Читать книгу Wie viel Lüge verträgt die Politik? - Rainer Nahrendorf - Страница 8
Die Selbstdemontage der Politiker
Оглавление„Politiker sagen das, was ankommt,
und nicht das, worauf es ankommt.“
Hans-Olaf Henkel
Der Ruf der Politiker ist nicht der beste. Sie bringen sich selbst in Verruf. Keinen Vorwurf machen sie einander so häufig wie den der Lüge. Wer soll ihnen vertrauen, wenn sie sich gegenseitig diffamieren und als unglaubwürdig bezeichnen? Kaum steht das Resultat einer Wahl fest, bezweifeln die Unterlegenen die Legitimität des Ergebnisses. So zieh die Union 1976 den sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialminister Walter Arendt und Kanzler Helmut Schmidt der Rentenlüge. 1990 warf der unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine dem Sieger Helmut Kohl vor, die erste gesamtdeutsche Bundestagwahl mit einer Steuerlüge gewonnen zu haben. Edmund Stoiber, von Gerhard Schröder 2002 knapp geschlagen, attackierte im Nachgang die Regierung Schröder mit der Behauptung, sie habe sich an die Macht geschwindelt und gelogen. Ein auf Drängen der Union eingesetzter Lügen-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sollte den Vorwurf erhärten − tat dies aber nur aus der Sicht der Opposition.
Die Selbstdiskreditierung der Politiker kommt wie ein Bumerang auf sie zurück. Sie ruiniert jedoch nicht nur deren Ruf. Schlimmer ist, dass sich viele Bürger mit Grausen von dem „schmutzigen Geschäft“ abwenden.
Im Juni 200516 nannten auf die Frage, welche Partei am ehesten glaubwürdig sei, nur 13 Prozent die SPD, 26 Prozent die Union, aber 40 Prozent der Befragten meinten „keine Partei“. Bis April 200817 hatten sich Skepsis und Distanz der Bürger zur politischen Führungselite nicht geändert. Nur 17 Prozent der Befragten bescheinigten Politikern Kompetenz und Fähigkeit, nur 28 Prozent Verantwortungsbewusstsein. Im gleichen Frühjahr sank das Ansehen der Politiker in der Allensbacher Berufs-Prestige-Skala auf den niedrigsten jemals gemessenen Stand. Nur noch sechs Prozent der Befragten schätzten den Beruf des Politikers.
Zu diesem Ansehensverlust haben auch die wechselseitigen Lügnervorwürfe beigetragen. Aber diese Vorwürfe sind nach der Meinung vieler Bürger berechtigt. Politik und Wahrhaftigkeit wohnen selten unter einem Dach, heißt es in Stefan Zweigs „Marie Antoinette“. Das glaubt auch fast jeder zweite Deutsche. Der Aussage: „Politiker können versprechen, was sie wollen, ich glaube ihnen nicht mehr“, stimmten 45 Prozent der befragten Bürger zu. Und 57 Prozent warfen Ihnen vor, Tatsachen zu verdrehen oder zu beschönigen, um dadurch die Wahlen zu gewinnen18. Viele Wähler fühlen sich von den Wahlkämpfern in die Irre geführt. Folgenlos bleibt dies nicht. Die Wahlbeteiligung sinkt, das Lager der Nichtwähler wächst.