Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 216 - Ralph Malorny - Страница 4

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Jedem, der in diesem Augenblick die „Isabella VIII.“ gesehen hätte, wäre das Herz aufgegangen. Denn die Dreimastgaleone fuhr unter vollen Segeln. Es herrschte ein leichter, beständiger Wind, der fast achterlich einfiel. Der Rahsegler steuerte Westkurs, wollte in den nächsten Tagen die Südspitze Afrikas runden und lief gute Fahrt.

Die Männer an Deck konnten das eigene Schiff natürlich nicht sehen, und selbst wenn sie die Schönheit dieses Bildes ahnten – sie hatten im Augenblick andere Sorgen.

„Mister Ballie, du Blindfisch!“ brüllte Profos Edwin Carberry mit einer Stimme, die Tote erwecken konnte. „Paß auf, daß du Kurs hältst, zum Teufel!“ Er meinte damit, daß Pete Ballie darauf achten solle, die „Isabella“ nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

Pete Ballie riß die grauen Augen auf. Zu lange schon stand er in mörderischer Hitze im Ruderhaus. Der trockene Wintermonsun des Jahres 1590, vor dem sie herliefen, dörrte einen aus und ließ die Kehle rauh werden wie ein Reibeisen.

„Der verdammte Kahn ist am Geigen“, erklärte er wütend, und seine Fäuste – groß wie Ankerklüsen – packten fester zu.

Damit aber hatte er dem Profos das Stichwort gegeben. Alle an Bord waren gereizt, und gerade der bullige Kerl mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht, der sich für die Disziplin verantwortlich fühlte, ging sofort in die Luft, wenn er auch nur das geringste Anzeichen für ein Nachlassen des Respektes witterte. Und wenn jemand die „Isabella“ verächtlich als Kahn titulierte, so war das schon zuviel.

„Sprichst du etwa von unserer ‚Isabella‘, was, wie?“ fragte Carberry grollend.

Philip Hasard Killigrew, der auf dem Achterdeck stand, über seine Roteiros gebeugt, schaute auf und ermahnte die Männer, Frieden zu halten. Er wußte nur zu genau, daß nach allen Strapazen des langen Törns durch den Indischen Ozean jeder einzelne am Ende seiner Kraft war. Da genügte ein einziger Funke, um alles in die Luft zu jagen.

„Aye, aye, Sir“, brummte Edwin Carberry und widmete sich wieder mit Hingabe seiner Aufgabe. Er mußte die Mannschaft auf Trab halten, weil Arbeit ablenkte, und er wußte für jeden eine Beschäftigung, ausgenommen Arwenack, den Bordschimpansen, und Sir John, den Papagei, der frei herumflatterte.

Kaum war das eine erledigt, mußte das nächste getan werden, und wenn es möglich gewesen wäre, hätte Carberry sie außenbords gescheucht, damit sie die Schiffsbohrwürmer fingen, die vielleicht gerade dabei waren, die „Isabella“ anzuknabbern.

Der Kutscher dagegen hatte mehr Arbeit als Feldscher denn als Koch. Weil es nämlich um die Vorräte nicht zum besten stand und das Trinkwasser in diesen Breiten zu schnell verdarb, trat der erste Fall von Scharbock auf, der Böses ahnen ließ.

Blacky mußte sich verarzten lassen, weil auf seinem Körper merkwürdige farbige Flächen entstanden. Zudem waren seine Beine leicht geschwollen, und eine außerordentliche Müdigkeit hatte ihn gepackt, über die niemand mehr scherzen mochte. Denn zuletzt hatte der Kerl mit den harten Fäusten selbst der Donnerstimme des Profos’ mühelos widerstanden, war dauernd eingenickt und zitterte trotz der Affenhitze wie ein junger frierender Hund. Jetzt wurde ihm der Saft einer Tropenfrucht eingeflößt, weil es schon lange kein Sauerkraut mehr an Bord gab, das man gewöhnlich bei dieser von allen Seefahrern gefürchteten Krankheit anwendete, um das Schlimmste zu verhüten.

„Wenn das so weitergeht, werden wir alle krank oder verrückt“, meinte Ben Brighton, der neben dem Seewolf auf dem Achterdeck stand und sich auf die Schmuckbalustrade stützte, während er sorgenvoll die Kuhl überblickte, auf der Carberry rumorte und die Männer hart rannahm.

„Ich könnte gut auf die ewige Tropensonne verzichten und freue mich schon auf die ‚Brüllenden Vierziger‘“, stimmte ihm Hasard zu. „Einmal wieder Schnee und Eis sehen und nicht nur diesen stahlblauen Himmel.“

Seine Söhne, meist unzertrennlich, hatten sich ganz unterschiedlichen Beschäftigungen zugewandt.

Hasard junior stand neben der Hecklaterne und angelte im Kielwasser, wobei er dauernd schattenhafte Bewegungen im wirbelnden Sog bemerkte, aber das Glück ihm die kalte Schulter zeigte.

Philip junior dagegen saß rittlings auf dem Bugspriet und bewunderte die Pracht der querschiffs getrimmten Segel. Manchmal schloß der Junge die Augen und genoß die sanften Bewegungen des Schiffes. Das Gesicht hielt er dabei dem Fockmast zugewandt.

Arwenack, der Schimpanse, turnte keckernd auf dem Beiboot herum. Die Jolle war auf der Kuhl festgezurrt. Dem Affen behagte das Klima, und er quoll über vor Lebensfreude.

Seine Stimmung stand ganz im Gegensatz zu der üblen Laune, von der die anderen Mitglieder der Besatzung geplagt wurden.

Al Conroy brummte denn auch: „Wenn er nicht bald zu palavern aufhört, stopfe ich das verdammte Vieh bei nächster Gelegenheit in ein Kanonenrohr und schieße es pfundweise zu einem Spanier hinüber.“

Al Conroy war der Stückmeister der „Isabella“ und als solcher für die Schiffsartillerie zuständig. Jede Culverine und Drehbasse war längst auf Hochglanz poliert, das Zubehör überprüft und in Schuß, und selbst mit der Ladeschaufel zum Abmessen des Pulvers hätte man getrost Proviant ausgeben können. Jetzt bedauerte der Schwarzhaarige, daß er keine Gelegenheit fand, seine hervorragende Pflegearbeit auch im Gefecht unter Beweis zu stellen.

Aber es schien, als wage es nur die „Isabella“, allein, den Indischen Ozean auf diesem Kurs von Nordost nach Südwest zu bezwingen, weitab von Madagaskar und der geschützten Straße von Mozambique, die von den Handelsschiffen bevorzugt wurde, die nach Indien wollten oder mit Gewürzen beladen heimkehrten.

„Wenn du auch nur daran denken solltest, Arwenack ein Haar zu krümmen“, erklärte Matt Davies und hob drohend die Hakenprothese, die ihm die fehlende rechte Hand ersetzte, „ziehe ich dir damit einen neuen Scheitel. Hast du verstanden?“

Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, der mit gekreuzten Beinen an Deck hockte, grinste von einem Ohr zum anderen. Er setzte Taklings auf ausgefranste Tampen und sah aus, als sei er geteert und gefedert worden, denn überall auf seinem schweißglänzenden Körper klebten Fäden und Fusseln.

„Du armseliges Produkt einer unbekannten Seekuh“, erwiderte Al Conroy, „brauchst deine lieben Verwandten gar nicht zu verteidigen. Da du die menschliche Sprache kaum verstehst, geschweige denn beherrschst, ist es natürlich Musik in deinen lausigen Ohren, wenn der Affe loslegt. Aber ein vernünftiger Mann wie ich kann das auf die Dauer nicht mehr hören.“

Der Profos war mit zwei schnellen Schritten bei den Streithähnen, ehe die Quengelei in Handgreiflichkeiten ausarten konnte, und brüllte: „Muß ich erst den einen nehmen und den anderen damit zur Vernunft zurückprügeln? Was glaubt ihr Heringsbändiger eigentlich, was Disziplin ist? Ihr denkt, ein paar Monate auf See und etliche tausend Seemeilen genügen, damit ihr euch benehmt wie verlauste Schnapphähne, was, wie? Lieber nagele ich euch am Großmast fest und gebe euch jeden Tag die neunschwänzige Katze, ihr gestreiften Affen …“

Carberry unterbrach seinen Redeschwall und lauschte ungläubig. Hatte ihn da eine wesentlich sanftere Stimme unterbrochen? Hatte er richtig gehört?

„Segelschiffe voraus!“ meldete Gary Andrews aus dem Ausguck. „Drei Spanier, wenn mich nicht alles täuscht.“

Der Seewolf griff zum Spektiv.

Tatsächlich entdeckte er an der Kimm spanische Galeonen, die mit scharf angebraßten Rahen so nahe wie möglich am Wind segelten.

Je mehr sich die „Isabella“ dem spanischen Verband näherte, deste unangenehmere Einzelheiten wurden deutlich.

Zunächst stellte Gary Andrews fest, daß die drei Galeonen von zwei Karracken unterstützt wurden. Dann nahmen die Schiffe eine ziemlich ungewohnte Formation ein. Sie bildeten eine Art Treiberkette, weit auseinandergezogen. Die „Isabella“ hätte weit ausholen müssen, um diese Sperre zu umgehen.

Dann feuerte das Flaggschiff, die „Eusebio“, der „Isabella“ einen Schuß vor den Bug, um sie zum Beidrehen zu zwingen.

Während die Besatzung längst unter Aufsicht Ben Brightons das Schiff klar zum Gefecht machte, befahl Hasard dem Rudergänger: „Recht so.“ Das bedeutete nichts anderes, als daß Pete Ballie den Kurs beibehalten solle.

Wenn sich der Seewolf auch nicht der Hoffnung hingab, die überlegenen Spanier würden ihr Vorgehen begründen, lief er doch an das Flaggschiff heran und rief hinüber, warum und mit welcher Berechtigung sein Schiff auf dem freien Meer aufgebracht werden solle.

„Befehl des Vizekönigs. Wir haben Nachricht erhalten, daß sich in diesen Gewässern britische Freibeuter zeigen. Wir wollen Ihr Schiff durchsuchen.“

„Das könnte denen so passen, diesen lausigen Dons. Jetzt wollen sie noch die Seewege nach Indien kontrollieren und allen anderen Schiffen die Passage verwehren“, wetterte Al Conroy, zornrot im Gesicht. „Feuer frei, Sir?“

Die Gefechtsposition, die anlag, sah nicht günstig aus für die „Isabella“. Die Spanier würden sie in die Zange nehmen, wenn sie weiterlief, und ihr aus Luv wie aus Lee eine Breitseite verpassen, während die Karracken in der Mitte ihre Drehbassen sprechen lassen würden.

„Ruder hart Steuerbord“, befahl Hasard. „Feuer frei, Al!“

Der ranke Segler schwang mit dem Bug herum und glitt elegant auf Kabellänge am Bugspriet des äußeren Spaniers, einer Galeone, vorbei, brachte sie so in Lee und verpaßte ihr in rauschender Vorbeifahrt eine volle Breitseite, die mit verheerender Wirkung auf dem Mitteldeck einschlug.

Die spanische Galeone erhielt von Al Conroy noch zum Abschied einen Treffer aus der Drehbasse. Dann war bereits die Karracke heran, die „Infierno“ hieß.

Ihr Kapitän ließ sich offenbar durch die Überrumpelung des ersten spanischen Schiffes nicht ins Bockshorn jagen. Die Geschütze wummerten los.

Die Salve lag zu kurz bis auf einen Schuß, der die „Isabella“ erwischte und zwei Löcher in die beiden Schanzkleider an Backbord und Steuerbord stanzte.

Die Backbordgeschütze der „Isabella“ antworteten.

Der Schaden auf dem feindlichen Schiff hielt sich in Grenzen. Der Spanier ging über Stag, um die Verfolgung aufzunehmen.

Natürlich verlor er viel Zeit.

Vom Flaggschiff wurde wild zu der Karracke signalisiert, die offenbar eigenmächtig handelte. Aber die „Infierno“ scherte sich keinen Deut darum, sondern hielt Kurs.

Der Seewolf lächelte nur.

Die Karracke hatte keine Chance gegen die „Isabella“, weder was die Kampfkraft betraf noch die Geschwindigkeit.

Wenn der spanische Kapitän dennoch nicht aufgab, war er entweder ein Narr oder vom Ehrgeiz zerfressen.

Der Seewolf befahl, wieder auf den alten Kurs zu gehen.

Die Culverinen wurden zurückgerollt, die Stückpforten geschlossen und die Brooktaue festgezurrt. Die plumpen Räder der Geschütze rumpelten über die Decksplanken.

Die Mannschaft nahm ihre alte Arbeit wieder auf. Die Spannung löste sich. Immerhin gab es endlich neuen Gesprächsstoff. Das kurze, aber heftige Scharmützel erregte sicher noch für eine Weile die Gemüter, und jeder betonte, was Hasards geschicktes Segelmanöver zum Sieg beigetragen hatte.

Der Seewolf aber widmete sich bereits einer neuen Aufgabe.

Ben Brighton hatte ihn darauf hingewiesen, daß die Wolken sich turmartig aufzubauen begannen, ein sicheres Zeichen für Gewitter und Böen.

Ben Brighton bestimmte mit dem Astrolabium die Schiffsposition. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, beseitigte die Schäden, die der Spanier angerichtet hatte.

Hasard ließ die Blinde und die Marssegel bergen und jagte dazu einen Teil der Crew in die Wanten.

Der Wind frischte auf. Die See wurde kabbelig.

Carberry war in seinem Element. Er ließ die Luken mit Blenden, Keilen und Latten verschalken. Manntaue wurden gespannt. Dann wurden die Sturmsegel gesetzt.

Der jetzt steife Nordwestwind pfiff durch Wanten und Pardunen und steigerte sich noch. Die „Isabella“ lag bei halbem Wind auf Südwestkurs. Sie lief nur noch mit der Sturmfock und dem Besan.

Die Wellenberge erhoben sich immer höher und rollten gischtend über das Vorschiff, daß die „Isabella“ erzitterte.

Der Wind erhob sich zum Sturm. Der See schien zu kochen. Die Sonne, hinter Wolkenschleiern, wirkte wie aus Kupfer.

Bei jedem Schlag schien es, als werde die „Isabella“ sich nie wieder erheben und ihre Masten würden unter Wasser gedrückt.

Die Verständigung an Bord wurde schwierig. Die Männer hatten sich vorsorglich festgelascht und verkrallten sich an den Manntauen, wenn die Brecher über die Decks donnerten.

Hasard zog sich ins Ruderhaus zurück und sorgte dafür, daß der eisenharte Big Old Shane, Schmied von Arwenack, den erschöpften Pete Ballie ablöste.

Aber auch dieser gewaltige Kerl mit den riesigen Pranken kriegte Schwierigkeiten. Kopfschüttelnd legte er sich ins Ruder und versuchte Kurs zu halten.

Mal richtete sich der Bug der „Isabella“ himmelwärts, als wolle die Galeone in die Wolken steigen, dann wieder kippte der Rahsegler ab, eine endlose sausende Talfahrt begann, als wolle er sich geradewegs in das Herz der Erde bohren. Die Masten ächzten und knirschten.

„Hol’s der Teufel!“ knurrte der Graubart. „Wir sollten vor den Wind gehen.“

Hasard konnte sich nicht erinnern, jemals Bedenken in den Augen seines treuesten Gefolgsmannes gesehen zu haben, aber diesmal schien es soweit. Wenngleich auch natürlich eine gute Portion Sorge um das Schicksal der anderen, insbesondere das der beiden Söhne des Seewolfes, mitspielte.

„Ich gebe nicht gern auf“, sagte Hasard. „Aber wenn es sein muß. Wahrscheinlich hast du recht.“

Der Schmied nickte nur.

Es wurde ein Alle-Mann-Manöver, um die beiden lächerlichen Segel vorn und achtern auf die Höllenfahrt vor dem Sturm her zu trimmen.

Die „Isabella“ fiel ab, bis sie vor dem Sturm auf Südostkurs lag. Ein unendlicher Seeraum breitete sich vor ihr aus, was den Vorteil hatte, nicht auf Legerwall zu geraten. Dennoch war Hasard keineswegs zufrieden.

„Wenn das so weiterbläst“, stöhnte er, „segeln wir über den Rand meiner letzten Roteiro hinaus und geraten in unbekanntes südliches Gebiet. Das ist das letzte, was ich mir wünsche. Ich wollte nur die Südspitze von Afrika runden und dann Kurs auf Südamerika und die Karibik nehmen. Ich habe keine Lust, vorher den Walfischen und Robben einen Besuch abzustatten.“

„Das Wetter wird sich beruhigen, und wir holen alles wieder herein“, beschwichtigte ihn Big Old Shane.

Die Sturzseen begruben immer wieder das Achterdeck unter sich, und die Brecher nahmen sich das Ruderhaus vor. Sie rüttelten wie wild an Zapfen und Bolzen, und manchmal glaubte Hasard, er werde samt dieser Erfindung des geschickten Ferris Tucker über Bord gespült.

Von dem Verfolger war weit und breit nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte der Spanier längst das Weite gesucht und war irgendwo untergekrochen oder bereits in Seenot.

Irgendwann tauchte Edwin Carberry auf und flog mehr über das Deck, als daß er ging.

„Wenn wir schon absaufen“, brüllte er, und keiner konnte sagen, wie er es geschafft hatte, das Ruderhaus zu erreichen, ohne über Bord gerissen zu werden, „will ich wenigstens sehenden Auges in die Hölle segeln und nicht unter Deck ertränkt werden wie eine verdammte Schiffsratte!“

Mehr als vierzehn Stunden tobte der Orkan. Dann flaute er ab. Die Stille danach wirkte unheimlich.

Der Profos war froh, wieder seine eigene Stimme hören zu können. Er stampfte aus dem Ruderhaus, mit roten, müden Augen, und brüllte: „Alle Mann an Deck!“

Natürlich gab es genug für jeden zu tun. Die „Isabella“ war nicht ganz ungerupft aus dem Chaos wieder aufgetaucht, und der Schiffszimmermann war für die nächsten Tage der gefragteste Mann. Aber auch die anderen Hände wurden gebraucht, um das Deck aufzuklaren und die Segel zu wechseln.

Die Seewölfe wollten einen neuen Anlauf nehmen, um die südliche Spitze Afrikas zu runden.

Wo sie sich im Augenblick befanden, das wußte niemand zu sagen. Irgendwann würde Hasard es schon bekanntgeben, nachdem er die genaue Position der „Isabella“ herausgefunden hatte. Wozu verstand er soviel von Navigation?

Die Männer waren willig und fleißig, froh, der Ungewißheit und Höllenfahrt entronnen zu sein. Auch der Kutscher drängte sich zur Arbeit, nachdem er seinen Patienten versorgt hatte. Er war eben ein Mann für alles, der ehemalige überzeugte Nichtseemann, der längst seinen festen Platz in der Crew erobert hatte.

Er war der erste, der aufmerkte.

Da er wie die anderen unter der Hitze der Tropen gelitten hatte, stellte er erleichtert fest: „Es ist erfreulich frisch!“

Batuti sah ganz grau aus im Gesicht. Ihm war es entschieden zu kalt. Er schnatterte mit den Zähnen und konnte sich gar nicht warm genug anziehen. Er plünderte sein Schapp, das er mit zwei anderen teilte, bis aufs letzte Hemd und sah aus wie ein großer schwarzer Bär.

Die See war leicht bewegt, die Wellen also noch klein, aber mit weißen Schaumköpfen. Die Sicht verschlechterte sich schnell. Nebel kam immer stärker auf.

Der Profos reckte das Rammkinn in die kalte Luft und murmelte: „Ich kann das Eis direkt riechen. Weiß der Teufel, wohin es uns verschlagen hat. Man sollte eben einem Schmied nicht das Ruder überlassen.“

Big Old Shane war viel zu müde, um sich zu streiten. Ungewohnt friedfertig stolperte er den Niedergang hinunter, querte die Kuhl und verschwand im Vorschiff, um sich in die Koje zu rollen und den Schlaf nachzuholen.

„Als ob einer von uns eine Mütze Schlaf gekriegt hätte!“ wetterte der Profos. „Kein Auge konnte ich bei diesem verdammten Sturm schließen. Nehmt euch ja kein Beispiel an diesem schlappen Kerl, der besser bei nächster Gelegenheit abmustert.“

Alle wußten, wie gut sich der Profos und Big Old Shane verstanden, und grinsten daher.

Das wiederum brachte Carberry in Fahrt.

Er scheuchte die Mannschaft in die Wanten und brüllte seine Befehle mit ein wenig mehr als üblicher Lautstärke – bis er feststellte, daß der Atem wie ein weißer Federbusch vor seinem weit aufgerissenen Mund stand.

Da schielte er erschrocken zum Achterdeck, um von Hasard zu erfahren, wie es um die Schiffsposition stand.

Die Zwillinge tauchten auf und gesellten sich zu ihrem Vater, während Sir John und Arwenack, der Schimpanse, es vorzogen, im warmen Mief des Vorschiffs zu bleiben.

Die Stimmung der Crew sank mit den Temperaturen. Jeder dachte an den Proviant und diese übelriechende Brühe, die als Trinkwasser ausgegeben wurde.

„Wenigstens das Problem ist gelöst, wenn wir auf den ersten Eisberg stoßen“, verkündete der Profos. „Dann schlagen wir uns ein gehöriges Stück ab und tauen es auf. Das gibt ein paar Gallonen erstklassigen Trinkwassers.“

„Und vor den Maden in der Verpflegung braucht ihr euch auch nicht mehr zu ekeln“, mischte sich der Kutscher ein. „Für die armen Tropentierchen ist Kälte der sofortige Tod.“

„Die dickste Made in deiner verfluchten vergammelten Kombüse bist du selbst“, wetterte der Profos. „Bei allen Schutzheiligen – geht denn auf diesem Törn alles schief?“

Er wirbelte herum, weil Ben Brighton etwas lauter als nötig den Seewolf auf eine Gefahr hinwies, die von achtern anrückte, lautlos, stumm, riesig.

Aus dem Nebel kristallisierte sich immer deutlicher ein gewaltiger Eisberg heraus. Langsam driftete er an der Steuerbordseite vorbei, eine Viertelkabellänge entfernt, mehr nicht.

Und irgend etwas scheuerte denn auch prompt über die Außenhaut der „Isabella“, ein fürchterliches schabendes Geräusch, als werde sie so abgeschmirgelt, daß die Planken zum Teufel gingen.

Glücklicherweise gab die Galeone dem Druck der Eismassen nach, die unter Wasser weiter zu reichen schienen als darüber.

„Jetzt wird’s aber Zeit, daß wir verschwinden“, meinte der Erste Offizier.

Der Profos brüllte seine Segelkommandos.

„Die „Isabella“ lag über Backbordbug und kreuzte gegen einen leichten Westwind. Zwei Mann am Bugspriet hielten Ausschau nach weiteren Eisbergen, während der Rahsegler sich wie blind durch die Nebelsuppe schob.

Die Männer froren erbärmlich. Die Glieder wurden klamm und blaurot, wenn man sich zu lange diesem eisigen Wind aussetzte, der wie ein Todeshauch über die See strich und doch nicht stark genug war, um den Nebel zu zerstreuen und wegzublasen.

Wahrscheinlich gab es zuviel von diesem wattigen Zeug, das sich wie ein Leichentuch über alles legte, wie der Kutscher formulierte, während er sich anschickte, Tee für die Männer zu kochen, dessen Zutaten er lieber niemandem verriet. Rum war jedenfalls nicht dabei.

„Da müßt ihr warten, bis wir in der Karibik sind“, wimmelte er Neugierige ab.

Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck schlug fröstelnd den Kragen hoch und sagte zu Ben Brighton: „Das ist unsere Position, aber ich muß darum bitten, die Männer nicht einzuweihen. Es gibt lange Gesichter, wenn sie hören, wie weit uns der Sturm nach Süden verschlagen hat, genauer: nach Südosten. Keine Rede mehr von der Südspitze Afrikas. Wir werden Tage brauchen, um die verlorenen Meilen auszugleichen. Eigentlich müßten wir – wenn alles normal verlaufen wäre – längst im Atlantik sein. Ich kann nur hoffen, daß keiner durchdreht.“

„Das wäre das erste Mal“, verteidigte Ben Brighton die Crew, aber er tat es halbherzig.

Auch er hatte nicht die Anzeichen schwelenden Bordkollers übersehen, die bereits vor Tagen aufgetreten waren. Und da waren sie noch den richtigen Kurs gefahren, und niemand hatte an einen Sturm von solchen Ausmaßen gedacht.

„Wir sollten den ersten Fetzen Land, den wir sichten, ablaufen, vor Anker gehen und den Männern eine Pause gönnen“, schlug der Erste Offizier vor.

Mit einem entschlossenen Lächeln schüttelte der Seewolf den Kopf. Er zögerte mit seiner Antwort, weil eben seine beiden Söhne das Achterdeck enterten.

Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich, während er sagte: „Mit leerem Magen in tropischen Breiten zu segeln ist unangenehm, aber man kann es überleben. Hier, in subpolarer Gegend, ist mangelhafte Ernährung tödlich. Ich habe nicht die Absicht, Selbstmord zu begehen.“

„Wir könnten vielleicht einen Walfisch harpunieren“, meinte Philip junior unternehmungslustig. „Dann haben wir mehr Fett, Öl und Fleisch, als wir bewältigen können.“

„Dazu gehört mehr als Glück“, sagte der Seewolf. „Ganz abgesehen davon, daß eine Crew wie diese fast alles kann, aber der Walfang ist doch ein besonderes Geschäft. Dazu braucht man außer Mut sehr viel Erfahrung. Also wollen wir uns lieber nicht darauf verlassen. Statt im Jagdglück suchen wir lieber unser Heil in der Flucht nach vorn.“

Er strich dem Zehnjährigen über den Kopf.

Dann wandte er sich an beide Söhne. „Vergeßt nicht, daß ihr den Schnabel zu halten habt. Alles, was ihr eben gehört habt, ist geheim und bleibt unter uns. Sonst sperre ich euch vierzehn Tage unter Deck ein, klar?“

„Aye, aye, Sir!“ riefen die beiden Burschen wie aus einem Munde und grinsten breit.

„Kümmert euch jetzt lieber um Arwenack“, befahl der Vater. „Ihr könnt euch ja vorstellen wie sich ein Affe in der Kälte fühlt.“

Damit waren seine beiden Sprößlinge entlassen.

Die „Isabella“ segelte hart am Wind. Ihr Kurs führte in Kreuzschlägen nordwestwärts, freundlicheren Gefilden entgegen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 216

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