Читать книгу Schwabinger G'schichten - RAMSES III. (Wolfgang Kramer) - Страница 5
ОглавлениеSCHWABINGER G'SCHICHT'N
- I.-
"Schwabinger kann man nicht werden, man muss es sein!" So gesprochen von "Marietta di Monaco", ein Schwabinger Urgestein, Kabarettistin, Lyrikerin, Dichtermuse und Malermodell, die leider schon 1981 von uns gegangen ist, aber ich durfte sie noch kennen lernen.
Was sie meinte, war nicht, wie man vermuten könnte, dass man in Schwabing geboren sein musste, nein, ganz im Gegenteil, sie meinte damit, egal wo du her kommst, welche Nationalität oder Hautfarbe du hast – du musst "im Herzen" Schwabinger sein, und das kann man nicht lernen, das muss man haben und fühlen!
Soviel zu meiner Entschuldigung, dass ich nicht in Schwabing geboren wurde!
Das hier soll bei weitem keine Biographie werden, aber es könnte sein, dass sich solche, oder ähnlich anmutende, Aspekte einschleichen?!
RAMSES III.
Diesen Spitznamen habe ich mir schon sehr früh eingefangen, da war ich so um die 10 Jahre alt. Das ergab sich völlig blödsinnig, wie das meistens bei Spitznamen so läuft, aus der Begebenheit, dass ich zu dieser Zeit mit Vorliebe das Gedicht von "Ramses dem Ägypterkönig" zitierte. Der Text ist recht derb und frivol, was in meinem zarten Alter natürlich äußerst prickelnd war, geradezu sensationell. Und so geschah es, dass nach einer Weile irgendein Spezi, als er mich sah, mich anredete: Da schau her – "der Ramses"!
Andere hörten es, es machte die Runde, und von da an war ich der Ramses. Erst mal war ich gar nicht erfreut und wollte den Namen wieder loswerden – aber keine Chance…! Wo immer ich hinkam, Internat, Schule in England, Militär, etc., traf ich jemand, der mich unter diesem Namen kannte und ihn weiterverbreitete.
Irgendwann gab ich auf, und so bin ich bis heute der "Ramses" geblieben. Das hatte allerdings auch den Vorteil, dass ich niemals verwechselt wurde. Mit diesem Namen war ich weit und breit der Einzige. Das Prädikat, der "III." wurde mir später beim "Novak" angehängt, wegen einer Tourismus-Schlagzeile in der Zeitung, die lautete: "Ramses III. jetzt auch zu kleinen Preisen". Das wurde auch noch an die Wand geklebt. Man fand es halt lustig.
Da ich immer wieder gefragt wurde und auch noch werde, wieso gerade der "III.", und mir diese Erklärung zu umständlich war, habe ich mir später, als ich Musiker geworden war, die Antwort einfallen lassen: "Weil ich drei Griffe auf der Gitarre spielen kann" – ha-ha.
Oftmals, über die Jahre, wenn mehrere von uns Schwabinger Dinosauriern zusammen in der Kneipe saßen und alte Geschichten hervor gekramt wurden, hielten mich immer wieder Freunde, Bekannte, Spezln an, ich solle doch meine vielfältigen Erinnerungen über das "alte Schwabing" zu Papier bringen, ich wüsste schließlich von allen noch Lebenden am meisten darüber. Also habe ich mich endlich entschlossen, es wirklich zu tun. Sicher werde ich auch einiges vergessen zu erwähnen – Alzheimer ist unterwegs – man möge es mir verzeihen.
Da ich im Vorort aufwuchs, in Großhadern, wo es zu meiner Zeit, soll heißen in den 50er-60er Jahren, ganz schrecklich bürgerlich, langweilig und spießig zuging (hat sich bis heute kaum was geändert), verspürte ich schon in meinem damals zarten Alter die Sehnsucht, nach Schwabing zu ziehen. Das versprach non konformes Leben, Boheme, hübsche Mädchen, verrückte Typen, interessante Kneipen und eine Menge mehr, jedenfalls Zerstreuung und Abwechslung, die wir nicht vor unserer Haustür hatten.
Schwabing war einfach Faszination pur!
Wir hatten einen "Familienhund", einen Pudel. Die Rasse wurde gerade in den Fünfzigern "modern", und meine Mutter wollte unbedingt einen haben.
Meine Aufgabe war es, unseren "Jackie" in entsprechenden Perioden zum Scheren zu bringen. Und obwohl es mir eher peinlich war, mit einem Pudel gesehen zu werden, war es doch ein Highlight für mich, denn der Hundefrisör war in Schwabing, in der Kaiserstrasse.
Somit war es jedes Mal ein Ausflug nach Schwabing!
Zwar waren die Termine bereits am Vormittag, aber das tat meiner Begeisterung keinen Abbruch. Schließlich gab es auch zu früher Stunde Eis auf der "Leo", und ich genoss es damals schon, Leute auf dem "Boulevard Leopold" zu beobachten, aber das Wichtigste – ich war in Schwabing!
Zugegeben – im Nachhinein betrachtet, hatten wir wohl doch eine schöne Kindheit. Wir hatten Wiesen und Wälder vor der Haustür, also fast unbegrenzte Jagdgründe. Im Sommer fuhren wir mit dem Radi zum Baden nach Krailling, an die Würm, oder zum Langwieder See, und bei Lust und Laune auch zum Starnberger See. Deshalb wuchsen wir naturverbunden und unbewusst - ohne Fitnesswahn - sehr gesund auf.
Als Kinder fuhren wir meistens nach Krailling. Dort gab es ein "Familienbad" an der Würm. Die Würm ist der Abfluss vom Starnberger See, der auch bis 1962 offiziell Würmsee genannt wurde. Es ist eigentlich mehr ein Bach als ein Fluss, aber wir waren nicht wählerisch, er war zumindest relativ nah. Vom Eisbach im Englischen Garten wussten wir zu der Zeit noch nichts. Aber von Hadern durch die ganze Stadt zu fahren wäre wohl auch nicht näher gewesen.
Beim Eingang zum Familienbad führte eine Brücke über den Bach, an dem wir beim Hinunterschwimmen gerne halt machten und uns an die Querstreben hängten, um uns von der Strömung umspülen zu lassen.
Hier passierte das Aufregendste unserer frühen Teenagerzeit!
Da gab es die Heidi Brühl, die damals ein Kinderstar war. Sie wurde berühmt durch die "Immenhof" Filme, wovon es drei gab. Sie gefiel uns allen sehr gut, vor allem weil sie sehr gut "entwickelt" war, obwohl erst dreizehn Jahre alt.
Die Heidi wohnte in Gräfelfing, was nicht weit von Krailling entfernt liegt, und war also auch Badegast in "unserem" Bad.
Eines Tages, wir hingen wieder mal an der Brücke, gesellte sich die Heidi zu uns, aber die Strömung war so stark, dass es ihr das Oberteil ihres ganzteiligen Badeanzugs herunterzog. So konnten wir für kurze Zeit ihre Brüste sehen, was für uns als etwa Zwölfjährige eine Sensation war, von der wir noch ziemlich lange schwelgten.
Das begab sich ungefähr 1955. Als ich ca. 35 Jahre später eines Nachts im "Josephines" an der Bar stand, kam Heidi, inzwischen arrivierte Schauspielerin und Sängerin, mit einem Begleiter ins Lokal, und die beiden kamen ganz in meiner Nähe zu stehen.
Plötzlich musste ich an diese uralte Geschichte denken und schmunzelte in mich hinein. Heidi sah das und fragte mich, wieso ich denn lächeln würde, und so erzählte ich ihr warum.
Ich konnte es kaum glauben, aber sie erinnerte sich ebenfalls an diese Situation, und wir lachten herzhaft drüber.
Ich war begeistert von ihrer Art, hätte nie gedacht, dass sie so natürlich geblieben war.
Schade, dass sie so früh gehen musste, sie starb 1991 nach einer Krebsoperation.
Als wir etwas älter wurden, entdeckten wir den Langwieder See. Der war zwar bedeutend weiter entfernt, aber schließlich waren wir jung und fit, und so fuhren wir täglich etwa eine Stunde mit dem Radi da raus.
Zu der Zeit war der See noch ein Kleinod. Nur wenige Menschen kannten ihn, und so war er – quasi - in unserer Hand.
In den Sommerferien bauten wir unsere Zelte dort draußen auf, und die blieben die ganzen Ferien über stehen. Ab und zu holten wir Nachschub an Verpflegung, oder der Vater von "Wolf" kam mit dem Auto und brachte uns Ware. Zu trinken gab es ja in einer nahegelegenen kleinen Wirtschaft.
Natürlich waren auch Mädels dabei, und wenn es dunkel wurde, entwickelte sich so manche Fummelei, aber mehr trauten wir uns noch nicht. Aber immerhin – das war schon ganz schön aufregend!
Später habe ich dann auch mein "erstes Mal" am See erlebt.
Großhadern war in meiner frühesten Kindheit noch nicht mal zu München eingemeindet. Es war ein Dorf, im tatsächlichen Sinne des Wortes. Also waren wir eigentlich "Landeier".
In unserem Viertel gab es nur einige ganz einfache, bürgerliche, für uns uninteressante Wirtshäuser, eben dörflich, wo wir natürlich mangels Alternativen, auch unser Unwesen trieben.
Da gab es nichts zu schauen, nur Menschen beim Essen und Trinken, traditionsgemäß, Kartier, meistens beim "Watten" oder "Schafkopfen". Wir konnten uns dort lediglich hin und wieder zudröhnen. Und das war's! Ein beliebtes "Saufspiel" war "Der Vorletzte zahlt". Dabei wurde eine "Maß" Bier in die Runde gestellt, und einer fing an zu trinken, und das ging so lange, bis einer austrank. Das konnte bereits der zweite Trinker sein, zum Beispiel, wenn ich es war. Dann musste eben bereits der Erste die neue Maß bezahlen, weil er ja der Vorletzte war. Ein bescheuertes, aber sehr berauschendes Spiel war das.
Schon als Kleinkind war ich ein "Herzchen"! Offenbar war ich zum "Saufen" geboren, denn bereits bei der Hochzeitsfeier meines Vaters mit meiner Stiefmutter ging es schon los! Ich war gerade mal vier Jahre alt! Als es Zeit schien, mich ins Bett zu verfrachten, rebellierte ich damals schon, und so gab man mir einen "Steinhäger" (ein klarer Schnaps, der heute kaum noch bekannt ist), in der Hoffnung, ich würde danach freiwillig ins Bett gehen. Ich schüttete ihn hinunter, ohne eine Miene zu verziehen, und wollte einen zweiten, den ich auch bekam und genauso auf Ex runter kippte - offenbar mochte ich den Stoff. Damit hatte ich aber dann wohl genug und war endlich bettreif.
So wurde es mir immer wieder mal geschildert, und ich wundere mich heute noch, dass mir das Zeug als Vierjähriger geschmeckt hat. Aber wie gesagt – zum Schluckspecht geboren…!!!
Leider ging es mir mit dem Rauchen genauso! Bei meiner ersten Zigarette wurde ich von den Spezln gewarnt: „Da wird's Dir schlecht – da scheißst' in die Hosen" – aber, weit gefehlt – die erste schmeckte mir vom ersten Zug an - da war ich elf (11)! Und seitdem rauche ich mit unverminderter Begeisterung.
Natürlich veranstalteten wir auch Parties. Der Rock'n'Roll war über den großen Teich zu uns gekommen, was unser Leben gehörig beeinflusste. Der Rock'n'Roll war das Überwältigendste, was uns jemals passieren konnte! So etwas Einschneidendes, was Musik an belangt, hat es auch später nie wieder gegeben!
Wir hörten AFN, den amerikanischen Soldatensender, der unsere "musikalische Rettung" war, denn auf den deutschen Sendern wurden ausschließlich deutsche Schlager und "Altdeutsches Liedgut" gespielt. Und ein paar wenige von uns hatten Jeans! Echte "Levi's" – eine Sensation, denn die gab es in Deutschland noch nicht offiziell zu kaufen. Zwar weiß ich nicht mehr, wo wir die her hatten, aber irgendwie mussten wir sie von Gis bekommen haben, eine andere Möglichkeit hätte es ja gar nicht gegeben.
Zu den Gis fühlten wir uns hingezogen. Die waren "anders" und – sie hatten "Ami-Zigaretten", Lucky Strike, Chesterfield, Camel und – nicht zu vergessen - Kaugummi!
Auf einer dieser Parties – ich war fünfzehn, und es war eine Faschingsparty – schlief ich aufgrund eines Vollrausches ein, und zwar im Kohlenkeller! Wie ich dahin kam, konnte ich nie eruieren! Jedenfalls wachte ich erst am nächsten Morgen um ca. neun Uhr auf. Ich hatte auf einem Strohhut geschlafen, und das Muster desselben war tief in eine Gesichtshälfte geprägt. Zudem war ich schwarz im Gesicht, und meine Klamotten auch. Kein Mensch war mehr anzutreffen, und so ging ich nach Hause – mit einem extrem schlechten Gewissen – so was hatte ich vorher noch nie gemacht. Es war nur ein Fußweg von etwa fünfzehn Minuten, und es war Sonntag morgen. Als ich zu Hause eintraf, saß die Familie bereits am Frühstückstisch. Da musste ich nun durch! Also erzählte ich die Wahrheit, was gar nicht gut war, denn diese glaubte mir mein Vater nicht! Er beschimpfte mich wüst, ich solle nicht so impertinent lügen, wenn ich bei einer Frau gewesen wäre, solle ich es gefälligst zugeben!
Das war mir eine Lehre! Von da an erzählte ich nie wieder die Wahrheit! So wird man also zum Lügen erzogen!
Parties waren natürlich ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Bestandteil unseres "gesellschaftlichen Lebens"! In der Regel waren es "Bottle-Parties", zu denen jeder etwas zu trinken mitbrachte (wir liebten den süßen, billigen "Lambrusco"), und bescheiden, wie wir damals noch waren, hatten wir viel Spaß mit "fast nichts".
Es wurden die ersten Küsse ausgetauscht! Meinen ersten Kuss werde ich nie vergessen – ich erwischte eine wunderbare "Küsserin", die ein paar Jahre älter war als ich – ich war gerade mal 15. Es war auf einer Party, im Elternhaus meines besten Freundes "Wolf". Es war eine "Garden Party", die Nacht war lau, und ich hatte eigentlich nichts Anzügliches im Sinn, als ich meiner "Küsserin", Ingrid war ihr Name, vorschlug, ums Haus zu flanieren. Kaum waren wir um die Ecke, schmiss sie sich auch schon an mich ran, ohne dass ich Anstalten gemacht hätte. Ich war total verblüfft, hatte aber ganz und gar nichts dagegen, und so genoss ich meine ersten Küsse in vollen Zügen, ich wollte schier nicht mehr aufhören, und sie hatte auch nichts dagegen.
Der harte Kern von uns Freunden war ein vier blättrig es Kleeblatt, der Willi, der Wolf, sein Bruder Klaus und ich. Wir wuchsen in der Nachbarschaft auf und waren viele Jahre Freunde, bis sich unsere Wege trennten. Wir waren schon extreme "Früchterl"! Heutzutage würde man uns wahrscheinlich in ein Heim für "Schwererziehbare" verfrachten. Aber damals gingen wir noch als "Lausbuben" durch.
Die Langeweile in der dörflichen Umgebung verlangte natürlich nach Kreativität, was zur Folge hatte, dass wir in "Hadern" berüchtigt waren aufgrund unserer Streiche. Wir hatten nur Blödsinn im Kopf, und wenn irgendwo in der Gegend etwas Außergewöhnliches passierte, konnten nur wir es gewesen sein. Es gab noch einen richtigen "Dorfschandi" in Hadern, den Herrn Schenk, und der rief in solchen Fällen sofort bei unseren Eltern, an um nachzufragen, ob wir zu der Zeit zu Hause waren, also ein Alibi hatten.
Die Autorität so eines Dorfschandis war damals noch sehr groß. So war es ganz normal, dass er uns beispielsweise bei einer Fahrradkontrolle an den Ohren vom Radi zog und uns auch "Watschn" gab, wenn etwas nicht in Ordnung war.
Unsere Streiche waren teilweise schon sehr deftig. Heutzutage würden sie als "Jugendkriminalität" eingestuft.
Wenn Müllabfuhrtag war, standen die Mülltonnen auf dem Gehweg, um geleert zu werden. Eines Tages hatten wir die grandiose Idee, sie anzuzünden. Und zwar auf der halben Länge der Würmtalstrasse. Das ist die Hauptstrasse, die an der Kreuzung Fürstenrieder Strasse, am Waldfriedhof anfängt und sich etwa 2 km bis Groß hadern zieht. Die Qualmentwicklung war so stark, dass man die Strasse kurzfristig sperren musste. Aber wir wurden nicht erwischt! Natürlich hat der "Dorfschandi" uns, wie üblich nach solchen Vorfällen, verhört, aber wir waren schlau! Wir hatten uns von Nadelbäumen die Nadeln ins Haar gebröselt, und so schüttelten wir unsere Köpfe, sodass sie heraus fielen, und behaupteten, wir wären im Wald gewesen.
Wir entwickelten auch eine effektive Aktion, um an Bier und Zigarettengeld zu kommen.
Damals hatten die Brauereien noch Lkws, die elektrisch fuhren und Vollgummireifen hatten. Die fuhren ziemlich langsam, wohl um das Bier nicht zu sehr aufzuschütteln, aber wahrscheinlich konnten die gar nicht schneller.
Jedenfalls fuhren wir jeweils zu dritt hinter einem dieser Gefährte her, wobei der Erste eine Flasche Bier griff, sie dem Zweiten nach hinten reichte und dieser sie an den Dritten weiter gab, der sie dann behutsam in den Straßengraben rollen ließ. Erwischt wurden wir nie, weil die Autos keine Außenspiegel hatten (die waren damals noch nicht Vorschrift).
So hatten wir Bier, und nachdem wir die Flaschen geleert hatten, gab es Pfandgeld für Zigaretten.
Na ja, so in dieser Art waren unsere Streiche halt – wir mussten uns etwas einfallen lassen, um die Langeweile zu vertreiben.
Der Gipfel unserer Streiche sollte das "Ausräuchern" der Zeugen Jehovas werden.
Mein bester Freund, der Wolf, war unser "Giftmischer". Wir nannten ihn so, weil er im Verlauf seiner Pubertät eine "chemische" Phase hatte. In dieser Zeit experimentierte er in der Dachkammer seines Elternhauses mit Chemikalien herum, wobei er unter anderem herausfand, wie Schwarzpulver herzustellen war, und Ähnliches.
Eines Tages, als ich bei ihm klingelte, schaute er aus der winzigen Dreiecksluke im Dachgiebel, und er sah aus wie ein Alien. Ich war relativ weit weg am Gartentor und konnte so nicht genau sehen, was mit ihm passiert war. Er kam herunter, um mich zu begrüßen, und da sah ich es: Er hatte im ganzen Gesicht kleine Wunden, die genäht waren und mit einer Art Desinfektionsmittel bestrichen waren. Die Fäden standen hervor, und diese Tinktur sah aus wie silberne Farbe. Wie von einem anderen Stern! Es war ihm bei seinen Versuchen etwas explodiert!
Die Schwarzpulverphase war sehr lustig – für uns zumindest!
Beispielsweise füllten wir das selbstgemachte Schwarzpulver in leere Siphonpatronen ein. Die hatten wir von Sodawasser bereitern. Wolf bastelte aus Lösch papierstreifen einen Zündschnurersatz. Er tauchte sie in eine mir unbekannte Tinktur, und wenn sie trocken waren, brannten sie so glimmend ab wie eine Zündschnur.
Alsdann sprengten wir mit unseren Minibomben vorzugsweise Briefkästen. Einmal versuchten wir uns sogar an einem Telegrafen masten, der aber stand hielt. Allerdings rief die Aktion Sprengstoffexperten und Kripo auf den Plan, die uns zwar nicht erwischten, aber langsam wurden unsere Streiche brenzlig.
Wolf hatte auch die Zusammensetzung von Buttersäure entdeckt!
Wir hatten schon immer gerne die Zeugen Jehovas geärgert, wenn sie mit ihrem "Wachturm" herum standen. Eines Abends hatte Wolf die Idee, eine Versammlung der Zeugen Jehovas zu besuchen. Es war klar, dass er etwas vorhatte, aber keiner wusste, was!?
Die Versammlung fand im Nebensaal einer uns bekannten Wirtschaft statt, dem "Ehrwalder Hof", welcher an der Rückseite eine Trenntür hatte.
Wir waren sechs Jungs, und Wolf meinte, wir sollten uns in die letzte Reihe setzen, gleich bei der Tür.
Der "Geistliche", oder wie man die bei den Zeugen Jehovas nennt, begrüßte die Anwesenden und ganz besonders uns – er freute sich, so viele neue Gesichter zu sehen. Aber nicht lange!
Kurz darauf, ich saß neben Wolf, konnte ich beobachten, dass er ein kleines Glas mit einer Flüssigkeit auf den Boden stellte und eine andere Substanz dazu schüttete.
Jetzt, bedeutete uns Wolf, wäre es an der Zeit, zu verschwinden, und so schlichen wir uns schnell zu jener Hintertür hinaus und suchten das Weite.
Zu jener Zeit hatte ich keine Ahnung, was Buttersäure war und wie es wirkte. Heute weiß ich es – es stinkt unglaublich, wie faule Eier oder Stinkbomben, nur um ein Tausendfaches schlimmer! Und vor allem ist der Gestank kaum weg zu bringen.
Als wir etwa eine halbe Stunde später an der Wirtschaft mit dem Fahrrad vorbei fuhren, um zu sehen, was los war, standen alle Leute auf der Straße vor dem Lokal, und es stank sogar auf der Straße noch!
Und schon wieder wurde die Kripo auf den Plan gerufen. Diesmal gab es dann schon Befragungen, da wir unter Verdacht standen, denn wir wurden erkannt. Jedoch verliefen die Interviews ergebnislos, weil wir dicht hielten. Allerdings wurde uns danach der Boden zu heiß, und wir hielten uns mit solch drastischen "Streichen" zukünftig zurück.
Was mich aber ganz extrem faszinierte, war Autofahren! Ich hatte meinen Vater immer sehr genau beobachtet, was er machte und wie das ging mit dem Schalten und Kuppeln. Und so kam ich an einem schönen Sonntag nach mittag im Winter auf die glorreiche Idee, Vaters Wagen aus der Garage zu holen und eine Spritztour zu machen, natürlich mit meinen Spezln, die auch sofort begeistert zustimmten.
Meine Eltern waren mit unserem Zweitwagen, dem "SL", auf einem Ausflug ins Oberland, also gab es kein Hindernis, und so holte ich den Mercedes aus der Garage.
Ich war gerade mal vierzehn Jahre alt!
Wenn ich heute daran zurück denke, wird mir fast noch schlecht! Solchen Leichtsinn kann man nur als Teenager machen! Wir spielten effektiv mit unserem Leben. Keiner von uns hatte jemals zuvor ein Auto bewegt, aber ich zumindest war mir sicher, ich könnte durch simples Zusehen beim Vater Auto fahren!
Also, los ging's! Wie gesagt, es war Winter, auf den Strassen Schneeglätte, und zudem war heftiges Schneetreiben zugange.
Ich fuhr los, und die Strasse, in der wir wohnten, war eine schmale Allee, die mir nunmehr noch schmaler erschien.
Weit kam ich nicht, da fuhr ich erst mal in den Graben. Gut, der Graben war gottlob nicht sehr tief, und wir kamen auch wieder heraus. Und weiter ging's.
Nach einigen hundert Metern wurde ich bereits übermütig, weil alles so glatt lief, und ich beschloss, auf die Olympiastrasse Richtung Starnberg raus zu fahren.
Es war der glatte Wahnsinn – ich fuhr etwa 120 kmh – alle anderen Autos vielleicht gerade mal 50 kmh, und ich überholte dabei auch noch! Einer dieser Überholvorgänge war ziemlich riskant, und ich konnte gerade noch einscheren – im entgegenkommenden Auto saß wer? – meine Eltern!!! Sie hatten wohl wegen des schlechten Wetters ihren Ausflug früher als erwartet abgebrochen und waren bereits auf dem Heimweg.
Mein Vater zeigte mir den "Vogel", und vorbei waren sie!
Jetzt aber – Panik!!! Sofort wollte ich umkehren, wobei ich wieder im "freien Gelände" landete. Alles raus aus der Karre und schieben! Wir hatten Glück und kamen frei! Also im Eiltempo zurück nach Hause.
Vor unserem Haus angekommen, konnte ich an den Spuren im Schnee schon erkennen, dass meine Eltern bereits da gewesen waren und nachgesehen hatten, ob das Auto in der Garage stand oder, ob sie sich getäuscht hatten.
Wie sich später herausstellte, hatte mein Vater seinen Zweitwagen zwar nicht erkannt, er musste sich ja aufs Fahren konzentrieren, aber meine Mutter hatte uns gesehen!
Wir machten den kläglichen Versuch, den Schnee mit unseren Taschentüchern vom Auto zu wischen, aber es war wohl eine Verzweiflungstat, natürlich völliger Blödsinn.
Also fuhr ich das Auto in die Garage, und wir verdünnisierten uns erst mal, um Kriegsrat abzuhalten.
Das war äußerst unproduktiv, weil uns logischerweise keine in irgendeiner Weise plausible Ausrede einfallen konnte!
Es half ja nichts – irgendwann musste ich eben wieder nach Hause und dem ins Auge schauen, was da auf mich zu kam!
Es wurde natürlich ein ungeheuerliches Donnerwetter, aber weit weniger schlimm als befürchtet, weil die Sorge der "Alten" um mich überwogen hatte und sie froh waren, dass nichts passiert war, und das Auto auch noch heil!
- II. -
Später stieß da noch einer zu uns, der fester Bestandteil der Clique wurde. Das war der Mike Hagenbusch, seines Zeichens Zahnarztsohn und am Studieren. Nebenbei fuhr er "Call Car", so wie auch ich zu dieser Zeit, wobei ich ihn kennen lernte. Das Studium gab er bald auf, er konnte nämlich kein Blut sehen und somit auch nicht Vaters Praxis übernehmen. Das war wirklich komisch : wenn der Mike Blut sah, wurde ihm nicht schlecht oder so was, sondern er fiel schlicht und ergreifend in Ohnmacht – ohne Vorwarnung! Ich habe einmal erlebt, dass ein fettes Insekt an die Windschutzscheibe klatschte, während er Auto fuhr (ich als Beifahrer), sodass sich ein Blutfleck bildete. Da ich von seiner Eigenart wusste, schaltete ich sofort den Scheibenwischer ein, denn er war bereits am Weg knicken. Das war nicht lustig – das hätte böse enden können! Er hat aber bis dato überlebt!
Wir befreundeten uns ziemlich eng und unternahmen oft etwas zusammen. Da Mike recht klein und zierlich war, wurde oft gemutmaßt, wir wären schwul, aber das war uns egal.
Am heftigsten wurden unsere Ausritte im Fasching. Mike rief mich fast täglich an und fragte, ob ich auf eine Party mitkommen würde. Ich konnte nie nein sagen! Also waren wir fast jede Nacht unterwegs. Das war ungeheuer anstrengend, da ich inzwischen bereits in meines Vaters Firma arbeitete, wo ich um 7 Uhr früh Arbeitsbeginn hatte. Deshalb erwischte ich teilweise in einer ganzen Woche nicht mehr Schlaf als etwa 8 Stunden. In der Firma wusste man schon – wenn ich überpünktlich zur Arbeit erschien, hatte ich durchgemacht. Normalerweise schaffte ich es nämlich nie, pünktlich zu sein.
Aber wir hatten ungeheuer viel Spaß und lernten unzählige Mädels kennen. Adressen fürs ganze Jahr!
Nebenbei – Mike war ein Waffen narr. Zunächst galt sein Interesse alten Schusswaffen, vornehmlich Westernwaffen, aber später wechselte er zu Samuraischwertern. Und obwohl er kein Zahnarzt wurde, hat er sich trotzdem etabliert und wurde erstaunlicherweise einer der anerkanntesten Gutachter weltweit für diese Waffen.
Aber das alles war eben auch nicht befriedigend, auf die Dauer – Schwabing rief uns!
Unsere ersten Ausflüge nach Schwabing unternahmen meine Spezln und ich bereits mit etwa vierzehn Jahren, allerdings Sonntag nachmittags, mit dem Fahrrad. Es war ein echter Abenteuertrip, denn wir Landeier mussten ans andere Ende der Stadt.
Sonntag nach mittag – auch das hatte schon was! Der Trubel auf dem "Boulevard Leopold", die Eiscafés, jede Menge "steile Zähne", wie die Mädels damals im Teenagerjargon genannt wurden, Straßenmusiker, "anders" gekleidete Menschen, einfach verrückt, wie wir es empfanden. Die ganze Schwabinger Lebensart war höchst faszinierend!
Da war das "Cadore" auf der "Leo". Das war das angesagteste von den italienischen Eis Cafés (heute "Gino's"), und dort traf sich im Sommer tagsüber alles, was in Schwabing Rang und Namen hatte – oder glaubte es zu haben. Die Leute kannten sich, scherzten, lachten, flirteten, und ich wünschte mir sehnlichst, ich würde dazu gehören – was ja später auch eintraf – aber erst viel später!
Eine wichtige Anlaufstation in dieser Ära war auch der "Jazzkeller" in der Türkenstrasse. Ich glaube, das Gelände hieß offiziell "Türkenkaserne", obwohl da keine Kaserne mehr stand, nur ein antik anmutender steinerner Torbogen.
Das war dort, wo heute die "Pinakothek der Moderne" steht.
Das Gelände war unbebaut und wurde als Parkplatz genutzt, und mittendrin stand eine Holzhütte, die der Eingang zum "Jazzkeller" war, der ja tatsächlich ein "Keller" war.
Es war die Zeit "nach dem Rock' n 'Roll", als wir glaubten, uns weiterentwickeln zu müssen und deshalb zum Jazz überliefen, der eben angesagt war.
OK, zunächst war der "Jazz" eigentlich lediglich "Dixieland", was immerhin eine Musikrichtung war, zu der man gut trinken konnte.
Als wir dann unsere musikalische Neugier weiter verfolgten und hinein schnupperten in "Modern Jazz", "Cool Jazz" und was es sonst noch alles gibt, verloren wir bald unser "intellektuelles" Interesse am Jazz. Das war uns dann doch zu abgefahren und zu wenig melodiös.
Da gab es noch eine Location, die höchst interessant war, den "Tunnel"! Zwar nicht in Schwabing gelegen, aber einzigartig!
Es war ein Gewölbe, sicher ein ausgedienter Bierkeller vom Augustiner Biergarten.
Der "Augustiner" liegt ja auf einem Hügel, und an dessen seitlichem Abhang war dieses Gewölbe im Hügel gelegen.
Der Platz ist deshalb erwähnenswert, weil er heutzutage als gastronomische Einrichtung völlig undenkbar wäre! Einen offiziellen Namen dafür gab es nicht, wir nannten die Lokalität einfach nur "Tunnel", weil es ein kerzengerades Gewölbe war – eben wie ein Tunnel.
Am Eingang standen immer Bierkästen aufgetürmt, wo man sich gleich beim Eintritt mit Bier versorgen konnte. Gläser gab es natürlich nicht, nur Flaschen! Es gab kein elektrisches Licht, nur Kerzen auf den Tischen, und es gab auch keine sanitären Einrichtungen. Gebieselt wurde "wild", also im Freien.
Das Gelände vor dem "Tunnel" war zu dieser Zeit ein unbewachter Parkplatz, also hatte sich auch niemand beschwert.
Und die Band brauchte auch keinen Strom, da "Dixieland" unplugged gespielt wurde, ohne Stromgitarren und elektrischen Keyboards.
Folgerichtig gab es auch keine Entlüftung, und man kann sich vorstellen, was da drin für eine Luft war. Der Laden war ständig zum Bersten voll, und vor allem im Sommer war es unerträglich stickig in dem Gewölbe.
Aber in diesen Tagen hat uns das überhaupt nichts ausgemacht – wir hatten Gaudi ohne Ende!
Eine meiner ersten Exkursionen ins Schwabinger Nachtleben führte mich ins "Café Reitschule". Das war damals, wie auch heute wieder, sehr "en vogue", allerdings war das damalige Konzept ein völlig anderes, aber eben zeitgemäß. Es war noch die Zeit vor den Discos, und so wurde noch ausschließlich Live-Musik gespielt. Zu der Zeit gab es noch den wirklich berühmten Münchner Schlagzeuger und Bandleader Freddie Brocksieper, eine absolute Jazz-Legende. Die Band spielte eingängigen und tanzbaren Jazz, und des öfteren gesellte sich auch der damals sehr bekannte und beliebte Jazz Sänger Frank Forster dazu sowie der Trompeter Charlie Tabor, ebenfalls eine international anerkannte Münchner Jazz Legende.
Wenn man das Café betrat, spielte sich zur Rechten das Hauptgeschehen ab und zur Linken, etwas hermetisch abgetrennt durch eine Art breiten Pfeiler, eine Bar. Diese war ganz nach meinem Geschmack, und ich wurde Stammgast. Geld hatte ich kaum welches, ich war zu der Zeit noch Schüler, und so waren meine Zechen dementsprechend mickrig.
Der Barkeeper war der "Peter". Wie ich im Lauf der Zeit erfuhr, war sein voller Name Hans Peter, also Peter war sein Familienname, aber jedermann nannte ihn nur Peter. Er war klein und eigentlich hässlich und hatte eine Glatze – damals schon.
Der Peter war ein echtes Unikum, ein "Haderlump". Aber er war auch ein zertifierter "Barmeister". Er hatte immer nur Blödsinn im Kopf und sonderte am laufenden Band witzige Sprüche ab. Aber er war ein wirklich netter, lieber Kerl. Es war unfassbar, aber trotz seiner mangelnden Attraktivität, er war klein, schmächtig und damals eben schon fast "plattert", kam er offenbar bei der Weiblichkeit bestens an. Und er schnaxelte bei jeder erdenklichen Gelegenheit und in jeder unmöglichen Situation. So hatte er beispielsweise ein Art Büro, gleich gegenüber der Bar, das aber winzig war. Es war rund und im Durchmesser wohl kaum mehr als zwei Meter. Er schaffte es, schnell mal an der Bar ein Mädel klar zu machen, das er dann blitzartig in seinem Kabuff im Stehen vernaschte – so innerhalb von fünf Minuten! Wie er das immer so unglaublich schnell zuwege brachte, sollte mir ewig ein Rätsel bleiben – aber ich war voller Hochachtung und Neid.
Denn ich war (und bin immer noch) eigentlich schüchtern, was man mir nicht direkt anmerkt, aber in meinen frühen Jahren war ich gerade deshalb oft unglücklich verliebt. Ich hatte oft "Zahnweh"! Der Ausdruck war eine Erfindung von mir. Die Medls hießen in den 60ern "Zähne". Ein tolles Mädchen war somit ein "steiler Zahn", und daraus ergab sich für mich, dass aus Liebeskummer eben "Zahnweh" wurde.
Der Peter hat sich auch nie geändert. Als ich ihn viele Jahre später einmal im Hippodrom auf der Wiesn traf, er musste inzwischen um die 70 Jahre alt gewesen sein, sagte er nach unserer Begrüßung als Erstes: "Jetzt bin ich schon eine halbe Stunde hier und hab' immer noch nicht geschnaxelt".
Eines Abends führte ich eine neue weibliche Errungenschaft aus, natürlich in die "Reitschule".
Ich bestellte mein bescheidenes Bier, meine Begleiterin aber schon gleich mal einen Cocktail. Da wurde es mir bereits mulmig, wenn ich nur an mein Budget dachte, und ich überlegte krampfhaft, wie ich die Zeche bezahlen sollte? Es schmeckte ihr sichtlich, und der Peter animierte sie zu noch mehreren anderen Cocktails, sodass mir schier schlecht wurde - sie musste einen ansehnlichen Teil des Angebots aus der Cocktail-Karte konsumiert haben. Meine Stimmung sank auf den Nullpunkt, und ich überlegte mir, dass ich Peter wohl bitten musste, meinen "Deckel" anzuschreiben.
Als sich der Abend dem Ende zuneigte, nahm ich ihn zur Seite und fragte ihn, wie viel ich denn zu bezahlen hätte? Ich war perplex! Er stellte lediglich meine paar Bier in Rechnung, und mein Mädel soff umsonst! Das war der Peter!
Es war auch die Zeit, als die ersten Discos auf machten. Die warben damals noch damit, dass jede Nacht Weltstars Musik spielen würden. Den Ausdruck "Diskothek" gab es noch nicht. Ich glaube, solche Läden wurden noch "Nachtlokal" genannt.
Naiv, wie wir waren, warteten wir aufgeregt auf die Stars, bis wir endlich kapierten, dass die von der Konserve gemeint waren.
Die erste mir bekannte Disco war der "Scotch Club" in der Leopoldstrasse, nahe der Münchner Freiheit. Es war ziemlich teuer, für unsere Verhältnisse zumindest, aber wir hatten eine ganz liebe, verständnisvolle Bedienung. Es gab keine alkoholfreien Drinks, aber wenn wir einen "Whisky Cola" bestellten, goss sie an der Ausgabe heimlich etwas Cola ins Glas, so dass es aussah, als wäre Whisky drin, und so servierte sie uns die Drinks. Also mussten wir jeweils nur eine Cola bezahlen.
So also sah meine zaghafte Einführung ins Schwabinger Leben aus, aber das sollte ja erst der Anfang sein.
- III.-
Wir hatten die Sexualität entdeckt, zumindest theoretisch. Wir wohnten alle noch zu Hause, was damals noch üblich war im Alter von 18 Jahren. Aber wir hatten den Drang nach mehr Freiheit, und so überlegten wir, wie wir das in die Tat umsetzen könnten.
Keiner von uns durfte Mädels mit nach Hause bringen, wenn sich denn überhaupt die Situation ergeben hätte, und an "aushäusiges" Übernachten war natürlich auch noch gar nicht zu denken!
Da fällt mir ein "Vortrag" meines Vaters ein! Man stelle sich vor, wie naiv und unaufgeklärt meine Elterngeneration noch war: Eines Abends beschimpfte er mich, ich solle endlich mit dem "Handgetriebe", wie er das Wichsen nannte, aufhören. Ich wäre so blass davon!
Ich solle mir lieber eine Freundin suchen.
Er glaubte das offenbar ernsthaft, und ich glaubte es auch noch! Aber zu meiner Rechtfertigung konnte ich nur entgegnen, dass ich das ja wohl kaum ändern könnte, da ich weder über Nacht ausbleiben noch ein Mädel mit nach Hause bringen durfte.
Aus solchen Beweggründen spannen meine Spezln und ich den Gedanken an ein Appartement, quasi als Absteige für unsere bislang fiktiven amourösen Abenteuer, welches wir gemeinsam finanzieren wollten. Aus Geldmangel wurde die Idee aber bald verworfen – es war ja eh nur Wunschdenken. Die Alternative war, einen VW-Bully zu kaufen und ihn so auszustatten, dass man darin "schnaxeln" konnte (wieder Wunschdenken). Wir kauften einen nahezu schrottreifen VW-Bus für DM 300. Mehr Geld konnten wir nicht zusammen kratzen, und anspruchsvoll waren wir nicht! Zwar sackte die Beifahrertür beim Öffnen etwa 10 cm ab, die Scheinwerfer waren halbvoll mit Wasser, und er hatte jede Menge Rostlöcher, aber er fuhr! Allerdings hatte er auch keinen TÜV mehr, logisch, bei dem Gesamtzustand.
Wir fingen an, die Innenausstattung zu planen. Aber erst mal wurde er bemalt. Sehr bunt, mit einem Emblem vorne drauf, das aus den Buchstaben "I.G.L." bestand, mit goldenem Eichenlaub umrahmt. Die Initialen standen für "Interessengemeinschaft für freie Liebe". Wir fanden das äußerst provokativ, denn freie Liebe war 1961 noch lange keine Selbstverständlichkeit. Das war zwar ohnehin nur Angeberei, aber wir fanden es "pfundig", oder, wie man heute sagen würde, supercool!
Dann kam das Interieur dran. Aus der Planung, ein Bett einzubauen, wurde nichts, es war einfach zu aufwendig, aber es wurden zwei Sofas, gegenüberliegend, eingebaut, und es wurden irgendwelche alten Teppiche rein gelegt, die uns Wolfs Mutter überließ – es wurde richtig gemütlich. Um es gleich vorweg zu nehmen – Sex fand nie statt in diesem Mobil! Aber wir hatten trotzdem viel Spaß damit. Wir fuhren damit an die Seen zum Baden und machten jede Menge Ausflüge, auch nach Kloster Andechs zum Saufen. Tja, damals ging das noch! Der relativ nüchternste musste uns dann immer nach Hause fahren. Es kam schon vor, dass der Bus total überladen war, mit bis zu zwölf Leuten. Und es passierte auch, dass wir von der Polizei kontrolliert wurden, aber wir kamen immer mit einer Verwarnung davon.
Die wichtigsten Exkursionen waren natürlich nach Schwabing!
Obwohl der "I.G.L. Bus" als Liebesmobil nicht genutzt wurde, ging es allmählich los – mit dem SEX! Um ehrlich zu sein, die Ausübung desselben war noch äußerst verklemmt und zurückhaltend, denn wir waren ja noch alle sehr puritanisch und keusch erzogen worden, natürlich auch die Mädels – die sexuelle Freiheit der 70er Jahre lag noch weit vor uns. Es passierte meist auf Parties, in irgendeiner Ecke oder einem freien Zimmer, im Dunkeln und möglichst geräuschlos. In diesem Alter dauerte es auch nur wenige Minuten bis zur Ejakulation – wir waren schließlich unausgelastet und blitzartig auf Hundert. Und so hatte ich das Gefühl, das "Schnaxeln" würde niemals so toll werden, wie ich es mir beim Wichsen vorstellte, und das blieb auch so für etliche Jahre. Erst mit ca. 20 durfte ich erfahren, wie es wirklich GUT sein sollte!
Doch - ich erinnere mich an ein Erlebnis mit einem Mädel in meinen Anfängen, das schrie, während ich auf ihr "werkelte", am laufenden Band: Fick mich, fick mich, fick mich! – Und ich strengte mich ungeheuer an, schwitzte wie eine Sau und dachte bei mir, verdammt, was tue ich denn hier die ganze Zeit?!?! Tja, zu der Zeit wusste ich eben noch nicht, dass es Verbalerotik gibt.
Aber das schlimmste Sexerlebnis von allen war mein "erstes Mal"!
Im Grunde fing es so romantisch an, wie es besser nicht hätte sein können. Wir waren ein Haufen junger Leute in einer Kneipe und unter anderem eine Schönheit, an die sich alle ranmachen wollten. Sie wurde "Bambi" genannt, war DAS Top Model seiner Zeit und war auch zwei-drei Jahre älter als der Rest von uns.
Wie gesagt, ich war noch sehr schüchtern zu dieser Zeit, was mir aber meinen völlig überraschenden Erfolg bescherte. Sie wurde permanent und penetrant von allen Jungs belagert, was ich aus einiger Entfernung mit Amüsement beobachtete. Ich saß etwas abgeschieden in einer Ecke eben wegen meiner Schüchternheit, aber genau die Tatsache, dass ich sie nicht anbaggerte, machte offenbar Eindruck auf sie, und sie kam plötzlich zu mir rüber und fragte mich, ob ich denn Lust hätte, mit ihr an den Langwieder See zu fahren. Ich war zwar erst mal verblüfft, aber natürlich wollte ich – ich war begeistert!
Ich hatte kein Auto, aber sie hatte eins.
Es war eine laue Sommernacht, und nachdem sie auf dem Weg zum See bei sich zu Hause noch eine Flasche Whisky mitgenommen hatte, fuhren wir weiter.
Kein Mensch weit und breit, der Vollmond schien, und wir suchten uns ein lauschiges Plätzchen zwischen Büschen, nahe am See. Eigentlich eine perfekt romantische Situation!
Wir zogen uns aus, aber obwohl es finster war und uns niemand gesehen hätte, nicht nackt! Dafür waren wir wohl doch noch zu prüde! Wir hatten unser Badezeug an und sprangen erst mal in den See. Nach unserem Bad nahmen wir ein paar kräftige Schlucke aus der Flasche, und dann legte ich los! Ich dachte bei mir: "Jetzt wirst Du ein Mann"!
Ich war unglaublich naiv und unbeholfen und hatte noch keinerlei Ahnung, wie und dass man eine Frau mit Vorspiel auf den Liebesakt vorbereitet.
Sie hatte einen Einteiler an, welchen ich zunächst von ihrem Körper zu schälen versuchte. Da dieser nass war, wurde das ein mühseliger Akt, und sie half mir auch nicht dabei. Obwohl sie älter war, hatte sie kaum mehr Erfahrung als ich (wie sich später herausstellte), aber schließlich war es geschafft.
Wie gesagt – keine Ahnung von "Präliminarien", also wollte ich sofort "zustoßen", was sich aber als äußerst schwierig erwies, denn durch das relativ kalte Wasser war sie natürlich "dicht". Die Grotte war geschlossen!
Ich versuchte es verbissen etwa 15 – 20 Minuten lang, bis er endlich drin war. Mein Ding tat bereits unglaublich weh, und als er endlich drin war, spritzte ich natürlich sofort ab.
So – das war's! Ich war bitter enttäuscht. Ich hatte die Vorstellung gehabt, dass etwas ganz Gewaltiges mit mir passieren würde. Jetzt, da ich ein "Mann" war…!?
Aber es kam noch besser! Am nächsten Tag sah mein Schniedel aus wie ein Baseball-Schläger, vorne ganz dick, und drei Tage später hatte ich einen Tripper! Erst mal war ich verzweifelt und dachte mir: "Es war eh Scheiße, jetzt fehlt es nur noch, dass ich gleich beim ersten Mal "angebaut" habe!
Meinen Eltern wagte ich davon nichts zu sagen – oh Gott, niemals - aber der Tripper verging, mysteriöserweise, gottlob, von selbst wieder. Ich war extrem sauer auf "Bambi" und wollte sie nicht mehr sehen.
Tage später fuhr sie mit ihrem Mercedes 220 bei meinem Elternhaus vor, um mich zu sehen, aber ich ließ mich verleugnen. Ich hatte auch nicht den Mumm, ihr zu verklickern, was mit mir los war, und so erfuhr sie auch nicht den Grund meines abrupten Rückzugs.
Erst Jahre später lernte ich bei der Bundeswehr, dass es ein "Windtripper" gewesen war, eine reine Erkältung also, welche die gleichen Symptome aufweist wie ein richtiger Tripper, aber von selbst wieder abheilt. Also hatte ich dem armen Mädel zutiefst Unrecht getan.
Etwa zehn Jahre später sahen wir uns zufällig wieder.
Ich musste zur Post, die im Erdgeschoss des Mietshauses untergebracht war, in dem sie wohnte. Sie schlug vor, dass ich auf einen Kaffee zu ihr rauf kommen solle, ein paar alte Platten hören und ratschen, um der alten Zeiten willen.
Wir sprachen dann auch unseren damaligen ersten ziemlich missglückten Versuch an und lachten herzhaft darüber, wie tollpatschig und unbeholfen wir waren, und sie gestand mir, dass ich damals gerade mal ihr "Zweiter" gewesen war.
Nach dem Kaffee schenkte sie Wein ein, und so tranken wir einige Gläser, als wir uns plötzlich tief in die Augen schauten. Unbestritten – es funkte zwischen uns! Und ohne Umschweife meinte sie, ob wir es nicht noch mal versuchen wollten?
Ich war nicht schwer zu "überreden"!
Im Gegensatz zu unserem ersten Mal wurde der zweite Versuch ein voller Erfolg! In dieser Nacht konnte ich so oft wie nie wieder auf meinem weiteren sexuellen Lebensweg, und so wurde es eine der unvergesslichsten Liebesnächte meiner Laufbahn.
Wir haben uns danach nie wieder gesehen! Ich dachte mir, dass sie mich totficken würde, wenn wir das nun Angefangene weiter führen würden, oder dass andererseits die Geilheit irgendwann im Sande verlaufen und sich Langeweile ausbreiten würde. Deshalb beließ ich es bei dieser einen "Supernacht" und einer einzigartigen Erinnerung.
Zu dieser Zeit gab es noch keinen Sperrbezirk, und die Puffs waren noch mitten in der Stadt. So auch das "IMEX HAUS" in der Hohenzollernstrasse 112. Jeder wusste, was bei dieser Adresse zu finden war. "Imex" war abgeleitet von Import-Export, also "rein-raus" – so entstand der Name. Und weil unser Sexleben noch recht unbefriedigend war, machten wir öfter mal einen Abstecher ins "Imex Haus", nur um zu "spannen", und wir hatten das prickelnde Gefühl, etwas Verruchtes zu tun. Halt - bevor ich es vergesse – einmal, ich war ca. 18, da hat mich beim "Inspektionsgang", wie wir unseren Besuch dort auch nannten, mein Freund "Zwerg" überredet und sogar eingeladen, zu einer Nutte zu gehen. Nach längerem peinlichem Zögern suchte ich mir eine aus. Es war die am "bravsten" aussehende, und ich ging mit ihr aufs Zimmer. Irgendwie wollte ich ihr erklären, dass ich noch nie bei einer Nutte war, aber sie dachte wohl, ich wollte Probleme bei ihr loswerden, mein Herz ausschütten, und schnitt mir sofort das Wort ab. Sie wolle nichts hören, sagte sie, und unbeholfen, wie ich war, ließ ich es dabei.
OK, sie fragte mich, ob ich es gerne mit dem Mund hätte, und da ich das ohnehin noch nie erlebt hatte, wollte ich es haben – für DM 20 Zuschlag natürlich. Da ich aufgrund meiner Jugend völlig unausgelastet und somit blitzartig überreizt war, wurde es ein sehr kurzes Vergnügen! Kaum berührte sie "ihn" mit den Lippen, war ich schon da! Tja – und das war's! Ich wollte natürlich noch mal, aber unwissend, wie ich war, wusste ich halt nicht, dass nur "EINMAL Spritzen" im Preis enthalten war.
So - das war die erste und letzte Erfahrung meines Lebens mit einer Nutte.
Eine gute Bekannte von mir arbeitete zu der Zeit bei der Plattenfirma 'Teldec", die damals zu den größten gehörte.
Eines Tages bot sie mir an, mit ihr zu einem Konzert der "Rolling Stones" zu gehen, sie hätte Freikarten. Das war 1965, und wenn ich mich recht erinnere, war es das erste Konzert der "Stones" in München.
Ich hatte noch nie von der Band gehört und sie auch nicht, obwohl sie ja "vom Fach" war. Sie meinte, die wären so was wie die deutschen "Beatles"!
Wir gingen also zusammen in den "Zirkus Krone Bau", ich, elegant, im dunkelblauen Blazer, natürlich mit Krawatte. Ich war vorher noch nie auf einem Popkonzert gwesen und wusste nicht, was man zu so was anzieht! Als ich sah, wie das restliche Publikum gekleidet war, bunt und ausgeflippt, konnte ich nur kopfschütteln.
Ich war eben vollkommen seriös und spießig erzogen worden!
Es war ein Chaos! Es spielten nacheinander etwa drei Bands im Vorprogramm, von denen ich natürlich auch noch nie gehört hatte. Deutsche Bands – ich glaube, es waren auch die "Lords" dabei – keine Ahnung. Das Publikum schrie und kreischte in einer Tour, sodass von der Musik eh kaum was zu hören war – außer Krach.
Dann kamen die "Stones" auf die Bühne, und ich war endgültig entsetzt.
In den 60ern war es noch üblich, dass Bands in adrettem Einheitslook auftraten, aber nicht so die "Stones". Ich weiß noch – Charly Watts hatte eine Lammfellweste an, und wirklich abstoßend fand ich, dass Mick Jagger kein Hemd unter dem Sakko trug – entsetzlich!
Mein Kommentar dazu war: "Was sind denn das für verlauste Affen"?
Tatsächlich waren sie mir so zuwider, dass ich das Konzert verließ!
Musik konnte ich wegen des Gekreisches eh keine hören – also ging ich.
Wer den Zirkus Krone kennt - da gibt es außen um die eigentliche Arena herum das Foyer, einen Rundgang, und als ich dort draußen war, konnte ich plötzlich die Musik besser hören als drin.
Da horchte ich auf! Aha – die waren ja doch gar nicht so schlecht, das gefiel mir dann doch recht gut!
Ich blieb eine Weile unentschlossen stehen und ging dann aber mit gemischten Gefühlen wieder hinein.
Das war meine Einführung in die Welt der Popkonzerte! Man sieht daran, wie nötig ich es hatte, "geläutert" zu werden! Hat dann aber "fürderhin" recht gut geklappt, und ich konnte mich aus dem Spießertum befreien.
Allerdings muss ich gestehen, dass es noch einige Jahre dauerte, bis ich ein echter "Stones Fan" wurde.
Der Höhepunkt mit unserem Spassmobil, dem "I.G.L. Bus" und mein persönliches erstes "Schwabinger Highlight" war, als die "Schwabinger Krawalle" anfingen. Zunächst hatten wir keine Ahnung davon, als wir die Leopoldstrasse vom Siegestor her kommend hinauf fuhren. An der Kreuzung Franz-Josef-Strasse war die Straße vollkommen dicht. Nicht mit Absperrungen, wie man annehmen würde, nein, die Menschen saßen auf der Strasse quer über die "Leo", und NIEMAND wurde durchgelassen. Kein Auto und auch nicht die Straßenbahn, die damals noch auf der "Leo" fuhr. Außer uns!! Als die Leute unseren bunt bemalten Bus sahen, machten sie den Weg frei. Wir waren also die einzigen, die passieren durften – Wahnsinn – wir waren ja sooo stolz! Jetzt hatten wir das Gefühl, zu Schwabing zu gehören! Wir waren Schwabinger!
Die "Schwabinger Krawalle" entstanden, weil an dieser Ecke, beim "Schwabinger Nest", Straßenmusiker einfach verhaftet wurden, nur weil sie nach 22:30 Uhr noch Musik machten! Das konnte sich Schwabing nicht gefallen lassen! Es kamen in den nächsten Tagen so um die 40.000 Demonstranten zusammen, und zwar zunächst friedlich! Das waren Zeiten, als Schwabing noch eine solidarische Gemeinschaft war. Leider ist das Ganze dann allerdings eskaliert, weil aus anderen Städten Schlachtenbummler kamen, Hooligans würde man sie heutzutage nennen, die einfach nur prügeln wollten und nicht mal wussten, worum es eigentlich ging, weshalb das ganze dann doch einen bitteren Nachgeschmack bekam. Auch die berittene Polizei, die Ordnung schaffen sollte, war nicht zimperlich und prügelte mit ihren Schlag stöcken munter drauf los, wobei etliche unbeteiligte Leute was abbekamen, sogar der Leiter des Münchner Jugendamts, Dr. Seelmann, der sich nur mal informieren wollte, was überhaupt vor sich ging und warum.
Er soll zu einem "Berittenen", der ihn gerade verscheuchen wollte, gesagt haben, während er seinen Ausweis zückte: "Ich bin …", weiter kam er nicht! Der Bulle sagte angeblich "Ist mir wurscht, wer Du bist", und hatte ihn niedergeknüppelt.
Allerdings waren die Krawalle nicht politisch motiviert, es war pure Solidarität mit Schwabinger Musikern!
(Erst kürzlich hat es sich im Rahmen einer Veranstaltung ergeben, dass ich diese Musiker nach ziemlich genau 60 Jahren kennen lernen durfte).
Etwas Positives ist aber doch daraus entwachsen, nämlich die sogenannte "Münchner Linie". Unser damaliger "Stadt-Sheriff" Manfred Schreiber entwickelte aufgrund der brutalen Vorgehensweise der Polizei bei den Krawallen ein Konzept, erstmals auch unter Einsatz von Polizei-Psychologen, das auf De-Eskalation setzte, um künftige Ereignisse dieser Art zu vermeiden.
Ich wurde oft gefragt, wie denn die Krawalle beendet wurden?
Das war tatsächlich ganz banal – es hat sich letztlich von selbst erledigt, denn am vierten Tag hat es wie aus Kübeln geregnet, und es kam keiner mehr zum Demonstrieren.
Das "Nest" war ein ungezwungener Treffpunkt. Das Publikum war gemischt, aber doch mit Schwerpunkt auf Nonkonformisten. Also keine Kaffeetanten oder so. Schon eher etwas schrägere Typen. Aber Intellektuelle! Ebenerdig war es ein Kaffeehaus, und im Untergeschoss das "TABU", ein "Nachtlokal". Dort spielte Live-Musik, die Hausband war der Hansi Küfner, und es gab jede Nacht einen "Sängerwettstreit". Der Gewinner bekam eine Flasche Sekt und die zweit- und drittplatzierten eine Halbe Bier. Das waren halt noch bescheidene Zeiten. Und lustig war es trotzdem.
Gegenüber war da noch das "Picnic", ein Flachbau, der mehr aussah wie eine Baustellenbaracke. Es war eine Imbissbude, war aber auch der Treffpunkt für Underdogs und Penner (damals wurden sie noch "Gammler" genannt) und, obwohl wir noch keine Ahnung von Haschisch und Gras, geschweige denn härteren Drogen hatten, wurde mir später klar, dass dort auch gedealt wurde. Die lungerten in der Regel VOR dem Laden rum.
Im "Picnic" gab es aber auch den höchstwahrscheinlich ersten "Hot Dog" Münchens.
Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich sogar noch die damals äußerst begehrten und legendären Atelierfeste erleben durfte. Das war die Zeit, als man Künstler jeder Richtung, Non-Konforme, Studenten als "Existenzialisten" bezeichnete. Sie trugen "Existenzialisten-Bärte" und eigenwillige Kleidung, die sie vom Normalbürger unterschieden.
Der Eintritt zu den Atelierfesten im Fasching war kostenlos, allerdings nicht für jeden zugänglich – man musste schon eingeladen sein. Es spielten Live Bands, und die Getränke wurden zum Selbstkostenpreis verkauft. Und es gab ständig Feste, man konnte von einem zum nächsten wandern. Einmal war ich eine ganze Woche unterwegs. Zwischendurch hielt ich hier und dort ein Nickerchen in einer Ecke, und dann ging es weiter. In dieser ganzen Woche brauchte ich gerade mal DM 20! Das war gigantisch!
Die Veranstalter waren auch noch "echte" Künstler. Im Sommer stellten sie Bilder auf der "Leo" aus und hielten sie zum Verkauf feil, und viele finanzierten ihr Studium damit.
Heute werden auch noch Exponate zum Verkauf angeboten, aber das ist nur noch billige Massenware, keine Kunst mehr – bis auf Vereinzeltes - vielleicht!?
Das muss etwa die Zeit gewesen sein, als ich endlich in die "Geheimnisse der Liebe für Fortgeschrittene" eingewiesen wurde.
Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, wie die Dame hieß. Aber unser Kennenlernen war recht witzig. Ich weiß noch, dass ich eine Favoritin hatte, für die sich auch einer meiner Freunde brennend interessierte, die ich aber permanent an ihrer Arbeitsstelle im Büro anrief, um sie von mir zu überzeugen. Dabei passierte es öfters, dass ihre Kollegin ans Telefon ging. Diese hatte eine sehr erotische Stimme, und nachdem ich mehrmals telefonisch mit ihr geflirtet hatte, waren wir so weit, uns zu treffen. Das war mein erstes und einziges "Blind Date" in meinem Leben.
Logischerweise habe ich vor Aufregung gezittert, wie sie wohl aussehen würde und so…!!
Es war eine höchst erfreuliche Überraschung – sie war eine Schönheit! Unfassbar! Sie war ein paar Jahre älter als ich und hatte, wie ich erleben durfte, entweder reichlich Erfahrung in der körperlichen Liebe, oder sie war schlicht und ergreifend ein Naturtalent. Jedenfalls – die erste Nacht mit ihr war ein unfassbares "WOW Erlebnis". SO also konnte es sein!!!
Ab sofort war ich ein absolut begeisterter Liebhaber.
Wir bauten keine feste Beziehung auf, es blieb ein "Schnaxelverhältnis", und das war genial! Kein Stress – nur fleischliche Lust, wann immer uns danach war!
Das lief längere Zeit, bis es irgendwie im Sand verlief – keine Ahnung mehr wie und warum. Jedenfalls hatte sie mich "erweckt", und dafür bin ich ihr heute noch dankbar.
Und – wie praktisch – sie wohnte in Schwabing!
- IV.-
Auch daran kam ich nicht vorbei - die Einberufung zu den Gebirgsjägern nach Bad Reichenhall - und Schwabing musste zeitweilig auf mich verzichten.
Meine Eltern waren froh, mich los zu haben, aber sie hatten nicht mit meiner Sturheit gerechnet. Ich war auch an den Wochenendurlauben nicht gerne zu Hause gesehen, aber Schwabing war wie ein Magnet für mich. Also fuhr ich trotzdem nach München, ging um die Häuser und kletterte dann spät nachts über den Zaun meines elterlichen Anwesens. Ich war zu feige, zu klingeln, also legte ich mich zum Schlafen auf eine Sonnen liege auf der überdachten Terrasse, was natürlich schön kalt war, so ohne Decke, aber das hielt ich gerne aus. Morgens wurde ich dann entdeckt, und meine Eltern mussten sich eben mit meiner Anwesenheit abfinden.
Ich war damals ziemlich unglücklich, glaube ich, denn sogar mein "Spieß" beim Bund, der "Hauptfeld" Kerscher, merkte, dass mit mir etwas nicht stimmte, er hielt mich offensichtlich sogar für suizid gefährd et. Eines Tages, nachdem ich wieder mal ein paar Tage "Bau" abgesessen hatte, nahm er mich zur Seite und gab mir folgenden Rat: "Bua, dua da fei ja nix oo! Du muasst da immer denga, du kannst jemand an G'foin damit doa – dua eahna bloss den G'foin net!!!" (Muss ich das übersetzen?). Jedenfalls habe ich diesen Spruch mein ganzes Leben lang nicht vergessen, und jedes Mal, wenn mir alles zuviel zu werden schien, dachte ich daran, und schon war alles nur noch halb so schlimm.
Nachdem meine Dienstzeit zu Ende und ich wieder zu Hause war, gab es ganz schnell massiven Ärger mit meinem Vater, weil er bereits nach drei Tagen der Meinung war, ich solle etwas arbeiten, schließlich hätte ich ja 18 Monate Urlaub gehabt. Darauf folgte der heftigste Streit aller Zeiten. Ich war so erzogen, dass dem Patriarchen nicht zu widersprechen ist, aber damit war jetzt endgültig Schluss!
Wir hatten uns im Anschreien überboten, diesmal demonstrierte ich, dass ich mindestens genau so laut schreien konnte wie er, stand dann vom Abendbrottisch auf, zog eine Jacke an und ging! Für immer! Ich habe danach mein Elternhaus nie wieder betreten. Meine Mutter hatte mir schnell noch etwas Geld zugesteckt, damit ich ein paar Tage überleben konnte. Das war's!
Von hier an war die Entscheidung leicht. Ich brauchte erst mal eine Bude, und wo würde ich zuerst suchen? – Na klar, in Schwabing! Aber dort fand ich keine, die bezahlbar war. Es war dringend, und deshalb musste ich nehmen, was sich auf die Schnelle anbot, und das war leider in völlig entgegengesetzter Richtung – in Lochham! Das ist am anderen Ende der Stadt, weshalb es recht lästig war, denn ich fuhr praktisch jede Nacht nach Schwabing und dann angesoffen da raus, das sind so um die zwanzig Kilometer.
Das ging auch nicht ohne gelegentliche Schrammen ab! Die Strecke ab Pasing war ziemlich kurvig, und da ich ein verhinderter Rennfahrer war, fuhr ich immer meine Privatrennen. Vor allem eine bestimmte Rechts-Links-Kombination hatte es mir angetan. Immer wieder war ich überzeugt, diese Kombination "geht schneller"! Ging aber nicht!
Einmal hatte ich die Rechtskurve super genommen, leider war aber in der linken dann eine gefrorene Pfütze und ich drehte mich so, dass ich mit dem rechten Hinterrad den linken Randstein traf. Der war leider sehr hoch, und deshalb waren meine Felge und die Achse im Arsch! Weitere Versuche gingen zwar jeweils glimpflicher ab, aber ich schaffte die Kurven einfach nicht schneller!
Es gab noch ein Problem, was meinen Wohnort betraf. Lochham liegt bereits im Landkreis Fürstenfeldbruck, weshalb ich mein Auto hätte ummelden müssen. Aber ich hätte mich natürlich niemals mit FFB auf meinem Nummernschild auf die Strasse gewagt. Ich hätte mich zu Tode geschämt! Schließlich ist FFB ein Synonym für "Fahrer Fährt Blöd" oder "Fährst Furt Bauer"!
Da ich mich also vehement weigerte, die Karre umzumelden, kratzten mir eines Morgens die Bullen meine Steuerplakette vom Nummernschild. Früh morgens um ca. 6 Uhr!
Zu der Zeit war ich noch im Frondienst meines Vaters und musste um diese Zeit aufstehen.
Die Bullen waren wirklich unfair – wie hätte ich ahnen können, dass die Stempel eliminiert waren und damit mein Auto nicht mehr zugelassen?
Also stieg ich nichtsahnend in meine Karre und fuhr in die Firma. Diese linken Schweine hatten mich aber abgepasst und mich verfolgt. Als ich auf dem Betriebshof meines Vaters angekommen war, stellten sie mich und wollten mein Auto abschleppen. Aber wenigstens das konnte ich ihnen vermiesen, denn schließlich war das Privatgrund, und so mussten sie unverrichteter Dinge wieder abziehen!
Allerdings bekam ich eine Strafe, wegen – man stelle sich vor – Steuerhinterziehung!
Es war höchste Zeit für Schwabing!
Erst nach etwa einem Jahr, als ich meine Inge kennen lernte, übernachtete ich oft bei ihr. Sie hatte zwar eine Bonsai-Wohnung, 12 m2 klein, allerdings mitten in Altschwabing, im angrenzenden Haus zum "Fendilator", einem der angesagten Schwabinger "Nacht-Clubs" jener Zeit.
Für zwei Personen war die Bude wirklich viel zu klein, aber es waren eben auch bescheidenere Zeiten. Wir waren jung und verliebt – da braucht man nicht viel Platz.
Wie gesagt, da ich bei "Vätern" arbeitete, musste ich um 6 Uhr aufstehen. Das war eine harte Zeit, denn im "Fendilator" wurde Live Musik gespielt und da es zu dieser Zeit noch keine Schallschutzfenster gab, spürte ich bis 4 Uhr früh den Bass im Magen.
Das waren normale Zustände! Beschwerden wegen Lärmbelästigung gab es noch nicht! Ich wäre auch gar nicht auf die Idee gekommen, mich zu beschweren – es war ganz normal, so wie es war!
Später zogen wir zusammen, in eine "größere" Wohnung. Die war dann etwa 20m2 klein und war im "Keidlerbunker". Das Haus, in der Herzogstrasse 43 – 45, wurde so genannt, weil im Erdgeschoss das Autohaus "Fiat Keidler" beherbergt war und die meisten Mieter Nutten waren. Aber auch ein paar Schwule und Studenten. Es war ein lustiges Haus!
Die Bude war teilmöbliert, und dabei gab es zwei Betten, beide je einen Meter breit. Aber da die Wohnung eh schon so klein war, beschlossen wir, dass uns eines dieser Betten reichen würde.
Tatsächlich haben wir vier Jahre in diesem Bett geschlafen und es zum Ende unserer Beziehung hin sogar geschafft, uns nach einem Streit nicht mal zu berühren.
Die Inge war extrem stur, aber ich konnte mithalten. Nachdem wir wieder mal Streit gehabt hatten, schwiegen wir uns tagelang an. Beispielsweise spielte gerade eine Schallplatte ab, und der Tonarm blieb hängen. Wisst ihr noch, wie es nervt, wenn sich immer dieselbe Passage eines Liedes wiederholt?
Ich stand gerade auf dem Balkon und tat so, als ob ich es nicht hören würde. Inge saß neben dem Plattenspieler, aber sie war tatsächlich so stur, dass sie den Tonarm nicht weiter schubste. Der Plattenspieler konnte ja nun wirklich nichts für unseren Streit.
Ich wollte sehen, wie lange sie das aushalten würde, aber ich hielt nicht durch. Immerhin dauerte es etwa eine endlose viertel Stunde, bis ich aufgab und dann doch die Platte von ihrem Leiden erlöste.
Es wurde Zeit für die Trennung!
Bevor wir uns trennten, musste sie aber noch eine meiner Suff-Eskapaden ertragen.
Ich war bei einem Klassentreffen gewesen. Dieses fand statt im "Hahnhof" am Waldfriedhof, also in meiner alten Gegend.
Die meisten meiner ehemaligen Mitschüler waren damals schon verspießert, es war 1968, aber mit ein paar wenigen ergab sich eine gemeinsame Wellenlänge. Sprich – wir vereinten uns im Alkohol.
Das blöde Spiel, welches wir früher schon oft mit Bier praktiziert hatten: "Der Vorletzte zahlt", spielten wir diesmal mit Wein-Humpen, jeweils 1 Liter.
Natürlich haut Wein entsprechend heftiger und schneller rein als Bier.
Aber, wie damals eben üblich, dachte ich nicht im Entferntesten daran, mein Auto stehen zu lassen.
Vom Waldfriedhof nach Schwabing ist es ja schon eine ordentliche Strecke, und ich kam auch nicht ganz unbeschadet in meine heimatlichen Gefilde.
Ich war voll wie eine Strand ha ubitze, und irgendwo unterwegs muss mir schlecht geworden sein, und ich habe voll auf meinen Beifahrersitz gekotzt.
Offenbar habe ich dabei etwas die Beherrschung über mein Gefährt verloren und bin über einen Randstein gedonnert. Aber das habe ich alles nicht mehr registriert!
Jedenfalls – am nächsten Tag, nachdem ich aus der Ohnmacht erwacht war, meinte Inge zu mir: "Schau dir mal dein Auto an – sieht gut aus"!
Mir war natürlich schleierhaft, was sie damit meinte – ich hatte ja keinerlei Erinnerung mehr.
Später ging ich nach unten und schaute mir das Drama an!
Erst mal sah ich, dass die Autotür sperrangelweit offen stand, aber OK, den vollgekotzten Wagen hätte eh keiner geklaut.
Dann sah ich es! Meine beiden rechtsseitigen Reifen waren platt, und die Felgen waren auch hinüber.
Diesmal bekam ich aber schon mal einen ordentlichen Schrecken. Was hätte da alles passieren können – ich hätte jemanden tot fahren können und hätte es nicht mal mitbekommen…!!! Das war mir nun ehrlich eine Lehre! So was habe ich nie wieder praktiziert!
Inge zog also aus, und ich blieb in der Wohnung.
In diesen Tagen war ich noch sehr traditionsbewusst – bayrisch!
Ich besaß natürlich Trachtenklamotten aller Art und vor allem Trachtenschmuck, auf den ich besonders stolz war. Charivari, Ringe, Taschenuhren, Manschetten knöpfe, alles vorzugsweise antik, ich ließ mir in Österreich sogar spezielle Silberknöpfe für meine Trachtenweste anfertigen. Jeder dieser Knöpfe hatte ein anderes Jagdmotiv.
Das alles wollte ich noch toppen! Ich hatte allen Ernstes vor, mir ein silbernes "Dupont" Feuerzeug machen zu lassen, ebenfalls mit einem Jagdmotiv eingraviert. Aber das habe ich dann doch verworfen, weiß nicht, ob Dupont so was überhaupt gemacht hätte, und wenn, dann sicherlich fast unbezahlbar – zumindest für mich.
Nebenbei sammelte ich auch noch alte Zinnkrüge. Ich war ein Hardcore "Bayernspinner"!
Es war an einem Abend, als ich an der Bar im "Schwabinchen" arbeitete, als mich ein Gast ansprach und fragte, ob ich einen Kameraassistenten kennen würde, was ich verneinte. Er war Kameramann, und es schien ihm sehr dringend zu sein, denn er löcherte mich und meinte nach kurzer Zeit, dass ich das auch machen könnte. Ich erklärte ihm, dass ich nicht die geringste Ahnung von dieser Arbeit hätte, aber er zerstreute meine Bedenken und meinte, er könne mir das alles auf die Schnelle beibringen.
Na ja, warum nicht? Geld konnte ich immer brauchen, und es sollte hundert Mark pro Tag geben. Eine super Gage in dieser Zeit.
Das Ganze war dann auch recht erfolgreich, obwohl die Produzenten sehr wohl gemerkt hatten, dass ich kein Profi war, aber egal, ich tat meinen Job.
Aber um den Job geht es mir hier gar nicht! Der Achim – so hieß der Kameramann – und ich, befreundeten uns und waren öfter zusammen unterwegs, als er mir eines Tages eröffnete, dass er seine Bleibe verloren hätte und nicht wüsste, wo er nächtigen solle.
Also bot ich ihm an, er könne ein paar Tage bei mir pennen.
Er brachte ein Feldbett mit, und so hatte ich einen Untermieter.
Eines Nachts muss ich wohl so besoffen gewesen sein, dass ich sogar freiwillig mein Auto stehen ließ. Allerdings nicht weit weg von zu Hause, ziemlich am Anfang der Herzogstrasse, Nähe Münchner Freiheit.
Beim Aufstehen spürte ich Schmerzen in der rechten Hüfte, die ich aber verdrängte.
Ich marschierte also los, um mein Auto zu holen.
Als ich die Karre gerade aufsperrte, spürte ich einen heftigen Stich in der Hüfte, so als ob mir ein Messer hineingerammt würde, und ich ging zu Boden.
ich dachte an Kinderlähmung oder sonst was ganz Fürchterliches. Ich kam nicht mehr hoch!
Zum Glück war da eine Dame, ein paar Meter weiter, die auch gerade in ihr Auto einsteigen wollte, und die kam mir zu Hilfe.
Sie half mir auf, und da ich mich kaum fortbewegen konnte, bot sie mir an, mich nach Hause zu fahren, es war ja eh nicht weit.
Tatsächlich hatte ich so extreme Schmerzen, sodass ich mich nur zentimeterweise mit den Füssen schlurfend fortbewegen konnte.
Endlich kam ich wieder in meiner Bude an, und Achim war auch in meiner Wohnung.
Es war ein Glücksfall, dass er bei mir war, denn zu dieser Zeit hatte ich noch nicht mal ein Telefon, hätte also keinerlei Hilfe rufen können. Nicht einmal einkaufen hätte ich können, ich wäre wohl schier verhungert, wäre ich alleine gewesen.
OK, Achim holte schließlich mein Auto dort ab, wo es geparkt war, und wir machten eine "Ärzterallye". Jeden Tag zu einem anderen Arzt, denn keiner fand heraus, was mir überhaupt fehlte.
Bis wir schließlich nach zehn Tagen auf die Idee kamen, in die orthopädische Klinik zu fahren.
Nach einigen erfolglosen Untersuchungen und Röntgenaufnahmen fühlte der Arzt meine Wirbelsäule ab, mit den Daumen seitlich an die Wirbel drückend, als er plötzlich einen Punkt traf, bei dem ich in die Luft ging, wie einst das HB-Männchen.
"Ja, da hamma's ja scho'", war sein Kommentar!
Das hieß im Klartext, es war "nur" eine Muskelverkrampfung, die er aufgespürt hatte, die dann auch mittels ein paar Spritzen innerhalb einer halben Stunde "vergessen" war.
Zehn Tage hatte ich gelitten wie ein Schwein, und so schnell war alles vorbei! Nicht zu fassen!
Der Achim war mir also eine wirklich große Hilfe, meine Rettung!
Aber dann passierte es!
Es kam öfter mal vor, dass ich meinen Schlüssel in der Wohnung vergessen hatte.
Anfangs klingelte ich dann meinen schwulen Nachbarn raus und stieg über den Balkon, wenn die Balkontür offen war. Das war mir immer sehr zuwider, ich hatte damals noch große Berührungsängste mit Schwulen.
Irgendwie kam ich aber drauf, dass ich mittels einer Flachzange und einem Schraubenzieher die Blende des Türgriffs abschrauben konnte und mit der Flachzange den herausstehenden Stummel der Türklinke zu fassen bekam und ihn drehen konnte. Da ich nie absperrte, kam ich so in die Wohnung.
Deshalb hatte ich dann immer Zange und Schraubenzieher im Auto.
Achim und ich waren wieder mal im Augustiner Biergarten und schön angesoffen.
Zu der Zeit wohnte er bereits nicht mehr bei mir.
Nachdem wir uns getrennt hatten, fuhr ich nach Hause, um meinen Rausch auszuschlafen.
Am nächsten Morgen wurde ich geweckt durch ein Klopfen an meiner Wohnungstür. Es kam mir sehr laut vor, weshalb ich aufstand und nachsehen ging. Dabei stellte ich fest, dass die Putzfrau mit ihrem Schrubber gegen die Tür donnerte und dass die Wohnungstür offen war, deshalb war auch der Putzlärm so laut zu hören.
Natürlich dachte ich, dass ich im Suff die Tür nicht ordentlich geschlossen hatte.
Erst einige Zeit später, als ich mich etwas in der Wohnung umsah, fiel mir plötzlich auf, dass meine sämtlichen Zinnkrüge, die immer auf meinem Bauernschrank standen, weg waren.
Da ich ständig ein schlechtes Gewissen hatte wegen meiner miserablen Zahlungsmoral, war ich zunächst der Meinung, ein Gerichtsvollzieher hätte die Krüge abgeholt. Damit wäre auch die offene Eingangstür zu erklären gewesen.
Aber das war natürlich ausgemachter "Schmarrn"! Ein Vollzugsbeamter würde schließlich nicht einbrechen, meine Preziosen mitnehmen und mich dann nicht mal wecken!?
Dann schaute ich in meine Schmuckschatulle. Ich hatte eine putzige Columbus Schatztruhe, im Mini-Format, worin ich meinen gesammelten Trachtenschmuck aufbewahrte. Und – sie war auch leer!
Ich war ratlos! Wo war das Zeug alles hinverschwunden???
Aber bald kam mir die Offenbarung – der Achim! Der war auch ewig pleite!
Einer Eingebung zufolge ging ich zu einem Schwabinger "Tandler", so hießen früher die Händler auf bayrisch, die mit allem möglichen Krimskrams handelten, aber auch mit Antiquitäten.
Davon gab es früher jede Menge in Schwabing. Aber meine Nase führte mich gleich als Allererstes zum "Richtigen" in der Ursulastrasse! Ich weiß noch, der hieß "Sandor", ein Ungar, denke ich.
Ich konnte also eruieren, dass Achim einige meiner Krüge beim Sandor verkauft hatte. Der Idiot – sogar mit Ausweis, denn ohne Vorlage eines Ausweises durften diese Händler nichts ankaufen.
Klar, Achim hatte mitbekommen, wie man ohne Schlüssel in meine Bude rein kommt und besaß die unfassbare Frechheit, bei mir einzubrechen, während ich schlief.
Logisch, wir waren ja vorher saufen, und er wusste, wie tief ich dann schlafen würde.
Ich hatte ihn festgenagelt und zeigte ihn auch an, aber, gutmütig, wie ich halt bin, nahm ich auf Achims Flehen hin die Anzeige wieder zurück – ich Depp!
Der Verlust meines gesamten Trachtenschmucks hat mich so sehr getroffen, dass ich keine Tracht mehr anziehen mochte. Es war tatsächlich das Ende meiner "Trachten-Ära"!
- V. –
Aber nochmal zurück zu Inges alter Bude.
Wie schon erwähnt, gleich im Nebenhaus von Inges Bude war das Nachtlokal "Fendilator". Der Name kam daher, dass es an der Ecke Fendtstrasse und Beichstrasse gelegen war, und aus dem "Fendt" wurde "Fendilator".
Dort, im "Hotel Schwabing" also, wohnte unterm Dach "Juchhe" als Dauermieter ein Typ, der mich unheimlich beeindruckte. Ich hielt ihn für den originalsten aller Schwabinger. Sein rechter Arm war eine Prothese, und auf dem linken Auge trug er eine schwarze Augenklappe. Er hatte einen schwarzen Vollbart, immer einen schwarzen breitkrempigen Hut auf; er trug einen schwarzen Gehstock mit Silberknauf und einen weißen wehenden Schal, nach Künstlermanier nur einmal nach hinten geschlagen. Ein Boheme wie aus dem Bilderbuch! Ihn sollte ich auf meinem "Werdegang" in Schwabing nie mehr aus den Augen verlieren – tatsächlich bis zu seinem Tod, 40 Jahre später.
Wie ich im Lauf der Zeit mitbekam, war er aus bestem Hause, denn abgesehen von seinen alkoholbedingten Ausfällen hatte er gute Manieren und war auch recht gebildet und belesen. Er sagte mal, er dürfe seinen wirklichen Namen nicht nennen beziehungsweise nicht gebrauchen.
Aber irgendwann rutschte ihm raus, dass er im "Werneck Schlössl" zur Welt kam und dass er eigentlich ein "von" im Namen hätte. Wer aber wird schon im "Werneck Schlössl" geboren? Somit musste er "hochwohlgeboren" sein. Aber wirklich Genaues hat man nie erfahren.
Das also war der Rainer Weiss, und er musste Geld haben, denn wirklich arbeiten sah ihn niemand jemals. Er war zwar Tennislehrer – einarmig, kein Witz – aber davon lebte er nicht – konnte er auch gar nicht, denn er war ja auch ein Weiberheld, und wenn er bei einer seiner Tennis-Schülerinnen landen wollte, schenkte er ihr eben seine Zeit. Und das passierte sehr häufig!
Kurze Zeit hatte er auch mal eine Kneipe, die "Zirbelstube", aber nicht lange, da er natürlich sein bester Gast war. Da wurde der Bock zum Gärtner.
Reiner, auch scherzhaft genannt "René Blanc", soff so was von tierisch, das habe ich nur einmal in meinem Leben gesehen. Oft sah man ihn bereits am frühen Nachmittag mit einer Flasche "Dimple" Scotch (nur das Beste war ihm gut genug) durch Schwabing schlendern, noch relativ nüchtern, aber gegen Ende der Nacht hatte er sicher an die drei Flaschen intus.
Einmal, als ich dann später in Kneipen jobbte, es war im "Popcorn" in der Siegesstraße 17, kam er herein und brüllte schon an der Tür wie ein Ertrinkender: Meine Leber, meine Leber – schnell eine Flasche "Doornkaat"! Ich gab ihm eine – er setzte sie an und trank die Literflasche zur Hälfte auf Ex aus!
Dann seufzte er vor Erleichterung und versicherte mir, es ginge ihm jetzt besser. Natürlich war das mit der Leber nur Schau, denn wenn er tatsächlich Schmerzen gehabt hätte, wäre er wohl schon damals kurz vor dem Abnippeln gewesen, aber er lebte noch locker 35 Jahre.
Allerdings wurde er schon einmal für tot erklärt, da war er gerade mal 29 Jahre alt. Der Überlieferung nach soll er eine Wette abgeschlossen haben, dass er zwei Flaschen Whisky hintereinander auf Ex austrinken würde. Was er auch tat! Danach muss er wohl ohnmächtig geworden sein und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Der Notarzt muss Reiner für tot erklärt haben. Jedenfalls landete er im Leichen ha us.
Aber Reiner war nicht tot! Er soll irgendwann aus seiner Ohnmacht aufgewacht sein und hat sich erst mal ausgekotzt. Dann muss er, von innen natürlich, an die verschlossene Tür der Leichenhalle geklopft haben, um rausgelassen zu werden, wodurch der Nachtwächter verständlicherweise so einen Schreck bekam, dass dieser nun wiederum in Ohnmacht fiel. Schließlich hatte dort niemand von INNEN zu klopfen – dort hatten nur Leichen zu sein!
Reiner "lebte" wieder, erfreute sich noch lange bester Gesundheit und soff sich durch sein weiteres Leben.
Er war schon ein verrückter Typ! Zum Beispiel war er der einzige Mann, den ich jemals mit Minirock in der Öffentlichkeit rumlaufen sah, einem Lederminirock! Er aber trug ihn sogar relativ oft. Auch sah man ihn des Öfteren irgendwo in der Occamstrasse auf dem Fußweg liegend seinen Rausch ausschlafen. Gestört hat das niemand – man kannte ihn schließlich.
Er machte zeitweise überall ungeheure Zechschulden, aber es war bekannt, dass er immer wieder erbte und dann seine Schulden beglich. Er musste eine ganze Reihe reiche Erblasser gehabt haben, denn nach eigenen Angaben verprasste er im Lauf der Zeit runde DM 9.000.000,00!
Er war neunmal verheiratet! Als er das neunte Mal geheiratet hatte, traf ich ihn auf der Strasse und sagte zu ihm: "Mensch, Reiner, man kann doch nicht nach drei Wochen Bekanntschaft schon heiraten"! Worauf er erwiderte: „Ich kann doch keine heiraten, die ich schon kenne".
Eigentlich wollte er noch ein zehntes Mal heiraten, zur Abrundung, aber das hat er dann doch gelassen. Wie er mir sagte, hatte er sogar ein weiteres Erbe nicht mehr angenommen – er hatte keine Lust mehr zu prassen!
Um bei den Damen interessanter zu wirken, erzählte er auf Fragen zu seinen Handycaps, es seien Kriegsverletzungen gewesen. Damit das glaubwürdig war, gab er auch sein Alter zehn Jahre höher an, und natürlich fanden die Ladies, dass er dafür super aussähe.
In einer schwachen Minute erzählte er mir dann mal die Wahrheit. Erstens sein wirkliches Alter und auch, dass er Arm und Auge als Kind verloren hatte, beim Spielen mit gefundener Munition aus dem Krieg.
Im Grunde seines Wesens war Reiner eigentlich ein lieber Mensch. Aber sein Image ließ nicht zu, das zu zeigen. Nach außen mimte er den Super-Macho und Sexisten, und irgendwie machte ihn das wohl interessant.
Neben dem Eingang vom "Kinki", das ja im Keller lag, gab es zu dieser Zeit ebenerdig das "Short Stop", das von äußerst gemischter Klientel frequentiert wurde.
Reiner wollte wohl ins "Kinki" und bekam im Vorbeigehen Streit mit einer Tunte, die vor dem Laden herum lungerte.
Leider habe ich den Vorfall nicht persönlich gesehen, also muss ich vom Hörensagen berichten.
Es artete wohl in ein Handgemenge aus, wobei Reiner seinen Holzarm verlor. Die Tunte wusste nichts von seiner Prothese, war höchstwahrscheinlich ebenfalls besoffen oder auch auf Trip und schrie jedenfalls völlig aufgelöst und hysterisch, sie hätte Reiner den Arm ausgerissen.
Das machte die Runde und sorgte natürlich für höchstes Amüsement in der ganzen Szene.
Einmal traf ich Reiner spät nachts im "Kinki" – er hatte in der einen Hand eine Flasche "Jack Daniels" und in seiner hölzernen Klaue eine Flasche "Chivas Regal". Reiner war – so gesehen – ein einfach zu handhabender Gast für den Kellner. Er brauchte weder ein Glas noch Eis, also null Service.
Er sah mich und schrie sofort: "Ramses, du bist eingeladen!" In der Regel trinke ich keinen Whisky, sondern Wodka, aber da ich schon einigermaßen breit war, akzeptierte ich, und wir tranken abwechselnd aus den Flaschen. Bis – fast – zum Umfallen!
Am nächsten Tag hatte ich keine Ahnung mehr, wie ich nach Hause gekommen war. Als ich aufwachte, fand ich einen Zettel auf dem Nachttisch, worauf stand: Fahrzeug schein und Schlüssel beim Polizeirevier 5 in der Rheinstraße. Ich fing an zu grübeln, was da wohl passiert sein mochte??? Ein Unfall – oder was? Erst mal schaute ich zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob mein Auto vor der Tür stand, aber ich konnte es nicht sehen. Mir wurde sehr mulmig, weil ich nicht mal ahnte, ob ich einen Unfall gebaut hatte, oder was sonst passiert war.
Mir blieb nichts anderes übrig – ich musste mich auf den schweren Weg zum Polizeirevier machen.
Zu dieser Zeit waren die Bullen noch "Münchner" und waren auch außerdienstlich in den Schwabinger Kneipen unterwegs. Daher kannten wir die meisten der Revier-Bullen.
Als ich dort ankam, hoffte ich daher, dass ich einen mir bekannten Beamten vorfinden würde. Aber – weit gefehlt! Es war keiner da.
Also brachte ich mein Anliegen vor und fragte nach meinem Fahrzeugschein und Schlüssel. Der Diensthabende sah seine Unterlagen durch und sagte, ich solle meinen Führerschein vorzeigen.
Ich dachte bei mir, dass ich trotz meines Riesenrausches geistig noch so fit gewesen war, den Bullen zu sagen, ich hätte meinen Führerschein nicht dabei, obwohl er im Handschuhfach gelegen hatte.
Ich erklärte, dass mein Führerschein im Auto wäre und ich dafür den Schlüssel brauchte. Aber er blieb stur und meinte, erst müsse er den Schein sehen – basta!
Endlich kam einer der Jungs herein von denen, die ich kannte. Freudig erregt, sagte ich zu ihm: Conny, du weißt doch, dass ich einen Führerschein habe! Conny legte seinen Kopf schräg, überlegte kurz und erwiderte: Ich weiß, dass du einen HATTEST! - Shit!
Kurzum – nach längerem Hin und Her waren die Herren einverstanden, dass ich meinen Schlüssel bekam und meinen Lappen zur Einsichtnahme vorbei bringen würde.
Mir fiel noch ein, dass ich gar nicht wusste, wo mein Auto stand, also fragte ich, wo es denn stünde, worauf der Diensthabende wissen wollte, was denn überhaupt passiert war, ein Unfall, oder was?
Gottlob vergaß er seine Frage gleich wieder, war aber doch etwas konsterniert und fragte, ob ich denn nicht gefahren sei. Ich schaltete schnell und entgegnete, es hätte ja sein können, dass die Beamten mein Auto versetzt hätten. Das war für ihn plausibel.
Er erklärte mir, wo mein Auto stand, und ich war verblüfft, denn ich hatte es keine zwanzig Meter von meiner Haustür entfernt geparkt. Ich hatte es nur übersehen.
Endlich, bei meiner Karre angelangt, wunderte ich mich schon wieder – es war ordentlich geparkt! Na so was …???
Was also tatsächlich passiert war, sollte ich nie erfahren. Ich konnte nur folgern, und zwar, dass die Bullen, die mich kontrolliert hatten, dachten, ich wolle erst wegfahren, obwohl ich gerade eingeparkt hatte. Wenn sie gewusst hätten, dass ich bereits gefahren war, wäre es sicher nicht so glimpflich abgelaufen, und sie hätten mir meinen Lappen genommen. Zudem musste ich wohl aus dem Auto gefallen und auf allen Vieren ins Haus gekrochen sein, da ich weiße Jeans angehabt hatte, die vollkommen verdreckt war.
Später am Tag traf ich noch einen Spezi, mit dem ich ursprünglich am Vorabend ins "Kinki" gefahren war, und fragte ihn, warum er nicht mit mir heimgefahren sei. Er meinte, er hätte Angst gehabt, weil ich komplett besoffen war. Ich fragte ihn, wie ich überhaupt aus dem Parkplatz vom "Kinki" raus gekommen war, ohne ein anderes Auto zu touchieren? Er meinte, das war einfach, weil ich das einzige verbleibende Auto auszuparken hatte. Er sei dann mit einem Taxi hinter mir her gefahren, und ich hätte fast die ganze Leopoldstrasse für meine Schlangenlinien gebraucht.
Na servus…!
Zweimal hat er mich erwischt – der Reiner! Der zweite Riesenrausch mit ihm nahm ebenfalls im "Kinki" seinen Anfang.
Als Feierabend ausgerufen wurde, lud er mich wiederum ein, um weiter zu ziehen.
Natürlich dachte ich, er hätte eins der angesagten Frühlokale im Auge, aber nein, er wollte in ein Cabaret! Und zwar ins "Madame" in der Ottostraße. Wie man weiß, sind Animierschuppen dieser Art sehr teuer, aber das war Reiner "wurscht", er wollte "Weiber" um sich haben.
Es war nicht weit weg vom "Kinki", also marschierten wir zu Fuß dorthin.
Inzwischen war es circa 4:30 Uhr, und als wir im "Madame" ankamen, waren die Damen bereits ausgeflogen, und es waren nur noch einige Kellner da.
Trotzdem wollte Reiner bleiben, und er orderte Whisky – für alle!
Wir soffen also einige Flaschen, und in diesem Fall habe ich überhaupt keine Erinnerung mehr, wie ich heim gekommen bin.
Meine letzte Erinnerung war, dass ich auf den Stufen vor der Eingangstür des Ladens saß und mich wunderte, dass auf der Strasse so viel Betrieb war. Es war inzwischen etwa 8 Uhr früh, was ich aber nicht realisierte.
Das waren meine zwei übelsten Abstürze mit Reiner. In der Zukunft vermied ich es tunlichst, ihm zu so früher Stunde in die Arme zu laufen!
Auch Reiners Ableben war sensationell! Eines Tages machte die Neuigkeit die Runde, er hätte einen Herzinfarkt erlitten, aber es gab keine genaueren Infos, nur so viel, dass er auf der Intensiv-station im Schwabinger Krankenhaus läge.
Es war ein Sonntag mittag. Offensichtlich hatte Reiner keine Lust mehr zu leben. Also riss er sich die Infusionsschläuche aus den Armen und machte sich im langen weißen Krankenhaushemd davon.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite vom "Schwabinger Krankenhaus", in dem er versorgt wurde, gibt es ein italienisches Restaurant, in das er schnurstracks marschierte. Als er zur Tür rein kam, schrie er noch ein letztes Mal, mit hochgeworfenen Armen: "Ficken!!!", und dann fiel er tot um!
Einige Tage später traf ich Bekannte, die mir das schildern konnten, sie waren bei dieser Begebenheit gerade zum Mittagessen in dem Restaurant.
Das war ein Abgang, den nur der Reiner hinlegen konnte – einzigartig! So wie er gelebt hatte, so ging er!
Aber, Rückblende zu meiner Entwicklung Ende der 60er Jahre – die machte auch Fortschritte!
Ich komme – wie man so sagt – aus gutem Hause, wurde als "Sohn" geboren, so erzogen und auch dementsprechend gekleidet. Mein Outfit war zwar immer beste Qualität, edel und teuer, aber farblich sehr "gedeckt", also möglichst unauffällig. Die Tatsache, dass ich gute Klamotten bekam, hatte aber nichts mit Großzügigkeit meiner Eltern zu tun, sondern hatte den sehr rationellen Grund, dass sie zwar zum einen gut aussahen, gleichzeitig aber auch länger hielten als billige Ware. Ich musste Anzüge oder Kombinationen tragen, Jeans waren bei meinen Eltern verpönt. Ich durfte sie nicht mal auf Teenager-Parties anziehen. Mann, wie peinlich mir das war. Alle waren in Jeans da, und ich durfte keine anziehen!
Unser Hausarzt hatte zwei Kinder in meinem Alter, den Lutz und die Angelika. Und die hatten einen Partykeller. Ihre Eltern waren zweifelsohne bedeutend aufgeschlossener als meine.
Sie luden mich zu einer Party ein, und ich durfte natürlich wieder keine Jeans anziehen.
Meine Eltern hatten die Befürchtung, man würde sie "ausrichten", also schlecht über sie reden, wenn der Junior in Jeans zur Party der Kids vom Hausarzt geht. So ein Schmarrn, aber so spießig und traditionsbewusst waren sie eben.
Bis ich die Idee bekam, meine Jeans, bevor ich los zog, von meinem Zimmerfenster aus über den Balkon runter hinter die Garage zu werfen. Dort zog ich mich dann jeweils um. So war ich zukünftig vor Verruf gerettet!
Meine erste Shopping-Tour in "Freiheit", nachdem ich mich endgültig von zu Hause gelöst hatte, verlief dann auch bedeutend anders als frühere!
Zwar trug ich noch eine hellgraue Flanellhose, aber ich probierte einen roten Pulli dazu. Ein schönes, warmes Rot, aber dennoch - ROT! Als ich mich im Spiegel sah, konnte ich nur denken: ja, und warum nicht???
Dieser rote Pulli veränderte mein farbliches Denken bezüglich meiner Klamotten und auch gleich mein ganzes Leben mit dazu, grundlegend. Und von da an zog ich mich endlich so an, wie ich es wollte – bedeutend farbenfroher, modischer und allmählich auch "ausgeflippt", eben "Schwabing-like", und meine ganze persönliche Einstellung änderte sich damit auch.
Ich passte mich modisch immer mehr an Schwabing an. Es kam die Zeit der Plateau-Schuhe und der überweiten Hosenschläge. Die 70er fingen an! Logisch machte ich auch da mit.
Schwabing wurde zu einem Ghetto, aber im positiven Sinn. Man musste aus Schwabing gar nicht raus – es gab ja alles, was sollten wir also in der Innenstadt. Und hier lebte man unkonventionell, man konnte anziehen, was man wollte, ohne aufzufallen, man bewegte sich unter Gleichgesinnten.
Das Schwabinger Lebensgefühl vermittelte die Überzeugung, man könne auch ruhig pudelnackt auf der Leo spazieren gehen, und keiner würde sich nach einem umdrehen.
Ich wurde geradezu ein "Klamotten-Junkie"! Alle paar Tage war ich beim Shoppen und wurde dadurch ein sehr gern gesehener Kunde in den Schwabinger Boutiquen.
Das ging so weit, dass ich meine Klamotten zum Vorzugspreis bekam, da ich quasi zum Werbeträger für diverse Geschäfte wurde.
Einmal musste ich ins Zentrum, um Konzertkarten zu kaufen, beim Hieber am Dom, also mittendrin in der Stadt. Mir fiel auf, dass ich von den Passanten geradezu begafft wurde. Ich sah nach, ob mein Hosentürl offen wäre, aber nein, alles war in Ordnung. Bis ich langsam begriff, woran es lag. Ich hatte dreifarbige Plateau-Stiefeletten an, mit etwa 10cm hohen Absätzen (bei meiner Größe = 1.86m) und eine Latzhose aus Jeansstoff, die wirklich hauteng war und superweite Hosenschläge hatte. Da begriff ich, dass ich im "Ausland" war! Also ganz schnell wieder heim, nach Schwabing!
- VI. -
Nachdem ich also endgültig zu Hause ausgezogen war, musste ich mich zunächst ums Überleben kümmern. Ich hatte ja einen Führerschein und fuhr auch sehr gerne Auto, weshalb es sich an bot, erst mal "Call Car" zu fahren. Das war ein damals neuer Konkurrenz-Betrieb zu den Taxis. Der Unterschied dazu lag zum einen im billigeren Fahrpreis und darin, dass man keine Fahrgäste von der Strasse auf nehmen durfte, sondern nur telefonische Aufträge an nehmen durfte, die über Funk vermittelt wurden. Auch die Fahrprüfung dafür war leicht, und so startete ich durch.
Ich war sehr motorsportbegeistert, das habe ich wohl in den Genen (mein Vater fuhr privat Berg rennen), und fuhr dementsprechend mit Begeisterung Auto. Mein erster Wagen bei "Call Car" war ein BMW 1500, damals neu rausgekommen, und ich fuhr meine privaten Rallyes in der Stadt. So kam es auch, dass ich vor lauter Begeisterung gleich am ersten Tag bei einem Gangwechsel den Schaltknüppel abbrach. Super – ein toller Start. Sicher war es nicht meine Schuld, so ein Schaltknüppel sollte schon etwas mehr aushalten, aber es war halt äußerst peinlich, und ich als "Rennfahrer" habe mich endlos geschämt.
Der Unternehmer hat mich auch gleich wieder rausgeschmissen.
Der zweite Versuch war bedeutend erfolgreicher! Ich erwischte einen Unternehmer, mit dem ich mich prächtig verstand. Das war "R.R.R.", wie er seinen Namen selbst gerne abkürzte. Roland Rolf Rieger hieß er.
Er war wie ich dem Nachtleben sehr zugetan, und wir zogen oft zusammen um die Häuser. Und er war es auch, der mich im "Schwabinchen" bei Walter Nowak einführte und auch bei der "Schwabinger Gisela".
Roland hatte ein paar Stammkunden, die gelegentlich Auswärtsfahrten orderten. Vor allem eine alte Dame wollte mindestens jede Woche einmal um den Ammersee spazieren gefahren werden, und ich musste sie chauffieren. Wir hatten einen Mercedes 220S gekauft, und es machte mir richtig Spaß, die alte Dame zu fahren, es gab auch jedes Mal ein ordentliches Trinkgeld obendrauf.
Natürlich war kein Geld im Haus, also überredete Roland mich, einen Kredit aufzunehmen, um den Mercedes erst mal kaufen zu können.
Ich hatte bereits einen Kredit für Roland laufen, wofür weiß ich nicht mehr. Aber diese Tatsache, dass ich einen zweiten Vertrag abschloss, hätte mir fast eine Klage wegen Kreditbetrugs eingebracht – obwohl ich mir keiner Schuld bewusst war. Ich hatte keine Ahnung, dass so was ungesetzlich ist.
Ausnahmsweise hat das dann doch wieder mal der Papa gerichtet, und so ist nichts passiert.
Wie ich im Verlauf unserer Bekanntschaft erfuhr, war Roland ein pleite gegangener Unternehmer aus der Kosmetikbranche, er hatte mehrere Parfümerien betrieben, und aus dieser Zeit hatte er auch noch Kundschaft und auch Ware. So wurde ein Teil meiner Beschäftigung als Fahrer, zusätzlich Klopapier und Haarspray an Supermärkte auszuliefern.
Das war wirklich witzig, er kaufte Haarspray bei einem Großhandel, und einen Teil davon etikettierten wir um, mit Labels seiner Ex-Firma. Das war dann die teurere Variante! Die Ware war – wie gesagt – identisch, aber das teurere Haarspray wurde bevorzugt (Idioten).
Nicht zu fassen, damals konnte man sogar an Supermärkte noch Ware aus dem Kofferraum verkaufen.
Leider war dieser "Call Car" Job nicht sehr lukrativ, aber das war meine eigene Schuld. Da ich ein geborenes Nachtlicht bin, fuhr ich in der Regel nachts. Doch die Versuchung war einfach zu groß, in die Lokalitäten hinein zu gehen, die ich anfahren musste, und zu bleiben.
Wenn ich nach Schwabing musste, war sowieso alles zu spät. Da blieb ich dann eh hängen.
Deshalb verbrachte ich mehr Zeit in Kneipen als auf der Strasse, um Geld zu verdienen.
Obwohl wir ständig pleite waren, hatte Roland eine Gabe, mit seinen letzten 20 Mark in Kneipen "einzuschweben" und so aufzutreten, als wäre er Millionär. Er hielt Hof! Faszinierend. Er hatte sich so toll im Griff, dass er seinen Frust wegen der Geldknappheit niemals merken ließ.
Er sollte in der Zukunft auch tatsächlich wieder erfolgreich werden und zu reichlich Geld kommen. Er riss sich auf ominöse Weise eine Bootswerft am Bodensee unter den Nagel, und das war kein "Trödelladen"!
Nachdem Roland mit seiner Werft sicher im Sattel saß, bot er mir einen Job an.
Ich war zu dieser Zeit mit der Mutter meiner späteren Tochter zusammen, mit der sie hochschwanger war. Deshalb erwog ich wieder einmal, einen seriösen Job, tagsüber, in Erwägung zu ziehen. Also nahm ich zunächst Rolands Angebot an, was mich erst mal zum "Probelauf" nach Hamburg führte, wo ich ihm Unterstützung leisten sollte bei der Bootsaustellung.
Er hatte in Norwegen ein Boot gekauft, für den Wiederverkauf bestimmt, und nahm die Gelegenheit wahr, es auf der "Durchreise" gleich mal in Hamburg auf der Ausstellung anzubieten.
Ich fühlte mich sehr wohl dort, sowie auf der Ausstellung, als auch in Hamburg im Besonderen. Roland hatte nämlich jede Menge Badischen Wein mitgebracht. Die Kartons waren an der Wand neben dem Boot hoch gestapelt – fast bis zur Decke. Passanten und Interessenten dachten erst mal, es wäre ein Weinstand!!!
Wir bewirteten die Leute und tranken kräftig mit.
Verkauft haben wir nichts, aber wir waren die Lustigsten. Am letzten Tag haben wir ein Schild angebracht, worauf stand: "Wegen Reichtums geschlossen" (wirklich seriös)!
Nach Feierabend ging es dann erst richtig los, und wir machten Hamburg bei Nacht unsicher.
Es gibt einen Bootstyp, der heißt "Daycruiser". Und ich hatte bereits nach der ersten durchzechten Nacht meinen Spitznamen abbekommen, nämlich…??? – na klar – "Nightcruiser"!
Ich denke, Roland hatte erkannt, dass ich für den Job nicht geeignet war, und er hatte recht damit. Die Werft war in Espasingen, einem Nest am Bodensee, und dort hätte ich dann auch leben sollen. Da wäre ich eingegangen wie eine Primel – auf dem Land und ohne Schwabing…???
Mein Vater spionierte mir offenbar nach und war deshalb auch über meine Aktivitäten informiert. Ich wiederum erfuhr, dass er über mein "unstandesgemäßes" Verhalten mehr als erbost war. Vor allem über die Tatsache, das ich "Taxi fuhr", wie er es nannte.
OK, es gab noch ein Intermezzo in der Firma meines Vaters. Kurzzeitig setzten wir uns ins Benehmen, und ich arbeitete drei qualvolle Jahre bei ihm. Dann aber war endgültig Schluss mit lustig!
Danach versuchte ich noch einmal, "seriöse" Arbeit zu finden, was mir tatsächlich gelang, und zwar in einer Reifenfirma, wo ich bereits aus meiner Zeit in Vaters Firma als Kunde bekannt war. Ich fing also dort an, aber ich war pleite, und um nicht gleich Vorschuss verlangen zu müssen, arbeitete ich zur Aushilfe im "Schwabinchen", das inzwischen zu meiner Stammkneipe geworden war, als Barkeeper.
Das mit der seriösen Arbeit funktionierte leider nur kurze Zeit! Extrem kurz! Früh aufgestanden bin ich noch nie leicht, geschweige denn gerne, und als ich dreimal in Folge meinen Tagesjob verschlafen hatte, war es mir zu peinlich, noch mal dort aufzukreuzen.
Das war auch das Ende meiner Laufbahn, im "normalen" Berufsleben tagsüber Fuß zu fassen, was sich aber im Lauf der Zeit als positiv erweisen sollte und meinem Naturell bedeutend besser entsprach. Ich war und bin schlicht und ergreifend eine Nachteule – basta!
OK, es gab noch ein paar kläglich gescheiterte Abstecher in "Tages-Jobs", aber bald gab ich es ganz auf und stürzte mich endgültig unbeschwert und zufrieden ins Schwabinger Nachtleben. Mein Nebenjob wurde zum echten Job, und ich hatte, wenn auch nicht sehr üppig, ein Auskommen.
Es war einfach genial. Ich konnte ausschlafen, so lange ich wollte, im Sommer jeden Tag ins Ungerer Bad gehen, nachts nach der Arbeit noch um die Häuser ziehen, was wollte ich mehr? Mein Leben wurde zu einer einzigen Party.
Allein die Sommerzeit im "Ungerer" war schon immer tagsüber vollgepackt mit Blödelein, Spaß und Fröhlichkeit, sodass sogar die kleinsten Kinder uns kopfschüttelnd bestaunten. So fragte zum Beispiel ein etwa Vierjähriger seine Mutter: Mami, was machen die da??? Tja – gute Frage…! Irgendwie war das nicht zu beantworten. Es waren einfach nur Albernheiten!
Es war die Zeit, als der erste "Asterix" heraus kam, und wir waren vollkommen begeistert davon. Einer aus der Clique machte die Bemerkung, wir brauchten Hinkelsteine aus Gummi! Logisch, gibt's ja an jeder Ecke!!! Da es so was natürlich nicht zu kaufen gab, wurde der Gedanke weiter gesponnen, und wir landeten bei der Alternative, dass wir doch am nächsten Tag wenigstens alle mit Gummitieren einlaufen sollten.
Noch ein Wort zu unserer Gemeinschaft. Es war nicht wirklich eine "Clique", sondern ein wild und locker zusammengewürfelter Haufen von "sanften Irren". Zu einem Teil aus der Schwabinger Kneipen-Gastronomie und der Rest Studenten und Künstler.
(Die Studenten waren damals noch nicht so im Zugzwang wie heutzutage).
Gesagt – getan! Am nächsten Tag brachte wirklich JEDER so ein Gummiteil mit. Erwähnenswert vielleicht, dass unser Haufen aus ca. 30 – 40 Leutchen bestand. Wir hatten das Haupt-Becken im Bad in Beschlag genommen, an dem auf der einen Längsseite Holzroste zum Liegen zur Verfügung standen, im Volksmund genannt „der Nuttengrill", den wir gänzlich bevölkerten. Ich weiß nicht wirklich, wie und wann der Name entstand – höchstwahrscheinlich war er vor unserer Zeit vornehmlich von den Mädels aus dem "Milieu" bevölkert…? Jetzt war er in unserer Hand!
Man kann sich vorstellen, wie es da aussah. Der gesamte "Grill" war übersät mit bunten Gummiviechern und dann erst im Wasser; das Schwimmbecken war voll mit uns!!! Die Kinder waren begeistert davon und wollten um jeden Preis mitmachen – sollten sie gerne.
Einer hatte eine lange Gummiwurst dabei, auf der wir ums Becken ritten; das war "die kleine Reise um die Welt". Weitere Spiele waren Reiter kämpfe, und der Hit war der "Ungerer-Eisberg". Dabei stellten wir uns im Becken im hüfttiefen Wasser im Kreis zusammen, und auf Kommando tauchten wir aus dem Stand alle ab, wobei wir die Badehosen runter zogen. Der Effekt, dass einen Moment lang nur weiße Ärsche zu sehen waren, prägte den Begriff „Eisberg"!
Sehr beliebt bei den Kindern war auch der "Ungerer-Hupf. Dabei bildeten wir eine Schlange, einer hinterm anderen, die Hände beim Vordermann auf der Schulter und die Kinder hintendran. So wurde rund ums Becken gehüpft, im seichten Teil natürlich, und die Kids waren happy! Wir auch!
Auch gab es jedes Jahr zum Saisonbeginn das traditionelle "Bademeisterversenken"!
In öffentlichen Bädern gibt es bekanntlich Vorschriften und Verbote, die von uns aber ignoriert wurden und sogar vom Chef des Bades toleriert wurden. Was aber die jeweils neuen Bademeister nicht wussten. Die dachten natürlich, sie müssten uns zurechtweisen und die Verbote durchsetzen.
Also kreierten wir ein Spiel: Einer von uns verwickelte den Bademeister in ein Gespräch, um ihn abzulenken, und ein anderer pirschte sich möglichst ungesehen an und schubste ihn mitsamt seinen Klamotten ins Wasser.
Damit war in der Regel das Problem gelöst. Allerdings war einer mal so verschreckt, dass er sich am nächsten Tag ans Kinderbecken versetzen ließ. Das war natürlich erst recht ein Triumph für uns.
Es kam auch vor, dass ich morgens einlief, mein Badetuch ausbreitete und dann erst mal vor in den Biergarten ging, um zu frühstücken. Im Verlauf der Einnahme der ersten festen Mahlzeit des Tages begab es sich natürlich, dass sich mehr und mehr Bekannte zu mir an den Tisch gesellten, und schon wurde der Kaffee beiseite geschoben und mit Bier nachgespült. Und so passierte es, dass ich erst kurz vor Schließung des Bades mein Badetuch wieder abholte, um dann gleich in den nächsten Biergarten zu pilgern, weil der Durst so übermäßig war.
Auch nachts war das "Ungerer" oft stark frequentiert. In heißen Sommernächten kamen viele auf die Idee, über den Zaun zu klettern und eine erfrischende Runde zu schwimmen. Oder auch um sich anderweitig zu vergnügen. Es war genügend Platz und jede Menge Buschwerk, hinter dem man sich verstecken konnte. Da war Hochbetrieb im "Ungerer"!
Ein fester Bestandteil vom "Ungerer" war Peter, der "Dauerduscher", seines Zeichens Kellner im Biergarten des "Ungerer Bads". Er war wirklich "Dauerduscher", er hatte immer ein Album bei sich mit Fotos vom Dauerduschen, das er jedem zeigte, ob er es sehen wollte oder auch nicht. Er war damit tatsächlich im "Guinness Buch der Rekorde" eingetragen! Wahrscheinlich hatte er dabei etwas abbekommen, denn der war nicht "dicht" in der Birne.
Zum einen hat er gesoffen und kam oftmals am Morgen hinter den am Biergarten des Ungerer Bades angrenzenden Büschen hervor gekrochen, wo er offenbar die Nacht verbracht und seinen Rausch halbwegs ausgeschlafen hatte. Er war dann eigentlich immer noch besoffen und wie in Trance.
Meistens wusste er nicht, wer was bestellt hatte und lief völlig planlos durch den Biergarten, wobei er seine Speisen sozusagen anpries, indem er zum Beispiel rief: "Wer war de Sau"? Sollte heißen, "wer hat den Schweinebraten bestellt"?
Oder man hatte etwas bestellt, und er kam mit etwas anderem an. Wenn man dann reklamierte, schwätzte er einem das auf, was er gerade in der Hand hatte. Das klang zum Beispiel so: "Was hast' denn gegen den Leberkas, der is doch wunderbar!" OK, es war zwar nicht das bestellte Gericht, aber da wir ihn ja zur Genüge kannten, gab jeder auf und nahm eben das, was er feilbot.
Beispielsweise stürmte er mit den Armen voller Bierkrüge wie blind durch den Garten, und da wir ja schon wussten, dass er keine Ahnung hatte, wo das Bier hin sollte, riefen wir ihm zu, dass er es uns bringen sollte. "Nix da", war die Entgegnung, während er im Slalom durch die Tischreihen lief, bis er plötzlich am Ende des Biergartens vor der Begrenzungshecke stand. Er schaute ziemlich bedeppert, um uns dann schließlich einsichtig das Bier doch zu verkaufen.
Tja, der Peter war auch gewissermaßen ein Original – bis er dann tatsächlich im Irrenhaus landete.
Der "Kugelkopf Mecki" war auch eine witzige Type. Er war klein, rund und glatzköpfig – was damals noch kein Modetrend war. Sein Spitzname rührte, wie man folgern kann, von seiner Glatze her. Wie gesagt, der Mecki war rund, aber das Erstaunliche war, es war kein Fett. Er war sogar höchst durchtrainiert, und sein vermeintlicher dicker Bauch war reiner Muskel. Also, optisch sah er in keinster Weise nach einem Bodybuilder aus, was wohl an seinem Körperbau lag.
Aber Mecki machte sich einen Spaß daraus, dass er üblicherweise falsch eingeschätzt wurde.
So liebte er es gelegentlich, Muskelprotze zu verarschen, indem er schier unmögliche Kraftübungen vorführte, die zwar skurril und lustig anzusehen waren, aber zweifellos sehr anstrengend waren.
Irgendwann kabbelte er sich mit einem Bodybuilder, ich bekam das nicht so genau mit, aber es gipfelte darin, dass Mecki ihn aufforderte, mit seiner Faust und voller Kraft in seinen Bauch zu schlagen.
Der Muskelmann verlachte Mecki, aber er stachelte ihn so lange auf, bis der endlich doch zuschlug.
Ein Schmerzensschrei war zu hören – nicht von Mecki – vom anderen!
Der hatte sich bei seinem Schlag in Meckis Bauch doch tatsächlich die Mittelhand gebrochen!
Das Gelächter war groß und der Muskelmann nie wieder gesehen.
In diesen Tagen jobbte ich gerade in der "Zirbelstube" von Axel Portugall.
Der Axel hat mich in die Kunst des Bierzapfens erst eingeweiht.
Das machte er folgendermaßen: Ich musste mich vor den Zapfhahn stellen, er stellte sich hinter mich und führte meine rechte Hand am Zapf, in der linken hatte ich das Krügerl, wobei er meinte, ich sei doch musikalisch, und Bierzapfen sei eine rhythmische Sache. Auf diese Weise kapierte ich sofort, wie es funktionierte, und schon war ich Zapfer.
Hier begann damit meine Profilaufbahn in der Gastronomie.
Eines Tages war die Putze der "Zirbel" krank, und ich sprang für sie ein. Zwar nicht mit Begeisterung, aber schließlich gab es ja Extra beza h lung dafür.
Zu welcher Zeit während des Tages ich putzte, war dem Axel wurscht.
Eines Morgens, ich hatte die Nacht bei einer amerikanischen Studentin in Freimann verbracht, trat ich etwa früh um sieben meinen Heimweg an. Es war Sommer, und ich lief auf der Ungererstrasse in Richtung Schwabing und hatte vor, ein Taxi aufzuhalten.
Ich lief daher mit ständig nach hinten gewendetem Kopf, um kein Taxi zu übersehen.
Aber es kam keins! Ich bekam fast Genickstarre und fluchte lästerlich vor mich hin und wollte den ersten Taxifahrer, den ich erwischte, zusammenscheißen, weil ich so lange laufen musste – aber es kam einfach keiner! Das sind immerhin ca. 4 km zu laufen, und ich war sauer!
Mein endloses Fluchen half nichts, aber dann hatte ich die Idee, ich könnte doch gleich jetzt am Morgen den Laden putzen und anschließend ins Ungererbad gehen, was ich auch tat.
Da ich ziemlich geschwächt in der "Zirbel" an kam, legte ich mich kurz mal auf eine der Sitzbänke und machte ein Nickerchen. OK, so kurz war das Nickerchen wohl doch nicht, denn es war dann bereits Vormittag, als ich hochschrak. Ich wachte auf, als Axel plötzlich vor mir stand, und er wollte, dass ich eine Flasche Jägermeister schnappen und ihn begleiten sollte zu einem kleinen Umtrunk – früh um zehn! – beim Schuster um die Ecke, der Geburtstag hatte.
Ich latschte also mit, und wir stießen auf den Schuster an. Das dauerte nur ein paar Minuten, wonach sich Axel verabschiedete und ich mich mit der Flasche zurück in die "Zirbel" trollte.
Aber da hatte Axel etwas angerichtet! Ich fing an zu putzen und gönnte mir alle paar Minuten einen Schluck aus der Flasche.
Die "Zirbel" war wirklich nicht groß, aber auf diese Weise dauerte es Stunden, bis ich mit dem Putzen fertig war und die Flasche leer. Es war eine Literflasche!
Schließlich, am frühen Nachmittag, hatte ich es geschafft und machte mich auf den Weg ins "Ungerer".
Was dort passierte? Keine Ahnung, ich kann nur aus Erzählungen berichten.
Das "Ungerer" war kein Nacktbad! Aber ich muss mich wohl ungeniert splitternackt gemacht haben und sogar so rumgelaufen sein. Offenbar hatte ich zur allgemeinen Belustigung beigetragen. Irgendjemand hatte mich dann wohl dazu bewogen, meine Badehose anzuziehen.
Meine Erinnerung setzte erst wieder ein, als ich gegen Abend um ca. 19 Uhr aufwachte. Ich lag mutterseelenallein mitten auf dem Asphaltweg am Schwimmbecken! Kein Mensch mehr weit und breit.
Und so machte ich mich auf den Weg in die "Zirbel" zur Arbeit! Damals war meine Kondition noch wirklich super.
Den Axel kannte ich eigentlich als meistens gut gelaunten, sehr freundlichen und intelligenten Menschen, der allerdings – wie wir alle halt – auch gerne einen trank.
Er hatte einen geilen Sportwagen, einen feuerroten "3 Liter Austin Healey ", mit dem auch er des Öfteren besoffen durch die Gegend gurkte.
Einmal soll er, spät nachts natürlich, auf der Leo stadteinwärts mit grimmig überhöhter Geschwindigkeit gestoppt worden sein, und er hielt auch an. Es war Sommer, und sein Verdeck war offen, und er stellte sich hinterm Steuer auf, so halbwegs wie es eben ging, piff schrill durch die Zähne (das konnte er gut, er hatte eine kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen) und rief den Bullen zu: „Aus'm Weg!" Woraufhin er einfach Vollgas gab und weiter fuhr.
Ich glaube, das hatte nicht mal ein Nachspiel. Die Bullen waren eben Schwabinger!
Leider war sein Abgang ziemlich dramatisch.
Was ich nicht bemerkt hatte, war, dass er tatsächlich Vollalkoholiker war.
Er war verheiratet und hatte öfter mal Stress mit seiner Frau Bärbel, aber so genau blickte ich nicht hinter die Kulissen, und es hatte sich anscheinend auch immer wieder gelegt – bis aufs letzte Mal.
Nach der Version, die ich erfahren habe, hatte er sich auf seine Hütte in den Bergen zurück gezogen, von wo aus er seine Frau an rief und ihr ein Ultimatum stellte, dass sie wieder zu ihm zurück kommen sollte, weil er sich sonst umbringen würde!
Aber Bärbel erklärte ihm am Telefon, dass sie endgültig genug hätte und es keine Chance mehr für ihn gäbe -und in diesem Moment erschoss er sich – während des Telefonats!
Das war wirklich ein unfassbar tragisches Ende. Es muss Mitte der 70er Jahre gewesen sein, und Axel war schätzungsweise gerade mal so um die 30 Jahre alt.
Bevor Axel die "Zirbel" übernahm, wurde der Laden von Til Roth eine Zeit lang geführt.
Til war ein Großneffe von Eugen Roth, dem Dichter.
Er war ein lieber Kerl, aber ziemlich introvertiert und ernst, was als unfreundlich gewertet wurde, und so bekam er den Spitznamen "Muffel-Til" ab.
Außerdem war er zwar nicht dumm, aber sehr langsam im Denken, weshalb er immer stundenlang brauchte, um die allabendliche Abrechnung fertig zu stellen. Rechnen war wohl eher nicht seine Stärke.
Aber der Til wurde total unterschätzt! Er biss sich unglaublich in seine Aufgabe rein und schaffte es auch, allmählich im Rechnen schneller zu werden.
Er übernahm das "Grüne Eck" gleich um die Ecke von der "Zirbel" in der Marktstraße, Ecke Hesseloherstraße, ebenfalls ein Objekt von Dieter Hartmann, dem Möchtegern "Mister Schwabing".
Und was ihm niemand zugetraut hätte, er brachte die Wirtschaft in Schwung! Über lange Jahre bewirtschaftete er die Kneipe, kaufte sie irgendwann sogar und später das ganze Haus. Also blöd war er ganz offensichtlich nicht. Sein Spitzname wurde allerdings noch etwas erweitert – er war jetzt der "Muffel Til vom Wuchereck", da von uns Schwabingern seine Preise als etwas überhöht angesehen wurden.
Jedenfalls wurde er zum gut situierten Mann und konnte sich später ohne Sorgen zur Ruhe setzen.
- VII. -
Es war ca. 1968, da war Schwabing noch ein wirkliches Künstlerviertel.
Neben den Literaten, Malern und Musikern war Schwabing auch sehr stark von Studenten frequentiert. Das geistige Niveau war daher ziemlich gehoben und, ganz im Gegensatz zur Gegenwart, wurden etwaige Streitigkeiten nicht mit Handgreiflichkeiten, sprich Schlägerein, gelöst, sondern es wurde diskutiert, vielleicht auch gestritten, aber alles wurde friedlich beendet, und man hatte weiter zusammen das nächste Bier getrunken.
Es gab noch keine Macht- oder Banden kämpfe unter ethnischen Mitbürgern. Asylanten waren auch noch keine da, die einzigen Afrikaner, die sich unter uns mischten, waren Studenten, die meisten davon sogar Prinzen irgendeines afrikanischen Mini-Königreichs, und sie waren wohl erzogen und hatten Niveau – was sie nicht mit "Nivea" verwechselten. Angenehme und gern gesehene Jungs.
Da gab es auch so einen "echten Schwabinger", einen schwarzen Riesen, AI Hoosman. Er war ein sehr lieber Kerl, der unermüdlich Promotion für seine Organisation "Cause" gemacht hat.
Hier ist ein Nachweis über ihn, den ich bei Wikipedia gefunden habe:
Hoosman war Amateurboxer im Schwergewicht und gewann 1939 im Madison Square Garden den Titelkampf um die National Golden Gloves. Er gehörte demselben Boxstall wie Joe Louis an, gegen den er 1948 auch einen Schaukampf austrug. Im November 1940 wurde Hoosman zur Armee eingezogen, wo er sich einer Augenoperation unterziehen musste. Ab 1943 lebte er in Queensland, wo er nach wie vor als Boxer auftrat, aber auch den Doctor Carver Service Club für US-amerikanische Armeeangehörige führte. Gegen Ende der 1940er
Jahre wurde er nach Deutschland versetzt, wo er sich auch nach der Entlassung aus der Armee niederließ. Als Boxer waren seine größten Erfolge Siege über Lee Savold, Joe Weidin (Josef Weidinger) und Tommy Farr. Hoosman eröffnete eine Bar und engagierte sich bei der "Hilfe für farbige und elternlose Kinder"; etwa 1960 gründete er die Organisation "Cause" mit derselben Zielgruppe.
Zwischen 1952 und 1967 trat Hoosman in mehreren Filmen auf. Sein Grab befindet sich auf dem Nordfriedhof München.
Im "Schwabinchen", in der Occamstrasse also, startete ich zaghaft meine "gastronomische" Laufbahn.
Es war ein sehr heimeliger Laden, mit alten Fotos an der Wand und allerlei Krimskrams als Dekoration, und der Mittelpunkt war der singende Wirt, Walter Nova k.
Walter, er war ein sehr "frankophiler" Typ, sang mit Vorliebe französische Chansons, und das konnte er wirklich gut.
Außerdem zitierte er gerne Aphorismen von Fritz de Crignis, einem Literaten, der auch eines der Schwabinger Originale war († 1957). An einen der Sprüche kann ich mich noch erinnern, der ging so: "Erziehung nennen die Leute es, wenn sie ihren Kindern die eigenen Fehler beibringen" (wie treffend!).
Es gab da einen weiblichen Stammgast, eine Französin namens Sylvie, die von Walter hofiert wurde. Ich muss das Wort "hofieren" verwenden, denn es passt einfach zu ihm, weil er immer wie ein perfekter Gentleman auftrat. Trotz vehementer Einwände meinerseits, seiner Freunde und Stammgäste, heiratete er Sylvie, was sich später als eklatante Fehlentscheidung entpuppen sollte – na ja, wir wussten es ja gleich.
Ich hatte sie immer als Miststück in Erinnerung, weiß aber nicht mehr, warum eigentlich?
Zumindest aber hatte Schwiegerpapa Geld! Und so war es Walter möglich, etwas zu expandieren. Er machte im selben Haus, gleich um die Ecke, ein weiteres Lokal auf, welches er "New Haimhouse" nannte, frei nach der "Haimhauser" Strasse, in der es gelegen war. Walter schöpfte aus dem Vollen und ließ die gesamte Innenausstattung speziell anfertigen. Zunächst vom Geld, das er vom Schwiegervater gepumpt hatte.
Den Laden hatte er ursprünglich für mich gedacht, aber ich lebte noch in dem Wahn, dass ich wohl in nicht allzu ferner Zeit wieder im Schoß der Familie landen würde, sprich in Vaters Firma, die ich ja eigentlich übernehmen sollte – irgendwann.
Wäre mir zu dieser Zeit schon klar gewesen, dass es damit nie mehr was werden sollte, es wäre eine einmalige Chance gewesen, in der Gastronomie Fuß zu fassen. Zumal ich keinerlei finanzielle Mittel hätte aufbringen müssen. Ich hätte sofort starten können. Tja – späte Einsicht. Aber was soil's – ich bin ja trotzdem erst mal in der Gastronomie gelandet.
Der Name für die Kneipe "Schwabinchen" wurde adaptiert vom Schwabinchen, der Münchner Abendzeitung. Ursprünglich war es eine gezeichnete Comic-Figur, die in den Jahren 1964-65 täglich in der AZ abgebildet war, sehr süß und sexy, die lockere, witzige Kommentare zum täglichen Münchner Leben absonderte.
Die Figur war so beliebt, dass sogar "Schwabinchen Wahlen" veranstaltet wurden. Eine der Gewinnerinnen war Helga Lehner, später verheiratet mit Hardy Rodenstock, nicht zu verwechseln mit dem Brillen Mogul Randolf Rodenstock.
Hardy Rodenstock ist ein Pseudonym, und er ist bekannt als Weinkenner und Händler antiker Weine.
Jedenfalls konnte Walter Nowak den Namen nicht ohne weiteres verwenden, er musste sogar Lizenzgebühren dafür zahlen.
Ich erinnerte mich, dass ich schon früher einmal in dem Laden war, bevor er zum "Schwabinchen" wurde. Da hieß die Kneipe noch "Lilo's Leierkasten". Nicht zu verwechseln mit dem Puff "Leierkasten" an der Ingolstädter Strasse, der wurde erst später eröffnet.
Aber nichtsdestotrotz war es eine sehr finstere Kneipe. Die Innenbeleuchtung bestand aus ein paar wenigen Kerzen, und man saß auf Bierträgern und Weinkisten und trank Bier aus der Flasche. Es lungerten dunkle Gestalten herum, was vielleicht auch durch die spärliche Illumination vermittelt wurde. Jedenfalls war ich nur wenige Male dort, es war mir in meinem unverdorbenen zarten Alter einfach zu unheimlich. Aber, wie ich später erfuhr, hatte der Laden sogar Kultcharakter.
Der früher erwähnte "R.R.R." hatte mich im "Schwabinchen" eingeführt, und irgendwann sagte er zu Walter: "Hey, der Ramses kann auch singen und Gitarre spielen – lass ihn doch mal"!
Gesagt – getan, Walter gefiel es, und so wurde es zur Tradition, dass ich, immer wenn ich da war, auf die Bühne musste. Das sollte meinen späteren Werdegang entscheidend beeinflussen.
Hier lernte ich auch meine (bereits erwähnte) erste feste Freundin Inge kennen. Sie war Walters Bedienung.
Nach und nach haben sich im "Schwabinchen" neben Walter Hobbymusiker ans Mikrofon gewagt, und das wurde zum Standard. Es wurde zur klassischen "Kleinkunstbühne". Gagen gab es damals noch keine, wir spielten alle nur zum Spaß, aber es wurden zumindest Drinks ausgegeben – wichtig!! Denn – ein Musiker, der nicht säuft, ist wie ein Motor, der nicht läuft!
Da sang auch des Öfteren ein recht hübsches Mädel namens Gertrude Wirschinger! Kein Witz – sie hieß wirklich so. An eines ihrer Lieder kann ich mich noch gut erinnern, es war von Esther und Abi Ofarim und hieß, "Schatz, komm nach Haus, dein Mann der ist krank…". Ein etwas frivoles Lied, woraus ich glaubte, schließen zu können, sie wäre möglicherweise erotisch veranlagt. Ein Trugschluss – sie war eine Superzicke! Nachdem ich mich später aus dem "Schwabinchen" zurückgezogen hatte, habe ich sie auch nicht mehr gesehen.
Aber eines Nachts, es war in Istanbul in einer Disco, wollte mir der DJ einen Gefallen tun, da er mitbekommen hatte, dass ich Deutscher war, und legte eine Platte für mich auf. Da mir seine Assoziation nicht klar war, fragte ich ihn, was er damit meinte, und er zeigte mir das Cover der LP. Ich war perplex – da war die Gertrude abgebildet! Tja, das ging total an mir vorbei – sie hieß inzwischen "Penny McLean" und sang den damals aktuellen Hit -"Lady Bump". Sie WAR Lady Bump - da schau her!
Zu den alten Zeiten im "Schwabinchen" waren wir, meine Spezln und ich, noch ziemlich dümmlich spätpubertär in unseren Bemühungen, Medls anzumachen.
In einem der Nebenräume des Ladens hing eine alte Pendeluhr mir eisernen Gewichten in der Form von Tannenzapfen. Und wir fanden es lustig oder sexy – oder so was, wenn wir einen davon in die Hosentasche steckten, und wenn man beim Tanzen Körperkontakt herstellte, drückten die Dinger natürlich der Partnerin im Schambereich. Wir waren so naiv zu glauben, sie würden dann mit dem Unterkörper zur Seite rutschen und somit genau an der "richtigen" Stelle landen. Wir Deppen!
Es war auch die Zeit der "Flitzer". Diese zeigten sich pudelnackt in der Öffentlichkeit, und der einzige Grund dafür war eigentlich nur, Aufmerksamkeit zu erfahren.
Dieser Trend kam – woher sonst - aus Amerika! Bei uns erfuhr der Trend um 2003 herum eine Renaissance bei Studenten als Protest gegen Sparmaßnahmen an Hochschulen.
Von einem Flitzer blieb auch das "Schwabinchen" nicht verschont! Eines Abends, der Laden war rappelvoll, stürmte plötzlich ein komplett Nackter zur Eingangstür herein, rannte durchs ganze Lokal und schnurstracks zur Hintertür wieder raus.
Da ich zu dieser Zeit ja gerade noch im Anfangsstadium war, meiner spießigen Erziehung zu entkommen, war ich aber doch noch nicht so weit, einfach darüber zu lachen! Im Gegenteil, ich war entsetzt und wartete darauf, dass der Typ noch mal kam.
Einige Abende später kam er tatsächlich wieder – wie gehabt – pudelnackert! Und ich war schnell! Ich zog sofort meinen Gürtel aus dem Hosen bund und verfolgte ihn bis zur Hintertür, während ich ihm den Hintern versohlte. Lächerlich! Heute schäme ich mich geradezu dafür!
Der Junge war einer von den "Gammlern", die für ein Bier so einiges tun würden, und er hatte wohl eine Wette abgeschlossen.
Eines Abends kam ich an der Bar im "Schwabinchen" mit einem etwa gleichaltrigen Typen ins Gespräch. Sein Name war Maximilian, und irgendwie landeten wir beim Thema "Geldverdienen".
Das war noch vor der Zeit, als ich mich endgültig für die Gastronomie entschied.
Ich hatte immer ein offenes Ohr für lukrative Tätigkeit, und er erzählte mir begeistert von seiner Arbeit. Das war ein mir völlig unbekanntes Metier. Wie ich später erfuhr, wurde es in diesem Milieu "Heipfeln" genannt – Bettwäsche verkaufen an der Haustür – aber mit welcher Masche!
Er zeigte mir sein Auftragsbuch und ich dachte, mir fallen die Augen aus dem Kopf, als ich sah, dass er im Schnitt ca. DM 2000(!) täglich verdiente. Ich wollte mich nicht überschätzen, und bescheiden, wie ich war, dachte ich, mir würden bereits DM 200 am Tag locker zur Zufriedenheit reichen.
Da ich keine Ahnung hatte, wie die ganze Sache ab lief, lud er mich ein, ihn auf Verkaufsfahrt zu begleiten.
Es war wirklich unglaublich! Der Max war ein Genie. Er trat auf wie ein ganz lieber, schüchterner, etwas unbeholfener, fingernagelkauender Bub, das war sein Trick!
Obwohl die Methode unglaublich banal war und heutzutage ganz sicher sogar kriminell, verließ er kein einziges Haus, ohne einen Auftrag abgeschlossen zu haben. Das Prozedere war folgendermaßen: Die Firma, bei der die Bettwäsche bestellt werden musste, schrieb ein Preisausschreiben aus, und durch die Antwortkarten kam sie an die Adressen der potentiellen "Kunden". Der "Vertreter" bekam einen Packen dieser Karten aus einem bestimmten Gebiet und zog los. Es wurde an der Tür geklingelt, und die Bewohner wurden überrascht mit der Mitteilung, sie hätten beim Preisausschreiben gewonnen. Was sie noch nicht wussten, war, dass sie nur etwas gewonnen hatten, wenn auch ein gewisses Paket Wäsche gekauft wurde, zu total überhöhten Preisen natürlich – also eine richtige Abzockertour. Der sogenannte "Gewinn" waren ohnehin lediglich ein paar Waschlappen oder ähnliches. Aber das abzunehmende Paket kostete nicht unter DM 1000, und die Anzahlung von DM 150 musste sofort und in bar kassiert werden. Das war dann auch gleich die Provision.
Der Abschuss war, als wir, irgendwo im Schwäbischen, in ein Bauernhaus kamen, wo die Bäuerin, die Dame des Hauses, krank im Bett lag. Er schaffte es tatsächlich bis ans Krankenbett und schwätzte der bedauernswerten Frau jede Menge Bettwäsche auf, obwohl sie eine riesige Schrankwand voll damit hatte. Die Gute musste sogar noch ein Familienmitglied zur Bank schicken, um Geld zu holen. Unglaublich, aber wahr!
Also zog ich auch los, um richtig Geld zu scheffeln. – Haha!!! Weit gefehlt! Für diese Art von Job war ich schlicht viel zu gutmütig und mitfühlend. Wenn ich in einen Haushalt kam, der offensichtlich eher bedürftig war, konnte ich einfach den Leuten nichts aufschwätzen. Das aber war Voraussetzung - Skrupellosigkeit! Tatsächlich landete ich einen einzigen Auftrag, weil ich wohl zufällig zur richtigen Zeit an der richtigen Tür geklingelt hatte. Das war aber auch der erste und letzte.
Der Max arbeitete immer nur so lange, bis er ein paar Tausender in der Tasche hatte, um es schnellstmöglich wieder auszugeben, und zwar bis zum letzten Pfennig.
Einmal lieh er sich mein Auto für "eine halbe Stunde"! Nachdem er nicht mehr auftauchte, suchte ich ihn in ganz Schwabing – tagelang, ohne Erfolg. Nach Ablauf einer ganzen Woche tauchte er wieder auf.
Wie er mir dann beichtete, war er mit meinem Auto arbeiten gefahren, weil er nicht mal mehr Geld für Benzin hatte. Aber er fuhr einen schneeweißen Mercedes 220SE!
Richtig – ich hatte vergessen, bei meinen Versuchen, "ordentlich zu arbeiten", diesen und noch ein paar weitere "Drückerjobs" zu erwähnen. Aber die waren auch keineswegs erfolgreich. Ich bin einfach kein Typ "Klinkenputzer" und hatte auch viel zu viele Skrupel für so was. Ich konnte einfach keine Leute übers Ohr hauen und ihnen etwas andrehen, das sie ohnehin nicht brauchten.
Allerdings war das "Heipfeln" zu dieser Zeit ziemlich weit verbreitet, und etliche der Jungs machten reichlich Kohle damit, fuhren dicke Autos und waren allgegenwärtig in der Schwabinger Kneipen-Szene.
Den Maximilian habe ich etliche Jahre danach rein zufällig auf einer Geburtstagsparty wiedergetroffen. Es war bei einer alten Freundin von mir, die es in die "höheren Etagen" des Bertelsmann Verlages geschafft hatte. Wir unterhielten uns über Max, und sie erzählte, dass er zwar der beste Verkäufer im Hause war, aber auch die meisten Stornos zu verzeichnen hatte.
Somit war klar, dass er seine Verkaufstaktik nie geändert hatte.
Dabei fällt mir noch so ein Versuch ein, seriöse Arbeit zu verrichten. Aber wie ich nach nicht allzu langer Zeit kapierte, war auch das nur ein linker "Drücker" Job.
Aber anfangs klang es doch recht seriös.
Ich bewarb mich auf eine Zeitungsannonce und wurde erst mal auf eine Schulung nach Lenggries geschickt und zwar ins Hotel zur Post. Das hört sich doch gut an, oder?
Als ich dort einlief, war noch kein "Verantwortlicher" anwesend, lediglich ein paar andere Aspiranten. Es wurden uns Zimmer zugewiesen, und das war's erst mal.
Was jetzt? Na was schon – einen trinken, natürlich!
OK, es wurde ein ausuferndes Saufgelage, und ab einem gewissen Zeitpunkt hatte ich Filmriss!
Am nächsten Morgen sollte das "Seminar" um acht Uhr losgehen.
Etwa um zehn wachte ich auf – nicht in meinem Zimmer! Ich bemühte mich nicht zu rekapitulieren, wie ich da hin kam – ich hatte eh keine Erinnerung mehr, ich war ohnehin noch halbwegs besoffen.
Allerdings war keine Frau im Spiel gewesen.
Nachdem ich Toilette gemacht hatte, begab ich mich endlich nach unten in den Speisesaal, der für das Seminar vorgesehen war.
Lautes Gelächter empfing mich, offenbar hatte ich am Abend zuvor für reichlich Belustigung gesorgt, woran ich nicht die geringste Erinnerung hatte!
Die ganze Gruppe mitsamt Schulungsleiter hatte tatsächlich zwei Stunden gewartet, bis ich geruhte, aufzutauchen.
Jetzt ging's los!
Zunächst sollte jeder einen kurzen Lebenslauf erzählen, vermutlich um die Rhetorik der einzelnen Teilnehmer zu testen. Und logischerweise war ich als erster dran.
Wie gesagt – ich war immer noch ziemlich besoffen.
Um es vorweg zu nehmen – die anderen sprachen im Schnitt etwa drei Minuten – ich aber (!) – ich erzählte so ungefähr über jede einzelne Schandtat meines Lebens ausführlich, und das dauerte rund 45 Minuten.
Es war ein voller Erfolg – die Jungs bogen sich vor Lachen, und meine Ausführungen wurden auch noch auf Tonband aufgenommen.
Es wurde mir später vorgespielt, und ich wollte nur noch im Erdboden versinken, als ich das hörte!
Na ja, wie gesagt, nach einigen Tagen wurde mir klar, dass auch dieser Job unseriös war.
Die Tätigkeit wäre gewesen, einen Sch reib maschinenkurs zu verkaufen, was ja noch absolut seriös klingt, aber der Haken dabei war, man musste zum Kurs auch noch eine Schreibmaschine verkaufen! Und das war ja nun wirklich Abzocke!
Ich habe es tatsächlich geschafft, bei einem einzigen möglichen Kunden vorstellig zu werden, aber der hatte bereits eine Schreibmaschine. Wie also soll man so jemandem eine zweite andrehen?!
Die Leute waren aber sehr nett und luden mich auf einen Drink ein, gefolgt von einer Menge weiterer, und so verbrachte ich einen ganzen Nachmittag bei meinem einzigen "Kunden", bevor ich total betrunken deren Haus verließ – natürlich ohne Auftrag!
Und das war's dann auch schon mit diesem Job, und ich verabschiedete mich von dem Initiator.
Das war gar nicht so einfach. Zu meinem großen Missfallen verfolgte mich dieser noch monatelang telefonisch. Er dachte wohl, ich müsste ein Verkaufsgenie sein aufgrund der ausführlichen Schilderungen meines "Lebenslaufs" bei dieser Schulung.
Sicher war er der Meinung, wenn jemand so reden kann wie ich, der muss ein geborener Verkäufer sein.
Dabei bin ich doch SCHÜCHTERN…!!!
Dies war aber dann wirklich mein letzter Versuch, in diesem Metier Fuss zu fassen.
- VIII. –
Eine der bedeutendsten Anlaufstellen der 60er Jahre war der "Hahnhof" in der Leopoldstrasse, dort, wo heute das Steak-Restaurant "Blockhouse" residiert, nahe beim Siegestor.
"Hahnhof" war eigentlich ein Pfälzer Weingut, das auch Weinstuben betrieb, wovon mehrere in der Stadt verteilt waren, die alle gut liefen, aber dem Laden in Schwabing konnte kein anderer das Wasser reichen.
Im "Hahnhof" kostete der billigste Wein, der "la", 90 Pfennige! Es stand immer ein volles Brotkörbchen auf den Tischen, und das Brot kostete NICHTS! Dadurch wurden zahllose Studenten vor dem "Hungertod" bewahrt. Das "Studentenfrühstück" wurde zur Legende und Kult: Ein Schoppen la und ein Korb Brot - mit Senf! Dementsprechend jung und jugendlich war das Publikum und somit auch immer ein hoher Flirt- und Aufreißfaktor geboten.
Der "Hahnhof" war lange Jahre Kult.
Es kam die Zeit, als die Kneipenszene von "Altschwabing" anfing, richtig zu boomen. Es entstanden mehr und mehr Kneipen, fast in jedem Haus in der Occamstrasse eine und auch in den angrenzenden Strassen.
Schwabing hat gebrodelt, da hat der Bär gesteppt! Eigentlich konnte man keinen Fehler machen, wenn man eine Kneipe aufmachte – alle liefen wie von selbst.
Natürlich gab es vereinzelt dann doch hier und dort eine Kneipe, die nicht lief, aber daran waren die Betreiber wirklich selber Schuld.
Also hat auch Walter Novak zunächst seine zweite Kneipe eröffnet, das "Occam-Pils", und bald kam die dritte dazu, das "New Haimhouse", wie bereits erwähnt. Alle drei Kneipen waren im selben Haus.
Walter hatte mir vor dem "Haimhouse" bereits das "Occam" zur Pacht angeboten, was ich auch schon ablehnte, es sollte schließlich "nur" ein Stehausschank werden! Dass es eine absolute Goldgrube werden sollte, konnte ja niemand ahnen. Also wollte ich es nicht!
Ein weiterer grober Fehler war auch, als mich Christian Bruhn ansprach in Sachen Musik, das war noch in den 60ern. Der Christian war zum einen ein alter Freund von Walter Nowak und des weiteren ein Hitproduzent dieser Ära. Er hat Hits geschrieben, die bis heute bekannt sind, wie zum Beispiel, "Marmorstein und Eisen bricht", oder "Zwei kleine Italiener" – Schlager halt. Er hat sich dann im Lauf der Jahre auch als Aufsichtsratvorsitzender der GEMA etabliert.
Christian kam unregelmäßig, aber ziemlich oft ins "Schwabinchen" auf Talentsuche. Und eines Abends fragte er mich, wie es denn bei mir mit deutschen Texten aussehen würde (ich sang nur englisch).
Ohne zu ahnen, dass ich später tatsächlich als Musiker meine Brötchen verdienen würde, aber zu dieser Zeit immer noch in Vaters Firma verankert, entgegnete ich mit ignoranter Arroganz: "Christian, den Scheiß, den Du produzierst, singe ich nicht"! Wenn ich es nur geahnt hätte – es wäre noch mal ein Sprungbrett gewesen… ! Aber mei…!
Aus dem "Schwabinchen" habe ich mich dann irgendwann zurückgezogen, weil ich Ärger mit Walter bekam. Er löste mir mal einen Scheck von meinem Vater ein, den dieser aber hatte sperren lassen, was ich nicht ahnen konnte. Als ich es bemerkte, hielt ich mich aus purer Feigheit vom "Schwabinchen" fern, anstatt es mit Anstand zu regeln.
Erst circa zehn Jahre später sollte ich zurückkehren und dann auch diese lästige, schon lange überfällige Angelegenheit klären.
Ins "Occam Pils" wagte ich mich rein, denn Walter Nowak hatte es ja verpachtet und war nie anwesend.
Das "Occam Pils" sollte zwar nur ein Stehausschank sein, aber kein gewöhnlicher, sondern einer mit Niveau, nicht so einer, wo alte Bierdümpfel und streitsüchtige Rentner vor sich hin lamentierten und granteln.
Also, das "Occam", wie es kurz genannt wurde, entwickelte sich zu einem unglaublichen Renner! Das Occam war "in", wie man heute sagen würde, es war ein Muss, dorthin zu gehen! Der Laden war nur 16m2 klein, aber ständig so voll von 12 Uhr mittags bis abends um 22 Uhr, dass man unmöglich umfallen konnte. Wenn man hinein wollte, musste man die Eingangstür mit "Gewaltanwendung" aufdrücken!
Der monatliche Bierausschank war gigantisch, den schaffen in der Regel nicht mal Großgaststätten im ganzen Jahr!!!
Die damalige Lieferbrauerei, die "Dortmunder Union", erstellte eine Statistik. Sie verglich europaweit ihren Bierverkauf im Verhältnis Quadratmeter des Lokals zum Bierausschank. Dabei schlug das "Occam" alle Rekorde und war somit – statistisch - die umsatzstärkste Kneipe ganz Europas! Auf 16m2 schenkten die 120 Hektoliter monatlich aus!!! Und wir waren es, die es schluckten!
Außerdem war es bemerkenswert, dass der Ausschank, noch dazu in 0,2 Liter kleinen Gläsern, von einem einzigen Zapfer bewältigt wurde, dem "Occam Michi".
Im "Occam" wurde aber nicht nur gesoffen, es war auch eine geniale Flirt- und Aufreißerbörse. Aufgrund der Tatsache, dass es kein "normaler" Stehausschank war, wurde es auch ausreichend von Mädels besucht – wie praktisch! Und im Verlauf des Tages hat sich so manche Beziehung oder auch nur One-night-stand ergeben. Wenn an der Theke bereits sexuelle Avancen stattfanden und heftig gefummelt wurde, hatte es niemand bemerkt - es war schließlich rappelvoll, und kein Mensch konnte sehen, was man unterhalb der Theke mit seinen Händen machte.
Das "Occam" erhielt zusätzlichen Kultstatus, da es in dem Film "Zur Sache Schätzchen" als Treffpunkt erwähnt wurde. Überhaupt wurde Schwabing durch diesen Film in ganz Deutschland zu einem Begriff und einem Ort, wo jeder unbedingt hin wollte. Schwabing wurde zum Traumziel aller Jugendlichen im ganzen "Reich"! Die Hauptdarstellerin war Uschi Glas, die durch diesen Film erst wirklich bekannt wurde, und der von da an über viele Jahre, eigentlich sogar bis heute, der Beiname "Schätzchen" anhaftet.
Ich war mal mit einem Spezi in nördlichen Gefilden, und als wir uns in einer Kneipe unterhielten, bemerkte jemand, dass wir bayrisch sprachen. Das allein war bereits Grund genug, uns Drinks auszugeben. Und als die Leute auch noch feststellten, dass wir aus Schwabing kamen, wurden wir gefeiert wie Stars. Ja, sooo beliebt war Schwabing!
Die männliche Hauptrolle in "Zur Sache Schätzchen", hatte Werner Enke inne, der unter anderem den Ausdruck "Fummeln" kreierte. Ebenfalls eine Redewendung, die den ganzen Film wie ein "Running Gag" durchlief, war: "S' wird böse enden". Ganz Schwabing zitierte den Spruch, bei jeder sich gebenden Gelegenheit. Enke schrieb auch das Drehbuch zum Film. Er war ja eigentlich Autor und kein Schauspieler, aber in dieser Rolle war er geradezu genial. Na ja, er hatte sie schließlich für sich geschrieben.
Natürlich liebten wir Schwabinger den Film ganz besonders, weil er uns das Gefühl vermittelte, als sei es eine Dokumentation über uns – wir erkannten uns wieder. Dazu kam, dass wir die meisten Schauspieler kannten, da sie uns laufend begegneten, ob auf der Strasse oder in Kneipen. Die waren auch "ganz normal", ohne jeglichen Dünkel. Sie waren quasi "welche von uns".
Es gab noch einen Film über Schwabing, das war "Engelchen – oder die Jungfrau von Bamberg" mit Gila von Weitershausen in der Hauptrolle, neben Hans Clarin, ebenfalls aus dem Jahr 1968. Der Film war zwar auch sehr nett und lustig und hat auch das Schwabinger Leben und die Szene beschrieben, aber er hat nicht den Kultstatus erreicht wie "Zur Sache Schätzchen". Und auch hier kannten wir wieder die meisten Akteure.
Es wurde ja keine Gelegenheit für ein Besäufnis ausgelassen, und so wurde auch mal eine Isarfloßfahrt vom "Occam" organisiert. Sozusagen für alle "Pflichtschlucker" Schwabings.
Zu dieser Zeit waren die Floßfahrten noch sehr urig, also ohne Luxus, nicht wie heutzutage Anfahrt mit dem Bus, mit Grill, großer Getränkeauswahl bis hin zum Champagner und Kaffe und Kuchen, inklusive Scheißhäusel! Damals fuhr man noch mit dem Zug nach Wolf ratshausen und wanderte vom Bahnhof zur Floßlände.
Das Angebot auf dem Floß bestand aus Musik und Bier. Für Brotzeit und Schnaps musste man selber sorgen, je nach Bedarf. Dafür hatte so ein Vergnügen damals auch nur 15 Mark gekostet zuzüglich Bahnfahrt. Also ein wirklich billiger Spaß!
Gebieselt wurde einfach über Bord, und wenn die Mädels mussten, hat sich halt jemand als Sichtschutz davor gestellt. Gekackt wurde nur in der Pause, beim "Brucken Fischer" in Schäftlarn oder bei der "Aumühle"! Das sind Wirtshäuser am Isarufer, so etwa auf halber Strecke nach München, und dort wurde um die Mittagszeit herum angelegt.
Die Unterbrechung der Floßfahrt wurde auch von einigen Pärchen gerne dazu genutzt, sich ins Gebüsch zu schlagen und ein Nümmerchen zu schieben.
Da die Floße so etwa ab 9 Uhr früh in Wolf ratshausen ablegten, mussten wir ca. um 7 Uhr mit dem Zug losfahren. Für mich war das natürlich eine äußerst unwirtliche Zeit, weshalb "Durchmachen" angesagt war. Es wurde also die Nacht vorher heftigst getrunken, gekifft, und nicht zuletzt hatte ich die Angewohnheit, "Captagon" einzuschmeißen. Wer die nicht mehr kennt – das waren "Muntermacher"! Verschreibungspflichtig zwar, aber ich hatte da meine Quelle!
So also verging die Nacht recht kurzweilig.
Am Morgen dann wurde der Zug sogar gefunden, war aber total überfüllt, weshalb ich und einige Leute nur noch Platz im Gepäckwaggon fanden. Aber das war uns in unserem Zustand ziemlich wurscht! Im Waggon kam ich am Boden zu sitzen, neben einer sehr attraktiven jungen Dame, die ich von nun an mit extremer Penetranz anbaggerte! Ich hatte eine Flasche "Jack Daniels" in der Klaue, weshalb auch an Ernüchterung nicht zu denken war.
Im Normalfall bin ich - wie gesagt - schüchtern und keineswegs penetrant, aber in meinem Vollrausch kannte ich keine Grenzen mehr. Allerdings wurde mir diese Situation erst klar, als ich wieder nüchtern war. Jedenfalls ließ ich wohl nicht mehr von ihr ab. Ihren Namen möchte ich hier nicht erwähnen, denn der ist SEHR bekannt, was ich natürlich ebenfalls nicht wusste. Nur soviel – sie hieß Marlene.
Als wir nach einem halbstündigen Fußmarsch die Floßlände erreichten, versorgte ich mich noch mal mit Bier, damit auch ja keine Durststrecke dazwischen kam, und fragte schließlich, welches Floß denn das unsere wäre? Mein Nachbar sah mich etwas verdutzt an und entgegnete: Da steht doch nur eins! So schlimm war es also mit mir – ich sah zwei Floße!
OK, es dauerte nicht mehr lange, dann legte das Floß ab.
Der Tag verlief logischerweise weiterhin äußerst feuchtfröhlich, und ich war auch äußerlich nur noch nass, da ich bei meinen Wanderungen von einem Ende des Floßes zum anderen ständig ins Wasser fiel – und die Isar war kalt!
Kurz vor Schäftlarn gibt es eine Holzbrücke über die Isar. Als wir diese erreichten, bekam ich Zurufe, dort rauf zu klettern und zu springen, andere wiederum riefen: Spinnst du, spring ja nicht! Ich war hin und her gerissen und endlich, als das Floß bereits fast unter der Brücke war, sprang ich doch ins kalte Nass und dann rauf auf die Brücke. Das Brückengeländer ist etwa vier Meter über dem Wasserspiegel, und wieder hörte ich die gegensätzlichen Zurufe.
Aber ich war wie in Trance, und nach eigentlich zu langem Zögern sprang ich schließlich.
Eine vage Erinnerung war, dass ich mich in der Luft bereits überschlug, also einen Salto machte – einen unfreiwilligen allerdings. Als ich wieder auftauchte, sah ich das Floß in fast unerreichbarer Entfernung vor mir schwimmen. Vermutlich etwa 30 Meter. Die Leute auf dem Floß schrien Unverständliches, und obwohl ich fix und fertig war, wurde mir klar, dass es keine Bremse hatte. Also musste ich hinterher!
Mit allerletzter Anstrengung hatte ich es bis zum Floß geschafft, aber dann war ich total erledigt.
Dieser absolute Raubbau mit meinem Körper die Nacht zuvor und auf dem Floß und das eisige Wasser hatten dazu geführt, dass ich einen "Kreislauf Otto" hatte. Man zog mich aus dem Wasser, und ich machte eine gespenstische Erfahrung. Ich war zwar bei Bewusstsein und bekam alles mit, was um mich herum geschah, aber ich war unfähig, mich zu äußern oder mich zu bewegen – absolut apathisch und paralysiert. Ich brachte nicht ein einziges Wort heraus. Die Leute um mich herum und vor allem Marlene kümmerten sich rührend um mich und fragten, wie es mir ginge, aber – wie gesagt – ich brachte keinen Ton heraus, ich hatte einen echten Kreislaufkollaps!
Inzwischen hatte sich wohl Marlene an mich gewöhnt und wich nicht mehr von meiner Seite – einfach herzig, das Mädel!
Nach etwa einer Stunde war ich auf einen Schlag wieder fit! Es war, als ob ich aus einem Traum aufgewacht wäre. Und los ging's! Ab sofort wurde wieder gesoffen, und alles war paletti.
Zu dieser Zeit jobbte ich in der "Occam Beerhall" als Zapfer und war auch an diesem kommenden Abend zur Arbeit eingeteilt. Alle machten Witze darüber, und keiner wollte glauben, ich würde abends fit genug sein, um zu arbeiten. Also forderte ich die Lästermäuler auf, eine Wette einzugehen – um ein Fass Bier! Ein 50 Liter Fass! Die Wette wurde besiegelt, und gespannt harrten sie der Dinge, die da kommen würden, und natürlich auf den vermeintlichen Gewinn und mein Scheitern. Ich überstand die Floßfahrt, und da wir bereits um ca. 16 Uhr in Thalkirchen an der Floßlände ankamen, war noch Zeit für eine Maß im Augustiner Biergarten.
OK, ich trat meinen Dienst an, ich glaube mich zu erinnern, dass wir um 19 Uhr öffneten, und es kam noch eine Erschwernis zu meinem Superrausch dazu – meine Badelatschen gaben den Geist auf, und aufgrund meines Zustands zerdepperte ich mehrere Gläser, sodass ich mit nackten Füssen in den Scherben hinter der Theke herum lief. Aber ich spürte es kaum noch. Erst am nächsten Tag holte ich mit der Pinzette die kleinen Glasfragmente aus meinen Fußsohlen – ach ja, mit Hilfe von Marlene, bei der ich dann erstaunlicherweise aufgewacht bin. Ob da noch was gelaufen war, konnte ich nicht mehr eruieren!
Jedenfalls hatte ich völlig unversehens eine neue Freundin. Sie war zwar total in Ordnung, aber wie sich ganz schnell herausstellte, war sie zu anhänglich. Sie klammerte! Also habe ich dieses Intermezzo nach wenigen Tagen wieder beendet.
Meine Wette hatte ich übrigens mit Bravour gewonnen!
Ich weiß nicht mehr, wer so verrückt war, in Schäftlarn am Isarkanal dieses ominöse Open Air Besäufnis zu organisieren?
Vor allem der auserwählte Platz, an dem das Ganze stattfand, war höchst sonderbar! Er war ungefähr schräg gegenüber dem Gasthaus "Zum Bruckenfischer", das direkt am Isarkanal liegt. Der Platz war winzig klein und auf drei Seiten von Bäumen umgeben, die vierte Seite war der Kanal.
Es gab Bier, einen Grill, und für die Musik sorgten die damals ziemlich gefragten "New Orleans Hot Dogs". Die spielten Dixieland Jazz, größtenteils mit bayrischen Texten. Das kam zu der Zeit sehr gut an.
Sie spielten in dieser Zeit jeden Freitag und Samstag in der "Waldwirtschaft" in Großhesselohe, und der Saal, in dem sie spielten, war regelmäßig bis zum letzten Platz ausgebucht. Sie waren also wirkliche Platzhirsche.
Der Zulauf zu diesem "Isarfest" war enorm! Und es wurde eng! Es war einfach nicht zu verstehen, wieso gerade dieser Platz ausgewählt wurde? An der Isar gibt es hunderte von Möglichkeiten, ein Fest zu feiern, wo uneingeschränkt viele Leute Platz finden. Aber diese Location war durch den Baumbestand so begrenzt, dass die Gäste so dicht gedrängt stehen mussten wie im "Occam Pils" zur Stoßzeit! Man konnte kaum sein Bierglas zum Mund führen! Und – wie nicht anders zu erwarten, fielen mit zunehmendem Alkoholkonsum immer mehr Leute in die kalte Isar! Das war wenigstens lustig!
Ich weiß noch – der Kanal ist ja nicht sehr breit, und so konnte ich hören, wie auf der gegenüberliegenden Seite, ein etwa vierjähriger Junge beim Spazierengehen mit seinen Eltern den Papa fragte: "Was machen die da"?
Gute Frage, dachte ich bei mir – das frage ich mich auch?
- VIX.-
Der "Jackl" Lösch, genannt "Giacomo", war auch ein lustiger Typ. Er war Architektensohn aus Grünwald. Ob er was gelernt hat, also einen ordentlichen Beruf hatte, habe ich nie erfahren. Er war eben da – in Schwabing!
Aus einem skurrilen Grund konnte er nicht mehr zurück in sein Elternhaus, und das kam so:
Er war verlobt mir einer Türkin aus gutem Haus, was damals um 1970 rum noch ziemlich exotisch war. Ihr Vater war beim türkischen Zoll, und zwar in höchsten Diensten.
Jedenfalls schwängerte der Jackl sie, war aber nicht bereit, sie auch zu heiraten! Das war natürlich höchst ehrenrührig – damals, sowie auch heute noch – für eine türkische Frau.
Womit Giacomo allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass ihre gesamten männlichen Verwandten, Brüder und Cousins, in Grünwald auftauchten und ihn zur Ehe zwingen wollten.
Der Jackl bemerkte noch rechtzeitig, was ihn erwarten würde, als die Sippe vor der Tür seines Elternhauses stand, und verschwand schnurstracks durch ein Hinterfenster. Das war's - er wagte sich nie wieder nach Hause! Und so wurde er zum eingefleischten Schwabinger!
Er soff nicht schlecht – Unmengen von Bacardi-Cola, und er hatte eine sehr wunderliche Angewohntheit, wenn er prall war, wie wir eines Abends feststellen konnten.
Wir bereiteten uns auf ein Rock Konzert vor – Fleetwood Mac war angesagt, und um uns einzustimmen, wollten wir vorher noch einen Joint rauchen. Jackl wohnte gegenüber vom "Occam", und so gingen wir rüber in seine Bude.
Ich war zu der Zeit der Einzige in unserem Dunstkreis, der einen Joint drehen konnte, einmal zugeschaut, und schon konnte ich es. Also drehte ich den ersten Joint, und wir rauchten. Offenbar wirkte das Zeug bei den anderen nicht so schnell wie bei mir, und so wurde ein zweiter Joint verlangt.
Da ich bereits stoned war, schien es mir wie Schwerstarbeit, den zweiten zu drehen, aber ich schaffte es.
OK – von wegen, er wirkte nicht!!! Plötzlich stand der Jackl auf und wollte zum Bieseln. Allerdings verwechselte er die Türen und öffnete die von seinem Kleiderschrank, anstatt aufs "Häusl" zu gehen! Wir konnten ihn gerade noch rechtzeitig davon abhalten, rein zu pinkeln.
Diese Angewohnheit sollte er noch öfter wiederholen, auch mit Erfolg – es war eben eine seiner skurrilen Macken! Dieser Abend wurde noch recht wunderlich! Außer dem Jackl schienen die anderen Beteiligten tatsächlich nicht viel Wirkung der Joints zu fühlen, ich aber war total hinüber. Ich war von Haus aus sehr sensibel für dieses Zeug, ich brauchte nicht viel davon.
Wir fuhren also zum Zirkus Krone Bau, wo das Konzert stattfand. Der Andy Schlapa war auch dabei, und ich war so stoned, dass ich mich an seinen "Rockzipfel" klammerte wie ein kleines Kind. Ich fühlte mich so verloren – ich wusste überhaupt nicht, was passierte, und wo ich war.
Andys Rockzipfel ließ ich nicht mehr los, und so schleppte er mich rein in die Halle. Ich sah einen freien Platz, auf dem ich mich unverzüglich niederließ. Die anderen – ich glaube, wir waren zu viert – suchten nach einem ordentlichen Platz, weiter oben, mit guter Sicht auf die Band, aber das war mir wurscht – ich saß, Gott sei Dank! Leider konnte ich von der Band praktisch nichts sehen, weil mir die Lautsprechertürme die Sicht total versperrten, aber ich war zu stoned, um einen besseren Platz zu suchen, und so verlor ich meine Begleiter aus den Augen.
Als das Konzert vorbei war, war auch die Wirkung der Joints verflogen, und ich verließ die Halle, wieder ausgenüchtert. Ich suchte meine Kumpane, beziehungsweise wartete ich vor dem Krone Bau auf sie – vergeblich. Also schnappte ich mir ein Taxi und fuhr gen Schwabing. Die Jungs tauchten nirgends mehr auf, was ich äußerst verwunderlich fand – aber egal.
Am nächsten Tag waren sie wieder da und berichteten mir: Sie hatten also einen besseren Platz weiter oben gefunden, und die Wirkung der Joints setzte dann auch ziemlich verspätet bei ihnen ein – und zwar sehr heftig. Offenbar war dort oben genügend Freiraum, sodass sie sich lang legten und prompt einschliefen.
Bei den Aufräumungsarbeiten wurden sie dann nachts um 2 Uhr von Ordnern entdeckt, die sie weckten und rausschmissen.
Das war also deren Konzerterlebnis.
Legendär waren auch Jackls "Garagen Partys", die er alljährlich veranstaltete, als er noch in seinem Elternhaus wohnte.
Auch er war Stammgast wie ich im "Trader Vic's", einer Cocktail Bar im Keller des Hotels "Bayrischer Hof, und sein Lieblings-Cocktail war der "Tiki Puka Puka". Ein hervorragender Mix mit drei Rumsorten als Basis, den auch ich bevorzugte.
Jackl wollte diesen Drink unbedingt auf seinen Parties anbieten, was aber gar nicht so einfach war, denn Jordan, der damalige Bar Chef vom "Trader's" verriet natürlich um keinen Preis das Rezept für diesen Cocktail. Streng geheim!
Und so blieb dem Jackl nicht anderes übrig, als sich alle Jahre wieder von Jordan containerweise "Tiki Puka Puka" mixen zu lassen und ihn nach Hause zu karren.
Das war ganz schön kostspielig, aber – man gönnt sich ja sonst nichts!
Der Jackl hat später selbst eine Kneipe eröffnet, aber das war ein totaler Absturzschuppen, fast schon ein Frühlokal – nichts für mich! Außerdem war er mir zu teuer! Ich war ein einziges Mal dort, und als ich ein Bier bestellen wollte, meinte er nur lakonisch, es gibt bei ihm nur Flaschen zu kaufen, also Whisky, Wodka, Champagner etc.!
Und das mir – als altem Schwabinger Saufkumpanen! Der spinnt, dachte ich mir, und mied den Laden fürderhin!
Der "Fischer Wolfi" war auch einer, der aus Schwabing nicht wegzudenken war. Anfangs dachte ich, er wäre nur ein "Gammler", aber tatsächlich war er der uneheliche Sohn der "Elfi Pertramer", weshalb er in der Regel "Pertramer" gerufen wurde.
Die Elfi Pertramer war in den 50er und 60er Jahren eine ziemlich bekannte Volksschauspielerin.
A bissl narrisch war er schon – der Wolfi! Ich habe es nicht selbst gesehen, aber eines Tages ging in Schwabing die Neuigkeit um, der Wolfi hätte sich angezündet!
Offenbar hatte er sich aus Liebeskummer angezündet, und zwar, indem er den Sprittank seines Mopeds aufschraubte, dasselbe hochstemmte und den Tankinhalt über sich ergoss. Alsdann steckte er sich an.
Er hatte Glück – oder war es Kalkül? – jedenfalls passierte ihm nicht sehr viel dabei, denn ein Moped verbrennt Benzin/Oel Gemisch, welches nicht so vehement entflammt wie reines Benzin.
Aber in jedem Fall sorgte er für Aufsehen in Schwabing.
Später hat es der Wolfi dann sogar ins Fernsehen geschafft. Unter anderem hatte er eine Sendung, die hieß: "Ein Münchner in New York". Die war sehr nett und lustig, denn er stellte jeweils "Münchner" Plätze, Begebenheiten und Menschen vor, die sich in NY etabliert hatten. So konnte man zum Beispiel erfahren, wo man in NY Weißwürschte und Brezn kaufen konnte oder auch ein echtes Weißbier. Solche Sachen stellte er vor. Alles was in NY münchnerisch war.
Er hatte auch einige Rollen in "heimatlichen" Produktionen, wie etwa "Münchner G'schichten", "Irgendwie und sowieso" und ähnlichem.
Eines Tages tauchte im "Occam" ein Typ auf, der eigentlich so gar nicht zur üblichen Klientel passte. Er war ein Schönling, braungebrannt und top gestylt, und er schmiss Runden – eine nach der anderen. Das war ja zumindest ein Positivum an ihm.
Keiner wusste, woher er kam, jedenfalls nicht aus uns bekannten Kreisen.
In der Folgezeit wurde er auch in unseren anderen Stammkneipen regelmäßig gesichtet, und überall tat er sein Bestes, um sich bekannt und beliebt zu machen. Inzwischen wusste man auch seinen Namen, er war der Jörg Schwägerl. Und bald war er nicht mehr zu ignorieren.
Nach einiger Zeit war klar, was er eigentlich wollte – er war am Eruieren! Das heißt, er hatte im Sinn, eine eigene Kneipe aufzumachen, und er informierte sich nun ausgiebig, wie man das anstellte, denn Erfahrung hatte er keine. Er war ein charmanter, sehr gut aussehender Bursche, das muss man ihm objektiv und neidlos zugestehen, und mit seiner Art akquirierte er nebenbei gleich zukünftige Mitarbeiter.
Jedenfalls sollten wir noch viel von ihm hören, denn in den nächsten Jahren stellte er mehrere Kneipen auf die Füße, die auch alle bestens liefen, und er verdiente eine Menge Geld damit. Aber davon später mehr.
Da fällt mir der "Porsche Bernd" ein. Sein Familienname war nicht bekannt. Der Bernd war wie ich aus "gutem Hause" und offiziell Student. Für welches Fach er eingeschrieben war, wusste niemand, und es wurde auch nie bekannt, ob er die UNI jemals betreten hatte. Und – er fuhr, wie schon sein Spitzname verrät, einen Porsche 911 - einen feuerroten, rennmäßig getunt und mit einem Sound, dass es überall in Schwabing zu hören war, wenn er die Maschine startete.
Sein Auspuff wurde mal von der Polizei kontrolliert, wobei die Jungs lediglich feststellen konnten, dass er vier End rohre anstatt einem hatte, wie beim Porsche serienmäßig üblich. Von der Beschaffenheit des Auspuffs an sich hatten sie keine Ahnung. Es war ein "Sportauspuff", und Bernd bekam eine Mangelanzeige mit der Auflage, ihn zu ändern.
Bernd war sauer, und verrückt, wie er war, ließ er einen Rennauspuff anbauen, ein sogenanntes "Flammrohr" ohne jegliche Schalldämpfung, welcher einen noch brutaleren Sound hatte als der alte. Der hatte aber wie ein serienmäßiger Porsche nur ein seitliches Auspuffrohr! Er fuhr damit bei der Polizei vor, und nachdem die ignoranten Bullen ihn begutachtet, allerdings nicht gehört hatten, bekam er sein OK.
Wir teilten in gewisser Hinsicht dasselbe Los, seine Eltern wollten ihn auch am liebsten nicht zu Hause haben, versorgten ihn aber großzügigst, was bei mir allerdings nicht der Fall war.
Der Bernd war tagtäglich im "Occam" und auf der weiteren "Spur" anzutreffen, und er sprach dem Alkohol kräftig zu. Er war, was ich nie wieder bei einem anderen Menschen erlebt habe, süchtig nach "Fernet Branca"! Ich konnte mich nur schütteln, wenn ich ihm zusah. Igitt, wie konnte man Fernet, dieses bittere Zeug, nur zum Vergnügen trinken?
Eines Nachts, nach wieder einmal ausreichendem Suff, fuhr er doch tatsächlich ins Schaufenster des "Drugstore". Er startete beim "Arthur Kutscher Platz" am einen Ende der Occamstraße und beschleunigte auf mindestens 80 - 90 kmh auf den etwa 200 Metern bis zum "Drugstore" am "Wedekind Platz". Wie er mir am nächsten Tag erzählte, sah er im Fenster des "Drugstore" seine eigenen Scheinwerfer, die er aber für die eines entgegenkommenden Autos hielt, weswegen er ausweichen wollte, was natürlich schwierig war, da ihm die Lichter folgten.
So kam es, dass er samt Porsche durch das Fenster fuhr und somit in der Kneipe landete. Glücklicherweise war es spät nachts, sodass der Laden geschlossen war und keine Gäste gefährdet waren.
Der Bernd wurde dabei nicht mal verletzt, und bereits wenige Tage später hatte er schon einen neuen Porsche – vom Papa!
Neben dem "Occam" gab es noch eine "Absturzkneipe", das "Filou". Der Laden hatte auch einen gewissen Kultstatus, aber nur bei der kompatiblen Klientel. Es war wohl sogar eine Art Frühlokal. Wann es genau öffnete, habe ich nie eruiert, aber es muss ziemlich früh gewesen sein, so circa 6 Uhr morgens, damit die "Pflichtschlucker" auch ja keine Durststrecke in Kauf nehmen mussten.
Ich für meinen Teil habe den Laden nie betreten, es hat mir gereicht, zu sehen, wer da alles so raus fällt.
Die zweite wichtige Adresse in dieser Zeit war die "Zirbelstube" unten in der Marktstrasse. Drei Minuten Fußweg vom "Occam", und du warst dort! Dazu passt der alte Spruch: "Was ist Ozon? - Die schlechte Luft zwischen zwei Kneipen!"
Auch hier, beim Axel Portugall, immer ein angenehmes Völkchen. Es wurde viel geknobelt, "Schwabinger Chicago" oder auch "Lügen". Jägermeister war Trumpf! Oh Gott – ich hatte einmal 52 Jägermeister, aber danach nie mehr einen einzigen. Ich kann ihn bis heute nicht mehr auch nur riechen, nach ca. 40 Jahren!
Ein Wort zum "Jägermeister". Da muss ich noch mal aufs "Occam" zurückkommen.
Ich bin der Überzeugung, dass wir "Occam Gäste" damals an dem immensen Boom, den "Jägermeister" erfuhr, maßgeblich die Auslöser waren. Da war der "Berliner Friedl", der sich immer Scherze erlaubte, indem er etwa 35 Eierlikör bestellte, die aber eh nicht im Angebot waren, was er natürlich wusste. So bestellte er auch mal für die ganze Kneipe Jägermeister. Der war auch nicht im Programm.
Aber der "Occam Michi" (Hagenmeier), war pfiffig. Als der Friedl das nächstemal eine Lokalrunde Jägermeister bestellte, sagte Michi nur: Einen Moment, kommt gleich! Er hatte zwischenzeitlich tatsächlich "Jägermeister" eingekauft, und Friedl war fällig! Er schien uns zu schmecken, und sehr bald gab es "Jägermeister", und zwar in Windeseile, in jeder unserer Stammkneipen. In kürzester Zeit war er dann überall zu haben. Wie gesagt, für mich bis zum 52sten!!!
In der "Zirbel" erwuchs auch ein Trend, der sich in ganz Schwabing ausbreiten sollte.
Da gab es einen Gast, einen Studenten aus Düsseldorf, Peter Frankenheimer hieß er, und er war Spross aus einer Dortmunder Altbierbrauerei gleichen Namens.
Altbier war zu dieser Zeit Ende der 60er in ganz Bayern kaum oder gar nicht bekannt.
Der Peter bot an, vom nächsten Besuch in seiner Heimat ein kleines Fass Altbier zur Probe mit zu bringen. Und so geschah es.
Es wurde verkostet, und erstaunlicherweise fand es großen Zuspruch, zunächst mal bei der "Zirbel" Klientel.
Axel, der Wirt, war aufgeschlossen genug, um Altbier sofort in sein Getränkeangebot aufzunehmen, und es dauerte nicht lange, da wurde es fast in jeder Pilskneipe alternativ angeboten.
Das "Alt" fand seinen Weg auch über die Grenzen Schwabings hinaus und war bald in der ganzen Stadt verbreitet. Dieser Trend hielt sicherlich um die zwanzig Jahre an, hat sich dann aber schleichend und unauffällig wieder verabschiedet.
Heutzutage gibt es nur noch wenige Kneipen, in denen "Alt" ausgeschenkt wird.
Die "Zirbel" war über längere Zeit so was wie die "Zentrale" für uns eingefleischte Schwabinger. Es war wie Party jeden Tag, und der Flirtfaktor war sehr hoch.
Da hatte ich auch mal eine Favoritin, eine gewisse Uschi, bei der ich allerdings nicht landen konnte. Sie hatte etwas Feines, Elitäres an sich, ohne aber arrogant zu wirken, und ich nannte sie "mein Augenstern". Sie war auch immer sehr lieb und nett zu mir, aber das war's schon.
Erst Jahre später sollte ich aus der Klatsch presse erfahren, dass sie die Prinzessin Uschi zu Dohna, spätere Hohenlohe war.
Als ich sie circa 30 Jahre später auf einer Party wieder traf, sprach ich sie an, und obwohl sie mich nicht gleich erkannte, konnte sie sich erinnern, dass ich sie früher "Augenstern" genannt hatte, und wir amüsierten uns köstlich darüber.
Sie war auch jetzt noch nicht überheblich oder arrogant. Eine sehr angenehme Lady, und sie sieht auch heute noch sehr attraktiv aus.
Aber die größte Favoritin der Zirbelgäste war wohl die Inge!
Inge war die Bedienung der "Zirbel". Irgendwann wusste ich auch mal ihren Nachnamen, aber sie war einfach nur die "Zirbel Inge".
Später hat sie in den "Bierkeller" gewechselt, wodurch sie dann zur "Kellerassel" mutierte.
Die Inge war eine sehr süße, sehr hübsche Blondine, sehr verbindlich und scheinbar immer gut drauf. Sie lächelte immer und war zu jedem Gast sehr freundlich.
Mir drängte sich der Eindruck auf, dass sämtliche Jungs, die in Schwabing unterwegs waren, auf sie standen, was wohl ein zusätzlicher Faktor war, weshalb die "Zirbel" so beliebt und stark frequentiert war.
Eines Tages lud Inge ein zu einer Party anlässlich ihres Geburtstages. Sie lud nicht nur die Männer ein, sondern ausdrücklich "mit Begleitung"!
Natürlich war auch ich von Inge angetan, und so lief ich mit einem enormen Blumenstrauß auf der Party ein.
Es stapelten sich so um die 40 Leute in ihrer kleinen Wohnung, aber "Leute" ist die falsche Bezeichnung, denn es waren NUR Männer da! Keiner hatte eine weibliche Begleitung mitgebracht, da jeder bei Inge landen wollte, und so war Inge die einzige Frau auf der Party.
Alle hatten Blumen mitgebracht, und mir blieb nur der schwache Trost, dass mein Blumenstrauß der größte war.
Da mein Wirkungskreis hauptsächlich Schwabing war, ergab es sich zwangsläufig, dass ich Inge auch tagsüber begegnete, so auch im "Occam".
Eines Tages sprach sie mich darauf an, ob ich denn am Abend mit ihr tanzen gehen würde.
Wir hatten schon öfter zusammen getanzt, wenn wir uns im "Piper Club" getroffen hatten, aber immer sehr unverbindlich.
Aber das hier war ja ein richtiges Date, und ich sagte natürlich hocherfreut zu.
Ich werde es nie vergessen – wir gingen in Stonys "Club 28", der am Pündter Platz gelegen war. Das war zu der Zeit ein sehr angesagter Club.
OK, wir waren platziert und hatten Getränke vor uns, aber es wollte keine Unterhaltung zustande kommen. Es wurde immer zäher, und es war nur erträglich, wenn wir tanzten, denn da mussten wir nicht reden, die Musik war ohnehin zu laut dafür.
Jedenfalls stellte ich fest, dass wir nicht den Anflug eines "Drahtes" zueinander hatten!
Und dieses Date sollte auch das einzige bleiben, das wir hatten. Ich hatte nicht mal im Anflug den Wunsch, mit ihr zu schnaxeln. Sie erschien mir plötzlich absolut "sexless" zu sein.
Aber sie schien das nicht weiter zu tangieren, wir blieben trotzdem "Spezln", und später wurden wir auch Kollegen, als ich im "Popcorn" arbeitete.
-X.-
Eines Morgens, es war Fasching, und alle "Überständigen" trafen sich nach durchzechter Nacht im "Drugstore" am Wedekind platz. Der öffnete damals bereits um 7 Uhr zum Frühstücken. Maskiert waren wir zwar nicht – das hatten wir auch nicht nötig – für uns war das ganze Jahr über Fasching, denn es war die Zeit, in der man alles anzog, wonach einem war. Wollte man aussehen wie ein Cowboy – kein Problem, man zog sich eben so an. Oder wollte ein Mädel aussehen wie eine Haremsdame, auch kein Problem – zog sie eben ein Schleiergewand an. Das war in Schwabing "normal", kein Mensch drehte sich nach einem um.
Wir verbrachten also den Vormittag zechend im "Drugstore" und warteten ungeduldig auf "High Noon", denn da machte das "Occam" auf. Endlich war es so weit, und wir pilgerten die hundert Meter vor in der Occamstraße. Wir standen vor verschlossener Tür! Der "Michi" hatte wohl verschlafen. Lange währte unsere Geduld nicht, und weil wir alle ohne Ausnahme angesoffen und durstig waren, überlegten wir, was als Alternative in Betracht kam. Da war noch das Café "Schwabinger Nest" in der Leopold Straße, nahe Ecke Franz-Josef-Straße. Der "Berliner Friedl" hielt ein Taxi auf, um dorthin zu fahren, obwohl es nur ein Fußweg von ca. 5 Minuten war. Als noch einige zusteigen wollten, winkte er ab: Nö-nö, das is meins! Sofort war die Idee geboren, dass sich jeder sein eigenes Taxi einfing. Zum Leidwesen der armen Taxifahrer! Die waren natürlich stocksauer über den "Mini-Stich".
Wir waren so viele, dass das "Nest" praktisch voll war ausschließlich mit unseren Leuten, außer ein paar "Fremdkörpern". Unserem Zustand entsprechend waren wir sehr laut, möglicherweise auch unflätig, und was so alles zu einem g'scheiten Rausch gehört, wodurch wir die paar seriösen Gäste in die Flucht trieben. Sehr zum Ärgernis des Betreibers. Also wollte man uns der Lokalität verweisen, aber weit gefehlt! Nachdem ein kollektives Lokalverbot ausgesprochen wurde, ging ein unglaubliches Gelächter los. Wie wollte man uns denn rausschmeißen??? Wir gehörten schließlich alle zusammen? Also biss der Wirt in den sauren Apfel und akzeptierte zähneknirschend wenigstens den Umsatz, den wir machten.
Hauptpächter der "Zirbelstube" war der Dieter Hartmann. Er war ein "Dachauer Moosbummerl", eigentlich Schreiner von Beruf, aber seine Berufung war es, "Mr. Schwabing" zu werden.
Nachdem sein Erstling, die "Zirbel", von Erfolg gekrönt war, machte er eine Kneipe nach der anderen auf. Sein Konzept war denkbar einfach, aber genial. Er pachtete alte Kneipen oder Wirtschaften an und umging die mit hohen Kosten verbundene Neukonzessionierung dadurch, dass er die Läden nach und nach umbaute bzw. umgestaltete, ohne sie jemals wegen Umbaus länger zu schließen. Sein Stil war bayrisch-urig und kam damals sehr gut an. Er wollte möglichst alles aufkaufen, was in Schwabing zu haben war, wurde aber dann doch gottlob ausgebremst, sonst hätten wir nur noch bayrische Kneipen bekommen.
Aber er wurde ja eh als "Großgastronom" quasi abgelöst, vom Schwägerl und von den Samy Brüdern.
In Schwabing konnten alle "Halbirren" ihre Spleens ausleben. Nicht von ungefähr hat bereits Fanny Gräfin zu Reventlow für den Wedekind Platz den Begriff "Platz der sanften Irren" geschaffen, und für Gesamtschwabing den Namen "Wahnmoching". Das war bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts, sie starb schon 1918. Auch sie war keine "gebürtige" Schwabingerin, sondern eine Preußin. Trotzdem wurde sie zur "Schwabinger Gräfin" oder auch "Skandal Gräfin" der Münchner Boheme. Sie war Schriftstellerin, Malerin und Übersetzerin.
Solche "sanften Irren" waren zum Beispiel eine alte Frau, die in einem Kinderwagen ihre Gans spazieren fuhr, eine lebende Gans wohlgemerkt, oder ein Typ, der immer einen Falken auf der Schulter mit sich trug. Dann war da die "Nachtigall von Ramersdorf", der Franzi oder die Francoise, wie er/sie sich je nach Laune nannte. Er trug auch immer Perücken, ganz nach temporärer Laune, entweder mit Damenfrisur, lang, oder Herrenfrisur, kurz, auch in unterschiedlichsten Farben. Ich glaube, kein Mensch weiß, oder hat je gesehen, was da drunter war??? Wir waren immer der Annahme, dass er selbst nicht genau wusste, ob er Manderl oder Weiberl war. Er empfand sich als Künstler, vor allem als Sänger. Zeitweise verkaufte er die "Abendzeitung" nachts, vorrangig in Kneipen, und wenn er unter anderem auch im "Schwabinchen" auftauchte, wurde er ans Mikrofon gebeten, was als Gag gedacht war, nur mit dem Effekt, dass er nicht mehr auf hören wollte zu singen. Und sein Gesang war schrecklich, obwohl sein Stimm-Material eigentlich gut war! Er sang Arien, oder besser, er versuchte es, aber tatsächlich und leider war das sehr schrill, und er traf keinen einzigen Ton richtig.
Es gab noch einen "Abendzeitung" Verkäufer, den Hamberger Franzi. Der aber war ein echtes Original. Er war Geräuschimitator und konnte die unterschiedlichsten und skurrilsten Stimmungen und Stimmen imitieren. Wenn er ans Mikrofon gebeten wurde, machte er jeweils ein gutes Geschäft, denn es wurden ihm sofort alle seine Zeitungen abgekauft. Er zierte sich zwar immer, aber ich denke, das war nur Show. Er hatte Themen wie etwa "Stimmung auf dem Bauernhof" oder die unterschiedlichsten Flugzeuggeräusche, vom Hubschrauber bis zum Jet, aber das genialste war sein "Reichsparteitag". Er betonte immer, dass er das nicht dürfe, und uns ging es dabei nicht um Politisches, oder dass wir etwa braune Sympathien gehabt hätten – nein, es war einfach unglaublich, wie er mit einer zum Trichter gerollten Zeitung am Mikrofon Hitlers Stimme imitieren konnte und auch das Geschrei von Tausenden Menschen dazu.
Eine sehr witzige Figur war eine ältere Frau von der Heilsarmee. Sie lief oft durch alle Schwabinger Kneipen, in Heilsarmee-Uniform natürlich, und bat um Spenden, wobei sie auch die Vereinszeitung "Kriegsruf" feilbot. Sie war immer besoffen, zumindest, wenn sie im "Schwabinchen" auftauchte. Wer weiß, wo sie vorher schon war. Offensichtlich wurde sie in jeder Kneipe abgefüllt, und wir machten uns einen Spaß daraus, auch sie ans Mikrofon zu zerren. Sie gab dann jeweils ein Lied der Heilsarmee zum Besten, immer dasselbe, das war irgend so was wie "Lass' den Sonnenschein herein". Sie hatte eine Zahnprothese, die offensichtlich zu locker saß, denn sie fiel ihr beim Singen immer herunter, worauf sie mit der Unterlippe wieder nach oben geschoben wurde.
Das sah umwerfend komisch aus. Der Gesang war sehr schräg, und wegen ihrer Prothese kam der Text nur als Lispeln und Nuscheln hervor.
Eigentlich gemein, was wir da machten, aber wir kringelten uns vor Lachen.
Eine konstante Größe im Schwabing dieser Zeit war die – zu dieser Zeit möglicherweise einzige – Rosenverkäuferin der ganzen Stadt. Lange bevor dieses Geschäft von der sogenannten "Rosenmafia" übernommen wurde.
Das war die Johanna.
Sie war eine seriöse, stattliche und gutaussehende Frau, man konnte sie ruhig als Dame bezeichnen. Sie war wirklich imposant, denn sie war sicher an die einachtzig groß! Stets hatte sie ein elegantes graues Trachtenkostüm an, und sie wurde immer in einem Mercedes 220 vorgefahren. Der Chauffeur war vermutlich ihr Freund. Sie hatte immer wunderschöne Rosen, nicht so a "G'lump", wie es später von den Pakistani verkauft wurde. Und aus diesem Grund hatte sie auch in den besten Kreisen Zutritt und jede Menge Kundschaft.
Also, selbst dieses Gewerbe hatte damals noch keinen schalen Beigeschmack!
Der Luber Sigi war zwar nicht gerade ein Original, aber ein gutes Beispiel dafür, wie positiv sich der Genuss von "Pot" auswirken kann.
Der Sigi war in den 60ern bis Anfang der 70er berüchtigt und gefürchtet als einer der bösesten Schläger der Stadt. Er war von Haus aus aggressiv und ging keinem Ärger aus dem Weg, im Gegenteil, er zettelte auch gerne an.
Hier ein Beispiel, das ich noch in Erinnerung habe:
Es passierte bei einem Frühschoppen im "Doktor Flotte". Der Sigi sollte enfernt werden, weil er ständig grundlos Leute anstänkerte, und so fanden sich ein paar Jungs, die sich seiner an nehmen wollten. Der Michi Kahn und sein Onkel und bester Freund Werner Schüler waren auch darunter.
Sie waren zu fünft, und der Sigi war solo. Aber wer nun dachte, dass diese Aktion einfach gewesen wäre, liegt falsch! Der Sigi ließ sich nicht so einfach entsorgen. Er war ein echtes Tier! Obwohl man ihn leicht unterschätzen konnte, denn er war höchstens 1,60m groß, allerdings recht kompakt.
Also entbrannte eine heftige Schlägerei, und alle fünf Jungs bekamen von Sigi die Hucke voll! Nach einiger Zeit gelang es dann, ihn aus dem Lokal zu bugsieren, aber Sigi war noch lange nicht fertig, und so ging die Prügelei vor dem "Flotte" weiter.
Endlich, nachdem man Sigis Kopf heftigst an geparkte Autos geschmettert hatte, schien er aufzugeben.
Die Jungs waren ziemlich heftig zugerichtet und gingen wieder ins Lokal.
Aber kurz drauf konnten sie durchs Fenster sehen, wie sich Sigi wieder erholt hatte und erneut ins Lokal stürmte. Er war wie ein Steh-auf-Männchen!
Und so ging das Ganze von vorne los, bis endlich jemand die glorreiche Idee hatte, die Bullen zu rufen.
Die kamen dann auch gleich mit vier Einsatzwagen und versuchten Sigi zu stoppen. Aber sogar vor den Polizisten machte Sigi nicht halt! Er ging auf sie los und verprügelte sogar die noch, bis schließlich eine Übermacht von insgesamt elf ausgewachsenen Männern es schaffte, ihn nieder zu zwingen.
Das hat sich dann schlagartig geändert, als er die ersten Joints probierte. Der Sigi wurde umgänglich! Plötzlich schlug seine Aggressivität um in Gutmütigkeit, er entdeckte die Musik, war auf einmal "Headbanger" und mutierte schließlich sogar zum DJ! Also sag' mir ja keiner, Haschisch wäre etwas Negatives. Leider hat ihn zu früh der Krebs dahin gerafft.
Er war auch eine Zeit lang Türsteher im "Tiffany's" an der Münchner Freiheit. Das war zwar bereits in seiner "geläuterten" Zeit, aber dort musste er sich dann des Öfteren nur noch aus "beruflichen" Gründen prügeln. Da hat er auch mal mühelos fünf Zuhälter fertig gemacht.
Aber privat war er nur noch friedlich.
Man hat ja immer gesagt, Schwabing sei die Heimat der "sanften Irren".
Da kam mir mal der Gedanke, dass doch eigentlich die Irren die Normalen sind!
Wenn man es genau betrachtet!