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IV

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Schon war eine Woche verflossen. Den Sonntag nutzte ich, um einen Freund in der Nähe von Montpellier zu besuchen. Er studierte im zweiten Jahr Jura und gab mir die Materialien zu einigen Seminaren, was mich bei meinen autodidaktischen Vorbereitungen unterstützte. Es war mir nicht möglich, eine sichere Beschäftigung zu bekommen und an den Vorlesungen der rechtswissenschaftlichen Fakultät teilzunehmen.

Das Wetter war schön, ich fuhr mit dem Fahrrad, um das Geld für den Bus zu sparen und zugleich, um mich ein wenig zu trainieren, zumal ich weniger Fußball spielte. Ich musste mich überwinden, da mir das Fahrradfahren allein nicht allzu sehr gefiel. Viel lieber fuhr ich mit der Clique durch die uns umgebende Landschaft. Das bereitete uns allen Vergnügen, zumal der kleine romantische Ort einiges an Charme zu bieten hatte und den Mädchen viel Anlass zum Lachen und fröhlichem Gekreische gab. Ganze Tage verbrachten wir dort, denn manchmal picknickten wir auch. Zuweilen kam es vor, dass wir während der Badesaison gut dreißig Kilometer am Strand von Sète entlang radelten, oder vom Étang de Thau bis Agde oder Marseillan. Das Fahrrad hatte seine Bezeichnung Petite Reine, kleine Königin, durchaus verdient. In dieser Zeit kannte ich noch keinen Autobesitzer, Autos waren prinzipiell denjenigen vorbehalten, die von Berufs wegen darauf angewiesen waren. Sie mussten ihre Fahrten aufgrund der Rationierung der Benzinvorräte sehr begrenzen. Viele Fahrzeuge besaßen einen Gasmotor, einen Apparat, der also festen Brennstoff in Gas umwandelte. Daher verbrachten wir unsere freien Tage auf gesunde Weise, auf dem Fahrrad, mit Schwimmen und anderen „Disziplinen“ wie Fußball und Tischtennis, was mich betraf.

Bei meiner Rückkehr fand ich zwei Briefe vor, einer war von Syl, einer von Thérèse. Erstere berichtete mir von ihrem Zeitplan, der aufgrund des Semesterbeginns überfüllt war, sowie von allem, was sie erledigen musste, Bücher und anderes Material, das es zu besorgen gab, was mich stutzig machte. Sie würde am kommenden Wochenende nach Mèze zurückkehren. Sie konnte es kaum erwarten, mich wiederzusehen, um mir ihre ersten Eindrücke vom Studium zu berichten. Thérèse kündigte mir an, dass sie sich zwei Tage frei nehmen würde, konnte mir aber noch kein genaues Datum nennen. Und einige intimere Kleinigkeiten hatte sie mir geschrieben, die ich für mich behalte. Das Vertrauen und die Geduld wurden auf die Probe gestellt, aber daran war ich gewöhnt mit meinen engsten Freundinnen, obwohl ich zugeben musste, dass ich sie nach einer gewissen Zeit vermisste. Andererseits verhinderte dies den Gewöhnungseffekt und ließ mir Raum, um zu Hause zu lernen – schließlich musste ich meine Studien ernst nehmen. Es ist umso notwendiger, an die Zukunft zu denken, wenn man weiß, wie unwägbar die Gegenwart ist. So war es in meinem Fall; ich konnte auf keine Erbschaft hoffen, ich musste selbst das Werkzeug schmieden, das mir später erlauben würde, mir mein Leben so gut wie möglich einzurichten. Das vergaß ich manchmal zu bedenken. Zum Glück rief Syl mich von Zeit zu Zeit zur Räson und ermahnte mich, Thérèse ebenso, indem sie mir vorhielten: Glaub‘ nicht, dass du die Aufnahmeprüfung schaffst, wenn du weiter so faul bist wie in den letzten Wochen! Recht hatten sie, jedoch war ich nicht tatenlos, sondern setzte nur die falschen Prioritäten.

Seit einigen Wochen wusste ich von meiner erfolgreichen Aufnahmeprüfung für die Finanzverwaltung und dass ich fatalerweise an einem beliebigen Ort in Frankreich eingestellt würde. Diese Nachricht warf einige Probleme auf, an die ich jetzt noch nicht denken wollte. Meine Freundinnen waren erschrocken, als ich hinzufügte, dass mich diese Aufnahmeprüfung nicht interessierte, indem ich ihnen eine Übungsarbeit zeigte. Sie glaubten, dass ich scherzte. Nachdem ich einige Tage allein verbracht hatte, um mich vorzubereiten, nahm ich wieder an dem abendlichen Ritual des gemeinsamen Hin-und Herlaufens auf der Esplanade teil. Die offenherzige Laure sprach mich vorwurfsvoll an:

- Also mein Lieber, du hast dich ja ganz schön rar gemacht in der letzten Zeit, hast du zufällig andere Beschäftigungen?

- Was weiß ich, erwiderte ich, niemand ist verpflichtet, jeden Tag hierher zu kommen. Jeder kann über seine Zeit verfügen, wie er möchte… Dann hast du mich also vermisst? Du weißt, dass ich dich sehr mag, Laurette!

- Gestern Abend, erzählte die hübsche Josie, war Barbara hier und hat eine schöne Zeit mit uns verbracht. Sie ist wirklich sympathisch. Sie hat uns ein wenig von sich erzählt, dass sie aus Brest kommt und welche Umstände sie hierher verschlagen haben. Ich glaube nicht, dass in Josies Bemerkung eine Anspielung lag, aber ich hatte leichte Zweifel, zumal ich mit einem Schweigen geantwortet hatte. Barbara… Insgesamt war es eine flüchtige Begegnung mit ihr gewesen, wir hatten Belangloses ausgetauscht, aber zugleich hatten wir einer gegenseitigen Emotion Raum gegeben. Ich gebe zu, dass einer meiner Sinne durch ihren Anblick tief berührt war, eine Art Schock erfahren hatte. Ich hätte aus Stein bestehen müssen, um nichts zu empfinden. Sicherlich war ich zufrieden und freute mich, dass Barbara sich unserer Gruppe angeschlossen hatte. Nun gab es ein Mädchen mehr, umso besser! Ihre Schönheit hatte mich erschüttert, zunächst nicht mehr, als bei einigen anderen Mädchen. Zum Beispiel hatte mich Angèle, eine meiner ältesten Freundinnen, für einige Zeit verwirrt, aber dabei war es geblieben, zumal sie sich bald einem anderen zugewendet hatte. Wenn es geschieht, dass zwischen Liebe und Freundschaft eine Art Osmose entsteht, so ist das nicht unangenehm, ich würde sogar sagen, dass es das perfekte Glück bedeuten kann, vor allem wenn man nicht nach der Dauer, der Beständigkeit fragt. Momentan hatte ich, was mich anging, mit Syl und Thérèse zwei besondere, privilegierte Beziehungen. Beide waren in unserer Clique sehr beliebt, auch wenn sie wegen ihrer Verpflichtungen nur selten auftauchten. Dadurch war ich gezwungen - welch eine angenehme Pflicht! - mit anderen Mädchen zu sprechen und herumzulaufen. Aber niemand war verzichtbar, und alle passten sich, mich eingeschlossen, der Situation an. Letztere war perfekt, ideal für mich; mit Syl verband mich das Privileg der langjährigen Freundschaft, mit Thérèse brachte mich die Liebe auf die Freundschaft, sie war gegenwärtig, aber nicht von derselben Natur. Dieser Austausch, der Wechsel zwischen beiden besaß eine gewisse Originalität. Mit der Clique traf ich mich regelmäßig, vielleicht etwas zu häufig. Durch meine sportlichen Aktivitäten hatte ich auch Beziehungen ganz andere Art, mit meinen Mannschaftskameraden, bei denen es sich, ähnlich wie in einer Schulklasse, um Kameraden handelte, nicht unbedingt um Freunde. Vertrauenswürdige, feste Verbindungen ließen sich nur mit wenigen von ihnen knüpfen. Dies war der Fall bei meiner Freundschaft mit Tonio, von dem zu erzählen ich sicherlich noch Gelegenheit haben werde.

Wir liefen gerade wieder unsere Straße entlang, als plötzlich einer in die Runde warf: - Wie wäre es, wenn wir heute Abend alle zusammen etwas essen? Jeder braucht nur seinen Schrank zu durchforsten und irgendetwas Essbares mitzubringen!

- Das ist keine schlechte Idee, eigentlich, sagte ich.

- Der Krieg ist zwar vorbei, meinten andere, aber trotzdem muss immer noch gespart werden…

- Ginette, könntest du nicht wieder so eine kleine Überraschung vorbereiten wie das letzte Mal? fragte eine schüchterne Stimme. - Ja, ja, empörte sich Ginette, damit ich wieder Ärger mit meinem Vater bekomme! Er hat mich die Pute bezahlen lassen! Ginettes Vater hatte gute Beziehungen zu einigen Bauern aus der Umgebung, die ihn und seine Familie mit Fleisch und anderen Lebensmitteln versorgten. Als Textil-und Tuchhändler tauschte er eine Unterhose gegen ein Dutzend Eier, eine Hose gegen zwei Hähnchen, und einmal hatte er sogar ein Schwein für ein Stück Tuch erworben. Wir würden uns jedenfalls heute Abend mit einem Meter Bratwurst begnügen.

- Ach, Raoul, du hättest Isa aufhalten sollen, bevor sie sich verdünnisiert hat! Dann hättest du sie um ein Kilo Bohnen bitten können, rief einer der Jungen. Isas Vater war nämlich im großen Stil auf dem Schwarzmarkt tätig, was den anderen und mir einige Vorteile verschaffte. Leider fehlten mir die Zeit und die Gelegenheit, die Verbindung zu Isa zu pflegen, geschweige denn zu vertiefen.

Laure fragte mich: Hast du eigentlich noch die Schlüssel zu eurem Haus? Und fügte hinzu: Jetzt, da die boches abgezogen sind, könnten wir uns doch heute Abend dort treffen. Ich bringe meinen Plattenspieler mit, dann können wir tanzen. Und das Beste ist ja: Heute haben wir Samstag, morgen können wir ausschlafen! Und ich erwiderte in scherzhaftem Ton: - Ja, und da stehen sogar noch die Pritschen, die Bettgestelle zum Übernachten, die uns unsere lieben Gäste bei der Abreise als Geschenk überlassen haben!

- Das ist sehr lieb von dir, antwortete Josie lächelnd, aber ich ziehe doch mein eigenes Bett vor. Während wir über die „Fressalien“ diskutierten und überlegten, erschien Barbara am unteren Ende des Platzes, wo wir stehen geblieben waren, um zu beratschlagen. Alle empfingen sie mit einer wahren, nicht gespielten Begeisterung, so dass ich sicher war, dass sie schon alle von uns erobert hatte. Das wunderte mich kaum, denn alles war so natürlich, so echt, so authentisch an diesem Mädchen, ihre Freundlichkeit, ihre Schönheit, ihr Auftreten, das weder überheblich noch schüchtern war, mit alledem bezauberte sie ihre Umwelt.

- Meine Mutter ist mit unserer Nachbarin ausgegangen, daher habe ich mich bis jetzt in meine Lektüre vergraben, sagte sie. Aber dann hatte ich es eilig, Sie wiederzutreffen. Wenn nicht, wäre ich tatsächlich enttäuscht gewesen, dachte ich. Ihre Freude bekundete sie in der allgemeinen Begrüßungsszene. Dann fragte sie uns: Ich will nicht aufdringlich sein, aber haben Sie etwas Bestimmtes für heute Abend geplant?

- Also, da wir kein Komplott gegen irgendjemanden schmieden, können wir es dir erzählen. Außerdem duzen wir uns alle, das ist die Regel! Ein Schleckermaul unter uns hat eben den Wunsch geäußert, ein gemeinsames Essen zu veranstalten. Wenn du magst, bist du eingeladen!

- Das ist eine ausgezeichnete Idee, aber wie wollen wir das organisieren? Habt ihr schon…?

- Wir haben gerade Vorschläge gesammelt, um das Nötigste zu beschaffen, antwortete ich ihr. Wenn jeder das, was er bei sich findet und was ihm genießbar scheint, mitbringt, ein Stück von diesem oder jenem - in der Hoffnung, dass die Eltern von dem einen oder anderen ihren Mitteln entsprechend etwas abgeben, fuhr ich fort. Als passenden Ort wollte ich mein Elternhaus zur Verfügung stellen. Es ist weit davon entfernt, ein Hotel zu sein, vor allem habe ich keine Ahnung, in welchem Zustand die boches es uns hinterlassen haben!

Aber es war in dieser Jahreszeit allemal angenehmer, als am Strand zu picknicken. Barbara hatte eine andere Idee: Ich weiß, wo wir uns noch treffen könnten, wenn ihr einverstanden seid. Ich glaube, dass es für meine Mutter eine große Freude wird. Wir haben ein großes Wohnzimmer, wenn auch die Wohnung nicht riesig ist, können wir sicher zwölf Personen oder mehr einladen. Ich versichere euch, dass es meiner Mutter keine Umstände macht, sie spricht so gern mit jungen Leuten, das ist sie ja als Lehrerin gewöhnt. Ich habe sogar den Eindruck, dass ihr dieser Austausch fehlt, das ist ein gutes Zeichen! Es wäre für uns wirklich ein Glück, wenn sie ihre Arbeit bald wieder aufnehmen könnte.

- Wenn das so ist, riefen wir unisono, ist es uns eine große Freude, die Einladung anzunehmen. Barbara schlug vor: Ihr macht, was ihr geplant habt, und ich erwarte euch gegen 19.00 Uhr, wenn es euch recht ist!

Ein unvergessliches Jahr

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