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4. Was will Gott von uns Menschen?

Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, umfasst Gott alles, die ganze Schöpfung und die geistige Welt. Da er alles ist, hat er auch alles und braucht von den Menschen nichts. Aber die antiken Gesellschaften glaubten, dass sie ihre Götter durch Rituale und Opfergaben gnädig stimmen müssten, damit sie ihnen Regen, Jagdglück, Fruchtbarkeit oder was auch immer bescherten. Sie projizierten das Verhalten ihrer Mächtigen und Stammesführer, die Ehrerbietung und Unterwürfigkeit verlangten, auf ihre Götter. Das heißt, sie vermenschlichten ihre Götter. Diese Tendenz blieb bis heute bestehen.

Daraus entstanden auch die 10 Gebote. Diese verlangen Gehorsam und Unterwürfigkeit von den Gläubigen. Das ist genau das, was die Oberen einer Gesellschaft von ihren Untertanen verlangen. Also wurden auch hier menschliche Eigenarten auf Gott übertragen. Die 10 Gebote verlangen genau das, was Menschen gefügig macht:

1 Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir. (Ich bin dein König …)

2 Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen. (Du darfst nicht über den König schimpfen.)

3 Du sollst den Feiertag heiligen. (Feiere den Geburtstag deines Königs.)

4 Du sollst Vater und Mutter ehren. (Unterwerfe dich der bestehenden Hierarchie.)

5 Du sollst nicht töten. (Revoltiere nicht und mache keine Unruhe. – Tiere sind auch Geschöpfe Gottes, aber diese dürfen getötet werden.)

6 Du sollst nicht ehebrechen. (Unterziehe dich der von der Obrigkeit gegebenen Ordnung.)

7 Du sollst nicht stehlen. (Das schafft Unfrieden unter den Untergebenen.)

8 Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinem Nächsten. (Auch das schafft Unfrieden.)

9 Lass dich nicht gelüsten nach deines Nächsten Weibes. (Auch das ist gegen Ruhe und Ordnung, sei brav.)

10 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Hof, Vieh und alles, was sein ist. (Sei zufrieden mit dem, was du hast und stelle dich meinem Heer zur Verfügung, wenn ich ein anderes Land angreife.)

Wie moderne Studien zeigen, wurden die 10 Gebote schon in vorchristlicher Zeit von einzelnen Glaubensgemeinschaften je nach der vorherrschenden Ethik oder Moral abgeändert oder verschärft. Die 10 Gebote waren also nie ganz frei von einem menschlichen Einfluss. Vielleicht ist dir auch aufgefallen, dass nur Männer angesprochen werden. Hat Gott die Frauen vergessen oder wurden diese Gebote von Männern geschrieben zu einer Zeit als die Frauen sowieso noch nichts zu sagen hatten? Zudem drücken die ersten drei Gebote nur die Angst Gottes aus, dass die Menschen ihn nicht genügend ehren. Muss Gott, der alles umfasst, diese Angst wirklich haben?

Es gibt allerdings noch eine andere Sicht der 10 Gebote als Versprechen Gottes gegenüber den Menschen, wie sie Neale Donald Walsch im ersten Band seiner „Gespräche mit Gott“ formuliert (S. 151): „Ihr werdet wissen, dass ihr den Weg zu Gott genommen und gefunden habt, wenn ihr folgende Zeichen, Erkenntnisse und Verhalten in eurem Leben erkennt. Hier die gekürzte, aus dem Englischen übersetzte und leicht abgeänderte Formulierung:

1 Ihr werdet keinen anderen Gott neben mir haben wollen, denn ihr erkennt, dass es diesen nicht geben kann.

2 Ihr werdet den Namen Gottes nicht missbrauchen und ihn nicht um nichtige Dinge anrufen.

3 Ihr werdet mir feste Zeiten vorbehalten, damit ihr euch erinnert, wer und was ihr seid.

4 Ihr werdet Mutter und Vater ehren und ihr werdet wissen, dass ihr Gottes Kinder seid.

5 Ihr werdet darauf achten, dass ihr nicht willentlich ohne allerheiligsten, gerechtfertigsten Grund tötet, obgleich ihr versteht, dass ihr nicht das Leben eines andern beenden könnt, da es ewig ist.

6 Ihr werdet die Reinheit der Liebe nicht durch Unehrlichkeit und Täuschung entweihen.

7 Ihr werdet kein Ding nehmen, das euch nicht gehört, noch einem andern schaden, um etwas zu bekommen, da dies ohne Liebe ist.

8 Ihr werdet kein Verlangen haben, etwas Unwahres zu sagen oder ein falsches Zeugnis zu geben.

9 Ihr werdet nicht eures Nächten Gefährten/Gefährtin begehren, denn ihr wisst, dass alle anderen eure Seelengefährten sind.

10 Ihr werdet nicht eures Nächsten Güter haben wollen, denn ihr wisst, dass alle Güter der Schöpfung gehören.

Dies sind eure Freiheiten und nicht eure Beschränkungen. Das sind meine Verpflichtungen nicht meine Gebote. Denn Gott kommandiert nicht herum, was von ihm erschaffen worden ist. Gott sagt seinen Kindern nur: auf diese Weise werdet ihr wissen, dass ihr nach Hause kommt.“

Gott braucht also nichts von uns Menschen, aber er will uns etwas geben, damit wir unseren Weg in der Dualität mit dem von Gott gewollten Ziel vor Augen gehen können. Wenn wir uns als geistige Wesen und nicht nur als materielle Körper sehen, dann ist unser Leben auch nicht so beschränkt. Es gibt eine wunderbare bildliche Darstellung der Beziehung des Menschen zu Gott. Der katholische Theologe, Mystiker und Zen-Meister, Willigis Jäger (1925–2020), schrieb ein Buch über mystische Spiritualität mit dem Titel „Die Welle ist das Meer“. Die Wellen und das Meer gehören zusammen. Man erkennt das Meer durch seine Wellen. Die Wellen sind ein Aspekt des Meeres. Die Wellen können nicht ohne das Meer bestehen. Wellen kommen und gehen. Sie entstehen und verschwinden. Die Menschen gehören zu Gott wie die Wellen zum Meer. Keine Welle kann sagen: „Ich bin das Meer“, aber jede Welle ist ein kleiner Ausdruck des Meeres. Was ist die Aufgabe der Wellen? Gibt es Gebote und Verbote, die sie einhalten müssen? Die gleichen Fragen können wir für die Menschen in Bezug auf Gott stellen.

Gott braucht nichts von uns Menschen, aber er hat die Schöpfung und damit auch uns Menschen mit einem ganz bestimmten Zweck erschaffen. Er will sich selbst erkennen. Das heißt, die Schöpfung soll sich entwickeln, bis er sich darin erkennt. Darum ist die Schöpfung ein Entwicklungsprozess. Auch alle Formen der Lebewesen auf Erden entwickeln sich immer weiter. Auch die Menschen sind in einem stetigen Evolutionsprozess, der sich dauernd beschleunigt. Bis vor vielleicht 20 000 Jahren waren die Menschen Jäger und Sammler. Erst dann wurden sie sesshaft und begannen mit dem Ackerbau. Die ersten Gegenstände aus Eisen wurden vor ca. 3 000 Jahren gefertigt. Die Dampfmaschine wurde vor 250 Jahren erfunden und vor etwa 200 Jahren begann die industrielle Revolution. Seither hat es mehr technische Entwicklungen gegeben als in all den tausenden von Jahren davor. Das Smartphone, das heute für alle Menschen in den meisten Ländern ein unentbehrliches Kommunikationsmittel ist, gibt es längstens seit 20 Jahren. Aber auch die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten ungeahnte Fortschritte gemacht. Auch gesellschaftlich ist seit der französischen Revolution (1789–1799) vieles im Umbruch.

Allgemein hat sich das Bewusstsein der Menschen in den letzten 2 000 Jahren sehr entwickelt hin zu mehr Menschlichkeit, Gerechtigkeit und freiem Denken. Zum Beispiel:

 Bei den Römern gab es Gladiatorenkämpfe auf Leben und Tod als reine Volksbelustigung.

 Erst 1537 bestätigte Papst Paul III, dass die Ureinwohner Afrikas und Amerikas auch eine Seele haben und daher nicht mehr wie Vieh behandelt werden dürfen. Dies nachdem Papst Nikolaus V 1455 die Sklaverei noch ausdrücklich gebilligt hatte.

 Giordano Bruno wurde im Jahr 1600 durch die Inquisition zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, weil er eine pantheistische Gottessicht vertrat und die Erde nicht als Mittelpunkt des Universums anerkannte. Aber im Jahr 2000 erklärte Papst Johannes Paul II, dies sei ein Unrecht gewesen.

 Der Zauberei und des Aberglaubens beschuldigte Hexen wurden noch bis weit ins 18. Jahrhundert verbrannt (Anna Göldi 1782).

 Ungefähr zu dieser Zeit wurde in der schweizerischen Stadt Baden eine Dienstmagd, die einen silbernen Leuchter gestohlen hatte, gefesselt, in einen Sack gesteckt und in die Limmat geworfen.

 Henry Dunant veranlasst 1863 die Gründung des Roten Kreuzes aufgrund seiner Erlebnisse bei der Schlacht von Solferino 1859. Bis dahin wurden die Kriegsverwundeten einfach liegen gelassen und höchstens noch ausgeraubt.

 1776 wurde in den USA die erste Demokratie gegründet. Vorher wurden alle Länder durch Könige oder Gewaltherrscher regiert. Ab da wurden die US-amerikanischen, weißen, männlichen Bürger als fähig betrachtet, selbst über ihr Schicksal mitentscheiden zu können.

 In der französischen Revolution (1789–1799) erhob sich das rechtlose, gemeine Volk gegen die regierenden Stände (Klerus und Adel) und machten dem Absolutismus ein Ende.

 1971 wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt. Dies war ein wichtiger Schritt für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Früher war der Mann das Oberhaupt der Familie (gemäß Verfassung) und die Frauen brauchten die Einwilligung des Mannes, um eine Arbeit annehmen zu dürfen.

Neben der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins hin zu mehr Menschlichkeit und Mitgefühl lernten viele einfache Bürger auch verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen und sind nicht mehr auf Stammesführer und Herrscher angewiesen. Zum einen gibt es heute viel mehr ethische und moralische Verantwortung beim Handeln der Menschen, andererseits ist die technische Entwicklung so rasant und so auf das Materielle ausgerichtet, dass sich die Probleme in der weltweiten Gesellschaft mehr und mehr zuspitzen.

Die Menschen sind heute stärker denn je gefordert, um die von Gott für die Schöpfung gestellten Ziele zu verwirklichen. Gott möchte sich durch die Menschen selbst erkennen. Er will von uns Menschen, dass wir unser Bewusstsein weiterentwickeln, bis wir die bedingungslose Liebe im Alltag leben können. Nicht unsere Körper und unsere intellektuellen Fähigkeiten sind das Wesentliche am Menschen, sondern unsere Seele und dies wird in unserem Zeitalter leider oft vergessen. Wie wir im letzten Kapitel schon erfahren haben, ist die Liebe etwas vom Wesentlichen, das uns zu Gott und seinem allumfassenden All-Eins-Sein hinführt und darauf möchte ich im nächsten Kapitel näher eingehen.

Unsere Zukunft ist Liebe

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