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1. Der Königsweg

Mit reichlich Schwung stellt die Kellnerin die Tasse auf meinen Tisch. Ich glaube sie heißt Gabi. Aus ihrem Gesicht strahlt mir ein stechend roter Lippenstift entgegen, der zum Lack ihrer Fingernägel passt. Nur nicht zu ihrer Miene, die sich nur einmal im Jahr an Weihnachten zu rühren scheint.

Ohne zu fragen, ob ich noch etwas bestellen möchte, dreht sie sich um und geht. Ignorant wie immer.

Mein Stimmungsbarometer sinkt noch tiefer. Wenigstens der Espresso ist genießbar. Doch wegen des Kaffees bin ich nicht hier, sondern weil ich hier am besten nachdenken kann. Direkt vor der Glasfront des Cafés verläuft die Fußgängerzone. Gäste aller Gehaltsstufen treffen sich hier. Ein Großteil meiner besten Ideen kam mir genau hier.

Ich ziehe die Mappe hervor, die Marin so gewissenhaft vorbereitet hat. Die Visitenkarte gehört einem Dr. Karl Späth, Psychotherapeut. Das zweite Blatt sieht aus wie der Anfang eines Konzepts.

Krise

Nichts vermag unser Leben so grundlegend zu verändern wie eine Krise. Krisen markieren die häufigsten Wendepunkte unseres Lebens. Sie stehen für Angst vor Verlust und Versagen, aber auch für die Chance der Entwicklung. Krisen sind die Ausnahmesituationen unseres Daseins. Sie bringen uns an unsere Grenzen.

Das sollte wohl die Einleitung der Reportage werden. Noch während ich den Text lese, höre ich Marins tiefe, ernste Stimme, wie er den Zuhörern einen Crashkurs zum Thema Krise verpasst.

Ich stehe also tatsächlich ganz am Anfang. Die Bibliothek kann ich vergessen, dafür fehlt mir die Zeit, und das Internet meide ich bei Recherchen grundsätzlich. Frisst zu viel Zeit und bringt doch keine fundierten Ergebnisse. Ich krame mein Handy aus meiner Ledertasche und wähle die Nummer des Therapeuten.

„Praxis Dr. Späth, Kammer am Apparat.“

„Guten Tag, hier ist Nathan Voght, Radio Zeitlos. Ich mache eine Reportage zum Thema Krise und würde gerne einen Interviewtermin mit Dr. Späth vereinbaren.“

„Einen Augenblick bitte.“

Ein verzerrtes Klavierstück quält sich durch meinen Kopfhörer.

Weiß der Teufel, wo die Leute diese Aufnahmen her nehmen. Ich vermisse das Schweigen in der Leitung, wie es noch vor zwanzig Jahren üblich war. Da behielt man das Telefon am Ohr ohne Würgereiz zu bekommen.

„Herr Voght?“

Nein hier ist sein Sekretär. Herr Voght verziert gerade die Holzfliesen mit seinem Frühstück. „Ja?“

„Herr Dr. Späth ist gerade in einer Sitzung. Kann er sie später zurückrufen?“

„Natürlich. Auf der Nummer, die sie in ihrem Display sehen, bin ich den ganzen Tag zu erreichen.“

„Vielen Dank. Auf Wiederhören.“

„Ja, Wiederhören.“

Dann muss ich mit was anderem anfangen. Am besten hole ich mir erst mal die Zeitung. Da wimmelt es nur so von Krisen. Vielleicht ist ein Aufhänger für mich dabei.

Ich schlurfe durch das leere Café. Vorbei an einem alten Mann mit grauem Rauschebart, der ein Buch liest. Stammgast, so wie ich. Das Buch sieht nach Akademikerlektüre aus: liebloser Einband mit viel zu langem Titel. Vor ihm steht ein Teller mit Krümeln und eine halbleere Tasse mit Tee. Sind diese Dinger aus Glas nun Teegläser oder Glastassen? Vielleicht beides.

Die Zeitung hängt an einem Haken in der Nähe der Glasfront. Hier sitzt noch ein früher Gast. Eine Frau in gelbem Kostüm, die in die Fußgängerzone hinaussieht und mechanisch in ihrer Tasse rührt. Der Schmuck ist dezent, verrät aber einen gewissen Wohlstand. Wie gesagt: hier treffen alle Schichten aufeinander. Zur Mittagspause werden sicher wieder ein paar Handwerker und Studenten hier aufschlagen. Ein bunter Mix, der die Fantasie anregt.

Wieder an meinem Tisch mache ich mich über die Schlagzeilen her. Ein Luftzug, der die Dezemberkälte in das Café weht, drückt mir die dünnen Seiten entgegen. Ich versuche, dagegen zu halten. Erfolglos. Also presse ich die ganze Zeitung auf den Tisch. Das Geräusch des Papiers knistert durch den Raum. Wer immer die Zeitung als nächster lesen möchte, wird ein Bügeleisen brauchen.

Noch bevor ich zur Tür sehe, drückt sich eine kalte und nasse Nase an meine Hand. Hektor schnüffelt und leckt abwechselnd an ihr. Er sabbert weniger als üblich. Ein schwacher Trost, denn der Dogge folgt nun das Herrchen.

„Platz.“

Andreas setzt sich unaufgefordert an meinen Tisch.

„Platz jetzt.“

Mit seinen dünnen Händen drückt er Hektors widerspenstigen Kopf in Richtung Boden. Es geht doch nichts über einen gut erzogenen Hund.

„Rate mal, mit wem ich mich jetzt gleich treffe?“

Mit deinem Schönheitschirurgen, der dir das Grinsen aus dem Gesicht operieren soll? denke ich.

„Keine Ahnung. Mit wem?“

„Ich hab doch einen Liegeplatz für mein Segelboot gesucht…“

Schnell greife ich nach meiner Tasse. Sie ist leer. Verdammt. Jetzt muss ich ihm zuhören, ohne etwas zu haben, womit ich meine Hände beschäftigen kann.

„Du segelst?“

Sein längliches Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse gespielter Enttäuschung.

„Seit drei Jahren schon.“

Und noch nicht den Admiralscoup gewonnen? Na egal, vielleicht merkt er an meinem erstaunten Gesicht, dass es mich nicht interessiert. Aber schon quält er mich weiter mit seinem selbstgefälligen Gequassel über die Probleme, einen Liegeplatz zu bekommen.

Sein Vortrag wird zweifellos den Schluss haben, dass er es auf seine unvergleichliche Weise geschafft hat, doch einen zu kriegen.

Andreas war schon immer ein Angeber, doch seit seiner Beförderung in die Geschäftsleitung ist er völlig abgehoben. Und jetzt stört mich der Typ auch noch bei der Arbeit.

„Ich hatte mal einen Schulkollegen, zu dem ich erst meine Beziehungen spielen lassen wollte. Die Eltern stinken vor Geld und besitzen drei Bootsstege mit sechzig Liegeplätzen. Doch das war mir zu peinlich. Bin ja kein Bittsteller.“ Warum erzählst du mir es dann. Außerdem hast du so viel Pietätgefühl doch gar nicht.

„Klar.“

„Dann hab ich mir gedacht, ich mach es so wie mein Mitschüler auf der Segelschule. Der hat sich ein Bootseignerschaft mit einem Rentner geteilt, der am liebsten unter der Woche in aller Ruhe auf dem See rumschippert und am Wochenende zuhause bleibt, doch so einen Rentner kann ich mir ja nicht aus dem Hut zaubern. Miete kommt für mich auch nicht in Frage, das machen nur Arme, und bei der Rederei Martin will ich mir kein Schiff kaufen, nur um für drei Jahre einen Liegeplatz zu haben.“

Abgesehen davon könntest du dir das nicht leisten.

Das ist was für Leute, die bereits drei Häuser haben und sich aus Langeweile noch ein Boot anschaffen.

„Dann hab ich von nem Freund erfahren, dass er eine reiche Witwe kennt, die einen schönen Scherenkreuzer im eigenen Hafen liegen hat. Ein Erinnerungsstück an ihren verstorbenen Mann, das bewegt werden muss, und dafür sucht sie noch jemanden.“

Toll, dann ist die Geschichte gleich zu Ende.

„Is ja ein toller Zufall.“

„Du musst nur die richtigen Leute kennen. Aber dieser Deal kommt für mich auch nicht in Frage, immerhin will ich mein eigenes Schiffchen fahren und nicht davon abhängig sein, dass die Frau das Boot behalten will und dass ihr meine Nase passt. Aber du weißt ja, wie gut ich mit Menschen kann…“

Wo ist die Kamera wenn du sie brauchst? Das sollte ich aufnehmen und ans Fernsehen schicken. Deutschland sucht das größte Ego.

„Ich hab doch jeden Donnerstagabend meinen Stammtisch in der Hafenkneipe, nicht dass ich so ein Stammtischbruder bin, doch durch meine angenehme Art, sagt nach 3 Monaten der Hafenmeister zu mir, ich soll doch meine Bewerbung um einen Liegeplatz morgen vorbeibringen, denn es wird entschieden, wer den neuen Platz bekommt, der nächste Woche frei wird. Jeden will man ja auch nicht im Hafen, aber ich sei ja so ein netter Menschen, dass er sich für mich einsetzen würde.“

Andreas schlägt auf den Tisch, wohl aus Begeisterung. Ich zucke zusammen und versuche, zu lächeln.

„Der Hammer, oder?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, steht er auf.

„Und jetzt treffe ich mich gleich mit jemandem, der sein Boot verkaufen will. Cool oder?“

Unvermittelt steht Andreas auf und schlendert zu einem Tisch nahe der Fensterfront. Hektor braucht einen Augenblick, um zu bemerken, dass es weiter geht. Die Dogge trottet hinter seinem Herrchen her und setzt sich mit erwartungsvollem Schwanzwedeln vor seinen Stuhl. Wieder wird sein Kopf zu Boden gedrückt.

Ich streiche die Zeitung so glatt es geht. Da trifft ein dumpfes Geräusch mein Ohr. Bwm!

Ich glaube, das kam von der Eingangstür. Da, schon wieder. Bwm! Die Eingangstür ist aus massivem Holz. Die Beschläge aus Messing. Ein kleines Fenster mit dickem Fensterkreuz ermöglicht einen Blick nach draußen. In diesem Fleck aus Tageslicht erscheint das Gesicht eines Mannes, das mich sofort an die amerikanische Bulldogge aus „Tom und Jerry“ erinnert.

Genauso mies gelaunt und cholerisch starrt er in das Café. Offenbar sieht er nicht, dass die Kellnerin ihm ein Zeichen gibt, er soll den Eingang um die Ecke benutzen. Nach dem Motto „So haben wir das schon immer gemacht“ wuchtet er sein Gewicht ein drittes Mal gegen die Tür. Bwm!

Der gute Mann hat ja eigentlich Recht. Hier geht’s rein, doch seit zwei Monaten ist der Türschließer defekt. Deshalb auch das große Schild an der Tür, dass die Gäste bitte den zweiten Eingang in der Fußgängerzone benutzen sollen. Die Bulldogge scheint jedoch fest entschlossen, das Problem auf ihre eigene Art zu lösen. Die Tür muss irgendwann ja nachgeben. Noch bevor die Kellnerin das Fenster in der Tür öffnen kann, wirft er sich ein viertes Mal dagegen. Bwm!

Dieses Verhalten erinnert mich an eine Geschichte, die ich mal gelesen habe („Who moved my cheese“ von Spencer Johnson). Es geht dabei um Mäuse und Zwerge, die in einem Labor-Labyrinth in den Kammern nach Käse suchen. Beide finden auf ihre eigene Art dieselbe Käsekammer. Die Mäuse der Nase nach und mit Mut, die Zwerge Stück für Stück vortastend. Nur kein Risiko eingehen.

Nach einer Weil war der Käse in der Kammer von den Vieren aufgegessen.

Die Mäuse, die sich nur auf ihre Sinnen verlassen, suchen die alte Käsestelle gründlich ab und erweitern dann ihre Suche. Bald schon haben sie eine neue Kammer mit Käse gefunden.

Die Zwerge hingegen gehen den gewohnten Weg zur alten Fundstelle. Als sie merken, dass kein Käse da ist und auch keiner mehr kommt, fangen sie an zu schimpfen.

„Wer hat unseren Käse geklaut? (Who moved my cheese?) Wir haben doch verdient, hier den Käse zu finden. Das ist unser Käse, wir haben ein Recht darauf.“

Schließlich geht einer der Zwerge dann doch das Risiko ein, den Käse woanders zu suchen. Mit Erfolg und gerade noch rechtzeitig. Ein typisches Beispiel dafür, dass wir Menschen (Zwerge) Gewohnheitstiere sind.

Der Bulldoggenmann hat inzwischen den Weg ins Café gefunden. Die Kellnerin erwartet ihn bereits. Sie stemmt ihre Hände in die Hüften, was sie wohl bedrohlich aussehen lassen soll. Allerdings ist sie so dünn, dass der Versuch scheitert. Der Mann zeigt sich unbeeindruckt. Und uneinsichtig. Er wirkt eher so, als ob er die Sau sucht, die ihm seinen Eingang versperrt hat.

„Draußen hängt ein Schild, dass sie den anderen Eingang benutzen sollen.“ Quakt die Kellnerin.

„Das hängt da schon seit Monaten. Als ich das letzte Mal hier war, hieß es, die Tür sei in einer Woche repariert.“

„Es dauert halt etwas länger.“

„Das ja nichts Neues.“

„Jetzt reicht’s aber. Wenn Sie was trinken wollen, suchen sie sich’nen Platz. Sonst können sie gerne woanders hin gehen.“

Die Kellnerin rauscht davon. An der Stelle der Bulldogge würde ich mir gut überlegen, ob ich hier bleiben soll oder nicht.

Jetzt scheint es ihm jedoch ums Prinzip zu gehen. Der Mann stapft zum Tisch bei der Kuchenvitrine, die direkt neben dem Haupteingang steht, den er erfolglos zu stürmen versuchte. Er sitzt mir schräg gegenüber. Seine Augen tasten die Tische ab, als wolle er sich ein Opfer suchen.

Absichtlich langsam nehme ich die Zeitung vom Tisch und verschanze mich dahinter. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, bis er seine Bestellung bekommen hat.

Wieder überfliege ich die zerknitterten Seiten. Allerdings bin ich so darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, dass ich mich auf nichts konzentrieren kann. Automatisch blättere ich bis zum Feuilleton. Die Rätsel- und Witzseite grinst mir bunt entgegen.

Ein Comic zeigt drei Ameisen, die hinter einander herlaufen. Unter dem Comic steht:

„Drei Ameisen gehen in der Reihenfolge A, B und C durch die Wüste von Oase 1 zu Oase 2. Immer hintereinander her. Ameise A sagt: Vor mir läuft keine Ameise und hinter mir 2 Ameisen. B sagt: Vor mir läuft eine Ameise und hinter mir eine Ameise. C sagt: Vor mir läuft keine, hinter mir 2. Wie ist das möglich, wenn die Ameise hintereinander in die gleiche Richtung laufen?“

Hm, mal überlegen: Die Ameise C sagt als einzige etwas, das nicht passt. Ich könnte das Bild auf den Kopf drehen, dann ist Ameise C vorne. Aber die drei laufen dann in die andere Richtung, also ist C wieder hinten.

Auf der anderen Seite der Zeitung klirrt es. Offenbar hat die Bulldogge gerade sein Getränk bekommen.

„Ich möchte noch ein Stück Streuselkuchen dazu.“

„Gibt’s noch nicht. Wir haben nur das, was in der Vitrine steht.“

Blödsinn. Ich selbst habe vorhin Streuselkuchen gefrühstückt. In der Vitrine steht nämlich nur Rhabarberkuchen, der garantiert mehr als einen Morgen gesehen hat.

„Dann eben den.“

Das muss gerade ein kleines Hochgefühl in der Kellnerin auslösen. Wie einem eine kleine Lüge doch den Tag versüßen kann. Sie will gehen. Ich senke die Zeitung, fange ihren Blick auf und hebe die Hand.

„Noch einen Espresso bitte.“

Ich sehe kein Lächeln, kein Funkeln in den Augen. Sie nickt nur. Mehr kann ich wohl nicht erwarten. Ich spiele mit dem Gedanken, mir noch einen Streuselkuchen zu bestellen. Aber ich glaube nicht, dass sie freundlicher wird, wenn ich sie mit ihrer Lüge konfrontiere.

Da kommt mir die Idee: Ameise C lügt. Nicht die eleganteste Lösung aber dafür die einfachste. Auf Seite 9 steht die Lösung. „Ameise C lügt“. Wie einfach, doch wer wurde schon mal von einer Ameise belogen?

Ich lege die Zeitung weg und greife nach meiner Tasche auf dem Boden. Zeit, mit der Arbeit anzufangen. Ich sollte erst mal das Thema Krise mit Schlagworten einkreisen, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Den neuen Block finde ich auf Anhieb, der Stift hat sich jedoch irgendwo versteckt. Ich zucke zusammen. Etwas gleitet über meine Hand. Es ist warm und glitschig. Wie eine Schnecke, die gerade aus der Sauna kommt. Hektor sitzt vor mir und blickt mich unschuldig mit seinen geröteten Augen an.

Ein Sabberfaden hängt aus dem rechten Winkel seiner Schnauze.

Ich wische mir die Hand an der Hose ab.

„Lass das. Ich bin doch kein Putzlumpen für Kälber.“

„Hektor, Platz.“

Hektor pariert.

„Du glaubst nicht, was mir vor ein paar Tagen passiert ist.“ Sagt Andreas und setzt sich wieder an meinen Tisch.

„Du wirst es mir trotzdem erzählen.“

Wie als Bestätigung ignoriert Andreas meinen Kommentar und fängt einfach an.

„Neulich hetze ich ins Kaufhaus und renn am Eingang fast den Pfannenfritzen um. Du kennst doch die Typen: fettige Haare, billiger Anzug und manchmal ein zarter Duft von Alkohol. So ein Verlierertyp halt, der so spannenden Krimskrams wie Pfannen, Internetverträge und Zeitungsabos verhökert.“

Du denkst ja nett von deinen Mitmenschen. „Und da quatscht mich der Kerl auf einmal an. Hallo Andreas, sagt der und ich hab gedacht ich fall vom Glauben ab: da stand wahrhaftig Klaus vor mir.“

Andreas macht eine Kunstpause und sieht mich erwartungsvoll an.

Wahrscheinlich soll ich jetzt ein fassungsloses Nein…! anstimmen. Ich aber verstehe nur Pfannenfritze.

„Klaus?“

Wenn ich ehrlich bin, hab ich eine Ahnung, von wem er redet. Und neugierig bin ich auch irgendwie, aber ich will Andreas die Aufmerksamkeit nicht geben, die er sonst mit diesen Geschichten bekommt.

„Mensch Nathan, für einen Reporter bist du heute ganz schön langsam.“

„Weißt du, wie viele Leute ich kenne, die Klaus heißen?“

„Ok, ok. Ich meine meinen super erfolgreichen Vorgänger. Klaus Zetschmann. Der Held des Verkaufs schlechthin. Unser Chef hätte ihm damals schier ein Denkmal in der Eingangshaller errichtet.“

„Zu Recht. Ein begnadeter Verkäufer. Er hat euch damals an die Spitze gebracht.“

„Und jetzt, ein abgehalfterter, speckiger, schmieriger Ramschschleuderer.“

„Jeder hat mal einen Durchhänger.“

Ich kritzle Klaus in mein Notizbuch. Klaus steckt offenbar in einer Krise. Vielleicht könnte ich ihn interviewen.

„Der konnte doch nur eins: Geschäfte aufreißen und Sonderdeals vereinbaren.“

„Und mit Erfolg.“

Andreas winkt ab.

„Wohl eher mit Glück. Er hat sich von ’nem Taiwanesischen Elektrokonzern abwerben lassen. Hat gedacht, dass er mit der gleichen Verkaufsmasche deren Elektroschrott auf den Markt bringen kann wie unsere „Made in Germany“ – Premium Produkte. Damit ist er aber ordentlich auf die Schnauze gefallen. Das läuft doch nicht. Wenn man mal ‘nen Marketing-Gag gelandet hat, ist schon bei der Wiederholung der Lack ab.“

Andreas grinst. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich ihm einen ähnlichen Niedergang wünsche. Böser Nathan, Platz. „Klar, Klaus war ein Hecht, aber unser Firmennamen hat ihm die Türen geöffnet. Bei den Taiwanern war er aber nicht mehr der Starverkäufer vom Premiuman-bieter, sondern Hauptverschleu-derer der Billigkopie. Die Kunden haben ihn abblitzen lassen und er musste sich schnell was anderes suchen.“

Wieder macht Andreas eine Kunstpause, um zur Schlussfolgerung auszuholen.

„Das kommt davon. Einmal mit einer Masche Glück gehabt und die dann tot reiten.

Das muss doch ins Auge gehen.“

Als wärst du besser, du Lackkratzer. Notiz: Wiederholung, festgefahren.

„Danach ging er zu einem Hersteller von Glühlampen und hat es fast geschafft, ihn in den Ruin zu treiben. Natürlich mit der gleichen Masche. Hat die Arroganz des Premiumverkäufers bei jedem auf den Tisch geknallt und Sonderkonditionen vereinbart. Das war bei uns vielleicht richtig, aber doch nicht bei einer Massenware wie Glühbirnen. Nach einem Jahr hatten 32.000 Kunden individuelle Konditionen. Das Chaos kannst du dir ja vorstellen. Da hat der Unternehmensgründer persönlich die Notbremse gezogen.“

Endlich kommt mein Espresso. Während ich den Zucker dazu gebe und umrühre frage ich mich, wie Andreas an all die Informationen gekommen ist. Da muss jemand geplaudert haben, denn von Klaus weiß er das alles sicher nicht.

„Klaus flog in hohem Bogen raus. War natürlich gegen seine Ehre und er hat ein Riesen Tamtam gemacht. Danach hat er drei Jahre lang jedes Angebot abgelehnt, weil’s unter seiner Würde war. Unser Konkurrent hat’s mit ihm versucht und ihn schon nach drei Monaten gefeuert.

Und jetzt steht er so beschissen da, dass er alles annehmen muss, was er kriegen kann.

„Armer Kerl.“

„Find ich nicht. Der war einfach zu arrogant, um sich anzupassen. Wenn sein Weg nicht funktioniert hat, waren die anderen schuld. Die Taiwaner hatten das falsche Produkt, der Glühlampenhersteller die falsche Mannschaft und so weiter.“

So wenig ich Andreas leiden kann, er hat Recht. „Und jetzt kommt’s: Glaubst du, er hat was draus gelernt? Ich hab mich kurz mit ihm unterhalten. Er meint immer noch den Königsweg zum Erfolg zu kennen. Die anderen können seinem Sachverstand nur nicht folgen. Sagt er, hält mir eine Bratpfanne unter die Nase und fragt, ob ich sie kaufen will.“

Das Lachen könnte ich dir gerade aus dem Gesicht schlagen. Was maßt du Emporkömmling dir an? Ohne die Erfolge von Klaus hättest du nie diese Position und deine Firma nicht diese Stellung. Notiz: Königsweg.

„Und, hast du?“

Zum ersten Mal verschwindet das Lächeln aus Andreas’ Gesicht. Hat er also nicht. Obwohl er sich es locker leisten könnte, nem armen Kerl – ob nun arrogant oder nicht – eine Pfanne abzukaufen.

„Jedenfalls…“

Meine Aufmerksamkeit schweift ab. Eine Blondine betritt das Café. Sie bleibt am Eingang stehen und sieht sich die Leute an den Tischen an. Sie sieht auf die Uhr und setzt ihre regungslose Suche fort.

„Schau mal, die hübsche Blonde da hinten. Willst du von der vielleicht das Boot kaufen?“

Das waren die richtigen Schlagwörter: hübsch, blond und kaufen. Andreas nimmt Witterung auf und steuert auf sie zu. Gefolgt von Hektor, der so aussieht, als würden ihm die dauernden Ortswechsel auf die Nerven gehen. Wenn er das nächste Mal die Schnauze so aufreißt, sag ich ihm die Meinung. Luftpumpe.

Stumm nippe ich an meinem Espresso. Einen Gedenkschluck für Klaus, wenn man so will. Werde gelegentlich die Kaufhäuser abklappern und ihn zum Essen einladen. Trotz seiner Überheblichkeit hatte er sich immer um seine Freunde gekümmert.

„Dr. Späth.“

Ich sollte mal den Klingelton ändern, fast hätte ich mein Handy überhört. Fast jeder zweite hat den, deshalb ignorier ich ihn meist.

„Natan Vogth hier. Guten Morgen“

„Markus hat mich schon angerufen und mich vorgewarnt.“

Seine Stimme ist knapp und klar.

„Machen wir es kurz. Sie brauchen ein Interview und ein paar Tipps und ich habe keine Zeit. Markus zu liebe, würde ich meine Mittagspause opfern. Was halten Sie davon?“

Irgendwie komisch, auf der einen Seite war dies fast schon ein Befehl, aber auf eine Art, die sympathisch rüber kommt.

„Das passt.“

Eine andere Möglichkeit hab ich ja eh nicht. „Ich sitze schon im Cafe Pascal, in der Fußgängerzone.“

„Kenn ich. Um 12:30 Uhr?“

„Ja“

„Bis dann“. Klick. Das war’s.

Der Einband ist schön, riecht noch nach Leder und an der linken oberen Ecke eine kleine Narbe. Blankes Papier. Keine Linien oder Kästchen. Meine Liebste hat es mir das Notizheft zum Nikolaus geschenkt. Ich freue mich zu sehen, wie es sich langsam mit meinen Erkenntnissen über Krisen füllen wird. Die nächsten Tage wird es mein treuer Begleiter sein.

Andreas schießt mir immer wieder durch den Kopf. Verdirbt mir die Laune. Was maßt sich dieser Typ doch an. Klaus ist doch ein armer Mensch. Tiefer fallen geht wirklich nicht. Vom Tophelden zum Topfhelden.

Vom BMW 7er zum bezuschussten Busticket. Der hat wirklich eine Krise.

Das ist so wie mit dem Dicken an der Eingangstür. Beide haben mal einen Weg gefunden wie’s geht und von dem wird nicht abgewichen. War ja mal erfolgreich. Ob Türen oder Märkte öffnen. Sobald sich die Welt aber weiter dreht und eine kleine Abweichung eintritt, klappt es nicht mehr. Da baut sich Druck auf, wie Wasser vor einem Hindernis. Und anstatt die Strategie zu ändern, geben sie nur noch mehr Gas. Nach dem Motto „viel hilft viel“. Immer mehr Druck geben. Aber nicht in Richtung Ziel sondern Richtung Hindernis. Das Verstärkt sich, getreu dem Naturgesetzt „Druck erzeugt Gegendruck“. Ein anderer Weg wäre wohl schlauer.

Hab ich wirklich was von Andreas gelernt? Das will ich ihm lieber nicht verraten, sonst wieder er noch herablassender.

Nix wie aufschreiben.

Wenn ich eine Krise haben will, ist es sehr hilfreich wenn ich mich in meiner Flexibilität beschränke. Ich versteife mich nur auf einen Weg. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ich mein Ziel nicht erreiche und somit sinken meine Erfolgschancen. Die Angst vor dem Versagen, das dabei Auftritt, ist sehr hilfreich.

Wir bauen eine Krise

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