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2. Grundideen der Aufklärung

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Universalität

Die Literatur der Aufklärung steht in engem argumentativem Entwicklungszusammenhang mit anderen Feldern intellektueller Betätigung. In keiner anderen Epoche ist die deutsche Literatur in ähnlicher Weise eng an Philosophie, Naturwissenschaften und Sozialtheorie gebunden wie im 18. Jahrhundert. ‚Aufklärung‘ ist als Signatur eines ganzen Zeitalters deshalb nicht auf Literaturgeschichte beschränkt, sondern hat ebenso einen Platz unter den politik- und kulturgeschichtlichen Epochenbildungen. Als ‚enlightenment‘ und ‚lumières‘ finden sich Entsprechungen in anderen europäischen Geschichtskonzepten. Sie kennzeichnen in allen westlichen Nationalkulturen gleichermaßen eine Umbruchszeit, die sowohl gemeinsame Grundlagen schafft als auch den Blick für historisch gewachsene nationale Unterschiede schärft.

Europäische Aufklärung

Chronologisch die ersten und ideengeschichtlich die führenden aufgeklärten Nationen sind England und Frankreich, die den anderen europäischen Staaten als Vorbild dienen. Dabei ist ‚Aufklärung‘ anfänglich noch wenig auf identitätsstiftende Nationalität bedacht, sie erhebt vielmehr einen europäischen, ja universellen, ‚menschheitsgeschichtlichen‘ Anspruch. Die Vergleiche im ökonomischen, politischen und kulturellen Sektor, die bei den Zeitgenossen trotzdem das Bewusstsein von unterschiedlichen Entwicklungsständen und Leistungen schärfen und zu einer Wettbewerbssituation beitragen, sprengen noch nicht das Bewusstsein von verbindender Menschheitsgeschichte. Durch Kolonialisation sowie politische Bewegungen in fernen Teilen der Welt (u. a. der [us-]amerikanischen Unabhängigkeitserklärung), wird ‚Aufklärung‘ im Laufe des 18. Jahrhunderts ausgebreitet und bildet eine der Grundlagen dessen, was heute ‚westliche Zivilisation‘ genannt wird.

Wissen und Methode

Da Literatur im Prozess der Aufklärung in enger Verbindung mit den allgemeinen intellektuellen, medialen und institutionellen Tendenzen steht, muss sie mit diesen in Zusammenhang betrachtet werden. Eine literaturgeschichtliche Perspektive, die diese literaturfremden Aspekte ausschlösse, kann der aufklärerischen Literatur nicht gerecht werden. Letztere trägt vor allem zur Verarbeitung neuen Wissens bei, sie dient als Transportmittel neuer Ideen, sowie der diskursiven Verständigung in brennenden Fragen des Zeitalters. Ganz allgemein bezeichnet das von den Zeitgenossen selbst gewählte Begriffswort ‚Aufklärung‘ auf bildliche Art und Weise ein ganzes Programm: Licht ins Dunkel zu bringen, die ‚Nebel‘ und ‚Finsternis des Mittelalters‘ zu lüften. Zu Beginn der Epoche ist die Schöne Literatur noch in diesem Sinne der ungebrochenen Darstellung bekannten, kodifizierten Wissens verpflichtet, erst nach und nach entfaltet Literatur Strategien der alternativen Darstellung von Erkenntnissen und etabliert eine fiktionalisierte Vermittlung eigener, nämlich literarischer Wahrheiten. Im Gegensatz zur Moderne wird die literarische Darstellung nicht als spielerische, Wissenschaft und Moral in heuristischen Inszenierungen herausfordernde Redeweise begriffen, sondern als Bestandteil eines übergreifenden Diskurses der Wahrheitssuche, in dem die Literatur anfänglich aufgeht und zu dem sie auch am Ende immer noch einen Beitrag leistet, wenn auch durch Kontroversen und Zweifel. Die Aufklärungsliteratur bleibt insgesamt der wissenschaftlichen Methode des Zeitalters verhaftet; wo sie sich diesem gegenüber kritisch verhält, ist ihre Auseinandersetzung in der Regel nicht radikal ablehnend, sondern nur korrigierend. Die wichtigste Unterscheidung der literarischen von der wissenschaftlichen Redeweise besteht in differierenden Stilkonventionen und Vermittlungsstrategien, während die zugrunde liegenden Erkenntnismethoden universell verbindlich bleiben.

Erkenntnisgewinn und aus ihm resultierend Wissenskompilation gehören zu den zentralen Anliegen aufklärerischen Handelns. Aufklärung zielt auf systematischen Wissenszuwachs, sie verbreitet eine wissenschaftlich-kritische Haltung gegenüber allen weltlichen und religiösen Dingen:

Das Werk der Aufklärung ist: viele Begriffe zu geben, und diese zu berichtigen, das ist, die Aufklärung muss jeden Begriff der Sachen, ihre Verhältnisse und ihre Ursachen und Folgen so geben, wie sie wirklich in der Natur sind. (Schlosser 1785, 85)

Da die Entdeckung des wahren Wissens sowohl methodisch als auch ontologisch an eine naturgegebene, anthropologisch immer schon vorauszusetzende Vernunft gebunden wird, erscheint es plötzlich seltsam, warum Aufklärung historisch gesehen nur schleppend aufgetreten ist und durchgesetzt wurde:

[…] man erfuhr nur erst sehr spät, und hat es noch nicht allenthalben erfahren, daß es eine Vernunft gäbe, die aus keinem Schulkompedium, und eine Rechtschaffenheit, die aus keiner Glaubensformel hergeholet zu werden nöthig hätte. (Reinhold 1784, 3f.)

Vernunft

Die Vernunft erhält den Vorzug vor anderen Erkenntnisverfahren, die Philosophie, die sie vertritt, steigt zur, Königin der Wissenschaften‘ auf. Sie löst in dieser Rolle die Theologie ab, die bis dahin die Vorherrschaft über alle anderen Wissenschaften, über alles menschliche Wissen überhaupt widerspruchslos hatte in Anspruch nehmen können. Mit der Methode der vernünftigen Erkenntnis werden auch die Formen und Inhalte der älteren, tradierten Wissensbestände neu erfasst und reformuliert; Aufklärung widmet sich deren rationaler Analyse und Verbesserung von Grund auf. Durch die immense Reichweite dieses fundamentalen Paradigmenwechsels werden sämtliche Wissensbereiche affiziert; der enge Wechselbezug zwischen den Wissensgebieten – die im Gegensatz zur modernen Disziplinbildung noch wenig fachlich untergliedert sind – lässt kaum einen Überstand an traditionellem Wissen fortbestehen. Unter diesen Umständen entsteht ein Eindruck von umfassendem und radikalem Neuanfang, der die Zeitgenossen zu immer neuen Anstrengungen beflügelt.

Naturbegriff

Folgender Wandel im weltanschaulichen Grundmodell repräsentiert im Kern das Anliegen aufklärerischer Wissenschaft: Statt Gott in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses zu stellen, rückt man nun, Natur‘ an dessen Stelle und mit ihr den Menschen als natürliches, soziales und moralisches Wesen. Vorbildliches Modell ist dabei stets die physikalische Weltordnung, die nach dem neuen Naturwissenschaftsverständnis des Zeitalters aufgefasst wird, streng systematisch, (natur)gesetzlich geregelt und sich selbst immer treu. Dadurch wird der theologische Gottesbegriff aber nicht abgeschafft, sondern nur in seinen Auswirkungen und Folgen philosophisch-naturwissenschaftlich betrachtet; Natur erscheint als eine riesige Maschine, die von der Instanz eines göttlichen Schöpfers nach striktem Ablaufplan in Gang gesetzt wurde und fortan nach mechanischen Gesetzen ablaufe. Der Schöpfer selbst freilich erscheint weitgehend entbehrlich, stete Eingriffe von seiner Hand sind in einer geregelten Natur nicht erforderlich, ja sogar unerwünscht. Die Vorstellung von Gott wird entpersonalisiert, er ist nicht mehr der gute Vater im Himmel, sondern der einstmalige, große Werckmeister‘, der das, Uhrwerk‘ des Kosmos geschaffen habe. Das mechanische Naturkonzept wird bevorzugt durch mathematische Modelle beschrieben, Beweise und Herleitungen, nach Art der Mathematik‘ (,more geometrico‘) werden zum methodischen Ideal aller Argumentation.

Wahrheit

Die wissenschaftliche Erschließung der Welt, der kosmischen wie der Lebenswelt, geschieht mit einem gewissen programmatischen Pathos. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass sich die Beteiligten darüber klar werden, dass sie Aufklärung betreiben, dass sie ihre Erkenntnisse mit dem Anspruch auf methodische Begründung und Absicherung erweitern. Daraus folgt weiter, dass sie eine Vorstellung von wissenschaftlich begründeter – und nicht durch Gott offenbarter – Wahrheit haben, dass sie den Prozess des Entdeckens und Lernens im Hinblick auf ein Ziel verfolgen, nämlich das letztlich, Wahre‘ herauszufinden. Aller Zweifel an der göttlichen Offenbarung und an der historischen Überlieferung, ferner alle Skepsis gegenüber nicht ausreichend begründeten Behauptungen haben einen gemeinsamen Fluchtpunkt: Es muss eine übergeordnete Wahrheit geben, die erkennbar, begründbar und insofern für alle Menschen letztlich verbindlich ist. In allen Debatten des Aufklärungszeitalters dient ein derartiger, hoch gewerteter Wahrheitsbegriff als leitendes Ideal. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird sich freilich herausstellen, dass die Hoffnung auf die eine, die einzige vernunftgestützte Wahrheit trügerisch ist, dass jede Methode letztlich aufgrund ihrer Voraussetzungen zu abweichenden Schlussfolgerungen führen kann und dass die philosophischen Auseinandersetzungen langfristig gar nicht zur Aufhebung von Gegensätzen beitragen, sondern vielmehr zur Vertiefung der bestehenden und zur Konstruktion immer neuer.

Kritik

Das konsensuelle Verfahren, ‚nichts zu glauben, alles zu prüfen‘, erzeugt aus sich selbst heraus beständiges Misstrauen gegen jede vermeintliche Wahrheit. Unter dem Begriff ‚Kritik‘ wird diese Infragestellung und Prüfung zur dominierenden Denk- und Argumentationsfigur; mit Formeln wie ‚unsere kritischen Zeiten‘ geht die Selbstdarstellung des Zeitalters reflektierend auf diesen Prozess ein. Diese aus der neuen wissenschaftlichen Frageweise abgeleitete Perspektive verschafft auch den literarischen Autoren ein erhebliches Selbstwertgefühl gegenüber der Tradition. Der Begriff ‚Kritik‘ eröffnet die Möglichkeit, aus bis dahin vermeintlich unzerstörbaren Kontexten auszubrechen und neue Wege zu gehen; er bezeichnet dabei nicht nur Ablehnung, sondern steht zugleich für wohlwollende und sachliche Prüfung, die freilich oft genug zu vernichtenden Urteilen über die herrschenden Zustände gelangt. Kritik zielt, im Guten wie im Bösen, auf Verbesserung der Lebensumstände und Sicherung des Erreichten, sie hat immer auch eine praktische Wirkungsabsicht, die in Abstimmung mit anderen zeitgenössischen Meinungen handlungsleitend wirken soll.

Öffentlichkeit

Die Bekanntmachung aller Kritik, ihre Unterstützung, Widerlegung oder abwägende Bewertung geschieht in einem allen zugänglichen Forum. Dies ist als zentrale Institution aller aufklärerischen Diskussionen anzusehen und stellt erstmals in der neuzeitlichen Geschichte Öffentlichkeit her. Im Gegensatz zu Versammlungen, an denen immer nur einige wenige Personen teilnehmen können und wo – vor der Einführung von Radio und Fernsehen – die gesprochene Rede eine mediale Beschränkung auf engsten Raum darstellt, wird die aufklärerische Öffentlichkeit durch schriftliche Äußerungen hergestellt. Dadurch reicht sie überall dorthin, wo gelesen und geschrieben wird; dieser Bereich endet erst an den Grenzen der Zivilisation. In der Öffentlichkeit erst entfaltet deshalb auch die Literatur der Aufklärung ihre epochentypische Wirksamkeit. Auf kleine Lektürezirkel kann und will sie sich nicht einschränken, sie tritt vielmehr auf als Medium der großen Debatten, sie bietet ihnen ein orts- und zeitunabhängiges Medienformat. Damit garantiert sie eine neutrale, für alle zugängliche demokratische Kommunikationsplattform. Literatur und Öffentlichkeit sind nicht voneinander zu trennen. Es ist nicht einmal zu entscheiden, ob die Öffentlichkeit der Literatur das Forum bietet, welches dieser erst zu ihrem Aufschwung verhilft, oder ob die Ausbreitung der Literatur von einer wachsenden Zahl von Zeitgenossen eine Beteiligung an dieser Kommunikation erzwingt und damit Öffentlichkeit herstellt.

Freiheitsgedanke

Die Erfahrung, dass auch im obrigkeitlich dominierten Staat die Öffentlichkeit als gesellschaftliche Formation beliebig vieler gleichberechtigter Glieder funktionieren könne, motiviert die Leserschaft immer weiter, sich am literarischen Prozess zu beteiligen. Forderungen nach republikanischen Verfassungselementen, nach allgemeinen Verfahren der Demokratie, ergeben sich daraus und verleihen der Literatur Wichtigkeit.

‚Was heißt Aufklärung’

Was im historischen Rückblick einfach und überschaubar erscheinen mag, geht aus der zeitgenössischen Diskussion keineswegs ohne Widersprüche hervor. Der Begriff ,Aufklärung‘ wird in kontroversen Auseinandersetzungen um deren Ziele und Erkenntnisverfahren problematisiert, den Rang einer allumfassenden öffentlichen Debatte erhält dieser Diskurs im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Einen Kristallisationspunkt stellt das Jahr 1783 dar, in dem Johann Friedrich Zöllner (1753–1804) in der Berlinischen Monatsschrift das ganze Konzept prinzipiell zur Debatte stellt, indem er seine Leser auffordert, zu der Frage ‚Was ist Aufklärung?‘ Stellung zu beziehen. In der Geschichtsschreibung zur Epoche gilt dieser Aufruf als Krisenzeichen, ja geradezu als Infragestellung, was den Umschlag des Aufklärungsoptimismus in eine zutiefst verstörende Reflexion markiere. Unter den zahllosen Einsendungen, die die Redaktion der Monatsschrift als Antwortvorschläge erhält, setzen sich vor allem die Argumente des Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) durch. Seine Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? gilt als einer der Schlüsseltexte zur Selbstbesinnung von Aufklärung im deutschsprachigen Raum. Die folgenden Zitate sind als Leitthesen zu verstehen, die bis heute in diesem Zusammenhang allgemein geläufig sind:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. (Kant 1977, 53)

Selbstdenken

Das Vorbild eines Aufklärers ist der, Selbstdenker‘, wie er als Ideal aus Kants Bestimmung hervorgeht. Es wird darauf vertraut, dass die Natur des Menschen die Neigung zum Selbstdenken einschließe und dass sich auf diese Weise ein Selbstaufklärungsprozess unwiderruflich ergeben und immer fortschreiben müsse:

Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden […] (ebd., 54).

Das Prozessuale des Denkens wird hier gegenüber dem bloßen Ergebnis aufgewertet. Das Ergebnis des Nachdenkens ist nicht allein erstrebenswert, die permanente Bemühung um richtige Einsichten, der Verlauf der Wahrheitssuche und die beharrliche Motivation zur Berichtigung haben den höheren Wert:

Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. (Lessing 1886 X, 49)

Der Berliner Philosoph Moses Mendelssohn (1729–1786) äußert sich ebenfalls zu Zöllners Problemstellung. Sein Aufsatz Über die Frage: was heißt aufklären? stellt die Frage nach der Entstehung von Kultur im Prozess der Aufklärung, unter anderem untersucht Mendelssohn den Anteil, den die Schöne Literatur daran hat. Anders als Kant, der in der Tradition der von der Philosophie beherrschten Gelehrsamkeit verharrt, sieht Mendelssohn die herkömmliche Verbindung von Literatur und wissenschaftlich-philosophischer Aufklärung aufgehoben. Er greift damit bereits der zukünftigen Auffassung von autonomer Kunst vor, wie sie in den klassizistischen Konzepten der Weimarer Klassik entworfen werden wird. Die Künste erzeugen Kultur, so lautet Mendelssohns Tenor, nur die eigentliche Wissenschaft hingegen Aufklärung im engeren Sinne:

Bildung zerfällt in Kultur und Aufklärung. Jene scheint mehr auf das Praktische zu gehen: auf Güte, Feinheit und Schönheit in Handwerken, Künsten und Geselligkeitssitten (objektive); auf Fertigkeit, Fleiß und Geschicklichkeit in jenen, Neigungen, Triebe und Gewohnheit in diesen (subjektive). Je mehr diese bei einem Volke der Bestimmung des Menschen entsprechen, desto mehr Kultur wird demselben beigelegt; so wie einem Grundstücke desto mehr Kultur und Anbau zugeschrieben wird, je mehr es durch den Fleiß der Menschen in den Stand gesetzt worden, dem Menschen nützliche Dinge hervorzubringen. – Aufklärung hingegen scheinet sich mehr auf das Theoretische zu beziehen. Auf vernünftige Erkenntnis (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernünftigen Nachdenken über Dinge des menschlichen Lebens nach Maßgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen. (Mendelssohn 1784, 194)

Optimismus

Die Weltauffassung traditioneller Aufklärung richtet sich immer auf eine Zukunft, und ihr Zukunftsentwurf ist zu Beginn grenzenlos optimistisch. Ein Geschichtsbild voller Fortschrittssicherheit entsteht, es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Glücksanspruch aller Menschen verwirklicht werden könne. Aus dieser optimistischen Grundhaltung heraus kann die Gemeinschaft der Aufklärer zunächst unbeirrt für ihre Sache eintreten und ihren Wirkungskreis ausdehnen. Thomasii Vision einer allgemeinen, allseitigen Beteiligung von „allen Leuten/sie mögen seyn von was für Stande oder Geschlecht“ (Thomasius 1711, 12), scheint anfangs realisierbar, abhängig allein vom Einsatz und festen Willen der Akteure. Leibniz’ philosophische Beweisführung, dass der Mensch in der besten aller möglichen Welten lebe, besänftigt auf einer abstrakten Ebene weitgehend die Einwände und Zweifel: Da Gott allmächtig sei und keine Fehler mache, müssten die Mängel der Welt – wie Krankheit und Unglück – als ihr unumgänglicher Bestandteil angesehen werden. Die Lehre von den unvermeidlichen Mängeln des menschlichen Lebens (‚Theodizee‘) gilt damit als entproblematisierende Deutung der Geschichte, die Menschen leben in der ‚besten aller möglichen Welten‘.

Maßstab Mensch

Während, Natur‘ als Gesamtsystem ein Modell für die ganze bekannte – und unbekannte, das heißt in optimistischen Spekulationen entworfene – Welt abgibt, wird zum Maßstab allen irdischen Handelns der Mensch erhoben. Eine Sentenz wie der Vers „the proper study of mankind is man“ aus Popes Lehrgedicht Essay on Man (1734) verleiht dieser Auffassung repräsentativ Ausdruck. „Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maß und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemühungen […]“ (Mendelssohn 1784, 194 f.) lautet die anthropozentrische Begriffsbestimmung von ‚Aufklärung‘ auch bei Mendelssohn. Der bereits zitierte Schlosser entfaltet kongeniale Gedanken: „Die Aufklärung soll also die Menschen zuerst darüber erleuchten; was ist das Glück der Menschen?“ (Schlosser 1785, 90) Diese Aufwertung des Menschen bekräftigt aus anderer Perspektive erneut die Ablösung der Theologie als Leitwissenschaft: Nicht der himmlische Maßstab sondern der menschliche konstituiert fürderhin die Handlungs- und Bewertungsgrundlage. Unbestritten bleibt in der deutschen Aufklärung freilich das christliche Weltbild schlechthin; die Neuorientierung am Menschen bestreitet weder die göttliche Ordnung noch die Geltung der christlichen Moral. Im Gegenteil, die Literatur findet eines ihrer wichtigsten Themen in der Untersuchung des menschlichen Wesens und seines Verhältnisses zu Natur und Religion.

Perfektibilität

Der Optimismus prägt das Menschenbild der Aufklärung nachhaltig. Da der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, habe er in vielerlei Hinsicht Anteil an den Eigenschaften des Schöpfers. Weil eine unterstellte universelle Vernunft in Gott nicht nur den, großen Werckmeister‘, sondern zugleich den größten Verstand, den allwissenden und allverstehenden Geist vermuten lässt, ist der menschliche Verstand als kleineres Abbild desselben zu begreifen. Zwar wird menschlicher Vernunftgebrauch demjenigen Gottes nie gleich sein können, doch sind alle Erkenntnisfortschritte in den Augen der Aufklärer potentielle Annäherungen an Gottes Allwissen. Unter der Voraussetzung, dass innerhalb weniger Jahrzehnte ein ungeahnter Wissensaufschwung möglich war, scheinen Grenzen der menschlichen Erkenntnis zunächst kaum denkbar. Der Mensch kann und wird sich beständig verbessern, er ist mehr oder weniger umfassend lernfähig, in der optimistischen Auffassung des Zeitalters: verbesserungsfähig. Die Feststellung Wagners, Fausts Famulus in Goethes Drama, dass die Menschheit es doch erstaunlich weit gebracht habe, repräsentiert im positiven Sinne eine konsensuelle Meinung der Aufklärung. Erst retrospektiv erscheint diese Zufriedenheit, ja Erfolgstrunkenheit eitel und borniert und kann schließlich nach 1800 von kritischen Köpfen nur noch mit Ironie gelesen werden.

Skepsis

Das Denkmuster der Kritik und der Glaube an eine unbegrenzte Fortschrittsoption erweisen sich also nicht immer als fortwährend steigerungsfähig und können selbst problematisch werden. Fragen nach dem Sinn permanenter Hinterfragung und sich steigernder Kritik der Kritik im Namen einer zerfleischenden Wahrheitsliebe verbreiten zunehmend ein Gefühl von Verunsicherung und endloser Suche. Mit der Diskussion, die von Zöllners Frage ‚Was ist Aufklärung?‘ angeregt wird, kommt die ungebrochenene Aufwärtsentwicklung der deutschen Aufklärung in den Jahren nach 1783 zu einem ersten Abschluss; eine Phase der reflexiven Standortbestimmung schließt sich an. Skepsis und der Wunsch nach Rückbesinnung auf verlässliche Fundamente markieren diese erste Krise der Aufklärung, sowie die wachsende Überzeugung, dass Aufklärung nicht automatisch menschenfreundliche Auswirkungen hat, sondern problembewusster Kontrolle bedarf:

Ich möchte zum Zeichen für Aufklärung das bekannte Zeichen des Feuers (∆) vorschlagen. Es gibt Licht und Wärme, es [ist] zum Wachstum und Fortschreiten alles dessen was lebt unentbehrlich, allein – unvorsichtig behandelt brennt es auch und zerstört auch. (Lichtenberg 1968, 790)

Ambivalenz

Dieses Diktum Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799) markiert als eines unter vielen das neu erwachende Bewusstsein von Ambivalenz. Zu einem Prüfstein wird die Französische Revolution; als sie in die Terrorherrschaft der Jakobiner übergeht, sehen viele Zeitgenossen die hohen Ideale der Aufklärung verraten und wenden sich von den Revolutionsideen ab. Man deutet die Ereignisse als Auswuchs instrumenteller Rationalität, die sich nicht mehr vernünftig kontrollieren lässt. Umso wichtiger erscheint es den deutschen Aufklärern, sich über die Pflege des Erreichten zu einigen und einen gemäßigten Kurs allgemeiner Aufklärung zu verfolgen.

Grenzen der Aufklärung

Die Erfahrung der Pariser Terrorherrschaft bewegt viele Zeitgenossen in Deutschland, Grenzen für die Herrschaftsansprüche der unbeschränkten Vernunft einzufordern. Diese Diskussion hält im Prinzip bis heute an, denn die ‚Dialektik der Aufklärung‘, wie sie 1944 Max Horkheimer und Theodor Adorno darstellen, dokumentiert die unmenschliche Zerstörungskraft radikalisierter Aufklärung: Im technizistischen Rationalisierungs- und Machbarkeitswahn beschädigt die Menschheit sich selbst und ihre Lebensbedingungen irreversibel. Im Laufe der deutschen Literaturgeschichte hat es deshalb immer wieder Gegenbewegungen gegen aufklärerische Tendenzen gegeben. So wendet sich beispielsweise die romantische Literatur gegen die Verstandesorientierung der Aufklärung und kehrt in vielen Variationen zurück zu religiösen Bekenntnissen.

Einführung in die Literatur der Aufklärung

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