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Archilochos

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Name: Archilochos von Paros

Lebensdaten: ca. 680–630 v. Chr.

Literarische Gattung: Elegie, Lyrik, Epode, Fabel

Werke: Lyrische Gedichte, Fabeln

Wer war das?

Archilochos war Sohn eines adligen Vaters und einer Sklavin auf der Kykladeninsel Paros. Als die Parier auf der Felseninsel Thasos im Norden der Ägäis eine Kolonie gründeten, beteiligte sich Archilochos an den blutigen Kämpfen dort und in Thrakien gegen die einheimischen Bewohner. Er fiel um 630 v. Chr. in einem Krieg seiner Heimatinsel gegen die Insel Naxos und wurde wahrscheinlich nicht älter als 50 Jahre. Herodot (1, 12) erwähnt, Archilochos sei ein Zeitgenosse des Lyderkönigs Gyges (gest. 652 v. Chr.) gewesen; diesen habe der Dichter in einem jambischen Trimeter erwähnt (vgl. Frg. 19 W = 22 D). Auch Archilochos’ Hinweis auf eine Sonnenfinsternis (122 W = 74 D) kann sich nur auf diejenige vom 6. April 648 v. Chr. beziehen, und wahrscheinlich hat der Dichter dieses für die damalige Zeit so beunruhigende Naturereignis als etwa Dreißigjähriger selbst erlebt.

In seinen Bunten Geschichten (10, 13) berichtet Claudius Aelianus, Kritias habe Archilochos vorgeworfen, er habe sich selbst in ein schlechtes Licht gesetzt; wenn er nämlich nichts darüber gesagt hätte, so wüssten wir gar nicht, dass er der Sohn der Sklavin Enipo war, seine Heimatinsel aus Armut und Mittellosigkeit verließ und deshalb nach Thasos ging, nach seiner Ankunft mit den Leuten dort in Streit geriet und gleichermaßen Freunde und Feinde beleidigte. Wir wüssten auch nicht, dass er ein Ehebrecher war, wenn wir es nicht von ihm selbst erführen, noch dass er von haltloser Sinnlichkeit war und seinen Schild fortwarf. Archilochos sei kein guter Zeuge in eigener Sache gewesen, da er einen solchen Ruf hinterlasse (295 W = VS 88 B 44).

Einen Dichter dieses Schlages konnten die spartanischen Freunde des Kritias natürlich nicht in ihrem Land dulden: Als er einmal nach Sparta kam – so berichtet Plutarch (Moralia 239 B) –, habe man ihn unverzüglich ausgewiesen, weil bekannt war, dass er in einem Gedicht (5 W = 6 D) erklärt hatte, es sei besser, seine Waffen fortzuwerfen als zu sterben. Der römische Autor Valerius Maximus kann darüber hinaus im 1. Jh. n. Chr. berichten (Über die Strenge 6, 3 Ext. 1), die Spartaner hätten die Bücher des Archilochos aus ihrem Staat entfernen lassen, da sie ihnen zu unanständig und schamlos gewesen seien. Sie hätten vermeiden wollen, dass ihre Kinder durch die Lektüre des Archilochos moralisch verdorben statt intellektuell gefördert würden. Deshalb hätten sie den größten oder nach Homer wenigstens zweitgrößten Dichter der Griechen, „weil er eine ihm verhasste Familie auf übelste Weise beschimpft und beleidigt hatte“, bestraft, „indem sie seine Verse aus ihrer Reichweite verbannten“.

In der Anthologia Graeca finden sich drei Epigramme (7, 69–71), die die gefürchtete Angriffslust des Dichters zum Thema haben:

Kerberos, der du die Toten mit furchtbarem Bellen begrüßest, nun ist an dir diese Furcht vor einem Toten voll Graus. Denn Archilochos starb! Gib acht! Aus dem galligen Munde spritzt er voll giftiger Lust bissige Jamben hervor. Was seine Stimme vermag, das sahest du, als des Lykambes Töchter ein einziger Kahn beide zugleich dir gebracht.1

Das Epigramm spielt auf ein Ereignis an, das den Dichter anscheinend tief verletzt hatte: Lykambes hatte ihm die Ehe mit einer seiner Töchter versprochen und diesen Schwur später gebrochen. Daraus erklärt sich die Aggressivität, mit der Archilochos literarisch über die Familie des Lykambes herfiel und den Vater und dessen Töchter so verunglimpfte, dass sie Selbstmord begingen. Wahrscheinlich brauchten die Toten keine Angst vor Archilochos zu haben, wenn sie ihm zu Lebzeiten nichts antaten, was ihn hätte herausfordern können. Dennoch sollte man auf der Hut sein:

Sieh hier am Meeresgestade Archilochos’ Grab, der als Erster seine Gesänge ins Gift tötender Nattern getaucht,

blutig des Helikons Frieden entweihend. Das fühlte Lykambes, als er die Stricke der drei Töchter voll Jammer beweint.

Geh drum leise vorbei, o Wandrer, und störe der Wespen stechenden Schwarm nicht auf, der auf dem Grabe hier sitzt.

Die 1949 gefundenen Steinplatten aus dem „Archilochos-Tempel“ auf der Insel Paros enthalten noch weitere biographische Angaben: In Paros wurde dem Dichter der Prozess gemacht, weil er in einem Lied auf den Gott Dionysos nicht die nötige Ehrfurcht bewiesen habe. Allerdings heißt es, der Dichter sei zu Unrecht angeklagt worden. Das habe man daraus ersehen können, dass Dionysos alle Männer des Landes für das Unrechtsurteil bestraft habe, bis Archilochos rehabilitiert worden sei.

Der Beruf des Söldners, eines „Dieners des mächtigen Herrn Enyalios“ (1 W = 1 D), bot vermutlich nicht die besten Voraussetzungen für eine geruhsame Existenz. Die ständigen Gefahren des Landsknechtslebens dürften die Einstellung des Mannes zu seiner Welt entscheidend geprägt haben. Der Kampf wurde zum Element seines Daseins, ob er diesen nun mit der Waffe in der Hand oder mit seinen Versen ausfocht. Die dauernde Bedrohung von Leib und Leben mussten zu einer tiefgreifenden Desillusionierung führen. So war es eigentlich nur konsequent, wenn Archilochos im Kampf ums Überleben eine vielleicht schon übertriebene Wachsamkeit entwickelte – gepaart mit einer fast schon neurotischen Angst vor Bedrohung. Anscheinend fühlte er sich durch alles und jeden angegriffen, so dass er auf jeden vielleicht auch nur vermeintlichen Angriff mit äußerster Schärfe reagierte. Was im Schlachtgetümmel oder auf dem Marsch in Feindesland noch Sinn ergab, war im zivilen Umfeld wohl weit überzogen.

So wird man Dichter: die Berufung des Archilochos

Berühmt ist die Berufungslegende des Dichters, die an Hesiods Musenweihe (s. S. 82) erinnert: Archilochos wurde von seinem Vater aufs Land geschickt, um von dort eine Kuh in die Stadt zu bringen. Er stand sehr früh auf, als der Mond noch schien. Als er mit der Kuh am Strick an einen bestimmten Platz kam, sah er dort einige Frauen, von denen er annahm, sie kehrten von ihrer Arbeit in die Stadt zurück; er scherzte mit ihnen, und sie fragten ihn, ob er die Kuh verkaufen wolle. Er bejahte und sie boten ihm einen angemessenen Preis. Auf einmal waren die Kuh und die Frauen verschwunden; zu seinen Füßen aber lag eine Lyra. Er erschrak darüber sehr. Allmählich begriff er, dass ihm soeben die Musen erschienen waren und ihm die Lyra geschenkt hatten. Er hob das Musikinstrument auf, setzte seinen Weg fort und erzählte seinem Vater, was passiert war …

Was schrieb er?

Wahrscheinlich hatte der römische Kaiser Julian Apostata (360–363 n. Chr.) Recht mit seiner psychologischen Deutung der Dichtung des Archilochos: „Dem Alkaios und Archilochos von Paros war es von der Gottheit nicht vergönnt, ihrer Muse in Lust und Frohsinn zu frönen. Geplagt wie sie waren, der eine so, der andere so, gebrauchten sie ihre Musengabe dazu, sich das Los zu erleichtern, das ihnen der Himmel auferlegt hatte, und zwar indem sie diejenigen schmähten, die ihnen Unrecht getan hatten“ (Misopogon 337a–b, Übers. M. Giebel). Diese Erklärung passt zu der ursprünglichen Bedeutung des volkstümlich spottenden Jambus mit seiner magisch-abwehrenden Funktion. Das als böse, als ruchlos, als schädlich Wahrgenommene wird vom Dichter in Verse „gebannt“ und auf diese Weise unschädlich gemacht.

Archilochos war offensichtlich unfähig, Vertrauen zu entwickeln. Die Erfahrung von Verlust und Verletzung, Verrat und Verachtung und nicht zuletzt die Erschütterung durch Eid- und Wortbruch müssen ihn nachhaltig getroffen haben. So verwirft er auch die Wertvorstellungen seiner Zeit und den Glauben an helfende Götter. Das Streben nach Ruhm entlarvt er als Selbstbetrug: Keiner genießt mehr Ansehen, wenn er erst einmal tot ist (133 W = 64 D). Man schätzt den Söldner nur, solange er kämpft (15 W = 13 D). Manche Heldentat ist in Wirklichkeit nichts als Mord (101 W = 61 D). Den eitlen Strategen gibt er dem Gelächter preis. Aussehen und innere Vorzüge eines Menschen sind für Archilochos nicht kongruent. Äußerlichkeiten spielen keine Rolle, wenn der Mann nur sicher auf den Füßen steht und ein mutiges Herz besitzt, d. h. wenn er in der Lage ist, sich selbst zu helfen (114 W = 60 D).

Die größte Provokation aber war der „elegische“ Bericht über den Verlust des Schildes (5 W = 6 D). Archilochos stellt sich selbst als „Schildwegwerfer“ dar, um dem in seinen Augen ebenso verlogenen wie sinnlosen Heroismus der Adelswelt seiner Zeit eine entschiedene Absage zu erteilen. Er wurde dafür schon in der Antike vielfach geschmäht.

Die metrischen Formen seiner Dichtung sind vielfältig. Neben dem daktylischen Versmaß benutzt Archilochos den jambischen Trimeter und den trochäischen Tetrameter. Diese Formen übernimmt er aus der Volkspoesie und entwickelt sie weiter, sodass er auch als ihr Erfinder gilt. Horaz (Epistel 2, 3, 79) weist darauf hin, Archilochos habe „die Wut mit seinen Versen bewaffnet“. Weil Archilochos den Jambus literaturfähig machte, darf er wohl auch als „Erfinder“ des Dialogverses im griechischen Drama gelten. Aus der Vereinigung von Versen verschiedener Länge und Art schuf Archilochos außerdem die Form der Epode. Die Epoden des Horaz, die der Römer selbst als „Jamben“ bezeichnet, stehen in der Nachfolge des Archilochos (Epistel 1, 19, 23–25).

Die metrische Formenvielfalt der Gedichte des Archilochos scheint den rhysmós, das Auf und Ab, seines bewegten Lebens, widerzuspiegeln:

Herz, mein Herz, von ausweglosem Kummer überschüttet, tauch auf und wehr dich gegen alle, die dir übelwollen, wirf ihnen deine Brust entgegen. Um deine Feinde abzuwehren, musst du ihre Nähe suchen, ohne zu zögern: und wenn du siegst, darfst du deinen Stolz nicht offen zeigen, wenn du besiegt bist, jammere nicht, zu Hause auf den Boden stürzend. Doch über Erfreuliches freue dich und über Schlimmes sei betrübt, aber nicht zu sehr. Erkenne einfach das Auf und Ab, das die Menschen erfasst.

(128 W = 67a D)

Selbstverständlich hat Archilochos auch einen literarischen Hintergrund. Obwohl er in einem schroffen Gegensatz zum Programm der epischen Dichtung steht – das Mythologische spielt keine besondere Rolle und die Gedichte haben nicht mehr auf die Helden der Vergangenheit, sondern die Gegenwart des Dichters zum Thema –, ist Archilochos ohne Homer nicht denkbar. Die Nähe zu Homers Odysseus ist in manchen Fragmenten unübersehbar. Archilochos bringt die Haltung, die das wirkliche Leben den Menschen abverlangt auf den Punkt:

Heftiges Trauern, Perikles, missbilligt weder einer der Bürger noch die Stadt, und sie wird trotzdem Festesfreuden genießen.

Denn das waren wirklich Männer, die die Woge des tosenden Meeres verschlang!

Von Kummer erfüllt sind unsere Herzen.

Aber die Götter haben uns doch für unheilbares Leid,

mein Freund, ein Mittel gegeben: die Kraft, dies zu erdulden.

Mal trifft es diesen, mal jenen. Jetzt kam es über uns.

Die blutige Wunde lässt uns aufstöhnen vor Schmerzen.

Bald aber wird es wieder andere treffen.

Ertragt es doch einfach und lasst das weibische Klagen!

(13 W = 7 D)

Das war auch die Haltung des Vorbilds Odysseus. Auf seinen Irrfahrten musste sich der Held als der „Dulder“ erweisen; aber „die duldende Kraft“ des Archilochos rechnet auch mit zukünftigem Leid, gegen das man sich wappnen muss. Das Vorbild könnte Archilochos aber auch noch unter einem anderen Aspekt zur Nachahmung angeregt haben. In der Trugrede des Odysseus vor Eumaios, dem göttlichen Schweinehirten (Od. 14, 191–359), ist eine literarische Form erkennbar, die für die Dichtkunst des Archilochos grundlegend war: die bewusste Verknüpfung von Phantasie und Wirklichkeit, von Fiktion und Tatsachenbericht, die hier der unerkannte Odysseus zum Zweck der Tarnung vornimmt – diese Art der fingierten Selbstdarstellung übernimmt Archilochos, wenn er von sich selbst spricht. Das Bild, das Odysseus von sich zeichnet, ist dem Bild verwandt, das Archilochos von sich entwirft. Wenn Archilochos (7 W) dazu auffordert, „anstürmen soll jeder gegen die Feinde mit standhaftem Sinn und unbeugsamem Mut im Herzen, ohne zu weichen“, dann klingen die Worte des Odysseus nach: „Wenn ich […] den Feinden Schlimmes plante: nie sah der mannhafte Mut mir dann den Tod voraus, sondern anspringend als weit Erster fasste ich den Feind stets mit der Lanze, der mir mit den Füßen unterlegen war“ (14, 217–221). Aber Odysseus erzählt auch von seiner Expedition nach Ägypten und seiner Kapitulation vor dem feindlichen König: „Sofort nahm ich den Helm vom Kopf … und den Schild von meinen Schultern, warf den Speer aus der Hand und lief, so wie ich war, den Pferden des Königs entgegen und fasste und küsste seine Knie.“ Dieses ganz und gar unheroische Verhalten stellt Archilochos nach, indem er seinen Schild fortwirft, um sein Leben zu retten:

An dem Schild hat jetzt irgendein Saier seine Freude. Ich ließ ihn an einem Busch zurück; tadellos war er gewiss, und ich tat es nicht gern. Mich selbst aber hab’ ich gerettet. Was kümmert mich jener Schild? Geschehen ist geschehen. Später werd’ ich mir einen neuen besorgen, der nicht schlechter ist.

(5 W = 6 D)

Wenn der homerische Odysseus das Vorbild des Archilochos ist, dann kann man die Echtheit des folgenden, durch einen Papyrus überlieferten Fragments nicht mehr bestreiten: Der Text beschreibt einen Schiffbrüchigen, der Odysseus sehr ähnlich sieht. Allerdings verwendet unserer Dichter diese Szene, um einen Gegner zu verfluchen, dem es so ergehen soll wie Odysseus nach seinem Schiffbruch vor der Insel der Phäaken (vgl. Od. 5, 424–493). Der Unterschied ist nur, dass Odysseus von der Märchenprinzessin Nausikaa gerettet wird, während Archilochos dem Verfluchten wünscht, dass ihn barbarische Thraker gefangen nehmen und zum Sklaven machen. Wenn Archilochos die Leiden des Odysseus einem Verräter und Eidbrüchigen wünscht und dies in Form eines jambischen Bannfluches äußert, will er sagen: Der Verräter soll verdientermaßen noch Schlimmeres leiden als der unschuldig leidende Odysseus …

[Er werde] von Wellen gepeitscht!

Und in Salmydessos mögen ihn die Thraker

mit ihren hohen Frisuren nackt ergreifen, so freundlich es geht,

da soll er viel Böses erleiden,

wenn er sein Sklavenbrot isst,

vor Kälte erstarrt, und aus dem Salzschaum

soll viel Tang an ihm kleben,

die Zähne sollen ihm klappern,

wenn er wie ein Hund daliegt ohne Kraft,

ganz dicht bei der Brandung der Wogen […]

Das möchte ich vor Augen haben,

weil er mir Unrecht tat und den Eid mit Füßen trat

und doch einst mein Freund war.

(Frg. 79a D)

Wenn der homerische Odysseus das lyrische Ich des Archilochos geprägt hat, dann ist die tatsächliche Biographie des Lyrikers aus seinem Werk nicht zu rekonstruieren – ebenso wenig wie der Lebenslauf, den Odysseus vor dem Sauhirten vorträgt, von biographischer Relevanz ist. Archilochos gestaltet nach dem Vorbild des homerischen Odysseus und mit dessen Wahrnehmungsmustern eine fiktive Autobiographie, die ihm Raum und Schutz bietet, seine Sprache als Mittel der Aggression zu erproben. Dass in diese Fiktion auch Wirklichkeit eingewoben ist, liegt nahe. Wo aber die Grenze verläuft, ist nicht auszumachen.

Wie wurden seine Werke überliefert?

In den Textausgaben der alexandrinischen Philologen Aristophanes von Byzanz und Aristarch werden die Gedichte des Archilochos nach metrische Prinzipien zitiert. Das Werk des Archilochos ist heute in mehr als 300 Fragmenten erhalten, die eine ganz unterschiedliche Herkunft haben: Neben dem Komödiendichter Aristophanes, der das berühmte „Schildwegwerfer“-Fragment zitiert (Frieden 1289–1299 und 1301), sind den Kommentatoren und Scholiasten prominenter antiker Autoren Fragmente des Archilochos zu verdanken. Darüber hinaus war er für Grammatiker, Metriker und Rhetoren eine Fundgrube für ungewöhnliche lexikalische Erscheinungen. Der Lexikograph Hesych aus Alexandria (5./6. Jh. v. Chr.) nahm zahlreiche Wörter des Archilochos in sein Lexikon auf. Von großer Bedeutung sind auch die Inschriften aus Paros und die Papyrus-Reste aus Oxyrhynchus und andere Papyri. Der erst 1974 veröffentlichte Papyrus Coloniensis enthält ein umfangreiches Stück aus einer Epode, und auch in die Anthologie des Stobaios (5. Jh. n. Chr.) wurde er aufgenommen. Nicht zuletzt haben ihn die „etymologischen“ Werke und Enzyklopädien des Mittelalters benutzt.

Wie lebten die Werke fort?

Schon der Rhetoriklehrer Quintilian (10, 1, 59) bewunderte die „gewaltige Kraft“ der Sprache des Pariers. Seine Sätze seien kraftvoll und zugleich knapp und treffend, blutvoll und energiegeladen in höchstem Maße. Wer so zu sprechen vermag, kann zweifellos auch gewaltigen Einfluss nehmen. Dion Chrysostomos (Reden 33) versteigt sich im 1. Jh. n. Chr. zu einem hymnischen Lob: Es habe seit Menschengedenken nur zwei Dichter gegeben, die allen anderen überlegen waren – Homer und Archilochos. Homer habe alle Erscheinungen in der Welt gerühmt und gepriesen, Archilochos dagegen vor allem den Tadel, aber auch den Tadel gegen sich selbst, den die Menschen ebenso brauchten wie das Lob. Er habe die Fähigkeit besessen, mit seinen Gedichten andere anzugreifen und niederzumachen und die Verkehrtheiten der Menschen durch seine Rede aufzudecken. Wenn auch ein bedeutender Philosoph wie Heraklit (VS 22 B 42) den Jambendichter aus den Preiswettkämpfen herausgeworfen und verprügelt wissen will oder ein Kollege wie → Pindar (Pythische Oden 2, 54) den „tadelsüchtigen Archilochos“ ablehnt, der sich „an Schmähreden voll Hass und Groll weidete“, blieb der Dichter aus Paros doch hochberühmt. Selbst Platon (Staat 365c) spricht vom „allerweisesten“ Archilochos, während er auf den Fuchs in den Fabeln des Dichters hinweist, und Aristoteles zitiert Archilochos (19 W; 122 W) als einen selbstverständlich bekannten Autor. Die anonyme Schrift Über das Erhabene (33, 4) charakterisiert die Verse des Archilochos als „Ausbrüche göttlicher Eingebung“. Ein wertvolles Zeugnis für diese Wertschätzung ist selbstverständlich auch das Ehrenmal auf Paros, mit dem Archilochos kultische Verehrung erfuhr: Der Gott Apollon hatte einem gewissen Mnesiepes (3. Jh. v. Chr.) den Auftrag gegeben, einen Tempel zu Ehren des Dichters zu errichten. Erhalten sind Teile einer Inschrift von diesem Ehrenmal. Im 1. Jh. n. Chr. wurde es von einem gewissen Sosthenes restauriert und mit weiteren Inschriften ausgestattet (51 D). Wie sehr er nach seinem Tod vom delphischen Apollon geehrt wurde, berichtet Galen in seinem Protreptikos (23): Als der Mann, ein gewisser Korax, der Archilochos in der Schlacht getötet hatte, den Apollon-Tempel betreten wollte, hinderte ihn der Gott daran, indem er sprach: „Einen Diener der Musen hast du erschlagen. Verlass meinen Tempel!“ War es doch auch Apollon, der dem Vater des Dichters vor dessen Geburt geweissagt hatte, ihm werde ein unsterblicher Sohn geboren (Dion Chrys. 33, 12).

Der hohe poetische Rang, den man Archilochos in der Antike einräumte, lässt sich auch aus der Tatsache ablesen, dass er mehrfach mit Homer in einem Atemzug genannt wird. In der Historia Romana (1, 5, 1–2) des Velleius Paterculus (um 20 v. Chr.–30 n. Chr.) wird der einmalige Genius Homers gepriesen. Seine Größe zeige sich darin, dass er weder Vorbilder noch Nachahmer habe. Auch finde man keinen anderen Schöpfer einer Dichtungsgattung, der zugleich ihr Vollender gewesen sei – außer Homer und Archilochos. Für die Schrift Über das Erhabene (13, 3) ist Archilochos ein „Homerikos, ein Dichter wie Homer – neben Stesichoros, Herodot und Platon.

Nietzsche und Archilochos

Dass die Verknüpfung von Homer und Archilochos über die Jahrtausende gehalten hat, beweist Friedrich Nietzsche. Aus ungleich größerer zeitlicher Entfernung sieht er Homer und Archilochos als „die Urväter und Fackelträger der griechischen Dichtung … diese beiden gleich völlig originalen Naturen“ und fragt, ob der „wild durchs Dasein getriebene kriegerische Musendiener Archilochus“ überhaupt ein Künstler sei:

„Er, der, nach der Erfahrung der Zeiten, immer „ich“ sagt und die ganze chromatische Tonleiter seiner Leidenschaften und Begehrungen vor uns absingt. Gerade dieser Archilochus erschreckt uns, neben Homer, durch den Schrei seines Hasses und Hohnes, durch die trunknen Ausbrüche seiner Begierde; ist er, der erste subjektiv genannte Künstler, nicht damit der eigentliche Nichtkünstler? Woher aber dann die Verehrung, die ihm, dem Dichter, gerade auch das delphische Orakel, der Herd der ‚objektiven‘ Kunst, in sehr merkwürdigen Aussprüchen erwiesen hat? […]

Wenn Archilochus, der erste Lyriker der Griechen, seine rasende Liebe und zugleich seine Verachtung den Töchtern des Lykambes kundgibt, so ist es nicht seine Leidenschaft, die vor uns in orgiastischem Taumel tanzt: wir sehen Dionysus und die Mänaden, wir sehen den berauschten Schwärmer Archilochus zum Schlafe niedergesunken – wie ihn uns Euripides in den Bakchen beschreibt, den Schlaf auf hoher Alpentrift, in der Mittagssonne –: und jetzt tritt Apollo an ihn heran und berührt ihn mit dem Lorbeer. Die dionysisch-musikalische Verzauberung des Schläfers sprüht jetzt gleichsam Bilderfunken um sich, lyrische Gedichte, die in ihrer höchsten Entfaltung Tragödien und dramatische Dithyramben heißen“ (Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 1871, 36 f. Schl.).

Wenn man diese ebenso berauschten wie berauschenden Sätze auf die literaturgeschichtliche Wirklichkeit herunterbricht, dann bestätigt Nietzsche doch nur die Tatsache, dass Archilochos die Waffe des volkstümlichen Jambus ebenso erfolgreich wie artifiziell handhabt, so dass er zur Sprachform des dramatischen Dialogs werden kann, und der Lyriker ist trotz aller Subjektivität und Individualität eben doch ein Künstler im Sinne Nietzsches, weil er in der Lage ist, seine Subjektivität in eine objektive Kunstform zu zwingen.

Was bleibt?

„Ertragt es doch einfach und lasst das weibische Klagen.“ (aus 13 W=7 D)

Griechische Schriftsteller

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