Читать книгу Radau im Adventskalender - Ramona Stolle - Страница 7
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Wunder-Weihnachtsbaum
Heute darf Juliane zum allerersten Mal mit ihrem Vater zum Marktplatz, um einen Weihnachtsbaum auszusuchen. Ihre Mutter und die Großmutter Lina bleiben zu Hause und bereiten alles Wichtige für den Weihnachtsabend vor. Aber Weihnachten wäre nicht Weihnachten, wenn nicht ein prächtig geschmückter Tannenbaum im Wohnzimmer stehen würde. Deshalb läuft Juliane nun mit ihrem Vater an diesem Weihnachtsmorgen durch die Straßen der kleinen Stadt. Der Marktplatz ist schon voller Menschen. Einige haben den richtigen Baum bereits gefunden und tragen ihn fort.
„Juli, wie gefällt dir der hier“, ruft der Vater und wirbelt ein kleines Bäumchen, das er an der Spitze festhält, im Kreis herum. Juliane zuckt nur mit den Schultern. So klein hatte sie sich den Baum nicht vorgestellt.
„Aber Schatz, einen ganz großen Baum kriegen wir doch gar nicht nach Hause. Unser Zimmer ist auch nicht groß genug für so einen Riesen!“ Der Vater lächelt tröstend, aber Juliane schnieft nur durch die Nasenlöcher. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie ganz anderer Meinung ist. Sie steckt die Hände in die Manteltaschen, dreht sich um und geht in Richtung Marktbrunnen.
„Schnief, schnief“, wimmert es im Tannenzweig. Juliane bleibt stehen, lauscht und blickt dann schnell zu Papa. Hat er sich mit ihr einen Spaß erlaubt? Nein, Papa ist nicht zu sehen.
„Schnief, schnief.“
„Hallo“, flüstert Juliane etwas zögerlich. Dann holt sie tief Luft und geht zu der Tanne, aus der die Schnieflaute ertönen. „Hallo!“ Juliane ist jetzt fest entschlossen, das Geheimnis des Schniefens zu lüften. Sie biegt die Tannenzweige auseinander. Zum Glück hat sie dicke Handschuhe an, sonst hätten die Nadeln sie ganz schön gepikst. Erst kann sie gar nichts erkennen.
„Schnief.“
„Hallo, wer schnieft denn da?“
Eine feine Stimme ertönt. Und da sieht Juliane das kleine Geschöpf auf der Spitze eines schiefen Tannenbäumchens sitzen. Es hat einen weißen Mantel und trägt eine ebenso weiße Mütze. Es sieht aus wie eine Schneeflocke. Eine Schneeflocke, die weint. Juliane traut ihren Augen nicht.
„Ich schniefe“, antwortet das kleine Geschöpf, „weil niemand mein Bäumchen will. Es ist noch klein und schief, aber das ist doch kein Grund.“ Jetzt wird die Stimme energischer. „Nur weil man klein ist, kann man doch ein schöner, prächtiger Weihnachtsbaum werden. Sieh nur, die Wurzeln hat man ihm gelassen. So könnte er sogar noch weiter wachsen ...“
„… und eines Tages der größte und schönste Weihnachtsbaum weit und breit werden“, beendet Juliane den Satz.
„Stimmt genau! Ich bin übrigens Alba, eine Tannenfee. Ich bin verantwortlich für diesen kleinen Nadelfreund. Er ist mein erster Auftrag, aber ich glaube, ich habe versagt. Niemand will ihn. Im Feenreich werden sicher alle über mich lachen.“ Und wieder schniefte die kleine Tannenfee laut los.
„Ich bin Juliane. Willst du mit zu mir kommen? Dann überlegen wir gemeinsam, wie wir deinem Freund und dir helfen können.“
Juliane hört sich diese Worte sagen, aber sie kann es nicht glauben. Sie will doch auch einen großen, geraden, prächtigen Weihnachtsbaum. Auf der anderen Seite ist es echt toll, mit einer echten Tannenfee zu reden. Das glaubt ihr bestimmt niemand.
„Papa!“ Juliane hört sich rufen, laut rufen. Mehrere Leute drehen sich nach ihr um.
Da taucht endlich der Vater auf.„Den da will ich!“ Sie zeigt auf die kleine Tanne. Jetzt hört man den Vater schniefen. Laut und langsam schnieft er durch die Nase. „Juliane, wie soll ich das deiner Mutter erklären? Wir sollen einen gerade gewachsenen, kräftigen Baum kaufen.“ Er seufzt jetzt ganz leise: „Es soll doch ein schöner Weihnachtsbaum sein!“
„Den da will ich. Der ist wunderschön!“
Alba sitzt auf der Tannenspitze und beobachtet das Gespräch. Ihr Herz schlägt ganz schnell, denn sie ist aufgeregt.
Juliane kräuselt ihre Stirn und schaut ihren Vater mit großen Augen an. Sie weiß, dass er ihr so kaum noch einen Wunsch abschlagen kann. „Bitte“, gurgelt sie aus tiefster Kehle, „bitte.“
Keine fünf Minuten später gehen Vater und Tochter nach Hause. Die Hektik der anderen Menschen ringsumher stört sie nicht. Sie freuen sich jetzt auf das Weihnachtsfest mit dem kleinen, schiefen Tannenbäumchen. Der Vater hält den Eimer mit dem Wurzelwerk fest im Arm. Das Bäumchen ragt in den Himmel wie ein Mast im Wind, und an der höchsten Stelle sitzt die kleine Tannenfee, schaukelt mit den Beinchen und ist so glücklich.
Die Mutter hat die Hände voller Plätzchenteig, als der Vater, Juliane und das Bäumchen samt Fee nach Hause kommen. Juliane merkt sofort, dass die Mutter nicht begeistert ist.
„Das ist ein Wunder-Weihnachtsbaum“, sagt Juliane schnell.
„Wohl eher ein Wunder, dass es jemanden gibt, der ihn gekauft hat“, sagt die Mutter und blickt strafend ihren Mann an.
Da kommt Großmutter Lina ins Zimmer und beginnt zu lachen. „Mein Gott, seit Jahren hab’ ich nicht mehr ein solch’ wunderbares Bäumchen gesehen. Das wird sicher der prächtigste Weihnachtsbaum, den wir jemals hatten“, juchzt sie. „Ich hole mal einen schönen Topf aus dem Keller. Da kleben wir goldene Sterne drauf, dann kommt das Bäumchen rein. Komm Juli, es gibt noch viel zu tun, bevor der Weihnachtsmann an die Tür klopft.“
Jetzt schnauft die Mutter durch die Nase, aber dann dreht sie sich um, geht in die Küche und kümmert sich wieder um die Plätzchen. Der Vater stellt den Baumschmuck bereit, und Juliane holt das goldene Bastelpapier und beginnt Sterne auszuschneiden.
Das Bäumchen steckt noch in dem alten Eimer. Der Vater hat ihn im Flur abgestellt. Natürlich ist Juliane furchtbar neugierig, was es mit der Fee noch auf sich hat. Sie setzt sich zum Basteln in den Flur und flüstert dabei: „Hallo, hallo, bist du noch da?“
„Natürlich! Ich danke dir sehr. Wir, das Bäumchen und ich, werden euch ein goldenes Weihnachtsfest bereiten.“
„Warum bist du denn nicht im Wald geblieben, als das Bäumchen geholt wurde?“ Juliane ist neugierig.
Nun erzählt Alba, dass jeder Tannenbaum, der einmal zur Weihnachtszeit leuchten soll, eine Fee hat, die für ihn sorgt und ihn am Weihnachtsabend zum Leuchten bringt. „Manchmal holen die Menschen einen Baum zu früh aus dem Wald“, erzählt sie. „Es wäre so schön, wenn mein Bäumchen noch ein paar Jahre in die Erde zurückkönnte. Die Wurzeln sind ja noch dran.“
Juliane hat nun genug Sterne ausgeschnitten. „Ich muss zur Großmutter. Wir sehen uns später noch“. Sie springt auf und verschwindet.
Wie in jedem Jahr ist Juliane furchtbar aufgeregt. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und blättert in einem Buch, als die Mutter endlich die Tür öffnet und sie ins Wohnzimmer holt. Der große Augenblick ist da. Feierliche Weihnachtsmusik ertönt, die Kerzen brennen und der Weihnachtsbaum steht vor dem Fenster in einem roten Topf mit goldenen Sternen und strahlt heller als jeder Stern am Himmel.
„Er sieht so groß und festlich aus“, flüstert die Mutter.
Juliane lächelt glücklich und zwinkert Alba zu, die auf der Christbaumspitze sitzt und ab und zu ihren Feenstaub ins Zimmer pustet. So hüllt sie alles in goldenes Zauber-Licht. „Und im Frühling setzen wir das Bäumchen in Großmutters Garten“, lächelt Juliane. Großmutter Lina nickt zufrieden. Der Vater hat eine kleine Träne im Auge.
„Danke, lieber Wunder-Weihnachtsbaum“, denkt die Mutter.