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Оглавление2. Teilhards innerer Weg
Das Herz, die Natur und die Wissenschaft
In der Entwicklung der persönlichen Spiritualität Teilhards sind schon in frühester Kindheit zwei Einflüsse auffallend: In der streng religiösen Familie, in der er aufwächst, spielt die Herz-Jesu-Verehrung, insbesondere durch seine Mutter, eine große Rolle. Zum täglichen Familiengebet gehört im Juni die Herz-Jesu-Litanei, in deren Rahmen auch die Anrufung gebetet wird »Herz Jesu, das alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft in sich schließt«.
Gleichzeitig fasziniert schon den kleinen Pierre alles, was in der Natur Dauerhaftigkeit zu vermitteln scheint, wie Eisen oder Steine, die er gerne sammelt. Noch als alter Mann erinnert er sich daran, wie enttäuscht er als Kind war, als er bemerken musste, dass auch harte Materie nicht wirklich dauerhaft ist, weil eben auch Eisenstücke Rost ansetzen und mit der Zeit zerfallen. Er schreibt: »Wenn ich seit meiner Kindheit und seither mit wachsender Fülle und Überzeugung immer die Natur geliebt und erforscht habe, so kann ich also sagen, dass ich das nicht als Gelehrter, sondern als frommer Mensch tat. – Mir scheint, dass bei mir alles Bemühen, selbst wenn es sich auf einen rein natürlichen Gegenstand richtete, zu allen Zeiten ein religiöses und substantiell einziges Bemühen gewesen ist. Ich bin mir bewusst, immer das Ziel gehabt zu haben, das Absolute zu erreichen« (Cuénot, 25).
In Teilhards weiterem Werdegang, im Rahmen der Ausbildung zum Jesuiten, wird dieses doppelte Interesse, Religion und Naturwissenschaft, immer wieder ein Thema: Einmal neigt er dazu, seine offensichtlich vorhandene naturwissenschaftliche Begabung zugunsten der Religion nicht weiterzuverfolgen, und muss von einem erfahrenen Priester von diesem Schritt abgehalten werden. Umgekehrt ist eine seiner ersten Aufgaben als junger Jesuit die Mitwirkung an einer kirchlichen Kommission, die die Wunder von Lourdes prüfen soll.
Ignatianische Exerzitienspiritualität: der ganze Mensch und Gott in allem
Ausbildung und geistige Prägung von Jesuiten folgt traditionell den Weisungen des Ordensgründers Ignatius von Loyola, der in seinem Exerzitienbuch (EB) dazu präzise Weisungen gibt. Ein Grundgedanke (»Prinzip und Fundament«, EB 23) ist dabei: »Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist …« Der Mensch, und insbesondere der Angehörige des Jesuiten-Ordens, soll also Gott in allen Dingen suchen und finden. Zu dieser Spiritualität gehört auch wesentlich die Balance von Sein und Tun, von Kontemplation und Aktion, von Gebet und prophetischem Leben.
In den »Betrachtungen zur Erlangung der Liebe« (EB 230 ff) heißt es: »Das Erste ist, dass die Liebe mehr in die Werke gelegt werden muss als in die Worte.« Wir sollen Gott unsere Freiheit, unseren Verstand und Willen, allen Besitz zurückgeben, um so »in allem lieben und dienen zu können« (EB 233). Wir sollen erwägen, wie Gott in all den Geschöpfen wohnt, wie auch alle menschliche Kraft von ihm kommt usw.
In vielen Passagen des Exerzitienbuches werden wir aufgefordert, die Worte Jesu nicht nur intellektuell zu bedenken, sondern uns mit allen Sinnen darauf einzulassen, uns die Schauplätze bildlich vorzustellen, die Situationen zu vergegenwärtigen, zu verschmecken und zu verkosten.
Für Teilhard ist das eine Anregung, in der Zusammenschau biblischer Stellen mit seinem Interesse an der Natur das Staunen zu lernen. Er liest im Matthäus-Evangelium die bekannte Stelle (Mt 6,26): »Betrachtet die Vögel des Himmels. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie.«
Teilhard beschreibt eine Meditation dazu: »Staunen vor der Gestalt und dem wunderbaren Flug der Möwe. Wie ist dieses Vogelschiff entstanden? Die schlimmste Schwäche unseres Geistes ist, die größten Probleme nicht zu spüren, weil sie uns unter den vertrautesten Gestalten entgegentreten … Wie viele Möwen habe ich gesehen? Wie viele Menschen haben Möwen gesehen, ohne das Geheimnis zu ahnen und wahrzunehmen, das mit ihnen schwebt. Gott möge mir die Gabe verleihen, stets wie berauscht die unermessliche Musik der Dinge zu hören und sie den anderen hörbar zu machen« (Gemmingen, 21).
Den Naturwissenschaftler Teilhard veranlassen aber auch weniger bekannte, schwierigere Stellen der Bibel zum Staunen und letztlich zur Anbetung. So heißt es im Kolosserbrief (Kol 1,16): »Auf ihn (Christus) hin ist alles geschaffen.« Teilhard wird bewusst, dass damit nicht nur einzelne Menschen, sondern die ganze Menschheit mitgemeint ist, ebenso der ganze Kosmos vom kleinsten Elementarteilchen bis zu den entferntesten Galaxien. Aber auch Grundgegebenheiten der Physik wie Magnetismus, Schwerkraft, auch jede Form von Energie sind hier mitzudenken. So werden auch Meditationen zu einer der Quellen seines Weltbilds.
Teilhard hat bis zu seinem Lebensende die ignatianischen Regeln hinsichtlich Gewissenserforschung, Exerzitien usw. streng befolgt. Trotz aller Schwierigkeiten, die ihm im Laufe seines Lebens von kirchlichen Autoritäten, zum Teil auch von der Ordensleitung, gemacht wurden, sagte er bei einer Feier anlässlich seines 50-jährigen Ordensjubiläums, er würde trotzdem alle wichtigen Schritte seines Lebens wieder so machen, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte.
In einem privaten Brief von 1950 differenziert er diese Aussage: Seine Lebenserfahrung ist, dass die Methodik der ignatianischen Exerzitien ausgezeichnet sei, dass aber die dort vorausgesetzte (und eben schon 500 Jahre alte) Kosmologie, die damit ja auch Grundlage der Christologie wurde, dringend erneuerungsbedürftig sei – man müsse das Anliegen des Ignatius in ein Universum transponieren, das nicht statisch, sondern im Werden ist.
Schon am Ende des Ersten Weltkriegs schreibt er, dass sein Forschen in der Natur nicht primär aus dem üblichen Drang des Naturwissenschaftlers gekommen, sondern vor allem eine Form von Andacht gewesen sei. Bei aller Unterschiedlichkeit in den Methoden haben Wissenschaft und Religion für ihn letztlich den gleichen Erkenntnisgegenstand, die Suche nach dem Absoluten.
Einige Jahre später, in der Abgeschiedenheit seiner langen Ritte in der Mongolei, wohin ihn seine Forschungsreisen führen, macht Teilhard nicht nur die Erfahrung der äußeren Weite, sondern auch die der inneren Weitung; er ahnt Unendlichkeit. Sein Denken wird freier, ebenso wie sein Glaube. Er denkt an die Verheißung an Abraham, der in ein ihm fremdes Land ziehen soll, und fühlt sich dessen blindem Gottvertrauen viel näher als dem von dogmatischen und kirchenrechtlichen Definitionen eingeengten kirchlichen Glauben seiner Zeit. Der Gott Abrahams, der Gott Israels ist einer, der zumindest für sein Volk Geschichte macht – eine Geschichte, die jedenfalls auch diese Welt betrifft.
Zwischen Mut und Demut
In dem Maße, in dem sich sein Glaube weitet, kommt Teilhard aber immer stärker in einen inneren Zwiespalt. Der Jesuit, der durch seine Forschungen Gottes Ehre zu mehren sucht, hat gleichzeitig strikte Gehorsamsregeln übernommen. Konkret stellt sich für Teilhard die Frage, wie er Engagement für den Fortschritt mit der geforderten Haltung der Indifferenz, d.h. der »Freiheit des Geistes«, vereinigen soll. Wissen und Gewissen scheinen sich zu widersprechen; Mut steht gegen Demut. Was ist Demut, was hingegen ist Feigheit? Teilhards Lösung, die für seine Umwelt sichtbar ist, heißt: ständiges Bemühen hinter den Kulissen, seine Ideen doch publizieren zu dürfen, aber Gehorsam gegenüber den kirchlichen Autoritäten, die ihn mit Druck- und Redeverboten zum Schweigen zwingen. Innerlich sieht er die kirchlichen Verbote als die ihm zugemutete Weise, auf intellektueller Ebene sein Kreuz zu tragen. Die Kirche, das Priesteramt oder zumindest den Orden zu verlassen sieht er als Versuchung, der er widerstehen muss. Gelegentlich tröstet ihn der Gedanke, dass gerade er als Naturforscher die extreme Langfristigkeit von Entwicklungen immer betont habe – dies gilt offensichtlich auch für Entwicklungen im Glauben. Der Glaube aber muss vom Volk bzw. von der Kirche getragen sein; ein Prophet, der sein Volk, seine Gemeinschaft verlässt, verrät seine Aufgabe.
Sein Glaube an Christus ist primär der Glaube an den Auferstandenen, den Verklärten. Der historische Mensch Jesus ist demgegenüber eigentlich nur die historische Verankerung dieses Glaubens. Teilhard merkt, dass ihm nur wenige folgen können: »Warum bin ich denn der einzige, der vom Tabor (dem Ort der Verklärung Jesu) kommt und sieht?«
In den letzten Monaten seines Lebens weiß er, dass er eigentlich nur für die Nachwelt schreibt. Er betet, dass Gott ihm ein Zeichen schicken möge. Sein Tod gerade am Festtag der Auferstehung, dem Ostersonntag (1955), könnte die Antwort gewesen sein.
Schon Jahrzehnte vor seinem Tod mahnt er uns, die wir heute mit einem immer schneller werdenden Lebensrhythmus zurechtzukommen haben und dadurch den Gegensatz zur extremen Langsamkeit kirchlicher Entwicklungen besonders deutlich spüren: »Hab Vertrauen in das langsame Arbeiten Gottes. Ganz natürlich drängen wir in allen Dingen ungeduldig dem Ziele zu. Wir möchten die Zwischenstufen überspringen. Wir leiden voll Ungeduld darunter, zu etwas Unbekanntem, Neuem unterwegs zu sein. Dabei ist es das Gesetz jedes Fortschreitens, dass sein Weg über das Unbeständige führt – das eine sehr lange Zeit andauern kann! … Deine Gedanken reifen ganz allmählich, lass sie wachsen, lass sie Gestalt nehmen, ohne etwas zu überstürzen! Versuche nicht, sie zu zwingen, so als könntest du heute schon sein, was die Zeit (das heißt die Gnade und die Umstände, die auf deinen guten Willen Einfluss nehmen werden) morgen aus dir machen wird. Schenke unserem Herrn Vertrauen, und denke, dass seine Hand dich gut durch die Finsternisse und das Werden führen wird – und nimm aus Liebe zu ihm die Angst auf dich, dich im Ungewissen und gleichsam unfertig zu fühlen« (FS: Briefe von 1916–1919).