Читать книгу Abrechnung im Yukon - Ralph Pape - Страница 4

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Ein stürmischer Wind bläst Clay Morgan um die Ohren. Er flucht leise vor sich hin und zieht den Kragen seines schwarzen Reitermantels hoch. Obwohl er einen breitkrempigen Hut aufhat, peitscht ihm der Wind den Regen ins Gesicht. Ausgerechnet jetzt, auf dem Heimweg, muss ihn so ein Sauwetter überraschen, denkt er. Doch jetzt im Spätherbst ist das in Montana keine Seltenheit. Das Wetter kündigt den nahen Winter an. Bald wird der Regen in Schnee übergehen und Frost wird das Land in seinem eiskalten Griff halten. Die Hufe seines Pferdes klatschen bei jedem Schritt in den aufgeweichten, schlammigen Boden. Clay Morgan zieht seinen Mantel noch enger um die Beine und knöpft ihn zu. Wasser trieft aus der Mähne des Pferdes.

Stoisch setzt es einen Huf vor den anderen. Ihm macht das Wetter nichts aus. „Blacky“, das Mountain Horse, gehört zu einer überaus widerstandsfähigen Rasse, die frei in den Bergen aufwächst und solche Wetterkapriolen gewöhnt ist. Clay Morgan lenkt sein Pferd mit der linken Hand, die andere tief in die Tasche seines Mantels gesteckt. Er ist ein Mann von 43 Jahren. Nicht sehr groß, doch muskulös. Gekleidet in der typischen Kluft der Cowboys. Nur sein knallgelbes Halstuch fällt aus dem Rahmen. Unter seinem Mantel trägt er „Chaps“, den typischen Beinschutz, gegen dorniges Gestrüpp und austretende Hufe. An den Stiefeln blinken silberne Sporen. Sein Gesicht mit den wachen Augen ziert ein Schnauzbart, aus dem jetzt das Wasser tropft.

Vor ihm tauchen jetzt die ersten Häuser auf. Langsam wird es dämmrig. Durch den Regenschleier schimmern die Lichter der Stadt wie Diamanten. Helena, die Heimatstadt von Clay Morgan. Hier ist er aufgewachsen.

Die Hauptstadt von Montana

Die Anbindung an die Bahnstrecke der Northern Pacific Railway im Jahr 1883 machte sie zu einer florierenden und lebendigen Kleinstadt, die schnell anwuchs.

Heute leben hier schon um die 8000 Menschen.

Die Stadt liegt in einem großen weiten Tal, umgeben von grünen Bergen. Die höchsten von ihnen sind ganzjährig mit Schnee bedeckt. Bergbau und Landwirtschaft sind die Haupteinnahmequellen der Gegend. Aber auch Viehzucht wird in großen Stil betrieben, denn Montana hat fette und Nährstoffreiche Böden.

Clay Morgan befindet sich auf dem Weg zur Ranch. Die aber liegt noch zehn Meilen außerhalb der Stadt. Und Clay hat keine Lust, bei diesem Schmodder-Wetter noch weiter zu reiten. Da nimmt er sich doch lieber ein Zimmer bei Anny und setzt seinen Weg morgen früh fort. Gleich am Ortseingang, gibt er Blacky im Mietstall in Obhut. Tom Clayton wird ihn gut versorgen. Dann stapft er missmutig durch den Matsch hinüber zu „Anny's Hotel“.

„Mann, Clay. Was machst du bei dem Dreckwetter da draußen?“, fragt Anny erstaunt, als er in die Lobby tritt.

„Hör nur auf“, knurrt Clay knapp und klopft seinen durchnässten Hut am Mantel ab. „Seit einer Woche bin ich jetzt unterwegs. Und ausgerechnet die letzten zwei Tage schüttet es ununterbrochen. War unten in Bozeman und habe die ausgesonderten Rinder verkauft. Hast du mein Zimmer noch frei?“

„Klar. Wie immer. Weißt du doch“, erwidert Anny lächelnd und reicht ihm den Schlüssel herüber.

„Nicht viel los, was?“, lächelt Clay dünn und zieht sich den Mantel aus. Anny zuckt mit den Schultern und verdreht die Augen. „Paah. Wer verirrt sich schon bei diesem Wetter hierher? Der Einzige, der sich jetzt freut, ist Bob. Sein Saloon ist rappel voll.“

Clay lacht. „Yeaah. Da haben die Männer eine gute Ausrede, wenn sie morgen nach Hause kommen. Das Wetter war schuld.“ Anny lacht kurz und trocken. „Komm erst mal mit rüber. Kannst doch bestimmt einen Drink gebrauchen.“

Das lässt sich Clay nicht zweimal sagen. Und so stehen sie noch eine Weile an der Bar und unterhalten sich über allerlei Alltägliches. Bis Clay sich auf sein Zimmer begibt. Das weiche warme Bett hat er schon seit Tagen vermisst.

Am nächsten Morgen, wacht er erschreckt und ruckartig auf. Er blinzelt verschlafen und zieht die Taschenuhr aus der Weste, die am Bettpfosten hängt. Verdammt..so lange hatte er noch nie im Bett gelegen. Die Uhr zeigt halb Neun. Sich die Augen reibend, erhebt er sich. Als er die Vorhänge öffnet, muss er blinzeln. Kaum eine Wolke am Himmel. Die dunklen Regenwolken sind über Nacht verschwunden. Nur hier und da tropft noch etwas Wasser von den Vordächern und auf den Straßen steht das Wasser in großen Pfützen, die jetzt in der Morgensonne glitzern.

Clay zieht den Fensterflügel hoch und atmet tief die würzige Morgenluft ein. Die Bewohnern des Städtchens sind schon lange bei ihrer Arbeit. Frachtwagen rollen durch die Stadt. Reiter durchqueren die Straßen und drüben auf der anderen Seite ertönt lautes Hämmern aus Jonathan Millers Möbeltischlerei. Joy und Mike Adams, die Geschwister, unterhalten sich gestikulierend vor ihrem Drugstore. Harry Stanton, der Inhaber eines Hardware-Ladens winkt kurz zu ihm herauf. Er wirkt sehr ernst. Clay lächelt und nickt ihm freundlich zu. Komisch. Harry war sonst immer so fröhlich. Doch heute schien ihn etwas zu bedrücken. Clay schüttelt nachdenklich den Kopf. Macht sich aber keine weiteren Gedanken darüber.Er ärgert sich, dass er so verschlafen hat.

Eilig macht er sich fertig und geht nach unten. Schon auf der Treppe hört er, dass sich jemand aufgeregt unterhält. Anny steht mit Chris Madson, dem Bankangestellten, zusammen. Als sie Clay die Treppe herunter kommen sehen, verstummen sie. Anny blickt Clay sorgenvoll entgegen.

Dem schwant nichts Gutes.

„Was ist los?“, fragt er ernst. „Hat es irgendwo gebrannt?“ Anny druckst herum. Wendet sich an Chris Madson. „Sag du es ihm.“ Madson windet sich und stottert herum. Weiß nicht, wie er anfangen soll. Dann erzählt er zögernd.

Früh am Morgen, die Bank hatte gerade geöffnet, kam Jack herein. Clays Stiefbruder, ein Taugenichts und Herumtreiber. Er wollte Geld abheben. Chris Madson machte ihn darauf aufmerksam, dass sein Konto kein Guthaben mehr aufweise und er ihm nichts auszahlen könne. Daraufhin wurde Jack ausfallend und schrie herum. Zwang ihn mit der Waffe, das gesamte Geld seines Vaters herauszurücken. Notgedrungen musste er der Aufforderung nachgeben. 2000 Dollar, alles, was auf dem Konto war, räumte Jack ab. Dann rannte er nach draußen und jagte auf seinem Pferd aus der Stadt. Selbst der Sheriff mit ein paar Männern konnte ihn nicht mehr auffinden.

Chris Madson ist noch ganz aufgeregt von dem Geschehen. Er schluckt und sieht Clay hilflos an. Der steht wie versteinert da. Seine Gesichtszüge verhärten sich. Schweigend hört er zu. Er blickt beide nur böse an. „Wieso habt ihr mich nicht geweckt, verdammt noch mal?“ knurrt er. Doch bevor Anny antworten kann, geht er schnellen Schrittes nach draußen. Ernst und sorgenvoll blicken ihm die beiden hinterher. „Na, das kann ja heiter werden“, murmelt Anny.

Clay sattelt in aller Eile sein Pferd und reitet im wilden Galopp in Richtung Ranch. Wieder einmal hatte Jack, sein Stiefbruder gezeigt, was für ein Mensch er war.

Er, Clay Morgen, ist mit seinen dreiundvierzig Jahren der Ältere von beiden. Aufgewachsen sind beide hier, in der Nähe des Ortes „Helena“ in Montana. Als Clays Mutter wieder heiratete, brachte der andere Mann einen Sohn mit in die Ehe. Mutter nahm den Namen ihres Mannes an. Beide Stiefbrüder waren fast im gleichen Alter. Von Anfang an mochten sich die beiden nicht besonders. Jack war anders als Clay. Er war sehr jähzornig und machte der Familie das Leben manchmal zur Hölle. Zudem war er ein Angeber und Maulheld. Oft prahlte er mit seinen Schießkünsten. Und damit, dass er jedes Problem mit der Waffe aus dem Weg räumen könnte. Er war unberechenbar und schießwütig, wenn er getrunken hatte. Und aus der Ranch-Arbeit machte er sich auch nicht viel. Er lebte lieber auf leichtem Fuß und trieb sich mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten herum. Clays Stiefvater hatte – obwohl er streng und gerecht war – seine liebe Not mit dem missratenen Sohn. Alle Erziehungskünste halfen nichts.

Jack ist einer derjenigen, die sich auch leicht beeinflussen lassen. Besonders von zwielichtigem Gesindel, das schnelles und leichtes Geld versprach. Und jetzt diese Sache. War Jack jetzt vollkommen irre geworden? Doch Clay traut ihm mittlerweile alles zu. Clay mag seinen Stiefvater. Sein eigener Vater war gestorben, als er noch klein war. Und der Stiefvater mag Clay. Ist der doch so, wie er sich seinen eigenen Sohn gewünscht hätte.

Die Familie kaufte eine kleine Rinder- und Pferde-Ranch. Montana hat saftige Weiden. Gut für Viehzucht. Oh ja, sie hatten eigentlich ein gutes Auskommen. Zeitweise beschäftigten sie auf der Ranch sogar zwei Cowboys. Doch dann kam in 1896 die Wirtschaftskrise. Auch aus diesem Grund hielt der Stiefvater sein Geld zusammen. Die Zeiten waren schlecht und jeder musste sehen, wie er über die Runden kam. Jack hatte öfters Streit mit seinem Vater deswegen. Er hatte keine große Lust zu arbeiten, und aus der Ranch machte er sich nicht viel.

Im vollen Galopp prescht Clay auf die Ranch. Hart zügelt er das Pferd und springt aus dem Sattel. Mit klirrenden Sporen rennt er über die Veranda und stößt die Tür auf. Da kommt auch schon seine Mutter auf ihn zugestürzt.

"Mein Gott Clay, Jack hat wieder mit Dad gestritten. Es war furchtbar. So habe ich Jack noch nie gesehen.“ Von Weinkrämpfen geschüttelt, erzählt sie Clay, was geschehen war.

Jack verlangte wieder einmal Geld von seinem Vater. Wie üblich kam es zu einem erbitterten Streit. Jack wollte mit zwei zwielichtigen Gestalten aufbrechen, um am Yukon eine Goldmine auszubeuten. Doch dafür brauchte er Geld. Die beiden Partner wollten ihn angeblich beteiligen. Und die hatten ihn auch dazu überredet, mit ihnen in den Yukon zu gehen. Dort sollte das Gold auf dem blanken Erdboden liegen. Man bräuchte es nur aufzulesen. Und dieser Schwachkopf Jack fiel auf dieses Geschwätz herein und wollte mitziehen.

Als sein Vater ihm das Geld strikt verweigerte und ihm stattdessen riet, sich das mal mit ehrlicher Arbeit zu verdienen, rastete Jack aus. Er schlug seinen Vater vor Wut ins Gesicht, dann ritt er in die Stadt, um sich volllaufen zu lassen. Betrunken war Jack wieder auf die Ranch zurückgekehrt. Der Streit eskalierte. Im Jähzorn zog Jack seine Waffe und verletzte seinen Vater schwer. Die Mutter konnte es nicht verhindern und Jack verschwand anschließend spurlos.

Jetzt weiß Clay auch, warum Jack die Bank überfallen hatte. Mutter kann das Ganze nur schwer ertragen. Sie kränkelt ohnehin schon sehr und so ein Drama kann sie kaum mehr verkraften.

Clay stürmt hinauf ins Zimmer. Seine Mutter kommt ihm hinterher. Sie ist völlig aufgelöst und einem Zusammenbruch nahe. Clay hat sie seit dem Tod seines Vaters nicht mehr so weinen gesehen. Sie war immer eine starke Frau. Doch dieses Drama ist auch für sie zu viel. Der Stiefvater ist ohne Bewusstsein. Er liegt im Bett, ein dicker Verband spannt sich um seine Brust. Clays Mutter schluchzt, dass der Schuss nur knapp am Herzen vorbei ging. Keiner weiß, ob er je wieder gesund wird. Clay ist außer sich.

Er packt voller Rage seine Sachen und will sofort seinem verhassten Stiefbruder hinterher. Mutter fällt ihm in den Arm,fleht ihn an, doch zu bleiben. Sie kann es nicht ertragen, ihn jetzt auch noch zu verlieren. Nicht gerade jetzt. Clay lässt sich beruhigen. Doch es kocht in ihm. Tröstend nimmt er seine Mutter in den Arm und verspricht ihr widerwillig zu warten. In den nächsten Tagen kümmern sich beide um den Verletzten. Doch auch die beste Pflege und ärztliche Kunst hilft nichts. Clays Stiefvater stirbt zwei Wochen später an seiner Verletzung.

Dieses Ereignis verändert Clay Morgan. Er ist verbittert. Schon lange bohrt und nagt es in ihm. Schon mehrmals ist er mit seinem Stiefbruder aneinandergeraten. Mit Rücksicht auf seine Mutter und den Stiefvater hat er sich immer wieder zurückgehalten. Doch diese Tat bringt das Fass zum Überlaufen. Seine Geduld und Zurückhaltung hat nun ein Ende.

Mittlerweile hat der Winter in Montana Einzug gehalten. Das Land liegt unter einer dicken Schneedecke. Es sind eisige 25 Grad minus. Winterliche Stille breitet sich aus. Clay will höchstens noch bis zum Frühjahr warten. Doch dann wird ihn nichts mehr zurückhalten. Er will Jack schnappen.

Und jetzt befindet er sich hier in Seattle, in einem der billigen, heruntergekommenen „Hotels“. Seit einer Woche ist er nun schon unterwegs. Unterwegs auf dem langen Weg nach Dawson

Verschlafen und mit einem Brummschädel, wacht Clay Morgan auf. „Wieder so ein Abend, den man vergessen sollte,“ denkt er bei sich.

Er hatte sich vorgenommen, bis auf Weiteres keinen Saloon mehr zu betreten. Doch alle guten Vorsätze kamen ins Wanken, als ihm die schöne Betty über den Weg lief. Sie trafen sich zufällig bei einem Händler, bei dem Clay noch einige Dinge einkaufte. Beide blickten sich an und Clay verspürte plötzlich ein Kribbeln. Er konnte kaum den Blick von ihr lassen. Ihr Lächeln, ihre schönen dunklen Augen faszinierten ihn. Und auch sie lächelte ihn in einer Art und Weise an, die jeden Mann dahin schmelzen ließ. Doch ihre Begegnung war nur kurz. Und wie es der Zufall will, trafen sie sich wieder. Clay brauchte Informationen. Und die besten Informationen und Auskünfte bekam man nun mal in den Saloons und Kneipen einer Stadt wie Seattle. Also begab er sich in den „White Hall Saloon“. Und er staunte nicht schlecht, als er dort Betty auf der Bühne ihre Beine schwingen sah. Erfreut und interessiert schaute er den Tänzerinnen zu. Doch sein Augenmerk war nur auf Betty gerichtet. Ihr schönes Gesicht mit den mandelförmigen Augen. Ihre langen, schwarzen Haare. Ihre schlanke Gestalt in dem roten Rüschenrock und ihr Temperament beim Tanzen ließen ihn für eine Weile alle Sorgen und Nöte vergessen.

Jetzt war es schon fast ein halbes Jahr her, dass Jack, sein Stiefbruder, verschwunden war. In der Zwischenzeit war auch Clays Mutter an ihrer Krankheit und all den Aufregungen gestorben, er war nun allein und ohne Familie. Der frühe Tod der Mutter und seines Stiefvaters nahm Clay sehr mit. Er hing sehr an den beiden und das er sie in so kurzer Zeit hintereinander verlor, veränderte ihn. Er war traurig, aber zugleich auch voller Zorn und böser Gedanken. Auch daran hatte Jack eine Mitschuld.

Es ist das Jahr 1897. Der große Goldrausch im Yukon ist jetzt in vollem Gange. Alle reisen nach Norden. Cowboys verlassen die Ranches. Händler schließen ihre Läden. Polizisten lassen ihre Posten im Stich. Väter verlassen Hals über Kopf ihre Familien, und selbst der Bürgermeister von Seattle besteigt das nächste Schiff zu der noch kleinen Goldsucher Siedlung Skagway/Alaska. Deutsche, Norweger, Holländer, Italiener, Chinesen und Japaner. 100.000 Männer folgen dem Lockruf des Goldes an den Klondike. Clay weiß nur zu genau, dass die schlechtesten Eigenschaften eines Menschen zum Vorschein kamen, wenn ihn erst das Goldfieber gepackt hat.

Tjaa, und jetzt sitzt er hier in Seattle und wartet auf den Dampfer, der ihn nach Skagway bringen soll. Er hatte früher nie irgendwelche Rachegefühle. Doch jetzt kann er an nichts anderes mehr denken, als seinen verdammten Stiefbruder zu fassen. So sehr er sich auch bemüht, diese Gedanken aus seinem Gehirn zu verbannen. Sie bohren in ihm wie ein böser Dämon.

Stöhnend wälzt sich Clay aus dem Bett und blickt sich um. „Wieder so ein billiger Schuppen,“ denkt er mürrisch. Außer einem wackligen Schrank, einem ebensolchen Tisch und einem Stuhl steht neben dem Bett noch eine alte Kommode. Und darauf ein Krug Wasser und eine Schüssel, in der er jetzt missmutig das Wasser schüttet. Das kühle Nass erweckt wenigstens etwas seine Lebensgeister. Ansonsten ist das Zimmer nur noch „geschmückt“ mit schmutzigen Gardinen, die kaum das Tageslicht hindurch lassen. Er zieht sie zurück und schaut auf die Straße. Es ist noch früh am Morgen und wenig Betrieb. Von hier aus kann man sehr gut den Hafen erkennen. Einige kleine Schiffe liegen dort an der Pier, von den großen Dampfschiffen ist nichts zu sehen.

Er überlegt krampfhaft, was ihm Betty gestern Abend noch alles erzählt hatte. Sollte der Dampfer heute Morgen, am Nachmittag oder sonst irgendwann hier auftauchen? Er weiß es nicht mehr. Er hat einen kleinen Blackout. Er weiß nur, dass er nach Skagway muss. Und dann von dort weiter nach Dawson City. Stöhnend und fluchend lässt er sich auf das knarrende Bett fallen und versucht, seine Gedanken zu ordnen.

Schon seit Wochen ist er jetzt unterwegs zu den Goldfeldern am Klondike. Denn dort vermutet er Jack. Doch er ist nicht unterwegs, um sich dem Wahnsinn des Goldrausches anzuschließen. Die vielen Idioten, die Haus und Hof im Stich ließen und sich aufmachten, im Norden nach dem Edelmetall zu buddeln, belustigen ihn nur. Ihn hat das Goldfieber nie angesteckt. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt lieber mit der Rinder - und Pferdezucht. Das ist sein Leben. Er ist Cowboy mit Leib und Seele. Er hat nichts anderes gelernt.

Jetzt wartet er mit einem dicken Kopf auf den Dampfer, der ihn nach Skagway bringen soll. Er erhebt sich von seinem Bett und fängt an, sich anzuziehen. Wütend über sich selbst und seine durchzechte Nacht, steigt er seufzend in seine Stiefel, streift sich das Hemd über und zieht die mit Schaffell gefütterte Weste an. Diese Weste ist auch das Einzige, was er von einem Schaf an sich heranlässt. Er mag diese Viecher einfach nicht. Dann knotet er sich noch sein gelbes Halstuch um, über das sein Bruder immer so lachte. Ja, es ist auch wirklich knallgelb. Schon von Weitem erkennt man, wer da geritten kommt. Doch Clay liebt diese Farbe und hatte lange gesucht, bis er so ein Exemplar ergatterte. Anschließend stülpt er sich den schwarzen, mit Pferdehaar verzierten Hut auf den Kopf und legt zu guter Letzt noch den Revolvergurt um. Auf den legt er besonderen Wert. Er ist aus punzierten, schwarzem Rindsleder und von ihm selbst angefertigt. Der 45er-Colt Single Action, der im Holster steckt, ist sogar mit Hirschhorngriffen ausgelegt. Und in den Rahmen sind kleine Motive eingraviert. Für damalige Verhältnisse ein Prachtstück. Dann greift er sich noch seine Winchester und macht sich auf den Weg nach unten.

In der Stadt ist mittlerweile das Leben erwacht. Immer mehr Männer und sogar Frauen drängen hinaus zum Hafen. Abenteuerlich aussehende Typen, die alles Mögliche mit sich herumschleppen. Einer hat sogar ein großes hölzernes Schild auf seinem Packen festgeschnallt. „Yukon Saloon“, liest Clay darauf. Er muss grinsen und schüttelt den Kopf. „Wo in aller Welt will der Kerl einen Saloon bauen,“ denkt er.

Clay hat sich schon vorsorglich Informationen geholt und weiß in etwa, was auf die „Stampeders“ zukommt. Aber auch auf ihn. Stampeders nennt man die Abenteurer, die zu Abertausenden in den Yukon strömen. Nicht mehr Herr ihrer Sinne. Nur noch nach Reichtum und Glück lechzen, was immer dies auch sein mag.

Die Nachricht von sagenhaften Goldfunden verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Irgendwie hat fast jeder in dem rauen, dünn besiedelten Land davon erfahren, und die meisten haben sich bereits ein großes Stück vom Kuchen gesichert. Viele wissen: Sobald das Frühjahr den Weg über die Berge und auf dem Fluss passierbar macht, werden Tausende nach Dawson City kommen. Goldsucher, Glücksritter und Abenteurer aus dem Süden und aus allen Teilen der Welt. Der Goldboom hatte schon ein Jahr zuvor begonnen. Jetzt war er in vollem Gange.

Langsam schlendert Clay durch die Straßen hinüber zum Hafen, als er plötzlich seinen Namen rufen hört. Er dreht sich um. In der Menge der wie Ameisen herumziehenden Menschen entdeckt er Betty. Das Mädchen aus dem Saloon. Sie winkt und ist bemüht, sich durch die Mauer der Menschenmassen zu ihm durchzukämpfen. Geduldig wartet Clay, bis sie mit rotem Gesicht und fast außer Atem bei ihm ankommt.

„Hallo Betty“, ruft er erstaunt. „Was machst du hier? Wo willst du denn hin?“

Betty schluckt aufgeregt und blickt Clay Morgan mit ihren großen schwarzen Augen an. Im Gedränge rempelt ein Mann sie mit seinem Rucksack an, sodass sie ins Wanken gerät. Clay zieht sie etwas zur Seite. Weg aus der Masse der Menschen.

„Clay Morgan“, sagt sie mit blitzenden Augen. „Willst du einfach so heimlich verschwinden? Weißt du nicht mehr, was du mir gestern Abend versprochen hast?“ Clay kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und denkt angestrengt nach.

„Hmm, nöö, keine Ahnung. Was soll ich dir schon versprochen haben? Wir kennen uns doch erst seit gestern. Außerdem muss ich dir sagen, dass du mich ganz schön abgefüllt hast ...“ Hierbei verzieht er ärgerlich sein Gesicht.

Betty stemmt die Arme in die Hüften, schiebt energisch den Kopf nach vorn und ruft aufgeregt.

„Ich dich abgefüllt? Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen? Wer hat denn nach immer mehr Tequila gerufen. Ich wollte dir schon nichts mehr geben. Weil du einem der Männer einen Tritt in den Hintern gegeben hast. Nur weil der mich angegrinst hatte. Fast wäre es noch zu einer Schlägerei gekommen.“ Ungläubig starrt Clay die Kleine an. Kratzt sich verlegen am Kinn und weiß nichts zu sagen. Braucht er auch nicht, denn Betty ist in ihrem Element. Die kleine wilde Katze.

Alle Männer starrten nur sie an, wenn sie oben auf der kleinen Bühne ihre Beine schwang, oder durch den Saloon schwebte. Doch sie erteilte jedem eine Abfuhr, der ihr all zu dicht auf den Pelz rückte. Sie schien unnahbar. Deshalb war Clay Morgan auch erstaunt, als sie später zu ihm an den Tisch kam. Er war beileibe kein Adonis. Mit seinen etwa 1,75m eher unscheinbar. Mit blaugrauen Augen und einem Schnauzbart. Er ist schlank und muskulös. Doch nicht unbedingt der Typ, dem Frauen hinterher schmachten. Und bis jetzt hatte er auch noch keine Beziehung gehabt, die ihm ernsthaft etwas bedeutete. Oh ja, sie unterhielten sich prächtig an diesem Abend. Wie zwei alte Kumpels, die sich nach langer Zeit wieder trafen. Und so nach und nach erzählte Clay ihr auch über sein Leben. Jedoch kein Wort davon, was ihn wirklich in den Norden trieb. Er war eigentlich auch nicht in der Stimmung, eine Beziehung einzugehen. Dafür hatte er im Moment zu viele Probleme. Doch irgendetwas hielt ihn davon ab, einfach zu gehen. Und zudem war sie eine gute Zuhörerin. Seine offene und ehrliche Art schien sie zu beeindrucken. Sein herzliches Lachen steckte sie an. Und auch er fand schon längst Gefallen an dem Mädel. Obwohl sich sein Verstand dagegen sträubte. Und Clay bekam es im Laufe des Abends gar nicht mehr mit, dass sie ihn immer interessierter anblickte und mit ihm flirtete.

Tjaa, und jetzt steht er hier und ist verlegen wie ein kleiner Junge, den man bei einem Streich erwischt hatte. Betty aber legt jetzt erst richtig los.

„Du warst so betrunken, dass du mich auf den Arm genommen hast und mit mir durch den gesamten Saloon getanzt bist. Wir wären fast noch hingefallen. Den ganzen Saloon hast du unterhalten. Und dann hast du plötzlich gemeint, dass du mich mit in den Yukon nehmen willst. Weg von hier. Na, da war ich aber sprachlos. Ich habe ja die Arbeit in dieser Spelunke sowieso satt. Diese Kerle und die stinkende Kneipe haben mich schon lange angewidert. Und ich will nur noch weg von hier. Und dann hast du mich in den Arm genommen und versprochen, du wolltest mich da rausholen.“ Herausfordernd blickt sie ihm ins Gesicht. Die Arme immer noch energisch in die Hüften gestemmt.

Clay verzieht das Gesicht und windet sich wie ein Regenwurm. Was hatte er nur da wieder angestellt? Hatte er tatsächlich dem Mädchen versprochen, sie mitzunehmen? Musste wohl so sein. Warum sollte sie lügen?

Aber bei dem, was er vorhat, kann er unmöglich eine Frau gebrauchen. So schnell hatte er noch nie ein Versprechen abgegeben. Was war nur in ihn gefahren? Und so versucht er dieses Dilemma noch abzuwenden.

„Ich war betrunken“, knurrt er unwirsch und winkt ab. „Ich wusste doch gar nicht, was ich da sagte. Außerdem ... Was will ein so hübsches Girl mit einem wie mir? Du findest doch was Besseres. Du hast dir den falschen Kerl ausgesucht. Weißt du überhaupt, was mich da oben im Norden erwartet? Es wird sehr gefährlich. Da kann ich jemanden wie dich nicht gebrauchen. Außerdem kennen wir uns doch kaum.“ Betty schnauft tief durch. Blickt ihn langsam von unten herauf an und stößt ihn mit ihrer kleinen Faust vor die Brust.

„Du dummer Kerl“, zischt sie. „Hast du gar nicht bemerkt, dass ich dich mag? Du bist der Einzige, der mich bis jetzt anständig behandelt und mir zugehört hat; ohne gleich mehr zu wollen. Und zudem hast du ganz gewaltig geflirtet mit mir. Und ich mit dir“, fügt sie schnippisch hinzu. „Was sagst du dazu, he? Und außerdem bin ich einiges gewöhnt ... Ich bin keine Zuckerpuppe. Und gefährliche Situationen habe ich auch schon oft genug erlebt. Dass ihr Männer immer glauben müsst, wir Frauen wären Weicheier. Das kannst du vergessen. Und glaub mal nur, mein Lieber; auch ich kann mit einer Waffe umgehen.“ Wobei sie ihm wieder mit dem Zeigefinger vor die Brust stößt. „Ich bin eine Texas-Tochter. Und ich werde dir bestimmt nicht im Wege stehen. Ich kann auf mich alleine aufpassen.“ Dann atmet sie tief durch und sieht Clay mit herausforderndem Blick aus ihren dunklen, blitzenden Augen an.

Clay räuspert sich mehrmals, kratzt sich mit heruntergezogenen Mundwinkeln am Kinn, sichtlich beeindruckt von ihrem Redeschwall. Er weiß jetzt nicht was er machen soll. Dieses Girl mag ihn wirklich? Das irritiert in mehr als die Tatsache, dass sie solche Strapazen auf sich nehmen und mit ihm fortziehen will. Innerlich jedoch ist er geschmeichelt und gebauchpinselt. Bis jetzt hat ihm noch kein Mädchen so offen ihre Zuneigung gestanden. Jaa, was soll man schon dagegen tun? Eine verzwickte Sache. Er kann einfach mit so einer Situation nicht gut umgehen. Bei einem Mann würde er die richtigen Worte schon finden.

Aber bei so einem Girl! Offen gestanden gefällt sie ihm ja auch sehr. Und er möchte sie auch nicht verlieren. Nach langem Nachdenken entscheidet er sich endlich.

„Also OK“, knurrt er mannhaft und blickt sie dabei streng an. „Aber ich spiele kein Kindermädchen. Wenn du mir ein Klotz am Bein wirst, lasse ich dich irgendwo in der Wildnis zurück. Dann kannst du versuchen, mit Bären und Wölfen klar zu kommen. Mir gefällt die Sache ganz und gar nicht.“

Betty lächelt schelmisch. Wippt dabei vor Clay auf und ab und blickt ihn wieder herausfordernd mit ihren schönen Augen an, die jedes Eis zum Schmelzen bringen.

„Also gut“, knurrt Clay, sich windend. „Als Erstes brauchst du andere Klamotten. Mit diesem Fummel kommst du nicht weit. Besorge dir strapazierfähige Hosen und Hemden. Und anständige Stiefel. Und komm nicht auf die Idee, deinen ganzen Schmink- und Parfüm-Krempel mitzuschleppen. Alles überflüssiger Kram. Ich gehe mich derweil schon mal am Hafen umsehen. Bin in einer Stunde bei dir im Saloon. Dann besprechen wir alles Weitere.“

Betty sieht ihn verführerisch an. Blinzelt freudig und flötet unwiderstehlich.

„Jaa, Daddy. Wie du befiehlst, Daddy. Alles, was du willst.“ Dann schwebt sie mit keckem Hüftschwung davon. Nicht, ohne sich noch einmal umzublicken und ihm einen frechen Blick zuzuwerfen.

Clay kann sich ein leichtes Grinsen doch nicht verkneifen, als er ihr hinterher blickt. Er schüttelt den Kopf. Was ist das nur für ein kleines, wildes Biest, denkt er sich. Auf was habe ich mich da eingelassen? Na, das kann ja heiter werden. Und mit wirren Gefühlen macht er sich auf den Weg zum Hafen, wo sich schon Hunderte von Menschen angesammelt haben. Überall liegt Fracht und Ausrüstung. Eine hektische Betriebsamkeit ist im Gange. Die Luft ist erfüllt von lautem Stimmengewirr. Irgendwo heulen und kläffen Huskys. Und im Hafen tummeln sich kleine Boote, die scheinbar ziellos hin und her fahren. Doch von den großen Dampfschiffen, die regelmäßig zwischen Skagway und Seattle pendeln, ist immer noch nichts zu sehen.

Clay spricht einen zufällig vorbeilaufenden Mann an, der aussieht, als hätte er Ahnung von dem, was hier so abläuft. Ein alter Seebär, wie es scheint. Zwischen seinem Vollbart steckt eine Pfeife, an der er genüsslich herum nuckelt. Aus blauen, wachsamen Augen sieht er Clay an und fragt belustigt.

„Na mein Junge. Hat dich das Fieber auch erwischt? Treibt es dich auch nach da oben, in die Trostlosigkeit?“ Clay schüttelt mit dem Kopf und lächelt geringschätzig.

„Nee, alter Mann. Damit habe ich nichts am Hut. Ich muss wegen anderer Dinge in den Norden. Kannst du mir sagen, wann hier der nächste Dampfer nach Skagway anlegt?“ Der Alte sieht ihn lange an und erwidert dann langsam und bedächtig.

„Naja, du siehst nicht gerade aus, wie so ein Verrückter von denen da.“ Wobei er mit der Hand auf die Menschenmassen deutet. „Eher wie ein Cowboy. Doch hier gibt’s weit und breit kein Viehzeug. Und mit einem Pferd kommst du auch schlecht übers Wasser.“ Hierbei fängt er an zu kichern über diesen gelungenen Witz. Clay grinst breit.

„Ich habe auch nicht vor, über das Wasser zu reiten, alter Mann.“ Und dann erzählt er ihm von seinen Absichten und dass er jemanden Bestimmtes sucht. Der Alte lacht glucksend.

„Oh Gott, mein Junge. Dann wünsche ich dir viel Vergnügen und noch mehr Glück. Weißt du überhaupt, was da oben im Yukon los ist? Da sind nicht nur ein paar hundert Irre zugange. Das sind Abertausende von Verrückten. Und finde mal einen Erdkrümel in einem Haufen Ameisen.“ Dann lacht er wieder und kriegt sich kaum noch ein. Wieder ernst fährt er fort. „Ich rate dir, mein Junge, lass den Unfug. Da oben am Klondike ist die Hölle los. Wenn du wirklich nicht so verrückt bist wie all die anderen, dann lass die Sache sein. Ich habe schon von vielen gehört, dass das alles der reinste Irrsinn ist. Bist du denn alleine?“ Clay schüttelt den Kopf.

„Na ja, nicht so ganz. Ein Mädchen will mit mir. Ich konnte sie nicht davon abhalten. War nicht meine Idee.“

„Ach du heiliger Neptun“, ruft der Alte erschrocken. „Du bist ja total verrückt. Nicht, dass es für einen Mann alleine schon die Hölle ist, da hochzugehen. Dann auch noch ein Weib im Schlepptau. Glaubst du, ihr könntet einfach so dahin spazieren? Mit Wanderstock und einem fröhlichen Liedchen auf den Lippen? Mein Junge. Das sind Strapazen, die ihr noch nicht mal erahnt. Ihr müsst entweder über den Chilkoot- oder den White-Pass. Der eine ist genauso gefährlich wie der andere. Und das noch im Winter. Daran ist schon so mancher starke, zähe Mann zerbrochen. Außerdem müsst ihr verdammt viel Proviant mitschleppen. Seit einer Hungersnot in Dawson City, lassen die Mounties keinen mehr nach Kanada durch, der nicht eine Tonne Lebensmittel mitbringt.“ Der Alte schüttelt den Kopf und lacht glucksend in sich hinein.

Clay hört sich alles ernst und schweigend an. Das hört sich aber nicht gut an, denkt er. Er wusste zwar schon, dass es verdammt schwierig werden würde. Doch was der Alte da erzählt, ist starker Tobak. Eine Tonne Lebensmittel. Und das auch noch über einen der Pässe schleppen? Das schaffen ja kaum starke Ochsen. Er überlegt jetzt ernsthaft, ob er wirklich diese Strapazen auf sich nehmen will. Noch dazu mit Betty.

Doch sein Eigensinn und sein Stolz lassen es nicht zu, jetzt abzubrechen. Was er anfängt, führt er auch zu Ende. So schlimm kann es schon nicht werden. Bei solchen Dingen wird immer auch gerne übertrieben. Außerdem nagen die Rachegelüste in ihm. Die er einfach nicht los wird. Er kann und will jetzt nicht aufgeben. Er erfährt von dem Alten noch, dass am nächsten Tag die „Portland“, ein Dampfschiff, von hier ablegt. Dasselbe Dampfschiff, das in diesem Jahr am 17. Juli 1897 in Seattle anlegte und die erste Tonne Gold mit sich brachte.

Clay macht sich nach diesen Informationen wieder zurück auf den Weg zu Betty. Der Alte blickt ihm kopfschüttelnd und kichernd hinterher. Nachdenklich betritt er den White Hall Saloon. Obwohl es erst gegen Mittag ist, ist die Kneipe rappelvoll. Viele wollen sich wohl noch Mut an trinken, ehe sie den strapaziösen Weg zu den Goldfeldern antreten. Clays Frage nach Betty, beantwortet der Barkeeper mit einer Kopfbewegung, die andeutet, sie sei oben in ihrem Zimmer.

Dort ist Betty gerade dabei, ihre Sachen zu packen, und stopft alles in eine große Stofftasche. Clay erblickt auch einen großen, alten Perkussionsrevolver, den sie in der Tasche verstaut hat. Clay muss unwillkürlich grinsen.

„Was willst du denn mit diesem alten Ding?“, fragt er spöttisch. „Willst du den wirklich mal abfeuern? Da brauchst du ja einen Baumstamm zum Auflegen. Und eine Mauer hinter dir.“

„Den habe ich von Grandpa“, erwidert Betty lakonisch. „ Er hat ihn aus dem Bürgerkrieg mitgebracht. Ein Walker Colt. Ich kann ihn nur mit beiden Händen bedienen.“ Dabei grinst sie breit. Clay blickt sie langsam von unten herauf an. Und kann sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. In ihren derben, weiten Männerhosen mit den breiten Hosenträgern sieht sie auch ziemlich komisch aus. Etwas zu lang geraten, hat sie die Hosenbeine unten umgekrempelt. Die Hose hängt wie ein Mehlsack an ihr und das rote Holzfällerhemd betont auch nicht gerade ihre weiblichen Formen. An den Füßen trägt sie halbhohe, gefütterte Stiefel. Ihren Kopf bedeckt ein alter zerfledderter Hut. Er scheint seine besten Jahre schon hinter sich zu haben. Alles in allem, sieht sie schon sehr komisch aus. Betty dreht sich um und bemerkt Clays verhaltenes Grinsen. Gespielt empört ruft sie. „Grins nicht so dumm. Was Besseres ließ sich nicht auftreiben. Außerdem wolltest du doch, dass ich solche Klamotten trage.“ Sich das Lachen verbeißend erwidert Clay:

„Schon gut, schon gut. Ist ja OK. Da brauche ich wenigstens nicht zu befürchten, dass du von jedem Kerl dumm angemacht wirst. In diesen Klamotten wird jedenfalls keiner eine Frau vermuten.“

Fauchend wie eine wütende Katze kommt Betty auf Clay zu und zeigt spielerisch ihre Krallen. Doch dann lacht sie ebenfalls und tanzt vor ihm herum. „Na, sehe ich nicht schick aus? Die neuste Mode aus Paris mein Lieber. Das ist jetzt der letzte Schrei in Europa drüben.“ Doch als Clay anfängt, ihr von dem Alten zu erzählen, wird ihr Gesicht plötzlich ernst. Sie atmet tief durch und fragt, ob es denn wirklich so gefährlich werden könne. Clay muss ihr die Wahrheit sagen. „Ja, das kann es“, meint er sorgenvoll. „Doch es wird auch viel übertrieben“, fügt er beruhigend hinzu.

Dann setzt er sich zu Betty auf das Bett und nimmt sie in den Arm. „Willst du es dir nicht noch überlegen?“, fragt er ernst. „Ich möchte nicht, dass dir was passiert. Ich gebe ja zu, mir liegt auch etwas an dir. Und gerade aus diesem Grund möchte ich nicht, dass du mitkommst. Du könntest doch genauso gut hier bleiben und warten, bis ich wieder zurück bin. Spätestens im nächsten Jahr, bevor der Winter anbricht, bin ich bestimmt wieder hier. Jetzt haben wir schon Anfang September. Der Winter steht vor der Tür. Das wird verdammt hart.“

Betty sitzt mit ernstem Gesicht neben ihm und überlegt lange. Ihre Hände sind gefaltet. Unruhig reibt sie ihre Daumen aneinander. „Ich will auf jeden Fall hier raus aus Seattle“, antwortet sie trotzig. “Arbeit finde ich überall. Ich könnte auch in Skagway was finden. Lass uns doch erst mal dort sein. Dann entscheiden wir weiter.“ Clay wiegt unschlüssig dem Kopf hin und her, als er antwortet.

„Betty, Skagway ist kein Pflaster für dich. Da treibt sich das letzte Gesindel herum. Abenteurer. Goldsucher. Glücksritter, all die Gestalten, die so ein Goldrausch anzieht. Dagegen ist es hier in Seattle noch friedlich.“ Betty blickt ihm fest in die Augen, als sie entgegnet.

„OK. Wenn es da oben so schlimm sein soll, gehe ich mit dir weiter nach Dawson. Hier bleibe ich auf keinen Fall. Und wenn ich auch in Skagway nicht bleiben soll, hast du keine andere Wahl. Oder willst du mich los werden? Übrigens. Du hast mir noch gar nicht erzählt,

was du oben in Dawson machen willst. Hast du einen Goldclaim dort oben?“ Hierbei schaut sie ihn neugierig an.

Clay blickt stumm vor sich hin und sagt kein Wort. Nur seine Miene wird steinern und seine Augen werden düster.

„ Mhh. Na ja, geht mich ja auch nichts an. Irgendwann wirst du es mir schon sagen.“ Betty will nicht weiter auf ihn eindringen und fährt fort, ihre Sachen zu ordnen.

Clay seufzt tief. Dann knurrt er ergeben. „OK, wenn du es nicht anders haben willst. Hier lassen kann ich dich nicht, wenn du absolut nicht willst. Und in Skagway erst recht nicht. Also was bleibt mir übrig? Und – nein, ich will dich ja gar nicht loswerden. Aber eines sage ich dir! Du tust genau das, was ich dir sage. Und keine Widerrede. Es wird alles nur noch schwerer, wenn ich auch noch auf dich achten muss. Mann oh Mann, was seit ihr Frauen eigensinnig.“ Ein Lächeln überzieht Bettys Gesicht. Sie blickt Clay liebevoll an und schnurrt dabei wie ein Kätzchen. Und der kann nicht anders und muss grinsen. Betty legt ihre Hand an seinen Kopf und zieht in langsam zu sich. Lange und tief blicken sie sich in die Augen. Ehe ein inniger Kuss sie beide verstummen lässt.

Abrechnung im Yukon

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