Читать книгу Schwesternmacht - Rabea Blue - Страница 6

Claris, der Bär

Оглавление

»Na, wen habt ihr mir denn da mitgebracht? Welch eine Überraschung.« Ihre Stimme war weich und melodisch, ihre Augen hatten einen herzlichen Ausdruck. Sie platzierte sich genau unter der Kuppel, legte die Hände in den Schoß und sah lächelnd in die Runde. »Was führt dieses wunderbare Tier zu uns?«

Rosalie legte dem Bären einen Arm auf den breiten Rücken. »Den haben wir im Park aufgegabelt. Er hat sich versteckt und da haben wir ihn lieber von den Gangs weggebracht und wollten ihm hier eine sichere Unterkunft anbieten.«

»Das habt ihr sehr gut gemacht«, lobte die Frau. Sie konnte den Blick nicht von dem Tier abwenden.

Bianca trat auf die andere Seite des Bären und strahlte ihre Mutter an. »Das Interessanteste an ihm weißt du noch nicht, Mama.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und setzte dann hinzu: »Dieser Bär kann sprechen.«

Die Augen der Frau im Rollstuhl weiteten sich. Für einen Moment wirkte sie schockiert, doch dann verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. »Tatsächlich?«

Endlich fasste sich der Bär und ergriff das Wort: »Ich bin meinerseits ganz verblüfft, dass es Menschen gibt, die mich verstehen können. Meine Artgenossen im Zoo, ja. Aber meine Tierpfleger oder mein Bruder - Fehlanzeige.«

»Dein Bruder? Zoo? Und höre ich da einen Akzent in deiner Stimme? Fragen über Fragen. Am besten bleibst du ein wenig hier und erzählst uns alles von vorne.« Die schimmernde Frau bedeutete dem Bären, es sich bequem zu machen.

Er legte sich neben den kleinen Teich. Rosalie und Bianca setzten sich zu ihm auf den Boden und kuschelten sich an ihn.

»Dabei fällt mir ein - ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt.« Die Frau rollte näher heran und sah ihn mit freundlichem Blick an. »Mein Name ist Aru. Meine beiden Töchter, Rosalie und Bianca, hast du bereits kennengelernt.« Sie deutete auf ihre Kinder.

Arus Alter war schwer zu schätzen. Doch keinesfalls hätte ein Außenstehender vermutet, dass diese Frau die Mutter der beiden Mädchen war. »Um deine Frage zu beantworten: Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass wir dich verstehen können.«

»Ist es nicht? Wie das?«

Aru lachte auf. »Weil wir gar keine Menschen sind. Ich für meinen Teil bin eine Elfe.«

Der Bär ließ ein erstauntes Brummen hören. Wortlos blickte er sie an.

»Rosalie und ich sind Halb-Elfen«, ergänzte Bianca. »Unser Vater war ein Mensch.«

»Na, du willst doch nicht gleich von diesem Verräter erzählen, Schwesterherz.« Rosalies Blick war schwer zu deuten.

»Kinderchen – kein böses Blut«, mahnte Aru. »Wir haben Besuch.«

»Schon gut«, lenkte Rosalie ein. »Ich sag‘ ja nichts mehr.«

Die Zwillinge schmiegten sich enger an den Bären. Hin und wieder kämmten sie ihm mit den Fingern durch das Fell oder entfernten Dreck unter seinen Krallen. Er knurrte leise und schloss für einen Moment genüsslich die Augen. Dann öffnete er sie wieder und betrachtete die Mutter der Schwestern genauer.

»Den Rolli hat Mama, seit sie hier in der Menschenwelt lebt«, erklärte Bianca, die seinem Blick gefolgt war, und zauste den Bären am Fellflaum seiner Ohren.

»Haben Elfen nicht normalerweise Flügel?«, hakte er nach.

»Das stimmt.« Aru nickte. Dann wurde ihr Blick glasig.

Bianca setzte anstelle ihrer Mutter zu einer Erklärung an. »Zur Geheimhaltung der Elfen-Existenz mussten ihr die Flügel gestutzt werden. Das hat sich unglücklicherweise auf ihre Wirbelsäule ausgewirkt. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt.«

Der Bär hob den Kopf. »Aber warum musstest du das Elfenland denn verlassen?«

Aru richtete ihren Rollstuhl so aus, dass sie den dreien unmittelbar gegenüberstand. »Nun ja. Ich hatte mich verliebt. Dummerweise habe ich damit einen Haufen Regeln gebrochen.«

»Beim Verlieben?«

»Elfen dürfen sich nicht in jedes beliebige Wesen verlieben, musst du wissen«, ergänzte Rosalie mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme.

»Und Mama hat sich leider einen der falschen Spezies ausgesucht«, fügte Bianca verächtlich hinzu. »Einen abscheulichen Menschen.« Sie schüttelte sich theatralisch.

»Kinder«, ermahnte Aru sie erneut. »Das reicht!«

»Aber es ist doch wahr«, entgegnete Rosalie. »Im Elfenland wurde es vorerst geduldet, dass du dich auf Papa eingelassen hast.«

Bianca pflichtete ihr bei: »Aber als du vor achtzehn Jahren mit uns schwanger wurdest, hat man dir deutlich gemacht, dass du das Land der Elfen nie mehr betreten darfst.«

»Das klingt jetzt ein wenig hart«, sagte Aru nach einem Zögern besänftigend. »Sie haben eben ihre Regeln. Und ich habe eine davon gebrochen. Im Übrigen habe ich zu keinem Zeitpunkt bereut, dass ich mich für euren Vater und ein Leben mit euch entschieden habe.«

Rosalie kicherte. »Sicher? Dann hast du wohl verdrängt, wie wir dir das Leben zur Hölle gemacht haben, was?«

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Für einen Menschen war es offenbar zu viel, Zwillinge zu haben, die zur Hälfte Elfen sind. Auch wenn ihr kaum etwas von den magischen Kräften meiner Art geerbt habt, wart ihr anfangs schwierig zu bändigen. Doch selbst als euer Vater uns verließ, habe ich es geschafft. Trotz körperlicher Einschränkung.« Sie rollte zu der Balkontür und sah hinaus. »Jetzt reicht es aber mit den alten Geschichten. Ich finde, wir haben es uns hier sehr schön gemacht. Sozusagen unser eigenes Elfenreich erschaffen.«

»Elfen«, wiederholte der Bär nachdenklich. »Dann stimmt es ja vielleicht doch.«

»Was meinst du damit?«, fragte Aru.

Der Bär brummte und verlagerte seine Position. Bianca und Rosalie kicherten, als sie dabei fast zur Seite kippten.

»Mein Name ist Claris und mein Vater ist der Fürst von Bosapan.« Er stockte. »Er war der Fürst von Bosapan. Als ich noch sehr klein war, kamen Männer zu uns. Auf mich wirkten sie im ersten Moment normal, aber im Gegensatz zu meinem Vater waren sie sehr klein, geradezu winzig.«

Arus Blick verfinsterte sich. »Zwerge«, murmelte sie. »Würdest du sie wiedererkennen? Oder hast du sie nach diesem Vorfall sogar noch einmal gesehen?«

Claris schüttelte den Kopf. »Leider nein. Meine Erinnerung an diese Zeit ist sehr verschwommen.«

»Was wollten sie von deinem Vater?« Bianca sah ihn fragend an.

Resignierend seufzte Claris. »Ich weiß es nicht. Sie stritten sich und von jetzt auf gleich verwandelte mich einer von den kleinen Männern in den Bären, der ich nun bin.«

»An was kannst du dich von damals denn noch erinnern?«, fragte Rosalie. »Was passierte mit dir, als du verwandelt warst?«

»Mein Vater verkaufte mich an den Frankfurter Zoo, kaum dass ich ein Bär geworden war. Offensichtlich hielt er das für die humanste Verwendung für mich. Immerhin besser als ein Zirkus oder die Wildnis. Mein älterer Bruder erzählte mir, er wäre mittlerweile tot.«

»Du hast also regelmäßig Kontakt zu deinem Bruder?« Bianca sah ihn interessiert an.

Der Bär nickte. »Er selbst war damals nicht dabei, als der Zwerg mich verzauberte. Aber seit er alt genug ist, besucht er mich regelmäßig im Zoo. Auch, wenn er mich nicht versteht, weiß er von unserer Nanny, dass ich es bin.«

Aru betrachtete ihn nachdenklich. Ihre Töchter hatten damit aufgehört, Claris zu streicheln und zu knuddeln.

»Diese ganze Geschichte tut mir sehr leid für dich«, sagte die Mutter der Zwillinge. »Ein schreckliches Schicksal für ein Kind.«

Hoffnungsvoll sah der Bär sie an. »Kannst du mir denn helfen? Ich meine, mit deinen Kräften?«

Die Elfe in dem Rollstuhl legte die Fingerspitzen aneinander. »Meine Kräfte allein würden da niemals ausreichen. Und selbst wenn ich stärker wäre oder einen erfahrenen Magier im Elfenland ausfindig machen könnte, würde uns das nichts bringen. Denn nur die Zwerge selbst können ihren Zauber zurücknehmen. Darum bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf die Suche nach ihnen zu machen.«

»Wir?«, fragte der Bär ungläubig. »Also helft ihr mir?«

Rosalie klopfte ihm sanft auf die breite Schulter. »Natürlich. Für wen hältst du uns? Wir können dich unmöglich wieder alleine losziehen lassen.«

Als Antwort stieß Claris ein freudiges Brummen aus.

»Mama?«, setzte Bianca an. »Leben die Zwerge hier auf dieser Ebene? So richtig offensichtlich? Was könnten sie für einen Grund haben, einen kleinen Jungen in ein wildes Tier zu verwandeln?«

Aru wiegte den Kopf hin und her und sah gedankenverloren in den vor sich hin plätschernden Zimmerbrunnen.

»Die Zwerge sind ein sehr altes Volk. Viele von ihnen sind mächtige Zauberer. Aber für ihre Magie brauchen sie Schätze, wie Edelsteine oder Gold. Nur damit können sie starke Zauber ausführen, sich vor Angreifern schützen oder sich in der Menschenwelt tarnen.«

»Warum verschwenden sie dann ihre kostbare Energie an kleine Kinder?« Rosalie schnaubte verächtlich. »Oder haben sie so viel von diesen Schätzen, dass es ihnen egal sein kann?«

»Nein«, entgegnete Aru. »Die wertvollen Gegenstände sind sehr begrenzt und werden immer weiter auf der ganzen Welt verstreut. Soweit ich weiß, haben die Zwerge bereits viele andere Wege ausprobiert, um Magie zu wirken, doch nichts hat funktioniert.«

»Dann sind sie also wirklich abhängig von Schätzen?« Claris blickte sie zweifelnd an.

Aru nickte. »Und auch besonders nachtragend, was unzuverlässige Geschäftspartner betrifft. Du sagst, dein Vater war ein Fürst?«

Der Bär nickte.

»Vielleicht wurde ihnen etwas versprochen, das später nicht eingehalten wurde«, vermutete Aru. »Grundsätzlich sind die Zwerge nicht angriffslustig. Sie mögen ein wenig grummelig und eigenbrötlerisch sein. Aber ohne Grund ein Kind zu verwandeln, das passt nicht zu ihnen. Ohne deinen Vater beleidigen zu wollen: Vielleicht hat er ihnen etwas gestohlen. Und sie wollten es zurück.« Sie sah Bianca an. »Und die Zwerge leben auf einer anderen Ebene – wie du vermutet hast. Diese müssen sie durch ihre Zauber schützen. Denn viele Neider, denen es nicht vergönnt ist, Magie anzuwenden, wollen das Gold und die Edelsteine lieber für sich haben, anstatt es als Energiequelle verschwenden zu lassen.«

Claris sah Aru bewegungslos an. »Aber – «, setzte er an und stockte dann. Nach einem Zögern fuhr er fort. »Mein Vater starb auf recht ungewöhnliche Weise, soviel ich weiß. Bei diesem Vorfall wurden Wertgegenstände entwendet, die offiziell in seinem Besitz waren«, sprach er seine Gedanken laut aus. »Wenn die Zwerge den Edelstein damals zurückbekommen haben, hätten sie mich doch wieder zurückverwandeln können.«

»Das hätten sie tun können, ja«, bestätigte Aru schulterzuckend. »Aber vielleicht hatten sie ihre Gründe. Wer weiß das schon.«

Claris schnaufte. »Verkehrte Welt!«

Einen Moment lang war es still in dem wunderlichen Wohnzimmer. Nur von Claris war ein verzweifeltes Brummen zu hören. Doch dann spürte er eine Hand auf seinem Rücken.

»Du kannst von Glück reden, dass du uns getroffen hast«, sagte Bianca mit einem Strahlen. »Mama hat noch gute Kontakte zu nicht-menschlichen Wesen der unterschiedlichsten Arten. Und wir haben auch ein paar brauchbare Fähigkeiten.«

Rosalie kicherte. »Das stimmt. Unsere Elfen-Gene haben dafür gesorgt, dass wir dich vorhin so problemlos vor den Betrunkenen verstecken konnten. Wir haben eine Aura, die uns im Falle eines Risikos unsichtbar für Menschen macht. Meistens zumindest.«

»Ach, deswegen hat uns keiner der Passanten auf dem Weg hierher beachtet?«

Bianca nickte. »Es wäre für uns drei kritisch geworden, wenn sich jemand darüber gewundert hätte, dass zwei Mädchen mit einem ausgewachsenen Bären spazieren gehen. Ein Anruf bei der Polizei und wir wären gehörig in Schwierigkeiten geraten. Deswegen hat uns unsere Aura einfach komplett bei jedem ausgeblendet, dem wir begegnet sind.«

»Das könnte überaus hilfreich sein.« Rosalie grinste. »Du könntest bei helllichtem Tag mit uns durch Frankfurt stolzieren und niemanden würde es stören.«

Claris brummte missmutig. »Ein falscher Schritt und ich bin nicht mehr unter eurem unsichtbaren Schutzschild? Nein danke – das ist mir zu gefährlich. Ich will nie wieder eingesperrt werden.«

»Verständlich«, lenkte Rosalie ein. »Aber wie sollen wir dann vorgehen?«

»Und vor allem: Wo sollen wir anfangen?«, wollte Bianca von Aru wissen. »Ich habe schon öfter in der Innenstadt kleine Erwachsene gesehen. Doch ob es tatsächlich Zwerge waren und wo sie normalerweise zu finden sind – keine Ahnung.«

Die Mutter der Zwillinge rollte gedankenverloren näher an den künstlich angelegten Teich heran. »Es gibt da eine hübsche Nixe. Sie und ihr Bruder haben sich im Main niedergelassen und werden immer wieder in Frankfurt gesehen. Aelfrida sitzt oft an der gleichen Stelle am Ufer. Obwohl sie mit ihren grünen Haaren sehr auffällig ist, ahnen die Menschen nicht, dass es sich bei ihr um ein Fabelwesen handelt.«

»Am Mainufer könnten wir uns mal umhören. Diese fantastischen Wesen kennen sich hier in Frankfurt doch alle untereinander, oder?« Rosalie konnte ein Kichern nicht unterdrücken. »Da kann es fast schon wie ein Dorf wirken …«

»Aber uns schließt das dann aus, oder wie?«, stichelte Bianca. »Wir bilden auch einen Teil der fantastischen Welt. Aber persönlich kennen wir weder die Zwerge noch diese Unterwasser-Wesen.«

Ihre Schwester winkte ab. »Wir gehören ja nicht zu den Alteingesessenen. Ach, du weißt schon, wie ich das meine.« Sie versuchte, Bianca einen Klaps zu verpassen, aber die duckte sich blitzschnell unter ihrer Hand weg.

»Also geht ihr an das Mainufer und sucht nach der Nixe«, schloss Aru und sah ihre Töchter eindringlich an.

»Alles klar, Chef.« Bianca kicherte und salutierte theatralisch.

»Du bleibst derweil bei mir. Hier bist du am sichersten«, fügte Aru an Claris gewandt zu. Dann lächelte sie und machte eine Geste, mit der sie den ganzen Raum einschloss. »Außerdem kannst du so in Ruhe diese Mini-Elfen-Welt erkunden.«

Schwesternmacht

Подняться наверх