Читать книгу Der Mörder gibt ein Rätsel auf - Rainer Ballnus - Страница 3

Tatort Flensburg

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Ein Baby-Mord in einer Unternehmerfamilie. Ein grausamer Säuglingsmord, wie es ihn in Deutschland bisher nur einige Male gab. Der Chef-Ermittler in der Mordkommission spürt, wie ihn seine eigene schicksalhafte Vergangenheit einzuholen droht. Er überdenkt seine Ehe, entdeckt nie gekannte Gefühle zu einer anderen Frau. Und dann noch ein Missgeschick und ein erneuter Mordversuch – alle Spuren platzen wie Seifenblasen. Erst ganz am Schluss gelingt es der Mordkommission, das Rätsel zu lösen.

Diesem spannenden Krimi liegt ein authentischer Fall zu Grunde.

Sommer. Endlich Sommer. Seit fast zwei Wochen schien ununterbrochen die Sonne und heute Morgen meinte sie es besonders gut, denn die wärmenden Strahlen knallten unbarmherzig in das prächtig und fast ein wenig protzig eingerichtete Büro von Norbert Eichstätt. Da hatte es selbst die moderne Klimaanlage nicht leicht, die Temperaturen erträglich zu gestalten.

Eichstätt stand stöhnend auf, ging ans Fenster und wollte per Knopfdruck die Außenjalousie hinunterlassen, doch die Elektronik streikte. Leise vor sich hinfluchend ließ er sich wieder in seinen mächtigen Bürosessel fallen und schaute auf den riesigen Aktenberg auf seinem mondänen Schreibtisch. Für ihn gab es keinen Sommer, für ihn schien keine Sonne. Er hatte kein Auge für die in voller Blüte stehenden Rosen in dem gepflegten Steingarten vor dem Bürohaus, hörte nicht das fröhliche Vogelgezwitscher in den Baumwipfeln mit den sattgrünen Blättern. Im Herzen des Sohnes vom Brauereiunternehmer Viktor Eichstätt sah es finster aus. Bislang hatte er seine homosexuellen Neigungen vor der Familie geheim halten können, doch jetzt stand er vor der Entscheidung, seinen Freund zu heiraten. Doch er wusste nicht, wie er das seinen Eltern beibringen sollte. Vor allem seinem Vater! Der würde ihn bestimmt enterben und eine Nachfolge als Chef des Unternehmens konnte er sich dann natürlich abschminken.

Widerwillig griff er nach der zuoberst liegenden Akte und wollte sich gerade in diese vertiefen, als es an der Bürotür klopfte. Norbert Eichstätt zuckte zusammen.

Noch bevor er etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür und seine Schwester Yasmine trat ein.

„Guten Morgen, Nobby, ich bringe dir dein leichtes Jackett. Du hattest es gestern Abend bei uns liegen lassen. Es wird bestimmt heiß, und da dachte ich…“

„Schon gut, Schwesterlein. Ich danke dir, aber es war nicht nötig, denn wie du siehst, arbeite ich heute ohnehin nur im Hemd – bei der Hitze. Da hatte sogar unser Vater ein Einsehen und allen eine Marscherleichterung genehmigt“, unterbrach Norbert Yasmine lächelnd.

Er war aufgestanden und ihr entgegengegangen. Sie schmollte ein wenig.

„Ich dachte, ich würde dir was Gutes tun, und da kommt mir Vater zuvor.“

Er spielte ihr Spiel mit und nahm sie in den Arm.

„Yasmine, Liebes, ist ja gut“, tröstete er sie und streichelte ihr liebevoll über die Wange. Sie schaute spitzbübisch zu ihm hoch.

„Mach’ nicht so lange heute, Nobby. Chris meinte, wir könnten doch alle am Abend noch mal ins Meer springen, bei den Temperaturen.“

Yasmine wartete keine Antwort ab, trat einen Schritt zurück.

„Du gefällst mir gar nicht, Bruderherz. Als ich rein kam, habe ich dein Gesicht gesehen. Es sah so aus, als sei dir eine ordentliche Laus über die Leber gelaufen. Gibt es etwas, was ich wissen sollte?“

„Nichts, Yasmine, wirklich, nichts.“

Norbert Eichstätt versuchte es mit einem Lächeln, doch er merkte selbst, dass es etwas verkrampft wirkte. Aber sie gab nicht so leicht auf.

„Nobby, was ist los? Mach’ mir bitte nichts vor. Ist es unser Vater, der dich mal wieder ärgert, oder ist es Chris, der ja sowieso andauernd was zu nörgeln hat? Spuck’s aus, alter Junge.“

Yasmine kam ganz dicht an ihren Bruder heran, doch er trat hinter seinen Schreibtisch zurück und ließ sich auf den Bürosessel fallen. Für einen Moment dachte er daran, seiner Schwester die Wahrheit zu sagen, doch dann entschloss er sich zu lügen. Mit der rechten Hand zeigte er auf einen riesigen Aktenberg, offenbar noch unbearbeitet.

„Es ist das Geschäft, Yasmine. Der Umsatz, er stagniert, und Vater will das einfach nicht wahrhaben. Wenn wir künftig nicht aufpassen, dann…“ Weiter kam er nicht, denn es klopfte erneut. Es war die Sekretärin, die den Morgenkaffee brachte.

„Guten Morgen, Frau Eichstätt, möchten Sie auch einen?“

„Nein, danke, ich werde mir lieber in der Stadt ein Eis gönnen – schön im Schatten.“

Als sie wieder allein waren, stellte sich Yasmine auf ihre Zehenspitzen, drückte ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange und ging. Sie war beinahe aus der Tür, da fragte Norbert, schon halb auf seinem Stuhl sitzend:

„Wo ist eigentlich Cyril-Amadeus?“

„Höre ich da etwa Eifersucht aus deiner Stimme?“, fragte sie verschmitzt lächelnd zurück.

„Quatsch! Aber ich hätte es mir ja denken können. Vater sollte sich lieber um die Bilanzen kümmern als mit seinem Enkel zu schmusen“, wiegelte er ab.

„Du weißt doch, wie vernarrt Vater in ihn ist. Der würde ihn doch am liebsten schon heute…“

„Auf den Chefsessel hieven, ich weiß!“, beendete Norbert ihren Satz.

Sie lächelte und meinte ein wenig ironisch: „Na siehst du, dann ist ja wenigstens alles klar und Chris und du, ihr müsst euch nicht darum streiten!“ Sprach’s und schloss die Bürotür.

Es war gut, dass Yasmine den Gesichtsausdruck ihres Bruders nicht mehr sehen konnte.

Sie trat einige Schritte von der Staffelei zurück und warf einen prüfenden Blick auf das neu entstehende Bild, einen Strauß bunter Blumen in einer elegant geschwungenen Vase. Den Kopf leicht hin- und herwiegend tauchte sie den Pinsel in einen der vielen Farbtöpfe, trat wieder dicht an das Bild heran und tupfte zart, sehr zart einen Farbklecks auf eine rosafarbene Blüte. Und wieder ging sie ein paar Schritte rückwärts, bemerkte nicht, dass Chris, ihr Schwiegersohn, durch die offene Tür das Atelier betreten hatte, stolperte über ein paar verstreut am Boden liegende Malutensilien, geriet ins Straucheln und wurde von Chris aufgefangen, ganz sanft. Er hatte seiner Schwiegermutter hierbei von hinten unter die Arme gegriffen und wie von selbst seine Hände knapp unterhalb der Brüste zusammengenommen.

„Das ist ja noch einmal gut gegangen“, meinte er lächelnd und Barb Eichstätt schien sich in dieser augenblicklichen Lage nicht unwohl zu fühlen, denn sie verharrte einen Moment länger als nötig in der Position. Ganz langsam löste sie sich aus der Umarmung und drehte sich zu ihrem Schwiegersohn um.

„Warum bist du eigentlich gerade immer dann zur Stelle, wenn es wichtig wird?“

„Du weißt doch, ich bin der Mann für alle Fälle!“, gab er leicht ironisch zurück und nahm sehr vorsichtig eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und legte sie sanft hinter ihr rechtes Ohr.

„Ach, und dazu gehört wohl auch, dass du deiner Frau ein Kind gemacht hast, was?“

Sie wusste genau, dass sie ihn damit treffen konnte.

„Dir macht es wohl offenbar riesigen Spaß, mir diesen Fehlschuss immer wieder unter die Nase zu reiben!“

Seine Stirn zeigte leichte, aber doch sichtbare Zornesfalten.

„Es gibt eben dumme Fehler, die nicht verzeihbar sind. Du bringst es noch fertig, und Yasmine wird wieder schwanger!“, konterte sie, doch sofort nach dieser kleinen Giftspritze trat sie auf ihn zu und streichelte ihm versöhnlich über die Wange.

„Du weißt es doch: Kinder schaden der Karriere, mein Lieber.“

Chris fasste ihre Hand, die immer noch an seiner Wange lag.

„Es ist nun mal so, wie es ist“, meinte er lakonisch. Barb Eichstätt löste sich energisch von ihm und meinte spöttisch: „Ach, der Herr ergibt sich in sein Schicksal.“

Chris Eichstätt, der den Familiennamen seiner Frau angenommen hatte, winkte mit der Hand ab und verließ ihr Atelier. Schon in der offenen Tür stehend, drehte er sich noch einmal zu ihr um und meinte resigniert: „Weißt du denn was Besseres?“

Die Frau des Unternehmers schaute ihm mit einem viel sagenden Lächeln hinterher.

Das Telefon läutete ununterbrochen; das Handy auf dem Schreibtisch vibrierte, doch das interessierte Viktor Eichstätt nicht im Geringsten. Er brauste mit dem Kinderwagen in seinem riesigen Büro hin und her und war geradezu verzückt von dem Gejauchze des Babys. Der Unternehmer hatte seine Umgebung völlig vergessen und auch als die Sekretärin es nach mehrmaligem Anklopfen wagte, die Tür ausnahmsweise ohne das gewohnte ‚Herein’ zu öffnen, musste sie sich erst lautstark bemerkbar machen, um zu sagen, dass ein wichtiger Kunde in der Leitung ‚hänge’.

„Lassen Sie ihn hängen, Frau Brodersen, lassen Sie ihn hängen! Sie sehen doch, dass ich gerade einen sehr wichtigen Besucher habe oder etwa nicht?!“ Augenzwinkernd machte er seiner Sekretärin deutlich, dass sie den Kunden vertrösten und ihn mit dem Enkel allein lassen sollte. Bärbel Brodersen war einiges gewohnt, aber sie wusste auch um den momentanen wirtschaftlichen Einbruch im Unternehmen und dachte dabei natürlich an ihren Job. Ihr musste also schon wieder eine triftige Ausrede dafür einfallen, dass der Chef sehr bald zurückrufen würde.

Kaum hatte sie das Büro ihres Bosses verlassen, den sie über alles schätzte und auf den sie nichts, aber auch gar nichts kommen ließ, da klopfte es an ihrer Tür zum Vorzimmer und gleich darauf trat Yasmine ein, beschwingt und offenbar gut gelaunt.

„Hallöchen, Bärbel, wie steht’s, wie geht’s? Hat mein Dad schon wieder die Erde erreicht oder schwebt er immer noch auf ‚Wolke Sieben’?“

„Ach hören Sie bloß auf, Yasmine! Wenn Ihr Vater sich so um seine Kunden kümmern würde wie um seinen Enkel, dann bräuchten wir uns alle weniger Sorgen zu machen.“

„Ist es denn wirklich so schlimm?“

Die Sorgen in der Stimme der Sekretärin waren nicht zu überhören.

„Wenn Sie wüssten, Yasmine, aber ich bin ja nur die kleine Angestellte, und was versteht die denn schon vom Geschäft, nicht wahr!?“

Yasmine war klar, auf wen sie anspielte, natürlich auf Chris, ihren Mann, der die kleinen Mitarbeiter gern übersah und sie oft spüren ließ, dass sie keine Meinung ungefragt zu äußern hätten. Die Tochter des Unternehmers zuckte mit den Schultern, so als wolle sie sagen: ‚Sie haben ja recht, aber was soll ich tun?’

Für einen kurzen Moment legte sie ihre Hand auf Bärbels Schulter und betrat ohne anzuklopfen das Heiligtum ihres Vaters. Der hatte seinen Enkel gerade aus dem Wagen genommen und ihn unter lautem Gekreische hoch geworfen und wieder aufgefangen.

„Wenn du ihn weiter so verwöhnst, dann kann aus Cyril-Amadeus ja gar nichts werden“, meinte Yasmine lächelnd. Sie sprach ihren Sohn immer komplett mit dem Doppelnamen an und ärgerte sich, wenn andere in ihrer Familie das nicht taten.

„Ach weißt du Yasmine, der Kleine ist mein Ein und Alles, und am liebsten würde ich ihn schon heute auf meinen Stuhl setzen. Du weißt doch, wenn zwei sich streiten…“

„Aber Papa, du kennst doch meine Meinung, wie ich zu der Übernahme der Geschäftsleitung stehe. Ich liebe Chris, aber als Chef deiner Brauerei, das kann ich mir im Augenblick bei ihm nun überhaupt nicht vorstellen.“

Das war ihre ehrliche Ansicht. Und auch gegenüber ihrem Mann machte sie keinen Hehl daraus. Natürlich wusste sie auch, wie er darüber dachte, und gelegentlich kam es deswegen auch zum Streit zwischen den beiden, manchmal recht heftig sogar.

„Am liebsten wäre es mir, wenn du…“

„Hör’ auf damit, Papa!“, unterbrach Yasmine ihren Vater mit strengem Blick. „Du weißt, ich möchte einen ganzen Sack voller Kinder, wenn auch durch Adoption und beides geht nicht!“

Ihr Vater schaute sie nachdenklich an, liebkoste seinen Enkel und legte ihn behutsam in den Kinderwagen zurück, doch das gefiel diesem gar nicht und er zeigte seinen Unmut mit lautem Gezeter.

„Vielleicht überlegst du dir das doch noch mal“, meinte er und sie hörte etwas Trauriges in seiner Stimme. „Oder ich warte, bis du soweit bist, nicht wahr, Cyril-Amadeus?!“

„Aber Paps, du hast doch einen Sohn, wenn ich dich daran erinnern darf. Trau’ ihm doch einfach was zu. Er hat ‚Biss’ und auch das Können, glaub’ mir.“

Sie trat dicht vor ihren Vater. Auch bei ihm musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihm einen Kuss zu geben, schnappte sich den Kinderwagen mit dem immer noch protestierenden Sohn und verließ eilig das Büro. Sie hörte nicht mehr die leise Stimme ihres Vaters, als er sich auf seinen Bürosessel fallen ließ: „Wenn ich nur wüsste, wie ich sie überzeugen könnte.“

Er tat das, was er immer machte, wenn er nichts zu tun hatte: Kreuzworträtsel lösen. Gleich hatte er es geschafft. Mit einem kleinen Quäntchen Glück könnte diesmal ein DVD-Player als Gewinn herausspringen. Der arbeitslose Elektriker zuckte mit den Schultern.

„Wann hatte ich zum letzten Mal im Leben Glück gehabt?“, murmelte er vor sich hin, steckte den Lösungsbogen in einen Briefumschlag und verschloss ihn sorgfältig.

Der Mann schaute sich in seiner 30 qm kleinen, bescheidenen Mansardenbude in Flensburg-Harrislee um. Sein Blick war traurig. Was war nur aus ihm geworden. Vor knapp elf Jahren hatte er so ziemlich alles verloren, was Lebensqualität bedeutet, seine Arbeit, seine Frau und auch seine Kinder, die er nach der Scheidung nie wieder gesehen hatte. Es war seiner Ex-Frau gelungen, ihn in den Augen seiner beiden Mädchen als einen brutalen Schläger hinzustellen, der es nicht verdient hatte, Vater genannt zu werden. Anfangs hatte er aufbegehren wollen und bitterböse Briefe geschrieben sowie gerichtlichen Beistand gesucht und nicht erhalten. „Das Gericht kann Ihnen kein anteiliges Sorgerecht zusprechen“, hatte damals die Richterin gemeint. „Schließlich haben Sie Ihre Frau krankenhausreif geschlagen und sind ohne Arbeit“, war ihre beißende Begründung gewesen. So etwas konnte auch nur eine Frau sagen. Seine mehrfachen Befangenheitsanträge gegen diese Richterin waren natürlich abgeschmettert worden. Und in der Zeit danach, da war es nur noch bergab gegangen mit ihm. So richtig in Arbeit gekommen war er nicht mehr; immer mal wieder Gelegenheitsjobs, aber nie etwas Festes.

Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, den Verlust seiner letzten Arbeitsstelle selbst verschuldet zu haben. Aber das war ja nicht aus irgendeiner Laune heraus geschehen. Diese arroganten Herren in der Chefetage, die waren mit ihm mehr als mies umgegangen. Gelegentlich klopfte er sich noch heute stolz auf die Schulter, wenn er daran dachte, was er alles daran gesetzt hatte, diese lausigen Typen von der Geschäftsleitung in der Zeit nach seinem Weggang aus der Fassung zu bringen. Rache war sein Motiv. Gewiss, ein primitiver Beweggrund, aber seine Aktionen hatten Wirkung gezeigt. Er war sich nicht zu schade gewesen zu schnüffeln und dabei herauszufinden, dass der Sohn des Unternehmers schwul war und seine sexuelle Befriedigung in entsprechenden Kreisen suchte. Seine Erpressungen brachten ihm zumindest eine kleine Aufbesserung seiner Stütze. Sein Gefühl, nicht zu hohe Schweigesummen zu kassieren, war richtig gewesen, denn es wurden ohne größeres Murren mal 2000, mal 1500 Mark und nach der Währungsumstellung gelegentlich auch 1500 € gezahlt, immer wieder an ein und derselben Stelle im Kaufhaus in der Fußgängerzone in Flensburg.

Mit den Erpressungen hatte er erst begonnen, als seine Frau ihn aus der gemeinsamen Wohnung hinausgeworfen hatte, sogar mit der Polizei. ‚Wegweisung’ nannten diese Typen das. Und warum? Nur, weil seine Frau so sauer gewesen war, als er die Arbeit ‚geschmissen’ hatte. Mein je, war sie da ausgerastet und hatte ihn in der übelsten Fäkaliensprache beschimpft, ihn als jämmerlichen Versager niedergemacht. Da war es eben geschehen. Er hatte rotgesehen und zugeschlagen, nicht nur einmal. Es wäre durchaus auch möglich gewesen, dass seine Frau diese Attacke nicht überlebt hätte. Sehr wahrscheinlich hatte sie das Klingeln an der Wohnungstür gerettet. Wie sich später herausstellte, war es ein Nachbar gewesen, der nach ein paar Eiern gefragt hatte.

Ja und dann gab es eine äußerst prekäre Situation in seinem Leben für ihn selbst, nach der er zum Erpressten wurde und ausgerechnet von den Menschen, die ihm übel mitgespielt hatten und von denen er einen damals erpresst hatte. Er nannte das die Ironie des Schicksals.

Der Mann stand stöhnend von dem einfachen Holzstuhl auf, trank einen Schluck des schon abgestandenen Bieres aus einem völlig verschmutzten Glas und wollte zur Tür gehen, um den Brief mit dem gelösten Rätsel in den Briefkasten zu befördern, da schrillte sein uraltes Telefon, noch mit einer Drehscheibe ausgestattet. Das hatte ihm ein ehemaliger Kollege mitleidsvoll überlassen. Er drehte sich zu der zerkratzten Anrichte um, auf der das Museumsstück stand, war kurz unschlüssig, ob er rangehen sollte oder nicht. Schließlich nahm er doch den schweren Hörer von der Gabel und sagte: „Ja!“

Nach wenigen Sekunden musste er schlucken. „Sie? Was wollen denn Sie von mir?“

Wenn er eines hasste, dann waren das Staus. Jörg Wartefuhl trommelte mit seinen Fingerkuppen auf das Lenkrad, nicht zum Takt einer Musik aus dem Radio, nein, er war genervt. Der Chef der Mordkommission in Flensburg wollte nach Hause. Ein langes Wochenende stand ihnen bevor. Und das hatten seine Frau und er bitter nötig. Nicht, weil er zu viel zu tun hatte. Ganz im Gegenteil, seit einem halben Jahr gab es für die Mitarbeiter im Kommissariat wenig zu tun und alle fragten sich, ob das wohl die Ruhe vor dem großen Sturm sei. Dabei hatten sie keine Langeweile, insbesondere deshalb nicht, weil seine Truppe von sich aus vorgeschlagen hatte, sich alte, noch immer ungelöste Fälle vorzunehmen. Ihn hatte es gefreut, dass sie selbst auf diese Idee gekommen waren. Sie waren ‚ganz heiß’ darauf gewesen, eventuell in dem einen oder anderen Fall doch noch Licht ins Dunkle zu bringen. Und es hatte sich schon mehr als einmal gelohnt. Außerdem konnten sie alle in der letzten Zeit den riesigen Berg an Überstunden, den jeder vor sich herschob, zu einem guten Teil abbauen.

Nein, nein, er musste das lange Wochenende nicht dafür nutzen, um sich von der Arbeit zu erholen. Er brauchte fast jede freie Minute, um etwas aufzuarbeiten, was sie beide, aber vor allem seine Frau immer noch zutiefst belastete.

Auf Jörgs Stirn bildeten sich augenblicklich Zornesfalten. Vor ihm schlich ein Auto mit dem Kennzeichen OH. Stimmt also doch, dachte er grimmig, was ich letzte Woche gehört habe, als mir jemand das OH-Kennzeichen übersetzte: Ohne Hirn. Der Chef-Ermittler drückte derart stark und lang anhaltend auf seine Hupe, dass er den Gummi beinahe durchstoßen hätte. Wild fluchend zog er rechts an dem Wagen mit dem trödelnden Fahrer vorbei, schenkte ihm noch einen kopfschüttelnden Blick und dann war er auf der Ausfallstraße nach Glücksburg. Ganze elf Jahre wohnten sie in dem reizvollen Ort, eigentlich konnte man auch Örtchen sagen, weil er so überschaubar, so anheimelnd war. Doch Glück gebracht hatte dieses schöne Fleckchen Erde seiner Frau und ihm nun wahrlich nicht. Allein diese jetzt wieder aufkommenden Gedanken ließen seine Augen feucht werden. Wie oft hatte er das in der Vergangenheit schon erlebt, aber er schaffte es immer noch nicht, eine professionelle Distanz zu dem damaligen Geschehen einzunehmen, das sie beide, aber vor allem seine Frau, beinahe aus der Bahn geworfen hätte.

„Schatz, dieses kleine Haus ist für uns wie geschaffen, für uns beide und für unsere vielen, vielen Kinder, die hier eines Tages unbeschwert herumtollen werden“, hatte Karin gesagt, als sie damals vor diesem ‚Knusperhäuschen’ standen und die Wahl hatten, es zu mieten oder zu kaufen. Die Entscheidung war für das Mieten gefallen. Er war sich damals noch nicht ganz sicher, ob hier in Flensburg seine berufliche Karriere als Chef der MK, wie das Kommissariat für Tötungsdelikte allgemein genannt wird, beendet sein würde. Mit 39 Jahren gehörte man schließlich noch nicht zum ‚Alten Eisen’, und er konnte sich schon noch eine Ausbildung zum ‚Höheren Dienst’ und damit eine Verwendung als Leiter einer Kriminalinspektion vorstellen, theoretisch zumindest. Aber praktisch? Seine Gedanken wanderten wieder zu Karin. Ja Karin, er musste unwillkürlich seufzen. Vor einer knappen halben Stunde hatte sie noch bei ihm angerufen und gedrängelt: „Komm’ nach Hause, Schatz. Du weißt, ich brauche dich.“

Ja, sie brauchte ihn wirklich. Seine Gefühle waren zwiespältig. Einerseits machte es ihn glücklich, dass Karin seine Nähe, seinen Beistand suchte und er ihr so eine Stütze sein konnte und dabei immer wieder ihre große Dankbarkeit erlebte. Auf der anderen Seite fragte er sich, wie lange das noch so gehen sollte. Wie lange würde er noch die Kraft aufbringen können, ihrer Depression so zu begegnen, dass sie ohne eine stationäre Therapie aus den vielen, vielen Tiefs immer wieder herausfinden konnte? Und wie lange hatte seine Frau selbst noch die Kraft dazu? Seine Gedanken wurden abrupt durch das Klingeln seines Handys in der Freisprechanlage unterbrochen. Auf dem Display war zu lesen: „Werner Hansen“. Werner war sein Vertreter, ein Kollege, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte. Wenn er sich meldete, dann hatte das seinen Grund.

„Na, Werner, kommt jetzt der Sturm, auf den wir so lange gewartet haben?“

„Glaub’ nicht, Jörg, und ich bin mir auch nicht sicher, ob du das wissen musst. Ich weiß ja, dass Karin dich…“

„Stopp, alter Junge! Was hatten wir abgemacht? Wenn es knallt, dann…“

„Na ja, geknallt hat es eigentlich in unserem Sinne gar nicht, es ist eher etwas zum Schmunzeln. Und ich denke, du solltest es dir zumindest mal anhören“, unterbrach ihn sein Vertreter.

„Na, dann schieß mal los, ich bin ganz Ohr!“

Der Arbeitslose zündete sich eine Zigarette an. Er saß in der Schrottkiste seines Kumpels auf dem Beifahrersitz, schwitzte und hielt ein Rätselheft auf seinen Knien. Der Innenraum dieser Rostlaube strotzte vor Dreck und das widerte ihn an. Außerdem stank dieser Mensch aus allen ‚Knopflöchern’. Doch obwohl er sich mit solchen Typen im Allgemeinen nicht abgab, konnte er im Augenblick nicht auf ihn verzichten. Der leidenschaftliche Kreuzworträtsler hatte etwas vor, was ihm eine gehörige Portion Geld einbringen würde. Und für diesen Job brauchte er nun mal jemanden, der ihm die Drecksarbeit abnahm. Und leider erlaubte es seine momentane Lebenssituation nicht, sich für diese Art von Arbeit einen Menschen auszusuchen, der ihm sympathisch war. Und dieser Asoziale neben ihm hatte auch sein Gutes. Er war absolut zuverlässig und konnte sein Maul halten, war also nicht so geschwätzig wie andere, die nach einem gedrehten Ding, das am nächsten Tag in der Zeitung nachzulesen war, nichts Besseres zu tun hatten, als damit zu prahlen. Solche Typen waren einfach zu dämlich zu begreifen, dass es unter ihresgleichen auch Neider gab und wenn dann noch eine Belohnung ausgesetzt war, dann konnte sie niemand davon abhalten, selbst ihren besten Kumpel zu verpfeifen. Nein, so ein Mensch war sein Nebenmann auf dem Fahrersitz nicht. Aber dafür hatte er noch eine Eigenschaft, über die er selbst nicht verfügte und die jetzt für seinen Job dringend benötigt wurde: Er kannte keine Skrupel. Als er darüber ernsthaft nachdachte, auf diese miese und feige Art Geld zu verdienen, kamen ihm schwerste Bedenken. Einige Male war er vor den Spiegel getreten, hatte den Kopf geschüttelt und gemurmelt: „Soweit ist es also mit dir gekommen.“

Aber die Gier nach dem Geld hatte ihn auf den teuflischen Gedanken gebracht, dass ein anderer es übernehmen konnte, so etwas Grässliches zu tun. Und außerdem gab es ja auch noch seine Rachegelüste…

„Wie lange sollen wir hier denn noch warten?“

Der Fahrer neben ihm unterbrach ihn in seinen Gedanken. Er war einer, der völlig emotionslos seine ‚Arbeit’ erledigte. Es gab manche, die sagten, er sei der ausgesprochene Killertyp, jemand, der seinen Aggressionstrieb instrumentell nutzte. Natürlich war er vorbestraft, unter anderem wegen schweren Raubes und Vergewaltigung.

„Irgendwann wird sie schon raus kommen, und wenn nicht heute, dann eben morgen. Ich weiß gar nicht, was du willst. Du kriegst doch ’ne Menge Kohle dafür.“

„Meinst du denn, das macht mir Spaß, dauernd auf diese protzige Villa zu starren und zu warten, bis Madam herausspaziert kommt und der Chauffeur ihr mit einer tiefen Verbeugung den Wagenschlag aufreißt?“, maulte sein Kumpel und rülpste ungenierlich laut. Der Arbeitslose wäre am liebsten ausgestiegen, doch er riss sich zusammen. Ein Cabrio fuhr an ihnen vorbei, ein schnittiger BMW Z4.

„Das ist der Ehemann von der Tochter des Bosses“, erklärte er dem Fahrer.

„Was du alles weißt“, brabbelte dieser. „Mich interessiert eher die Kiste. Ich glaub’ der hat den Schlüssel stecken lassen. Ob ich mal…“

„Untersteh dich, Mensch!“

Der Arbeitslose hieb ihm den Ellenbogen in die Rippen und der schnappte nach Luft.

„Entweder du machst das, was ich dir gesagt habe, oder du kannst abhauen!“

„Ist ja schon gut, ist ja schon gut“, gab der Fahrer maulend zurück und in diesem Moment näherte sich von hinten eine weitere Nobelkarosse, ein Mercedes-Sportwagen mit offenem Verdeck. Ein Mann sprang über die geschlossene Wagentür nach draußen und lief die Stufen der breiten Treppe nach oben auf den Eingang zu. Der Mann auf dem Beifahrersitz drehte sich zu dem Menschen um, den er unbedingt für seinen Job brauchte.

„Das ist der Sohn des Unternehmers. Kann sein, dass sich jetzt etwas tut.“

Und er sollte recht behalten. Nach knapp einer Viertelstunde verließen die beiden Männer die Villa und in ihrer Mitte eine junge Frau. Die drei debattierten lautstark. Erst vor ihren Autos trennten sie sich und die junge Frau setzte sich in das Auto des Mannes mit dem Mercedes. Der Beifahrer wunderte sich darüber, sagte aber nichts. Erst als die beiden Fahrzeuge an ihnen vorbeigefahren waren, gab er sich und seinem Fahrer eine Anweisung: „Günstiger wird’s nicht. Komm!“

Die beiden verließen das schmutzige Gefährt und der Arbeitslose merkte nicht, dass sein Rätselheft beim Aussteigen auf den Fußweg fiel, von einer kurzen Windbö erfasst wurde und unter dem Auto zu liegen kam.

Der Mordermittler drückte die Austaste an der Freisprecheinrichtung und atmete erleichtert aus. Nein, er brauchte wirklich nicht umzukehren. Das, was sein Vertreter ihm mitzuteilen hatte, war kein Knaller gewesen. Seine Kollegen hatten in einer alten Mordsache in der Nähe von Husum ein interessantes Detail entdeckt. Und Werner Hansen hatte ihn deshalb angerufen, weil sie bei der Recherche eine Peinlichkeit herausgefunden hatten. Ausgerechnet dem Leiter der Kripo in Husum, der ansonsten ein mehr als penibler Vorgesetzter war und der seinen Kollegen mit seiner penetranten Ermittlungsgenauigkeit gelegentlich auf die Nerven ging, ausgerechnet dem war ein Fehler unterlaufen, den jeder Kriminalanwärter mit einer ungenügenden Note in einer Prüfungsarbeit quittiert bekommen hätte. Die Kollegen von der Kriminaltechnik hatten damals in dem Zimmer des Mordopfers diverse rötliche Flecken auf dem Holzfußboden nicht als Spuren gesichert, weil die Mutter des getöteten Mädchens ausgesagt hatte, dass ihr Kind am Tag zuvor Nasenbluten gehabt hätte. Es gehörte zum Einmaleins eines Kriminalisten, dass alle Spuren in einem Kapitaldelikt zu sichern waren, gleichgültig, ob es eine Tatrelevanz gab oder nicht. Und in diesem Fall gab es jetzt nach über 10 Jahren eine mögliche solche Bedeutung. Wartefuhl musste innerlich grienen, wenn er daran dachte, wie der Chef in Husum wohl reagieren würde, wenn man ihn damit konfrontierte, denn er war es höchst persönlich gewesen, der als damaliger Leiter der Kriminaltechnik vor Ort gewesen war und die Spuren nicht hatte sichern lassen.

Der Chef der Mordkommission bremste seinen Wagen ab und bog in den Sandweg ein, der ihn nach 50 Metern zu ihrem ‚Knusperhäuschen’ führte. Mit der Handkante erzeugte er einen kurzen Hupton auf dem Lenkrad und durch die offene Terrassentür kam ihm seine Frau entgegen. Jörg Wartefuhl versuchte in dem Gesicht von Karin zu lesen, als er ausstieg und ihr entgegenging. Ihr Gesicht lachte, aber die Augen, die spiegelten eine große Traurigkeit wider, wenn auch nicht so schlimm, wie von ihm befürchtet.

„Beinahe wäre es nichts geworden mit unserem langen Wochenende“, nahm er Karin in den Arm, hob sie hoch und drehte sich mit ihr ein paar Mal im Kreis herum. Er wusste, dass sie das gern hatte.

„Ich hätte dich aber nicht gehen lassen, mein Lieber“, meinte sie lächelnd und schmiegte sich an ihn. „Ich brauche dich, Jörg! Ich brauch dich gerade jetzt und ich will dich nie wieder loslassen.“

Jörg Wartefuhl kannte solche Worte und wusste, was dahinter stand. Karin war wieder einmal auf dem Weg in eine depressive Phase. Und er verstand auch, was das bedeutete: keine Aktivitäten, keine Radtour, keine Freunde, mit denen man abends auf der Terrasse grillte und sich fröhlich unterhalten konnte. Er merkte, wie in ihm das Gefühl der Enttäuschung aufkam.

Doch da überraschte sie ihn.

„Wir haben Besuch, mein Lieber, und du wirst staunen, wer es ist!“

Jörg ließ Karin los, trat einen Schritt zurück und wollte gerade fragen, mit wem er gleich das Vergnügen haben werde, da sah er aus den Augenwinkeln einen Menschen in die Terrassentür treten.

Yasmine schaute ihren Bruder erstaunt an. Sie saßen beide in einem Straßencafé und jeder von ihnen schleckte an einer großen Eisportion.

„Ich dachte, du wüsstest, wie ich darüber denke, Norbert.“

„Ja, das schon, aber…“

„Aber! Aber! Immer wieder aber!“, unterbrach sie ihn wütend. „Sei doch nicht immer so pessimistisch! Ich will nicht in die Firma und Chris gehört da einfach nicht hin! Und das sag’ ich, obwohl er mein Mann ist! Basta! Menschenskind, das muss dir doch genügen!“

Norbert Eichstätt schaute seine Schwester lange an.

„Bist du dir absolut sicher, dass Vater die richtige Entscheidung trifft?“

Yasmine warf ihren Eislöffel auf die Serviette und lehnte sich in ihrem Plastikstuhl nach hinten.

„Also, wirklich, dir ist nicht mehr zu helfen! Was ist nur los mit dir? Hast du denn gar kein Selbstbewusstsein mehr? Einen wirklichen Konkurrenten gibt es doch gar nicht! Du bist jemand, der zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen hat und der gute und wirksame Verbesserungsvorschläge eingebracht hat, und du…“

„Ja, ja, das weiß ich alles selber“, unterbrach sie ihr Bruder. „Aber in der letzten Zeit stelle ich fest, dass Vater überhaupt nicht auf mich hört. Wir verlieren Kunden, aber er will das einfach nicht wahrhaben. Stattdessen amüsiert er sich mit deinem Sohn. Das ist doch nicht mehr normal!“

„Hoppla, daher weht der Wind. Also doch Eifersucht, was? Glaubst du allen Ernstes, dass Papa daran denkt, einen Säugling zu seinem Alleinerben zu machen? Glaubst du das wirklich?“

Norbert wand sich auf seinem Stuhl hin und her.

„Ihn vielleicht nicht, aber…“

Weiter kam er nicht, das Handy von Yasmine klingelte. Irgendwie war sie froh, von dem blöden Thema abgelenkt zu werden, griff in ihr Handtäschchen und klappte das Mobiltelefon auf. Norbert bemerkte schon nach wenigen Sekunden, dass etwas nicht stimmte. Yasmine wurde leichenblass, musste heftig schlucken und begann zu stottern: „Was… was sagen Sie da? Ich komme sofort!“

Sie sprang von ihrem Stuhl hoch, starrte ihren Bruder an, und dann kamen sie, die Tränen. Noch bevor er fragen konnte, was eigentlich los war, sank sie auf ihren Stuhl zurück. Sie war einer Ohnmacht nahe. Norbert sprang auf, beugte sich über seine Schwester und klatschte sanft mit seiner Hand mehrfach gegen ihre Wange.

„Yasmine, komm zu dir! Was ist los? Was ist los, Yasmine?“

Sie öffnete erschrocken die Augen, benetzte mit ihrer Zunge die trockenen Lippen.

„Cyril-Amadeus“, flüsterte sie.

„Und Sie meinen, das könnte diesmal wirklich klappen?“

Die Zweifel in der Stimme von Jörg Wartefuhl waren nicht zu überhören. Was er unbedingt vermeiden wollte, das war eine erneute tiefe Enttäuschung, für sie beide, aber vor allem für Karin. Nicht zum ersten Mal hatten sie versucht, ein Baby zu adoptieren. Und dann war es doch nichts geworden, manchmal aus Gründen, die kaum nachzuvollziehen waren, bisweilen aber auch, weil es sich die leibliche Mutter im letzten Moment wieder anders überlegt hatte. Auf der anderen Seite war er über die Initiative von Karin nicht unfroh. Sie selbst hatte heimlich einen neuen Anlauf genommen, wollte ihn überraschen. Also musste er besonders behutsam vorgehen, aber so ganz konnte er seine Skepsis nicht verbergen.

„Ich denke schon“, nickte die Frau vom Jugendamt.

„Das haben Sie schon zweimal gedacht und dann…“

„Aber Jörg, das ist doch jetzt ein ganz anderer Fall“, unterbrach ihn seine Frau.

Der Chef der Mordkommission merkte ihren mitschwingenden Ärger. Und er wusste aus der Vergangenheit, was danach kam, ein Tränenausbruch und den wollte er ihr, aber auch sich ersparen.

„Also gut, versuchen können wir es ja, und wann glauben Sie, wäre ein realistischer Termin?“, lenkte er deshalb ein.

„Die werdende Mutter hat mir den Stichtag der Geburt ihres Babys genannt: 12. September. Und Sie wissen ja sicherlich selbst, dass da immer was…“

„Ja, natürlich“, fuhr Jörg Wartefuhl ein wenig genervt dazwischen. Für so dumm musste diese Frau vom Jugendamt ihn nun wirklich nicht halten. Er schaute stattdessen seine Frau an und merkte, wie sie voller Hoffnung war. Ihre Wangen zeigten Röte, und während des ganzen Gespräches hatte sie förmlich an den Lippen der Beamtin gehangen.

„Gut, dann bedeutet das noch knappe zwei Monate Wartezeit für uns, in denen wir uns vorbereiten können.“

Er sprach jetzt direkt Karin an.

„Meinst du, dass wir das schaffen?“

Es schien so, als habe sie auf diese Frage gewartet.

„Von mir aus schon morgen. Du weißt doch, das Zimmer ist fertig, seit… seit…“

Karin verstummte und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Jörg Wartefuhl sprang von seinem Gartenstuhl auf und nahm sie in den Arm.

Doch bevor er etwas sagen konnte, klingelte sein Handy. Er zog es aus der Hosentasche und meldete sich. Sein Gesicht verfinsterte sich augenblicklich.

„Und wie geht es der Babysitterin jetzt? Okay. Pass auf Werner, fahrt alles hoch. Ja, der ganz große Bahnhof! Ja, ja, auch den Chef. Ich bin schon unterwegs!“

„Tut mir Leid, ich muss los. Schatz, regle du noch die weiteren Formalitäten. Ich melde mich später!“

Jetzt war er im Dienst und so, wie es aussah, war der Sturm nun endgültig losgebrochen.

Der Mörder gibt ein Rätsel auf

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