Читать книгу ANGESTRANDET - Rainer Teklenburg - Страница 6

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Karibik! Allein beim Klang des Namens kommen Träume auf. Karibik verheißt Abenteuer, Sonne, Strand und Liebe. Aus der Fensterluke des Fliegers kann Carlo die Küste sehen. Von hier oben ist das Meer dunkelblau und kräuselt sich weiß an den Kämmen der Wellen. Je mehr die Maschine an Höhe verliert, desto mehr ändert sich die Farbe des Wassers, wird hellblau und verliert sich in smaragdgrün. Der Traum rückt näher und die Farben werden prächtiger.

Hispaniola…

Christoph Kolumbus und seine Männer waren wohl die ersten „Ausländer“ die ihren Fuß auf dieses paradiesische Eiland gesetzt haben. Sie trafen auf ewigen Sommer, endlos weite Strände und Kokosnuss behangene sattgrüne Palmen. Freundlich und ehrfürchtig traten ihnen die einheimischen Indios gegenüber. Man wähnte sich im Garten Eden. Die Tainos, wie man diese Indios nannte, waren offen und ohne jede Hinterlist, gastfreundlich, feingliedrig und vor allem schlecht bewaffnet. Lange dauert es nicht, da wurden sie bis auf den letzten Mann ausgerottet, das ganze Volk für immer ausgelöscht. Für die schwere Arbeit schafften die Spanier afrikanische Sklaven ins Land, mit ihnen kamen die Glücksritter, Ausbeuter, die Abgesandten des Spanischen Hofes und auch Gottes fleißige Diener. Heute, 500 Jahre nach Kolumbus, ist dieses Land vom Tourismus erschlossen.

Mit den Urlaubern kommen sie wieder die Glücksritter, kleine Gauner, Betrüger oder einfach nur gescheiterte, die mit einer Hand voll Dollars dieses Paradies erobern wollen.

Obwohl Carlo alles was ihn an sie erinnern konnte zurückgelassen hatte, jedes Bild zerrissen, jedes Geschenk vernichtet, sogar den Ring in den Gully geworfen hatte, war sie allgegenwärtig.

Er müsste sich das Gehirn herausschießen, um sie aus seinen Träumen zu verbannen, ihren Geruch nicht mehr wahrzunehmen oder ihre Stimme nicht mehr zu hören.

„Rien ne va plus“, sagte er zu sich, „ich will dich nie wieder sehen“.

Ein Riesenlärm rund um das Förderband. Schreiende Kofferträger, lärmende Kinder, verschreckte Mütter und verschwitzte Väter auf der Suche nach ihrem Gepäck.

Carlo drängte sich ans Band, seine Reisetasche drehte dort schon ihre Kreise. Seine Hand schloss sich um die Tragriemen, noch bevor einer der Kofferträger ihm zuvorkommen konnte.

Wie hieß es beim Abflug?

„We are ready for take off“

Ich auch dachte er, ich bin bereit!

„Keep on running Junge.“

Fünf Dollar, das ersparte die lange Kontrolle des Gepäcks. Die Zöllner begrüßten jeden Reisenden per Handschlag. Ein kleiner zusammengerollter Geldschein wechselte dabei seinen Besitzer. Wer dieses System nicht kannte musste seine Koffer und Taschen durchchecken lassen. Unter Umständen wurde es dann richtig teuer und auf alle Fälle dauerte es seine Zeit.

Angel und Dolores standen zwar hinter der Absperrung, aber sie konnten Carlos schon sehen und winkten ihm zu.

Ich komme auf immer und ewig auf deine Insel, hatte er am Telefon zu Angel gesagt, aber der wollte, dass seinem Freund nicht glauben. Niemals mehr zurück in die Heimat und auch Natalie vergessen?

Natalie, einmal Hure, einmal Heilige, versteh' den Carlo einer, dachte Angel.

"Wann kommst du?“

„Die nächste Maschine, die nach Hispaniola fliegt, werde ich buchen, Angel.“

"Dolores und ich werden dich abholen, wir freuen uns, dass du kommst.“

„Hasta entonces amigo“

„Hasta luego Angel“

Es war nur noch ein Rauschen in der Leitung, als Carlo einhängte. Es hörte sich an wie das Rauschen des Meeres, das zwischen der alten und der neuen Welt die Grenzen zog. Carlo war das letzte Band, dass den kleinen dicken Araber mit dem Land verband, in dem er die glücklichsten und gleichzeitig die schrecklichsten Jahre seines Lebens verbrachte. Mit dessen Kommen zog dieses Band sich nun zusammen und würde sich hier verknoten. Dann würde auch er Deutschland bald ganz vergessen haben. In den langen Nächten würde Dolores schon dafür sorgen, dass sich seine Trauer in Grenzen hielt. Seit mehr als zehn Jahren lebt er nun auf dieser, „seiner Insel“. In Deutschland hatte er Maschinenbau studiert und wurde von einem multinationalen Konzern engagiert, um in Hispaniola bei der Verwirklichung eines ehrgeizigen Projektes mitzuwirken. Nach einem Jahr wurde er zurückbeordert. Er brachte es aber nicht fertig die Insel wieder zu verlassen. Angel kündigte seinen Job und ließ sich dort nieder.

„Es ist wie ein Virus, Carlo. Wenn er dich an den Eiern hat, dann lässt er nicht mehr los. Man kann nichts dagegen tun. Wir leben in der dritten Welt, alles im Argen. Täglich fällt der Strom aus und Wasser hält man besser auf Vorrat. Die Straßen sind kaum geteert und ohne Schmiergeld läuft so gar nichts. Korrupt das ganze System. Und dennoch, trotz der Armut schaust du nur in fröhliche Gesichter. Keiner ist verbittert, weil er nicht einen dritten Fernseher auf’m Klo hat."

Alemánia, I don’t miss you.

Angel war ein ehrlicher, aber auch ein schlitzohriger Araber. Einer der besser auf einen orientalischen Basar passte, als in die Vorstandsetage eines internationalen Konzerns. Fünf Sprachen beherrschte er in Wort und Schrift. Für einige Amerikaner, Kanadier und Europäer verwaltete er, na sagen wir mal, ihre Wochenendhäuser und auch ihr Schwarzgeld. Misstrauisch wie Reiche nun einmal sind trauten sie den hiesigen Banken nicht und deponierten ihre Dollars lieber in Angels Safe. Jeder wußte: Bei ihm war es so sicher wie in Abrahams Schoß, und es gab niemanden der nicht seine Hand für den Araber ins Feuer gelegt hätte. Was diesen allerdings nicht daran hinderte dieses Geld doch auf die Bank zu tragen und klammheimlich für hunderttausende von Dollars Zinsen zu kassieren. So kam es. dass er auf die Reichen nichts kommen ließ, obwohl er doch die Kapitalisten eigentlich nicht mochte. Weil der kleine dicke Araber ein gutes Herz hatte oder auch vielleicht ganz klein wenig ein schlechtes Gewissen, überlegte er sich, wen er an seinem Dollarsegen teilhaben lassen konnte.

Auf Hispaniola herrschte wie in der ganzen Karibik und auch in ganz Lateinamerika ein Mangel an Männern, beziehungsweise ein Überangebot an Frauen.

Aus der Sicht der Männer war dieser Zustand geradezu ideal und noch die größte Null konnte voll und ganz den Macho heraushängen lassen. Verantwortung und der Hang zum Arbeiten, war bei den hiesigen Maskulinen nicht besonders ausgeprägt. Der Garten Eden und die karibische Sonne verführten schon früh dazu, Liebe zu machen. Im Liedgut voller Erotik und Leidenschaft bewegten sich wunderschön geformte Körper im Rhythmus karibischer Klänge und in der Hitze der Nacht gaben sich die Mädchen den Attacken der Chicos hin.

Amore auf immer und ewig, nur dir will ich treu sein. Nur dich will ich spüren heute und bis in die Unendlichkeit. Glückselig eingelullt von den Worten der Latinlovers spreizten sie die Beine um das Zepter des Meisters zu empfangen.

Ein paar Tropfen des Einzigen ließ den Leib sich wölben und in den folgenden Monaten die Milch in die Brust schießen. Spätestens wenn des Meisters Meisterstück das Licht der Welt erblickte, pflegte der Einzige sich fast zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Wunders der Natur zu verdrücken. Er löste sich quasi in Luft auf, um an anderer Stelle und mit einer anderen Schönen das Wunder zu wiederholen.

Was also sollte Angel mit den Dollars machen?

Nicht weit von seinem Domizil entfernt hatte er ein Fischerdorf ausgemacht und dort für alleinstehende Mütter einen Kindergarten eingerichtet. Dort konnten diese ihre Kleinen kostenlos betreuen lassen, während sie einer Arbeit nachgingen. Zu diesem Zweck hatte er zwei wunderschöne Mulattinnen eingestellt, Maria und Dolores.

Dolores, der Namen bedeutet Schmerzen. Dolores, Schmerzen? Namen verpflichten. Zweiundzwanzig Jahre war sie alt, groß gewachsen, schlanke Fesseln, schlanke gepflegte Hände. Ihre schwarzen Haare reichten bis zum Gesäß und bedeckten ihren Po zur Hälfte Hohe Wangenknochen in ihrem schmalen Gesicht, große dunkle Augen, in denen man sich verliert, gekrönt von langen Wimpern.

Dolores, Schmerzen!

Verführung pur möchte man sagen. Auf jeden Fall hatte sie ihre Betreuung auf Angel ausgedehnt und nach und nach total ausgefüllt. Eine freundliche Übernahme sozusagen. Jetzt standen beide hinter der Absperrung und warteten, bis Carlo seine Formalitäten erledigt hatte. Seine Tasche in der Hand, drängte er sich durch die Wartenden zu ihnen durch.

Hola Carlo!

Hola Dolores, hola Angel!

„Komm her und lass dich umarmen.“

Mit diesen Worten reckte Angel sich nach oben und zog dabei Carlos ein wenig nach unten. Einen dicken Kuss auf die rechte Wange und noch einen auf die linke. Dann war Dolores dran, die sich lediglich etwas auf die Zehenspitzen stellen musste.

„Gib mir die Tasche.“

Angel zerrte am Riemen. Carlo kannte das schon, das würde jetzt noch eine Weile so gehen.

„Lass nur, ich trage sie selber.“

„Lass doch.“

„Gib schon her, maldita sea

„Gib schon, coño“

Dolores wusste, dass Angel nicht nachgeben würde, ja glatt beleidigt wäre, hätte Carlo nicht eingelenkt. Also gab dieser mit einem gespielten Stöhnen nach, wobei der kleine Araber triumphierend lächelte.

„Mein Auto ist in der Werkstatt, wir werden ein Taxi nehmen.“

„Es ist schön, dass du nun hier bleibst, du wirst Deinen Weg schon machen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“

„Allah wird's schon richten“, lachte Angel.

Schweigend liefen sie zum Taxi, verstauten Carlos Gepäck. Erst als sie das Flughafengelände bereits verlassen hatten, nahm Angel das Gespräch wieder auf.

"Du wohnst erst einmal bei uns, bis wir etwas Passendes für dich gefunden haben. Und morgen gehen wir zu meiner Advokatin wegen deiner Recidencia. Jetzt duschst du erst einmal, dann gehen wir essen. Ich habe am Strand von Costambar, in einem Lokal, einen Tisch bestellt. Es gibt Lachs vom Allerfeinsten. Außerdem werden etliche Freunde zur Begrüßung da sein.“

Er redete und redete. Wie durch Watte und von weitem drang seine Stimme zu Carlo, der versonnen aus dem heruntergelassenen Autofenster schaute. Gierig, die Eindrücke, die vorbeiflogen aufzusaugen und festzuhalten. Von den Zuckerrohrfeldern, die sich auf beiden Seiten der Straße ausdehnten, kamen die ersten Feldarbeiter. Die Machete geschultert, die Arbeit getan, befanden sie sich auf dem Weg zu ihren Behausungen. Schulkinder standen fröhlich albernd in ihren schmucken Uniformen am Rand der Straße. Die Buben alle mit Baseballmützen und die Mädchen mit geflochtenen Haaren, geschmückt mit bunten Perlen. Sie fuhren durch kleine Dörfer mit nur ein paar Häusern, manche aus Holz, andere gemauert. Überall pulsierendes Leben, kleine Gruppen standen zusammen bei den üblichen Plaudereien. Wie Hornissen schwirrten die Motoconchos (Mopedtaxis) auf der Suche nach einem Fahrgast kreuz und quer über die Straßen, Musik drang aus den Häusern, leichter Calypso, anarchistischer Reggae, verführerischer Lambada und der eindringliche Merengue. Vor den Casas saßen die Machos und spielten ihr Domino, während die Mujeres die Wäsche im Padio wuschen oder Freundinnen zu Besuch hatten. Gegenseitig legten sie sich die Haare, lackierten sich die Fingernägel in allerlei bunten Farben, bereiteten sich vor für die Nacht, um schön für ihre „Tigres“ zu sein, um ihnen zu gefallen.

„Maldita sea, coño, diablo.“

Der Fahrer fluchte laut vor sich hin. Vier Mal hatte er angesetzt, um einen Pick up zu überholen, der ihn nicht vorbeiließ. Dessen Ladefläche war voller junger Leute. Die Mädchen winkten fröhlich, während die Jungs ihre Muskeln spielen ließen, um die Ladies zu beeindrucken.

„No sabes pasar“ (kannst nicht vorbei), grölten die Jungs.

„No sabes manejar, ( kannst nicht fahren ) lachten die Mädchen.

Sie streckten dem Fahrer die Zunge heraus und wippten mit den Brüsten. Unter wildem Gehupe und lästerlichen Fluchen, schaffte er es endlich doch, unter dem Gegröle der jungen Leute, den Pick up zu passieren.

„Asi es mi pais“ (so ist meine Land), sagte er mit einem fröhlichen Lächeln und ein wenig Stolz in der Stimme.

Währenddessen redete Angel unverdrossen weiter und Dolores schaute mit ihren dunklen Augen und einem verträumten Blick zu Carlo, der sich richtig gut fühlte. Dieser spürte wie der Virus zwischen seinen Beinen Platz nahm, er hatte den Guten bereits an den Eiern.

Es war schon fast Mitternacht, als das Trio frisch geduscht und umgezogen ihren Tisch an der Strandbar einnahm. Sie bot für gut vierzig Leute Platz und war mit Stroh überdacht. Von den Dachbalken hingen ausgediente Fischernetze, Schiffstaue, Riesenmuscheln und allerlei Utensilien herab. Nicht ganz ungefährlich wurde die kleine Bar von dutzenden Kerosinlampen ausgeleuchtet, die allesamt leicht im Wind schaukelten und deren Licht und Schatten den Eindruck vermittelten als würden dutzende Kobolde hin- und her eilen und die Gäste zum Narren halten. Der Tresen war hufeisenförmig gemauert. Seine Außenwände waren liebevoll von haitianischen Künstlern bemalt worden. Auf der Stirnseite befand sich ein Gemälde mit schwarzen Sklaven die sich im nächtlichen Mondlicht von ihren rostigen Ketten befreiten und sich im Schutze der Dunkelheit davonmachten. Die Seeseite zeigte ein Piratenschiff, das unter vollen Segeln die Wellen des sich aufbäumenden Meeres kreuzte. An Deck, bis an die Zähne bewaffnete Piraten, die ein einäugiger Capitan vom Ruderdeck aus befehligte. Aus den geöffneten Kanonenluken nahmen sie ein spanisches Handelsschiff unter Feuer, das bereits mit zerfetzten Segeln sein Heil in der Flucht suchte. Auf der Landseite wurde eine Voodoo-Zeremonie dargestellt. Eine schwarze Priesterin in Trance, umgeben von Trommlern und Tänzern, die entrückt von der Gegenwart wie in Ekstase schienen. Ihr weißes Kleid, bespritzt mit dem Blut eines Gallo,(Hahn) dem sie zuvor die Kehle durchgebissen hatte. Der Voodoo, von den Sklaven aus Schwarzafrika in die Neue Welt getragen, verbreitete sich in Windeseile in die Karibik und bis zu den letzten Schamanen in den tiefsten Urwald rund um den Amazonas. Finstere und magische Kräfte sagt man ihm nach, z. B., dass der Kundige mit Hilfe des Voodoo Geist und Seele seiner Feinde zu beherrschen vermag. Offiziell ist der Voodoo auf der Insel verboten, existiert überhaupt nicht. Im Verborgenen wird er weiter praktiziert und hat bis heute nichts von seiner Magie verloren, und, wir mögen es nicht beschwören, auch nichts von seinen unheilvollen Kräften.

Als die komplette Gesellschaft eintraf, war der Tisch bereits gedeckt. Angel hatte das telefonisch arrangiert, aber erst einmal hatten sie nicht die geringste Chance an ihren Tisch heranzukommen.

Es gab ein großes Hallo,

Händeschütteln hier,

Küsschen da.

„Carlo, fein, dass du da bist.“

„Carlo, schön, dass du bleibst.“

„Du musst mich morgen besuchen…“

„Carlo, Carlo, Carlo…“

Herzlich war die Begrüßung und echt. Die meisten kannte Carlo von seinen früheren Reisen.

Kerzen-Erich, der dicke Thomas, El Loco Pieter, Brot-Paul, Flieger-Horst. Jeder auf der Insel bekam einen Beinamen, der entweder etwas mit seinem Beruf zu tun hatte oder mit seinem skurrilen Eigenschaften.

Angel wurde der Beduine gerufen. Wahrscheinlich, da er Araber war. Möglicherweise aber auch weil er den ansässigen Pferdeverleihern einmal Konkurrenz machen wollte und zwei Kamele aus Ägypten hatte einfliegen lassen. Er hatte sich das so schön vorgestellt. Aber die Touristen ritten lieber zu Pferde und weigerten sich trotz seines permanenten Werbens, die Wüstentiere zu besteigen. Jetzt grasten die beiden hinter Angel’s Haus und schienen sich recht wohl zu fühlen. Bei seinen morgendlichen Rundgängen grinsten sie ihn regelrecht an, manchmal hatte er das Gefühl sie lachten ihn tatsächlich aus. ***

„Aufstehen Carlo, aufstehen!“

Die laute Stimme Angel’s riss ihn aus dem Schlaf.

„Warum schreist du? Und rüttele mich nicht so“, jammerte Carlo.

„Du musst raus, wir haben Termine.“

„Lass mich in Ruhe, ich will noch etwas schlafen.“

„Mach schon, Dolores hat das Frühstück fertig.“

Der Schädel dröhnt ihm und am liebsten würde Carlo im Bett bleiben.

Der lange Flug, die vergangene Nacht, zu viel getrunken und nur vage Erinnerungen.

„Mit den Weibern darf man sich’s nicht verscherzen und schon gar nicht, wenn man Gast in ihrem Haus ist“, dachte sich Carlo. Also schleppte er sich ins Bad unter die Dusche und drehte kaltes Wasser auf. Nach und nach tauchte der gestrige Abend wieder auf. Nach dem Essen hatten die Jungs ihn an die Theke gezogen.

Carlo musste grinsen,

„hol’s der Teufel, mit jedem musste ich trinken, Tequila, Rum, Daiquiri“, dachte er.

Geschichten aus der Heimat erzählen. Eine dicke Dominikanerin hatte zu singen angefangen, ihr Mann spielte dazu Gitarre.

„Du musst mit Dolores den Tanz eröffnen“, hatte Angel verlangt.

„Lambada? Ich kann’s doch nicht.“

„Du kannst!“

„Nö, wirklich, ich kann nicht.“

„Klar kannst du“, beharrte Angel.

Schnell hielt man ihm einen Tequila hin, den er auf Ex trank und der ihm Mut machte und dann schoben sie ihn und Dolores in die Mitte. Mit ihr im Arm erschien ihm der Lambada plötzlich ganz einfach und der betörende Geruch, den sie ausströmte, verwirrten ihm ein wenig die Sinne.

Über den Rand seiner Kaffeetasse schaute Angel Carlo an.

„Wir haben um elf Uhr einen Termin wegen Deiner Residencia.“

„Aber es ist doch schon zwölf Uhr“, sagte Carlo erstaunt.

„Ja, ich weiß.“

„Aber dann sind wir doch viel zu spät.“

„Ach was“, sagte Angel leichthin. „Eine Stunde ist doch keine Verspätung!“

„Außerdem müssen wir um drei Uhr bei Patricia sein.“

Patricia? Wer konnte das sein? Klar hatte er gestern noch mit anderen getanzt, aber an eine Lady mit diesen Namen konnte er sich nicht erinnern.

„Patricia, wer ist das?“ Wollte Carlo wissen.

„Du solltest keinen Alkohol mehr trinken, echt nicht.“ Die halbe Nacht hast du dich nur ihr gewidmet, außerdem ist sie die Hotelmanagerin vom Le Pirat und hat eventuell eine Wohnung für dich.“

„Aha“

„Aha“, äffte Angel ihm nach und Dolores knallte ein bisschen zu heftig ein leckeres Omelett auf den Tisch.

** *

Bis auf Telefon, Computer und Licht bestand das Mobiliar aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Die Beine des wuchtigen Schreibtisches waren geschnitzt und zeigten zeitgenössische Figuren aus längst vergangenen Jahrhunderten. An den Wänden hingen überdimensionale Bilder mit den Abbildungen des spanischen Königspaares Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragonien. Seitlich auf einem beeindruckenden Sideboard ein originalgetreuer Nachbau der Santa Maria, dem Flaggschiff des Christoph Kolumbus. Die Dominikaner zeigten gerne was sie haben, jedenfalls diejenigen die auch was zu zeigen hatten.

Die Herrin über diese Anwaltskanzlei gehörte zu einem der reichsten Clans auf Hispaniola. Eine Rum Fabrik, Zuckerrohrfelder, Viehherden, Tabakplantagen. Eigentlich gab es kaum eine einträgliche Branche an denen sie nicht beteiligt waren oder auf die eine oder andere Art ihre Finger mit darin hatten.

„Diese Kanzlei“, erklärte Angel seinem Freund, "ist nicht unbedingt die preiswerteste aber ich schwöre es dir, die können aus Scheiße Butter machen.“ Die haben so ihre Verbindungen, deine Aufenthaltsgenehmigung wird bald geregelt sein und Probleme wird es keine geben.

„Señor Carlo“, sagte die Advokatin etwas übertrieben,, es ist mir eine Ehre, das sie meine bescheidene Kanzlei aufsuchen und uns ihr Vertrauen entgegenbringen.“ Mit diesen Worten ließ sie die Tausend Dollar, die Carlo auf den überdimensionalen Sekretär gelegt hatte, mit einer kurzen Handbewegung auf nimmer Wiedersehen in einer Schublade verschwinden.

„Sie werden von uns hören.“

Mit diesen Worten erhob sie sich lächelnd, was für Angel und Carlo bedeutete dass sie sich trollen konnten. Für diese tausend Dollar würde die Señora ein paar Telefongespräche führen, die einige Minuten in Anspruch nehmen würden.

„Tausend Dollar ist ungefähr die Summe die ein Zuckerrohrschneider verdient“, erklärte Angel seinem Freund, im Jahr versteht sich.“

***

„Was nun?“, fragte Carlo den kleinen Araber.

„Jetzt fahren wir zu Patricia und schauen uns dein neues Zuhause an.“

„Ich kann mich nicht an sie erinnern, habe ich tatsächlich mit ihr getanzt?“

„Getanzt ist wirklich gut“, spöttelte Angel.

„Wie meinst du das?“

Angel schlug ein Kreuz.

Also, ein guter Moslem ist der Araber nicht, dachte Carlo.

Das Hotel war keine hundert Schritte vom Strand entfernt und hatte die Form eines Hufeisens. Ein kleiner Weg aufgeschüttet mit schneeweißem Calitsche, rechts und links mit Palmen eingefasst, führte direkt zur Rezeption. Vis à vis lag das hoteleigene Restaurant und die dazugehörige schmucke Bar. An der Anmeldung vorbei führte ein aus schwerem Edelholz gefertigter Steg in die Anlage. Der Pool hatte das Aussehen einer riesigen Acht und mit seinem glasklarem, frischem Wasser lud er zum Schwimmen ein oder auch nur um darin zu verweilen. Die gesamte Innenfläche der Anlage war weiß gekachelt, unterbrochen von kleinen grünen Inseln, die mit verschiedenen karibischen Pflanzen und Blumen bewachsen waren. Der Kontrast vom Weiß des Bodens und dem Grün der Sträucher hatte für Carlo etwas von Poesie. Es war, als ob ein Gedicht vorgetragen würde, welches seine Sinne berauschte und ihn in eine entrückte Welt entführte. Alles schien bis ins kleinste Detail durchdacht geplant und arrangiert. Er spürte förmlich, dass die Leitung des Ganzen in liebevollen Händen lag. Und doch, trotz allem Charme des Kleinods, wollte sich kein Reiseveranstalter finden, der dieses Hotel buchen und in seinem Angebot mit aufnehmen wollte. "Zu wenig Zimmer", lauteten die Argumente, und für eng kalkulierende Manager ließ sich das nicht rechnen. So blieb der Schatz einigen wenigen Eingeweihten vorbehalten und den Glücklichen die ein Appartement fest mieten konnten. Dies sicherte den Besitzern die monatlichen Kosten und Ausgaben für die Instandhaltungen des Hotels. Für die Besitzer war dieser Umstand natürlich bedauerlich, für die handvoll Bewohner jedoch geradezu paradiesisch. Patricia lief vor den beiden her, um Carlo sein künftiges Appartement zu zeigen. Sie trug ein luftiges buntes Trägerkleid welches ihre wohlgeformten Schultern sehen ließ. Die Art und Weise, wie sie sich beim Gehen in den Hüften wiegte, musste jeden normal veranlagten Mann zum Träumen bringen. Genau wie bei Dolores reichten ihre Haare bis zum Gesäß, nur war sie dunkelblond und ihre Haut weiß wie Milch. Schon als Carlo ihr in der Rezeption gegenüberstand, wurden ihm beim Anblick dieses engelsgleichen Wesens die Beine schwach. Er starrte sie an und konnte seinen Blick nicht von ihren strahlend blauen Augen wenden.

Mein Gott, ich kann mich nicht an die gestrige Nacht erinnern, dachte Carlo, das heißt, an sie kann ich mich nicht erinnern, verdammter Alkohol. Angel hatte Recht, ich hätte nicht so viel trinken sollen.

„Hi Carlo“, begrüßte sie ihn.

„Hi Patricia.“

Ob ich sie geküsst habe, dachte er.

„Bist du gut nach Hause gekommen?“

Sie sah Carlo seltsam an und sagte dann gedehnt: „Jaaaa klar, du hast mich schließlich nach Hause gebracht.“

„Oh sicher“, ich meine ob du gut geschlafen hast“, sagte er ziemlich dämlich.

Patricia schaute überrascht zu Angel, doch der zuckte nur mit den Achseln und verdrehte ein wenig die Augen.

,Na, dann will ich dir einmal dein neues Zuhause zeigen“.

Mit diesen Worten eilte sie voran, Angel und Carlo hinterher. Während der Araber ziemlich gelassen blieb, musste Carlo seine ganze Kraft zusammen nehmen, um nicht unentwegt auf den süßen und prallen Po von Patricia zu starren.

"Man-oh-man, wenn das mal gut geht“, sagte er leise zu sich selbst.

Es war ein weites und geräumiges Eckappartement. Großes Bad, zwei Schlafräume, der Wohnraum versehen mit einer ausladenden, amerikanischen Küche. Wie üblich waren alle Schränke fest eingebaut und die Betten in den Schlafzimmern waren gemauert, Matratzen darüber gelegt und fertig. Der Boden war mit feinem Marmor gefliest und die Wände waren in weißem Rau Putz gehalten. Die farbenfrohen Kontraste kamen mit den Möbeln, den Bildern und den vielen Pflanzen die zur Ausstattung gehörten. Alles in allem war dieses Appartement ein kleiner Traum. Die Krönung aber war die Terrasse. Das Hotel besaß zwei Stockwerke und die Räumlichkeiten für Carlo befanden sich in der oberen Etage. Zwei große Falttüren erstreckten sich fast komplett über die Terrasse die sich im Halbkreis über das gesamte Appartement erstreckte. Überdacht war sie mit weinrotem Schiefer, der getragen wurde von Natur belassenen, dunklen Balken. In großen aus Holz gefertigten Kübeln befanden sich prächtige mannshohe Palmen, eine jeweils auf jeder Seite. Ein runder Esstisch, mit der dazugehörigen Sitzgruppe, eine aus Baumwolle Hand geflochtene Hängematte und von den Balken herabhängende Kerosin Lampen schmückten dieses kleine Paradies. Der Ausblick auf einen Teil des Strandes und zum Meer hin lud dazu ein die meiste Zeit draußen zu verbringen. Man konnte die Schiffe beobachten, die auf den Hafen von Puerto Plata zusteuerten: kleine Fischerboote die ihren Fang einbrachten, Frachtkähne, die Ware aus aller Welt in ihrem Bauch trugen und deren Fracht hier gelöscht wurde sowie Yachten, Segelschiffe und Luxusliner. Mit einem guten Fernglas konnte man die müden Fischer und die Matrosen in ihren schmucken Uniformen erkennen, selbst die Passagiere der Traumschiffe konnte man sehr gut ausmachen.

„Ist das für dich okay Carlo?“

Die Stimme Patricias riss ihn aus seinen Gedanken.

„Es ist herrlich“, sagte Carlo, „am liebsten würde ich sofort einziehen.“

„Also, das ist doch kein Problem, du gehst mit Angel deine Sachen holen und ich lasse inzwischen alles herrichten. Frisches Bettzeug, Handtücher und so weiter. Noch einmal gut durchwischen, dann ist alles klar.“

Vor lauter Freude umarmte Carlo Patricia, drehte sie im Kreise und küsste sie auf beide Wangen. Mit einem Lächeln ließ sie ihn gewähren.

„Mach hin Angel, holen wir meine Sachen.“

Zum ersten Mal saß Carlo nun zum Frühstück auf „seiner Terrasse“. Frisch ausgepresster Orangensaft stand in einer Karaffe eisgekühlt vor ihm, dazu ofenwarme Brötchen, Marmelade, Butter und ein Obstteller mit diversen Früchten des Landes. Kaffee lief durch die Kaffeemaschine. Dolores war überhaupt nicht begeistert, dass Carlo so schnell eine Bleibe gefunden hatte. Sie half ihm zwar beim Packen, würdigte ihn aber keines Blickes.

„Vete a la rubia“ (verschwinde zu der Blonden) zischte sie leise Da schwang ein bisschen Eifersucht mit und Carlo fragte sich warum. Im Grunde waren sie sich einander sehr ähnlich. Beide Frauen waren hoch gewachsen, schlank, die Haare seidig lang gewachsen. Ihre Gesichter waren nicht einfach nur hübsch, nein, ihr Antlitz war ausdrucksstark und doch gleichzeitig geheimnisvoll. Was sie unterschied, war die Farbe der Augen und die ihrer Haut: Dolores schokoladenbraun und Patricia elfenbeinweiß. Verschieden waren sie auch im Wesen und im Temperament. Dolores wirkte wie eine Raubkatze, die ihre Beute umkreist, bereit jederzeit ohne Vorwarnung und Mitleid zuzuschlagen. Patricia hingegen zeigte sich als kühle Amazone, aufrecht und stolz, und bei jeder Gefahr jederzeit dazu bereit sich zu verteidigen. Beide umgab das Geheimnisvolle, ein Hauch Unerklärliches, und man wurde von beiden unweigerlich in ihren Bann gezogen.

Intuitiv und mit dem Instinkt der Straße spürte Carlo dass er vor den beiden Frauen auf der Hut sein musste. Immerhin, Dolores gehörte zu Angel und auch Patricia war fest vergeben. Ihr Lover verbüßte eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Piraterie. Er saß schon eine geraume Zeit in Fortaleza, der größten und sichersten Strafanstalt des Landes. Mit einigen Compañeros hatte er mit einem Schnellboot, außerhalb der dominikanischen Hoheitsgewässer, langsamere Yachten ausgeraubt. Solange sie in internationalen Gewässern ihr Unwesen trieben, geschah ihnen nichts, obwohl ihre Aktivitäten bekannt waren. Ein einziges Mal nur, sie witterten fette Beute, verfolgten sie einen Segler und stellten ihn erst als er sich bereits in der hiesigen Hoheitszone befand. Das reichte den örtlichen Behörden, um diese modernen Piraten festzusetzen und abzuurteilen. Jetzt brummte er in seiner Zelle während Carlo mit dem Frühstück auf Patricia wartete. Seine Gedanken verloren sich und er fing an zu träumen, sah seinen Vater in der schmucken Uniform am Bug eines Schiffes stehen. Sie liefen Reval an und bald würde er seine Liebste wieder sehen. Fein hatte er sich gemacht, gefallen wollte er ihr und ihr Herz erobern, dabei gehörte es ihm doch schon längst. Mit schönen Worten würde er sie umschmeicheln, trunken machen mit seinen feurigen Küssen. Verführen würde er sie und sie würde ihm folgen, egal wohin die Reise auch ging. Vier Mädchen würde sie ihm gebären und zu guter Letzt auch noch einen Jungen: Carlo!

„Carlito", hatte seine Mamuschka gesagt, „du wirst den Namen von Papaschka weitertragen. Du bist ihm Garant, dass sein Name fortbesteht und nicht ausstirbt.“

Gottesfürchtig war seine Mamuschka und in ihren Gebeten hatte sie dem Herrn gedankt für ihren Mann und ihre Kinder. Der Herrgott musste sie wohl sehr lieb gehabt haben, immerhin hatte er beide sehr früh zu sich geholt. Die Kinder wurden getrennt und kamen in ein Heim. Als Carlo vierzehn Jahre alt geworden war, hatte er seine Habseligkeiten in einen kleinen Rucksack gepackt und war getürmt. Er hatte gelernt sich durchzuschlagen. Auf der Straße groß geworden, hatte die Straße ihn geprägt.

„Carlo.“

Aus seinen Träumen schreckte er auf. Patricia stand vor ihm, es war ihre angenehme Stimme die nach ihm gerufen hatte. Er hatte die Tür für sie weit offen gelassen.

„Du warst so in Gedanken dass du mein Klopfen gar nicht gehört hast.“

„Frühstücken wir?“

„Gerne“, antwortete sie lächelnd und zeigte dabei ihre wunderschönen perlweißen Zähne. Das ist schon komisch, das Lächeln einer Frau und ihre Zähne sind immer das erste, was ihm an ihnen auffällt. Sie konnten schön sein und gut ausgestattet in der Bluse. Und mit einem knackigem Arsch, das ließ ihn erst einmal kalt. Lächelten sie aber, dann war es als wenn sie eine Tür aufmachten und wortlos sagten: „Komm rein, ich mag dich.“ Ein Lächeln reißt die Mauern jeder Festung ein. Wie einfach man doch einen Faden spinnen kann. Während Carlo den Kaffee holte, hatte sie Platz genommen und es sich bequem gemacht. Sie hielt die Augen geschlossen und reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Barfuß, die Zehen rot lackiert, den Saum ihres Kleides ein wenig nach oben geschoben, saß sie Carlo gegenüber der ihre wohlgeformten Beine mit seinen Blicken bewunderte. Anmut und Wärme strahlte sie aus.

„Verdammt.“, Carlo war lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen. Er saß ihr gegenüber, schenkte ihr den Kaffee ein und schnitt ihr ein Brötchen in zwei Hälften. Eigentlich eine vertraute Geste wo sie sich doch kaum kannten. Es schien ihr zu gefallen. Jede Hälfte bestrich sie dick mit Butter und Marmelade und biss vergnügt hinein.

„Wie gefällt dir dein neues Zuhause?“

„Es ist wirklich wunderbar, ich fühl mich wohl hier, einfach nur gut.“

„Später musst du in mein Büro kommen wir müssen den Vertrag noch gegenzeichnen.“

„Hast du dir schon überlegt was du tun willst, was wirst du arbeiten?“

„In der Heimat habe ich mit Schmuck gehandelt und das werde ich auch hier tun.“

Einen kleinen Laden habe ich auch schon, und zwar gegenüber von Angels Haus, genau neben dem Cafe des Inders. Der Laden gehört ihm ebenfalls und ich kann mich zu einem vernünftigen Preis einmieten.“

„Hast du denn schon Ware, die du verkaufen kannst?“, wollte Patricia von ihm wissen.

„Na ja, ich habe Edelsteine mitgebracht und ich denke, Gold kann ich hier kaufen. Angel und ich wir werden uns zusammen tun und einen Goldschmied kennt er auch.“

„Weißt du Carlito, ich kenne da zwei Goldsucher,“ die beiden mieten sich immer bei mir ein, wenn sie aus den Bergen kommen, um in Puerto Plata ihren Fund zu verkaufen. Ich werde euch bekannt machen, möglicherweise kommt ihr miteinander ins Geschäft.“

Patricia entpuppte sich als ein wahrer Schatz. Sie half Carlo bei den Genehmigungen, die er benötigte, war mit ihm unterwegs um die Ausstattung seines Geschäftes zusammen zu kaufen. Immer öfter frühstückten sie gemeinsam und auch ihre Gespräche wurden vertraulicher. Obwohl zwischen beiden eine geheimnisvolle Spannung entstand, gelang es ihnen doch, es niemals verfänglich werden zu lassen. Es war, als ob sie sich im Arm lagen, ohne sich zu berühren. Irgendetwas hielt Carlo davon ab, einen Angriff zu wagen und auch Patricia wollte ihrem Mann die Treue halten - und das nicht nur platonisch.

***

Der Pick Up krächzte und ächzte, quälte sich durch die Berge. Hinten auf der Ladefläche die Neuerwerbung fürs Geschäft. Zwei Glasvitrinen, abschließbar aus Panzerglas. Patricia hatte das arrangiert; eine Witwe aus Santiago hatte die Vitrinen zum Kauf angeboten. Patricia hatte sie angerufen und schon am Telefon den Preis ausgehandelt und verbindlich zugesagt.

Man hatte ihren Gatten bei einem Raubüberfall erschossen.

„Er war Juwelier“, erklärte sie Carlo vor dem Deal.

„Na wenn das kein gutes Omen ist.“, erwiderte er trocken.

„Wir leben hier in der dritten Welt“, lächelte Patricia. „Ein bisschen Restrisiko hast du immer. So manchem braven Mann wurde schon für sehr viel weniger die Kehle durchgeschnitten.“

Das einzige was im Pick Up noch gut funktionierte, war das Radio, aber für ein paar Dollars sollte man keine Wunder erwarten und der Wagen fuhr und brachte sie dahin, wohin sie wollten. Patricia hatte ihre Schuhe abgestreift und ihre nackten Füße aufs Armaturenbrett gestützt. Sie trug abgeschnittene Jeans und ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „GAME OVER.“ Ihre Haare quollen wild unter einer Baseballmütze hervor die sie verkehrt herum trug. Die Augen geschlossen, summt sie das Lied mit, welches blechern aus den Lautsprechern drang.

„Warum hast du keine Freundin?“

Carlo sah sie von der Seite an, wie hübsch sie doch ist, dachte er bei sich.

„Hm. Keine Ahnung. Ich glaube, die Frauen mögen mich nicht.“

„Komm. Sag' schon. du wirst Ansprüche stellen, die kaum eine Frau erfüllen kann. Ist es nicht so?“ bohrte sie.

„Nein Quatsch. So ist das wirklich nicht!“

„Wie muss denn deine Perle aussehen? Sie muss bestimmt bildhübsch sein, damit du dich für sie interessierst, stimmt’s?“

„Das Aussehen ist mir eigentlich nicht so wichtig“, lachte Carlo. „Allerdings über den TÜV sollte sie schon noch kommen.“

„Und du?“

„Wie müsste Dein Traummann sein?“

„Mein Traummann?“ Also, der sitzt in Fortaleza.“

Sie tat ihm leid. Sie wollte all die vielen Jahre auf ihn warten. Wenn er eines Tages entlassen würde, würde sie feststellen, dass sie sich beide verändert hätten und wie Fremde gegenüberstehen würden. Aber sie hatte ein tapferes Herz, und wenn sie es für möglich hielt, was sollte man dagegen sagen?

Einen kleinen Stich hatte er doch im Herzen als sie ihm voller Stolz sagte: „Alle vier Wochen kann ich ihn besuchen und da können wir zusammen sein.“

„Zusammen sein?“, dachte Carlo bitter. „Sie meint wohl: die Beine spreizen, damit dieser Typ sein Ding rein tun kann.“

„Glaubst du, du kannst ihm treu sein?“, fragte er nach einer Weile.

Lange schaute sie ihn an.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Auf jeden Fall werde ich es versuchen.“

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Am Eingang von Costambar befand sich ein kleines Wachhaus. Ein Posten sollte all die kontrollieren, die nicht ins Campo gehören. In der Regel nahmen diese Posten ihre Aufgabe nicht sehr ernst und dösten in einem Schaukelstuhl vor sich hin. Wenig beeindruckend war auch die abgesägte Schrotflinte, die sie mit sich führten. Für ein paar Pesos ließen sie sowieso jeden durch. So hatte das Ganze eher einen symbolischen Charakter. Das Campo hatte nur eine einzige Zufahrt, rechts davon eine große Pferderanch und links, getrennt durch einen Hügel, das Dorf Cofresi. Dahinter der atlantische Ozean mit seinem glasklaren Wasser. Gleich, wenn man in Costambar hineinfuhr, traf man auf die ersten kleinen Geschäfte. Neben dem Friseur ein Segeltuchmacher, ein Korbmacher teilte sich die Räumlichkeiten mit einem Fischer. Der Mercado grenzte an den Kindergarten, in dem die Kleinsten mehrsprachig auf die Schule vorbereitet wurden. Keine hundert Meter weiter gabelte sich die Straße und genau dort befand sich das Cafe des Inders. Von ihm hatte Carlo die Räumlichkeiten für sein Schmucklädchen gemietet, welche direkt an das Cafe stießen. Auf der anderen Seite der Straße bewohnte Angel eine Villa, die in zwei Hälften geteilt war, von denen er eine für sich nutzte. Ein buntes Völkchen war in diesem Campo zuhause. Neben wenigen großen, gab es einige kleine Hotels. Hier lebten außerdem viele Einheimische, Glücksritter und Aussteiger aus aller Herren Länder, z.B. 'El loco' Pieter: der ein Sportstudio betrieb und eine winzige Bar hatte. Da er keine Lust hatte seine Steuern zu bezahlen, kehrte er der Heimat den Rücken und ließ sich in diesem Steuerparadies nieder. 'Kerzen-Erich': er verdankte seinen Namen den kunstvollen, handgeschnitzten Kerzen, die auf der ganzen Insel von ihm verkauft wurden. Ein Frankfurter, der zuerst sein Glück in Afrika gesucht hatte und dann von dort sein Heil in der Flucht in die Karibik. Zu viele Leute hatte er in der fernen Heimat aufs Kreuz gelegt und so fühlte er sich hier besser aufgehoben. 'Brot-Paul' hatte eine kleine Backstube und stellte deutsches Brot und Brötchen her. Was auch immer ihn hierher verschlagen haben mochte, es wird nichts Gutes gewesen sein. Aus vielen Nationen leben sie hier zusammen: Italiener, Argentinier, Holländer, Kubaner, Russen, Schweizer und, und, und. Und ein Bayer: 'Ziegel-Max'! Eigentlich ein Dachdecker. Er hatte sich aber von Carlo engagieren lassen, den Innenausbau des Schmucklädchens zu übernehmen. Max war ein wilder Geselle mit einem Schnauzbart, den er täglich nach oben zwirbelte. Sein Dialekt war schwerer zu verstehen als das Spanisch der Campesinos Patricia hatte sie miteinander bekannt gemacht, allerdings hatte sie Carlo verschwiegen, dass er ein fanatischer Fußball-Fan war und die Fußballergebnisse der Bundesliga mittels eines Weltempfängers verfolgte. Verschwiegen hatte sie auch, dass, wenn sein geliebter Verein eine Niederlage erlitt, er sich dann ausschließlich - und das für die nächsten Tage - mit einigen Maß Bier und nicht mit seiner Arbeit beschäftigte. 1860 München, die Weißblauen, wie Carlo die nun hasste. In seiner Lederhose mit Kniestrümpfen in Vereinsfarbe saß der Bayjuware dann an der Strandbar, den trüben Blick übers Meer, durch nichts zu bewegen die Arbeit wieder aufzunehmen.

„Max, ich hab diese Woche Eröffnung,“ versuchte Carlo ihn aufzumuntern.

„Döös is fei, viel Glück,“ kam prompt die Antwort.

„Du musst kommen, ich habe eine Menge Leute eingeladen, auch eine Musikergruppe. Du musst kommen, deine Arbeit muss fertig werden.“

„Die Deppen, ham´s verloren. Magst was zum Saufe?“, sagte Max gleichgültig.

Carlo wurde langsam wütend.

„Ich will nichts saufen, verdammt, ich will das du deine Arbeit machst.“

Wenn's gewinne am Wochenend…“

„Max, lass mich nicht hängen!“

Und so kam es das Carlo seine Eröffnung wegen der Weißblauen verschieben musste.

Zehntausend Kilometer der Heimat entfernt, in der dritten Welt auf einer karibischen Insel saß ein Bayjuware in seinen abgewetzten Lederhosen und trieb Carlo in den Wahnsinn, nur weil die Zuhause kein Tor schießen konnten. Aussteiger aus Deutschland?

***

Schön geplant war die Eröffnungsfeier. Eine kleine Combo hatte Carlo engagiert. Der Inder hatte in seinem Café ein Buffet aufgebaut, Getränke und Snacks: alles Gratis. Das hieß auf Kosten von Angel und Carlo. Angel hatte seine Kamele herausgeputzt, beide trugen ein weißes, zu einem Reif gedrehtes Tuch auf ihrem Haupt. Daran waren goldene Glöckchen befestigt, die bei jedem Schritt einen silberhellen Ton erklingen ließen. Zwischen ihren Höckern lag eine schwere mit Gold durchwirkte Brokatdecke mit bunten Bordeln an der Seite. Max, mit den Weißblauen zufrieden, konnte von ihnen überredet werden, seine Lederhosen auszuziehen, um das Gewand eines arabischen Fürsten anzulegen. Seine Haare wurden komplett von einem Turban verdeckt. Schwarze Pumphosen, spitze nach oben gebogene Schuhe, verziert mit silbernen Glöckchen und eine weite Zigeunerbluse mit schwarzer Weste gehörten zu seiner Ausstattung. Zur Krönung hatte man seinen nach oben gezwirbelten Schnauzbart komplett schwarz eingefärbt. Mit den zwei Kamelen, die er am Strick führte, hätte er gut einen Kalifen abgegeben. Dolores und Patricia waren wie arabische Prinzessinnen gekleidet. Das Gesicht mit einem durchsichtigen Schleier verhüllt, die Arme entblößt und der Bauch unbedeckt, boten sie einen exotischen Anblick. Die Mädchen trugen eine kleine Auswahl Schmuck aus der Kollektion von Angel und Carlo. Auf der kaffeebraunen Haut von Dolores wirkte der silberne Schmuck in Verbindung mit den orientalischen Kleidern wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. Um die Oberarme trug sie breite Armreife und um die Handgelenke viele kleine Kettchen mit arabischen Symbolen. An jedem Finger kunstvoll gefertigte Ringe, besetzt mit Edelsteinen der verschiedensten Couleurs. Um den Nacken eine ganz feine in sich verschlungene Kette, in deren Mitte ein blauweißer Edelstein gefasst war, der nur hier auf Hispaniola zu finden war. 'Lagrima de Mar': Tränen des Meeres. Patricia hatte die gleichen Stücke in goldgelb angelegt. Seite an Seite zogen die beiden alle Blicke auf sich. Auch die Combo war für die Karibik außergewöhnlich, ihr Repertoire reichte von Calypso über Salsa bis zu arabischen Klängen. Und ihre Sängerin war eine gefeierte Bauchtänzerin.

Das Café des Inders war so mit dem Schmucklädchen verbunden, dass die Räume fast ineinander übergingen. So hatte man genügend, mit Palmenblättern überdachte Freifläche, wo die Show stattfinden konnte.

Es wurde sehr früh dunkel in diesen Breiten. Der Tag wechselte zur Nacht in wenigen Momenten. Wenn die Sonne sich mit einem letzten Lächeln für diesen Tag verabschiedete, gab die Finsternis den Blick frei auf einen sternenübersäten Himmel. Überall glitzerte und funkelte es am Firmament und der Wunsch kam auf, einmal, einmal nur auf der Milchstraße spazieren zu gehen, dem Großen Bären ins Auge zu sehen und auf dem Kleinen Wagen durchs All zu gleiten.

Kaum zu glauben, dass es die gleichen Sterne sind, die ich an wolkenlosen Nächten in Deutschland betrachtet habe, dachte Carlo. Allerdings hatte ich nicht diese Emotionen, die ich in diesem Land empfinde… die Sterne scheinen zum Greifen nahe. Man ist versucht, die Hände nach ihnen auszustrecken, um sie zu berühren.

Carlo stand etwas abseits vom Fest, im Schatten einer niedrigen Palme und beobachtete das Treiben. Nachdem die Sängerin den Reigen mit einem Bauchtanz eröffnet hatte, hielt der Araber einen Vortrag über die Bedeutung des Schmucks in der Antike. Viele Gäste hatten sich eingefunden, sogar den TV-Sendern waren sie einige Minuten wert. Angels Idee mit den Kamelen und den orientalischen Prinzessinnen waren wohl der Anlass für das Interesse. Carlo sah, dass Dolores und Patricia den Rumpunsch nachschenkten, anmutig, graziös, zauberhaft. Du darfst nicht nach den Sternen greifen, sagte ihm eine innere Stimme

***

Patricia wurde in Schweden geboren, ihre Kindheit verbrachte sie auf dem Land an einem der vielen Seen. Sie liebte die kalten Nächte und die kurzen Wintertage, schwärmte vom Frühling und dem herrlichen Sommer. Nachts saß sie mit ihren zwei kleineren Brüdern vor dem knisternden, wärmespendenden Kamin und lauschte den Geschichten, die ihr Vater zu erzählen wusste. Das war ein guter Mann, der genug Geduld hatte, auf alle Querelen seiner Kinder einzugehen. Er war ein guter Erzähler. Er verstand es seine Kinder mit märchenhaften Worten in eine Zauberwelt zu entführen, die ihnen so plastisch erschien als gingen sie mit den Trollen, Gnomen und Zwergen Hand in Hand durch magische Wälder. Sogar das Paulchen konnte er fliegen lassen. Paulchen ist ein kleiner Esel, den Patricia als Kind zum Geburtstag bekam. „Schließe die Augen meine kleine Prinzessin, siehst du wie ihm die Flügel wachsen.“ Auf dem Rücken von Paulchen sah sie wie ihm tatsächlich welche wuchsen. Flieg, Eselchen, flieg! Und Paulchen erhob sich empor und flog der Sonne entgegen. Niemals brauchte der Vater ein Buch, und wiederholen tat er sich nur wenn die Kleinen es forderten. Patricia war sein Liebling und durfte sich fast alles erlauben. Ihre Mutter hatte Nachsicht mit den winzigen Ungerechtigkeiten die sich für die Buben ergaben. Auf ihre ruhige und bedachte Art bügelte sie alles wieder gerade, und da sie ziemlich weit draußen lebten kamen höchst selten die Nachbarn vorbei, um zu sehen ob alles okay war. Die Mutter unterrichtete die Kinder selber. Das war die einzige Zeit in der sie streng und unnachgiebig war. Alle sechs Monate musste sie mit ihnen in die Stadt, dort wurden sie von der Schulbehörde einem Test unterzogen, um zu überprüfen, ob es Mängel an ihrer schulischen Erziehung gab. Patricia war täglich mit Paulchen zusammen, sie ging mit ihm spazieren, zum Baden, erzählte ihm die Geschichten vom Vater nach.

An einem Wochenende war ein Ausflug auf dem See geplant. Das Boot wurde flott gemacht, Proviant, Tee und ein Radio mitgenommen. Die Stimmung war ausgelassen, fröhlich winkten sie Patricia aus dem Boot zu, und sie winkte zurück. Als das Boot nicht mehr zu sehen war begab sie sich zu Paulchen, der sich den Huf verletzt hatte. Sie wollte ihn nicht alleine lassen und verbrachte den ganzen Tag bei ihm im Stall.

Abends stand sie am See und wartete auf ihre Eltern und die Brüderchen um sie zu begrüßen. Die Nacht war längst hereingebrochen, doch sie waren noch immer nicht zurück. Sie entzündete ein Feuer damit sich der Vater orientieren konnte. Wochen später fand man das abgemagerte Kind am Ufer sitzen. Man brachte sie in die Stadt, und der dortige Pfarrer kümmerte sich um die Kleine. Polizei und Militär starteten eine groß angelegte Suchaktion, Es war sinnlos, nicht einmal die Leichen hatte man finden können.

Nach langen Recherchen fand man weitläufige Verwandte in Deutschland. Onkel Albert und Tante Herta waren gutmütige Menschen. Sie hatten Patricia schnell ins Herz geschlossen und versuchten alles um sie vergessen zu lassen.

In der Schule lernte sie Manni kennen. Er war anders als die anderen, statt ihr den Hof zu machen wie seine Freunde, erzählte er ihr Geschichten. Von Seeräubern und Piraten, die den Spaniern so viel Ungemach breiteten. Von Truhen voller Gold, von Schatzinseln und von der Karibik. Er brauchte kein Buch dazu, alle Geschichten kannte er auswendig und nie wiederholte er sich, es sei denn, sie wollte die Geschichten ein zweites Mal hören. Wohin er auch ging, sie folgte ihm. Über Jamaika, Kuba, Martinique, landeten sie schließlich auf Hispaniola. Hier lebte er seinen Traum. Mit finsteren Gesellen tat er sich zusammen, um mit ihnen Schiffe zu überfallen. Sie organisierten ein Schnellboot, um auf Raub in die See zu stechen - moderne Piraterie.

Immer stand Patricia am Strand, um auf ihn zu warten. Jetzt saß er eine hohe Haftstrafe in Fortaleza ab. Patricia wartete mit traurigen blauen Augen, wunderschön anzusehen - so stark war sie und doch so zerbrechlich.

Du darfst nicht nach den Sternen greifen. Es ist die Stimme von Mamuschka, die Carlo das zuraunt.

***

"Mach den Sekt auf Carlo, das war ein voller Erfolg und muss begossen werden." "Gib her die Flasche, Angel". Mit einem Knall flog der Korken raus. Patricia, Dolores und Angel hielten ihm die leeren Gläser hin. „Wir trinken Bruderschaft, du musst die Mädels küssen“, lachte Angel. Der Kuss von Dolores brannte wie Feuer auf seinen Lippen, und den zärtlichen, samtweichen Kuss von Patricia spürte er noch lange danach. Carlo war verwirrt, zwei solche Weiber. Und Angel zählte die Dollarchen. Er hatte ein glückseliges Grinsen, als hätte man ihn geküsst und nicht seinen Freund. „"Wir werden den Goldschmied fest einstellen und eine Verkäuferin suchen. Ich habe ein gutes Gefühl, der Laden wird laufen.“

"Cheers".

Die Gläser klirrten……

***

„Du wartest bis um zehn, dann sind die beiden schon betrunken und du kannst einen guten Preis aushandeln." Heute Abend sind sie im Le Pirat, du gehst dahin“, hatte Patricia zu Carlo gesagt, „ich habe ihnen schon von dir erzählt.“ Jetzt würde er sie also kennenlernen; es sollten ziemlich raue Gesellen sein.

In den Bergen oberhalb des Valle de Flores entsprang einer der großen Flüsse der Insel, nicht weit der haitianischen Grenze, in einem wild zerklüfteten und schwer zugänglichen Gebiet. Nur wenige Einheimische lebten dort, weitab jeglicher Zivilisation und jeglichen Tourismus. Die Bauern züchteten Rinder und Gallos und bauten ein wenig Gemüse an. Ihre Haupteinnahmequelle waren die Gallos, die sie zu Kampfhähnen ausbildeten. Selbst die Haitianer kamen meist illegal über die Grenze, um diese Tiere zu erwerben, die in den Arenen des ganzen Landes bekannt und gefürchtet waren. Der Hahnenkampf ist hier so wichtig wie in den Staaten Basketball oder in Deutschland Fußball. Selbst das kleinste Dorf hat seine Arena, wo die wöchentlichen Turnierkämpfe stattfinden. Die Männer eines Dorfes waren fast immer komplett anwesend und die Dorfschönheiten genossen einen machofreien Tag. Diese Sonntage waren für den Rumhandel die wichtigsten Tage, kaum ein Zuschauer der nicht seine Flasche dabei hatte und während dieses Ereignisses auch leerte. Es wurde getrunken, gewettet, lauthals und fachkundig diskutiert. Selbst der ärmste Tagelöhner hatte ein paar Pesos in der Tasche, um sie auf „seinen Gallo“ zu setzen. So mancher brave Mann hatte dabei sich und seine Familie in den Ruin getrieben. Und doch, man nahm es leicht.

Der Herr gab’s, der Herr nahm’s.

Hier in den Bergen der Gallos wurden sie fündig, Pierre der Franzose und Niklas der Korse. Beide waren sie in der französischen Fremdenlegion bis sie die Schnauze voll hatten und zusammen abgehauen waren. Nach einem Einsatz im Tschad wurden sie nach Französisch Guyana versetzt um dort die französischen Raketenbasen zu bewachen. Sie flohen über Brasilien nach Kolumbien. Im Regenwald fingen sie an nach Smaragden zu suchen. Der dortigen Kokain-Mafia waren sie ein Dorn im Auge. Nach einer Schießerei mit ihnen waren sie wieder auf der Flucht. In Cartagena, an der kolumbianischen Karibikküste, stahlen sie ein Boot, segelten über Trinidad nach Grenada, weiter nach St. Lucia, Domenica, St. Marten, an Puerto Rico vorbei nach Haiti. Dort ließen sie das Boot zurück. Zu Fuß ging es durch die Berge nach Hispaniola, um sich dort bei den Bauern zu verstecken. Pierre und Niklas, sie galten als die Unzertrennlichen, sogar zwei Schwestern hatten sie sich zur Frau genommen und hatten inzwischen einen erheblichen Anteil an dem Bevölkerungszuwachs im Land.

Direkt am Fluss hatten sie illegal ein Haus gebaut und beim Fischen stießen sie auf Gold. Alle paar Monate kamen sie von den Bergen, um in Puerto Plata ihren Fund zu verkaufen. Zwei wilde Gesellen, die schon so manches Abenteuer erlebt hatten und Carlo sollte sie nun kennenlernen.

Er traf die beiden an der Bar, sie waren schon leicht angetrunken. Ungewaschen, mit einem Dreitagebart, in verwaschenen Jeans und abgewetzten Cowboystiefeln standen sie da, jeder seinen Revolver im Hosenbund.

„Du willst also unsere Nuggets kaufen, Kleiner.“

Hast du genug Kohle, bei uns wird cash bezahlt?

„Wenn du uns bescheißt, gibt's was in die Fresse.“

Carlo musste grinsen, diese Sprache kannte er. Selbst auf der Straße aufgewachsen, war ihm dieser Jargon vertraut.

„Kommt Jungs lasst uns erst mal was trinken, dann reden wir über's Geschäft.“

„Du zahlst?“

„Ja klar, alles auf mich!

Camarero, 'ne Flasche Rum und 'nen Eiskübel, pronto.“

Der Größere der beiden, Pierre, knallte einen Leinensack auf den Tresen, nicht ohne seinen Revolver daneben zu legen um auf jeden Fall alle Missverständnisse von vornherein auszuschließen. Dann schnürte er ihn auf, zum Vorschein kamen lauter Nuggets in verschiedenen Größen. Das waren die ersten Nuggets, die Carlo in seinem Leben zu sehen bekam.

„Und?“

„Was, und?“ gab Carlo die Frage der Männer zurück.

„Mach ein Angebot!“

„Sechs Dollar das Gramm“, sagte Carlo vorsichtig.

Mit seinen eisgrauen Augen sah Pierre ihn an.

„Sechs Dollar? Für sechs Dollar kannst du mal meinen Schwanz lutschen! Ich wusste gleich, dass es mit dem Wichser nichts wird!“

„Langsam Jungs, langsam, lasst uns reden. Wir werden uns schon einig.“

„Hör zu, Schwanzlutscher, wir haben andere Aufkäufer, weil es aber der erste Deal ist, geben wir dir eine Chance.“

„Wir machen ein Wettschießen“, sagte Niklas, „wenn du gewinnst verkaufen wir an dich.“

Während er das sagte gab er dem Revolver mit dem Finger einen Schubs, dieser drehte sich einige Male im Kreis und als er zum Stillstand kam zeigte der Lauf genau auf Carlo. So richtig wohl fühlte der sich nicht in seiner Haut und die Knie wurden ihm ein bisschen weich.

„Das ist nichts für mich“, stellte er klar.

„Okay, dann einen Faustkampf!“

Carlo schüttelt den Kopf.

„Ringkampf?“

Jetzt nickte er. Ringkampf, davon verstand er etwas.

Tische und Stühle werden zur Seite gerückt. Die Gäste der Bar bildeten einen Kreis um sie, Wetten wurden abgeschlossen. Zu Lambada und dem Gegröle der Zuschauer gingen Niklas und Carlo aufeinander los. Betrunken war der Korse und ungeübt, trotzdem wild und ungestüm sprang er Carlo an. Beide Arme legte er um ihn und versuchte seine Knie in seinen Unterleib zu stoßen. Einen Ringkampf hatte Carlo sich schon anders vorgestellt, aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Mit einer geschickten Drehung entzog er sich der Umklammerung, tauchte ab und riss seinem Gegner beide Beine weg. Niklas krachte schwer auf seinen Hinterkopf, bevor er noch reagieren konnte, drückte ihm der verdammte Gringo sein Knie auf den Kehlkopf um ihm die Luft zu nehmen.

Mit einer weiteren Flasche Rum besiegelten die drei ihren Deal.

„Nicht schlecht Motherfucker, hätte ich nicht gedacht, bist ein richtiger Schwanzlutscher.“

Carlo steckte ihre Nuggets ein und sie seine Dollars. Sie lächelte ihn an, was gar nicht zu ihrer Sprache passte und irgendwie schienen sie zufrieden.

Ungeduldig wartete Carlo mit dem Frühstück auf Patricia, begierig ihr vom gestrigen Abend zu erzählen. Das Gold lag auf dem Tisch.

„Schau dir meine Beute an Kleines, sechs Dollar das Gramm, keinen einzigen Cent mehr!“

„Sechs Dollar, Carlo? Fünf Dollar gilt hier schon als Wucher!“

Carlo ließ sich auf den Sessel fallen.

„Diese Gauner, aber irgendwie nicht unsympathisch.“ Sie hatten ihn aufs Kreuz gelegt. Carlito hatte noch viel zu lernen.

***

Der Campo hatte einen feinen Sandstrand. Die nächste Bucht war in Cofresi und getrennt waren beide Strände durch einige hundert Meter Steilküste und Klippen. Am Ende von Cofresi auf einer kleinen Landzunge befand sich ein altes verfallenes Hotel mit einem riesigen Meerespool. Der Zugang des Geländes war bewacht, die Besitzer wollten - warum auch immer - keine fremden Besucher. Nun, das ist Dritte Welt, ein paar Pesos wechseln den Besitzer und Patricia und Carlo konnten durch. Sie gingen hierher zum Tauchen und niemand störte sie. Beide teilten sie die gleiche Leidenschaft und waren fasziniert von der bunten Unterwasserwelt. Die Mauern des Pools waren zum Meer hin eingefallen und jetzt tummelten sich alle möglichen farbenfrohe Fische darin. Auch Riffhaie. Die wurden aber nicht sehr groß und waren sehr menschenscheu. Man brauchte sie nicht zu fürchten. Zum Fischen tauchte Carlo ins offene Meer hinaus. Im Pool waren ihm die Meeresbewohner ausgeliefert und jeder sollte seine Chance bekommen, auch ein Fisch. Ziemlich oft kam er ohne Fang zurück und war nicht traurig darum. Im Gegenteil, er riskierte auch eine Kleinigkeit, wenn er da alleine heraus schwamm und wenn er heil zurückkam, dann war das auch schon ein gutes Gefühl. Außerdem jagte er nur mit der Harpune. Es gefiel ihm überhaupt nicht, eine Angel oder ein Netz auszuwerfen und zu warten bis die Beute in die Falle ging. Es gab zu viele Leute, die wie eine Spinne im Netz auf ihre Opfer warteten, um sie dann, wenn sie sich in den feinen Fäden verfangen hatten, wie ein Vampir auszusaugen.

Patricia und Carlo nahmen Pressluft zum Tauchen, da sie nie tiefer als zwölf bis fünfzehn Meter gingen, reichte das völlig aus. Nicht weit vor dem Pool gab es ein kleines Korallenriff. Da es nicht tiefer als zwölf Meter lag, wurden die Farben durch die Lichtbrechung des Wassers nicht verändert. Es war ein idealer Standort für Weichkorallen und die gab es hier in allen farblichen Nuancen. Neben den Weich- und Hartkorallen gab es weitverzweigte Gorgonien. Der Boden war übersät mit Sandaalen, die nicht größer waren als Regenwürmer. Keck reckten sie ihren Leib aus den sandigen Meeresböden, schwupps waren sie weg, wenn Gefahr drohte. Zurück blieb eine pfenniggroße Vertiefung im Meeressand, die ihr Vorhandensein noch erahnen ließ. Kugelfische die sich aufblähten, damit kein Feind sie einfach nur mirnichts-dir-nichts runterschlucken konnte. Seepferdchen und Seesterne trieben in der Strömung. Patricia hatte eine Tigermoräne entdeckt und wollte sie Carlo zeigen. Sie befanden sich in einem Schwarm Zebrafische. Es schienen Tausende zu sein, die sie umgaben, trotzdem gelang es ihnen, nicht auch nur einen zu greifen. Mehr als die Riffhaie, schreckten die Feuerquallen, durchsichtig und rosa waren sie wunderschön anzuschauen, aber wehe man kam mit ihnen in Kontakt. Ihre Nesselsäure verursachte regelrechte Verbrennungen und ein Gang zum Arzt wurde unvermeidlich. Die Moräne ließ sich nicht sehen, kam nicht heraus aus ihrer Höhle. Carlo hätte gerne gewartet, aber Patricia wollte wegen der Delphine auftauchen. Seit einigen Tagen trieben sich hier zwei herum und sie wollten sie beobachten. Seit gut einer Stunde saßen sie schon am Beckenrand und warteten. Der Meerespool hatte die Ausmaße eines kleinen Sees. Manchmal kamen die beiden Meeressauger hinein als wollten sie es erkunden, so auch heute. Patricia ließ sich ins Wasser gleiten. Die Delphine näherten sich neugierig, stupsten sie mit der Schnauze an und ließen sich berühren. Es gelang Patricia, sich an einer Rückenflosse festzuhalten. Der Fisch rauschte mit ihr durchs Becken. Carlo fotografierte die Szene wie wild, um das Ereignis festzuhalten. Immerhin, das waren freilebende und keine dressierten Tiere. Auch der Zweite bot sich Patricia an. Es war als versuchten die zwei Meeresbewohner ihr Herz zu erobern. Leichte Eifersucht überkam Carlo, da den beiden offensichtlich gelang, was ihm versagt blieb. Nach schier endlos langer Zeit zog er Patricia an der Hand aus dem Wasser. Erschöpft aber glücklich stand sie vor ihm, die nassen Haare klebten auf ihrem nassen T-Shirt und ihre vollen Brüste zeichnen sich deutlich ab. Mit dem Badetuch frottierte er ihre Haare und ihre Körper rieben sich dabei leicht aneinander. Die Berührung ließ seinen Schwanz groß und hart werden, deutlich konnte sie sehen wie er seine Shorts ausbeulte.

Mit ihren großen Augen, blau wie das Meer dem sie entstiegen war, schaute sie ihn an.

„Carlito es tut mir leid, es geht nicht.“

„Ich weiß Patci.“

„Ich werde auf ihn warten, treu sein.“

„Ich weiß Patci.“

„Es ist so verdammt schwer, Carlo, du machst es mir so verdammt schwer.“

Ich mache es ihr so verdammt schwer? Was glaubte sie denn, wie das für mich ist, dachte Carlo. Meine Heimat habe ich verlassen wegen einer verlorenen Liebe. Der Mächtige geht nicht ins Exil, aber ich bin keiner von den Mächtigen, ich bin gegangen um zu finden, was mir Zuhause verwehrt wurde. Jetzt steh' ich hier mit klopfendem Herzen und dem Wunsch sie zu umarmen, zu liebkosen und zu beschützen. Du darfst nicht nach den Sternen greifen, Idiot, der du bist…

***

Kuss-Kuss und Aladin, die Kamele, hatten ein gutes Leben bei Angel. Eigentlich sollten sie ja ihr Fresserchen verdienen, in dem sie Touristen am Strand entlang, zwischen ihren Höckern, beförderten. Angel hatte sich das so schön vorgestellt, im Geiste hörte er schon die Dollarchen in der Kasse klingeln. Er hatte zwar ein großes Herz, aber auch eine arabische Seele und dass das Kosten- und Nutzenverhältnis nicht stimmte, bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Das konnte auch Allah nicht gewollt haben, dass Angel Kuss-Kuss und Aladin ohne Gegenleistung durchfütterte, zumal, wie es schien, Kuss- Kuss bei jeder Fütterung zeigte, dass sein Herr sich verspekuliert hatte und er auch ohne seine Hufen durch den Sand zu bewegen, einen vollen Trog hatte. So konnte es nicht weitergehen, die zwei fressen mir die Haare vom Kopf. Zu irgendwas müssen sie doch nutze sein. So grübelte Angel fast täglich darüber nach, was er mit dem frechen Kuss-Kuss und dem eingebildeten Aladin machen sollte. Je länger unser arabischer Freund darüber grübelte, desto leidvoller wurden seine Züge. Kaum mit anzusehen war es, er schien kleiner zu werden, fast als ob er anfing zu schrumpfen. So kam es, dass Dolores und Patricia sich ernsthaft Gedanken um ihn machten und ein Treffen mit Carlo vereinbarten um nach einer Lösung zu suchen.

„Wo ist Angel?“

„Zuhause, seit Tagen spricht er kein Wort.“

„Warum schlachtet er die beiden blöden Kamele nicht einfach.

„Du bist verrückt Patricia, die zwei sind wie seine eigenen Kinder.

Carlo, du musst dir etwas einfallen lassen.“

Erwartungsvoll sahen sie ihn beide an.

Kamele in der Karibik?, nicht so einfach mit denen etwas anzufangen. Unten an der Terrasse vorbei lief Maxe in seinen abgewetzten Lederhosen, nach vorne gebeugt und leise vor sich hin fluchend. Die Weißblauen hatten mal wieder verloren im fernen Alemánia. Arbeit hatte er auch keine mehr, er war zu unzuverlässig. Genauer gesagt die Weißblauen waren zu unbeständig. Keiner wollte in einem halb gedeckten Haus sitzen, nur weil die auf der anderen Seite des Atlantiks kein Tor schossen. Sie sahen Maxe am Strand verschwinden.

„Ich hab’s, ich habe die Lösung!“ rief Carlo.

Er drehte sich zu den zwei Schönen um und erzählte ihnen von seiner Idee.

„Das ist es, Carlito, das ist es!“

Mit eisgekühltem Orangensaft stießen sie darauf an.

Salude!

Angel war skeptisch, aber einverstanden. Jetzt galt es nur noch, Maxe zu überzeugen damit die Sache rund würde. Heute war er eine kleine Berühmtheit: 'Der Kalif von Aramir' alias Maxe. An den Stränden von Sosua, Puerto Plata und Cabarete ließ er sich mit Kuss-Kuss und Aladin im Beduinengewand von den Touristen mit ihren Fotoapparaten ablichten, gegen Bares, verstand sich.

Nachdem die ersten Dollarchen in Angels Kasse gelandet waren, hellte sich seine Miene zusehends wieder auf und seine Kummerfalten waren wie weggeblasen, richtig rosig und gesund sah er nun aus. Ein wenig sorgten sie sich nun um den Kalifen alias Maxe, wurde er doch mit jedem Tag den Wüstentieren ein wenig ähnlicher.

Angel zuckte mit den Achseln,

„Allah wird's schon richten…“

***

Dick und rostig waren die Gitterstäbe aber sie gaben den Blick frei aufs Meer. Schwer und grau hingen die Wolken über dem Wasser, eine Frage der Zeit, wann sie sich auftaten und dem Atlantik zurückgaben, was die Sonne zuvor geholt hatte.

Das ist der Kreislauf der Dinge, die Natur hat das so geregelt, dass nichts verloren geht. Wir essen und trinken, scheiden aus. Ameisen und Erdgetier verwerten das, als Rest bleibt Humus für die Pflanzen, davon ernähren sich andere und von den anderen ernähren wir uns. Es geht nichts verloren, nur die Dinge verändern sich.

Auch für Manni hatte sich alles verändert. Er, ein Freibeuter der Meere. Wind und Gischt peitschte in sein Gesicht, er achtete nicht darauf, hatte nur Augen für seine Beute. Eine schöne Truppe hatte er sich zusammengesucht. Haitianer, Kubaner und ein Mestize aus Peru. Moderne Piraten, finstere Visagen, jeder Geisterbahn hätten sie alle Ehre gemacht. Niemals in den Hoheitsgewässern eines Staates auf Beute gehen, das war beschlossene Sache. Allerdings dieses eine Mal war die Beute zu fett gewesen, eine weiße Yacht unter amerikanischer Flagge, verlockend anzusehen.

Scheiß, auf die Hoheitszone…

Jetzt teilte Manni seine Zelle mit acht anderen Häftlingen. Diebe, Mörder, Raufbolde und Drogenschieber. Der Freibeuter der Meere kämpfte jetzt um seine Hängematte, da lag ein kolumbianischer Dealer drin und wollte nicht weichen.

Patricia würde zu Besuch kommen, sie musste ihm Bares geben. Haitianer würden das Problem für ein paar Dollar für ihn regeln. Die hatten da so ihre Methoden. Das Gefängnis war keine fünfhundert Meter vom Strand entfernt und galt als eines der sichersten im ganzen Land. Zehn Blocks in Reih und Glied, weißgetüncht, die Zellen selbst waren nicht verschlossen. Wenn die Dämmerung einsetzt mussten die Häftlinge zurück in ihren Block. Wer bei Dunkelheit noch im Hof anzutreffen war, wurde erschossen, man wertete das als Fluchtversuch. Alle dreißig Schritte stand ein Wachturm, die Wärter waren mit Schnellfeuergewehren ausgerüstet und fackelten nicht lange, dem Schießbefehl nachzukommen. Das Gelände war von einem hohen Zaun umgeben, der ständig unter Strom stand. Von einer gelungenen Flucht war bisher noch nichts zu hören gewesen, darauf war der Direktor stolz und wollte es auch bleiben. Besuch wurde im Hof abgehalten, man konnte den ganzen Tag bleiben.

Patricia saß ihrem Manni gegenüber.

„Ich habe für dich gekocht“, sagte sie leise.

„Hast du Kohle mitgebracht?“ wollte er wissen.

„Si.“

„Gib her.“ – Wortlos steckte er das Geld ein, packte Patricia an der Hand:

Komm, wir gehen auf die Latrine."

"Lass uns erst reden, essen.“

"Später". –

„Bitte Manni…“

„Komm schon, oder soll ich's mir selber machen?“

Er zerrte sie auf die Latrine, dreht sie um und schob ihren Rock nach oben.

„Bitte, Manni, nicht.“

Die Tränen kullern aus ihren blauen Augen.

„Schnauze!“

Neben dem Slip schob er ihr seinen Schwanz hinein. Es tat ihr weh, aber der Akt dauerte nur wenige Minuten und sie spürte seinen klebrigen Schleim an ihren Schenkeln herunterlaufen.

Schmatzend saß er ihr nun gegenüber.

„Wirklich gut, vom Kochen verstehst du etwas Kleines.“ Hilflos saß sie ihm gegenüber und die Tränen flossen noch immer. Weg der Stolz, weg die Amazone, weg die Kraft. Nur noch ein Bündel Elend. „Komm Kleines, sei nicht traurig. Die Zeit im Gefängnis geht auch vorüber. Ich werde uns ein großes weißes Schiff kaufen und wir werden Kinder haben! Alle karibischen Inseln werden wir erkunden, die großen und die kleinen Antillen und versprochen: keine krummen Sachen mehr.“ So erzählte er von der Zukunft, von Sonnenuntergängen erzählte er, von bunten verzauberten Fischen. Und er erzählte und erzählte. Erzählen, das konnte er. Die Tränen versiegten. Patricia ließ sich forttragen von seiner Phantasie. Sie konnte fühlen wie ihr Schiff die Wogen teilte, Delphine umkreisten das Boot und raunten: "Schöne Patricia, liebe, glückliche Patricia."

Zuhause stand sie unter der Dusche, spülte das eklige und klebrige Sperma weg.

"Glückliche Patricia", hörte sie die Delphine raunen:

"Arme, dumme Patricia", raunten sie.

***

"Mire la rubia."

Peng Peng zeigte mit dem Finger auf Patricia, die unten an der Terrasse von Carlo vorbeilief. Sie hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rücken, Taucherbrille und Flossen ragten oben heraus. Sie trug kurze Shorts. Ihre wohlgeformten Beine endeten in weißen Segelschuhen. Sie war auf dem Weg zum Meerpool, ohne Carlo abzuholen. Es war das erste Mal, dass sie ohne ihn ging und es machte ihn wütend und traurig zugleich.

Tiene un lindo culo, la rubia (hat einen schönen Arsch, die Blonde).

"Man, Peng Peng, du hast eine Ausdrucksweise, ich will nicht, dass du so von ihr sprichst.“

Der Kleine beugte sich über die Brüstung um ihr noch einen letzten Blick hinterher zuwerfen.

„Die hätte ich gerne mal in meiner Hängematte“, sprach er das aus, was er dachte.

Carlo packte den Bengel im Genick und schüttelte ihn durch wie eine nasse Katze.

„Lass los, du tust mir weh“, schrie der lachend.

Eigentlich hatte der Kleine Recht, la Rubia hatte einen süßen Po und mit ihr in der Hängematte könnte es sich Carlo auch gut vorstellen. Wenn sie in meiner Nähe ist, denkt er, würde ich sie am liebsten in die Arme nehmen, eine Berührung von ihr ist wie das Streicheln der Sonne auf meiner Haut…

Wie ich diesen Kerl hasse. Wie heißt er doch gleich? Manni, Manni heißt der Mistkerl.

„Ich kriege noch 'nen Dollar.“

Peng Peng hatte brav aufgegessen, was Carlo ihm gekocht hatte.

„Einen Dollar? Du hast deine Preise um hundert Prozent erhöht?“

Er grinst ihn an, die Schneidezähne fehlten. Nächste Woche geht er mit ihm zum Zahnarzt, ob er will oder nicht, dachte Carlo.

„Hombre, du hast ein größeres Auto da habe ich mehr zu waschen.“

Da hatte er Recht, der Kleine. Der Pick Up war dahin, der Motor hatte sich verabschiedet.

Ich habe mir einen Jeep gekauft, dachte Carlo bei sich. Jeden Tag kam der Junge um seinen Wagen zu waschen ob er es wollte oder nicht. Es ist ihm egal. Noch bevor er aus dem Bett kam, war der Kleine schon fertig mit seiner Arbeit und frühstückte dann mit ihm zusammen und wenn Patricia da war, frühstückten sie zu dritt

„Du bist zu weich Carlito“ hatte Angel gesagt,

„Du wirst die kleine Scheißhausfliege nicht mehr los.“ Aber Patricia mochte ihn, obwohl er rotzfrech war, dieser Bengel. Carlo mochte ihn ebenfalls, weil er ein Kämpfer war, ein Krieger sozusagen. Ach was, mögen und gerne haben, ins Herz hatte er ihn geschlossen.

Zwischen Costambar und Cofresi hauste er in einer alten Ruine. Er hatte ihn dort einmal besucht. Stolz hatte der Kleine ihm sein Reich gezeigt. Carlo war geschockt, aber als er in sein glückliches Gesicht sah, wollte er ihn auf keinen Fall kränken.

„Nicht schlecht“ tat er anerkennend.

„Nicht schlecht? Hombre, das ist ein Paradies. Hier die Hängematte, echt Baumwolle. Den Tisch habe ich selbst gemacht und den Ölkocher habe ich einem Touristen abgezockt.“

Er rannte hinaus und kam mit einem Transistorradio zurück.

„Musik Hombre! Musik!“

Dann hatte er auf seinem Kocher Kaffee für beide gemacht.

„Wo sind deine Eltern?“

„Ich habe keine.“

„Na, jeder hat Eltern, zumindest eine Mutter“, bohrte Carlo.

„Ich nicht!“ kam die schroffe Antwort.

„Rede keinen Scheiß. Wo kommst du her?“

„Hombre, hier! Von genau hier!“

Carlo hatte nicht weiter gefragt, der Kleine wollte offensichtlich nicht drüber reden. Er war selber ein Straßenkind und wusste wie das ist. Man schämte sich, wenn man keine Familie hatte, wie ein Krüppel, der sich schämt ein Krüppel zu sein.

„Okay, hier hast du deinen Dollar. Keinen Peso mehr!“ Er schnappte sich seinen Dollar.

„Gut, Hombre, und was ist mit deinen Schuhen?“

„Sind in Ordnung, lass mal. “Peng Peng schnappte sich seinen Schuhputzkasten um seiner eigentlichen Arbeit nachzugehen.

„Hasta luego, Hombre!“

“Hasta luego!”

Ich muss etwas für den Kleinen tun.

***

„Patricia, ich kann ihn doch nicht in der Ruine hausen lassen."

"Für Peng Peng?“

„Ja, er tut mir irgendwie leid!“

„Lass mal“, sagte sie und legte dabei ihre Hände auf seinen Schenkel. Eine Wärme strömte aus ihren Fingerspitzen und durchflutete seinen ganzen Körper.

„Lass mal, so wie Peng Peng gibt es in diesem Land Hunderte. Du kannst nicht jedem helfen“, sagte sie. "Der Kleine kommt schon zurecht."

"Ich habe da mal eine Geschichte gelesen von einem kleinen Mädchen das jeden Sommer mit ihren Eltern ans Meer fuhr", fing Carlo an zu erzählen. Jeden Morgen lief sie als erste an den Strand um so viele Muscheln wie möglich zurück ins Meer zu werfen, die zuvor an Land gespült wurden. Die Leute, die das sahen gingen hin zu dem Kind um ihr zu sagen, dass dies ein sinnloses Unterfangen sei. Hör mal Kindchen, das bringt doch nichts. Tausende werden an Land gespült und von den wenigen, die du zurückwirfst überleben doch nur einige. Es nutzt also nichts." Darauf die Kleine: "Fragt doch mal die wenigen die es überlebt haben ob es ihnen etwas genutzt hat."

Ich muss für Peng Peng etwas tun.

Patricia setzte sich neben Carlo und legte ihren Kopf in seinen Schoß. „"Erzähl mir ein Märchen Carlito, eines mit einem Happy End.“Er spielte mit ihrem Haar, ließ es durch seine Finger gleiten. "Rapunzelchen, lass mir dein Haar hinunter…", begann er "und die böse Hexe sah das…" Patricia war eingeschlafen, leicht wie eine Feder war sie, als er sie in sein Schlafzimmer trug. Lass sie schlafen, weck sie nicht auf, sprach Carlo zu sich selbst. Ein Lächeln hatte sie im Gesicht, bezaubernd schön selbst im Schlaf. Leise schloss er die Tür und ging zurück auf die Terrasse. Der Mond schien hell und silbern, sein Licht streifte die Palmen und spiegelte sich im Meer wieder. Dieses Schwein, dieser Hurensohn. Zwölf Jahre hat er noch vor sich und verlangt, dass sie auf ihn wartet. Zwölf lange Jahre. Sie wird verblühen, wie eine Blume, die man gepflückt hat und der man nun das Wasser verweigert. Sie wird verdorren, zurück wird ein alter stacheliger Kaktus bleiben. Zwölf Jahre, sie werden sich wie zwei Fremde gegenüberstehen, die Zeit wird beide verändern. Carlo wusste es. So würde es sein. Vielleicht wusste sie das auch, vielleicht spürte sie es aber auch nur, unbewusst. Sie sah so traurig aus und die Zärtlichkeit, die er für sie empfand, schnürte ihm die Kehle zu. Patricia lag in seinem Bett und er durfte sie nicht berühren, nicht lieben. Dieser Scheiß-Schwanzlutscher, wie sehr er ihn hasste. Carlos Gedanken fanden keine Ruhe.

***

„Angel, du kennst doch die Ruine zwischen Cofresi und Costambar?“

Dolores machte ihnen Spiegeleier, Toast und frischen Kaffee. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt und trug ein geschlitztes Kleid, welches den Blick auf ihren Schenkel frei ließ. Unter der weißen Bluse wölbte sich ihr Busen, die Warzen waren deutlich zu sehen. Sie trug keinen BH, sie brauchte auch keinen. Verdammte Scheiße, dachte Carlo, mir wird ganz heiß…

„Was ist mit der Ruine?“ fragte Angel.

„Geh doch mal zu der Brugal, ich möchte herausfinden, wem sie gehört.“

„Warum?“

„Ich will sie kaufen!“

„Aber, da wohnt doch Peng Peng.“

Dolores deckte den Tisch, schenkte den Kaffee ein und beugte sich so zu Carlo, dass dieser ihre Brüste direkt vor seinen Augen hatte. Nervös rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Angel entging das nicht, doch es schien ihm zu gefallen.

„Gib' dem Carlo noch etwas Cafe“ sagte er.

Und wieder hatte er ihre Brüste vor den Augen, und er nahm den Duft ihrer Haut wahr.

„Hast du noch immer keine Freundin?“

Angel genoss das richtig. Während Carlo auf den Busen von Dolores starrte, dachte er an Patricia.

„Ich habe die Passende noch nicht getroffen.“

„Bist du schwul?“

„Du bist wirklich ein dummer Araber, Angel!“

„Was wird mit Peng Peng wenn du die Ruine kaufst?“, wollte der Araber wissen.

„Also, pass auf, es soll niemand wissen, dass ich sie kaufe, weißt du, den Kleinen soll da niemand wegschicken können, das ist praktisch sein Zuhause.“

„Dann kauf sie ihm doch.“

„Er wird es nicht annehmen, er hat seinen Stolz. Ich habe schon oft versucht, ihm Geld zu geben, für Kleidung und Essen. Er weigerte sich das anzunehmen. Er wäre kein verdammter Betteljunge. Er wäscht mein Auto und putzt meine Schuhe. Dafür knöpft er mir ein paar Dollar ab. Schenken lässt er sich nichts.“

„Ich kenne den Besitzer Carlito, ich werde das regeln“, sagte Angel.

„Schön Angel“, und tue mir den Gefallen, schmeiß' den Laden heute ich muss mit Patricia noch etwas klären.“

„Con la rubia?“

Die Augen von Dolores funkeln.

„Que te gusta de la rubia?“

Ich bin schon ein Arschloch, dachte Carlo, die Insel wimmelte von schönen Frauen und die einzigen, die mir gefallen sind die, die ich niemals haben kann. Es pochte und klopfte in seinen Lenden, heute würde er sich eine dulce puta (süße Nutte )aufgabeln. Er konnte das Zeug ja nicht ewig rausschwitzen.

"Vete al la rubia."

Dolores war wütend, und Angel grinste genüsslich.

Ganz klar war er nicht im Kopf, der Araber.

ANGESTRANDET

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