Читать книгу Perry Rhodan Neo 234: Die Himalaya-Bombe - Rüdiger Schäfer - Страница 7

3.

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Er sieht noch fast genauso aus wie früher, dachte Hannah Stein, während sie sich hastig aus ihrer halb liegenden Position in die Senkrechte kämpfte. Am liebsten hätte sie Wepesch gebeten, die Kamera abzuschalten, aber dazu war es bereits zu spät. So etwas hätte nur albern gewirkt.

»Nein, nein«, behauptete sie und strich sich verlegen durch die dunkelbraunen Haare. »Ich habe bloß ... vor mich hin gedöst ...« Sie versuchte ein Lächeln und hoffte, dass es ihr halbwegs glaubhaft gelang.

Thomas Reginald Rhodan da Zoltral. Eins der bekanntesten Gesichter des ganzen Planeten. Der Sohn des berühmten Perry Rhodan höchstpersönlich. Für einen Moment war sie zu glauben bereit, dass sie träumte, wünschte es sich sogar beinahe. Doch dann stieß sie beim Aufrappeln gegen die leere Weinflasche und fegte sie vom Tisch. Das Getöse, das beim Aufprall auf den Laminatboden entstand, kam ihr lauter vor als die Domglocken an Heiligabend.

Wunderbar, dachte sie resigniert. Da hinterlasse ich ja gleich den richtigen Eindruck. Eine alternde Historikerin, die nach Genuss von zu viel Rotwein auf der Couch einschläft.

»Tut mir leid, dass ich so spät noch störe«, sagte Thomas. »Ich habe es heute schon ein paarmal versucht. Und nun habe ich den Zeitunterschied vergessen. Das passiert mir leider öfter.«

»Das ... Das ist völlig okay.« Diesmal glückte ihr das Lächeln deutlich besser. »Ich gehe normalerweise nie vor Mitternacht ins Bett. Der heutige Tag war allerdings ziemlich anstrengend. Ich habe dich einfach ... ignoriert.«

»Damit kann ich leben ... auch wenn ich so etwas nicht gewohnt bin.« Thomas grinste frech.

Hannah hatte sich inzwischen von der Überraschung erholt und wieder gefangen. Fast automatisch kehrte sie in Gedanken in den Sommer des Jahres 2064 zurück. Zu dieser Zeit hatte sie noch in Düsseldorf studiert. Als sie der junge, unverschämt gut aussehende Mann, dessen Grinsen sich auch ein Vierteljahrhundert später nicht verändert hatte, angesprochen und nach dem Weg zum Rektoratsbüro gefragt hatte, hatte ihr Herz mehrere Schläge übersprungen und sie war puterrot geworden. Sie hatte ihn nur völlig überwältigt angestarrt und kein Wort herausgebracht.

Doch Thomas Rhodan, schon damals eine prominente Persönlichkeit, die regelmäßig in den Medien auftauchte, hatte die für sie so unendlich peinliche Situation überspielt, indem er sie kurz entschlossen unterhakte und mit sich zog. »Du kannst mir den Weg natürlich auch zeigen«, hatte er dabei gesagt, und auf einmal war ihre Beklemmung wie weggeblasen gewesen.

In den folgenden Monaten hatten sie sich öfter gesehen. Thomas hatte sich für ein Gastsemester im Rahmen seiner Ausbildung in Deutschland aufgehalten. Die zwischen den Düsseldorfer Stadtteilen Bilk und Wersten gelegene Heinrich-Heine-Universität war weltweit für ihre hervorragende naturwissenschaftliche Fakultät bekannt. Thomas hatte sich für Astrophysik und Hyperinformatik immatrikuliert, und obwohl sie nie ein Paar geworden waren, hatten sie sich doch von Anfang an verstanden und viel gemeinsam unternommen. Sie hatte sich ein bisschen um ihn gekümmert, und er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.

Als Thomas nach Terrania zurückkehrte, war sie traurig gewesen. Er hatte sich noch zwei- oder dreimal bei ihr gemeldet, sie sogar eingeladen, ihn zu besuchen, damit er sich revanchieren und ihr die größte Metropole der Erde persönlich zeigen konnte, aber es hatte sich einfach nicht ergeben. Vielleicht war sie auch schlicht zu feige gewesen. Reisen war nicht ihr Ding. Also hatte sie sich eingeredet, dass ihre Forschungen zu wichtig waren und ihr keine Zeit für private Vergnügungen ließen.

Schließlich war der Kontakt zwischen ihnen still und unbemerkt eingeschlafen. Thomas nun so unerwartet wiederzusehen, verwirrte sie deutlich stärker, als sie sich eingestehen wollte.

»Du wirst mir das vielleicht nicht glauben«, redete er weiter. »Aber ich habe mir immer wieder vorgenommen, dich anzurufen.« Er zuckte in einer Geste des Bedauerns mit den Schultern. »Aber dann habe ich es doch nicht getan. Ich könnte es deshalb gut verstehen, wenn du mich für einen eingebildeten Schnösel hältst.«

Hannah lachte. Nach dem anfänglichen Schock war die alte Vertrautheit fast augenblicklich zurückgekehrt. Thomas hatte sich tatsächlich kaum verändert. Er war immer noch der unkomplizierte, direkte, humorvolle Mann, als den sie ihn einst kennengelernt hatte und in dessen Gesellschaft man gar nicht anders konnte, als sich wohlzufühlen. Der Rummel, den alle Welt um seine Person machte, hatte ihn nie gekümmert. Und dass sein Vater der bekannteste Mensch der Welt war, schien ihn weder zu stören noch zu belasten.

»Quatsch!«, stieß sie hervor. »Ich hätte ja auch dich anrufen können. Es ist schön, dich mal wiederzusehen ... ich meine ... live und nicht in irgendwelchen Trividsendungen.«

»Geht mir genauso. Nun sag schon: Wie ist es dir ergangen?«

In der nächsten Viertelstunde erzählte sie ihm ihr Leben und stellte dabei ernüchtert fest, dass es nicht einmal halb so aufregend gewesen war, wie sie es sich gewünscht hätte. Normalerweise dachte sie über solche Dinge nicht nach, doch plötzlich erschien es ihr wichtig. Thomas musste sie für furchtbar spröde und langweilig halten, auch wenn er es nicht zeigte. Er war schon damals ein guter Zuhörer gewesen.

»Aber genug von mir«, sagte sie schließlich. »Was ist mit dir? Stimmt es, dass du für GHOST arbeitest? Du bist Geheimagent?« Natürlich hatte sie stets aufmerksam zugehört, wenn Toms Name in einer Nachrichtensendung oder Reportage gefallen war.

»Geheimagent?«, wiederholte er und lachte. »Das klingt dramatischer, als es ist. Aber ja, ich arbeite für die General Human Organization of Security and Trust. Und ja: Da hat sich jemand ziemlich die Hirnwindungen verbogen, um ein cool klingendes Akronym für den Geheimdienst der Terranischen Union zu finden und es halbwegs mit Leben zu füllen.«

Diesmal lachten sie beide.

»Es fällt mir ehrlich gesagt schwer, mir vorzustellen, wie das ist.« Hannah hatte sich auf dem Sofa zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. »Ich meine ... ins Weltall zu fliegen. Nach Olymp. Oder nach Epsal. Oder sogar noch weiter weg. Ich habe die Erde noch nie verlassen, weißt du? Mal von der zwangsweisen Evakuierung Terras durch die Memeterarche abgesehen. Und meine weiteste Reise war ein Flug nach Manisa im Westen von Anatolien, der Geburtsstadt meines Vaters ...«

»Ich würde lügen, wenn ich dir widerspreche«, gab Thomas zurück. »Da draußen unterwegs zu sein ...« Er machte eine unbestimmte Geste Richtung Apartmentdecke. »... ist ein Privileg. Allerdings ist es genauso schön, wieder nach Hause zu kommen. Und im Gegensatz zu Abenteuerromanen oder Trividserien haben die Geschichten im wahren Leben leider oft kein Happy End.«

Hannah nickte. Sie hätte nicht für alles Geld der Welt mit ihm tauschen wollen. Sie war keine Abenteurerin. Auf übermäßigen Trubel und Veränderungen reagierte sie allergisch. Sie fühlte sich wohl als Stubenhockerin, als jemand, der seine Freizeit in alten Archiven und Bibliotheken verbrachte, also an Orten, die längst als antiquiert galten und in ein paar Jahrzehnten vermutlich ganz verschwunden sein würden. Ihr wurde ja schon schwindlig, wenn sie im Brühler Galaxy Park per Simulator zum Mars flog, und es hatte Monate gedauert, bis sie nicht mehr mit ihrem Fahrrad zum Institut gefahren war, sondern sich endlich dazu hatte überwinden können, den Skybus zu benutzen.

»Thomas«, sagte sie und lächelte. »Sosehr ich mich über deinen Anruf freue, so sicher bin ich mir, dass du mich nicht kontaktiert hast, um über alte Zeiten zu plaudern.«

»Du hast mich mal wieder durchschaut. Ich konnte dir schon damals nichts vormachen.«

»Oh, ich bin überzeugt, dass man dir bei GHOST inzwischen beigebracht hat, wie so etwas geht.« Noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

Warum sagst du so etwas, du dumme Gans?

»Entschuldige bitte, Tom«, setzte sie sofort nach. »Das war gedankenlos und unsensibel. Ich wollte dich nicht ...«

»Schon in Ordnung, Hannah«, ließ er sie nicht ausreden. Er schien nicht im Mindesten verstimmt zu sein. »Wir haben uns fünfundzwanzig Jahre lang nicht gesehen. Und Menschen ändern sich. Ich hoffe trotzdem, du glaubst mir, wenn ich dir versichere, dass ich jedes meiner Worte ehrlich gemeint habe.«

»Natürlich glaube ich dir«, beteuerte Hannah schnell. »Manchmal plappere ich einfach nur vor mich hin, ohne nachzudenken. Nimm das bitte nicht zu ernst. Wie kann ich dir helfen?«

Er überlegte kurz, als müsse er sich seine nächsten Sätze genau zurechtlegen. Hannah verspürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken, widerstand jedoch dem Drang, sich zu kratzen. Sie hatte tatsächlich nicht den Hauch einer Ahnung, was Thomas ausgerechnet von ihr wollen könnte.

»Ich suche eine Expertin für liduurische Kultur«, hörte sie ihn sagen. »Und egal wen ich gefragt habe: Es fiel fast jedes Mal sofort dein Name. Wenn es um die Liduuri und ihre Hinterlassenschaften geht, bist du im Umkreis von mehreren Tausend Lichtjahren offenbar die uneingeschränkte Autorität.«

Hannah lauschte dem Klang seiner Stimme nach. Thomas sprach Englisch, doch der in ihrem linken Ohrläppchen eingepflanzte Mikrochip flüsterte ihr über projizierte Nano-Akustikfelder unablässig die deutsche Übersetzung zu. Mehr als siebzig Prozent der Weltbevölkerung verfügte inzwischen über solche oder ähnliche Implantate. Sprachbarrieren gehörten deshalb schon seit Langem der Vergangenheit an; ein Umstand, der das Zusammenwachsen der Menschen zu einer planetaren Gemeinschaft fraglos förderte, wenngleich es – wie so häufig – eine Reihe von Traditionalisten gab, die die alten Sprachen und Dialekte retten wollten.

Thomas hatte den Begriff scientific luminary benutzt. War sie das wirklich? Eine Koryphäe auf ihrem Gebiet? Eine ... Leuchte? Sicher, sie erhielt eine Menge Einladungen zu Fachkonferenzen und historischen Symposien, an denen sie vorzugsweise virtuell teilnahm. Sie hatte dem »World Journal of Anthropology« zwei Interviews gegeben, war Mitglied in einer Reihe anerkannter historischer Gesellschaften und hatte rund hundert Artikel für so gut wie alle renommierten Fachpublikationen verfasst. Aber reichte das aus, um sie zu einer uneingeschränkten Autorität im Umkreis von mehreren Tausend Lichtjahren zu machen?

»Du übertreibst«, sagte sie. »Da gibt es noch Jedda Nilsson von der Uni Kristianstad ... Ha Duh Thin in Seoul ... Professor Espen de Groot in Utrecht ...«

»Ich weiß, ich weiß!« Thomas hob beide Arme, um ihren Redefluss zu stoppen. »Ich habe mit allen drei gesprochen – und sie haben unabhängig voneinander deinen Namen genannt.«

»Wirklich?«

»Wirklich.« Thomas war übergangslos ernst geworden. »Du scheinst nicht besonders von dir selbst überzeugt zu sein, Hannah«, fuhr er fort. »Ich frage dich deshalb ganz direkt: Habe ich die falsche Person angerufen?«

Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Da war sie wieder, ihre alte Schwäche. Sie war nie besonders gut darin gewesen, sich selbst zu verkaufen. Es entsprach nicht ihrem Naturell, sich als die große Historikerin und Liduuri-Kennerin zu inszenieren. Sie hasste die öffentliche Bühne und das Scheinwerferlicht. Dass sie auf einmal das Bedürfnis verspürte, sich dafür entschuldigen zu müssen, machte sie wütend. Sie war nun mal der introvertierte Typ. Sollte sie sich deshalb etwa schlecht fühlen?

»Nein«, gab sie zurück. Es klang zu laut und zu trotzig, aber in diesem Moment war ihr das egal, denn es tat ihr gut. »Bei mir bist du richtig!«

»Ausgezeichnet«, zeigte sich Thomas zufrieden. »Das hatte ich auch nicht anders erwartet. Also: Wann kannst du nach Terrania kommen?«

Die Frage traf sie gänzlich unvorbereitet, und schlagartig war die von der Wut ausgelöste Sicherheit wieder verschwunden.

»Te... Terrania?«, wiederholte sie. »Ich kann ... Das ist ...« Sie schluckte und rang nach Worten.

»Ich muss mich schon wieder bei dir entschuldigen, Hannah«, sagte Thomas. »Ich weiß, dass ich dich mit alldem überfalle, aber wir haben hier ein ziemlich ernstes Problem. Und leider ist es dringend. Wenn du zusagst, musst du dich um nichts kümmern. Die Terranische Union hat ein Außenbüro in Berlin, das alles organisiert. Wir schicken einen Gleiter, der dich zum Raumhafen Köln-Düsseldorf bringt. Dort wartet bereits eine Space-Disk. Wir informieren auch die Universität und deinen Dekan. Alles, was du brauchst, besorgen wir dir. Und selbstverständlich kommen wir für alle entstehenden Kosten auf. Was sagst du?«

Hannah Stein starrte auf die Weinflasche, die noch immer auf dem Fußboden lag. Zum wiederholten Mal fragte sie sich, ob das alles wahrhaftig geschah. Vor ihr schwebte das erwartungsvolle Gesicht von Thomas Rhodan, der wahrscheinlich nicht mal ansatzweise ahnte, welchen Gefühlsorkan er mit seinem Angebot in ihr ausgelöst, wie sehr er ihre kleine und wohlgeordnete Welt erschüttert hatte.

»Komm schon, Hannah!«, bat er, und sein Lächeln war so unwiderstehlich wie vor 25 Jahren. »Ich brauche dich ...«

Sie nickte. Thomas Rhodan da Zoltral brauchte sie. Wie sollte sie da Nein sagen? Selbstverständlich würde sie ihm helfen.

Perry Rhodan Neo 234: Die Himalaya-Bombe

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