Читать книгу Western Helden 18 – Erotik Western - R. S. Stone - Страница 3

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Als Milton Randall die vier Reiter über den Hügelkamm stieben sah war ihm klar, dass er ein riesiges Problem am Hals hatte. Er parierte sein Pferd, starrte, dem Fegefeuer seiner wirbelnden Gedanken ausgesetzt, dem Quartett entgegen und spürte, wie die Angst in ihn hineinkroch.

Es waren Cowboys der Running Water Ranch.

Die Hufschläge dröhnten wie ein Vorbote von Unheil und ­Ver­hängnis, ein eisiger Hauch schien den sechsundfünfzigjährigen Pferdezüchter zu streifen. Er duckte sich unwillkürlich und zog den Kopf zwischen die Schultern, als würde jemand nach ihm schlagen.

Vor ihm rissen die Reiter die Pferde zurück. Das Pochen, Klirren und Knarren verklang, nur noch das Prusten und Schnauben der Pferde war zu vernehmen. Aufgewirbelter Staub markierte den Weg, den die Reiter zurückgelegt hatten. Es war der helle Staub des Llano Estacado, der das ganze Land wie mit einer dünnen Puderschicht überzog.

»Sieh an«, stieß ein Cowboy hervor, der sein unruhiges Pferd mit den Oberschenkeln bändigte. »Der glücklose Pferdezüchter Milton Randall. Er treibt sich auf dem Weideland der Running Water Ranch herum, und vor ihm hängt ein totes Maverick über den Pferderücken. Was sagt man dazu?«

»Männer«, murmelte Randall mit einer ihm selbst fremden Stimme, räusperte sich, bekam aber den Hals nicht frei und fuhr fort: »Ihr wisst genau, dass …«

»Erzähl die Story nicht uns, Viehdieb!«, schnitt der Sprecher der kleinen Gruppe Randall schroff und mit klirrender Stimme das Wort ab. »Heb sie dir für Big Jacob auf. Ich bin neugierig, was er dir für eine Antwort geben wird.«

Sie fixierten ihn mit harten Augen, und Randall fühlte deutlich die Welle von Unnachgiebigkeit, die von ihnen ausging. Unvermittelt hatte er das Empfinden, von einer unsichtbaren Faust gewürgt zu werden. »Versteht das doch, Leute«, begann er noch einmal, »wir sind am Ende und …«

»Halt’s Maul, Randall!«, unterbrach ihn der Cowboy erneut. »Spar dir deinen Atem. Vielleicht brauchst du ihn, wenn du am Ende eines soliden Hanfstricks zappelst. Ich denke, du weißt, wie man in Texas mit Viehdieben umgeht.«

»Reden wir nicht lange herum«, stieß ein anderer hervor. »Reiten wir. Und dir, Randall, rate ich, nicht auf blödsinnige Gedanken zu kommen.«

Der Pferdezüchter schluckte würgend.

Sie nahmen ihn in die Mitte und trieben die Pferde an. So sehr er sich auch den Kopf nach einem Ausweg zerbrach – er fand keinen. Nach dem Gewehr zu greifen und zu versuchen, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden, wäre selbstmörderisch gewesen.

Also fügte er sich.

Je näher sie der Running Water Ranch kamen, umso unbehaglicher wurde es Milton Randall zumute, und er spürte die Angst, die wie ein Schrei in ihm aufstieg, wenn er daran dachte, was ihm möglicherweise blühte. Seine Hände begannen zu zittern wie die eines Schwerkranken, sein Gesicht war grau und die Furchen darin gruben sich noch tiefer ein. Schließlich war es nur noch reine Panik, die sich wie ein alles verzehrendes Feuer in ihm ausbreitete und seinen ganzen Körper erfasste.

Die Ranch tauchte auf. Sie lag am Running Water Creek, und die Vielzahl der Gebäude sowie das pompöse Haupthaus ließen darauf schließen, dass hier ein Weidebaron residierte. Einige Ranchhelfer waren bei der Arbeit. Aus der Schmiede klangen helle Hammerschläge, aus der Esse stieg dunkler Rauch. In einer Remise standen fünf Fuhrwerke; drei Schlutter-Wagen und zwei schwerere Gefährte. In zwei Corrals tummelten sich wohl an die sechzig Pferde. Auf einer Koppel standen ein halbes Dutzend Milchkühe. Eine große Mannschaftsunterkunft war in einem rechten Winkel zum Haupthaus errichtet worden. Da es windstill war, drehte sich das Windrad auf dem hohen Turm beim Brunnen nicht.

Einige Männer verließen das Bunkhouse, auch einige Helps stellten ihre Arbeit ein und näherten sich. Sie alle kannten Milton Randall, und sie sahen das tote Jungrind vor ihm auf dem Pferderücken liegen.

Zwei Männer, die sich ausgesprochen ähnlich sahen, nur dass der eine an die dreißig Jahre älter war als der andere, verließen das Haupthaus, überquerten die Veranda und blieben beim Geländer stehen. Der Ältere der beiden hatte graue Haare, sein Gesicht war kantig und zerfurcht und wurde von einem pulvergrauen Augenpaar beherrscht. Von ihm ging eine starke, autoritäre Strömung aus, etwas Zwingendes, Beeindruckendes.

Das war Big Jacob Tatum.

Neben ihm stand sein Sohn John, einunddreißig Jahre alt und sicherlich aus demselben Holz geschnitzt wie Big Jacob.

Der Ranchboss legte die Hände auf das Geländer und kniff die Augen leicht zusammen. Der Weidereiter, der sich schon auf der Weide zum Sprecher der kleinen Gruppe aufgeschwungen hatte, rief: »Wir haben Randall erwischt, als er sich mit einem geschlachteten Maverick auf dem Land der R.W. herumgetrieben hat.«

Ein Schatten schien über das Gesicht des Ranchers zu huschen. »Das klingt nach Viehdiebstahl«, rief er grollend. »Was hast du dazu zu sagen, Randall?«

Der Pferdezüchter straffte die Schultern, setzte zweimal an und erwiderte mit belegter Stimme: »Du weißt sicher, Big Jacob, wie viel Pech ich im vergangenen Jahr hatte. Die meisten meiner Pferde musste ich erschießen, weil sie an einem Virus erkrankt waren, der von den Pferdebremsen übertragen worden ist. Ich konnte nicht ein einziges Tier verkaufen. Weil das so ist, kann ich meinen Kreditverbindlichkeiten bei der Bank nicht nachkommen und sie hat mir die Hypothek gekündigt. Im Store bekomme ich auch keinen Kredit mehr. Susan, Jed und ich sind am Ende, wir können uns kein Mehl, kein Salz, keinen Kaffee, keinen Zucker – wir können uns gar nichts mehr kaufen. Aber von etwas müssen wir doch leben.«

Big Jacob presste sekundenlang die Lippen zusammen, sodass sie nur einen dünnen, blutleeren Strich bildeten, dann stieß er hervor: »Und euren Lebensunterhalt stiehlst du dir auf meiner Weide zusammen, wie? Hat dir denn nie jemand gesagt, dass man mit Viehdieben kurzen Prozess macht? Hast du das denn nicht bedacht, als du auf mein Weideland geritten bist?«

Randalls Hals war wie zugeschnürt. Die Angst vor dem, was auf ihn zukam, raste wie Fieber durch seine Blutbahnen. »Wir haben Hunger, Big Jacob«, presste er fast mühsam hervor. »Was ich getan habe, ist kein Viehdiebstahl im herkömmlichen Sinne. Es – es war Mundraub. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte.«

»Du hättest eben einen deiner Gäule schlachten müssen«, stieß Big Jacob zynisch hervor und die Härte in seinem Blick milderte sich nicht. »Du hättest auch zu mir kommen können, vielleicht hätte ich dir dieses verdammte Maverick sogar geschenkt. Aber es war – verdammt noch mal – ein Fehler, einfach auf mein Land zu reiten und mein Vieh zu stehlen.«

»Ich – ich werde dir das Kalb bezahlen«, stammelte Randall.

Big Jacob lachte klirrend auf. »Womit denn? Mit Hosenknöpfen etwa?«

»Ich kann dir ein Pferd dafür geben.«

Die Stimme des Ranchers klang wie fernes Donnergrollen, als er erwiderte: »Ich habe genug Pferde, und von deinen verseuchten Gäulen will ich sowieso keinen.«

Von einem Anbau schlenderte ein etwa dreißigjähriger, dunkelhaariger Mann herbei. Er war groß, schmal in den Hüften und breit in den Schultern und wirkte sehr geschmeidig. Bekleidet war er mit einer schwarzen Hose und einem weißen Hemd. Er schien schon eine ganze Weile zugehört zu haben, denn er rief: »Das war sicher nicht das erste Kalb, das du der R.W. gestohlen hast, Randall. Sag es schon: Wie viele waren es bisher?«

»Es war das erste«, würgte Milton Randall hervor. »Wirklich, Lorimer. Ich wusste nicht mehr ein oder aus, und da bin ich auf die Weide der R.W. geritten.«

»Okay«, so ließ wieder Big Jacob seine grollende Stimme vernehmen. »Geredet ist genug. Ich will noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, Randall, und darum lasse ich dich nicht aufknüpfen. Aber einen Denkzettel muss ich dir verpassen. – Zieht ihm Weste und Hemd aus und bindet ihn an den Hitchrack. Und dann holt eine Peitsche.«

»Nein, bitte, Big Jacob, das kannst du …«

Einige der Männer auf dem Ranchhof waren schon bei Randalls Pferd. Brutal wurde er aus dem Sattel gezerrt, sie rissen ihm Weste und Hemd vom Leib und schleppten ihn zum Holm. Er brüllte, warf sich hin und her, versuchte sich loszureißen und flehte schließlich um Gnade.

Vergeblich!

Sie kannten kein Mitleid; es gab kein Erbarmen …

*

Einen Monat später ritt Coltman über das Weideland der Running Water Ranch. Immer wieder kreuzten kleine Rinderherden seinen Weg. Sie trugen als Brandzeichen ein R und ein W. Es war ein schwüler Tag im Juli, der Himmel war bewölkt und die Sonne war nur als verschwommener, gelber Klecks hinter der Wolkendecke auszumachen. Aggressive Stechmücken quälten Pferd und Reiter.

Es ging auf den Abend zu und von Osten her schlich bereits amberfarben die Dämmerung ins Land. Coltman kam von Lubbock herauf und wollte nach Amarillo. Den kleinen Umweg über Plainview, das an der Poststraße lag, wollte er sich sparen, darum ritt er auf geradem Weg durch die Wildnis.

Als der verwehende Klang eines Schusses über eine Bodenerhebung herantrieb, zügelte er den Hengst und lauschte. Er war sich ganz sicher, dass es das ferne Peitschen einer Detonation gewesen war. Der Knall war verklungen, die Stille die Coltman umgab, war tief und fast erdrückend. Es war, als hätte sogar die Natur den Atem angehalten.

»Hüh!« Mit einem Schenkeldruck trieb Coltman den schwarzen Hengst wieder an und lenkte ihn den sacht abfallenden Abhang hinauf, um ihn auf dem ­Höhenkamm zu parieren. Vor dem Blick Coltmans lag eine Ebene, die bis zum Fluss reichte und auf der ebenfalls Rudel von Longhorns weideten. Am Fluss entlang führte ein von Wagenrädern zerfurchter und Pferdehufen aufgewühlter Weg. Mitten auf diesem Weg stand ein Pferd, und vor seinen vorderen Hufen lag eine Gestalt bäuchlings am Boden.

Coltman zog die Schrotflinte mit dem abgesägten Doppellauf aus dem Scabbard, hielt sie am Kolbenhals fest und ritt hinunter. Dabei waren seine Augen ununterbrochen in Bewegung und er verspürte eine immense Anspannung. Ihm war klar, dass der Schuss, den er gehört hatte, dem Mann am Boden gegolten hatte, und der Schütze konnte noch in der Nähe sein.

Bei der reglosen Gestalt saß er ab. Das Pferd, das da stand, eine Grullastute, trug auch den R.W.-Brand. Coltman schwenkte den Blick noch einmal umfassend in die Runde, dann versenkte er die Shotgun im Sattelholster, ging zu dem Mann hin, beugte sich über ihn und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken.

Er lebte, aber er war besinnungslos. Die Kugel hatte ihn unter dem Schlüsselbein in die rechte Brust getroffen. Das Hemd und die graue Stoffweste hatten sich über der Wunde mit Blut vollgesaugt. Es war ein großer, wuchtiger Mann, und Coltman schätzte ihn auf sechzig Jahre.

Er richtete sich auf, holte die Wasserflasche von seinem Sattel, entkorkte sie, kniete bei dem Besinnungslosen ab und schob seine rechte Hand flach unter seinen Kopf, hob ihn etwas an und setzte ihm die Öffnung der Canteen an die trockenen Lippen.

Wasser rann über das Kinn des Bewusstlosen, über seinen Hals und unter den Kragen seines gelben Hemdes. Plötzlich aber zuckten seine Lider, und dann begann er zu schlucken. Schließlich schlug er die Augen auf und Coltman zog die Hand mit der Flasche zurück. Verständnislos starrte der Mann am Boden in das Gesicht über sich, sein Blick war trübe und er schien keinen Gedanken fassen zu können.

»Wer sind Sie?«, fragte Coltman. »Können Sie sich erinnern, was geschehen ist?«

»Jacob – Tatum …« Tonlos brachen die Silben aus seiner pulvertrockenen Kehle, jedes Wort schien ihm übermenschliche Anstrengung zu kosten. »Running – Water – Ranch. Ich – ich verbrenne innerlich. Dieser Schmerz …« Sein Kopf fiel auf die Seite, er verdrehte die Augen und stöhnte, seine Lippen zuckten.

Coltman stellte die Flasche auf den Boden, drückte sich hoch und holte Verbandszeug aus seiner Satteltasche. Mit seinem Dolch schnitt er das Hemd auf, mit Wasser und seinem Stück Binde säuberte er die Haut rund um das Einschussloch und stellte dabei fest, dass die Kugel noch im Körper steckte. Er desinfizierte die Wunde mit Peroxyd, drehte einen Pfropfen und verstopfte sie, dann faltete er ein Stück Binde zu einer Kompresse, legte sie darüber und klebte sie mit einigen Streifen Pflaster fest.

Der Verwundete trieb in der zwielichtigen Welt der Trance, unzusammenhängendes Gestammel kam über seine Lippen, Speichel rann aus seinem Mundwinkel, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.

Als Coltman die Wunde einigermaßen versorgt hatte, gab er Tatum noch einmal zu trinken. Das Wasser schien den Rancher zu beleben, denn sein Blick klärte sich etwas, er starrte in des Gesicht Coltmans und murmelte mit brüchiger, geradezu versiegender Stimme: »Wer sind Sie? Wo kommen Sie her? Wer hat auf mich geschossen?«

»Wer ich bin und wo ich herkomme, dürfte uninteressant sein, Tatum. Wer auf Sie gefeuert hat, kann ich Ihnen leider nicht sagen. – Sie brauchen einen Arzt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Sie reiten können. Wie weit ist die nächste Stadt von hier aus entfernt?«

»Edmonson … Etwa zwei Meilen nach Osten, am Fluss entlang. Ich – ich denke, ich schaffe das.«

»Möglich. Verweichlicht sehen Sie nicht gerade aus. Trotzdem habe ich Bedenken. Die Kugel kann die Lunge verletzt haben. Ich glaube, ich lasse Sie hier zurück und reite in die Stadt, um zu veranlassen, dass man Sie mit einem Wagen abholt.«

Der Atem des Ranchers ging rasselnd, seine Brust hob und senkte sich unter den keuchenden Atemzügen. »Meine Ranch – drei Meilen westlich. Reiten Sie dorthin. Mein Sohn …« Er hüstelte. Als der Hustenreiz vorüber war, schnappte er nach Luft wie ein Erstickender.

»Auf Ihrer Ranch gibt es sicher keinen Arzt«, versetzte Coltman und erhob sich. »Ohne ärztliche Hilfe aber sterben Sie, denn die Kugel steckt in Ihrer Brust und muss raus. Also hole ich Hilfe aus der Stadt.«

Coltman ging zu seinem Pferd, hängte die Wasserflasche an den Sattel und verstaute das Verbandszeug, das er nicht benötigt hatte, in der Satteltasche, dann schwang er sich in den Sattel. »Bleiben Sie ruhig liegen, Tatum. In spätestens einer halben Stunde kommt Hilfe.«

Er schonte den Hengst nicht und benötigte für die zwei Meilen nach Edmonson keine zehn Minuten. Zu beiden Seiten einer staubigen Main Street hatten die Bewohner ihre Häuser errichtet – aufgereiht wie die Perlen an einer Schnur. Dahinter waren Schuppen, Scheunen und Ställe erbaut worden, außerdem befanden sich da auch die Corrals, Koppeln und Pferche für die Nutztiere der Bürger.

Auf der Main Street sowie auf den Gehsteigen zu beiden Seiten waren nur wenige Passanten zu sehen. Die meisten Stadtbewohner saßen sicherlich beim Abendessen, nachdem sie ihr Tagwerk vollbracht hatten. Coltman erkundigte sich bei einem älteren Mann, ob es in Edmonson einen Arzt gebe und wo dieser gegebenenfalls wohne. Der Mann beschrieb ihm den Weg.

Coltman fand das Haus, erklärte dem Doc, was geschehen war und half ihm sogar, ein Pferd vor den Buggy zu spannen. Wenige Minuten später jagte der Arzt mit dem leichten Einspänner aus der Stadt.

Coltman führte den Hengst zum Sheriff’s Office. Aus dem verstaubten Fenster und dem Glaseinsatz im oberen Drittel der Tür fiel Lichtschein. Coltman band das Pferd am Holm fest, zog die Shotgun aus dem Scabbard und stieg auf den Vorbau. Nachdem er gegen die Tür geklopft hatte, trat er, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten, ein. Der würzige Geruch von Tabakrauch stieg ihm in die Nase.

Der Deputy, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren mit blonden Haaren, saß hinter seinem Schreibtisch und schrieb etwas in eine Kladde. Jetzt starrte er Coltman an, in seinen Augen spiegelte sich das Licht der Lampe, die auf dem Schreibtisch stand, und er legte den Federhalter weg.

»Guten Abend«, grüßte Coltman und tippte lässig mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand gegen die Krempe des schwarzen Stetsons. »Ich wollte Sie nur informieren, Deputy, dass ich etwa zwei Meilen weiter westlich von hier einen Mann namens Jacob Tatum auf dem Fahr- und Reitweg neben dem Fluss gefunden habe. Er hat eine Kugel in der Brust. Der Arzt ist auf dem Weg zu ihm.«

Die Brauen des Gesetzeshüters hatten sich zusammengeschoben. »Sind Sie sicher, dass es sich um Tatum handelt? Etwa sechzig Jahre alt, grauhaarig …«

»… groß und schwergewichtig. Ja, er nannte mir seinen Namen und sprach von seiner Ranch.«

»Die Hölle verschlinge den alten Narren!«, knirschte der Deputy und stemmte sich am Tisch in die Höhe. »Jetzt weiß ich auch, warum er keine Anzeige erstattet hat. Dieser Dummkopf wollte das selbst erledigen.«

»Wovon sprechen Sie, Sheriff?«

Der Deputy winkte ab. »Sie sind fremd hier und es wird Sie sicherlich nicht interessieren. Sagen Sie mir Ihren Namen?«

»Man nennt mich Coltman. Ich war auf dem Weg nach Norden und hörte den Schuss. Vom Schützen habe ich allerdings nichts gesehen.«

Der Schimmer der Erkenntnis lief über das Gesicht des Ordnungshüters. »Von Ihnen habe ich schon gehört, Coltman. Ihr Ruf ist legendär. Man sagt, Sie hätten Ihren richtigen Namen vergessen.«

»Namen sind wie Schall und Rauch«, versetzte Coltman.

»Ich bitte Sie, bis morgen in Edmonson zu bleiben, Coltman. Vielleicht habe ich noch Fragen.«

»In einer Stunde ist es sowieso finster«, knurrte Coltman. »Ich werde mir im Hotel ein Zimmer nehmen. Sollten Sie Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«

»Mein Name ist übrigens McAllister – Stan McAllister«, stellte sich der Deputy vor, holte ein Gewehr aus dem Waffenschrank, prüfte die Ladung, löschte die Lampe auf seinem Schreibtisch und verließ nach Coltman das Office. Während Coltman sein Pferd schräg über die Straße zum Mietstall führte, lief McAllister in den Stall, der zum Office gehörte, um seinen Vierbeiner zu holen.

Im Stall war es ziemlich düster, an einem Pfosten hing eine Lampe mit einer blakenden Flamme hinter dem verrußten Windschutz aus Glas, die lediglich einen gelben Lichtklecks in der Düsternis darstellte und deren Schein schon nach einem Schritt im Umkreis des Balkens in der Dunkelheit versank.

Typischer Stallgeruch schlug Coltman entgegen.

Der Stallmann kam aus einem abgetrennten Raum gleich neben dem Tor, der ihm als Stall Office und Aufenthaltsraum diente. »Howdy, Fremder«, grüßte er. »Sie haben Glück. Wenn Sie zwei Minuten später gekommen wären, würden Sie vor einem verschlossenen Tor gestanden haben.«

»Ja, Glück muss der Mensch haben«, versetzte Coltman. »Haben Sie noch einen Platz für mein Pferd? Ich bin auch bereit, einen Quarter draufzulegen, wenn Sie meinen Vierbeiner noch versorgen.«

Der Stallmann ging zu der Laterne und drehte den Docht höher, sodass der Lichtschein ein Stück weiter auseinanderkroch. »Das ist doch selbstverständlich«, knurrte der Stallbursche und stutzte: »Ist das Blut an Ihren Händen?«

Coltman hob unwillkürlich seine Hände und schaute sie an. In der Tat waren sie mit Blut besudelt. Er nickte und erwiderte: »Ich hab zwei Meilen vor der Stadt am Fluss einen Mann namens Jacob Tatum gefunden. Jemand hat ihm eine Kugel in die Brust geknallt.«

»Gütiger Gott! Big Jacob!« Jeder Zug im Gesicht des Stallmannes drückte Erschrecken und Entsetzen aus. »Ist er tot?«

»Nein. Der Arzt ist schon auf dem Weg zu ihm, und den Deputy habe ich auch informiert.«

»Das hat Milt Randall getan«, knirschte der Stallbursche. »Heiliger Rauch! Dieser alte Narr. Wie konnte er sich nur dazu hinreißen lassen?«

»Auch der Deputy sprach von einem alten Narren, der irgendeine Sache selbst erledigen wollte«, knurrte Coltman. »Der alte Narr heißt also Milt Randall. Was hat es mit ihm auf sich?«

Fordernd, fast zwingend starrte Coltman den Stallmann an. Er erwartete eine Antwort.

Der Stallbursche kratzte sich am Kinn, dann begann er: »Es ist einen Monat her, als einige Cowboys der R.W.-Ranch Milton Randall mit einem gestohlenen Maverick erwischten …«

*

Der Stallmann erzählte und Coltman unterbrach ihn kein einziges Mal. Nachdem er jedoch geendet hatte, knurrte Coltman: »Das lässt ja fast keinen anderen Schluss zu, als dass der Pferdezüchter aus Rache auf den Rancher geschossen hat. Nun, das Gesetz kennt sicher Mittel und Wege, um die Wahrheit herauszufinden.«

»Das Gesetz ist in diesem Landstrich Big Jacob Tatum. Die Siedler am Fluss, die Smallrancher und sogar diese Stadt – sie alle leben im Schatten der Running Water Ranch. Big Jacob ist der Mann, der die Befehle erteilt, der antreibt, fordert, anordnet, überwacht, lobt und tadelt. Wer nicht für ihn ist, der ist gegen ihn, und wer gegen ihn ist, den vernichtet er früher oder später.«

»Die Zeiten, in denen ein Starker und Mächtiger den Ton angab und seine eigenen Gesetze praktizierte«, sagte Coltman, »sind vorbei. Unser Land verfügt über ein geschriebenes Gesetz, und ihm haben sich auch Despoten wie dieser Big Jacob unterzuordnen. Es gibt in dieser Stadt einen Deputy Sheriff, der Recht und Ordnung verkörpert. Stan McAllister kommt mir nicht vor wie ein Mann, der vor einem selbsternannten Weidekönig kuscht.«

»Solange McAllister nicht an seiner Vormachtstellung rüttelt, lässt ihn Big Jacob in Ruhe. Bis jetzt hatte McAllister noch keinen Grund, gegen die R.W. vorzugehen. Sollte das einmal der Fall sein, und McAllister ist vermessen genug, Big Jacob auf die Zehen zu treten, dann wird dieser ihm den Stern von der Weste reißen und ihn mit der Peitsche aus dem Land jagen.«

»Das sind ja saubere Zustände hier«, murmelte Coltman. »Big Jacobs sprach von einem Sohn. Verfügt er auch über eine Einstellung wie sein Vater, oder ist er etwas gemäßigter? Schließlich wird er einmal an die Stelle seines Vaters treten.«

»Ja, John tut alles, um den Anforderungen seines Vaters gerecht zu werden. Seine Mutter ist gestorben, als er zehn war. Sie hatte die Lungensucht, und dagegen war kein Kraut gewachsen. Also konnte ihn Big Jacob in seinem Sinne erziehen. Ganz anders dagegen ist Nancy, Johns jüngere Schwester. Sie ist nach ihrer Mutter geraten. Aber sie hat auf der Ranch nichts zu melden. Denn ihr Verlobter, er ist Big Jacobs Vormann, ist aus demselben Material gemacht wie der Alte. Auch er ist hart, kompromisslos, rücksichtslos, unerbittlich und unduldsam.«

»Und was ist Milton Randall für ein Mann?«, fragte Coltman, indes er seine Satteltaschen abschnallte.

»Er kam vor zwanzig Jahren ins Land und gründete seine Pferderanch. Auch er hat einen Sohn und eine Tochter, und seine Frau starb ebenfalls vor einigen Jahren. Im vergangenen Jahr hatte er Pech. Seine Pferdeherden wurden von einem Virus befallen, der angeblich durch Bremsen übertragen wird. Jetzt ist er bankrott. Aber das dürfte für ihn kaum noch eine Rolle spielen, denn wenn ihn die Leute der R.W. nicht aufhängen, geht er wahrscheinlich bis an sein Lebensende ins Zuchthaus. Aber Susan und Jed werden arm wie Kirchenmäuse sein, wenn man sie von ihrem Land verjagt.« Der Stallmann seufzte. »Sie können einem fast leidtun die beiden.«

Coltman hatte genug gehört. Er warf sich die Satteltaschen über die Schulter, nahm die Shotgun aus dem Scabbard und verließ den Stall.

Vom Fenster seines Hotelzimmers aus konnte er bald darauf beobachten, wie der Doc den verwundeten Rancher in die Stadt brachte. Das Pferd des Ranchbosses hatte er hinten an den Buggy gebunden. Big Jacob lag mehr als er saß im lederbezogenen Sitz des leichten Gefährts.

Und er sah den Stallmann, der am Hotel vorbei und in Richtung Westen aus der Stadt ritt. Coltman registrierte es, dachte aber nicht weiter darüber nach.

Versonnen starrte er durch die Scheibe auf die Straße hinunter, die im vagen Licht lag, das aus den Fenstern und Türen fiel. Es ist so, dachte er, sämtliche Indizien sprechen dafür, dass der Pferdezüchter den Schuss auf Big Jacob abgegeben hat.

Es ist nicht dein Problem, Coltman, sagte er sich jedoch mit dem nächsten Gedanken. Du reitest spätestens übermorgen weiter, und die Verhältnisse hier haben dich nicht zu interessieren.

Er wandte sich vom Fenster ab, verdrängte sämtliche Gedanken an die Ereignisse, in die er regelrecht hineingeschlittert war, und beschloss, in den Saloon zu gehen, um sich ein Abendessen einzuverleiben.

*

Es war finster, als Deputy Sheriff Stan McAllister die Running Water Ranch erreichte. Aus zwei Fenstern des Haupthauses fiel Licht, ebenso aus den Fenstern der Mannschaftsunterkunft. Es war still auf der Ranch, nur das leise Säuseln des Nachtwindes, das Knarren des Windrades und das Zirpen der Grillen im hohen Gras des Weidelandes rund um die Ranch waren zu vernehmen.

Beim Holm stieg McAllister von seinem Pferd, schlang den langen Zügel lose um den Haltebalken und ging zu der Treppe, die hinauf zur Veranda führte. Leise knirschte der feine Sand des Hofes unter seinen ledernen Sohlen, als er die Treppe betrat ächzten die Holzstufen unter seinem Gewicht, auf der Veranda hämmerten seine Schritte ein hallendes Echo auf den dicken Bohlen, und dann betätigte er den schweren Türklopfer aus Bronze. Dumpf hallten die Schläge im Haus, und es dauerte keine zehn Sekunden, dann wurde die Tür geöffnet und Licht flutete ins Freie. Geblendet schloss McAllister für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete schaute er in das Gesicht von Nancy Tatum, der fünfundzwanzigjährigen Tochter Big Jacobs. Er nahm den Hut ab, ehe er aber etwas sagen konnte, stieß Nancy hervor:

»Sie, Deputy! Gütiger Gott, ist Dad etwas passiert? Er ist von seinem Ausritt nicht zurückgekehrt und wir werden von der Sorge regelrecht zerfressen.« Ihr Blick drückte bange Erwartung und Anspannung aus.

»Kann ich ins Haus kommen?«, fragte McAllister.

Nancy Tatum blinzelte und schaute wie eine Erwachende. »Natürlich. Entschuldigen Sie. Bitte, treten Sie ein.«

Sie gab die Tür frei und der Deputy Sheriff betrat die geräumige Halle des Ranchhauses. In der Mitte war eine schwere Polstergarnitur um einen kunstvoll geschnitzten Tisch gruppiert, an dem John Tatum und Cash Lorimer, der Vormann saßen. Vor jedem stand ein Glas mit Whisky, die Karaffe auf dem Tisch war halb geleert, in einem großen Aschenbecher häuften sich die Zigaretten- und Zigarillokippen.

John Tatum erhob sich und kniff die Augen leicht zusammen. »Du, McAllister. Du bringst uns doch hoffentlich keine schlechte Nachricht. Mein Vater ist überfällig …«

»Big Jacob wurde angeschossen«, erklärte der Deputy. »Ein Mann, den alle Coltman nennen, hat ihn gefunden, versorgt und den Arzt informiert. Ich denke, euer Vater befindet sich in der Zwischenzeit beim Doc. Von Coltman weiß ich, dass er die ­Kugel in die Brust bekommen hat.«

Nancys hübsches Gesicht hatte sich entfärbt, John Tatums Züge jedoch hatten sich verfinstert und in seinen Augen schien unvermittelt eine heiße Flamme zu brennen. »Das kann nur Milton Randall getan haben«, knirschte er. »Er ist nicht nur ein gemeiner Dieb, sondern auch ein niederträchtiger Killer!«

»Wie sind die Chancen unseres Dad?«, fragte Nancy mit einer Stimme, die jeden Moment zu verlöschen drohte. »Hat dieser Coltman irgendetwas gesagt? Stand es sehr schlecht um Dad?«

»Darüber kann ich keine Aussage machen«, antwortete McAllister, »denn ich bin sofort losgeritten, um euch zu verständigen.«

John Tatum drehte etwas den Kopf und sagte zu Lorimer, dem Vormann: »Jag jeden verfügbaren Mann aufs Pferd, Cash. Wir reiten zu Randall. Und dieses Mal werden wir ihm nicht mit der Peitsche eine Lektion erteilen. Auf Mord oder versuchten Mord gibt es nur eine Antwort …«

Lorimer hatte sich, während John Tatum gesprochen hatte, erhoben.

Tatums letzten Worte hingen wie eine böse Verheißung im Raum.

»Augenblick!«, stieß der Deputy hervor. »Vollendeten oder versuchten Mord zu sühnen ist Sache des Gesetzes. Die Zeit der Salbeibuschjustiz ist vorbei. Also überlasst es mir, herauszufinden, ob es Randall war, der auf euren Vater geschossen hat. Ich werde morgen, wenn es hell ist, zum Tatort reiten. Dort gibt es sicherlich Spuren. Sollte ich zu dem Schluss kommen, dass Randall dahintersteckt, werde ich ihn verhaften und dem County Sheriff übergeben. Solange seine Schuld jedoch nicht erwiesen ist, gilt er als unschuldig, und er ist unantastbar.«

»Wer sonst sollte auf Big Jacob geschossen haben?«, fragte der Vormann. »Er hat Randall mit der Peitsche zurechtgestutzt, weil Randall die R.W. bestohlen hat.«

»Wenn Randall Anzeige erstattet hätte, wäre Big Jacob vor Gericht gestellt und verurteilt worden«, versetzte McAllister mit klirrendem Tonfall.

»Er hat meinen Vater nicht angezeigt«, meldete sich wieder John Tatum zu Wort, »weil er sich selbst an ihm rächen wollte. Früher hätte ihn mein Vater aufhängen lassen. Zum Dank dafür, dass er ihn am Leben ließ, hat Randall versucht, ihn zu ermorden.«

»Es gibt keinen einzigen Beweis für diesen Verdacht«, antwortete der Hilfssheriff mit Nachdruck. »Und auf eine reine Vermutung hin wird ihn kein Gericht der Welt verurteilen. Ich rate euch, das Ergebnis meiner Ermittlungen abzuwarten. Sollte sich auch nur der geringste Hinweis für Randalls Schuld ergeben, wird ihn der County Sheriff anklagen.«

»Dann lass dich nicht aufhalten, McAllister, und fang endlich an, die notwendigen Ermittlungen zu betreiben«, giftete John Tatum und der Zorn ließ seine Augen in einem bösen Licht glitzern.

»Du musst mir nicht sagen, wie ich meinen Job zu erledigen habe, John«, konterte McAllister kühl und mit unbewegtem Gesicht. Er stülpte sich den Stetson auf den Kopf, tippte mit dem Zeigefinger seiner Rechten gegen die Krempe und heftete den Blick auf Nancy. »Wenn Randall auf Ihren Dad geschossen hat, erhält er dafür die Quittung, Ma’am«, versicherte er. »Wenn er es nicht war, werde ich alles daransetzen, um den Heckenschützen zu finden.«

Es hatte wie ein Versprechen geklungen.

Der Deputy schwang auf dem Absatz herum und verließ die Halle. Als pochende Hufschläge verrieten, dass er die Ranch verließ, knurrte John Tatum: »Okay, Cash. Mobilisiere alle verfüg­baren Reiter und lass auch für mich ein Pferd satteln. Ich warte nicht, bis McAllister zu dem Schluss kommt, dass Randall der Mordversuch nicht zu beweisen ist. Wir reiten in einer Viertelstunde.«

»Es wäre ein Verbrechen«, murmelte Nancy, ging zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. »Daher will ich nicht, dass ihr zu Randall reitet. Mir wäre es viel wichtiger zu wissen, was mit Dad ist. Er hat die Kugel in die Brust bekommen und vielleicht ist er zwischenzeitlich daran gestorben. Die Ungewissheit frisst mich auf. Darum sollten wir uns in die Stadt begeben und …«

»Das tun wir, sobald getan ist, was getan werden muss«, schnitt ihr John Tatum schroff das Wort ab. »Für das Verbrechen kommt nur Randall in Frage, und darum reiten wir zu ihm, um ihn zu befragen. Und wenn er es war …«

Er ließ den Rest offen, doch gerade die Unmissverständlichkeit seines Schweigens war erschreckend.

»Dad würde das ganz sicher nicht wollen, John«, versuchte Nancy noch einmal, ihren Bruder umzustimmen.

Aber nun trat Cash Lorimer an sie heran, legte seine Hände um ihre Oberarme, zog sie dicht an sich heran und sagte: »Du solltest deinen Bruder gewähren lassen, Darling. Er weiß genau, was er tut. Es dürfte so gut wie sicher sein, dass Randall auf euren Vater geschossen hat. Es war die Quittung dafür, dass Big Jacob ihn schmählich verprügelt hat. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass ihn McAllister des Verbrechens überführt. Darum müssen wir selbst für Gerechtigkeit sorgen. Nur so ist sichergestellt, dass die niederträchtige Tat gesühnt wird.«

»Aber …«

Lorimer verschloss die Lippen der jungen Frau mit einem Kuss. Plötzlich aber machte er sich fast abrupt von ihr frei, nickte John Tatum zu und stieß hervor: »Wir reiten in einer Viertelstunde. Ich bringe unsere Leute auf Trab.«

Er eilte aus dem Haus.

Fast beschwörend sagte Nancy an ihren Bruder gewandt: »Versprich mir eines John: Egal, was geschieht und was ihr herausfindet – nehmt das Gesetz nicht selbst in die Hände. Überlasst es am Ende einer Jury und dem Richter, über Randalls Schicksal zu entscheiden.«

Mit ihrem zwingenden Blick übte sie regelrecht Druck auf ihren Bruder aus. Es war, als wollte sie ihn hypnotisieren. Er wandte sich schnell ab und ging zur Treppe, die in die obere Etage hinaufführte, wo sich die Schlafräume befanden. »Ich hole meinen Revolver und mein Gewehr«, sagte er.

»Versprich es mir, Bruder!«, rief Nancy eindringlich.

»Es wird ganz an Randall selbst liegen, wie wir mit ihm verfahren. Mach dir keine Gedanken, Schwester.«

*

Die Pferderanch lag in absoluter Finsternis. Weder der Mond noch die Sterne konnten die Nacht lichten, denn sie wurden von dicken Wolken verdeckt.

Es waren insgesamt acht Reiter, vier von ihnen trugen Fackeln. Die flackernden Lichter zuckten geisterhaft in der Dunkelheit, umrissen Pferde und Reiter und warfen ihre Schatten groß und verzerrt auf den Boden.

Sie hatten in einer Entfernung von etwa hundert Yard angehalten. Die Pferde traten auf der Stelle, tänzelten unruhig, schnaubten und peitschten mit den Schweifen. Die Geräusche, die sie verursachten, erreichten die Ranch nicht.

»Entweder sie haben sich abgesetzt oder sie schlafen«, knurrte John Tatum.

»Oder sie warten mit den geladenen und entsicherten Gewehren an den Fenstern nur darauf, dass wir auf den Farmhof reiten«, verlieh Cash Lorimer seinen Bedenken Ausdruck. »Randall hat nichts mehr zu verlieren. Und er beißt vielleicht um sich wie ein in die Enge getriebenes Raubtier.«

»Ich habe, während wir hierher geritten sind, intensiv nachgedacht«, sagte John Tatum. »Nancy hat recht. Wir sollten es dem Gesetz überlassen. Aber ich werde Randall in die Mangel nehmen. Und wenn er auf meinen Vater geschossen hat, dann wird er es gestehen.«

»Und was dann?«, fragte der Vormann, in dessen Gesicht das Licht der Fackeln flackernde Lichtspiele zauberten.

»Dann bringen wir ihn zu McAllister.«

»Ich frage mich, was Big Jacob machen würde. Nehmen wir mal an, Randall hätte auf dich geschossen, John. Ich weiß nicht, ob dein Vater so viel Nachsicht mit ihm haben würde.«

»Du solltest nicht so reden, Cash. Lass vor allem solche Reden nicht Nancy hören. Dir ist sicher nicht entgangen, welche Forderung sie stellte.«

»Schon gut«, brummte Lorimer. »Reiten wir hin.«

Der Vormann trieb mit dem letzten Wort sein Pferd an, John Tatum und der Rest der Mannschaft folgten ihm. Im Ranchhof zügelten sie die Tiere, John Tatum zog seinen Revolver und jagte einen Schuss in die Luft. Die Detonation sprengte die Stille regelrecht, der wummernde Knall rollte nach allen Seiten auseinander und wurde von den Echos vervielfältigt, bis er schließlich verebbte. »Milton Randall, komm aus deinem Haus!«, schrie Tatum. »Ich habe ein paar Fragen an dich.« John Tatum versenkte den Sechsschüsser wieder im Holster.

Der Laden vor einem der Fenster des Ranchhauses wurde aufgestoßen, und eine Frau rief: »Wir ahnten, dass ihr kommt, John Tatum. Und wir wissen, weshalb ihr uns diesen Besuch abstattet. Nun, ihr habt den Weg umsonst gemacht. Mein Vater ist nicht hier. Ich kann dir aber versichern, dass er nicht auf Big Jacob geschossen hat.«

»Woher wisst ihr von dem Schuss auf meinen Vater?«, rief John Tatum. »Und warum ist dein Vater abgehauen, wenn er nicht der heimtückische Schütze war?«

»Eine reine Vorsichtsmaßnahme, Tatum. Er wollte von dir und deinem Anhang nicht für etwas aufgeknüpft werden, das er nicht verbrochen hat.«

»Ich glaube dir kein Wort, Susan. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich selbst davon überzeuge, dass dein Vater nicht auf der Ranch ist?«

»Verschwindet, Tatum!«, rief Susan Randall mit eisigem Tonfall. »Mein Vater hat nicht auf den deinen geschossen. Du musst den Schützen anderswo suchen.«

»Ich würde es gern aus dem Mund deines Vaters hören, Susan. – He, du hast meine Frage von eben nicht beantwortet. Woher wisst ihr hier von dem Schuss auf Big Jacob? Ich glaube kaum, dass euch jemand aus Edmonson informiert hat.«

»Wir wurden informiert. Und nun dreht eure Gäule um und haut ab.« Ein hartes Knacken unterstrich diese Aufforderung, als im Haus ein Gewehr durchgeladen wurde.

John Tatum schwang sich vom Pferd. »Ich komme jetzt ins Haus, Susan«, erklärte er entschlossen. »Ehe du auf mich schießt, lass dir gesagt sein, dass ich keine Waffe in der Hand habe. Ich will mich nur davon überzeugen, ob dein Dad wirklich nicht auf der Ranch ist.«

Jetzt erklang eine männliche Stimme. »Es ist so, John. Unser Dad hat die Ranch verlassen, weil wir annehmen mussten, dass ihr kommt. Er war den ganzen Tag über hier auf der Ranch, Susan und ich können es bezeugen. Wie soll er irgendwo zwischen der Stadt und der R.W.-Ranch auf euren Vater geschossen haben, wenn er hier war.«

»Natürlich bestätigt ihr ihm ein Alibi, Jed«, rief John Tatum, und ein ärgerlicher und zugleich ungeduldiger Unterton lag in seiner Stimme. »Niemand außer eurem Vater hatte einen Grund, auf Big Jacob zu schießen. Ich will aus seinem Mund hören …«

In der Finsternis seitlich des Pulks knackte es metallisch, als ein Gewehr repetiert wurde, und dann rief eine Stimme, die an zerspringenden Stahl erinnerte: »Dann sperr jetzt deine Ohren auf, John. Ich habe nicht auf deinen Vater geschossen. Und nun klemm dir wieder deinen Gaul zwischen die Beine, und dann verlasst meinen Grund und Boden. Ihr seid gekommen, um mir Verdruss zu bereiten, und ich habe das Recht, mich zu wehren.«

Milton Randall stand im Schutz eines Schuppens. Die Fackeln in den Händen der Reiter boten ihm gutes Büchsenlicht.

»Ich möchte dir in die Augen schauen, Randall, wenn du behauptest, nicht auf meinen Dad gefeuert zu haben«, stieß John Tatum hervor.

»Ich zähle jetzt bis drei, und wenn ihr dann nicht fort seid, beginne ich zu schießen. Eins!«

»Verdammt, Randall, ich …«

»Zwei!«

»Okay, Randall, wir verschwinden.« John Tatum wollte nichts herausfordern. »Denk aber nicht, dass es damit sein Bewenden hat. Für mich bist du der Verdächtige Nummer eins. Und wenn du auf Big Jacob geschossen hast, dann finde ich es heraus.«

»Drei!« Kaum, dass das Wort über seine Lippen war, drückte Milton Randall ab und mit dem Krachen des Schusses brach eines der Pferde auf dem Ranchhof zusammen. Der Reiter konnte nicht mehr abspringen und sein linkes Bein wurde zwischen Pferdeleib und Boden eingeklemmt.

Sofort lud Randall nach.

Der Cowboy, der nicht in der Lage war, sein Bein unter dem schweren Pferdekörper hervorzuziehen, rief: »Ich kann mich nicht befreien. Helft mir!«

Die anderen Reiter hatten Mühe, ihre nervösen Pferde zu bändigen, denn der Schuss und der zusammenbrechende Art­genosse hatten die Tiere erschreckt. Sie stiegen und bockten und es dauerte eine ganze Weile, bis die Männer sie wieder unter Kontrolle hatten. Staub wölkte dicht zwischen den Beinen der Tiere.

»Holt ihn unter seinem Gaul hervor, und dann zieht Leine!«, gebot Milton Randall. »Und haltet euch künftig von meinem Land fern. Ich werde jeden erschießen, dessen Name auf der Lohnliste der R.W. steht und der seinen Fuß auf meinen Grund und Boden setzt.«

»Carter, Howard, befreit Newton von dem toten Tier«, befahl John Tatum. »Er soll bei einem von euch aufsitzen. Beeilt euch.«

Die beiden Cowboys sprangen von den Pferden, schoben die Kolben ihrer Gewehre zu beiden Seiten des eingeklemmten Beins unter den Pferdekadaver und benutzten die Waffen wie Hebel. Es gelang ihrem Gefährten, sein Bein unter der schweren Last hervorzuziehen. Sie saßen auf, Newton stieg zu Carter aufs Pferd.

Ehe sie anritten, rief John Tatum: »Was ich vorhin sagte, gilt. Ich werde nicht ruhen, bis ich weiß, wer den feigen Schuss auf meinen Vater abgegeben hat. Und dann ziehe ich denjenigen zur Rechenschaft. Ich werde ihm eine blutige Rechnung präsentieren. Mein Wort drauf, Randall.«

Sie trieben die Pferde an und ritten vom Ranchhof.

Die Drohung John Tatums in den Ohren brüllte ihnen Milton Randall hinterher: »Geht zur Hölle, ihr Dummköpfe! Auch das, was ich sagte, gilt! Ich werde jeden erschießen …«

Sie hörten seine unheilvolle Prophezeiung nicht, denn sie ging im Trappeln der Hufe unter.

Langsam schritt Milton Randall aus der Finsternis in den Ranchhof; ein Schemen, der nahezu mit der Dunkelheit verschmolz. »Wir können nicht auf der Ranch bleiben«, rief er. »Ihr beide begebt euch am besten in die Stadt. Dort seid ihr sicher. Ich werde versuchen, den Schützen, der Big Jacob mit heißem Blei bediente, die Maske vom Gesicht zu reißen.«

»Wir sollten ganz aus der Gegend verschwinden«, rief Jed Randall.

»Das mache ich auf gar keinen Fall«, versetzte sein Vater. »Es käme einem Schuldeingeständnis gleich und ich wäre bald ein Verfemter, ein Geächteter, den jeder ohne Vorwarnung abknallen darf. Nein, ich muss beweisen, dass nicht ich es war, der die hinterhältige Kugel verschoss.«

*

Es war hell, als Susan und Jed Randall in der Stadt ankamen. Sie hatten bis zum Morgen im Ufergebüsch des Running Water Creek campiert, denn wenn sie während der Nacht in Edmonson angekommen wären, würde ihnen kaum jemand die Tür geöffnet haben.

Stan McAllister, der heute schon ganz früh den Dienst angetreten hatte, weil er zu dem Platz reiten wollte, an dem Big Jacob niedergeschossen worden war, sah die beiden am Office vorüberziehen. Hastig trat er hinaus auf den Vorbau. »Susan, Jed!« Seine Stimme holte die beiden ein, sie zügelten die Pferde, zerrten sie um die linke Hand und ritten vor das Office hin.

Die Stirn des Gesetzeshüters lag in Falten. Düstere Ahnungen lagen plötzlich wie mit tonnenschweren Gewichten auf seinen Schultern, er schaute von Jed auf Susan und fragte: »Was ist geschehen? Hattet ihr Besuch von der R.W.-Mannschaft?«

»Ja«, erwiderte die siebenundzwanzigjährige, blonde Frau mit dem gleichmäßigen Gesicht und den blauen Augen, »John Tatum und sein Vormann sowie einige Reiter waren bei uns. Aber wir waren gewarnt. Mein Vater …«

»Wer hat euch gewarnt?«, unterbrach sie McAllister verdutzt und starrte sie dabei durchdringend an.

»Das tut nichts zur Sache«, versetzte Susan. »Jedenfalls hatte mein Dad die Ranch verlassen. John Tatum behauptete, meinem Vater in die Augen blicken zu wollen, wenn er ihn fragt, ob er auf Big Jacob geschossen hat. Meiner Meinung nach wollte er uns nur in Sicherheit wiegen. Ich sagte Tatum, dass sie verschwinden sollen. Plötzlich mischte auch mein Vater mit. Er muss irgendwo in der Nähe der Ranch darauf gewartet haben, dass die R.W.-Crew zu uns kommt. Wir hatten die Kerle zwischen uns und Tatum zog es vor, zu verduften. Allerdings verschwand er nicht, ohne eine Reihe von Drohungen auszustoßen.«

Der Sheriff ließ die verbrauchte Atemluft aus seinen Lungen. Die Anspannung, die ihn fest im Griff hatte, fiel von ihm ab. »Es ist also kein Blut geflossen«, konstatierte er erleichtert.

»Mein Dad hat eines ihrer Pferde erschossen«, mischte sich Jed Randall ein. »Tatum forderte es heraus.«

»Wo ist euer Vater jetzt?«, fragte der Ordnungshüter. »Und aus welchem Grund seid ihr beide in die Stadt gekommen?«

»Dad will versuchen, herauszufinden, wer auf Big Jacob gefeuert hat«, gab Susan zu verstehen. »Solange nicht feststeht, wer versucht hat, Big Jacob zu ermorden, will er sich von unserer Ranch und auch von der Stadt fernhalten. Uns hat er nach Edmonson geschickt, weil er denkt, dass wir hier vor den R.W.-Leuten sicherer sind als auf der Ranch.«

»Es spricht viel dafür, dass euer Vater der Täter ist«, stieß McAllister hervor.

»Er war, als Tatum vom Pferd geschossen wurde, auf der Ranch«, versetzte Susan. »Das können Jed und ich beschwören. – Was ist mit Big Jacob? Lebt er?«

»Ja. Seine Chance, zu überleben, ist fünfzig Prozent. Wo wollt ihr wohnen hier in der Stadt? Geld fürs Hotel habt ihr sicherlich nicht.«

»Slim Dexter wird uns auf dem Heuboden des Mietstalls schlafen lassen«, antwortete Jed.

Die Brauen des Deputys schoben sich zusammen, über seiner Nasenwurzel erschienen zwei senkrechte Falten. »Der Stallmann hat euch doch gewarnt, stimmt’s?«

»Und wenn es so wäre?«, fragte Susan.

McAllister winkte ab. »Auch ich will hinausreiten und mich nach Spuren umsehen. Hoffentlich zerstört euer Vater nicht die wenigen Hinweise auf den Täter, die es vielleicht gibt. Oder …«

Der Gesetzeshüter brach ab, seine Kiefern mahlten, sein Blick hatte plötzlich die Härte von Bachkieseln.

»Was?«, schnappte Jed Randall und musterte McAllister herausfordernd.

»Oder ist er hinausgeritten, um die Spuren zu beseitigen, die er hinterlassen hat?«

»Er ist also auch für Sie der Täter, Deputy«, fauchte Susan wütend und ihre Augen funkelten zornig. »Ich denke, nach dem geschriebenen Gesetz unseres Landes ist ein Mann so lange unschuldig, so lange seine Schuld nicht erwiesen ist.«

»Ich habe euren Vater nicht schuldig gesprochen«, konterte McAllister. »Aber der Verdacht lässt sich nicht beiseite schieben. Milt Randall hatte ein Motiv. Als er es unterließ, Big Jacob anzuzeigen, befürchtete ich bereits, dass er sein eigenes Süppchen kochen möchte. Nun wurde Big Jacob aus dem Hinterhalt vom Pferd geknallt. Das war ein Mordversuch. Niemand in der Gegend hat einen Grund, ihn zu ermorden – außer eurem Vater, der sich möglicherweise für die Prügel, die ihm Big Jacob verabreichte, rächen wollte.«

»Reiten wir weiter, Jed!«, forderte Susan ihren Bruder auf. »Hier ist jedes weitere Wort in den Wind gesprochen. Man braucht einen Prügelknaben, und wie mir scheint, hat man ihn in Dad gefunden.«

Sie zog das Pferd um neunzig Grad herum und trieb es an, indem es dem Tier die Absätze in die Weichen hämmerte. Jed Randall warf dem Deputy einen sengenden und zugleich verächtlichen Blick zu und folgte seiner Schwester.

McAllister schaute ihnen hinterher. In seinen Zügen arbeitete es krampfhaft. Plötzlich rief er: »John Tatum und seine Schwester sowie drei Cowboys der Ranch sind im Morgengrauen in die Stadt gekommen. Versucht, ihnen aus dem Weg zu gehen.«

Die beiden Geschwister zeigten keine Reaktion.

Wenig später bogen sie in den Hof des Mietstalls ein.

McAllister zerkaute eine Verwünschung, holte sein Gewehr, verschloss das Office und begab sich in den Stall, um sein Pferd zu satteln und zu zäumen.

*

Der Stallmann schaute das Geschwisterpaar ziemlich verwundert an. »Wo kommt ihr denn her? Und wo ist Milt?«

»Wenn du uns nicht gewarnt hättest, Slim«, sagte Susan Randall, »dann wäre er jetzt wahrscheinlich tot; von John Tatum und seinen Handlangern am Hals aufgehängt und schmählich erdrosselt.«

Sie berichtete mit knappen Worten.

Slim Dexter kratzte sich hinter dem Ohr und murmelte: »Natürlich könnt ihr eine Weile hier auf dem Heuboden schlafen. Aber auf Dauer ist das keine Lösung. Ich kann euch auch nicht über einen längeren Zeitraum ernähren, denn ich verdiene hier im Stall nur ein paar Dollar und die reichen kaum für mich selbst.«

»Wir werden so bald wie nur möglich auf die Ranch zurückkehren, Slim«, versicherte Susan. »Es soll wirklich nur vorübergehend sein. Und alles, was du uns borgst, bekommst du zurück. Irgendwann geht es mit der Ranch wieder aufwärts, und dann bezahlen wir unsere Schulden.«

»Die Leute von der R.W. werden Jagd auf Milt machen«, prophezeite Slim Dexter. »Er kann sich nirgends blicken lassen. Auch hier in Edmonson ist so ziemlich jeder davon überzeugt, dass er aus dem Hinterhalt auf Big Jacob geschossen hat.«

»Dad wird allen das Gegenteil beweisen!«, brach es wütend aus Jeds Kehle.

»Dein Wort in Gottes Ohr, mein Junge«, murmelte Slim Dexter skeptisch. »Habt ihr schon etwas gegessen?«

»Nein«, antwortete Susan.

»Sobald eure Pferde versorgt sind, koche ich Kaffee«, knurrte der Stallmann. »Du, Jed, hilfst mir bei den Pferden. Du, Susan, gehst einkaufen. Hol Brot und Wurst, ich gebe dir Geld, damit du bezahlen kannst.«

»Wir werden alles wieder gutmachen, Slim«, murmelte die junge, hübsche Frau fast ergriffen.

Wenig später war sie auf dem Weg.

Edmonson war zum Leben erwacht. Vielfältige Geräusche erreichten Susans Gehör. Auf der Main Street und auf den Gehsteigen waren vereinzelt Passanten zu sehen. Sie spürte die durchdringenden Blicke, die man ihr zuwarf, und fühlte die Welle der Ablehnung, die ihr entgegenschlug. Die Menschen wichen ihr aus, und wenn sich ihre Blicke kreuzten, schauten sie schnell weg oder in ihre Augen trat ein trotziger, manchmal sogar provozierender Ausdruck.

Susan krampfte sich der Magen zusammen.

Für die Bewohner von Edmonson war sie die Tochter eines niederträchtigen, heimtückischen Killers. Man ließ es sie unverhohlen spüren.

Sie hatte fast den Laden erreicht, in dem Backwaren angeboten wurden, als John Tatum und seine drei Cowboys um die Ecke eines Gebäudes bogen. Es war das Hotel, und sie kamen vom Stall, wo sie nach ihren Pferden gesehen hatten.

Unwillkürlich hielt Susan an.

Auch Tatum stockte im Schritt, gab sich aber einen Ruck und stoppte schließlich eine Armlänge vor Susan, die ihn mit gemischten Gefühlen anstarrte. »Sieh an«, sagte er zwischen den Zähnen. »Die Tochter des Heckenschützen.«

Die drei Cowboys kreisten Susan ein und grinsten hämisch, wie von einer wilden Vorfreude erfüllt.

»Lass mich in Ruhe, John, und gib den Weg frei. Deine Behauptung, dass mein Dad auf den deinen geschossen hat, wird durch nichts untermauert. Ich weiß, dass er es nicht tat. Ich weiß aber auch, dass du vom Gegenteil überzeugt bist. Mein Vater wird seine Unschuld beweisen. Und nun trete zur Seite.«

»Wo ist dein Vater jetzt?«, fragte John Tatum.

»Irgendwo dort draußen.« Susan vollführte eine umfassende Bewegung mit dem rechten Arm.

In diesem Moment erklang vom Hoftor des Mietstalles her Jed Randalls Stimme: »Was willst du von meiner Schwester, Tatum? Bist du jetzt schon so weit gesunken, dass du dich an schwachen Frauen vergreifst?«

John Tatum starrte an Susan vorbei auf Jed Randall, ein düsteres, wenig verheißungsvolles Glimmen in den braunen Augen, das Gesicht verkniffen und die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Auch die drei Weidereiter starrten Jed Randall an wie Wölfe, die ihr Opfer endlich gestellt hatten.

Plötzlich setzte sich John Tatum in Bewegung, schob Susan geradezu achtlos zur Seite und stapfte durch den Staub auf Jed zu, der die Wucht der Gefahr zu begreifen schien, in der er schwebte, und sich unwillkürlich ein wenig duckte. Seine Augen flackerten unruhig. Er vermittelte den Eindruck eines Mannes, der sich im nächsten Moment herumwerfen und die Flucht ergreifen würde.

Die Cowboys stiefelten breitbeinig und mit pendelnden Armen hinter ihrem Boss her.

Susan, die einen Moment lang ziemlich perplex war, lief ihnen nach. »Lass Jed in Ruhe, Tatum!«, rief sie schrill.

»Halt sie mir vom Leib, Carter!«, gebot John Tatum, ohne den Kopf zu wenden.

Einer der Cowboys schwang sofort herum und vertrat Susan den Weg. »Immer mit der Ruhe, Schätzchen!«, stieß er mit zynischem Unterton hervor. »Ich schätze, der Boss will deinem Bruder nur eine Frage stellen. Er braucht sie nur zu beantworten, dann geht er jedwedem Verdruss aus dem Weg.«

»Zur Seite!«, fauchte Susan und ihre Augen funkelten den Weidereiter zornig an. Da war aber noch mehr; auf dem Grund ihrer Augen schwammen Angst, vielleicht sogar Entsetzen und Verzweiflung. Ihre Lippen bebten, ihre Nasenflügel vibrierten. Sie wollte um Carter herumgehen, aber der machte einen schnellen Seitenschritt und versperrte ihr wieder den Weg.

Sie versuchte ihn zur Seite zu schieben, doch er packte sie, wirbelte sie herum, sodass sie ihm den Rücken zuwandte, und umfasste mit dem rechten Arm ihre Taille. Sein warmer Atem streifte ihren Nacken. »Lass mich los!«, schrie sie fast hysterisch.

Menschen kamen näher und schauten aus sicherer Entfernung zu.

Susan hatte dem stählernen Griff Carters nichts entgegenzusetzen. Sie wand sich, versuchte sich loszureißen, trat nach hinten gegen sein Schienbein, aber der Bursche lachte nur hämisch und packte noch härter zu.

John Tatum aber war bei Jed Randall angelangt. Hinter ihm verharrten die beiden Cowboys. »Ich frage dich jetzt, Jed, und ich frage nur einmal: Wo hat sich dein Vater verkrochen?«

Der junge Bursche schluckte würgend. »Ich weiß es nicht.«

»Na schön«, knurrte Tatum. »Wie du willst. Helft ihm auf die Sprünge!«

Der Befehl galt den beiden Weidereitern. Sie traten an ihrem Boss vorbei, und ehe sich Jed Randall versah, drehte ihm einer den rechten Arm auf den Rücken, und zwar derart brutal, dass Jed aufschrie wie ein waidwunder Elch. Er machte das Kreuz hohl, um dem wühlenden Schmerz in seinem Schultergelenk entge­genzuwirken, doch sofort drehte ihm der Cowboy den Arm ein wenig mehr herum. Jed konnte sich nicht mehr bewegen. Der ­andere trat vor ihn hin. »Du hast die Frage gehört, Dummkopf. Noch kannst du sie beantworten. Also …«

»Ich – ich weiß es doch nicht«, stöhnte Jed.

Der Cowboy hämmerte ihm die Faust in den Leib. Jed brüllte seine Not hinaus und Susan schrie überschnappend: »Ihr niederträchtigen Schweine! Dafür soll euch der Himmel bestrafen. Wir wissen es doch wirklich nicht.«

»Na«, knurrte der Weidereiter, »fällt es dir nun ein?«

»Er – er wollte Spuren suchen. Dad will herausfinden, wer auf Big Jacob geschossen hat. Mehr hat er uns nicht gesagt. Ich habe keine Ahnung …«

Wieder schlug der Weidereiter zu.

Mit dem zitternden Atemzug lähmenden Entsetzens, der sich Susans Brust entrang, löste sich der Schrei von ihren Lippen, der ihr für die Spanne zweier Herzschläge tief im Hals gesteckt hatte.

In diesem Moment erklang eine klirrende Stimme: »Vielleicht wissen Sie es wirklich nicht!«

*

Es war Coltman. Er hatte vom Fenster seines Zimmers aus eine ganze Weile beobachtet, was sich auf der Straße abspielte. Als Carter die junge Frau festhielt und die beiden anderen Weidereiter den jungen Burschen überwältigten, war für ihn klar, dass er eingreifen musste, und er hatte sich auf die Straße begeben.

Die Cowboys und John Tatum wandten sich ihm zu. Coltman stand etwa zwölf Schritte von ihnen entfernt. Die Shotgun trug er links am langen Arm, seine rechte Hand hing locker neben dem Griff des schweren Coltrevolvers.

John Tatum fixierte ihn von oben bis unten, dann rief er: »Du solltest dich hier nicht einmischen, Fremder. Es geht dich nämlich nichts an.«

»Es geht mich immer etwas an, wenn ich sehe, dass eine Frau schlecht behandelt wird, Hombre.« Coltman hatte ruhig – gefährlich ruhig gesprochen. Er gab sich vollkommen gelassen und er schien nicht den geringsten Gedanken daran zu verschwinden, dass das Verhältnis vier zu eins stand.

John Tatum stemmte die Arme in die Seiten und legte den Kopf etwas in den Nacken. »Kann es sein, dass du der bist, den sie Coltman nennen?«

»Ja, man nennt mich so.«

»Dann warst du es, der dafür gesorgt hat, dass mein Vater Hilfe erhielt.«

»So ist es.«

»Dafür bin ich dir zu Dank verpflichtet. Doch aus dieser Sache hier solltest du dich raus­halten. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass der Vater dieser beiden meinen Vater ermorden wollte. Und jetzt will ich von ihnen erfahren, wo er zu suchen ist.«

»Die Zeiten der peinlichen Befragungen sind vorbei, Tatum. Du solltest es dem Deputy überlassen. Sag deinen Leuten, dass sie die Hände von der jungen Lady und dem Burschen nehmen sollen.«

»Ich warne dich, Coltman!«, knirschte Tatum. »Meine Dankbarkeit hat Grenzen.«

»Du musst mir nicht dankbar sein, Tatum.«

»Na schön, Coltman. Ich bin mir nicht sicher, ob es Dummheit ist oder Arroganz, die dich veranlasst, dich mit mir anzulegen. Ich vermute es ist Arroganz. Also werden dich meine Männer jetzt auf deine richtige Größe zurechtstutzen. Wenn Sie mit dir fertig sind, lasse ich das, was sie von dir übrig lassen, zusammenfegen und an die Schweine hinter der Fleischerei verfüttern.«

Tatum hatte mit einer harten, düsteren Stimme gesprochen, in der eine unheilvolle Drohung mitschwang. Die Atmosphäre war angespannt und gefährlich geworden und geradezu unerträglich. Mittlerweile hatten sich weitere Bürger eingefunden; sie standen Schulter an Schulter und jeder fühlte den unsichtbaren Strom von mitleidloser Härte und brutaler Gewalt, der von John Tatum und seinen Cowboys ausging.

Coltman zeigte nicht die Spur von Unruhe. Doch er ließ weder Tatum noch dessen drei Handlanger aus den Augen.

»Gebt es ihm!«, zischte John Tatum.

Derjenige, der Jed Randalls herumgedrehten Arm auf dem Rücken des Jungen festhielt, ließ ihn los, versetzte Jed aber einen derben Kniestoß in den Rücken, der ihn nach vorne taumeln, straucheln und auf das linke Knie niederbrechen ließ.

Susan wurde von dem anderen Cowboy zur Seite geschleudert und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren.

Das Trio schritt auf Coltman zu. Ein Blick in ihre Augen sagte diesem, dass sie bereit waren, ihn in Stücke zu schlagen, um dem Willen ihres Bosses Geltung zu verschaffen. Als sie bis auf fünf Schritte heran waren, hob er blitzschnell den linken Arm mit der Shotgun, seine Rechte zuckte zum Kolbenhals, ein Ruck und er hielt die Flinte an der Hüfte im Anschlag.

Die Cowboys hielten an, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer gerannt, ihre Hände fuhren zu den Revolvern, doch ihr Verstand holte diesen Reflex ein und ihre Hände blieben über den Knäufen in der Luft hängen.

»Mit dem gehackten Blei, das sich in beiden Läufen befindet, schieße ich euch auf den Mond!«, versicherte Coltman ohne jede Aufregung in der Stimme.

Sie belauerten ihn, ihre Gesichter wirkten verkrampft, die Lippen waren vor Anspannung verzogen. Es war klar, dass sie nur auf eine Unachtsamkeit Coltmans warteten.

Jetzt aber stieß John Tatum hervor: »Es ist gut. Entspannt euch, Männer. Dieses Mal ist er am Drücker.« Er wies mit dem Kinn auf Coltman. »Und der Anlass ist nicht wichtig genug, um die Sache mit der Waffe zu regeln.«

Jetzt ließen die Cowboys die Hände sinken und die Verkrampfungen in ihren Zügen lösten sich. Obwohl sie den Eindruck zu vermitteln versuchten, unbeeindruckt zu sein, konnte man von ihren Gesichtern die Erleichterung ablesen. Denn sicherlich war jedem von ihnen klar, dass sie ziemlich Federn hätten lassen müssen.

»Das sehe ich auch so«, stimmte Coltman dem, was Tatum von sich gegeben hatte, zu, behielt aber die Schrotflinte an der Hüfte und nahm auch nicht den Zeigefinger vom Abzug. Sein unstetes Leben hatte ihm eine ausreichende Anzahl von Lektionen erteilt, sodass er misstrauisch und vorsichtig geworden war.

»Ich gebe dir aber einen guten Rat«, so begann Tatum noch einmal. »Wenn du Verdruss für dich vermeiden willst, dann solltest du so schnell wie möglich eine Menge Meilen zwischen dich und diesen Landstrich bringen. Ich lasse mir von einem wie dir nicht in die Suppe spucken. Nimm dir meinen Rat zu Herzen, Coltman. Du bist nicht groß genug, um dich mit der R.W. anlegen zu können.«

Western Helden 18 – Erotik Western

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