Читать книгу Falidal und die verlorenen Farben - Rainer M. Osinger - Страница 10
Falidal
ОглавлениеEines Tages erblickte ein kleines, zartes Geschöpf namens Falidal das Tageslicht in Farlo im Gebiet Umal. Ihr Name bedeutet: »Die Farben lieben das Leben.«
Falidal war aber von Anbeginn anders als die meisten Lelos. Sie bemerkte freilich, dass sie anders aussah, sie fragte sich nur ständig wieso wohl. Das Mädchen war nämlich eines der wenigen Wesen in Farlo, welches bunt und farbig war. Doch hatte ihr bisher noch niemand erklärt, was Farben überhaupt sind, weshalb es sie gibt und was es mit diesen auf sich hat.
Immerfort hatte sie ein fröhliches Lachen auf dem Gesicht und lustig wippten ihre beiden Zöpfe umher.
Falidal dachte und fühlte auch nicht wie die anderen und wie es sich angeblich gehörte. Sie hatte auch zu den meisten Dingen eine ganz andere Meinung. Als würde sie die Welt mit völlig anderen Augen sehen und verstehen.
Daher wurde das Mädchen aber auch immer mehr zur Außenseiterin in ihrer Heimat. Weniger deswegen, weil sie noch so klein war, als vielmehr, weil sie nicht bei den Dingen mitmachte, die in Farlo aber nun mal fast jeder machte. Und weil sie so sonderbar und anders war, mochte sie auch kaum jemand leiden.
»He, aus dem Weg da, hier bin jetzt ich und ich brauche diesen Platz, du hast hier nichts zu suchen!«, hieß es ständig. Oder: »Was willst du denn da – wir brauchen dich hier nicht, los, verschwinde endlich und geh nach Hause«, meinte ein Junge namens Grobian abweisend und gemein zu ihr.
So wurde das figürlich sehr zarte Mädchen ständig herumgestoßen. Alle bemerkten, dass Falidal anders war. Obschon sie auch nicht sehen konnten, dass sie bunt und farbig aussah, spürten sie doch ihre Andersartigkeit. Die Lelos, musst du wissen, konnten Farben nämlich nicht sehen. Besser gesagt, sie konnten Farben nicht mehr sehen. Diese Fähigkeit hatten sie schon vor langer Zeit verloren. Zumindest die meisten von ihnen. Selbst das Wort »Farbe« kannte in Farlo fast keiner mehr. So wie auch der Begriff »Freude« immer mehr verschwunden war.
Und dieses Gefühl, das Falidal den Lelos durch ihr Anderssein vermittelte, machte ihnen in Wahrheit große Angst. Darum wurde sie von den meisten Menschen abgelehnt, gemieden oder ausgegrenzt.
Falidal war zwar körperlich sehr zart und klein, doch war sie ein kluges und aufgewecktes Köpfchen mit einem mutigen und sehr mitfühlenden Herzen.
Keiner wollte aber wegen einer Freundschaft mit ihr in irgendwelche Schwierigkeiten kommen. Auch die meisten Erwachsenen kamen mit ihr nicht wirklich gut zurecht.
Deshalb war Falidal viel und oft alleine, saß nachdenklich an ihrem Lieblingsfenster, sang dabei ein selbst erfundenes Lied und träumte vor sich hin, während sie die Wolken beobachtete. Das Mädchen verbrachte auch eine Menge Zeit in der Natur.
Falidal hatte aber einen Kater, den sie sehr liebte, der immer bei ihr war und sie in dunklen Stunden oft tröstete.
Immer wenn Falidal bei ihren Freunden, den Bäumen, war, war auch ihr Kater namens Animus mit dabei.
Animus aber war kein gewöhnlicher Kater, denn er konnte sprechen und war dazu auch noch sehr klug.
»Komm schon, Animus, wir steigen bis zur Spitze der großen alten Tanne!«, rief Falidal ihren runden Freund.
»Ja, gerne, los, wir klettern um die Wette, wer schneller ganz oben ist«, rief dieser begeistert, denn er liebte es, auf Bäume zu klettern.
Und schon bald waren die beiden gemeinsam am obersten Wipfel des riesigen Baumes und sahen in der Ferne das weite, große, unglückselige und farblose Land.
Von irgendwoher konnte man das Klopfen eines Spechtes hören. Sanft blies ihnen der Wind um die Ohren und brachte herrlich frische Luft mit sich.
Dort oben, in den Wipfeln der Bäume, dachte Falidal oft über Farlo nach, und darüber, warum in Farlo das Leben so grau und eintönig war. Wodurch die Bürger im Lande wohl so kalt und freudlos geworden waren?