsblut, wie er jetzt erkannte.
Ruhig und tief durchatmend ging er auf sie zu, hockte sich neben sie und drehte sie vorsichtig um. Das erste Mal seit er sie kannte, sah er sie bewusst an. Ihre Augen waren geschlossen; ihre Lippen voll und geschwungen. Ihre Wangenknochen, auf denen die Schatten dichter, langer Wimpern ruhten, verliehen ihrem Gesicht einen noblen Ausdruck. Sie war auffallend blass und fühlte sich kühl an. Regina atmete flach, aber ihr Herz schlug kräftig und regelmäßig. Über ihr Gesicht zog sich eine kleine Blutspur, die inzwischen fast eingetrocknet war. Er widerstand der Versuchung diese abzulecken. Stattdessen tupfte er sie sacht mit einem feuchten Tuch ab, was auf dem Rand des Waschbeckens gelegen hatte. Behutsam hob er sie hoch und trug sie zurück ins Schlafzimmer. Er hatte keine Mühe den finsteren Raum zu durchqueren.
Als er sie zurück aufs Bett legte, streifte eine Haarsträhne sein Gesicht. Gierig sog er ihren Geruch ein und ließ seine Hände durch das weiche Haar gleiten. Sein Körper beugte sich über sie.
Beinah hätte er sie geküsst. Was zum Henker tue ich da?
Über sich selbst erschrocken, wich er ans Bettende zurück. Von dort konnte er sie beobachten. Ihr musste schwindelig geworden sein. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Oder getrunken. Wie hatte er das nur vergessen können? So, wie er sie vorhin das erste Mal richtig angeschaut hatte, dachte er jetzt das erste Mal über sie nach. Sie war dickköpfig. Intelligent, wissensdurstig, hilfsbereit. Aber sie konnte auch wütend werden. Außerdem war ihm nicht entgangen, wie sie ihn abgewiesen hatte. Es war schwer für ihn, sich in ihren Geist zu schleichen. Er hatte gestern Abend länger als bei anderen Menschen gebraucht, um sie einschlafen zu lassen.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass sie tatsächlich seine Seelengefährtin sein musste.
Warum nicht Kathleen? Sie war perfekt proportioniert, hatte das Gesicht eines Engels und war nur halb so intelligent wie Regina. Einfacher zu kontrollieren. Wieso musste es ausgerechnet dieses kleine, dickköpfige, pummelige Weibchen sein? Sie ist aber süß, wenn sie ohnmächtig ist, fuhr es ihm durch den Kopf. Blödsinn, schallt er sich selbst. War ich gestern Abend eifersüchtig?, fragte er sich im Stillen, beantwortete sich die Frage aber ebenso still. Nein, keine Eifersucht. Sie gehört mir. Alles an ihr. Besonders ihr Blut! Auf ihre leisen Atemgeräusche lauschend sowie dem monotonen Klang ihres Herzschlags, döste er ein.
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Regina war noch viel zu müde, um ihre Augen aufzuschlagen. Ihr Kopf dröhnte, ihr Magen knurrte und sie sehnte sich inständig danach in ihrem eigenen Bett zu liegen. Große Hoffnung hegte sie keine, nachdem sie registriert hatte, dass etwas Schweres auf ihren Beinen lag. Blinzelnd öffnete sie die Augen und entdeckte Ryan, der quer über ihren Beinen liegend schlief. Wow, was für ein Mann! Als sie sich bewusst wurde, dass sie kurz davor war zu sabbern, rief sie sich mahnend zur Raison. Kein Mann für dich. Viel zu arrogant, viel zu schön und viel zu sehr Arschloch. Vorsichtig zog sie ihre Beine unter ihm heraus und saß nun mit angezogenen Knien auf dem Kopfkissen. Ihr Blick blieb an Ryan kleben, der wie eine Gottheit anzusehen war. Fehlt nur noch das weiße Gewand… Eine Hand lag unter seinem markanten Kinn, sein Kopf ruhte auf dem ausgestreckten Arm. Seine blauschwarz glänzenden, langen Haare fielen über seine breiten Schultern. Er war schlank, aber nicht dürr. Und muskulös, aber nicht wie diese ölig glänzenden Bodybuilder. Sie wusste, dass er ewig lange Beine hatte. Dass sein Bauch flach und ebenso athletisch war. Unbekleidet hatte sie ihn allerdings nie gesehen. Würde ich aber zu gern einmal. Im gleichen Moment verwarf sie den Wunsch wieder. Sie würde kein zweites Mal auf ihn hereinfallen. Ihr Blick blieb auf seiner Hand hängen, die er im Schlaf langsam auf sie zu bewegte. Lange, schlanke, gut manikürte Finger. Er trug den gleichen Ring wie sie. Ah, reiß dich zusammen!, brüllte sie sich in Gedanken an. Bevor sie irgendwelchen Blödsinn tat, entschloss sie sich, so leise wie möglich aufzustehen.
Vorsichtig schlich sie zur Tür, die unmöglich verschlossen sein konnte. Als sie die Klinke betätigte, hielt sie den Atem an und drehte sich ängstlich zu dem schlafenden Adonis um. Der rührte sich nicht. Regina huschte auf den Flur und schloss die Tür leise hinter sich. Verflixt, den Schlüssel musste er bei sich tragen. Sonst hätte sie ihn einschließen können. Mit klopfendem Herzen schaute sie sich um. Sie war in einem Obergeschoss. Von hier aus konnte sie über eine Brüstung nach unten sehen. Das war definitiv nicht das Haus, in dem sie mit ihm in den letzten drei Monaten gelebt hatte. Und nachdem, was sie aus den Fenstern sah, war das unter ihr auch nicht das Erdgeschoss.
Außerdem schien sonst niemand anwesend zu sein. Das beruhigte sie zwar, alarmierte sie aber gleichzeitig. Zum einen war es völlig egal, ob sie hier ohne Hosen herumgeisterte, zum anderen war es erschreckend zu wissen, mit Ryan allein zu sein. Nicht, dass er sie verführen würde. Aber was, wenn er immer noch vorhatte, sie unter die Erde zu bringen? Tja, eine Flucht konnte sie vergessen. Wenn sie die Umgebung, die sie durch die Fenster sehen konnte, richtig deutete, lag das Haus mitten in der Pampa. Zu Fuß würde sie sich wortwörtlich den Arsch abfrieren. Ganz zu schweigen davon, dass sie nur tot halbnackt von anderen Leuten gesehen werden wollte. Und auch dann nur äußerst ungern.
Schluckend betrat sie das Badezimmer, an das sie sich deutlich erinnerte. Im Hellen sah es beinah noch schöner aus. Andächtig und mit Bewunderung lief sie durch den großen, zweigeteilten Raum. Wie war sie gestern eigentlich aus dem Bad gekommen? Stirnrunzelnd versuchte Regina, sich zu erinnern. Im Spiegel erspähte sie eine wunderschöne, rotbläuliche Beule. Daher kam also der Kopfschmerz. Nachdem sie sich erleichtert hatte, ging sie in den hinteren Bereich. Dort befand sich neben einer einladenden Badewanne eine Dusche, die ihr förmlich entgegen schrie, dass sie sie benutzen möge. So sehr es ihr auch widerstrebte, so sehr freute sie sich dennoch auf das frische Nass. Sie war bereits den zweiten Tag hier und fühlte sich schmutzig. Bevor sie diesem Verlangen allerdings nachgab, schloss sie die Tür ab. Auf keinen Fall wollte sie von Ryan nackt gesehen werden. So viel dazu, dass sie mal verlobt gewesen waren…
Nach dem Duschen föhnte sie ihre Haare. Genauso, wie es ihr der nette Friseur gezeigt hatte. Erik fiel ihr ein. Ob er sich Sorgen machte? Wusste er überhaupt, dass sie nicht daheim war? War er bei Leroy?
Es war besser, all diese Fragen beiseitezuschieben.
Sie legte den Föhn an seinen Platz zurück, hängte das Handtuch über die Badewanne und zog den Gürtel des Bademantels, der glücklicherweise wie viele andere zusammengefaltet in einem Regal gelegen hatte, enger. Dann schnappte sie sich ihre gebrauchte Wäsche und überlegte erst jetzt, ob es eine gute Idee war, so bekleidet wieder ins Schlafzimmer zu gehen. Sie konnte sich keine Antwort geben, da in diesem Moment ein zorniges „Regina“ durchs Haus waberte.
Augen rollend verließ sie das Bad und wäre beinah gegen Ryan geprallt. Seine Augen funkelten seltsam. Sie bemerkte, dass sie rot wurde und senkte ihren Blick. „Du brauchst nicht so schreien, ich bin nicht ins Klo gefallen und durch den Abfluss in der Dusche passe ich nicht.“ Sie presste ihre Sachen fest an sich und bemühte sich standhaft zu bleiben. „Geh zurück ins Zimmer!“, befahl er schroff. „Moment mal. Du kannst doch nicht…“ Sie konnte ihren Satz nicht beenden. Ohne Vorwarnung packte er sie an den Armen, schob sie in das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter ihr ab. „Du spinnst wohl, lass mich sofort raus! Ich brauche neue Sachen und ich will nach Hause!“, schrie sie und hämmerte wie wild gegen das schwere Holz. Abgesehen davon hatte sie wirklich Hunger, aber das schien ihm nicht in den Kopf zu kommen. Vermutlich plante er, sie verhungern zu lassen.
Oder sie in den Wahnsinn zu treiben.
Wütend trabte sie zum Bett und ließ sich darauf fallen. Sie hatte weiß Gott Besseres zu tun, als Schlafzimmerdekoration zu spielen. Vermutlich würde sie vor lauter Langeweile sterben.
Während sie den Betthimmel zornig anfunkelte und überlegte, wie sie aus diesem Schlamassel herauskommen sollte, wurde die Tür wieder aufgeschlossen und Ryan trat ein. Ein kleiner Hoffnungsschimmer regte sich in Regina. Hatte er seine Meinung geändert? Sie setzte sich auf. In einer Hand balancierte er ein Tablett. Mit frischen Brötchen, Marmelade, Wurst, Milch, diversen Obstsorten, einer Tasse und einer Thermoskanne. Oh Gott, Kaffee. Ein wunderbarer Gedanke. Allerdings nicht so wunderbar, wie der Anblick einer Reisetasche, die eindeutig ihr gehörte und an einem seiner Arme hing. Vor Entzücken wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen. Das unterließ Regina.
Er war schließlich der Urheber ihrer misslichen Lage. Wie um alles in der Welt war er zu dieser Tasche gekommen? Verwirrt schaute sie ihn lautlos fragend an. Kümmerte ihn herzlich wenig. Stumm stellte er das Tablett ab und ließ die Tasche vor ihre Füße fallen. „Du solltest etwas essen.“, stellte er sachlich fest, bedachte sie keines weiteren Blickes und ging.
Natürlich schloss er die Tür ab.
Ging ihr im Moment glatt am Hinterteil vorbei.
Hastig eilte sie zu dem Essen, was er ihr gebracht hatte und biss in eines der Brötchen. Ihre Augen flogen über das Tablett. Der Mann war wirklich einmalig. Er stellte ihr zwar alles Mögliche hin, aber es gab kein Messer. Noch nicht mal ein mickriger Löffel war zu entdecken. Sie goss sich den herrlich duftenden Kaffee ein, gab einen Schluck Milch dazu und trank die warme, köstliche Flüssigkeit mit sehr viel Genuss. Das Brötchen tunkte sie ab und an in die Tasse, die sie nochmals nachfüllte. Nachdem sie auch ein wenig Obst gegessen und einen weiteren Kaffee getrunken hatte, war sie mehr als satt.
Zufrieden ging sie zurück zum Bett, vor dem die Tasche lag. Darin war tatsächlich ihre eigene Garderobe. Alle neu gekauften Sachen, aber auch ein paar ältere. Inklusive der edelsten und verführerischsten Unterwäsche, die sie besaß. Sogar Hygieneartikel für die Frau konnte sie entdecken.
Das hatte doch wohl nicht Ryan persönlich aus ihrer Wohnung geholt?
Bei diesem Gedanken wurde sie nicht nur rot, nein, sie wurde quasi zum Aushängeschild für Feuermelder. Wie lange hatte er eigentlich vor, sie hier gefangen zu halten? Sie zog sich rasch an. Augenblicklich fühlte sie sich wohler. Mehrmals rief sie nach Ryan, was leider erfolglos blieb. Schließlich griff sie zu einem Trick. Sie wusste, dass sie gut singen konnte. Aber… sie konnte auch perfekt falsch singen. Mit herrlich schiefen Tönen und so laut sie konnte, schmetterte sie Kinderlieder gegen die Tür, die ihr den Weg in ihre Freiheit versperrte.
Etwa eine halbe Stunde lang.
Dann schwang diese auf.
Diesmal hatte sie sich allerdings in einige Entfernung gestellt. Zu sehr erinnerte sie ihr klopfender Schädel an die Bekanntschaft mit dem harten Holz. „Hör auf mit diesem Gejaule.“, donnerte er ihr frustriert entgegen. „Dann lass mich hier raus.“, entgegnete sie ihm mit einer gewissen Befriedigung. „Also gut.“ Er atmete geräuschvoll aus. „Gegessen hast du?“ Regina nickte. „Ich bevorzuge allerdings nicht mit den Händen zu essen. Ein Messer wäre nicht schlecht gewesen. Oder ein Löffel.“, antwortete sie nickend. Ryan lachte höhnisch. „Ein Messer? Sehe ich aus, als ob ich auf Schmerz stehe?“ Regina holte tief Luft. „Weißt du, ich hätte wirklich tierische Lust, dir irgendwas auf den Kopf zu hauen oder dir zwischen die Beine zu treten. Aber wegen dir werde ich sicher nicht zum Killer.“ Er legte den Kopf leicht schief und betrachtete sie belustigt.
„Gut zu wissen. Komm mit runter.“ Ohne ein weiteres Wort folgte sie ihm. Im Laufen betrachtete sie seinen Rücken. Sie konnte deutlich das Spiel seiner Muskeln unter dem knapp sitzenden Hemd erkennen. Ganz zu schweigen von seinem knackigen Po. Er ging auf eine Art und Weise, wie man es nur selten sah. Vielleicht bei Models, aber nicht bei normalen Menschen. Es gehörte verboten, so zu laufen. Es wirkte nämlich alles andere als abstoßend. Aber genau das sollte sie eigentlich empfinden. Er hatte eine unmissverständliche Anziehungskraft, der er sich nur allzu bewusst war.
Während sie ihm die Treppe nach unten folgte, fragte sie sich zum wiederholten Mal, wozu er sie brauchte.
War das irgendein perfider Plan, den er mit seiner Geliebten ausgeheckt hatte? Wollte er sie durch dieses Kidnapping zermürben? Hätte sie jetzt vielleicht eine Chance, von hier zu fliehen? Ihr war zwar klar, dass sie sich in seinem Haus befand – oder besser gesagt in einem seiner wer-weiß-wie-vielen Häuser – aber nicht, wo dieses stand.
„Setz dich.“, wies er sie an und deutete auf einen geschmackvollen Sessel, der in tiefdunklem Grün direkt vor ihr stand. „Wir müssen reden.“ Regina nickte, denn eine Erklärung für sein seltsames Verhalten war längst überfällig. Er nahm auf dem Sessel ihr gegenüber Platz und schlug seine langen Beine elegant übereinander, was Regina seltsam erregend empfand. Konzentrier dich, rief sie sich ins Bewusstsein. Mürrisch verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Dann fang mal an!“, forderte sie ihn auf. Sie war wirklich gespannt, was er ihr zu sagen hatte. „Gut. Kurz und knapp. Du bist meine Auserwählte.“ Regina sah ihn entgeistert an. Entschuldigung? Sie zog ihren Mund schief, runzelte die Stirn, presste die Lippen zusammen. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Lachen. „Was soll das sein? Für was ausgewählt?“ Ryan fuhr sich mit der Hand durchs Haar und holte tief Luft. „Du bist meine Partnerin, meine Seelengefährtin, meine bessere Hälfte. Nenn es, wie du willst, aber so ist es.“ Regina schluckte verwirrt. „Was soll das denn heißen? Bist du auf den Kopf gefallen oder so? Ich meine… wie bitte?“
Ungläubig versuchte sie, eine rationale Erklärung für seine Worte zu finden. „Akzeptier es einfach. Du bist meine Seelengefährtin. Daran lässt sich nichts ändern.“ Er hatte seine Beine inzwischen beide auf den Boden gestellt und lehnte seinen Oberkörper nach vorn, so dass es fast den Anschein hatte, als wolle er über den gläsernen Couchtisch springen. „Und das ist ein Grund, mich zu kidnappen?“ Ryan nickte, während er sie mit seinen grünen Augen taxierte. „Eine dämlichere Entschuldigung konntest du dir wohl nicht ausdenken? Ich meine, ich habe davon schon mal gehört, klar. Aber ist es nicht so, dass es dabei so etwas wie die große Liebe gibt? Funken, die sprühen und all dieses Zeug? Bei uns ist das wohl eher das Gegenteil.“ Sie liebte ihn. Immer noch. Selbst, wenn sie das nicht wollte oder es klüger wäre, sich zu entlieben. Das hieß jedoch nicht, dass sie zweites Mal auf ihn hereinfiele. Sie leugnete ihre Gefühle für ihn. War besser. „Ja, so sollte es sein. Bei uns ist es nicht so. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass du an meiner Seite sein musst.“, erwiderte er bar jeglicher Gefühlsregung. „Moment mal, stopp. Ich muss gar nichts. Wir empfinden nichts füreinander, also sollten wir auch nicht zusammen sein. Wo steht geschrieben, dass man mit seinem Seelenpartner zusammen leben muss? Überhaupt, was macht dich so sicher? Du kannst mich nicht ausstehen. Fühlt man sich im Normalfall nicht zu der anderen Person hingezogen? Kann mit ihr über alles reden? Hat den Anschein, als ob man sie schon ewig kennt? Ohne sie weder in der Lage ist zu funktionieren noch zu leben?“ Regina war sauer.
Stinksauer.
Wie konnte er dermaßen auf ihren Gefühlen herumtrampeln? „Das mag auf Menschen zutreffen. Hör mal, ich weiß nicht, ob das Gottes Plan ist oder der des Teufels. Aber es lässt sich nicht leugnen. Wir gehören zusammen. So sehr ich es auch bedaure. Du bist nicht gerade das, was ich mir unter meiner Auserwählten vorstelle.“ Gut, jetzt kochte Regina wirklich. „Sehr schön. Dann haben wir das geklärt!“, entgegnete sie ihm dennoch in aller Ruhe. „Dann kann ich jetzt wieder nach Hause.“ Sie wollte aufstehen, doch Ryan war unheimlich schnell.
Mit einer Geschwindigkeit, die sie überrumpelte, sprang er über den Tisch, landete vor ihren Beinen und hielt sie an den Schultern fest. „Das kannst du nicht! Das ist jetzt dein zuhause.“ Regina war sprachlos. Weil er so schnell war. Und weil sie ihn bereits das zweite Mal seit der Trennung wütend erlebte. Der sonst so gefasste, immer etwas erhabene Ryan war sauer. Innerlich frohlockte sie. „Lass mich los! Ich habe hier nichts verloren. Weder heute noch morgen noch sonst irgendwann. Such dir eine andere Frau, der du solchen Mist erzählen kannst. Ab besten eine, die deinen Idealen entspricht.“ Sie meinte, ein Knurren zu hören. Ein extrem gefährliches, was ihre Nackenhaare erstarren ließ. Fröstelnd schüttelte sie die aufkommende Gänsehaut ab. „Du begreifst es nicht, oder? Es ist zwingend notwendig, dass du in meiner Nähe bleibst.“ Er knurrte wirklich. Ängstlich schaute sie nach oben, direkt in sein Gesicht und seine smaragdgrünen Augen, die düster funkelten. „Lass mich los.“, wiederholte sie verwirrt, „Du machst mir Angst.“ Statt sie loszulassen, verstärkte er den Griff auf ihren Schultern. Zwang sie, sich zu setzen. Er lachte. Es war kein richtiges Lachen. Mehr ein Brüllen. Ein Aufschrei; eine verzerrte Illusion. „Das, meine liebe Regina, ist noch gar nichts.“, brummte er. „Für euch Menschen ist es immer zwingend notwendig, eine rationale Erklärung zu bekommen. Doch selbst wenn ihr sie habt, versucht ihr, die Wahrheit zu verbiegen und sie zu euren Gunsten schön zu reden. Ist doch so, oder?“ Regina glaubte, sich verhört zu haben. „Für uns Menschen?“ Verunsichert schaute sie ihn an und legte den Kopf schräg. „Bist du keiner?“ Er hockte jetzt direkt vor ihr. Seine Augen waren immer noch düster. Doch von innen heraus glühten sie. Wie Feuer…, dachte sie. „Du hast es erfasst. Ich zeige dir, was ich bin.“ Mit Entsetzen sah Regina, wie er seinen Mund öffnete, in dem spitze, weiße und mit Sicherheit sehr scharfe Fangzähne blitzten. Unfähig sich zu bewegen, starrte sie ihn an. Noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er sich über sie gebeugt. Sie spürte ein Ziehen an ihrem Hals. Ein jäher Schmerz. Mit der Intensität und der schaurigen Gewalt eines Orkans. Sie wusste nicht, wie lange dieses Gefühl andauerte. Aber ihr wurde bewusst, dass sie ihren Atem angehalten und ihre Augen geschlossen hatte. Oh mein Gott. Ein Vampir! Ein echter Vampir! Ich muss hier weg. Mit entschlossener Willenskraft stieß sie ihn von sich, sprang schreiend auf und rannte zur Treppe.
Ryan war schneller.
„Das war noch nicht genug.“, hörte sie ihn hinter sich zischen. Er griff mit einem eisernen Griff um ihre Taille und ihre Schultern, hob sie hoch und biss erneut zu. Panik erfasste Regina. Er würde sie töten. Wild strampelnd schlug sie um sich. Sie spürte, dass er den Biss löste und über die Wunde leckte. „Wenn du zappelst, könnte ich dir mehr weh tun, als ich es beabsichtige.“ Es war eine Drohung. So viel war ihr klar. Und plötzlich konnte sie sich nicht mehr wehren. Sie spürte seine Zähne erneut sehr deutlich und fühlte sich wie ein dem Wolf ausgeliefertes Kaninchen. Im Prinzip war sie das auch. Das Ziehen war stark und unangenehm, ebenso wie das Geräusch, welches er dadurch verursachte. Als er spürte, wie sie sich immer mehr verkrampfte, ließ er von ihr ab. „Du bleibst bei mir.“, schnurrte er; gleichzeitig drohend und eisig. Zögernd und aufgewühlt drehte sie sich um, wieder fähig sich zu bewegen.
Ryan war weg.
Zitternd schaffte sie es, die Treppe hinauf in das Schlafzimmer zu gehen, in dem sie sich völlig erschöpft aufs Bett fallen ließ. Ihr Körper bebte, vibrierte, erschauerte. Sie fühlte sich schlapp und ausgelaugt. Ein hysterisches Lachen gurgelte aus ihrer Kehle. Er hatte ihr Blut getrunken. Ein Vampir, er ist ein Vampir!, schrie es in ihr. Ich muss hier weg. So schnell wie möglich! Übereilt schwang sie die Beine aus ihrem Bett, was dazu führte, dass sich das gesamte Schlafzimmer vor ihren Augen zu drehen begann. Sie kniff ihre Augen zusammen und zählte langsam bis 100, bevor sie sie wieder öffnete. Sie hob die Tasche, die immer noch vor dem Bett stand, hoch und schaute hinein. Keine Schuhe. Keine Jacke. Sie würde sie hier lassen müssen, sonst wäre sie nur ein Hindernis auf ihrer Flucht. Regina musste sich immer noch langsam bewegen. Doch wild entschlossen setzte sie einen Fuß vor den anderen.
Vorsichtig spähte sie aus dem Schlafzimmer. Totenstille.
Mit klopfendem Herzen schlich sie die Treppe hinunter. Leider musste sie feststellen, dass diese Etage, wie bereits vermutet, nicht das Erdgeschoss war. Irgendwo musste es noch einen Weg nach unten geben.
Nach einigem Suchen fand sie hinter einer Wand, die als Buchregal diente, eine weitere Treppe. Diese führte leicht geschwungen parterre. Die Luft anhaltend trat sie ins Erdgeschoss, lauschte. Niemand war zu sehen oder zu hören. Das musste gar nichts heißen. Er war ein… Vampir! Er konnte wer weiß was.
Ein Schauer überlief sie, als sie daran dachte, wie er ihr Blut getrunken und sie sich dabei hilflos wie noch nie in ihrem Leben gefühlt hatte. An einem Garderobenhaken direkt neben einer bulligen Eichentür, durch deren Glasfenster das Sonnenlicht gebrochen wurde, entdeckte sie ihre Jacke. Ein Anfang, dachte sie und hielt Ausschau nach Schuhen. Irgendwo mussten ihre doch sein. Sie fand sie tatsächlich. Auf dem Schuhregal. Sie waren nicht einmal versteckt. Ryan nahm wohl an, dass sie oben blieb. Das brave Frauchen, das ihm zu Füßen lag. Idiot. Strunzdummer Vampirblödmann!
Rasch, sich immer wieder umschauend und lauschend, betätigte sie die große Eingangstür. Regina war erstaunt, dass sie nicht abgeschlossen war. Sie jubelte innerlich. Endlich war sie frei. Zumindest so gut wie! Auch wenn sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie laufen sollte oder wie lange sie unterwegs wäre, bis sie endlich jemanden um Hilfe bitten konnte. Ihr Blick fiel auf Ryans Wagen. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt tänzelte sie darauf zu, nur für den Fall, dass jemand sie beobachtete. Das Glück war auf ihrer Seite. Er hatte tatsächlich die Schlüssel stecken lassen.
Wie immer, lächelte sie, stieg rasch ein, zog leise die Tür zu, legte den Gurt an und setzte den schwarzen Sportwagen in Bewegung. Leise surrend fuhr sie aus der offenen Ausfahrt und gab ordentlich Gas, sobald das Haus kaum noch im Rückspiegel zu sehen war. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, als würde es jeden Augenblick herausspringen. Um sich ein wenig abzulenken, schaltete sie das Radio ein. Vielleicht hatte sie Glück und es gab so was wie einen Regionalsender. Dann hatte sie zumindest einen Anhaltspunkt, wo sie sich befand.
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Gut zwei Stunden später stand sie vor Eriks Haus. Ryans Auto hatte sie ein paar Straßen weiter geparkt und war dann zu Fuß gelaufen. Heftig atmend klingelte sie und war erstaunt, dass der Summer betätigt wurde, ohne dass ihr Freund fragte, wer zu ihm wollte. Vielleicht erwartete er Besuch. So ungern sie ihn auch bei einem Date störte, das war schließlich ein Notfall! Die Tür zu Eriks Wohnung stand offen, was sie aber nicht beunruhigte. „Erik? Entschuldige, dass ich störe. Du erwartest sicher jemand anderen. Aber ich stecke in Schwie…“
„…rigkeiten?“, beendete Leroy lächelnd ihren Satz, in der Hand sein Handy haltend. Regina stolperte rückwärts von ihm weg und landete auf der Couch. „Ja, sie ist hier. So, wie du es vorausgesehen hast. Menschen sind so berechenbar.“, sagte er ins Telefon. Mit einer eiskalten Ruhe, die Reginas Atem stocken ließ. „Nein, lass dir ruhig Zeit.“, grinste er und beendete das Gespräch. Mit einem Satz sprang Regina auf und hechtete wie eine Irre zur Wohnungstür. Aber Leroy war schneller. Um exakt zu sein: Genauso schnell wie Ryan, als der ihr zur Treppe gefolgt war. Noch ein Vampir…, schoss es ihr schwindelnd durch den Kopf. Sie war reif für die Klapse! Sowas… Vampire… gab es nicht. Das war dermaßen irreal! „Ich nehme an, du lässt mich nicht gehen?“, fragte sie zitternd, aber relativ gefasst. Viel schlimmer konnte es bald nicht kommen. Leroy schüttelte süffisant lächelnd den Kopf, so dass seine langen, blonden Haare geschmeidig um sein wunderschönes Gesicht wehten. „Wo ist Erik?“ Mit einem Kopfnicken deutete er in Richtung Schlafzimmer. Mit klopfenden Herzens eilte Regina darauf zu. Dicht gefolgt von Leroy. Der Anblick, der sich ihr bot, schockierte sie zutiefst.
Sie hatte sich geirrt: Es konnte schlimmer kommen.
Erik lag nackt im Bett, mit glasigen Augen, offenem Mund und seltsam verdreht. Mit einem erstickten Schrei und den Tränen nah, wollte Regina auf ihn zustürmen, doch Leroy packte sie an den Schultern. „Dein Lover macht es nicht mehr lange. Zu schade. Er war wirklich gut.“, triumphierte er gehässig. „Mein Lover? Du meinst, deiner!“, korrigierte sie ihn stark schluckend und sank auf die Knie. Was hatte er ihm angetan? Leroy hüstelte gekünstelt. „Regina! Komm mir nicht damit. Ich weiß, dass du die ganze Zeit bei ihm warst. Ihr seid sogar zusammen in den Club gekommen. Jeder Mann, der dir zu nah kommt, ist eine Gefahr für das Wohlergehen meines Bruders und muss beseitigt werden.“ Sie traute ihren Ohren nicht. Beseitigt? Nur weil er ihr Freund war? Das musste alles ein großer Irrtum sein. „Leroy, bitte. Was soll das denn? Ich dachte, du magst ihn!“ Leroy zuckte beiläufig mit den Schultern. „Oh, das tue ich. Er war wirklich amüsant. Aber ich bin es leid, ihm einzureden, dass er mich begehrenswerter findet als dich. Auf die Dauer ist das nichts. Game over.“ Regina rappelte sich wütend auf, drehte sich zu ihm um und hämmerte ihm gegen die ebenso stahlharte Brust wie die von Ryan. „Bist du bescheuert? Ihm einreden? Hallo? Wäre er mein Freund – im Sinne von Lover…“, sie malte Gänsefüßchen in die Luft, „… meinst du nicht, ich hätte anders reagiert, als ich euch zwei zusammen gesehen habe? Dass ich – ich weiß nicht – ausgetickt wäre vielleicht? Erik ist mein bester Freund, das stimmt. Und er ist schwul. Von Kopf bis Fuß! Also rede hier keinen Blödsinn.“ Sie war hysterisch, Tränen rannen über ihre Wangen, aber sie spürte sie nicht. Sie schrie einen Vampir an, und es war ihr völlig egal.
Erik durfte nicht sterben.
Welches makabre Spiel spielten diese beiden Ungeheuer mit ihr?
Schluchzend warf sie sich die Hände vors Gesicht, um nicht in das engelsgleiche Gesicht dieses Monsters blicken zu müssen.
Leroy starrte sie verdattert an. „Er ist schwul? Das heißt, er ist nicht dein Lover?“ Ungläubig blickte er sie an. „Soll ich dir das aufschreiben?“, brüllte sie gereizt, kaum fähig ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Deck ihn wenigstens etwas zu.“, schluchzte sie, „Es ist entwürdigend so gesehen zu werden.“
„Ich wusste nicht, dass du prüde bist. Er ist nackt, und?“
„Ja, das ist er. Sehr nackt. Und sehr erregt, wenn ich das behaupten darf.“ Sein bestes Stück ragte steil auf und pulsierte, obwohl er augenscheinlich nicht bei vollem Bewusstsein war. Leroy nickte, schob sie beiseite und bedeckte Eriks Blöße. „Zufrieden?“, murmelte er und drängte Regina zurück auf die Couch. „Nicht, dass es einen Unterschied macht.“, fügte er flüsternd hinzu, setzte sich ihr gegenüber und sah sie intensiv an.
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Regina betrachtete ihre Schuhspitzen; die Welt um sie herum nicht mehr wahrnehmend.
Sie stand unter Schock.
Nach einer halben Ewigkeit schien sie sich wieder ausreichend unter Kontrolle zu haben. Leroy hatte sie die ganze Zeit nur stumm und äußerst eindringlich angesehen. „Du bist auch ein Vampir.“, stellte sie mehr fest, als dass sie es fragte. Sie erwartete keine Antwort, vernahm jedoch sein Nicken. „Verstehe…“, murmelte sie. „War das mit Erik geplant oder nur ein Zufall?“, wollte sie wissen. Sie hatte Angst. Nein. Das war nicht das richtige Wort. Eher Panik. Sie hatte keine Ahnung, wozu diese Spezies fähig war. Abgesehen davon, dass sie Blut tranken und es ihnen anscheinend völlig egal war, ob ein Mensch vorzeitig ins Gras biss. „Das war geplant. Als du mir den Umschlag in die Hand gedrückt hast, hatte ich eine Vermutung. Außerdem hattest du einen männlichen Geruch an dir. Ich bin dir gefolgt, ohne dass du es bemerkt hast. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich jedoch noch nicht, dass es wichtig sein könnte. Ryan habe ich erst darüber informiert, als ihm klar wurde, dass du seine Gefährtin bist.“ Regina nickte, weit mehr eingeschüchtert als davor. Obwohl Leroys Erklärung sehr sachlich war.
Oder vielleicht gerade deswegen.
Ohne jegliche Gefühlsregung.
„Was hat es mit einer Gefährtin auf sich? Ich meine, er kann mich nicht ausstehen, oder? Wozu brauch er mich dann?“ Leroys Gesicht blieb ausdruckslos, nur seine Augen verrieten, dass er ihr zuhörte. „Jeder Vampir hat eine Gefährtin oder einen Gefährten. Ein Zufallsprinzip. Viele begegnen dieser einen Person nie. Das ist nicht weiter tragisch, wenn auch sehr einsam. Aber wenn sie der Person begegnen, dann spüren sie es. Nicht immer sofort. Aber spätestens, wenn diese wieder verschwindet. Sie haben sich dann kaum unter Kontrolle. Sie haben weder ihre Fähigkeiten im Griff, noch können sie sich bei der Nahrungsaufnahme zurückhalten. Im Normalfall töten wir Menschen nicht beim Trinken. Wir nehmen nur genug, um bei Kräften zu bleiben. Aber wenn die Gefährtin nicht da ist, kann man das nicht. Man wird nie satt. Man braucht immer mehr. Schließlich wird man zu dem, was man von Natur aus ist. Zum eiskalten, gnadenlosen Killer. Versteh mich nicht falsch. Wir töten, wenn es sein muss. Aber wir lassen unsere Opfer nicht leiden. Doch in dem Zustand der Leere, wie wir es nennen, wenn der Gefährte von uns getrennt ist, werden wir zu wahren Monstern. Wir ergötzen uns an den Leiden und der Angst unserer Opfer und laufen dabei Gefahr, entdeckt zu werden. Das wiederum bringt die Jäger ins Spiel und unsere eigene Justiz. Ein Vampir, der ins Leere gefallen ist, wird gerichtet. Das hat es mit der Gefährtin auf sich.“ Regina begriff durchaus die Tragweite des Gesagten.
Doch wie sollte sie mit einem Mann bis zu ihrem Lebensende zusammen leben, der sie nicht wollte?
In den sie sich im Null Komma Nichts verliebt hatte; der sie so sehr verletzt hatte.
Der es mit Sicherheit immer wieder tun würde.
Das konnte – und wollte – sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sollte sie ihm vielleicht das Messer auf die Brust setzen? So nach dem Motto: Betrügst du mich, verlasse ich dich? Aber was brachte ihr das? Er hatte sie schon einmal gekidnappt. Er konnte das jederzeit wieder tun.
Sie war mit ihren Gedanken noch nicht einmal halbwegs ins Reine gekommen, als es an der Tür schellte und innerhalb weniger Sekunden Ryan durch diese hereinkam. Regina hatte keine Ahnung, warum er sich überhaupt die Mühe machte zu klingeln. Sie spürte, wie ihr Herz in ihre Schuhe rutschte und sich dort unter ihren Zehen versteckte. Er funkelte sie wütend an; das konnte sie deutlich fühlen. Doch sie traute sich nicht, ihn anzusehen. Ohne ein Wort an sie zu richten, schritt er direkt zur Schlafstube. „Er lebt noch?“, wand er sich an Leroy. „Du hast genug gespielt Bruder, bring es zu Ende.“ Seine Stimme war wütend, aber wohl nicht, weil Erik noch lebte. Sondern weil sie sich erdreistet hatte zu fliehen. So viel war ihr klar. „Wenn du das tust…“, begann sie leise und zitternd zu sprechen, „Ich schwöre dir, dann springe ich vom Balkon!“ Sie konnte nicht zulassen, dass Erik ihretwegen starb. Ryan lachte. „Dann bist du tot. Und?“ Er hatte ihr Vorhaben nicht begriffen. „Genau.“, meinte sie überzeugt und schaute ihm regungslos auf die Nase. So konnte sie seine Augen ignorieren. „Und du mit ihr, Bruderherz.“, verstand Leroy ein wenig schneller als Ryan.
„Oh.“, erwiderte er, weniger erstaunt als belustigt, „Du willst mich also erpressen?“ Er kam gefährlich nah auf sie zu. Wie froh war sie, dass sie immer noch saß, sonst hätten ihre Beine nachgegeben. „So kannst du es gern ausdrücken.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Ihr Plan hatte funktioniert. Sie wusste noch nicht einmal, ob sie es überhaupt fertig gebracht hätte. Nun… vielleicht. Immerhin sähe ihre Zukunft weder rosig noch bunt schillernd aus, sondern grau und voller Angst. Aber er schien den Bluff nicht bemerkt zu haben. „Gut, unter zwei Bedingungen bleibt er am Leben. Du gehst mit Ryan und er vergisst dich.“, ergriff Leroy das Wort. Regina schaute ihn zweifelnd an. Wie sollte Erik sie denn vergessen? „Wie meinst du das?“, hörte sie sich fragen, doch innerlich fragte sie sich bereits, ob er als Vampir dazu in der Lage war, Erinnerungen zu manipulieren. Genau das wurde ihr bestätigt. Geschockt riss sie die Augen auf. „OK, ich gehe mit Ryan. Aber bitte, lass ihm seine Erinnerungen an mich. Meinetwegen mach ihm plausibel, dass wir zusammen weggezogen sind oder irgendwas in der Art. Aber bitte, ich brauche ihn ab und an zum Reden.“ Sie war verzweifelt. Erik war der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte. Der immer für sie da war. Ihr einziger fester Punkt in ihrem Leben. Ihre Konstante! „Er ist meine beste Freundin!“
Sie wählte absichtlich die weibliche Variante, denn es entsprach ohnehin der Wahrheit. Ohne weiter darüber nachzudenken, lehnte Ryan diesen Vorschlag mit einem glasklaren, eiskalten Nein ab. Er fand Leroys Idee hervorragend. „Bitte, ich tue auch alles, was du willst.“, flehte sie Ryan an, einem Tränenausbruch extrem nahe. „Alles?“, fragte er sichtlich amüsiert und wartete ihr Kopfnicken ab. „Das klingt verlockend, aber das wirst du auch so tun. Nein. Du sollst dich nur auf mich konzentrieren, nicht auf irgendwelche Freunde, mit denen du verrückte Pläne schmieden kannst.“ Regina riss ihre Augen weiter auf, als sie es je für möglich gehalten hätte. „Bitte, Ryan. Ich bitte dich. Tu ihm das nicht an. Und mir auch nicht.“ Ryan beachtete sie nicht weiter, drehte sich zu Leroy um und gab ihm ein Zeichen, woraufhin dieser zu Erik eilte. Regina wollte ihm hinterherrennen, konnte sich aber keinen Zentimeter bewegen. Sie konnte nicht einmal schreien. Als Leroy wieder aus dem Zimmer trat, war ihre Starre wie weggewischt. Sie saß nur da wie ein Häufchen Elend und schaute ungläubig auf die Gesichter dieser beiden Wesen, die schön und eiskalt waren. „Ich hasse dich!“, spuckte sie Leroy entgegen. „Und dich!“, sagte sie zu Ryan, „Dir bereite ich die Hölle auf Erden! Ich brauche frische Luft…“ Ohne dass die beiden die Lage begriffen, öffnete Regina die Balkontür, trat hinaus, kletterte in einer Kurzschlussreaktion - ohne ein zweites Mal darüber nachzudenken - auf die die im achten Stock gelegene Brüstung und sprang. Sie wollte nicht für ewig an einem Mann gebunden sein, der sie zu allem zwingen konnte und ihr den besten Freund genommen hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie erwartete jeden Moment den Aufprall und hoffte nur, dass es nicht weh tun würde. Ihr Fall wurde jedoch langsamer, als würde sie bremsen.
War sie verblödet?
Sowas gab`s nicht!
Noch bevor sie aus dem Staunen herauskam, wurde sie von zwei starken Armen und den Worten ‚Törichtes Weib‘ empfangen. Ryan. Was immer er getan hatte, sie lebte noch. Sie hatte tatsächlich den Sprung vom Balkon überlebt. „Lass mich runter!“, fauchte sie ihn wütend an. Diesmal lagen in ihrem Blick nur Hass und tiefer Abscheu. Mit schnellen Schritten eilte sie auf den Hauseingang zu, dicht gefolgt von Ryan. „Was wird das?“, fragte er amüsiert. „Was wohl, ich springe nochmal!“ Sie wusste nicht, ob sie nochmal die nötige geistige Umnachtung für dieses Vorhaben fand. Aber sie kam sowieso nicht zur Tür. Seine Hände umfingen ihre Oberarme wie Schraubstöcke. „Du kannst das so oft tun, wie du willst. Aber du wirst dich nicht umbringen!“ Er machte sich lustig über sie? Sie hasste ihn. Wie hatte sie je der Meinung sein können, dieses Ungeheuer zu lieben? Er war noch nicht in diese ominöse Leere gefallen, wie Leroy es genannt hatte. Trotzdem war er bereits ein eiskaltes Monster. Leroy ebenfalls. Es verwunderte sie kaum, dass er auch ohne Auto hierhergekommen war, als er sie durch die Straße schleifte und dann in den Sportwagen schob. Der, den sie für ihre Flucht benutzt htte. Nachdem er sie sogar beim Fallen beeinflussen konnte, wie viel mehr musste er an Fähigkeiten haben? Er legte ihr den Gurt um, schloss ihre Tür, lief um das Auto herum, stieg ebenfalls ein und fuhr mit rasantem Tempo los.
Regina sah kaum die Umgebung an sich vorbeiziehen.
In ihr herrschte gähnende Leere.