Читать книгу Hitze - Raven Leilani - Страница 5

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Am Donnerstagmorgen geht das heiße Wasser nicht, und einen neue Maus steckt in der Falle. Meine Mitbewohnerin und ich füttern seit sechs Monaten eine Mäusefamilie durch. Wir haben eine Reihe von Fallen ausprobiert und uns bei Home Depot angeschrien, welcher Tod am humansten wäre. Meine Mitbewohnerin wollte die Chemiekeule auspacken, aber keins der Fenster lässt sich öffnen. Deswegen haben wir schlichte Klebfallen, die künstlich nach Erdnussbutter riechen. Das Problem ist, um die Maus wieder abzukriegen, muss ich rausgehen und ihr Rapsöl auf die Füße kippen. Ja, es sind immer Löcher im Brot. Ja, die Vermieterin, eine dreiundzwanzigjährige Detox-Tee-Instagrammerin, die das Gebäude von ihrem Großvater geerbt hat, ignoriert meine E-Mails. Aber wir müssen alle essen. Wenn ich also auf der Straße stehe und versuche, die gestresste, stellenweise kahle Maus freizulassen, während die dicke gefleckte Deli-Katze von der anderen Straßenseite zusieht, habe ich das Gefühl, die Mäuseplage und ich sitzen im selben Boot. Auf dem Rückweg denke ich daran, wie wenig die Maus verlangt. Ich denke an Hühnerfett und Erdnussbutter. Ich denke daran, dass eine der Deli-Katzen noch vor dem Mittagessen von ihrer Irish-Spring-Kiste springt und die Maus in ihrem Schlund willkommen heißt.

Wieder oben ziehe ich mein am wenigsten zerknittertes Kleid an. Ich sehe in den Spiegel und übe mein Lächeln, denn sie haben mir einen neuen Schreibtisch zugewiesen, an dem meine Vorgesetzte mein Gesicht im Blick hat, und mir ist ihre wachsende Unzufriedenheit nicht entgangen. Sie sagen, sie haben mich umgesetzt, damit ich für die Kollegen besser erreichbar bin, aber ich weiß, es liegt an Mark. In den ersten zwei Jahren saß ich am äußeren Rand des Großraumbüros, wo das Kinderbuch-Imprint in die E-Book-Only-Liebesromanabteilung übergeht. Dort hatte ich das Glück, an der Wand zu sitzen, und konnte mir ungestört die Nase putzen. Jetzt bin ich ein Herdentier. Ich zeige den anderen die Zähne und tue so, als wäre ich überrascht vom Nichtfunktionieren der Verkehrsbetriebe. Einerseits bin ich stolz, in diese kleinen Interaktionen involviert zu sein, die bestätigen, dass ich hier bin, semisichtbar, und dass New York auch anderen Leuten auf dem Gesicht hockt, aber andererseits schwitze ich durch den Kabuki-Tanz, will die Hand ausstrecken und mich vom Text lösen.

Ich habe rund zehn Stunden bis zu meinem Date mit Eric, was heißt, ich darf so wenig wie möglich essen. Mein Verdauungstrakt neigt zu unvorhersehbaren Überreaktionen, und falls ich nur die kleinste Chance auf Sex habe, muss ich fasten. Manchmal ist der Sex es wert, manchmal nicht. Manchmal, nach einer vorzeitigen Ejakulation um elf Uhr abends, bleiben mir zwanzig Minuten zum nächsten McDonald’s mit laufender Eismaschine. Ich packe fürs Mittagessen eine Dose Oliven ein. Dann lege ich Lippenstift auf in der Hoffnung, das Erhalten der Farbe hält mich vom Essen ab.

Bis ich mich in den Zug quetsche, heizt die Sonne auf den Straßen von Manhattan den Müll auf. An der Montrose, Lorimer und Bedford staut sich der Verkehr, und die dunklen Tunnelwände machen aus den Fenstern Spiegel. Ich wende mich von meinem Spiegelbild ab, und ein Mann masturbiert unter einer Plane. Beinahe verliere ich meinen Sitzplatz an eine Frau, die am Union Square einsteigt, aber zum Glück ist sie wegen ihrer Schwangerschaft zu langsam. Als ich zur Arbeit komme, bin ich achtzehn Minuten zu spät, und die Lektoratsassistentinnen leiten die Flut der Anrufe schon an das Marketing weiter.

Ich bin Lektoratskoordinatorin beim Kinderbuch-Imprint, was bedeutet, dass ich die Lektoratsassistenten gelegentlich überprüfen lasse, wie Guppys ihre Nahrung verdauen. Ich berufe Meetings ein, bei denen wir diskutieren, warum Bären out sind und warum Kinder nur noch von Fischen lesen wollen. Die Lektoratsassistentinnen laden mich nicht ein, wenn sie zum Lunch gehen. Ich versuche, nahbar zu sein. Ich versuche, meine Gruppe markiger Nihilistinnen zu verstehen, die alle zum jüngeren Ende der Generation Z gehören. Es gibt nur eine Lektoratsassistentin, der ich aus dem Weg zu gehen versuche, und ausgerechnet sie kommt an diesem Donnerstagmorgen als Erste an meinen neuen, zentral gelegenen Tisch.

»Ich weiß nicht, wo diese Journalisten unsere Durchwahl herkriegen. Hast du Kevin gesehen?« Aria ist die Älteste des Stabs. Und sie ist außer mir die einzige Schwarze in unserer Abteilung, was den Vergleich zwischen uns zwingend macht, der nie zu meinen Gunsten ausfällt. Sie ist nicht nur immer da, um Halbwahrheiten über Dr. Seuss beizusteuern, die keiner kennt, sie ist auch entzückend. Entzückend, wie es nur Inselfrauen sind; Haut wie warmes synthetisches Metall. Also ist sie sehr beliebt im Verlag mit ihren glänzenden tobagonischen Augen und Apfelbäckchen und der unbedrohlichen Unschuldsmasche, die sie vor allen Berufsweißen abzieht. Ich meine, sie spielt das Spiel gut. Besser als ich. Aber wenn wir allein sind, selbst wenn wir uns mit geborgten Gesichtern an- sehen, erkennen wir uns. Ich sehe ihren Hunger, und sie sieht meinen.

»Keine Ahnung, vielleicht wurde er endlich von der Heritage Foundation hochgebeamt«, sage ich und greife nach dem Kaffee.

»Für mich ist das kein Witz«, sagt sie. Meistens rege ich mich nicht mehr darüber auf, dass sie wahrscheinlich eine Liste von Argumenten führt, warum sie meinen Job kriegen sollte, denn die Frage ist nicht mehr, ob sie ihn kriegt, sondern wann. Das Einzige, was mich nervt, ist, dass ich immer noch mit ihr befreundet sein will. Am ersten Tag ist sie lammfromm und bildschön im Büro erschienen, wie zum Symbol geschaffen. Und wie man selbst es zu tun pflegt – wenn man immer die einzige andere im Raum ist und trotzdem die Hoffnung nicht aufgibt, im nächsten Raum wäre es vielleicht anders –, blickte sie sich um und suchte nach mir. Als sie mich fand, als wir uns an jenem Tag zum ersten Mal in die Augen sahen, beide von unserer Symbolpolitik erlöst, erfüllte mich eine kolossale Erleichterung.

Aber dann habe ich mich verrechnet. Zu viel Zorn zu früh geteilt. Zu viel Sind diese weißen Menschen denn zu fassen. Zu viel Scheißpolizei. Wir haben beide einen Abschluss in Doppelt-so-gut-für-halb-so-viel, aber ich glaube, sie findet den Eintrittspreis immer noch akzeptabel. Sie formt sich immer noch um, wartet darauf, erwählt zu werden. Und sie wird erwählt werden. Weil es eine Kunst ist – Schwarz und ausdauernd und friedfertig zu sein. Sie ist das alles, und sie schämt sich dafür, dass ich es nicht bin.

Ich rede mir gern ein, der Grund dafür, dass ich nicht ausdauernder bin, ist, dass ich weiß, wie es läuft. Aber manchmal sehe ich sie an und frage mich, ob das Problem doch ich bin, nicht sie. Vielleicht ist das Problem, dass ich schwach und zu empfindlich bin. Vielleicht ist das Problem, dass ich eine Büroschlampe bin.

»Die Macht, die du willst, geben sie dir nie«, sage ich, weil ich neidisch bin und weil es interessant ist, wie sie zwischen ihrer Maske und meinem Verschwörungsangebot schwankt. Sie beugt sich vor, und da ist er wieder, dieser süße, urheberrechtlich geschützte Geruch nach Schwarzem Mädchen – Jojobaöl, Pinklotion, Blue Magic.

»Woher willst du das wissen? Du bist immer noch Redaktionskoordinatorin, und du bist seit drei Jahren hier«, sagt sie, und ich könnte mein Dienstalter geltend machen, aber das wäre peinlich. Der Unterschied in unserem gesamten Jahreseinkommen beläuft sich auf eine Monatsrate meines Studienkredits.

»Wir haben einen Stapel Fahnen für die Badezeit-Serie reinbekommen. Kümmerst du dich darum?«, sage ich und drehe mich weg. Ich sehe nach, ob Eric eine Nachricht geschickt hat. Irgendeine Bestätigung, dass unser erstes Date wirklich gut war, oder ein Zeichen, dass er sich auf heute Abend freut. Ich überlege, ob ich ihm eine ausführliche Liste von Dingen schicken soll, die er mit mir machen darf, damit wir wissen, woran wir sind, aber mein erster Entwurf erinnert zu sehr an Helga Pataki aus Hey Arnold. Ich versuche, die Liste zu überarbeiten, aber dann gebe ich auf und gehe Kevin suchen, der das Buch akquiriert hat, um das sich dieser PR-Albtraum dreht, eine illustrierte Geschichte für das konservative Kind, eine lyrische Meditation über den Radikalismus der liberalen Medien und das Märtyrertum des ländlichen Amerika.

Wenn ich objektiv sein muss, finde ich die Kunst in dem Buch nicht schlecht. Stimmungsvolle Gouache-Sonnenuntergänge über dem Lager der Konföderierten. Lincolns schlaffe Gedankenblase, als er, enttäuscht vom Zustand seiner Partei, in die Zukunft blickt. Die fotorealistischen Darstellungen großstädtischer Verbrechen. Ich entdecke Kevin, der mit einer Socke in seinem Büro auf und ab wandert und telefoniert, während das jugendfreie Propagandawerk reißenden Absatz findet. Und da sehe ich Mark. Ich bin nicht stolz darauf, was ich dann tue, nämlich mich im Treppenhaus verstecken und die Luft anhalten. Von allen Männern im Verlag, mit denen ich geschlafen habe, hat er mich am meisten gekostet. Das Sprichwort »Spuck nicht auf deinen eigenen Teller« gilt nur, wenn der Teller voll ist. Meistens war das der beste Teil des Jobs.

Die Einarbeitung von Mike, seine kleinen Finger und der Jungpersonaler-Jargon, als ich ihn aus der Hose locke. Jake von der IT, der abends um sechs mit dem Chip-Schlüssel die Treppe hochkommt und mir etwas von Admin-Privilegien in den Nacken atmet, während er sich um das Supportticket wegen meines kaputten Bildschirms kümmert. Hamish von den Lizenzen mit der blauen Strähne im Haar und den haarigen Schenkeln im Stillzimmer, der mich so niedlich bittet, ihn Lord zu nennen. Tyler, Chef vom Dienst bei Lifestyle und Ratgeber, die aufgefächerten Hochglanzmagazine und Strumpfhalter, als er meinen Kopf herunterdrückt, während er mit dem Büro in Dublin telefoniert. Vlad von der Poststelle mit seinem gebrochenen Englisch zwischen den Styroporchips, die den Boden übersäen. Arjun von der britischen Vertriebsgruppe mit dem zurückgegelten schwarzen Haar und den Comicschurkenunterarmen, aufgestachelt von den skrupellosen Highperformern aus seinem Akademikerteam. Wieder Jake von der IT, weil die Computer scheiße sind und er den schönsten Schwanz hat, den ich kenne. Tyrell aus der Herstellung mit dem schiefen Lächeln auf der Weihnachtsfeier in der Klokabine, das fraktale Echo der Lichterkette im Spiegel seiner dunklen Augen. Michelle aus der Rechtsabteilung auf dem Kopierer, Nylonstrumpfhose um den Hals, während über uns die Neonröhren flackern. Kieran von den Nackenbeißern, der mich von hinten nimmt und die ganze Zeit davon redet, wie er mir die Gliedmaßen vom Rumpf abtrennt, und ich lache und lache und weiß nicht, warum. Jerry, der die lukrativen Young-Adult-Krebsbücher akquiriert und im Konferenzraum mit Blick auf 30 Rock Kuschelsex mit mir macht, und ich heule und weiß nicht, warum. Joe von True Crime, der nicht liest und laut und schnell kommt und mich n-- nennt und dann mommy. Jason von den MINT-Lehrbüchern, der will, dass ich für ihn heule, wie ich für Jerry geheult habe, was eine Erfahrung ist, die mich zum Heulen bringt, aber erst zu Hause. Adam von den christlichen Erotica, der mir ins Gesicht spritzt, und ich spüre nichts. Und dann noch mal Jake, weil meine Tastatur abkackt, aber diesmal kommt nicht Jake, sondern John von der IT, schiebt mir die Hand unter die Bluse und erzählt mir, dass Jake einen schlimmen Autounfall hatte und es nicht gut um ihn steht.

Und irgendwo dazwischen Mark. Mark, Leiter des Art Department, wo es nach warmem Papier riecht und alle glücklich sind. Wo seidige Stapel 18×24-Zoll-Bögen herumliegen und die Drucker in selbsterzeugter Hitze seufzen und wie ein Uhrwerk tiefe Schwarztöne und fluide Blaus ausstoßen, messerscharfe Panels, so gesättigt, dass man die Feuchtigkeit spürt, wenn man die frischen Drucke anfasst. Die Leute vom Art Department bewegen sich in lächelnden Trauben mit ihren Gestaltungskonzepten im Arm durchs Haus. Sie führen leidenschaftliche Debatten über Prägedruck und Verdana und Courier New. Sie haben ihre eigenen Arbeitszeiten und ihren eigenen Dresscode, jeweils in dieser schicken, nerdigen Nische, die die Domäne der klassischen Kunststudenten ist. Und ich wäre nichts lieber als eine von ihnen. Ich will beim Take-away gegenüber Dumplings bestellen und bis zehn im Büro bleiben, will den Farbverlauf von Ultramarine zu Kobalt zu Cyan im Hintergrund von Frank der Fuchs überprüfen. Ich habe mich dreimal beworben. Ich wurde zweimal zum Gespräch eingeladen. Beide Male haben sie mir erklärt, ich soll weiter Figurenzeichnen üben. Mark sagte, sie würden mich in die Kartei aufnehmen, worauf ich loszog und durch ein paar Abendkurse flog, die ich mir nicht leisten konnte, zu Fall gebracht von den Grübchen im menschlichen Muskelfleisch und besonders von den Mittelfußknochen. Ich blieb bei Graphit und Papier in der Hoffnung, dass mir das Medium im Gegensatz zu Farbe mehr Kontrolle verlieh, aber meine Figuren verschmierten mir immer unter dem Handballen.

An dieser Stelle habe ich unwillkürlich das Gefühl, am Ende einer Ereigniskette zu stehen, die mit einem einzigen Schmetterling anfing. Ich meine, mit einem halben Grad Unterschied würde alles, was ich je wollte, mir gehören. Ich bin gut, aber nicht gut genug, was schlimmer ist, als einfach schlecht zu sein. Ich bin fast. Der Unterschied zwischen dabei sein, wenn es passiert, und gerade noch aussteigen, um es in den Nachrichten zu sehen. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass im nächsten Zweig des Multiversums eine Version von mir existiert, die dicker und glücklicher ist, lächelnd in ihrem eigenen Atelier sitzt, mit Farbe hinter den Ohren. Aber immer wenn ich in den letzten zwei Jahren zu malen versuchte, war ich wie gelähmt.

Und Mark ist auch nicht gerade von der Kirchendecke gestiegen oder verströmt gebleichte Warhol’sche Coolness. Er ist ein erwachsener Mann im Kittel, der in seinem Büro frische Orchideen hat, Hartplastikspielzeug sammelt und Groeningeske Versionen vom Traum der Fischersfrau anfertigt. Und eines Tages, als es regnet, stehen wir abends um acht zusammen im Fahrstuhl. Er zeigt mir ein Panel des cunnilingualen Oktopus, und die Akribie, die er in das Bild gesteckt hatte, reißt mich vom Hocker und direkt auf seinen Schwanz. Aber es ist nicht wie bei den anderen – die ekstatische Brunst und der angenehme Äther der Leere. Es ist, als würde ich ihn brauchen. Denn es gibt Männer, die die Antwort auf einen biologischen Imperativ sind, die ich lutsche und schlucke, und es gibt Männer, die ich im Mund behalte, bis sie sich auflösen. Diese Männer sind häufig Autoritätspersonen. Und Mark war sehr liebenswürdig, führte mich aus und formte meinen Gaumen und bestellte den Wein. Er nahm mich mit zu ihm, in die Art von New Yorker Wohnung, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann, so reich an Licht und Raum wie irgendeine telegene Hollywood-Lüge.

Der Sex ist okay, aber nicht so wichtig, denn in seinem Wohnzimmer stehen Eimer mit Prismacolor-Stiften, Copic-Markern und Ölfarben. Rollenweise unbehandelte Leinwand, Büchsen mit klumpiger Grundierung und Terpentin. Rundpinsel, Flachpinsel, Katzenzungenpinsel, weiche Kamelhaarpinsel. Er hat zwar einen leichten Hang zum Libertarismus, aber er verlangt auch keine Freiluftaktivitäten von mir, deshalb sind wir quitt. Wir verbringen Wochenenden im Bett, bewegen uns rasch von den ersten nervösen Berührungen in das Reich, wo wir uns von den seltsamen Wendungen des Es nicht stören lassen. Doch mein Scheitern steht natürlich immer zwischen uns. Er hat unendlich viel mehr Talent in der Sache, die ich am meisten anstrebe, und so scheint es ihm lieber zu sein. Es ist lächerlich, wie spät ich das erkenne, die Karotten, die er mir in seiner Langeweile vor die Nase hält, die Beiläufigkeit, mit der er nach dem Stecken greift. Ich sehe mich in den Frauen, die ihm nachlaufen, den verträumten Typographinnen, spitzbrüstigen Absolventinnen der Rhode Island School of Design. Trotzdem nehme ich irgendwann meine Mappe mit zu ihm und flehe ihn an, sich meine Arbeit anzusehen. Ich falle auf die Knie und bringe ihm mein Skizzenbuch dar, und dann sage ich Lebwohl zu seiner Wohnung und den sehnigen Aquarellen, die er mir manchmal um drei Uhr morgens zeigt.

Es gibt ein Bild von Artemisia Gentileschi, das ich liebe, Judith und Holofernes. Darauf sieht man zwei Frauen, die einen Mann enthaupten. Sie drücken ihn herunter, während er sich wehrt und versucht, die Klinge wegzudrücken. Das Gemälde ist ein brutales Meisterwerk des Tenebrismo, mit Karotisblut getränkt. Gentileschi malte es, nachdem ihr Mentor Agostino Tassi wegen ihrer Vergewaltigung verurteilt wurde. Als ich an einem Bild arbeite, das von Gentileschis Gemälde inspiriert ist, stirbt mein Vater. Ich begrabe ihn neben meiner Mutter und schlafe wochenlang nicht, und die Mäuse fressen mein ganzes Obst. Mark schickt eine Beileidskarte, aber er ruft mich nicht mehr zurück. Die Zeichnungen, die ich bei ihm gelassen habe, schickt er in einem Umschlag zurück, auf den er nur Sachen geschrieben hat, und ich hinterlasse ihm Nachrichten auf der Mailbox, die darauf hinauslaufen, dass er ein mieser Schmierfink ist, der nur vierfingrige Figuren zustande kriegt, dass er eine trübe Tasse ist, die man von Frauen fernhalten und ins All schießen sollte, und ein paarmal, ja, ein paarmal stehe ich auch nachts vor seinem Haus. Ich schreibe E-Mails, die ich nicht abschicke, und wandere mit all den Dingen, die ich ihm gern ins Gesicht sagen würde, durch den Verlag. Aber als ich ihn jetzt sehe, als ich vor Kevins Büro ins Treppenhaus fliehe und sehe, dass Mark sich nicht verändert hat, dass er von zwei Frauen flankiert beschwingt durch sein Leben geht, verliere ich den Mut.

Am selben Abend bin ich mit Eric in einer Weinbar im Village verabredet, und der Mann, der hinten in der Bar auf mich wartet, wirkt ganz anders als der Mann, den ich vor zwei Tagen kennengelernt habe. Er trägt dieselbe Haut, aber sie ist enger, als hätte ihn irgendetwas Immaterielles und Supermassives am Eingang ausgespuckt, und er spielt einfach mit und wartet darauf, dass ich ihn entlarve.

»Du bist zu spät«, sagt er, nachdem er sich ein Glas Côtes du Rhône und mir einen Gin Tonic bestellt hat. Sein Ton ist so kühl, dass ich nicht weiß, ob er eine Erklärung verlangt oder ob die strenge Version von ihm ein Witz sein soll. Er sieht anders aus, sogar älter, mit der Anzugjacke über der Stuhllehne. Mein Kleid dagegen ist achtzig Prozent Elasthan.

»Tut mir leid.«

»Ich bin einfach ein Fan von Pünktlichkeit.«

»In der U-Bahn war Stoßverkehr«, sage ich, und er lacht.

»Das vermisse ich nicht.«

»Fährst du nie mit der Bahn?«

»Nein«, sagt er, und ich mag ihn gleichzeitig weniger und mehr. Weniger, weil er mir verweichlicht und unpraktisch vorkommt, und mehr, weil er sich das leisten kann. »Du siehst gut aus«, sagt er und betrachtet mich demonstrativ, und es fühlt sich gut an, von ihm konsumiert zu werden, mich extra für ihn verpackt zu haben, während er auf der anderen Seite des Tischs sitzt und das Geschenkpapier aufreißt.

»Du auch. Wie war die Arbeit?«

»Ich will nicht über die Arbeit sprechen. Willst du über die Arbeit sprechen?«

»Nein, eigentlich nicht.«

»Wo ist der Wein?«, fragt er, und dann kommt die Kellnerin und stellt sich zwischen uns, um ihm einen Fingerbreit ins Glas zu schenken, den er kreisen lässt und dann ungeduldig durch die Zähne trinkt.

»Gut«, sagt er und sieht genau hin, als sie ihm den Rest einschenkt. Er winkt sie weg und nimmt einen tiefen, langen Schluck. »Ich bin ein bisschen nervös, also entschuldige, wenn ich …« Er trinkt noch einen Schluck, richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die Mitte meines Gesichts.

»Macht nichts«, sage ich, aber es klingt ein bisschen herablassend. Er sieht mich durchdringend an und trinkt das Glas aus, was eine Leistung ist, denn es war ziemlich voll. Die Kellnerin kommt wieder und sieht Eric mit großen bewundernden Augen an. »Bekomme ich ein bisschen mehr Gin?«, frage ich, als ich merke, dass mein Gin Tonic hauptsächlich aus Eis besteht.

»Gute Idee«, sagt Eric, und dann widmen wir uns ein paar G&Ts. Sie machen uns locker genug, um über Politik zu reden, aber während er redet, halte ich die Luft an. Ich weiß, dass wir in den meisten allgemeinen, weniger kontroversen Themen übereinstimmen – Frauen sind Menschen, Rassismus ist schlecht, in fünfzig Jahren steht Florida unter Wasser –, aber da ist noch reichlich Zeit, und er bemerkt, wie gut ihm Ayn Rands Der Streik gefallen hat. Selbst bei guten Männern ist immer mit Überraschungen zu rechnen. Ich bestelle mir noch einen Drink, und er hält inne und lacht.

»Möchtest du vielleicht über etwas anderes reden?«

»Warum?«

»Du wirkst ein bisschen angespannt«, sagt er und berührt unter dem Tisch mein Knie.

»Ist dir aufgefallen, wie die Kellnerin dich anstarrt?«

»Ich habe nicht darauf geachtet«, sagt er und schiebt die Hand unter mein Kleid. Unser Tisch ist nicht direkt vor Blicken geschützt, aber ich will trotzdem nicht, dass er weitermacht. Ich trinke einen Schluck, während er den Handrücken an die Innenseite meines Schenkels drückt. »Wir sind also beim zweiten Date.«

»Ja.«

»Und du willst weitermachen?«

»Ja«, sage ich, ohne zu wissen, was genau er meint.

»Ich will mit offenen Karten spielen«, sagt er und zieht die Hand zurück. »Mein Leben läuft in festen Bahnen. Ich bin seit dreizehn Jahren mit derselben Frau verheiratet, und unsere Gräber liegen nebeneinander.«

»Okay.« Mir fällt auf, dass wir plötzlich ein ernstes Gespräch führen, aber ich hatte noch keine Zeit, mir das Kleid wieder herunterzuziehen. Er legt einen Zettel auf den Tisch und streicht ihn glatt.

»Und wenn ich etwas Neues reinbringen will in dieses ganze«, er wirft einen Blick auf den Zettel, »eheliche Arrangement, muss es Grenzen geben.«

»Natürlich.«

»Und diese Grenzen müssen zu einem frühen Zeitpunkt festgelegt werden. Weil«, er nimmt meine Hand, was mir so vorkommt, als hätte er die Geste eingeübt, »ich finde, wir sollten weitermachen. Was meinst du?« Ich meine, dreizehn Jahre weg von der Piste haben ihn auf eine Art verwundbar gemacht, die auszunutzen sich unanständig anfühlt. Andererseits.

»Ja, unbedingt.«

»Also, die Regeln«, sagt er und sieht auf den Zettel. Ich erhasche einen Blick darauf, ziehe ihn unter seiner Hand hervor, und das ist das erste Mal, dass ich mit seiner Frau in Berührung komme.

»Das hat deine Frau geschrieben«, stelle ich fest und überfliege zuerst, was aussieht wie Spiegelstriche, und dann, was aussieht wie Wörter. Das Papier ist weich, und die Knicke sind tief, als wäre es häufig gefaltet worden.

»Sie hat eine schreckliche Handschrift, oder?«, sagt er, und als ich das Papier sinken lasse und ihn anschaue, sehe ich wieder den Mann, der mich mit in den Freizeitpark genommen hat. Er lächelt, und die kleine Bosheit hängt zwischen uns im Raum. Und obwohl ich spüre, dass er ein schlechtes Gewissen deswegen hat, wirkt er erleichtert, als ich ihm zustimme.

»Es sieht nicht mal wie Englisch aus«, sage ich, und hier kommt die kurze Zusammenfassung des Monats, in dem wir uns an die Regeln hielten: Erstens haben wir zu meiner großen Enttäuschung auch beim zweiten Date keinen Sex. Ich hungere den ganzen Abend bei Gin und Brotkrumen, und wir stolpern durch die Dunkelheit, und wir knutschen im Park. Dass wir beide bloß Schatten sind, ermöglicht uns eine zwanghafte Ehrlichkeit, und ich erzähle ihm, dass ich am Wochenende manchmal an einem Fleck liege, ohne mich zu bewegen, bis ich aufs Klo oder zur Arbeit muss, und er erzählt mir, dass er unfruchtbar ist, und wir lachen, weil Regel Nummer eins lautet, dass wir keinen ungeschützten Verkehr haben. Aber nach dem Lachen wirkt er zusammengesunken, auf eine Art in sich gekehrt, die vom Alkohol verstärkt wird, und wir sehen einer Braut nach, die um Mitternacht über den Washington Square schwebt, der Tüll und der Taft bläulich im diffusen Licht, und ich denke an seine Frau und frage mich, ob sie Rechtshänderin ist, ob sie sich für ihre Handschrift schämt oder ob sie schön genug ist, um sich nicht schämen zu müssen. Und als Eric mich ansieht, ist das Bindegewebe, an dem seine Augäpfel hängen, vom Trinken erschlafft, und wegen des Windes kann ich die schütteren Stellen seines Haars sehen, und auf der anderen Wegseite spielt jemand auf der Gitarre »Mary Had A Little Lamb« in Moll, als Eric einen ganzen Moment der Nüchternheit zu finden scheint und seine Gewalt auf meinen Mund konzentriert, der unsauber auf seinen passt, sodass unser Kuss asynchron und nass ist, obwohl wir von dem ganzen Gin trockene Lippen haben.

Beim dritten Date gehe ich fest davon aus, dass wir Sex haben. Ich rasiere mich überall, ziehe mir ein Rasiermesser über Arme und Beine, dessen Klinge ich im Dreißig-Grad-Winkel halte, als zwischendurch im ganzen Viertel der Strom ausfällt, und als ich in die Klinik komme, küsst er meinen Nacken und flüstert mir ins Ohr, und wir lassen uns beide auf Geschlechtskrankheiten testen. Das Neonlicht verwässert ihn, aber seine Neurose strahlt in voller Farbenpracht, und er erzählt mir, dass er Krankenhäuser nicht mag, weil sie nach Urin und künstlicher Gardenie riechen, und außerdem hat er schreckliche Angst vor dem Sterben, und ich theoretisch auch, aber theoretisch, was wäre, wenn ich keine Angst hätte, doch das auszusprechen ist undankbar, also sage ich zu ihm, ja, ich will auf jeden Fall am Leben bleiben, bis jetzt war es toll. Vor allem hoffe ich, dass ich keine Chlamydien habe, und deshalb verpasse ich die Hälfte von dem, was er mir über seine Angst vor dem Tod erzählt, und ich sehe eine Broschüre mit einem weißen Baby darauf, und als unsere Ergebnisse negativ sind und wir in einen Burger-Laden gehen, esse ich nichts, weil ich immer noch Sex haben will, und ich denke immer noch an das Baby, daran, wie weich sein Kopf sein mag, und als ich an die Abtreibung, die ich mit sechzehn hatte, denke, ruft seine Frau an, und er geht, weil heute der dritte Juli ist und der Grill für morgen vorbereitet werden muss, und eine der Regeln lautet, wenn sie anruft, muss er gehen. Während des Telefonats hat sich eine Ranke ihrer Stimme herübergestohlen, kabellos und süß, und er sagt, Rebecca, komm schon, Rebecca. Und zwischen Date vier und sechs suche ich sie fieberhaft im Internet, aber der Name Rebecca Walker ist zu häufig, und Eric, der sich beruflich der Digitalisierung schuppiger Fotoplatten widmet, verweigert sich der Digitalisierung seiner Gedanken, Mahlzeiten und Aufenthaltsorte, ob aus selbstgerechter Technikangst oder allgemeiner Altheit, sodass ich sie auch nicht über ihn finde, und ich liege nachts wach und brüte über den Twitter- Accounts eines Dutzends prototypischer weißer Frauen, suche nach Hinweisen und finde nur austauschbare Ergebnisse. Beim siebten Date haben wir immer noch keinen Sex, was langsam beleidigend wird, aber ich bin bereit, mich restlos demütigen zu lassen, um zu kriegen, was ich will, und bis zum Ende des neunten Dates, als wir uns seit einem Monat treffen, hantiere ich hemmungslos mit Lutschern und Bananen und zerre ihn am Revers aufs Klo, kurz davor, ihm zu drohen, und er lacht mich aus und bittet mich leise aufzuhören, weil er ein bisschen altmodisch ist und mein Benehmen peinlich findet, aber weil meine Scham sich meistens in Wut verwandelt, schubse ich ihn weg und bin überrascht und erfreut, als er mich zurückschubst. Seine Reue kommt schnell und überschwänglich, aber ich habe seinen Ausdruck bereits archiviert, das Aufblitzen der Zähne, die Genugtuung, mit der er seine Stärke ausübt. Als er mir vom Boden aufhilft, ist der Druck seiner Hand die Verbindung, die mich fünf Tage lang nährt, weil eine der Regeln lautet, dass seine Frau die Regeln ändern kann, und eine der neuen Regeln lautet, dass wir uns nur am Wochenende sehen dürfen. Und so steigt er bedauerlicherweise am Sonntag die Treppe zu meiner Wohnung herauf, weil es der einzige private Ort ist, den ich kenne, wo ich ihn vielleicht dazu nötigen kann sich auszuziehen. Es riecht nicht mehr nach Lachs, aber meine Mitbewohnerin sitzt mit einer furchterregenden Vitamin-C-Maske auf der Couch und schneidet sich die Zehennägel, und bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich das Ausmaß meiner Armut hinlänglich vertuschen. Aber jetzt wird er gleich das rissige Linoleum sehen und die Töpfe, mit denen wir im Bad das Wasser auffangen. Gleich erfährt er, dass er mich nicht nur zum Essen ausgeführt, sondern mich mit bitter nötigen Kalorien versorgt hat, und als er die Treppe heraufkommt, glänzt sein Gesicht ungläubig, als wäre ihm etwas Schreckliches widerfahren, aber die Neuheit der Erfahrung beeindruckt ihn tief genug, um durchzuhalten. Er schließt die Tür hinter sich, und meine Mitbewohnerin zieht hinter ihrer Maske die Brauen hoch, weil ich nicht einmal in meinen eigenen vier Wänden vor diesem Blick sicher bin, der unsere Asymmetrie quittiert, die selbst in New York für Kellnerinnen und Taxifahrer ein Stolperstein ist, auch wenn Eric nichts davon mitbekommt, obwohl ich immer wieder versichern muss, ja, wir fahren zum selben Ziel, ja, nur eine Rechnung. Weil man durchs Bad muss, um die Küche zu erreichen, und durch die Küche, um mein Zimmer zu erreichen, bekommt er gleich eine Wohnungsführung, und er geht mit allem so liebenswürdig um, dass er nicht einmal den Kringel kommentiert, den meine Mitbewohnerin hinten im Klo hinterlassen hat. Als ich hinter uns abschließe, scheint er das Ganze sogar abenteuerlich zu finden, obwohl ich ihm, wenn er sich unbeobachtet fühlt, das Unbehagen ansehe. Ich weiß, dass er mich im Kopf revidiert, während er versucht, mein Erwachsensein mit dem fünften Stock ohne Fahrstuhl und den Parametern meines Zimmers in Einklang zu bringen, das gerade groß genug für einen Futon und ein Poster von MF Doom ist. Als ich mit dem Rücken zur Tür stehe und er sich vorsichtig auf dem Futon niederlässt, als hätte er Angst, das Gestell würde unter seinem Gewicht zusammenbrechen, weiß ich, dass ihm das Ausmaß unserer Dissonanz endlich dämmert. Und während ich nie einen Raum betrete, ohne mich zu fragen, welche Änderungen ich vornehmen würde, ist es seltsam, den gleichen Impuls bei diesem freundlichen weißen Mann aus dem Mittleren Westen zu sehen. Es ist seltsam zu sehen, wie er an sich selbst wahrnimmt, was ich immer an ihm wahrnehme – seinen Optimismus, seine Anmaßung, seine exklusive alternative Realität, in der es keinen Ort gibt, an dem er sich nicht zugehörig fühlt. Er blickt sich mit leichtem Grauen um, als wäre ihm erst jetzt – angesichts der materiellen Dimension – klar geworden, welche beidseitige Verzweiflung im Spiel ist, wenn zwei Menschen von entgegengesetzten Enden des Lebens zusammenkommen. Und dann entdeckt er meine Farben und eine leere Leinwand, und ich laufe zum Wandschrank, um die Tür zu schließen, aber es ist zu spät. Er will wissen, warum ich es nie erwähnt habe, und ob ich gut bin. Und ich weiß nicht, ob es daran liegt, wie demütigend der ganze Abend war, aber ich sage ja, ich bin ziemlich gut, was ein weiterer Fehler ist, denn jetzt will er natürlich, dass ich ihn male. Also hole ich den Stoli unter dem Bett hervor und gieße ihn in den einzigen sauberen Becher, und wir trinken abwechselnd, gehen fast ein in der Hitze und ignorieren die Kluft zwischen uns lange genug, um uns halb auszuziehen, und er ist kein gutes Modell, mit hängenden Schultern und ständig den Kopf drehend, aber als er sich zurücklehnt, halb aus den Kleidern mit seinen langen Armen und blassen Sommersprossen und dem Gestrüpp von lockigem ergrauendem Haar, erinnere ich mich an meinen Körper, und ich reagiere auf ihn, auf den schwindenden Anteil der Luft im Zimmer, auf die Art, wie er mir zusieht, als ich die Palette zusammenstelle, als säße er nicht mir zuliebe da. Als nähme er mich ernst. Und auch wenn ich mich über seine Ernsthaftigkeit freue, wird mir davon schlecht. Sie verdirbt seine Schönheit zu einer Reihe von Halbtönen zwischen den Falten im Fleisch. Flieder- und Kupferblau, die Kraft einer Messerspitze Titanweiß und der Wodka, der ihm die Zunge schwer macht, als er sagt, es tut ihm leid, dass er mich gestoßen hat, und ich sage, wie sehr tut es dir leid, und er sagt, sehr leid, und ich sage, dann flehe um Vergebung, was er angemessen tut, während ich ihm einen blase, endlich, zum ersten Mal, totenstill im Zimmer bis auf seine geflüsterten, atemlosen Entschuldigungen, die er, glaube ich, wirklich ernst meint, als er behutsam meine Haare aus dem Weg streicht, doch später wische ich ihm die Acrylfarbe von den Schenkeln und sage, eigentlich will ich, dass er mich wieder stößt. Er denkt, ich mache Witze, aber als er begreift, dass ich es ernst meine, verdunkelt sich seine Miene, und er sagt, dass er sich dabei nicht wohlfühlen würde. Das ist das letzte Mal, dass er meine Wohnung betritt. Als wir ein paar Tage später essen gehen, weiß ich, dass er weiß, dass er mich ernährt, und ich weiß, dass ich einen großen Teil seines Lebens nicht kenne, das Haus in Jersey mit der Einfahrt und dem Briefkasten und den Gästehandtüchern, das nur in meiner Vorstellung existiert, weil eine der Regeln lautet, dass ich das Haus nicht betreten darf. Und dann kommt viel dazwischen. Einer von uns wird krank, ich bringe die Kraft nicht auf, meine Mails zu öffnen oder mir die Haare zu waschen, er muss auf eine Geschäftsreise oder zu einer Dinnerparty mit Rebecca, und als wir uns irgendwann wiedersehen, haben wir vergessen, wie wir zusammenpassen. Wir sind in einem Zustand ständiger Regression, und die Distanz macht die Details zu glitschig, um sie zu erfassen. Und dann eines Donnerstagabends, an Tag zweiundfünfzig unseres quälend keuschen Werbens, ruft er mich an und sagt, ich soll ihn in einem Club in SoHo treffen und etwas Kurzes anziehen.

Ich tue, was er verlangt, obwohl ich inzwischen die Hoffnung auf Sex aufgegeben habe, weil mir klar geworden ist, dass er der einzige Freund ist, den ich habe. Also esse ich einen halben Schokoladenkuchen und kreuze in abgeschnittenen Jeans und Sneakers in dem Club auf, so fickbereit, dass ich, als mich jemand in der U-Bahn streift, ein unfreiwilliges unheimliches Geräusch von mir gebe. Eric kommt durch eine Wand aus Rauch auf mich zu und zieht mich mit seinen großen, feuchten Händen in den Club, der mit dem campigen Dekor von 1975 ausgestattet ist. Er führt mich an den Fingerspitzen in die Mitte der Tanzfläche, die Luft ist schwer von Dampf und Schweiß und künstlichen Nebelschwaden, die vereinten Kräfte des Stroboskoplichts und der Rauchmaschine produzieren bauschige orangefarbene Lamellen, und ich niese in die Armbeuge und begegne dem Blick eines Hunds, der in der Ecke sitzt und an den Seidenpantoffeln von irgendjemandem kaut, was mich traurig macht, wie immer, wenn Tiere aussehen, als wären sie lieber woanders. Eine Parade von Synthetikstoffen bewegt sich wie ein Schwarm Heringe unter dem psychedelischen Licht, und in der Nähe der Bühne senkt sich ein Wimpel mit der Aufschrift Fever! von der Decke, und mir kommt der Verdacht, dass dies eines dieser Lokale mit dem Aufhänger ist, jeden Abend ein Jahrzehnt zu spielen, denn das Programm an der Tür kündigt an, dass in ein paar Wochen die Neunziger dran sind. Aber im Moment löst ein brauchbares Hologramm von Chaka Khan das von Gloria Gaynor und ihren wippenden Locken ab, und Chaka gurrt in ihren berühmten zerrissenen Shorts, geht in die Hocke und salutiert vom Ende der Bühne, die braunen Schenkel flexend und in die Menge strahlend, obwohl in Wirklichkeit gerade »That’s the Way« von KC and the Sunshine Band läuft, was das Ganze ein bisschen gespenstisch macht, aber so fühlen sich solche Nächte immer an, wenn das Stroboskoplicht aussetzt und man das Bier und den Glitter am Boden sieht, die Wiederbelebung von etwas, das tot ist, umverpackt und Nostalgie genannt, und die ganze ernstgemeinte Zeitreise mit Ironie versetzt, weil zwar fast jeder tanzt, als ich mich umsehe, aber mit einer achselzuckenden Beteiligung, die kommuniziert, dass alles bloß Witz ist, irgendwie, Mann, ist das uncool, irgendwie, ich stehe drauf, aber nicht zu viel. Dabei liegt die Schönheit von Disco gerade in dem Zuviel, den Bläsern und dem Kitsch, und Eric und ich beugen uns im Klo über einen Löffel, und in der Kabine nebenan steht jemand barfuß und weint, und wir gehen wieder raus auf die Tanzfläche, und Eric ist ein sehr koordinierter weißer Mann, aber er fällt auf den Cabbage-Patch-Move und den Diddy Bop zurück, was okay ist, und dann sind wir im Wagen, Klimaanlage voll aufgedreht, mit vernünftiger Geschwindigkeit durch den Holland Tunnel, und er reicht mir sein Telefon und sagt, ich soll den Anruf seiner Frau ablehnen, was mir sehr unangenehm ist, nicht aus Solidarität mit Rebecca, sondern weil dieser Abend plötzlich irgendeinem Ehedrama entsprungen zu sein scheint, obwohl ich es natürlich genieße, sie wegzudrücken, genauso wie ich den Lärm der Zikaden genieße, deren Schwingungen die Nachtluft aufmischen, als wir vor seinem Haus stehen, das tatsächlich einen Briefkasten mit einem Fähnchen hat, auf dem in feschen gelben Buchstaben Walker steht, und auf der Treppe nach oben und im Schlafzimmer sind alle Fotos umgedreht, was ein Maß an Vorsatz ist, der mir zu denken gibt, mich aber am Ende noch schneller aus den Kleidern lockt, denn um all das zu tun, muss er gewusst haben, dass ich ja sagen würde, muss an seine Fähigkeit geglaubt haben, mein anfängliches Ja zum endgültigen Ja zu drehen, und zwar in so perfekter Reihenfolge, dass ich sogar mit nach Jersey kommen würde, und die Vorstellung, dass er das alles überreißt, seine totale Kontrolle der Situation, gibt mir den Rest. Es gibt kein Vorspiel. Ich bin immer noch in Socken und versuche, von der Tapete einen Rückschluss auf eine Ehe zu ziehen, die zu so etwas führt, zu diesem Mann, der sich das Disco-Sucks-T-Shirt auszieht und mich auf seinen Schoß zieht und sich für die Verzögerung entschuldigt, weil er dreizehn Jahre lang mit derselben Frau zusammen war, sagt er, dreizehn Jahre, und alle Regeln haben sich geändert, und deshalb versuche ich, ihm aus der Hose zu helfen, aber er hat die Schuhe noch an, Schuhe mit Schnürsenkeln, die wir beide nachdenklich ansehen, bis wir uns dagegen entscheiden und seine Hose nur so weit wie nötig herunterziehen, sein Gesicht ist dunkel und drängend, sein Körper straff und mit struppigem gelocktem Haar bedeckt. Langsam setzt er mich auf seinen großen, leicht nach links gebogenen Schwanz, und für einen Moment stelle ich tatsächlich meinen Atheismus infrage, ziehe die Möglichkeit Gottes als das chaotische amorphe Böse in Betracht, das uns Autoimmunkrankheiten gab, aber wundertätige Genitalien, um sie zu ertragen, und mit der Kraft dieser Erkenntnis ficke ich ihn fieberhaft, und Eric ist schmutzig und mitteilsam, aber sein Gesicht ist verzerrt, eine rosa Grimasse, die das Weiße in seinen Augen zum Vorschein bringt und mir Angst macht, er könnte etwas sagen, das wir beide noch nicht verkraften würden, also halte ich ihm den Mund zu und sage, halt den Mund, halt deine Scheißklappe, was aggressiver ist, als ich zu diesem Zeitpunkt normalerweise wäre, aber es funktioniert, und überhaupt, wenn ihr ein Stärkungsmittel braucht, rate ich euch, einen weißen Mann zu eurer Bitch zu machen, auch wenn ich plötzlich leichte Panik habe, weil wir kein Kondom benutzt haben, und ich sehe mich um, und nebenan ist ein Bad, und im Bad liegen frische Handtücher, und ich bin so gerührt, dass er innehält, und plötzlich taucht aus seiner groben sexuellen Manie ein bemühter Gastgeber auf, drosselt den Verlauf in die gefährlichen Gefilde von Augenkontakt und Lippenkontakt und Zungenkontakt, wo Fehler passieren und man vergisst, dass alles irgendwann stirbt, und deswegen ist es nicht meine Schuld, dass ich ihn in diesem Moment Daddy nenne, und es ist auf keinen Fall meine Schuld, dass er davon so schnell kommt und dass er ich liebe dich sagt, und wir sinken beide befriedigt und erschrocken zurück und sagen nichts mehr, bis er mir einen Wagen bestellt und sagt, pass auf dich auf, womit er meint, bitte geh, und als der Wagen losfährt, steht er auf der Veranda in einem geblümten seidenen Morgenmantel, der offensichtlich seiner Frau gehört, und sieht aus, als hätte er nicht soeben einen Orgasmus gehabt, sondern einen anstrengenden Exorzismus, und zu seinen Füßen sitzt eine Katze, zutiefst verwundert von den weißen Schindeln und dem grünen Rasen, was mich die Katze hassen lässt, als die Stadt um mich auftaucht in einem Strauß von Staub und Ruß und überreifer Masse und ihre Riesigkeit behauptet wie eine phallische postmodernistische Fiktion und doch voller Schönheit, trotz ihrer Selbsterkenntnis, auch wenn in den letzten unbarmherzigen Julitagen große Teile der Stadt welk und leer geworden sind.

Und dann beantwortet Eric eine Woche lang meine Nachrichten nicht, oder meine E-Mails, oder meine Anrufe, und ich bewahre in der Mitte des Großraumbüros mein Lächeln und blättere unser neues Buch über die Tugend des Teilens durch. Aber jetzt weiß ich, wo er wohnt, und zehn Tage nachdem ich ihn in dem Bett gevögelt habe, das er mit seiner Frau teilt, fahre ich dorthin, und die Tür steht offen, und niemand ist da, also gehe ich durchs Haus, nehme die kalten Zitronen von der Küchentheke und rolle sie in den Händen, öffne den Kühlschrank und trinke Milch und nehme die Milchtüte mit ins Schlafzimmer, wo eine Tür zu einem Wandschrank mit Frauenkleidern führt, und ich fasse die Seide, die Wolle und den Kaschmir an, und dann ist da eine Stimme, und ich drehe mich um, und in der Tür, die zum Bad führt, steht mit gelben Gummihandschuhen und einem Yale-T-Shirt seine Frau.

Hitze

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