Читать книгу Verraten und verkauft - Ralph Kretschmann - Страница 5
ОглавлениеEs war heiß in dem Kellergewölbe. Stickige Schwüle lag in der abgestandenen Luft. Die einzige Glühbirne, die an blanken Drähten von der Decke hing, warf ein fahles Licht auf die Dinge in dem Raum und vermischte sich mit dem Flackern des Feuers, das durch die Roste des Ofens schien, der eine sengende Hitze ausstrahlte. Der Schweiß lief dem Mann den Rücken herunter und stand in feinen Perlen auf seiner Stirn. Er stieß die Ofenklappe mit dem Schürhaken zu, den er in der Hand hielt. Das Eisen war heiß, aber er spürte es nicht. Dicke Hornhäute schützten seine Handflächen. Der kleine Finger der Hand fehlte.
Der Mann stellte das Schüreisen in eine Halterung, die zu diesem Zweck neben ihm an der Mauer befestigt war. Die Mauer, feucht, kalt, von Ablagerungen überzogen, die Sickerwasser im Laufe vieler Jahre hinterlassen hatte, spiegelte das Licht wider, das aus der Ofentür drang. Tropfen von Kondenswasser liefen an den rauen Steinen herunter und sammelte sich in kleinen Pfützen auf dem Fußboden. Reglos stand der Mann da, den Rücken zum Ofen. Auf dem Boden, halb in der Türöffnung liegend, ein großer Sack, in dem sich etwas befand, etwas von der Größe eines Kindes, eines Halbwüchsigen, etwas, das sich leise bewegte. Der Mann wusste, dass er sich nicht beeilen musste. Es würden noch Stunden vergehen, bis das Betäubungsmittel seine Wirkung verlieren würde.
Er seufzte, als fiele es ihm schwer, sich aufzuraffen, um zu tun, was er tun musste. Er zog den Verschluss seiner Jacke auf, streifte die Jacke ab und legte sie auf die Werkbank, die sich an der einen Wand befand. Das Werkzeug hing sauber an den dafür gedachten Haken, und der Staubfilm zeigte, dass hier schon seit geraumer Zeit nicht mehr gearbeitet worden war. Der Mann zog sein T-Shirt über den Kopf und legte es zu der Jacke. Seine Haut war blass, von einer bläulichen, ungesunden Blässe. Das lange Haar war grau, nahezu weiß, von einem schmutzigen Weiß, wie das Weiß von Schnee, der schon seit Stunden antaut und zu verharschen beginnt, wenn sich graue und schwarze Partikel an der Oberfläche des schmelzenden Schnees sammeln. Der Oberkörper des Mannes, seine Brust, Hals und sogar das Gesicht war von einem dichten Netz aus alten und neuen Narben überzogen. Bei einigen konnte man noch erkennen, dass sie wenig fachgerecht genäht worden waren, andere waren wulstig und schienen ohne Behandlung abgeheilt zu sein. Da waren Schnittnarben an den Armen und am Hals, eine rote Linie teilte die linke Wange, die Nase war krumm, die Stirn ein Friedhof. Der Mann hatte Brandnarben auf dem Rücken, den Hals hinauf und bis zum Kinn hoch. Kein Gramm Fett fand sich unter dieser geschundenen Haut. Jede Sehne, jeder Muskel war überdeutlich zu sehen durch die wächserne Blässe seiner Haut. Er bot trotz allem keinen Grauen erweckenden Eindruck. Es lag an seinen Augen; große, braune Augen, hellwach und voller Leben.
Der Mann zog den Sack in das Kellergewölbe herein. Er knotete den Strick auf, der den groben Sack zugehalten hatte, zog die Öffnung auseinander. Dann schloss er die schwere Tür aus mehrere Zentimeter dicken Eisenplatten. Es hallte dumpf, als der Riegel in die Zuhaltung schnappte. Er drehte den Schlüssel mehrmals um, versicherte sich, dass die Tür fest verschlossen war.
Er begab sich wieder zu dem Sack, den er hereingezogen hatte. Der Keller war ein altes Gemäuer mit einer hohen Gewölbedecke und massigen Pfeilern, die sie trugen und den Raum so unterteilten, dass man ihn nie in seiner ganzen Größe sehen konnte. Behutsam begann der Mann den Inhalt von der Hülle zu befreien. Seine Bewegungen waren vorsichtig, als handele es sich um feinstes Porzellan, das bei zu grober Berührung schon zerspringen könnte. Als er fertig war, knüllte er den Sack zusammen und warf ihn in den Schlund des Ofens.
Die junge Frau atmete tief und gleichmäßig. Langes, blondes Haar fiel ihr über den Rücken und die sündhaft teuren Designersachen, die sie trug. Ihre Augen waren geschlossen. Lange Wimpern, eine fein geschwungene Nase und sinnliche Lippen von tiefstem Kirschrot. Er wusste, dass ihre Augen von einem blässlichen Meergrün waren, mit einem Hauch Himmelblau darin. Er drehte sie auf den Rücken und musterte lange ihre Züge. Mit einer zarten Geste strich er ihr eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn. Eigentlich waren sie dunkelbraun. Sie verwendete viel Zeit und Geld auf eine perfekte Färbung. Zweimal in der Woche hatte sie ihre festen Termine bei ihrem Friseur.
Der Mann schob seine Arme unter ihren Körper und hob sie hoch. Gegenüber der Werkbank stand eine Pritsche, darauf eine dünne Decke. Er legte sie vorsichtig ab. Dann begann er, sie zu entkleiden; Jacke, Bluse, Strümpfe, Rock. Er zögerte einen Moment, sog scharf die Luft ein, bevor er ihr den Slip vom Körper zog; dann noch der Büstenhalter.
Auch diese Sachen wanderten in den Ofen. Das Feuer flackerte hell auf. Er ließ noch ein paar Kohlen aus dem Vorrat in den Brennraum fallen, indem er an der Kette zog, die neben dem Ofen herabhing. Es war ein raffiniertes, aber simples System, das auf Zug an der Kette aus einem darüber liegenden Raum Kohlen in den Ofen rutschen ließ.
Nackt lag der Körper vor ihm. Sie war gepflegt, sehr gepflegt. Perfekt manikürte Nägel an Händen und Füßen, kein Haar an ihrem ganzen Körper. Beine, Arme und der Schritt waren völlig enthaart, die Augenbrauen symmetrisch gezupft …
Der Mann trat an sein Opfer heran und zog ihr die Ringe von den Fingern, den Reif vom Arm. Er nahm ihr die Kette ab, die sie um den Hals trug, und er entfernte die Ohrstecker aus ihren Ohrläppchen. Er holte einen Lappen und ein Fläschchen Aceton und säuberte ihre Fuß- und Fingernägel von der roten Lackierung.
An einer der Säulen, die das Gewölbe stützten, befand sich ein Wasserhahn. Er füllte einen Eimer und erwärmte das Wasser in der offenen Tür des vor sich hin prasselnden Ofens. Dann wusch er seine Gefangene. Sorgfältig rieb er sie mit dem Lappen ab, wusch Puder, Schminke, Abdeckstift und Rouge von ihrem Gesicht. Den Lippenstift, das blaue Augen-Make-up entfernte er mit Fettcreme. Als er fertig war, lag sie so vor ihm, wie sie selbst ihr Mann noch nie gesehen hatte, entblößt und so, wie sie geschaffen worden war.
Der Mann trat von der Pritsche zurück. Sie war wunderschön, und er hätte sie stundenlang betrachten mögen, aber es war an der Zeit, mit der Arbeit fortzufahren. Sie würde nicht ewig bewusstlos bleiben, und es gab noch einiges zu tun, bevor sie erwachte.
Aus der hintersten Ecke des Gewölbes trug der Mann ein Gewirr aus Stangen und Ketten zu der Pritsche. Er wählte eine lange Stange aus, an deren beiden Enden sich zwei Schellen befanden, die er um die Fesseln der bewusstlosen Frau legte. Die Stange war gut einen Meter lang und zwang sie, den Schritt weit zu öffnen. Dann nahm er eine Art Eisenring aus dem Wust, an dem zwei etwas kleinere Schellen angeschweißt waren. Er wickelte Stoffstreifen um ihre Handgelenke, bevor er die Schellen um ihre Gelenke schloss. Schließlich öffnete er ihr den Mund und drückte einen Gummiball in ihre Mundhöhle. Er band einen Streifen Stoff um ihren Mund, damit sie den Knebel nicht wieder ausspucken konnte.
Dann erhitzte er mehr Wasser und holte aus einer Tasche, die er in einer der nicht einsehbaren Nischen des Gewölbes deponiert hatte, ein Färbemittel. Er musste die genaue Menge schätzen, die nötig war, um den Farbton wiederherzustellen, den ihre Haare ursprünglich gehabt hatten. Haar anfeuchten, Färbemittel auftragen, einwirken lassen und auswaschen. Er hielt ihren Kopf behutsam fest, achtete darauf, dass nichts von dem Mittel in ihr Gesicht oder die Augen geriet. Er trocknete ihr Haar und bürstete es, bis es locker und feucht durch seine Finger glitt.
Da lag sie. Nackt und in Ketten. Ein Frösteln lief dem Mann über den Rücken. Er hob die gefesselte Frau hoch und trug sie zu dem Freiraum vor dem Ofen. Von der Decke hingen einige Ketten herunter, mit denen die schweren Eisenteile des Ofens bewegt werden konnten, wenn eine Reparatur anstand. Ein paar davon liefen über Rollen und Züge an der Decke entlang. Zielsicher wählte der Mann eine davon aus und ließ sie herunter. Mit einem Karabinerhaken klinkte er das Ende der Kette in den eisernen Ring der Handfessel. Mit festen Bewegungen zog er die Kette an. Sie ratterte über die Rollen und langsam wurde der schlaffe Körper der jungen Frau hochgezogen, bis sie eine Handbreit über dem Boden baumelte. Ihr Kopf war ihr auf die Brust gesunken. Langsam drehte sie sich an ihrer Kette, direkt vor seinen Augen. Er trat an den hängenden Körper heran. Wie gut sie duftete! Er schloss die Augen und näherte sich ihrer Haut, atmete ihren Geruch ein: teure Öle, Pflege für ihre kostbare Haut. Obwohl er sie gründlich gewaschen hatte, konnte er noch ihr Parfum riechen.
Abrupt richtete er sich auf. Ein wildes Knurren entfuhr ihm. Er schüttelte sich, und eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Er krümmte sich zusammen. Der Schmerz war bohrend, zog sich durch seine Eingeweide und brannte in seiner Brust. Er hustete trocken. Sein Atem ging stockend, und er presste die Fäuste gegen den schmerzenden Leib. Langsam richtete er sich auf. Es tat weh. Wie mit Rasierklingen schnitt der Schmerz durch seinen Körper. Es war ein wohlbekannter Schmerz, und er wusste, wie er ihn unter Kontrolle bekam. Er atmete tief ein, trotz der Stiche hinter den gepeinigten Lippen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Schmerz, lokalisierte ihn. Er musste die Schmerzen annehmen, sie zulassen und sich in ihnen auflösen, dann würden sie ihn nicht mehr beherrschen, sondern er würde den Schmerz beherrschen, ihn nutzen, zu seinem Gehilfen machen.
Der Mann zwang sich, langsam ein- und wieder auszuatmen. Einatmen, ausatmen, regelmäßig, langsam und bedächtig. Das Gefühl trat in den Hintergrund, und seine Gedanken wurden klar.
Die Anstrengung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die tiefen Falten und Narben in seinem zerstörten Gesicht waren noch eine Schattierung dunkler geworden. In der Tasche der Jacke, die er auf der Werkbank abgelegt hatte, befand sich ein Fläschchen mit Tabletten. Er nahm zwei davon mit einem Glas Wasser. In der Brusttasche bewahrte er seine Uhr auf. Er bevorzugte Taschenuhren. Ein Druck auf die Krone ließ den Deckel aufspringen. Er hatte noch mehr als genug Zeit. Das Betäubungsmittel wirkte noch für mindestens vier Stunden.
Er goss neues Wasser in sein Glas und lehnte sich an die Werkbank.
Wie schön sie war! Ihr Körper hatte aufgehört, sich zu drehen. Schlank und elegant hing sie an der Kette von der Decke, wie eine schwebende Statuette. Sie hatte sich immer gut gepflegt. Feste Muskeln unter makelloser Haut. Sie hatte es sich auch leisten können. Geld hatte für sie nie eine Rolle gespielt. Er betrachtete die sanften Kurven ihrer Hüften, den Schwung ihrer Brüste und den Schwall feuchten, braunen Haares, der darüber fiel. Er gähnte. Noch vier Stunden, bis sie wieder zu Bewusstsein kommen würde. Er schob die Jacke ans Ende der Bank und räumte die darauf liegenden Werkzeuge beiseite. Er legte sich so, dass er den hängenden Körper im Blick hatte. Er hatte gelernt, auf Kommando zu schlafen. Er schloss die Augen und schlief fast sofort ein.
Bevor sein Geist abdriftete, musste er an die Frau in der Boutique denken, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Die Narbe eines Schnittes, die quer über den Mund lief, entstellte das Lächeln zu einer schon fast teuflisch wirkenden Grimasse.
»Gelb?«, fragte Detective Maurer ungläubig.
»Gelb!«, bestätigte die Zeugin, heftig nickend. »Gelb wie ein Kanarienvogel! Ein quietschgelber Volkswagenbus. Aber nicht, dass sie jetzt an so ein Hippieauto denken! Nein, nein, der Wagen war neu! Und das war eine Sonderlackierung, da bin ich mir sicher.«
»Sie kennen sich mit so etwas aus?« Maurer beschloss in diesem Moment, sich von gar nichts mehr überraschen zu lassen. Die Frau machte nicht den Eindruck, als kenne sie sich mit Autotuning aus. Rund und adrett saß sie da vor ihm, das Bild einer gestandenen gutsituierten Dame der mittelreichen Gesellschaft. Die Geschichte, die sie ihm erzählte, passte überhaupt nicht zu ihrem Äußeren.
»Mein Sohn liebt es, mir von seinem Bus zu berichten und was er grade wieder damit vorhat. Er plant dauernd neue Umbauten oder Verbesserungen!«, sagte sie entschuldigend.
Maurer hatte während der ganzen Zeit der Aussage der Frau auf einem Stuhl gesessen, genau ihr gegenüber. Jetzt stand er auf, schob den Stuhl beiseite und begann, im Raum herumzulaufen.
»Ich fasse noch mal zusammen, was sie mir da grade berichtet haben«, sagte er mehr zu sich selbst als zu den beiden anderen Personen im Raum, der Zeugin und der Assistentin, die ihm vom Kommissariat aufs Auge gedrückt worden war.
»Etwa um elf Uhr heute Vormittag kam eine langjährige Kundin, um neue Kleider zu kaufen. Sie kennen die Dame schon lang und wissen mit Sicherheit, dass es sich um Mrs. Roberta Stone handelt, die Frau von Alexander Stone, dem Verleger.«
Die Dame nickte zustimmend, aber Maurer nahm das nicht wahr. Er starrte auf den Boden, lief ruhelos umher und rekapitulierte weiter:
»Mrs. Stone hatte sich eben das zweite Kleid zeigen lassen, als ein knallgelber Volkswagenbus auf den Gehweg fuhr und den Eingang versperrte. Ein Mann war aus der offenstehenden Seitentür in den Laden gestiegen, in jeder Hand eine Schusswaffe. Er ist zu ihnen herübergekommen, hat mit der einen Waffe die Vitrine zerschossen und mit der anderen auf Mrs. Stone, die daraufhin umfiel. Dann hat der Mann sie in den VW-Bus getragen und ist fortgefahren. Ist das so richtig?«
Maurer war stehengeblieben und sah zu seiner Zeugin hinüber.
»Ja, schon …«, antwortete sie zögerlich, »Aber es war viel, viel unwirklicher, als es sich anhört, wenn sie es so erzählen. Wissen Sie, es war schon seltsam, wie er hereinkam …«
Maurer legte den Kopf schief. »Ja, fahren Sie fort …«, ermunterte er die Zeugin.
»Er kam so … so langsam herein, ganz ohne Eile, als wenn er alle Zeit der Welt hätte. Er kam zu uns herüber und musterte uns eine ganze Weile. Mrs. Stone war ziemlich ungehalten und hat ihn noch angegiftet. Dann hat er ganz langsam die Waffe gehoben und auf die Glasvitrine geschossen. Das hat uns so erschreckt, dass wir wie erstarrt waren. Hier wird nicht oft geschossen, wissen Sie. Und dann hat er, auch ganz langsam, auf die arme Mrs. Stone mit der anderen Waffe geschossen. Auch als er sie dann verschleppte, hat er sich Zeit gelassen, dabei schrillten doch schon die Sirenen wegen der zerstörten Vitrine.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Vielleicht hatte er Drogen genommen«, mutmaßte sie. »Ich kannte mal eine Frau, die sich ähnlich benahm, wenn sie ihre Tranquilizer genommen hatte.«
Maurer bezweifelte, dass das der Grund war, hütete sich aber, das zu erwähnen, um den sonst folgenden Redeschwall zu vermeiden. Die Dame redete gern und viel, und Maurer versprach sich nicht mehr viel an neuen Informationen.
Er dankte der Zeugin und komplimentierte sie hinaus. Die ganze Sache verwirrte ihn. Nichts entsprach dem Lehrbuch. Was sollte er davon halten? Er lehnte sich an die Wand und sah zu seiner Assistentin hinüber. Die Polizistin entsprach auch in keiner Weise seiner Vorstellung einer tüchtigen Beamtin. Die junge Frau hatte unübersehbar afrikanische Vorfahren – unter anderem. Sie war klein, höchstens einen Meter sechzig, mit riesigen Augen und einer Figur, die für Maurers Geschmack einfach zu weiblich war. Er schämte sich ein wenig dafür, dass er nicht anders konnte, aber er musste sie sich nackt vorstellen …
»Nun, was halten sie von der Angelegenheit?«, fragte er und versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern. Flannegan? O’Flaherty? Diese Frau machte ihn nervös.
»Ich weiß nicht, Sir«, antwortete sie mit erstaunlich heller Stimme. »Das klingt alles so … erfunden – als wenn sie sich das ausgedacht hat, um sich wichtig zu machen.«
»Stimmt, Finnegan, aber die anderen Zeugen bestätigen Teile ihrer Geschichte, und ich neige dazu, ihr Glauben zu schenken.« Ihm fiel auf, dass sie gut durchtrainiert wirkte, ganz im Gegenteil zu ihm selbst. Er hasste Sport und tat nie mehr als nötig. Selbst Sport im Fernsehen war ihm zuwider.
»Ich glaube zwar nicht, dass es etwas bringen wird, aber wir sollten die Fahndung nach dem gelben VW-Bus einleiten«, fuhr er fort. »Die Kollegen in Uniform sollen in der Gegend die Geschäfte absuchen und fragen, ob es noch mehr Zeugen gibt, ob jemand den Bus gesehen hat, woher er kam oder wo er nach der Tat hinfuhr. Veranlassen sie das bitte, Sergeant Finnegan.«
Sie nickte und zog ihren Schreibblock aus der Tasche.
»Und Mister Stone?«, fragte sie, während sie sich Notizen machte. »Den sollten wir schnellstens unterrichten, oder?«
Maurer nickte abwesend. Er hatte das schon in die Wege geleitet, als er noch auf dem Weg hierher war. Der Verkehr stockte oft genug, dass er telefonisch ein paar Anweisungen hatte geben können. Was hatten die Leute nur gemacht, als es noch keine Mobiltelefone gab? Er wusste, dass Mr. Alexander F. Stone noch in der Luft war und noch für eine gute weitere Stunde sein würde. Er flog von Seattle nach New York und würde erst gegen 17 Uhr in La Guardia eintreffen. Dort standen Beamte bereit, die ihn informieren würden und ihn direkt zu ihm bringen sollten. Stone flog die Maschine selbst, weshalb man darauf verzichtet hatte, ihn noch in der Luft zu informieren. Der Stress war so schon groß genug und Mr. Stone nicht mehr der Jüngste. Honi soit qui male y pense!
Maurer wusste auch, dass bislang keine Lösegeldvorderung eingegangen war, nicht bei Mr. Stone persönlich noch in seinem Büro bei Stone Enterprises. Sergeant Finnegan war das nicht bekannt. Sie war mit der Subway gekommen, da sie nur ein paar Blocks entfernt war, als der Anruf kam, eine Entführung habe stattgefunden. Die Strecke mit dem Wagen zu fahren hätte sie ein Mehrfaches an Zeit gekostet. Der Verkehr in New York war selbst in seinen harmlosen Momenten mörderisch, und jetzt war Hauptverkehrszeit. Also war sie zur nächsten Station gerannt, in den nächsten Zug gesprungen und drei Stationen weiter und vier Minuten später schon am Ort der Entführung eingetroffen.
»Mr. Stone kommt so um halb sechs. Bis dahin können wir schon ein bisschen vorarbeiten …«
Finnegan runzelte etwas irritiert die Stirn.
»Um halb sechs? Sicher?« Maurer nickte. Er war bei der Aussage der Frau. Sie drehte sich in seinem Kopf, und er beleuchtete sie von allen Seiten. »Ja, siebzehndreißig, so in etwa. Kommen sie mal mit, Finnegan.« Er stiefelte an ihr vorbei in den Schauraum. Der Tatort. Auf dem teuren Teppichboden lagen die Splitter der Vitrinenglasscheiben herum. Der Schuss musste aus einer Schrotflinte abgefeuert worden sein. Keine Kugel konnte so etwas anrichten. Eine Kugel, egal, wie groß oder wie klein sie auch sein mochte, würde immer ein mehr oder weniger exaktes Loch hinterlassen. Die Glasvitrine war in tausende von Splittern zerplatzt. Es knirschte, als Maurer hinüberging. Die Leute von der Spurensicherung waren eifrig damit beschäftigt, Spuren zu sichern, stäubten und klebten und sammelten alles mögliche in saubere kleine Plastiktüten, um sie dann sauber und ordentlich zu beschriften.
»Hendrix …?«, fragte Maurer und blieb neben einem baumlangen Farbigen in einem blauen Overall stehen. Der lange Mensch richtete sich auf und überragte Maurer, der nicht eben klein war, noch um gut einen Kopf.
»Verdammte Scheiße!«, stöhnte er und presste sich die Hand in den Rücken. »Diese Bückerei bringt mich noch um!«
»Werden sie doch Apfelpflücker!«, schlug Maurer vor. Hendrix verzog sein Gesicht.
»Booh! Den kannte ich noch nicht … Ganz toll!« Er streckte sich, und man hörte es vernehmlich knacken. Hendrix seufzte. »Ah, das ist besser!«
Maurer deutete auf den Scherbensalat.
»Habt ihr schon etwas gefunden, das uns weiterhelfen könnte? Munitionshülsen? Schuhabdrücke?«
»Ja. Nein. Ja«, sagte Hendrix. Maurer sah ihn verwirrt an.
»Ja, nein, ja? Wie soll ich das verstehen?«
»Sie haben drei Fragen an mich gestellt und das waren die Antworten: Haben wir etwas gefunden? Antwort eins: Ja, haben wir. Zweitens: Munitionshülsen? Nein, haben wir nicht; und drittens wieder ein Ja, auf die Frage, ob wir Schuhabdrücke haben. Allerdings bezweifle ich, dass die uns weiterhelfen …«
Maurer seufzte. Scheinbar musste er Hendrix alle Antworten einzeln aus den Rippen leiern.
»Und warum bezweifelt der verehrte Experte die Nützlichkeit der Abdrücke?«
»Haben Sie gedient, Detective?« Hendrix zog Polaroidfotos aus der Tasche und reichte sie Maurer. Darauf waren die Schuhabdrücke zu sehen. Der Entführer hatte sie in dem weichen Teppichflor hinterlassen, als er Mrs. Stone hochgehoben hatte, und die Fasern hatten sich noch nicht wieder aufgerichtet.
»Nein, ich war untauglich … körperlich, wegen meiner Augen.« Maurer hatte sich damals geschworen, nie wieder über seine Kurzsichtigkeit zu nörgeln, als man ihn wegen der Fehlsichtigkeit ausmusterte.
»Ich war bei den Marines«, sagte Hendrix und tippte auf das Polaroid. »Und ich erkenne den Abdruck eines Springerstiefels, wenn ich einen vor mir habe; und das hier ist unter Garantie der Abdruck eines US-amerikanischen Militärstiefels, wie er von den Marines getragen wird – und von zigtausend Zivilisten.« Hendrix schnippte mit den Fingern. »Viel Spaß beim Suchen!«
Maurer deutete auf den Metallrahmen, der von der Vitrine übrig geblieben war.
»Was für eine Waffe kann das gewesen sein?«
»Zwölfer Schrot – oder Hackblei. Wir suchen noch nach Partikeln, aber die sind nicht so einfach zu finden in dem Glassalat. Aber wenn da welche sind, dann finden wir sie.« Hendrix rieb sich das Kinn. »Wenn der mit so was auf die Frau geschossen hat, dann ist sie Hackfleisch. Dann müsste hier alles voller Blut und Eingeweide sein. Auf so kurze Entfernung hätte es sie in zwei Teile zerfetzt. Aber hier ist kein Blut. Nur Glassplitter!«
Maurer reichte Hendrix das Foto zurück. »Es müssen zwei verschiedene Waffen gewesen sein. Die Zeugen sagen einheitlich aus, der erste Schuss sei viel lauter gewesen als der zweite.«
Hendrix schüttelte den Kopf.
»Diese Geschichte ist irgendwie schräg, das sage ich Ihnen … Ich mache den Job nicht erst seit gestern, und ich sage Ihnen, da ist was faul!« Er tippte sich an die Stirn.
Maurer nickte. Hendrix hatte recht. Das war kein normales Verbrechen. Er war sich sicher, dass er sich im Verlauf der Ermittlungen noch einige Male würde wundern dürfen. Er zog sein Mobiltelefon heraus und überlegte, welche Kollegen er als erste an die Arbeit schicken sollte. Er fuhr eilig herum und prallte gegen Finnegan, die während seines Gesprächs mit Hendrix wortlos hinter ihrem Chef gestanden hatte.
»Kommen Sie, Finnegan!«, schnauzte Maurer und versuchte das Kribbeln zu ignorieren, das ihm den Rücken herunterlief, als er gegen seine Untergebene gestoßen war. »Wir haben zu tun!« Und er fegte zum Ausgang, zu seinem Wagen. Sergeant Finnegan folgte ihm mit hochgezogenen Augenbrauen und einem winzigen Lächeln in ihren Mundwinkeln.
Pochende Kopfschmerzen, der Geschmack im Mund faulig, säuerlich, und die Mundhöhle trocken wie Wüstensand, ein quälendes Ziehen in den Armen und Handgelenken, taube Finger und obendrein ein würgendes Gefühl im Magen. Roberta Stone fühlte sich schlecht in allen Bereichen, auf allen Wellenlängen und in jeder Beziehung. Was war nur passiert? Sie versuchte sich zu bewegen. Das Ziehen in den Armen nahm zu und wurde schmerzhaft. War sie gelähmt? Sie konnte aus irgendeinem Grund die Augen nicht öffnen, so sehr sie es auch versuchte. Das Licht war so grell, dass es in ihren Augen trotz der geschlossenen Lider weh tat. Es war warm, sogar heiß. War sie in der Wüste? Der Schmerz in ihrem Kopf pochte so heftig in ihren Schläfen, dass sie kaum klar denken konnte. Was war das Letzte, an das sie sich erinnerte? Sie war zum Einkaufen in die Stadt gefahren … in diese Edelboutique mit der schleimigen Verkäuferin … und dann? Da war die Erinnerung an ein Geräusch, das Klirren zerbrechenden Glases. Hatte sie etwas kaputt gemacht? Aber was war mit ihr los?
Sie versuchte erneut die Augen zu öffnen. Gleißende Helligkeit. Eine Träne quoll aus ihrem Auge, als sie die Lider heftig zusammenpresste. Sie stellte fest, dass sie ihren Kopf nicht heben konnte. Ihr Nacken schmerzte. Sie fühlte ihr Haar an den Oberarmen … lag sie? Sie versuchte die Beine zu bewegen, aber da war ein Widerstand … Ihre Beine waren angebunden. Angebunden? Sie stöhnte und bewegte sich heftig. Schmerzen in den Handgelenken! Das Klopfen in den Schläfen nahm ein rasendes Tempo an. Sie war gefesselt. Gefesselt! Verflucht, was war hier los? Roberta Stone war keine sehr impulsive Person. Sie war immer kühl und berechnend gewesen. Trotz des Kopfschmerzes riss sie sich zusammen. Sie spürte ihren Puls rasen. Ganz ruhig, Bobby! Du darfst jetzt nicht ausflippen!
Sie stellte ihr sinnloses Gezappel ein. Sie war gekidnappt worden, so viel war einmal klar. Von wem? Das würde sich wohl noch zeigen, aber sicher war es jemand, der Geld haben wollte. Warum sonst sollte sie jemand entführen und bewegungsunfähig aufhängen? Da wollte jemand an das Geld ihres Mannes. Alexander Stone war ein sehr reicher Mann. Das war allgemein bekannt. Sie musste also nur ruhig bleiben und auf ihre Chance warten. Niemand konnte garantieren, dass sie auch frei kam, wenn Alex das Lösegeld bezahlt hatte. Also musste sie ihre Kräfte schonen und auf eine Gelegenheit warten, die ihr die Flucht ermöglichte. Was, wenn der oder die Entführer sie einfach hier hängen und verfaulen ließen? Nein! Sie rief sich zur Ordnung. Keine negativen Gedanken! Du kommst hier raus! Bobby kommt überall raus!
Wenn nur der Kopf nicht so hämmern würde!
Sie versuchte ihre Zunge zu bewegen. Da war etwas in ihrem Mund … etwas, das verhinderte, dass sie die Zunge aus dem Mund strecken konnte. Sie war auch noch geknebelt. Roberta Stone begann wütend zu werden. Sie übte Macht aus! Sie war es gewohnt, Befehle zu geben und dass die Leute sprangen, wenn sie pfiff – und jetzt hing sie hier, war nicht in der Lage sich zu bewegen, hilflos der Gewalt von irgendwelchen Kidnappern ausgeliefert! Sie malte sich aus, was sie mit ihren Entführern anstellen würde, wenn sie sie in die Finger bekäme.
Was konnte sie tun? Sie war zu absoluter Passivität verurteilt. Wenn ihr niemand half, würde sie hängend verrotten. Angst mischte sich in ihre Wut. Ein Gefühl, das sie nicht oft in ihrem Leben gehabt hatte. Bobby Stone stand über den Dingen.
So konnte es doch nicht zu Ende gehen? Sie war reich, relativ jung, skrupellos und hatte noch so große Pläne …
Roberta Stone, Frau eines der reichsten Männer der USA, verwitwete Mrs. Bernhard Fouley, erfolgreicher Anwalt, der ihr ein erkleckliches Vermögen hinterlassen hatte; Wohltäterin, Gönnerin und einiges mehr – und nicht alles davon war ehrenhaft. Bobby wusste als einzige um ihre zahllosen Missetaten. Nie war sie erwischt worden oder nur der kleinste Anschein eines Verdachtes auf sie gefallen, dazu war sie immer zu raffiniert gewesen – und zu gründlich. Sie hatte immer sauber die Scherben hinter sich aufgeräumt.
Was, wenn diesmal sie selbst das Opfer sein würde, wenn sie auf der Strecke bliebe, wie so viele, die ihr im Weg gestanden hatten? Bobby lief ein Frösteln über den Körper bei dem Gedanken an ein gewaltsames Ende. Sie spürte, wie sich ihr Nackenhaar aufstellte und sich ihre Brustwarzen aufrichteten. Seltsam. Sie vermisste das vertraute Gefühl des schützenden Büstenhalters. Sie bewegte den Oberkörper leicht hin und her. Das Gefühl von Stoff fehlte. Sie zog ihre Gesäßmuskeln zusammen. Auch hier nicht das Empfinden einer Berührung, wie man es hat, wenn die Haut in der Kleidung gleitet. Sie war nackt!
Verdammnis! War sie einem Perversen in die Hände gefallen? Das war doch krank! Sie hing hier nackt, entführt, und, wie ihr schien, mit gespreizten Beinen, bewegungsunfähig, wie in einem billigen Sadomaso-Pornofilm! Gleich würde eine Horde als Ku-Klux-Klan-Anhänger verkleidete Footballspieler hereinstürmen und sie vergewaltigen! Nun, wenn es nur das war! Bobby hatte freiwillig schon Schlimmeres getan! Aber was, wenn es ein psychopathischer Killer war, der sie hier hin gehängt hatte? Ein Serienkiller, dem sie als nächstes Schlachtopfer dienen sollte? Panik schlich sich in ihre Gedanken. Bobby war es gewohnt, zu handeln. Jetzt war das das Einzige, was sie nicht konnte. Und somit konnte sie gar nichts tun. Sie musste warten und sehen, was ihre Entführer machen würden.
Wenn nur ihr Kopf nicht so schmerzen würde! Und wenn nur das Licht nicht so grell scheinen würde …
Der Mann setzte sich auf. Er war schon seit geraumer Zeit wach und hatte beobachtet, wie seine Gefangene zu sich kam. Sie würde hässliche Kopfschmerzen haben, und ihre Augen würden übermäßig lichtempfindlich sein. Das lag an den Drogen, die er ihr verabreicht hatte. Er hatte darauf geachtet, nur das unbedingt nötige Maß an Substanzen zu benutzen, das eben nötig war, damit er sein Vorhaben umsetzen konnte, ohne jemanden in Gefahr zu bringen. Nein, er wollte sie sicher nicht unnötig verletzen. Er wusste nur zu gut, wie es war, wenn man verletzt wurde.
Er betrachtete den Körper, der da ein kleines Stück über dem Steinboden baumelte. Nur langsam wurde sich die Erwachende ihrer Situation bewusst. Sie bäumte sich in ihrer Fesselung auf, soweit diese das zuließ. Sie kämpfte dagegen an, wand sich, aber letztendlich sah sie das Ausweglose ihrer Lage ein. Als sie ruhig da hing und er mehrere Minuten lang keine Bewegung vermerken konnte, schien es ihm an der Zeit zu sein, seinen Plan voranzutreiben. Er hatte nicht endlos Zeit.
Genau genommen hatte er überhaupt keine Zeit.
Aus seiner Tasche, die er neben der Werkbank abgelegt hatte, nahm er eine Kerze und ein Sturmfeuerzeug, ähnlich einem Zippo. Die billige Kopie würde niemand zurückverfolgen können. Er durfte nichts zurücklassen, das der Polizei als Hinweis dienen konnte, wer er war – und wer er gewesen war.
Er ging hinüber zu seiner Gefangenen. Er bewegte sich lautlos über den rauen Steinboden, ging in einem Halbkreis um die Hängende herum, bis er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sie hielt die Augen geschlossen. Das war der Lichtempfindlichkeitseffekt. Er trat ein paar Schritte zurück. An der Wand befand sich ein Schalter für die einzige Glühbirne, die Licht spendete.
Es war ein alter Knebelschalter, bei dem man einen Knopf drehen muss, der dann den Schaltvorgang vollführt. Mit lautem Knacken rastete die Mechanik ein. Das Licht erlosch. Es war schlagartig stockfinster. Bobby Stone schrak heftig zusammen. Durch die geschlossenen Lieder nahm sie wahr, dass das Licht aus war. Ganz aus oder nur dunkler? Sie riss ihre Augen auf. Schwärze.
Da war ein Geräusch gewesen, bevor das Licht ausgegangen war! Das war ein Schalter. Schalter schalten sich normalerweise nicht selbst, es musste also jemand hier sein. Oder hatte eine Uhr das Licht automatisch ausgemacht? Wenn sie nur rufen oder reden könnte! Aber alle Versuche, den Gegenstand, von dem sie mittlerweile glaubte, dass es ein Gummiball war, aus dem Mund zu stoßen, hatten nur zur Folge gehabt, dass ihr nun die Zungenspitze weh tat.
Ein neues Geräusch: ein metallisches Klicken, gefolgt von einem drehend-reibenden Geräusch, gefolgt von einem »Wupp!«. Ein Feuerzeug! Im selben Moment kroch flackernd das Licht einer kleinen Flamme über ihre gequälten Netzhäute. Sie blinzelte, denn obwohl die Flamme nur spärliche Helligkeit verbreitete, war sie es nach der langen Dunkelheit und mit den von der Droge lichtempfindlichen Augen nicht gewohnt, ins Licht zu sehen.
Der Mann hielt den Docht der Kerze in die Flamme seines Feuerzeugs und wartete, bis der Docht Feuer gefangen hatte. Er ließ das Feuerzeug zuschnappen, hielt die brennende Kerze höher und trat an die hängende Roberta Stone heran.
»Guten Abend, Mistress Stone!«, sagte er leise, mit überraschend wohlklingender Stimme.
In Roberta Stones Augen stand Furcht, als sie in das verwüstete Gesicht ihres Entführers starrte. Der Mensch schien nur noch aus Narbengewebe zu bestehen. Schnitt- Brand- und andere Verletzungen hatten auf ihm ihre Spuren hinterlassen. Das flackernde Licht der Kerze verstärkte den Eindruck noch, sie sei das Opfer von Jack the Ripper oder Quasimodo.
Unter den Narben bewegten sich harte Muskelstränge, man konnte jede einzelne Sehne erkennen. Der Mann hatte nicht ein Gramm Fett am Leib. Sie konnte sehen, wie die Muskeln unter der Haut zuckten, sich streckten und zusammenzogen.
»Du fragst dich bestimmt, wer ich bin, hm?«, fuhr die sanfte Stimme fort. Sie hatte einen seltsam gutturalen Unterton, etwas Ausländisches, obwohl der Mann perfektes amerikanisches Englisch sprach. »Keine Sorge, du kommst schon noch dahinter! Nur so viel für den Anfang: Wir haben uns einmal gekannt!«
Er ging in die Hocke und tropfte etwas Wachs auf den Boden, klebte darauf die Kerze fest. »Wenn die Kerze erloschen ist, komme ich wieder. Oh, eins solltest du noch wissen: Wenn wir miteinander fertig sind, wird es keine Roberta Stone mehr geben!«
Roberta Stone bäumte sich wild auf und rüttelte erfolglos an ihren Ketten. Sie schwang hin und her und drehte sich am Ende ihrer Kette. Ihre Brüste schwangen hin und her. Sie hätte geschrien, wenn sie der Knebel nicht daran gehindert hätte. Angst? Wut? Hass? Von allem etwas.
»Du verschwendest deine Kraft!« sagte der Mann tadelnd. Er griff nach ihren Unterschenkeln und stoppte die Drehbewegung, bis sein Opfer ruhig hing. Er ließ sie langsam los, und beim Fortnehmen der Hand streifte er wie unabsichtlich ihren Oberschenkel.
Er drehte sich weg, ging zum Ofen, warf Kohlen nach und verließ den Raum dann leise durch die eiserne Tür. Roberta Stone blieb allein mit der flackernden Kerze und ihren Gedanken.
Maurers Schreibtisch bog sich unter der Last der Akten. Er hatte Finnegan beauftragt, alle obskuren Überfälle oder anderen seltsamen Delikte der letzten zehn Jahre zusammenzustellen, und das hier war das Ergebnis von vier Stunden Arbeit. Die Frau machte ihre Sache gründlich.
Maurer hatte Perkins schon mit der Aufgabe betraut, den Stapel zu sichten. Finnegan brauchte er für andere Aufgaben. Der Fall mit der entführten Frau Millionär gestaltete sich immer seltsamer. Mister Alexander Stone würde jeden Moment hier eintreffen, und sie konnten ihm nichts erzählen. Sie wussten nichts. »Ein schwarz gekleideter Mann hat ihre Frau entführt und eine Verkaufsvitrine erschossen, Sir«, das konnte er dem Mann der Entführten erzählen. Sie hatten keine Spuren, keine Hinweise, keine Lösegeldforderung.
In einer Viertelstunde würde Stone hier eintreffen. Maurer hatte eine Abordnung von Beamten zum Flugplatz geschickt, um Alexander Stone unverzüglich und ohne Medienrummel herbringen zu lassen. Bis jetzt hatte er es geschafft, nichts durchsickern zu lassen. Maurer griff zum Telefon. Vielleicht hatte die Fahndung nach dem gelben VW-Bus schon etwas gebracht. So viele gelbe Busse fuhren in New York nun auch nicht herum. Eigentlich musste so ein Gefährt selbst in dieser Millionenmetropole jemandem aufgefallen sein. Er wählte die Nummer des zuständigen Kollegen. Nach fünf Mal Klingeln nahm der Beamte ab und knurrte seinen Namen in den Hörer. Maurer stellte seine Frage.
»Na ja«, antwortete der Mann aus der Verkehrsabteilung. »Wir haben einen brennenden VW-Bus in Brooklyn und einen, der in der Nähe der Queensborough Bridge im Hudson versunken sein soll. Der ist aber nicht gelb genug. Dann haben wir eine Meldung aus Newark, da soll ein Bus über eine rote Ampel gerast sein und einen Unfall mit Fahrerflucht verursacht haben. An allen Fällen sind die Kollegen Plattfüße noch dran …«
Also nichts Konkretes. Maurer bedankte sich und mahnte noch mal an, dass er unverzüglich unterrichtet werden sollte, wenn es etwas Neues gab. Er legte auf, ohne eine Erwiderung abzuwarten.
Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, und Sergeant Finnegan steckte ihren hübschen Kopf herein. »Mr. Stone ist da, Sir!«, sagte sie und machte dann Platz für den Ehemann der Entführten. Mister Alexander Stone war ein kleiner, etwas übergewichtiger Mann mit schütterem grauem Haar und weichen Zügen. Er trug einen unauffälligen maßgeschneiderten Anzug und eine schlichte Metallbrille, die zu groß für sein kleines Gesicht war. Er sah ein wenig aus wie James Cagney ohne Haare.
Maurer bot Mr. Stone einen Platz an. Finnegan machte eine fragende Geste. Ob sie bleiben solle?
»Sergeant Finnegan, wenn sie vielleicht bleiben könnten?«
Maurer wies auf den Hocker, der an der Seite des kleinen Büros stand. Finnegan schob sich auf das Sitzmöbel. Sie hatte gehofft, dabeisein zu können, wenn der Chef mit Stone sprach.
»Sir«, begann Maurer und räusperte sich, »Sie wissen schon, dass ihre Frau entführt wurde?«
Stone nickte stumm. Maurer nickte ebenfalls. »Gut, denn viel mehr wissen wir zurzeit auch nicht, wie ich zugeben muss … Das Verbrechen muss von langer Hand vorbereitet worden sein. Bisher hat der Täter noch keinen Fehler gemacht.« Stone sah Maurer stumm aus wässrigen Augen an.
»Können Sie uns weiterhelfen, Sir? Ich meine, gibt es jemanden, dem sie so eine Verbrechen zutrauen? Haben Sie Feinde, die eventuell zu solchen Mitteln greifen würden? Hat Ihre Frau Feinde?«
Stone schüttelte langsam den Kopf.
»Ich wüsste nicht!«, antwortete er dann. Seine Stimme war hoch und heiser. »Ich bin seit Jahren schon nicht mehr im Geschäft. Wenn ich überhaupt jemals einen Feind gehabt haben sollte, dann fiele es mir schwer zu glauben, er würde mit einer etwaigen Racheaktion so lange gewartet haben … Nein, ich denke nicht, dass ein Feind hinter der Entführung meiner Frau steckt. Und sie selbst? Nun, ich bin nicht im Detail über alle Aktivitäten meiner Angetrauten informiert, doch halte ich eine Annahme in dieser Richtung für ebenso wenig angezeigt. Es wird wohl auf ein Lösegeld hinauslaufen, meinen Sie nicht?«
Maurer hatte noch nie jemanden so gestelzt reden hören wie diesen Menschen, der da vor seinem Tisch saß.
»Äh, nein – ehrlich gesagt, glaube ich das nicht, Sir!«
»Was bringt Sie zu dieser abweichenden Meinung, Mr. … äh?«
»Detective«, sagte Maurer, ohne seinen Namen zu nennen. »Nicht meine Meinung ist abweichend, Sir, sondern die Ihre!« Maurer gefiel dieser seltsame Weichling überhaupt nicht. »Nach polizeilichen Erkenntnissen geht eine Lösegeldforderung immer recht zügig nach der erfolgten Entführung bei den Erpressten oder bei uns ein. Wenn das nicht geschieht, Sir, und das ist hier der Fall, wie mir scheint, dann liegt meistens ein anderer Grund für die Entführung vor als rein pekuniäre Motivationen.«
Stone legte den Kopf zur Seite und sah Maurer irritiert an.
»Ja, aber welchen anderen Grund für eine Entführung kann es denn geben?«
Maurer hob theatralisch seine Arme.
»Vielleicht will jemand ein politisches Zeichen setzen? Oder es war ein Irrtum, und die haben die Falsche entführt! Oder es handelt sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft! Hatte ihre Frau einen Liebhaber? Ist sie einem Serienkiller in die Hände gefallen?«
Stone war puterrot angelaufen. Er sprang fast aus seinem Sessel heraus: »Meine Frau hatte keinen Liebhaber, Sir!«
Mit hochrotem Kopf stand er da und war eine Karikatur seiner selbst. In diesem Moment war Maurer sicher, dass Mrs. Stone einen Liebhaber gehabt hatte – mindestens einen!
Roberta Stone grübelte. Sie konnte diese Ruine von einem Gesicht nicht einordnen. Der Mann hatte gesagt, sie würden einander kennen. Wer mochte er sein? Sie konnte sich an niemanden erinnern, der auch nur entfernt in Frage kommen würde. Und er hatte ihr den Tod angekündigt. Wenn er mit ihr fertig sein würde, gäbe es keine Roberta Stone mehr, hatte er gesagt. Was hatte sie für eine Chance?
Sie konnte nur hoffen, dass der Mann einen Fehler machen würde. Jeder machte Fehler … nur sie nicht; nicht Roberta Stone. Sie hatte nie einen Fehler gemacht. Es gab keine Zeugen ihrer Missetaten – entweder weil sie es so geschickt angestellt hatte, dass keiner wusste, dass sie hinter einem Geschehen steckte, oder weil sie keine Gefangenen machte. Sie erinnerte sich an die Sache mit Morley. Sie hatte ihn um sein Vermögen, seine Familie und seine Ehre gebracht, und als er dahinter kam, hatte sie ihn von einem Auftragsmörder beseitigen lassen. Der Hitman war in ihrem Bett gelandet, und nach gehabtem Vergnügen hatte sie sich seiner mit seiner eigenen Waffe entledigt. Als die Polizei ihn fand, lautete die Diagnose: Selbstmord eines Auftragskillers.
Roberta Stone machte keine Fehler. Doch – einen musste sie gemacht haben, denn sonst würde sie jetzt nicht hier hängen. Die Kerze war zu einem Stummel von höchstens noch einem Zoll zusammengeschmolzen. Wenn sie abgebrannt war, kam er wieder zurück, der Vernarbte. Vielleicht nahm er ihr ja den Knebel aus dem Mund; dann würde sie ihm Fragen stellen können. Sie musste wissen, wer er war und weshalb er ihr das hier antat. Wie sonst sollte sie eine Strategie entwickeln? Wie sollte sie bekämpfen, was sie nicht kannte?
Vielleicht konnte sie ihre weiblichen Reize einsetzen. Noch jeder Mann war darauf hereingefallen. Bobby hatte sie alle genommen. Ihr war es egal, wer da in ihr steckte. Sie hatte mit jedem ihren Spaß, denn ihr Sex fand in ihrem Kopf statt. Ihr Fetisch war Macht, ihre Geilheit hieß Herrschen. Das machte sie an! Selbst in ihrer aussichtslosen Situation fühlte sie, wie sich ihr Unterleib zusammenzog bei dem Gedanken.
Sie war bereit alles zu tun, um zu überleben. Hinterher konnte man dann sehen und Rache nehmen, falls das nötig sein sollte. Sie würde überleben! Roberta Stone, Survivoress.
Der Mann regulierte die Flamme des Schneidbrenners nach, um die Flamme auf optimaler Schneidleistung zu halten. Wieder und wieder fraß sich die heiße Flamme aus Sauerstoff und Acetylengas durch das Metall des Volkswagenbusses. Deutsche Wertarbeit – das ließ sich nicht so eben mal nebenbei zerlegen!
Er hatte viel gelernt beim Militär. Vive la Légion! Mit dem Schneidbrenner machte ihm kaum jemand etwas vor. Routiniert zerteilte er den Wagen, erst die Bleche, dann die Aufbauten, Getriebe, Motorblock, Achsen. Die Halle, in der er arbeitete, stand unten am Hafen und war zu einer Seite hin offen. Der Mann schweißte, schraubte, und nach gut zwei Stunden war von dem gelben Bus nichts mehr übrig außer einem Foto, das der Mann vorher mit einer Polaroidkamera gemacht hatte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und ignorierte die Schmerzen, die in seinen Eingeweiden wüteten.
Alle Autoteile, die verräterisch hätten sein können, hatte er im Hudson versenkt, die anderen in der ganzen Halle verteilt. Schließlich schob er das Schweißgeschirr in eine Ecke, warf einen alten, zerschlissenen Sack darüber und lehnte einige alte Bretter davor.
Der Mann warf einen letzten Blick in die leere Halle. Der Bus war verschwunden, und er hatte seine Spuren verwischt – bis auf diejenigen, die er absichtlich für die Polizei hier gelassen hatte. Aber nur, wer wusste, dass er suchen musste, würde auf die Idee kommen, hier nach irgendetwas zu stöbern. Niemand würde hier nach irgendetwas suchen. Er drehte sich um und machte sich auf den Weg. Noch rund zwanzig Minuten. Dann würde die Kerze heruntergebrannt sein, und er musste zurück sein bei seiner Gefangenen. Im Laufen zog er einen Umschlag aus der Innentasche seiner schwarzen Jacke und steckte das Foto hinein. Er leckte den Kleberand an, verschloss den Umschlag, auf dem schon Marken in Höhe des nötigen Portos klebten, und warf ihn am nächsten Briefkasten ein.
Er lief gleichmäßig, militärisch präzise. Er würde es schaffen. Er würde rechtzeitig vor dem Erlöschen der Kerze zurück sein. Über die große Kreuzung, dann zweite Straße links. Im Hinterhof der Wäscherei stand ein Schuppen; in dem Schuppen gab es eine Falltür, die zu einer Treppe führte. Er hastete die Treppe hinunter. Hier lagerte der Wäschereibesitzer seine Vorräte an Seifen und Stärke, und es roch frisch und rein.
Der Mann lief quer durch den Raum voller Regale, öffnete eine Tür, ging in den Gang dahinter, der nach gut fünf Metern an einer Metallwand endete. Rostiges Eisen, faustgroße Nieten. Der Mann schob zwei von den dicken Halbkugeln hoch und drückte gegen die Eisenwand. Knarrend schwang sie nach hinten; er schlüpfte hindurch und schob die Wand sofort wieder an ihre alte Position zurück. Hörbar rasteten die Verschlüsse ein. Die Tür war wieder eine Wand. Der Mann lief weiter. Die Treppe führte mehrere Stockwerke in die Tiefe. Hier standen früher die riesigen Kessel einer Brauerei, tief im Untergrund von New York verborgen, und unterhalb dieser Katakomben zogen sich noch ältere und seltsamere Stollen entlang. Der Mann kannte den Weg gut. Er war ihn in den letzten Jahren oft gegangen, mal mit und mal ohne Licht. Er kannte sich hier blind aus. Er hatte noch ein paar weitere Abzweigungen und Tunnel vor sich, er musste auf die Zeit achten. Weiter durch die Gänge.
Die letzte Tür. Er spähte hinein. Ein flackernder Schein. Die Kerze brannte noch. Der Schmerz in seinem Bauch hatte sich etwas gelegt, und der Mann atmete tief ein. Er legte seine Kleider am Eingang ab, und nur in seinen Hosen ging er leise um die Pfeiler herum, die ihm den direkten Blick bislang verwehrt hatten. Die Kerze blakte noch in den letzten Zügen ein paar Fetzen trüben Lichtes hervor, dann kippte der Docht in seiner Lache aus geschmolzenem Wachs um und erlosch. Die Dunkelheit währte nur einen Herzschlag lang, dann flammte eine Fackel auf. Er hatte alles vorbereitet. Vier Fackeln steckten in Wandhalterungen. Er ging mit der Fackel, die er in der Hand hielt, herum und entzündete die anderen der Reihe nach. In eine fünfte Halterung steckte er seine. Die fünf Fackeln ließen fünf lange Schatten der hängenden Roberta Stone über die Wände tanzen. Ihr Körper wurde von dem warmen Licht von allen Seiten ausgeleuchtet. Er konnte jede kleine Einzelheit erkennen: die perfekten Kurven ihrer Hüften, den Schwung ihrer festen Brüste und den nicht ganz symmetrischen Bogen, den ihre unteren Rippen beschrieben. Mit den Armen hoch über dem Kopf saßen ihre Brüste ein wenig zu hoch, aber das lag eben an ihrer Haltung. Ihr Haar fiel ihr an den Seiten herab … diese wunderschönen, braunen Locken, die im Sonnenlicht einen rötlichen Schimmer bekamen, die ihr als kleines Mädchen bis auf die Hüften gereicht hatten. Es gab da dieses Foto von ihrem neunten Geburtstag …
Roberta konnte ihn nicht sehen, da wo er stand, und so sah sie nicht die Träne aus seinem Auge rollen. Sie fiel auf den Steinboden und verdunstete innerhalb von Sekunden. Es war mehr als warm in dem Kellergewölbe. Trotzdem ging der Mann zum Ofen und legte nach. Er schürte die Glut und trieb die Temperatur weiter in die Höhe. Ein leichter Schweißfilm bedeckte seinen Oberkörper.
Er ging zu seiner Bank und trank von seinem mitgebrachten Wasservorrat. Dann nahm er den verbliebenen Schlüssel zur Hand. Die Tür hatte er sicher verriegelt. Er spannte den Schlüssel ein wie den ersten und feilte auch diesen herunter. Nun gab es keine Möglichkeit mehr, das Schloss zu öffnen. Wer immer hinaus oder herein wollte, würde die Tür aufbrechen müssen. Er trank noch einen tiefen Schluck. Seine Gefangene würde auch Durst haben, besonders nach den Drogen, und der Gummiball in ihrem Mund würde den Wunsch nach Wasser noch verstärken.
Er wischte sich die Lippen trocken und trat zu seiner Gefangenen. Langsam ging er um sie herum. Sie nahm ihn schon aus dem Augenwinkel war. Er war groß, kein Riese, aber groß gewachsen. Breite Schultern. Das lange, graue Haar stand ihm nicht. Andererseits war das bei dem, was von seinem Gesicht noch übrig war, ziemlich egal. Sie folgte ihm mit ihrem Blick. Kraftvolle Bewegungen. Ein Raubtier, geschmeidige Bewegungen, eine Tätowierung auf dem Oberarm. Etwas Militärisches? Etwas vornüber gebeugt blieb er vor ihr stehen, als stemme er sich gegen etwas Unsichtbares. In ihrem Sex-Zirkel, den sie alle vierzehn Tage aufsuchte, hätte er sicherlich Interesse geweckt. Der Mann hatte etwas Wildes, Animalisches an sich, etwas Gefährliches. Roberta kannte den Typ Mann. Er hatte das Töten gelernt, und er hatte seinen Beruf ausgeübt. Sie konnte das erkennen. Der Mann vor ihr hatte schon getötet. Dazu musste sie keine Hellseherin sein. Die Narben hatte er sich nicht bei der Gartenarbeit zugezogen.
Er sah sie an. Sie hing vor ihm, und sie war in seiner Gewalt. Endlich. Jetzt war es an ihm, dafür zu sorgen, dass Roberta Stone nie wieder jemandem Schaden zufügen würde.
»Du tust mir leid«, sagte er tonlos.
Roberta hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.
»Du bist ein verdammtes Miststück, eine Hure, eine Mörderin, Verleumderin, Lügnerin, Ehebrecherin, Verräterin, Betrügerin. Du bist so ziemlich das letzte Stück Dreck unter den Frauen dieser Welt, Roberta Emilia Lucia Stone, verwitwete Mrs. Fouley, geborene Osterman.«
Er sagte das alles mit tiefer Traurigkeit, mit einem schmerzenden Bedauern in der Stimme, ohne auch nur den Anklang einer Anklage oder des Vorwurfs, aber mit einer gewissen Bitterkeit. Er sprach leise, aber sie hörte jedes Wort, als hätte er es herausgeschrien.
Roberta schrak zusammen. Er wusste gut Bescheid. Ihren Geburtsnamen hatte sie selbst seit Jahren nicht mehr gehört. Sie hatte ihn nicht mehr hören wollen. Osterman. Eine kleine, mistige Familie bornierter Möchtegerndiplomaten – Vergangenheit. Außerdem lebte keiner mehr von ihren Anverwandten. Aber was maßte sich dieser Scheißkerl von einem Kidnapper an, sie als Hure, Ehebrecherin, Lügnerin und Mörderin zu bezeichnen! Wut kochte in ihr hoch. Oh, wenn sie doch könnte, wie sie wollte!
»Jedenfalls wirst du heute deinen Mann nicht umbringen«, sagte der Mann in immer noch regungslosem Tonfall. Trotz der Hitze wurde Roberta Stone kalt, eiskalt. Wie konnte er das wissen?
»Du fragst dich, woher ich das weiß?« Der Mann griff in seine Tasche und hielt ein Metallplättchen in der ausgestreckten Hand, kaum größer als ein Zehn-Cent-Stück. »Du hast es mir verraten … Du neigst zu Selbstgesprächen, wenn du Pläne schmiedest, Roberta!«
Er hatte ihre Wohnung verwanzt! Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte einen Fehler gemacht … Sie hatte ihre eigene Wohnung als sicher betrachtet … Aber Moment mal! Ihr wurde noch etwas kälter. Das konnte er nur in ihrer Wohnung aufgefangen haben, nicht in der ehelichen in der Fifth Avenue, sondern in ihrem kleinen, konspirativen Versteck, von dem sie angenommen hatte, dass es niemandem bekannt sei außer ihr selbst. Er hatte ihr Refugium verwanzt!
»Ich war in deinem Versteck, Roberta. Ich kenne deine Pläne. Du wirst nichts davon umsetzen, das verspreche ich dir. Die Börsenmanipulation, den Versicherungsschwindel und den Wochenendurlaub mit dem Mann deiner Freundin Jamie kannst du auch vergessen.«
Der Mann lächelte, und die Narbe ließ ihn grinsen. »Sie sind jetzt sicher vor dir.«
Rotglühende Wut tobte durch Roberta Stone, die hilflos den Anschuldigungen zuhörte; und jede einzelne entsprach der Wahrheit. Ja, sie hatte geplant, mit dem Mann ihrer Freundin in die Berge zu fahren, ihn in ihr Bett zu locken, ihn dann zu erpressen und ein paar Insidergeschäfte an der Börse zu tätigen. Ja, sie hatte einen Versicherungsbetrug in Arbeit – ein paar alte und völlig überversicherte Häuser würden in Flammen aufgehen.
Und sie hatte geplant, ihren zweiten Ehemann zu beerben – nachdem sie ihn beim Ableben unterstützt haben würde … Aber das war jetzt hinfällig. Alles aus.
All ihre Illusionen zerplatzten wie Seifenblasen. Sie hatte schon in den letzten Stunden, die sie allein mit der Kerze verbracht hatte, die Hoffnung auf einen Fluchtversuch aufgegeben. Sie konnte nicht nach oben sehen, aber unten konnte sie ihre Füße erkennen. Eine Stange von gut einem Meter Länge spreizte ihre Beine auseinander, an deren Enden massive, eiserne Fußschellen saßen, die sich um ihre Gelenke schlossen. Wie sollte sie ohne Hilfe da herankommen, mit den Händen über dem Kopf, an einer Kette hängend? Wie lange konnte sie das überhaupt aushalten? Ihre Finger spürte sie kaum noch. Sicher würden sie bald absterben. Aber was machte das schon, denn der Kerl, ihr Entführer, würde sie sowieso früher oder später umbringen.
»Du wirst dich an jedes deiner Verbrechen erinnern, Roberta Stone, dafür werde ich sorgen.«
Sie glaubte ihm jedes Wort und hasste ihn dafür.
»Wir nehmen uns ihre Bekannten und Verwandten vor, Finnegan, alle, einen nach dem anderen«, sagte Maurer. »Da gibt es was zu finden. Wir müssen nur an der richtigen Stelle suchen!«
»Verwandte haben wir schon durch, Chef«, antwortete die Detektivin. »Die verehrte Mrs. Stone hat keine Blutsverwandten mehr. Papa starb an Herzversagen, als sie ein Kind war, und Mama später an Krebs oder so was. Dann gab’s da noch einen Bruder, zwei Jahre älter als sie, aber der ist im Gefängnis während seiner Haftstrafe gestorben.« Finnegan blätterte in ihren Unterlagen. »Die Bekannten habe ich auch aufgelistet. Moment, ich hab’s gleich … ah, hier!« Triumphierend zog sie ein paar zusammengeheftete Blätter aus ihrer Mappe und reichte sie Maurer.
Freundin, deren Mann, Angestellte, Mitarbeiter, Geschäftsbeziehungen, alles sauber mit Adresse, Telefonnummer, Fax, wenn vorhanden, und Internetadresse und Email. Sergeant Finnegan sah ihren Chef stolz an, und der nickte ihr anerkennend zu. »Gute Arbeit!«
»Ich habe mit Mrs. Stones Sekretärin telefoniert. Die Dame war sehr erschrocken über die Entführung ihrer Chefin, schien mir«, fuhr Finnegan fort. »Sie bringt uns den Terminplaner von Mrs. Stone her. Sie muss ihn erst aus dem Büro holen und kommt dann hierher, zu uns. Eigentlich müsste sie schon da sein …« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Na, bei dem Verkehr in der City kann das noch dauern.«
»Und noch einmal: Gute Arbeit, Finnegan!« Maurer begann sich zu fragen, wozu man ihn eigentlich noch brauchte. Die junge Dame arbeitete doch selbständig und effektiv. Er sollte sich in seinem Stuhl zurücklehnen und die anderen machen lassen! Aber dann wäre er nicht er gewesen. Maurer war einer, der immer dabeisein musste. Sein Schreibtisch war für ihn selbst nach all den Jahren eine Art Fremdkörper in seinem Leben.
Es klopfte an Maurers Bürotür. Perkins steckte seinen Kopf herein.
»Ich bin den Stapel durchgegangen, Chef, aber da ist nichts. So was wie heute hat es vorher noch nicht gegeben. Ich hab alle möglichen Verrücktheiten dabeigehabt, nur nichts, was hierzu passt.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Sorry, Chef!«
»War einen Versuch wert!«, entgegnete Maurer, aber Perkins war schon verschwunden. Der Mann hatte es immer eilig. Maurer seufzte unwillkürlich. Er kam sich wirklich überflüssig vor.
»Ich könnte einen Kaffee vertragen, Finnegan.« Er blickte seine Assistentin an. »Sie auch?«
Finnegan nickte und wollte aufspringen, aber Maurer schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.
»Milch oder Zucker?«, fragte er, als er an ihr vorbeiging.
»Schwarz!«, antwortete Sergeant Finnegan mit trockenem Hals.
»Oh, ja, natürlich!«, murmelte Maurer und ging in Richtung Kaffeeküche. Sergeant Finnegan fragte sich, was daran natürlich war, dass sie ihren Kaffee schwarz bevorzugte. War das eine Anspielung auf ihre Hautfarbe?
Maurer setzte in der Küche frischen Kaffee auf. Ein echter Luxus. Die meisten Abteilungen mussten sich mit Automaten begnügen, die gegen viel Geld nur etwas hergaben, das den Namen Kaffee nicht wirklich verdiente.
Er schmunzelte. Er hätte sich denken können, dass Finnegan ihren Kaffee schwarz wollte. Junge Frauen achten immer auf ihre Figur. Finnegan machte da wohl keine Ausnahme. Zucker ist eine Kalorienbombe, und Milch enthält Fette, das weiß man ja. Natürlich verzichtete sie darauf. Ob Mrs. Stone wohl auch verzichtete? Maurer hatte den Verdacht, dass die entführte Mrs. Stone nicht zu Verzicht und Zölibat neigte. Er hatte zwar nur Fotos von der Dame gesehen, aber die vermittelten ihm nicht das Bild einer Florence Nightingale, eher einer Mata Hari. Die Frau hatte einen arroganten Zug um ihre Mundwinkel. Sie war es gewohnt, ihren Willen zu bekommen. Maurer stellte sich einen Streit mit Mrs. Stone vor. Er erhielt eine keifende Xanthippe.
Der Kaffee war durchgelaufen. Maurer schenkte zwei Becher voll und sicherte den Rest in der Thermoskanne. Drei Löffel Zucker in seinen Becher, umrühren. Er liebte seinen Kaffee süß. Zum Glück musste er nicht auf seine Figur achten. Er konnte essen und trinken, was und so viel er wollte, er behielt sein Gewicht.
Maurer balancierte die beiden Becher mit ihrem heißen Inhalt vorsichtig zu seinem Büro. Als er eintrat, saß eine junge Frau bei Sergeant Finnegan, die sofort aufsprang, als Maurer eintrat.
Fast hätte er den Kaffee verschüttet.
»Das ist Mrs. Broderson, Detective«, stellte Finnegan die Frau vor, »Mrs. Stones Sekretärin, Sir!« Finnegan sprach sehr förmlich. Maurer fragte sich, ob sie das wegen der Sekretärin tat.
Er stellte seinen Becher auf dem Tisch ab und reichte Sergeant Finnegan ihren.
»Ohne Milch und ohne Zucker, bitte sehr!«, sagte er und lächelte sie an. Finnegan sah wirklich verdammt gut aus. Finnegan nahm den Becher entgegen. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen. Hatte er nun eine Anspielung gemacht, oder hatte sie etwas falsch interpretiert? Warum störte sie das überhaupt?
»So, Mrs. Broderson, ja, also, sie sind die Sekretärin der Entführten!«, wiederholte Maurer, um irgendwie einen Einstieg in die Befragung zu bekommen. Graue Maus, ordnete Maurer sie ein. Nicht hässlich, aber unscheinbar und so falsch gekleidet, wie es nur ging. Erstaunlich, dass sie keine Brille trug! Graues Kostüm, hochgesteckte Haare, Perlenohrstecker, ein schlichter goldener Ring an der Hand, eine einfache Uhr, Lederarmband. Maurer hätte gewettet, dass Mrs. Stone sich ihre Sekretärin mit Bedacht ausgewählt hatte.
»Sie kennen ihre Chefin doch sicher gut, wenn sie ihre Sekretärin sind, Mrs. Broderson?« Maurer nippte an seinem Kaffee. »Oh, möchten Sie auch einen Kaffee?«
Mrs. Broderson schüttelte den Kopf. Sie stand noch immer.
»Ich vertrage Kaffee nicht«, sagte sie. »Tee auch nicht!«, fügte sie hastig hinzu.
»Setzen Sie sich doch bitte, bevor ich einen steifen Nacken bekomme, weil ich immer zu Ihnen aufsehen muss!« Maurer deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Verzagt schob Mrs. Broderson sich auf das Möbel.
»Wie ist das nun mit ihrer Chefin?«, begann Maurer erneut. »Wie ist sie so – als Mensch und als Arbeitgeberin?«
»Mrs. Stone ist eine sehr korrekte Arbeitgeberin!«, antwortete die graue Maus leise. »Sie legt viel Wert auf genaue und schnelle Arbeit, und ich habe immer pünktlich mein Gehalt bekommen! Das schien ihr wichtig zu sein.«
»Und als Mensch, so als Privatperson?«, bohrte Maurer weiter.
»Ich habe Mrs. Stone nie privat erlebt, immer nur beruflich, geschäftlich. Sie war immer sehr korrekt und …« Sie brach ab.
»Und was?«, fragte Maurer. Abgebrochene Sätze machten ihn immer neugierig.
»Auf mich wirkte sie immer sehr kühl und distanziert. Manche halten sie sogar für arrogant …« Wieder brach Mrs. Broderson ab. Maurer bekam das Gefühl, dass sich dieses Gespräch noch hinziehen würde.
»Wenn Sie gestatten, Chef«, sagte Finnegan halblaut, »wenn Sie gestatten, führe ich das Gespräch mit Mrs. Broderson weiter. Sie müssen sich noch um die anderen kümmern …«
Finnegan warf ihm einen Rettungsanker zu, und Maurer war dankbar. Er hasste es, seinem Gesprächspartner jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen.
»Gut, dass Sie mich daran erinnern, Sergeant«, gab er zurück. »Ja, wenn sie so nett wären …«
Er verabschiedete sich von Mrs. Broderson. Beim Hinausgehen zwinkerte Finnegan ihm zu. Maurer lief ein Schauer den Rücken hinunter. Er zwinkerte zurück. Als die beiden Frauen gegangen waren, legte er die Füße hoch und widmete sich seinem Kaffee.
Noch war er heiß …
Roberta Stone konnte nicht sehen, was der Entführer tat. Sie hing so, dass sie vor sich eine nackte Steinwand aus grob gefügten Blöcken sah, auf dem die flackernden Fackeln Schatten tanzen ließen. Der Mann machte auch nicht viele Geräusche, die ihr Aufschluss darüber geben konnten, was er trieb.
Nachdem er seine Beschuldigungen ausgesprochen hatte, war er in Schweigen verfallen. Er lief herum und tat etwas. Manchmal kam er in ihr Blickfeld. Er hob nicht einmal seinen Blick zu ihr oder sah sie an. Als wäre sie gar nicht da. Sah sie nicht toll aus? Männer wollten sie, begehrten sie! Sie liebten ihre weiche, gepflegte Haut, ihr blondes Haar. Ihr Blick wanderte zur Seite, wo eine Strähne ihres langen Haares über ihre Brust fiel. Es war braun. Wie konnte das sein? Seit ihrem siebzehnten Geburtstag war sie nicht mehr brünett gewesen! Sie hatte eine Blondine aus sich gemacht! Männer bevorzugen Blondinen!
Deshalb auch hatte sie jedes Körperhaar entfernt oder entfernen lassen. Nichts sollte ihre wahre Haarfarbe verraten. Und jetzt hatte ihr Haar wieder die verhasste braune Farbe! Wie konnte das sein?
Das musste er getan haben! Was hatte er noch mit ihr angestellt, während sie bewusstlos gewesen war? Sie verrenkte sich, um so viel von sich sehen zu können, wie in ihrer Lage möglich war. Sie erkannte ihre Brüste, die Brustwarzen, Knie, Bauch … Alles so, wie sie es gewohnt war. Hatte er sie vergewaltigt? Etwas sagte ihr, dass er es nicht getan hatte. Sie kannte das Gefühl in ihrer Scheide, wenn ein Mann in ihr gewesen war.
Vielleicht brauchte er etwas anderes, was ihn antörnt, fragte sie sich. Sie hatte schon alle möglichen Perversionen erlebt, und es würde sie nicht wundern, wenn hinter all dem ein neues, perverses Spielchen stecken würde.
Fast wünschte sie sich, er würde endlich tun, was sie dachte, dass er tun wollte. Dann hätte sie es hinter sich, und alle könnten wieder nach Hause gehen. Aber so würde es nicht laufen. Er hatte es ihr schon gesagt: Wenn er mit ihr fertig wäre, würde es sie nicht mehr geben. Außerdem kannte er all ihre kleinen, miesen Pläne – und den großen: den geplanten Mord an ihrem Mann. Wenn er sie nicht gekidnappt hätte, wäre Alexander Stone jetzt schon Vergangenheit. Das nahm sie zumindest an. Sie musste sich eingestehen, dass sie nicht einmal annähernd sagen konnte, wie spät es war oder welcher Tag heute war. Wie lange war sie weggetreten gewesen? Stunden? Tage? Sie verspürte ein Hungergefühl in der Magengegend, und sie war durstig. Der Gummiball an ihrer Zunge wirkte rau, sie hatte keinen Speichel mehr. Sie bezweifelte allerdings, dass ihr Entführer ihr etwas zu trinken geben wollte. Er hätte ihr sonst wohl kaum diesen Gummiball zwischen die Lippen gesteckt.
Außerdem war es heiß in diesem Keller. Es roch nach Kamin. Besser, als wenn es hier feucht und kalt gewesen wäre, dachte sie. Oder auch nicht! Kälte macht schmerzunempfindlich, hatte sie gelesen; und ihr schmerzten die Arme. Ihre Gelenke spürte sie schon nicht mehr. Wie lange würde sie das noch aushalten können?
Roberta Stone hatte viele Menschen leiden lassen, vielen hatte sie beim Leiden zugesehen, und bei einigen hatte sie das Leiden noch verlängert. Wie lange würde sie selbst leiden können? Wie hoch war ihre Leidensgrenze?
Dabei war noch nichts weiter geschehen. Sie war an den Händen nackt aufgehängt worden, und ein Verrückter bedrohte sie. Aber mehr als Drohungen waren bis jetzt nicht gefallen. Wenn man von ihrer Haarfarbe absah, war sie körperlich unversehrt.
Wenn ihr nur einfallen würde, woher sie ihren Entführer kennen sollte! Vielleicht würde ihr das weiterhelfen! Wer war er?
Sie konnte nicht einmal sein Alter schätzen. Die Narben und der Zustand seines Körpers ließen eine Schätzung einfach nicht zu. Er mochte vierzig oder sechzig Jahre zählen, sie konnte es nicht sagen. Wie viele Jahre sind nötig, bis ein Körper so aussah? Was muss jemand tun, um so zu werden? Der Mann musste durch die Hölle gegangen sein! Sie hatte einmal mit einem Feuerwehrmann geschlafen, der in einer Explosion fast zerfetzt worden war und den die Ärzte gerade noch eben so wieder zusammengeflickt hatten. Der Mann hatte schon schlimm ausgesehen, aber verglichen mit dem Entführer hatte er nur ein paar Kratzer abbekommen.
Sie hatte sehen können, dass die Narben sich schnitten und überlappten. Neue Narben auf und über alten. Er musste sein Leben lang immer wieder schwerste Verletzungen erlitten haben. Was hatte sie damit zu tun? Sie konnte sich nicht an jemanden erinnern, dem sie so etwas zugefügt haben konnte.
Sie hatte in dieses zerstörte Gesicht gesehen, aber da war kein Erkennen. Sie hatte in seine tiefbraunen Augen gesehen, aber auch da war nichts, das sie erkannt hätte, nichts, das sie an irgendwen erinnert hätte. Wer, wer, wer war ihr Peiniger?
Es musste schon lange zurückliegen. Diese Menge an Verletzungen hatte er sich nicht in ein oder zwei Jahren zugezogen. Dafür reicht oft ein ganzes Leben nicht. Ihr fiel wieder ein, dass er ein militärisches Auftreten hatte, ohne auf seine Autorität zu pochen. Vielleicht war er im Krieg gewesen? Desert Storm? Dort waren viele G. I.s übel zugerichtet worden! Vietnam? Möglich, aber da war sie noch ein Kind gewesen, das waren verschwommene Erinnerungen.
Konnte der Mann so alt sein? Vietnam fiel in die 70-er Jahre, schon möglich, dass er damals dabei gewesen war.
Doch das brachte sie nicht weiter. Wer war er?
Sie hörte Schritte von hinten kommen, leise Tritte von nackten Füßen, das Quietschen rostiger Scharniere, das Geräusch der Kohlen, die in die Glut nachrutschten, das stochernde Kratzen eines Schürhakens, Klappern, wieder das Quietschen der Ofentür, als sie sich wieder schloss.
Er trat wieder in ihr Blickfeld. In den Händen hielt er eine lange Holzbank. Er stellte sich dicht vor Roberta und drückte sie mit der Linken von sich fort. Mit der rechten schob er die Holzbank unter ihre Position. Dann griff er ihr grob zwischen die Beine, hob sie an und stellte sie mit den von der Eisenstange gespreizten Beinen auf die Holzbank. Die Bank war eben lang genug, dass Roberta ihre Füße links und rechts darauf halten konnte. Sie drückte ihre zitternden Knie durch und stellte sich hin. Es waren nur ein paar Zentimeter, aber es entlastete ihre Handgelenke. Sie hielt ihre Hände immer noch hoch, aber der Zug durch ihr Gewicht war fortgenommen. Sie streckte sich. Ihre Rückenwirbel knackten, als sie nach dem langen Hängen wieder auf ihre Bandscheiben rutschten.
Roberta atmete tief durch. Vielleicht nahm er ihr jetzt den Knebel heraus. Sie hatte immensen Durst! Vielleicht befreite er sie sogar von ihren Fesseln, und sie fände eine Möglichkeit zur Flucht oder könnte ihn überrumpeln …
Er wusste genau, wie lange er sie hängen lassen durfte, ohne dass ihre Hände Schaden nahmen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne musste er dem Blut Gelegenheit geben, wieder in die Adern zurückzufließen und das Gewebe zu versorgen, bevor es abstarb. Er hatte diese Lektion gelernt, in Theorie und Praxis.
Sie war so wunderschön, wie sie dort stand, eine gebundene Gottheit, jeder Bogen ihres Körpers eine Ode an die Schönheit. Feucht glänzte ihre Haut, das herabfallende Haar klebte an ihrem Rücken. Sie würde rasenden Durst verspüren, und es würde noch schlimmer werden. Er würde den Raum zum Glühen bringen. Ihm selbst klebte die Jeans an der Haut, und Tropfen rannen an seinem Körper herunter. Er fand es eher störend bei sich selbst. Bei ihr wirkte der feuchte Glanz wie ein überirdisches Funkeln auf elfenbeinerner Haut. Sie stand da, mit geschlossenen Augen, den Kopf an die nach oben ragenden Arme gelehnt, atmete tief und deutlich. Er sah, wie sich ihr Brustkorb mit Luft füllte, wie sich ihre Brüste merklich hoben und beim Ausatmen wieder senkten. Er sah das Klopfen ihrer Halsschlagader, durch die das Blut in das Gehirn strömte, in dem diese hinterhältigen Pläne und perfiden Verbrechen erdacht worden waren, die dazu geführt hatten, dass er und sie nun hier waren.
»Ich werde dir deine Untaten vorlesen«, sagte er unvermittelt.
Er wand seinen Blick von der Schönheit ihres Körpers ab und konzentrierte sich auf seine selbstgestellte Aufgabe. »Ich werde es chronologisch tun. Wir beginnen mit dem letzten Verbrechen, mit der Ermordung deines Ehemannes Nummer zwei, Alexander Fitzgerald Stone. Du hast geplant, ihn während des Beischlafs nach seiner Rückkehr von seiner Geschäftsreise mit einer luftgefüllten Spritze zu töten. Durch das Injizieren von Luft in eine Ader entstünde eine Embolie, die jeder für normales Herzversagen halten würde. Den kleinen Einstich würde man nicht bemerken, denn Mr. Stone leidet an Altersdiabetes und muss regelmäßig Insulin spritzen. Da gibt es natürlich eine Menge Einstiche. Die trauernde Witwe wäre dann von allen bedauert worden: Wie grausam, beim Sex gestorben! Und Roberta Stone wäre Herrin über eines der größten Vermögen der Welt geworden und Aktionärin von so ziemlich allen wichtigen Zeitungen der USA.«
Der Mann sah Roberta mit seinen unglaublich braunen Augen lange an. Sie hielt immer noch die Augen geschlossen. Sie hatte gehört, was er ihr zu sagen hatte. So hatte sie es geplant gehabt. Sie hatte Alexander beim Ficken töten wollen, wenn er gar nicht damit rechnete; wenn er tief in ihr war und sicher, dass ihm nichts geschehen konnte, hatte sie ihm den Todesstoß geben wollen. Eine Träne quoll ihr unter den geschlossenen Liedern hervor. Keine Reue! Selbstmitleid, Ärger darüber, entdeckt worden zu sein – und Angst vor ihrer Strafe.
Sie hätte Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken, umgebracht. Sie hätte es sogar mit einer gewissen Freude getan. Alex war ein ekeliger Mann, schwammig, weich, wächsern und voller grauer, drahtiger Körperhaare; und er war schlecht im Bett. Sie hatte ihn nur des Geldes wegen ertragen, und mehr als Ertragen war es nie gewesen. Sie hatte sich ihre Befriedigung immer woanders geholt. Nach dem ersten Sex mit ihrem damals noch zukünftigen Mann hatte sie sich einen derben Kerl von der Straße geholt und sich von ihm und seinen drei Kumpeln die ganze Nacht lang immer wieder hemmungslos ficken lassen. Mit Unmengen fremden Spermas hatte sie versucht, sich den Schleim dieses schmierigen Millionärs aus dem Körper zu spülen.
Aber sie hatte ja nie vorgehabt, lange Mrs. Stone zu sein. Drei oder vier Jahre, dann würde ihren Ehemann auf die eine oder andere Art ein plötzlicher Tod ereilen. Das hatte schon bei ihrer ersten Heirat festgestanden, und sie hatte diese Tradition bei ihrer zweiten Ehe so weiterführen wollen.
Männer waren nur Mittel zum Zweck für sie; Frauen allerdings auch. Roberta ließ nur Roberta gelten. Alle anderen hatten sich ihr und ihren Wünschen unterzuordnen.
Dass ihr Körper dabei eine starke Waffe war, die sie geschickt einzusetzen wusste, hatte sie schnell begriffen und schon in der Schule ihre Vorteile daraus zu ziehen gewusst. Roberta hatte immer gute Noten gehabt …
»Weiter!« Der Mann trat hinter die auf der Bank Stehende und redete von dort weiter. Seine Stimme hallte in dem stillen Raum.
»Du hast den Mann deiner besten Freundin verführt. Was sie dir als Freundin anvertraut hat, hast du ohne Skrupel ausgenutzt. Du hast vorgehabt, seinen Beruf als Börsenmakler für Insiderinformationen zu nutzen, indem du ihn mit eurem Geheimnis erpresst!«
Jennifer, diese dumme Pute!, dachte Roberta. Jenny hatte ihr unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit gebeichtet, dass ihr Mann zu gerne Analsex mit ihr haben wollte, sie das aber ekelig fände und niemals tun würde. Der geile Idiot hatte sofort angebissen, als sie ihm ihren Hintern zur freien Benutzung angeboten hatte. Die Idee mit den Insidergeschäften war ihr erst später gekommen.
Nichtsdestotrotz hatte der Mann es richtig beschrieben. So und nicht anders hatte sie vorgehen wollen. Hatte sie wirklich so viel preisgegeben in ihren Selbstgesprächen? Es musste wohl so sein! Woher sonst sollte der Entführer diese intimen Informationen haben? Roberta Stone war wütend auf sich, auf den Entführer und vor allem auf ihre Machtlosigkeit! Es kochte in ihr, und sie stieß ein verächtliches Knurren hinter dem Gummiball hervor.
Sollte er sie doch mit ihren Untaten konfrontieren! Sollte er doch! Was er auch tat oder sagte, sie wollte die stolze Roberta bleiben, die sie immer dargestellt hatte. An ihr sollte er sich die Zähne ausbeißen, wenn er glaubte, sie zum Wimmern zu bringen!
»Du hast dafür gesorgt, dass eine junge Frau, die in einer der sozialen Einrichtungen deines Mannes arbeitete, entlassen wurde. Sie hatte dir widersprochen.«
»Und ich habe dafür gesorgt, dass sie nirgends an der Ostküste noch einen Job bekommt«, fügte Roberta stumm hinzu. »Nicht mal als Klofrau! Und ich habe noch mehr getan, aber das weißt du nicht!«
Die Stimme hinter ihr fuhr fort: »Du hast die junge Frau verleumdet und dafür Sorge getragen, dass jede Arbeitsagentur von dieser Verleumdung erfuhr. Die Frau bekam keine Anstellung mehr. Sie zog in ein billigeres Viertel. Dort wurde sie von einer Bande Ghettokids übel vergewaltigt. Du hast sie damit beauftragt.«
Scheiße! dachte Roberta. Er weiß es! Sogar das weiß der Scheißkerl!
»Am 30. Dezember des letzten Jahres hat sie sich das Leben genommen. Ihr Name war Barbara Shempeera; sie war erst 33 Jahre alt.«
Roberta erinnerte sich an die junge Frau. Sie hatte sich geweigert, einen schon überfälligen, zur Zahlung anstehenden Betrag für afrikanische Organisationen noch länger zurückzuhalten. Eigenmächtig hatte sie die Gelder freigegeben, und Roberta hatte ihr schmutziges kleines Geschäft nicht machen können. Sie erinnerte sich an die dreckigen, crackverseuchten Kids, die für fünfzig Dollar Cash die Frau vergewaltigt hatten. Gangbang nannten sie das. »Wir hätten’s auch für umsonst gemacht, so eng, wie die war!«, hatte einer der Bengel hinterher gesagt. Sie hatte sich das kranke Schauspiel von ihrer Limousine aus angesehen. Es hatte sie angemacht.
»Hank Bellamy«, sagte der Mann hinter ihr.
Roberta gefror das Blut in den Adern. Nein, das konnte nicht sein! Das konnte er nicht wissen! Niemand wusste von Hank Bellamy! Hank war tot, begraben, es hatte ihn nie gegeben!
»Hank Bellamy lernte dich in einem Swingerclub kennen. Du hast ihn privat zu dir eingeladen. Er gefiel dir, denn er konnte dich befriedigen. Aber als du feststellen musstest, dass du anfingst, dich ernsthaft in ihn zu verlieben, hast du ihn umgebracht.«
Roberta spürte ein trockenes Würgen im Hals. Hank. Sie hatte ihm Chloralhydrat in den Whiskey getan. Als er fest schlief, hatte sie ihm mit einer Scherbe einer Whiskeyflasche, die sie extra dafür zerschlagen hatte, die Beinarterie aufgeschlitzt. Er war in seinem Bett verblutet, ohne es mitzubekommen. Die Polizei hat ihn erst Wochen später gefunden, als die Fliegen schon alle Spuren vernichtet hatten, die es vielleicht trotz aller Vorsicht gegeben hatte. Er wurde als namenloser Toter im County geführt, einer, der nach durchsoffener Nacht einen ziemlich blödsinnigen Tod starb. An Mord dachte niemand.
Roberta war sich so sicher gewesen, nie mit diesem Verbrechen in Verbindung gebracht zu werden! Was, um Himmels Willen, hatte der Wahnsinnige, der sie entführt hatte, nur noch alles herausgefunden?
»Sophia Mullins, Bernhard Korridge und Sebastian Laurence.«
Roberta öffnete endlich doch die Augen. Diese Namen sagten ihr alle nichts. Was sollte sie denen denn angetan haben?
»Sie saßen in einem Oldsmobile, das am 28. Februar vor sechs Jahren in den Rockies eine Serpentinenstraße hochfuhr. Sie starben, als ein brennendes Motorrad von oben in ihr Fahrzeug stürzte. Du hattest die Harley gestohlen, nur zum Spaß, und oben in den Bergen hast du die Maschine in Brand gesetzt und über die Klippe geschoben, um deine Spuren zu verwischen. Es war dir egal, was unten passierte.«
Das hatte sie nicht gewusst! Es hatte doch nur eine kleine Spritztour werden sollen! Die Versicherung würde die Maschine bezahlen, und fertig. Drei Menschen waren dabei umgekommen? Roberta fühlte sich plötzlich leer und hohl.
»Die Zeit ist um«, sagte der Mann und trat ohne Vorwarnung die Bank unter Robertas Füßen weg. Sie sackte durch und hing schwer in ihren Ketten. Ihr Körper schaukelte hin und her. Ein Reißen ging durch ihre Handgelenke. Es war nur eine Erholungspause gewesen, damit sie die Folter länger durchstand! Er würde sie niemals entkommen lassen!
Roberta hörte, wie der Mann die Bank beiseite stellte. Sie fühlte seine Hand an ihrem Schenkel, als er ihre Pendelbewegung stoppte. Dann herrschte Stille. War er noch im Raum? Oder hatte er sie allein gelassen?
Roberta lauschte. Sie hörte nur das gedämpfte Prasseln der Fackeln und der Glut im Ofen. Sie hörte ihre eigenen Atemzüge. Sie spürte den dumpfen Schmerz in den Handgelenken und Schultern, und sie roch ihren Schweiß. Er roch nach Angst.
Finnegan kam nicht weiter. Sie hatte nach der Vergangenheit von Mrs. Roberta Stone gesucht und nur ein löchriges, grobes Netz aus Informationen gefunden, die sich sogar teilweise widersprachen. Da hatte jemand etwas verschleiern wollen. Nein, nicht nur wollen, er hatte es getan! Finnegan kam einfach nicht weiter. Sie hatte ihren Computer zu Höchstleistungen angespornt, aber nicht mehr gefunden, als sie aus jeder Klatschspalte herauslesen könnte. Mrs. Roberta Stone sollte doch Spuren hinterlassen haben an ihrer Schule, an ihrer Universität und im Berufsleben. Aber da war nichts. Sicher, sie war zur Schule gegangen und zur Uni, und dann hatte sie diesen Anwalt geheiratet, diesen Fouley, und von da an gab es detailliertere Angaben, die aber alle auf beängstigende Art zu glatt waren. Mrs. Stone schien Finnegan eine Art Aal zu sein, der überall durchrutscht und im Wasser keine Spuren hinterlässt.
Finnegan trank den Rest kalten Kaffees aus ihrem Becher. Wo könnte sie noch wühlen, um etwas über Mrs. Stone herauszufinden? Sie war im Strafregister, im Verkehrsregister und im Finanzamtsdatenspeicher gewesen. Alles sauber wie frisch gestärkte Maklerhemden – zu sauber. Finnegan spürte, dass da noch etwas war, das gefunden werden musste. Es lag nur an ihr, es dort zu suchen, wo sie es finden konnte.
Sie konnte nicht glauben, dass es jemandem gelingen konnte, seine Daten so sorgfältig zu bügeln, wie es hier geschehen war. Es war nahezu unmöglich. Von Mr. Stone war keine Hilfe zu erwarten. Finnegan hatte ihn in seinem Penthouse angerufen und nur kalte Ablehnung geerntet. Stone weigerte sich, auch nur anzunehmen, seine Frau könne aus anderen Gründen als geldlichen entführt worden sein. Vielleicht war es Altersstarrsinn, denn Stone war schon weit über Siebzig, vielleicht auch Selbstschutz. Vielleicht wollte er sich nur nicht eingestehen, dass er eventuell doch nicht der einzige Mann gewesen war, der mit seiner Frau schlief; vielleicht. Tatsache war, dass Mr. Stone blockte. Er saß zu Hause und wartete darauf, dass sein Telefon klingelte und ihm jemand sagte, er solle soundsoviel Geld zu derundder Uhrzeit an denundden Ort bringen.
Finnegan hatte das Gefühl, dass er lange dort sitzen würde. Die Entführung war jetzt mehr als einen halben Tag her. Bis jetzt war noch keine Lösegeldforderung eingegangen. Der Chef hatte recht behalten. Das war keine erpresserische Entführung. Da steckte etwas anderes dahinter. Finnegan fielen drei plausible Szenarien ein. Erstens könnte es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft handeln: Jemand will die Dame, und da sie für ihn unerreichbar ist, entführt er sie kurzerhand. Zweitens könnte es sich um Rache handeln. Das war noch nicht auszuschließen! Mrs. Stone mochte durchaus Feinde haben, von denen ihr vertrauensseliger Mann keine Ahnung hatte. Finnegan hielt Roberta Stone für eine Frau, die leicht zu hassen war.
Die dritte Möglichkeit war die unappetitlichste. Mrs. Stone konnte einem Serienmörder in die Hände gefallen sein. Dann wurde es wahrscheinlich blutig. Finnegan hoffte inständig, dass es nicht so war. Sie hasste den Anblick aufgeschlitzter Menschen. Sie persönlich tippte auf Rache als Motiv. Wahrscheinlich würde man irgendwann die geschändete Leiche von Roberta Stone aus dem Hudson ziehen, mit einer Kugel im Kopf oder durchschnittener Kehle.
Finnegan rieb sich die Augen. Sie war müde, daran konnten auch Unmengen Kaffee nichts ändern. Sie knipste ihre Schreibtischleuchte aus und fuhr ihren Rechner runter.
Auf dem Weg hinaus ging sie beim Büro ihres Chefs vorbei und spähte hinein. Maurer saß über die Zeichnung des Tatortes gebeugt und kritzelte auf einen Zettel Notizen.
»Nacht, Detective, ich mach Schluss für heute! Sie sollten auch eine Mütze voll Schlaf nehmen!«
Maurer versprach es und wünschte Finnegan eine gute Nacht. Er sah ihr hinterher, bis sie in den Aufzug stieg, der sie in die Tiefgarage zu ihrem Auto bringen würde. Er bedauerte sehr, dass Sergeant Finnegan in gut einer halben Stunde allein in ihrem Bett liegen würde.
Dann seufzte er und beugte sich wieder über den Plan. Ein, zwei Stunden würde er noch machen, bis er nach Hause ging – in seine fast leere Wohnung.
Er saß bewegungslos auf der Werkbank und wartete, dass es an der Zeit war weiterzumachen. Alles musste seine Richtigkeit haben. Seine Gefangene hing an ihrer Kette und rührte sich nicht. An ihrer Atmung konnte er erkennen, dass sie mit sich kämpfte. Sie konnte nur durch die Nase ein- und ausatmen. Das Geräusch war scharf beim Einatmen und langsam bei Ausatmen. Sie rang mit sich. Sie wusste nicht, was kam, wusste nicht, was mit ihr geschehen würde. Aber noch fehlte ihr die Einsicht. Noch hatte sie ihre Schuld nicht erkannt. Aber das würde sie! Es war eine Frage der Zeit.
Er würde gleich mit seiner Aufzählung weitermachen.
Jeden einzelnen Fall würde er aufführen. Wenn sie wüsste, wie lange er sie schon beobachtete – oder hatte beobachten lassen, als er selbst dazu nicht in der Lage gewesen war. Die langen Jahre im Ausland … Er hatte viel Geld für Detektive ausgegeben, immer darauf bedacht, dass keiner von ihnen einen Blick auf das ganze Bild erhaschen konnte. Jeder kannte nur eine Nuance des Puzzles. Nur er allein hatte den Überblick auf alle Teile und kannte das Gesamtbild.
Und nie hatte Roberta etwas bemerkt.
Er ließ sich von der Bank gleiten. Ihr schweißnasser Rücken glänzte im Fackellicht. Ein kleines Rinnsal zog seine Bahn zwischen den Muskelsträngen neben ihrer Wirbelsäule und verschwand zwischen ihren Gesäßbacken. Sie verlor immer mehr Flüssigkeit. Er musste darauf achten, dass sie nicht zu sehr dehydrierte.
Sie stand unter einer immensen Anspannung. Was kam als Nächstes? Die Ungewissheit nagte an ihr. Er wusste sehr gut, wie sie sich fühlte. Dabei blieben ihr die meisten Schmerzen sogar erspart.
Er ging um den hängenden Körper herum. Sie hing in der Mitte eines Kreises, auf dem er seine Bahn zog. Langsam und mit gemessenen Schritten ging er um sie herum, wieder und wieder. Schweigend kreiste er um sie wie der Mond um die Erde. Sie hatte sonst nichts, mit dem sie sich hätte beschäftigen können; schon deshalb folgte sie ihm mit ihrem Blick. Wenn er aus ihrem Blickfeld verschwand, sah sie sofort zur anderen Seite, wo er wieder erscheinen würde. Mehrere Dutzend Mal zog er seine Bahn wortlos um sie herum. Er sah sie dabei nicht an. Sein Blick blieb auf den Boden vor ihm gerichtet. Er behielt immer den Punkt im Auge, auf den er als Nächstes seinen Fuß setzen würde.
»Du hast nie darüber nachgedacht, was du anderen Menschen antust.« Das war keine Frage, das war eine Aussage. Roberta hätte ohnehin nicht antworten können. Sie war gezwungen, ihrem Peiniger zuzuhören, ob sie wollte oder nicht. Es bereitete ihr schon fast körperliche Schmerzen, ihm nicht den Mund verbieten zu können. Was hätte sie dafür gegeben, diesen Anklagen zu entkommen, was erst für die Möglichkeit, ihm Leid zuzufügen! Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie mit einem Baseballschläger auf ihn losgegangen. Wut und Hass.
Dieser miese Dreckskerl, Hurensohn, Mistbock …! Ihr fiel nichts ein, was ihrem Hass Ausdruck verliehen hätte. Es gab kein passendes Adjektiv für dieses niederträchtige Stück Mensch, das es wagte, ihr Gewalt anzutun, sie zu erniedrigen.
»Was hatte dein erster Mann Schlimmes getan, dass er den Tod verdient hatte? Was konnte die arme Angestellte dafür? Hank? Die drei in dem Oldsmobile? Du warst ihr Richter und ihr Henker, aber mit welchem Recht? Mit dem Recht des Stärkeren? Mit dem Recht dessen, der hinterhältiger und unmenschlicher ist? Jetzt …«
Er machte eine kleine Pause, ohne in seinem beständigen Schreiten innezuhalten oder sie anzublicken. Dann fuhr er fort, indem er das letzte Wort noch einmal wiederholte:
»Jetzt bin ich der Stärkere. Dir ist nichts geblieben, gar nichts. Denke nicht, du hättest eine Chance zu entkommen – selbst wenn dir das körperlich gelingen sollte, selbst wenn du mich ausschalten könntest, bevor ich fertig bin, selbst dann habe ich dich in der Gewalt.«
Die Schritte verstummten. Er war hinter ihr stehengeblieben. Minutenlang geschah nichts. Robertas Nerven summten vor Anspannung. Oder waren das die ersten Anzeichen, dass ihre Arme abzusterben begannen?
»Ich habe Beweise gesammelt. Für jedes deiner Verbrechen gibt es einen Beleg oder wenigstens einen Hinweis. Diese Beweise wird die Polizei bekommen.«
Roberta bäumte sich in ihren Fesseln auf. Sie rüttelte an ihren Ketten und warf sich herum. Ein unverständliches Geräusch quoll unter dem Knebel hervor, wie das erstickte Brüllen eines verwundeten Tieres. Das konnte er doch nicht tun! Nein? Warum sollte er nicht? Sie hätte es vielleicht nicht anders gemacht. Es war nur konsequent, wenn man bedachte, was er mit dieser Entführung, mit dieser Strafaktion bezweckte.
Roberta wurde schlagartig bewusst, dass sie geliefert war. So oder so, sie konnte sich von ihrem Leben verabschieden. Wenn die Polizei die Beweise für ihre Verbrechen zugespielt bekam, würde der Staat dafür sorgen, dass sie vom Leben zum Tode befördert würde, wenn ihr Entführer das nicht erledigte.
»Du solltest besser hoffen, dass die Polizei uns nicht findet«, sagte der Mann hinter ihr. »Du hast in vier verschiedenen Staaten gemordet. Dafür werden sie dich auf den Stuhl setzen. Das ist kein angenehmer Tod. Du wirst innerlich gekocht, bevor die Spannung, der Stromfluss dich tötet. Ich habe Männer gesehen, die harte Kerle waren und sich in die Hosen gepisst haben, als es hieß, sich auf Old Sparky zu setzen. Und du bist nicht halb so tough, wie diese Jungs es waren, glaube mir.« Die teilnahmslose Stimme machte das Gesagte nur noch schlimmer in Robertas Ohren.
»Aber früher oder später werden die Cops uns aufspüren, ich gebe mich da keinen Illusionen hin. Die verstehen ihr Handwerk. Man sollte die Polizei nie unterschätzen. Sie mögen nicht viel Fantasie haben, aber sie sind gründlich, und wenn es einen Hinweis gibt, wo sie uns suchen müssen, dann werden sie ihn finden.«
Roberta warf sich hin und her, in den engen Grenzen, die ihr die eisernen Bänder gestatteten. Kraftvergeudung. Ihre Wut war unermesslich. Hass, Hass, Hass! Purer, blanker Hass! Mordlust schimmerte in ihren Augen. Sie knurrte unkontrolliert.
Ketten rasselten hinter ihr, ein Zahnrad drehte sich tackernd, dann fuhr ein scharfer Schmerz durch ihre Arme bis in die Brustmuskeln, als sie hochgezogen wurde. Sie hatte frei gehangen, jetzt spannte sich die Kette, und die Stange, die ihre Beine hielt, war offenbar mit dem Boden verbunden. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Der Zug an Handgelenken und Füßen war kaum zu ertragen. Ihre Wirbel knackten im Rücken, als sie gestreckt wurde.
»Du hast keinen Grund, dich so aufzuführen!«, sagte die Stimme des Entführers hinter ihr. »Was willst du? Du bist – im Gegensatz zu deinen Opfern – noch am Leben.«
Hatte er das Wort »noch« eben nicht seltsam betont? Roberta spürte ihr Herz bis in den Hals hoch schlagen. Sie hatte Angst. Die Wut und der Hass waren fruchtlos, hatten ihre Lage nur noch verschlimmert. Sie musste sich zusammenreißen! Wenn sie sich gehen ließ, die Kontrolle über sich verlor, dann war sie wahrhaft verloren. Sie musste sich zusammennehmen und ruhig bleiben, sonst würde ihr Peiniger sich die nächste Steigerung ausdenken oder sie gleich töten. Roberta wollte nicht sterben. Sie klammerte sich an jeden Fetzen Leben, genau wie es jeder andere Mensch an ihrer Stelle tun würde.
Sie gab ihren Widerstand auf. Schlaff hing sie an ihrer Kette. Die kurze Kette, die die Stange an Robertas Beinen mit einem Ring am Boden verband, war straff gespannt. Die Kette an ihren Händen hatte sie nur ein paar Zentimeter höher gezogen, aber das hatte gereicht. Ihre Arme waren so stramm nach oben gezogen, dass ihre Brüste ein ganzes Stück höher saßen. Es sah unnatürlich aus.
Der Mann legte einen Stift an der Vorrichtung um, die die Kette hielt. Es ruckte, und der Zug an Robertas Fesseln lockerte sich um ein Kettenglied. Noch zweimal ließ er ein Kettenglied durchrutschen. So war der Zug an Armen und Beinen für seine Gefangene nicht mehr so heftig wie zuvor, aber es war immer noch mehr, als sie zu Anfang gespürt hatte.
Roberta seufzte erleichtert. Die Entlastung kam keine Sekunde zu früh. Sie hatte geglaubt, es nicht mehr aushalten zu können. Wo sollte das noch enden? Er würde ihr am Ende die Arme und Beine ausgerissen haben, bevor er sie umbrachte!
Wie stark kann man einen menschlichen Körper strecken? Die Folterknechte im Mittelalter hatten das sicher ganz genau gewusst, und Roberta fragte sich, ob ihr persönlicher Folterknecht auch über solches Wissen verfügte.
Der Mann wusste genau, was er tat. Er hatte das schon zuvor getan, damals allerdings unter dem Befehl seines Kommandanten. Es war so einfach, die Verantwortung nicht zu übernehmen – ganz besonders beim Militär. Ein paar Jahre später hatte er am eigenen Leib auch die andere Seite kennengelernt. Der Feind war nicht weniger zimperlich gewesen, als er selbst mit seinem Opfer umgegangen war. Ein Mensch kann Erstaunliches ertragen. Wenn der »Befragende« den »Befragten« auch noch sachkundig behandelt und seine Grenzen erkennt, dann kann ein Mensch Monate so überleben. Er selbst war dafür der Beweis. Es hatte sieben Monate gedauert, bis er endlich hatte fliehen können – sieben Monate, in denen er vorwiegend an einer Kette von einer Decke herabgehangen hatte.
Er hatte sich dabei eine neue Schicht Narben zugelegt, denn die Soldaten spielten gern mit Feuer und ihren Messern. Sie hatten darin viel Übung …
Der Mann streckte seinen vernarbten Arm aus und legte die narbige Hand flach auf das Gesäß seiner Gefangenen. Mit sanftem Druck drehte er sie zu sich herum. Roberta zitterte augenblicklich, als sie seine Hand auf ihrem Hintern fühlte. Jetzt kam es! Jetzt würde sie zerstückelt – oder wenigstens brutal vergewaltigt!
Zum ersten Mal sah er ihr in die Augen. Er hielt ihre Hüften mit beiden Händen, sonst hätte sie sich unter dem Druck der verdrillten Kettenglieder zurückgedreht.
»Zwing mich nicht, das noch einmal zu tun.« Seine Stimme befahl nicht. Er bat sie darum. Roberta registrierte es verwundert. Sie hatte angenommen, dass er das Ganze genoss – so, wie sie es genossen hätte.
Er ließ sie los, und ihr Körper federte an seiner Fessel zurück in die vorige Position. Roberta starrte wieder auf die Wand. Vertan! Sie hatte eine Chance vertan, einen Blick in den anderen Teil ihres Gefängnisses werfen zu können. So unerwartet war die Berührung durch seine Hände gekommen, dass sie nur in sein narbiges Gesicht gestarrt hatte; von dem Raum hinter ihm hatte sie nichts gesehen.
Was hätte es ihr auch genützt? Was hätte sie denn getan, wenn sie gewusst hätte, was noch in diesem Keller war außer ihr, dem Entführer und diesen vermaledeiten Ketten? Sie konnte hören, wie der Mann wieder einmal zu dem Ofen ging und Brennstoff nachlegte. Die Hitze in dem Raum war kaum noch erträglich. Gehörte das zu ihrer Folter, oder liebte ihr Entführer es einfach nur warm? Heißer als die Hölle. Der Teufel könnte es nicht heißer mögen, dachte sie, und ihr lief ein Frösteln über die Schultern, trotz der Hitze. Außerdem schwitzte sie. Es klapperte hinter ihr. Der Mann ging hin und her, trug etwas Metallenes.
Er kam seitlich in ihr Blickfeld, wie immer. Vor sich her trug er eine eiserne Metallschüssel von nicht unbeträchtlichem Durchmesser. Sie mochte wenigstens drei Fuß messen, und das Metall war erstaunlich dick. Der Mann war nicht schwächlich, aber sie sah, dass er sich beträchtlich anstrengen musste, um die Schale zu heben. Er stellte die Schale ab und ging wieder. Mit einem Dreifuß kehrte er zurück, einem annähernd auf Hüfthöhe sitzendem Gestell, auf das er die Metallschale setzte. Wollte er ein Opferfeuer anzünden? Wirklich kam er als Nächstes mit einer Kiste voller Holzkohle zurück und schüttete sie in die Schale. Dann legte er mit einer Kohlenzange eine große, glühende Kohle auf die Holzkohle. Er schob sie mit der Zange geschickt unter den schwarzen Haufen, so dass sie völlig von der Holzkohle bedeckt wurde. Er ging erneut und kam mit einem Blasebalg und einer emaillierten Kanne wieder. Die Kanne war riesig, fasste bestimmt mehr als zwanzig Liter. Wortlos begann er, die Glut mit dem Blasebalg anzufachen. Mit langsamem Druck und Zug ließ er einen Luftstrom unter die Kohlen blasen, bis die Holzkohle durchgeglüht war und eine unglaubliche Hitze abstrahlte. Der Schweiß lief dem Mann in Strömen über seinen Körper. Der Bund der Jeans war dunkel von Feuchtigkeit.
Dann zog er die Kanne zu sich heran. Es gab ein hässlich schabendes Geräusch auf dem Stein, als die weiße Emaille darüber kratzte. Der Mann tauchte seine Hand in das Wasser und sprengte es dann über die glühenden Kohlen. Die rote Glut verfärbte sich zu schwarzen Punkten, wo das Wasser auf die Glut tropfte. Es zischte, und eine Dampfwolke stieg auf. Ein seltsamer Duft machte sich breit. Roberta sog die Luft scharf durch die Nase. Weihrauch oder etwas Ähnliches? Sie konnte den Geruch nicht genau einordnen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie bekam den Zipfel des Erkennens nicht zu fassen, wie das sprichwörtliche Wort, das einem auf der Zunge liegt …
Der Mensch war wirklich völlig verrückt! Als wäre es noch nicht heiß genug, entfachte er jetzt auch noch zu allem Überfluss eine Sauna! Roberta fühlte, wie die Feuchte der Dampfwolken sie streifte, wie die Tropfen Wasserdampf auf ihrer Haut kondensierten. Kleine Bäche rannen an ihrem Körper herunter. Schweißtropfen vermischten sich mit Wassertröpfchen und hüllten sie in einen glänzenden Film aus Feuchtigkeit. Die Hitze im Raum übertrug sich auf Roberta. Sie spürte, wie ihr Inneres sich immer mehr aufheizte. Wollte sie der Kerl kochen? Dampfgaren? Vor ihren Augen flimmerte die Luft, so groß war die Hitze, die das Kohlebecken abstrahlte. Sie fühlte, wie die feinen Härchen auf ihren Oberschenkeln sich in der Hitze zu kräuseln begannen, wie sich die Haut spannte. Immer mehr Dampf stieg auf. Wieder sprühte der Mann Wasser in die Glut. Zisch, Dampf, zisch, Dampf, fast wie eine Maschine.
Der Mann ging und kam mit einer neuen Ladung Holzkohle zurück. Er verteilte die großen, schwarzen Klumpen auf der weißen Asche, die unter der alten Glut lag. Rauch stieg auf, biss Roberta in die Nase und trieb ihr Tränen in die Augen. Ihr war schwindelig. Drehte sich der Raum um sie? Oder drehte sie sich an ihrer Kette? Es knisterte, als die Glut sich in die neuen Holzkohlestücke fraß. Roberta hatte ihre Augen fest zugekniffen, um die Tränenflüssigkeit herauszudrücken und um nicht noch mehr Rauch in die Augen zu bekommen. Etwas raschelte hinter ihr, schlurfte oder schleifte auf dem Boden. Gras? Roberta öffnete ein Auge und spähte nach rechts, von wo das Geräusch gekommen war. Ihr Entführer hatte einen Beutel hergezogen, sie konnte die Schleifspuren auf dem Boden sehen. In dem Beutel steckten irgendwelche Kräuter. Roberta hatte sich nie für die Flora oder Fauna um sie herum interessiert, es sei denn, sie konnte sie für ihre Zwecke einsetzen. Mit Blumen und Gebinden wusste sie aus gastgeberischen Gründen schon umzugehen, aber darüber hinaus kannte sie ein paar Giftpflanzen wie den Sumach und ein paar Pilze, die giftig waren und die es in der Wildnis zu meiden galt, wenn man sich nicht einen schweren Ausschlag oder Schlimmeres zuziehen wollte. Aber sie konnte eine Tanne nicht von einer Kiefer unterscheiden, und die Kräuter aus der Küche erkannte sie nur an ihrem Geschmack. Eine Frau wie Roberta Stone stand nicht in der Küche, kochte nicht, sondern ließ kochen.
In dem Beutel konnten Wacholder und Estragon oder Heu und Marihuana sein, Roberta hätte es nicht sagen können, selbst wenn ihr Leben davon abhängen würde. Vielleicht tat es das sogar.
In Roberta war nur noch Verzweiflung. Der verdammte Kerl hatte ihr alles kaputt gemacht. Er hatte Beweise an die Polizei geschickt. Ihr Todesurteil. Sie war verloren. Etwas in ihr zweifelte noch. Gab es nicht doch irgendwo ein Schlupfloch, einen Ausweg? Sie grübelte und grübelte, aber ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Immer kam sie zum gleichen Ergebnis: Es war aus. Sie hatte verloren.
Sie war hier der Gnade eines Fremden ausgeliefert, nackt, wehrlos, gebunden. Eine Wolke ätherischen Duftes umwaberte sie. Der Mann hat ein großes Bündel aus dem Beutel ausgesucht und auf die durchgeglühten Kohlen gelegt. Der Duft war atemberaubend, süß und schwer und von einer benebelnden Qualität, die Roberta nicht einordnen konnte. Sie hatte kaum Erfahrung mit Drogen. Sie selbst liebte es, nüchtern zu sein. Ab und an ein Glas Alkohol, einen Wein oder einen Aperitif, sie rauchte, aber nicht wegen einer merkbaren Wirkung, sondern weil alle es taten. Dabei schmeckte ihr Tabak nicht einmal. Sie hatte auf einer Party Kokain geschnupft, aber das anschließende Gefühl war ihr unangenehm gewesen, so falsch, unecht und kalt. Sie hatte es nie wieder versucht. Wenn es für Roberta Stone eine Droge gegeben hatte, abgesehen von Macht und Geld, dann war es Sex gewesen. Sie konnte einen Orgasmus nach dem anderen haben, wenn sie wollte, und sie bekam nie genug davon.
Von irgendwo kam Musik. Roberta driftete zurück. Sie wurde sich bewusst, dass sie eben fast weggerutscht wäre. War sie beinahe eingeschlafen? Sie kniff ein paar Mal die Augen fest zu und riss sie wieder weit auf, um klar zu werden. Der Rauch lag schwer in der heißen Luft. Ihr Körper war schweißnass, und sie hatte unglaublichen Durst. Wach bleiben, Roberta!, mahnte sie sich.
Die Musik! Es war ein auf- und abschwellender Ton, tief und schwingend. Er schien den ganzen Raum auszufüllen, alles in Vibration zu versetzen. Roberta spürte die Wellen auf ihrer Haut, die empfindlich die Töne registrierte. In tiefem, wummerndem Bass brummte der Ton, sie fühlte die Schwingungen im Magen, in der Brust, in der Nasenhöhle. Woher kam der Ton? Er war überall und hatte keine Quelle, die sie orten konnte.
Der Rauch nahm ihr die Sicht auf die Wand. So dicht standen die Schwaden in dem Gewölbe, dass sie die Steine der Wand direkt vor ihr nicht mehr erkennen konnte. Nebelschwaden aus Duft zogen vorbei und ließen sich von ihr einatmen. Eine süße, samtene Schwere legte sich auf den Raum, dämpfte Licht und Geräusche. Nur der tiefe Ton schwang in ihr.
Sie sah eine frisch gemähte Wiese. So eine Wiese hatten sie hinter dem Haus gehabt, damals …
Roberta wurde schlaff in ihren Fesseln. Wo eben noch Spannung in ihrem Körper gewesen war, entspannten sich die Muskeln jetzt. Sie hatte das Bewusstsein verloren.
Der Mann legte das Didgeridoo beiseite, und der tiefe Ton erstarb.
Maurer war mit Kopfschmerzen aufgewacht. Der Nacken schmerzte, und er spürte deutlich, welchen Muskel in seiner rechten Schulter er gestern überstrapaziert hatte. Nach einer Aspirintablette und einem bitteren Kaffee warf er sein Jackett über und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Die Stone-Entführung. Etwas sagte ihm, dass es nichts Neues zu melden geben würde.
Finnegan war schon da und lächelte ihm fröhlich entgegen, als er das Büro betrat. Zu seinem Glück wirkte die Tablette schon, und er fühlte sich sogar zu einem »Guten Morgen, Sergeant!« in der Lage. Nachdem er sich einen frischen Kaffee besorgt hatte, der glücklicherweise um Klassen besser schmeckte als der, den er zum Frühstück gehabt hatte, rief er Finnegan zu sich, um sie Bericht erstatten zu lassen.
Erwartungsgemäß fiel der Bericht sehr kurz aus. Es gab nichts Neues. Perkins steckte einen Teil seines Körpers durch die Türöffnung, brüllte: »Post!« und warf ein Bündel Briefe auf Maurers Schreibtisch, das darüber schlitterte, über die Kante hinausglitt und in Maurers Papierkorb landete.
»’tschulligung«, nuschelte Perkins und verschwand. Er hätte auch gerülpst haben können. Maurer fischte seine Korrespondenz aus dem Müll von gestern. Die Putzfrauen arbeiteten in letzter Zeit immer nachlässiger. Er legte den Stoß auf den Tisch. Das konnte warten.
»Was ist mit dem gelben Bus?«, fragte er Finnegan. »Das Ding muss doch einer gesehen haben!«
»Wir haben zwei Zeugenaussagen, Chef«, sagte Finnegan zur Erinnerung. »Beide haben kurz nach der Tat einen gelben VW-Bus fortfahren sehen. Der eine sah ihn nach Westen fahren, der andere nach Osten!«
Maurer stöhnte; er fühlte seine Kopfschmerzen zurückkehren.
»Ich liebe es, wenn sich die Zeugen einig sind!«, sagte er sarkastisch.
»Ich weiß nicht, Chef«, fing Finnegan an. Sie hatte keinen Beweis für ihre Vermutung, nur ein Gefühl, ihre Intuition. »Diese Frau ist nicht koscher, wenn Sie mich fragen!«
»Bin ganz ihrer Meinung, Finnegan! Die Dame ist mir sogar höchst suspekt. Wie kommen Sie darauf?« Maurer versuchte, nicht in Sergeant Finnegans Ausschnitt zu starren. Es sollte eine Vorschrift geben, dass solche Brüste nicht so … Stopp! Maurer, konzentriere dich! Er schloss kurz die Augen und fixiert sein Gehör auf Finnegans Stimme.
»… sämtliche Datenbänke durchforstet – außer die der Marines, glaube ich. Nirgends ist auch nur irgendetwas von Belang über Mrs. Stone. Das ist alles so glatt, ohne die kleinste Ungereimtheit. So, wie es aussieht, ist die Frau eine Heilige. Karitative Veranstaltungen, Spenden, nie ein Skandal, nichts, gar nichts. Das ist nicht normal, Sir!«
Maurer nickte. Jeder hatte irgendwo seine kleine Schweinerei versteckt. Das hatte ihn das Leben gelehrt. Er dachte an den Fernsehprediger. Er war eigentlich ein Zeuge, aber wie sich herausstellte, war er ein pädophiler Zeuge, der einen Ring mit Kinderpornografie aufgezogen hatte, der die halbe USA und ein Viertel von Europa mit Kinderpornografie der widerwärtigsten Sorte versorgt hatte. »Reverend Follow me« hatten sie ihn in der Presse genannt.
Maurer wollte nicht glauben, dass Mrs. Stone da eine rühmliche Ausnahme bildete. Finnegan hatte völlig recht, da war etwas im Busch. Jetzt mussten sie es heraustreiben.
»Ich dachte zuerst, ihr Mann könnte so eine Art Säuberung durchgeführt haben; aber das stellte sich als Sackgasse heraus. Ich hab die Signaturen geprüft; da ist alles in Ordnung. Und ich glaube nicht, dass ein Hacker, wie gut er auch sein mag, in der Lage ist, so viele Signaturen und Sicherungen zu fälschen. Da muss doch jedem Menschen ein Fehler unterlaufen, irgendwo. Nur die Behörden selbst können so was. Sie sind die Einzigen, die über alle Stempel verfügen, wenn ich mal so sagen darf.«
Finnegan warf ihr Dossier zu dem anderen Papierkram auf Maurers Tisch. Resigniert setzte sie sich auf den Besucherstuhl. »Wo können wir sonst einen Hebel ansetzen …?« Sie ließ die Frage offen.
Maurer runzelte die Stirn. Was hatte Finnegan gesagt? Nur die Behörden haben alle Siegel – oder Stempel. Maurer hatte nicht viel Ahnung in Sachen Computersicherheit. Er schaffte es immerhin, seinen Rechner virenfrei zu halten und immer brav seine Updates zu machen. Das war’s dann aber auch schon. Er wusste von Finnegan, dass es so etwas wie elektronische Wasserzeichen und Zugriffscodes und solche Dinge gab, aber mit dem Wissen um deren Existenz erschöpfte sich sein Interesse auch.
Wenn Finnegan sagte, ein Hacker könne diese Sicherungen nicht fälschen, nicht in der Menge, dann blieb nur ein Schluss. Die Behörde selbst hatte daran gedreht, jedenfalls eine davon; FBI, CIA, NSA – wer auch immer …
»Finnegan, wir suchen die Sau in den eigenen Reihen!«, sagte er halblaut, eigentlich mehr zu sich selbst, als zu seiner Assistentin.
»Welche Sau, Sir?«
»Sie haben es selbst gesagt, Finnegan! Nur die Behörden können das!«
Finnegan ließ das Gehörte wirken; dann dämmerte ihr, was ihr Chef meinte.
»Oh …! Zeugenschutzprogramm?« Maurer nickte und stand von seinem Sitz auf.
»… oder so etwas in der Richtung! Jetzt müssen wir sehen, dass wir an einen Insider herankommen. Jemand muss uns Informationen geben, und die kriegen wir bestimmt, wenn wir uns an die richtige Person wenden!«
»Stanley?«, fragte Sergeant Finnegan grinsend und wackelte mit den Hüften.
»Stanley!«, gab Maurer mit finsterer Stimme zurück.
Er hasste es, Stanley Worthington aufsuchen zu müssen. Der Cambridgeabsolvent, Computer- und Informatikspezialist und sehr britische Stanley hatte eine Schwäche für das eigene Geschlecht und ganz besonders für Detective Maurer. Womit sich dieser die Ehre verdient hatte, war ihm ein Rätsel, allein, die Avancen von Stanley wurden nicht weniger, wie kühl sich Maurer auch gab. Finnegan vermutete, dass er genau darauf stände.
Es fraß ihn von innen her auf. Er hatte sich die Vergiftung bei seinem letzten Auftrag eingefangen. Ein schleichendes Gift. Seine Truppe hatte den Bunker schnell genommen, und Widerstand war keiner mehr zu erwarten. Ihr Auftrag sah vor, dass sie toxische Stoff sicherstellten, bevor sie auf dem Schwarzmarkt angeboten und an weiß-Gott-wen verkauft würden. Ein schwarzer Koffer, in dem eine metallene Box aufgehoben wurde; diese Box sollten sie holen. Er hatte das Kommando. Seine Männer sicherten den Gebäudekomplex, während er und sein Leutnant sich um die Box kümmerten. Er hatte den Koffer geöffnet und die Metallbox herausgenommen. Der Soldat kam von hinten. Er hatte ihn nicht gesehen. Als der Schuss fiel, fuhr sein Leutnant herum und erwiderte sofort das Feuer. Die Kugel durchschlug den Schädel des Mannes. Er stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden. Der Schuss des Soldaten hatte sein Ziel verfehlt. Das Projektil schlug in die Abdeckung des Koffers ein. Niemand wusste, dass der russische Wissenschaftler noch ein anderes Experiment außer Landes gebracht hatte: ein Gift, das selbst in geringsten Spuren tödlich war. Es wirkte langsam, mit Verzögerung, aber absolut sicher und zuverlässig. Es gab kein Gegenmittel. Das Gift wirkte auf die Zellwände. Es löste den Körper von innen her auf. Es verflüssigte ihn. Das Geschoss traf die Ummantelung eines kleinen Zylinders, der neben der begehrten Box gelegen hatte. Ein wenig von der Substanz trat aus, eine klebrige, grüne Gallerte. Noch war nichts geschehen, aber dann machte er den größten Fehler seines Lebens und schnitt die Kugel als Andenken und Glücksbringer aus dem Koffer heraus. Er kam mit der Gallerte in Berührung. Drei Monate später setzten die Symptome ein. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Sie konnten sein Leben etwas verlängern und ihm die Schmerzen nehmen, mehr nicht.
Er schluckte Tabletten und kam sich vor wie ein an Aids Erkrankter. Die Krankheit brachte ihn in Zeitlupe um. Nein, keine Krankheit – das Gift. Die Ärzte hatten ihm erklärt, es sei eine Art von Enzym, das in seinem Aufbau dem Sekret einer Spinne ähnelte. Wie beim Biss einer Spinne, bei dem Gift injiziert wird, das das Opfer langsam von innen auflöst, wirkte das Gift in ihm. Sein Körper versuchte verzweifelt, die aufgelösten Zellen zu ersetzen, doch irgendwann würde das Absterben schneller vorangehen als die Neuproduktion – und dann würde das Ende kommen.
Er hatte in seiner Tasche Schmerzmittel genug. Aber er wollte bei klarem Verstand bleiben. Die Mittel hatten alle ihre Nebenwirkungen, und bei den meisten hatte er das Gefühl, völlig sediert durch die Gegend zu laufen. Und das konnte er im Moment gar nicht gebrauchen.
Er hatte gelernt, Schmerzen zu ertragen. Er biss die Zähne aufeinander und konzentrierte sich. Fixiere dein Denken und schalte unnötige Gedanken aus!
Auf der Pritsche lag Roberta Stone, ohne Fußstange und ohne Handfessel. Er hatte ihre Gelenke mit Öl eingerieben und ihre Füße massiert. Er hatte sie, gleich nachdem sie in den Drogenrausch gefallen war, von der Kette genommen. Es war am Rande der möglichen Dauer gewesen, viel länger hätte es nicht dauern dürfen. Die Durchblutung ließ sich nach einem gewissen Zeitraum nicht mehr wiederanregen.
Er hatte sie gewaschen und ihr eine Injektion mit Kochsalzlösung gegeben. Der Wasserverlust war geplant, aber er musste ihren Salzhaushalt ausgleichen. Nach seiner Rechnung hatte er noch eine gute halbe Stunde, bis er sie wieder aufhängen musste. Er entfernte vorsichtig den Katheter aus ihrem linken Arm, den er gelegt hatte, um die Kochsalzlösung zu injizieren. Wattebausch, Blutstropfen auffangen und dann noch ein kleines Pflaster auf den Einstich geklebt. Das war Routine für ihn. Er seufzte tief. Wenn das Leben anders verlaufen wäre, säße er dann auch hier?
Die Untaten der Vergangenheit zogen ihre Wellen noch immer in den Lebensteichen der Beteiligten. Er musste diese Wellen aufhalten! Der Mensch ist das Produkt seiner Umwelt. Vielleicht spielen die Gene ein ganz klitzekleines bisschen mit hinein, aber den Löwenanteil an einer Persönlichkeit bilden wir Menschen durch Erfahrung und Erlernen. Das hatte er erst spät eingesehen. War das ein Grund, mit seinem Schicksal zu hadern? Er hatte oft und tief in die Scheiße gegriffen, aber es war nicht seine Schuld. Er hatte nichts anders machen können, als er es getan hatte. Es waren die Entscheidungen anderer Leute, die sein Leben beeinflusst hatten. Niemand hatte ihn gefragt! Er hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen, aber trotzdem hatte ihn die Faust der Justiz mit voller Wucht erwischt.
Die Bewusstlose begann sich zu regen. Nur die ersten Anzeichen. Kein Grund zur Eile. Langsam und bedächtig legte er Roberta wieder ihre eisernen Bänder um. Er trug sie zu ihrer vorherigen Stelle und kettete sie an. Mit ausholenden Bewegungen zog er die Kette straff und dann Roberta Stone in die Höhe. Er hakte die Fußstange wieder in den Ring am Boden und achtete darauf, die gleiche Spannung auf Robertas Gelenke zu legen wie zu dem Zeitpunkt, als die Dämpfe ihr die Sinne benebelt hatten. Sie sollte keine Änderung feststellen können.
Er ging zum Ofen und sorgte für genug Kohle, damit die Temperatur im Raum erhalten blieb. Es waren mehr als dreißig Grad Celsius, als er das letzte Mal nachgesehen hatte. Er selbst hätte auch ein Bad vertragen, aber daran war nicht zu denken.
Das Kohlebecken hatte er gereinigt und mit frischer Holzkohle bestückt. Es stand bereit für den nächsten Durchgang. Drei würden es am Ende sein.
Er stand eine Weile da und betrachtete den Frauenkörper. Schade, dass er nicht für solche Frauen geboren worden war. Es hätte für ihn die Erfüllung sein können. Er hätte sich stundenlang in den Anblick dieser Linien und Kurven vertiefen können, ohne je das Gefühl zu haben, ihrer überdrüssig zu werden. Der sanfte Flaum von Härchen auf der samtenen Haut, die Muskeln und Sehnen unter der Pfirsichoberfläche, die unruhig spielten, wenn sie sich bewegte, war für Ihn wie ein Mantra für einen buddhistischen Mönch. Er konnte sich darin verlieren.
Er riss sich von dem Anblick los. Das führte zu nichts. Sie war unerreichbar für ihn und würde es immer sein, ganz gleich, in welcher Verfassung er war, und das wusste er nur zu gut. Er setzte sich ein paar Schritte entfernt von seiner Gefangenen auf den nackten Boden, zog die Beine an und schloss die Augen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Roberta wieder zu sich kam.