Читать книгу Perry Rhodan Neo 239: Merkosh - Rüdiger Schäfer - Страница 6

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Die Dienstzellen der Tutoren lagen ein paar Ebenen höher als die Lehrsäle mit den Maitrons. Während die anderen Schüler in Scharen in die entgegengesetzte Richtung strömten, um sich in die Speiseschalen im Gemeinschaftsbereich zu legen, schob sich Merkosh die Gleitrampe hinauf und den breiten, hell erleuchteten Korridor entlang, von dem die Zellentüren der Lehrkräfte abzweigten. Siniltons Zelle war eine der letzten, und je näher Merkosh ihr kam, desto stärker krampften sich seine Sinnesknoten zusammen. Er rieb sich die taub gewordenen Dohnen an den Handgelenken, doch die Muskeln waren so verhärtet, dass die Massage mehr wehtat als Linderung verschaffte.

Warum bist du so nervös?, fragte sich Merkosh. Wahrscheinlich will dir der Hochlehrer nur zu deiner unkonventionellen Strategie beim Lösen seiner Aufgabe gratulieren. Vielleicht bekommst du sogar eine offizielle Belobigung und ein paar Zusatzpunkte auf dein Schülerkonto. Mach dich nicht verrückt ...

Auf dem Gang traf Merkosh niemanden. Ebenso wie die Schüler waren auch die meisten Tutoren bei der Nahrungsaufnahme. Letztere indes nicht im Gemeinschaftsbereich, sondern in jenen beiden Etagen des Omnitrons, die speziell für sie reserviert waren. Ein direkter Kontakt zwischen den Lernenden und Lehrenden war nicht gern gesehen. Seine Tutoren bekam man deshalb üblicherweise nur in den Körperfächern und bei der alle drei Septen stattfindenden Leistungsbeurteilung persönlich zu Gesicht.

Dann stand Merkosh vor der Zellentür, auf der Siniltons Name in großen Zeichen in Augenhöhe prangte. Die gelbe Meldetaste direkt darunter schien ihn höhnisch anzugrinsen und zu flüstern: »Drück mich ... Drück mich und besiegele dein Schicksal.«

Eigentlich konnte es nur um Merkoshs Abwesenheit bei den Lektionen am Vormittag gehen. Allerdings war es ungewöhnlich, dass sich wegen einer solchen Lappalie der Hochlehrer persönlich einschaltete. Derartige Dinge erledigten üblicherweise die niederen Tutoren oder die Elementare der Anstaltsleitung.

»Der Schüler möge eintreten!« Die laute Stimme Siniltons brachte das Pavengespinst in Merkoshs Oberhirn zum Vibrieren. Das resultierende Schwindelgefühl wurde für einen Atemzug so heftig, dass er sich am Türrahmen festhalten musste. Hatte er die Meldetaste überhaupt berührt? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall hatte sich die Tür aufgelöst und den Weg in die Zelle freigegeben.

Sinilton war nicht allein. Er saß zwar wie gewohnt hinter seinem geschwungenen Holotisch, wurde jedoch von zwei weiteren Opronern flankiert, die sich wie Ehrenwachen rechts und links neben ihm aufgestellt hatten. Einen der beiden erkannte Merkosh sofort, den anderen hatte er noch nie zuvor gesehen.

»Setz dich!« Der Hochlehrer zeigte auf einen schlichten Schemel, der vor dem Tisch stand und sich genauso unbequem anfühlte, wie er aussah. Aus dem neutralen Klang der Stimme ließ sich nicht erkennen, was Merkosh erwartete. »Den weisen Teklash kennst du ja sicher«, fuhr Sinilton fort.

Gewiss, Merkosh kannte den Mentar seiner Lehranstalt. Teklash hatte ihn vor fünf Jahren begrüßt, als er von der Richtungsschule ins reguläre Ausbildungssystem gewechselt war – zusammen mit einigen Hundert anderen Frischlingen. Seitdem hatte Merkosh den für einen Oproner erstaunlich großen Mann nur noch aus der Ferne gesehen.

Als Teklash seinen Kopf kaum merklich in Merkoshs Richtung neigte, wäre der beinahe auf die Knie gesunken. Seine Beine fühlten sich plötzlich an, als bestünden sie aus Timasirup.

»Das hier ist Jolshatur.« Sinilton deutete auf den anderen Besucher. Er trug einen langen Eelat, das traditionelle Gewand der Hochmediker. Die blassgraue Oberfläche des dünnen Gewebes kräuselte sich, als wäre sie lebendig. Dabei glaubte Merkosh ein Flüstern zu hören.

Die Untersuchung, schoss es durch seine Gedanken. Sie haben etwas gefunden. Wenn der Mentar und ein Hochmediker persönlich erscheinen – und dann auch noch gleichzeitig –, kann das nichts Gutes bedeuten. Ich werde sterben!

Die jedes Halk fällige Gesundheitsprüfung war zwar bereits einige Zeit her, doch was hieß das schon? Wahrscheinlich war die Krankheit, die sie bei ihm festgestellt hatten, so selten und tödlich, dass sie die Diagnose mehrfach überprüft hatten, um sich sicher zu sein. War er womöglich sogar – mochten die Geister Omnirs ihm gnädig sein – mit Dunkelleben infiziert? Würde man ihn auf eine der Quarantänewelten bringen? Würde er dort über Jahre hinweg jämmerlich vor sich hin vegetieren, während ihn das Quasivirus langsam von innen verzehrte ...?

Reiß dich zusammen!, rief er sich zur Ordnung. Wenn die Große Geißel dich erwischt hätte, wärst du längst in einem Isolationstank und an Bord eines Transportschiffs auf dem Weg ins Contagiat.

»Jolshatur ist nicht nur Höchster Elementar der medizinischen Gilde auf Opronos«, riss ihn Sinilton aus der beginnenden Panik, »sondern auch Mentar des Eel-Instituts. Sind dir Funktion und Bedeutung dieser Lehranstalt ein Begriff?«

Merkosh verschränkte die Hände vor der Brust und signalisierte dadurch, dass er das renommierteste und berühmteste medizinische Ausbildungszentrum des Planeten selbstverständlich kannte.

»Gut.« Der Hochlehrer fixierte ihn mit verengten Augen.

Merkosh hätte unter Eid geschworen, dass er Siniltons Blick körperlich spürte. Es fühlte sich an, als vereinten sich zwei Laserstrahlen im exakten Zentrum seiner Stirn und bohrten sich geradewegs in sein Hirn. Nur mit maximaler Anstrengung gelang es ihm, still sitzen zu bleiben und sich nicht die brennende Haut zu reiben.

»In zwei Tagen wirst du diese Anstalt verlassen und deine Studien auf Trivos fortsetzen«, eröffnete ihm Sinilton. »Deine Evaluierungen haben ergeben, dass du für die Laufbahn als Mediker geeignet bist. Du solltest dich freuen, Schüler Merkosh. Wir öffnen dir eine Tür, die den meisten anderen Opronern deines Alters verschlossen bleibt. Die opronische Gesellschaft hat nicht unerhebliche Mittel in deine bisherige Ausbildung investiert. Du wirst es ihr danken, indem du dich nicht nur anstrengst, sondern über dich hinauswächst. Ich sehe großes Potenzial in dir – und ich würde es dir persönlich übelnehmen, wenn du mich diesbezüglich Lügen strafst.«

Merkosh saß einfach nur da und starrte die drei Männer vor ihm abwechselnd an. Seine trockene Haut und die pochenden Dohnen waren der Beweis dafür, dass das alles wahrhaftig geschah. Glauben wollte er es dennoch nicht.

Auf der Insel Trivos, rund fünfhundert Kilometer von der Hauptstadt Ataimaru entfernt, lagen die Eliteschulen. Die Kaderschmieden der Gilden. Dorthin kam man nur, wenn man hochrangige Fürsprecher oder viel Einfluss, sprich Geld besaß. Merkosh hatte beides nicht. Gab es eventuell noch ein drittes Kriterium?

Ich sehe großes Potenzial in dir. Dieser Satz aus Siniltons Mund war so ungewöhnlich, dass sich Merkosh fragte, ob man den Hochlehrer gegen einen Klon ausgetauscht hatte. Sinilton lobte niemals. Wenn er mit einem Schüler zufrieden war, tadelte er lediglich nicht ganz so unbarmherzig wie sonst.

»Möchtest du noch etwas sagen?« Diesmal klang der Hochlehrer nicht mehr neutral, sondern ungeduldig.

Merkosh presste die Fäuste gegeneinander. Er hätte ohnehin kein Wort herausgebracht.

»Was tust du dann noch hier?«, fragte Sinilton. »Deine nächste Lektion beginnt in zwanzig Minuten.«

Merkosh sprang so hastig auf, dass der Schemel beinahe umgefallen wäre. Dann drehte er sich auf der Stelle um und verließ die Zelle. Nur mit Mühe widerstand er dem Drang, einfach loszurennen. Erst auf der Gleitrampe in die unteren Stockwerke fiel der Druck von ihm ab, der ihn bis dahin wie ein Panzer aus gegossenem Garotit umschlossen hatte.

Trivos! Das Eel-Institut! Das alles konnte nur ein Traum sein. Die Lektionen des Nachmittags rauschten wie Regen an ihm vorbei. Er hätte hinterher nicht mehr zu sagen vermocht, welchen Inhalt sie gehabt hatten.

Der Abschied von seiner bisherigen Lehranstalt fiel ihm nicht schwer – der Abschied von Resotum umso mehr.

Sein Freund hatte die sensationellen Nachrichten wesentlich gefasster aufgenommen als Merkosh selbst. Resotum war nicht gerade begeistert gewesen. Oproner wie er hatten nicht viele Freunde. Wie Merkosh auch war Resotum Vollwaise. Das war wohl unter anderem der Grund dafür gewesen, dass beide sich von Anfang an gut verstanden hatten. Und natürlich die Tatsache, dass Resotum ebenso wie Merkosh von Breknesh und seiner Horde drangsaliert wurde.

Während Merkosh die wenigen persönlichen Dinge zusammenklaubte, die er besaß, hockte Resotum auf seiner Ruheschale und sah ihm zu.

»Was hast du?«, fragte Merkosh, als ihm das anhaltende Schweigen zu viel wurde.

»Nichts«, lautete Resotums knappe Antwort.

»Das sieht aber nicht nach nichts aus ...« Merkosh deutete erst auf die Brust, dann auf den Kopf seines Freunds. »Dein Herz schlägt sichtlich schneller als sonst. Und die Rinde deines parophalen Kortex ist ganz weiß. Du bist wütend.«

»Nun mal langsam, Hochmediker Merkosh!«, stieß Resotum gereizt hervor. »Hast du deine Ausbildung am Institut etwa schon abgeschlossen? Nein? Dachte ich mir. Also behalte deine unqualifizierten Diagnosen für dich.«

»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht ...«

»Ach, halt die Klappe!«, unterbrach ihn Resotum. Er zog die Beine an den Körper und umschlang sie so fest mit seinen langen Armen, dass sich die Hände beinahe im Rücken berührten.

Merkosh nahm den dünnen Armreif aus einem Fach seiner Ablage und streifte ihn sich über das Handgelenk. Als man ihn vor rund zehn Jahren als in eine Decke gewickeltes Neugeborenes in der Konversionskammer eines Recyclingzentrums gefunden hatte, war der Reif alles gewesen, was er bei sich getragen hatte. Er hatte gewaltiges Glück gehabt. Die Kammer war kurz vor einem Desintegrationszyklus gewesen. Wenige Minuten später hätte sie sich mit nicht mehr verwertbarem Abfall gefüllt, der zerstrahlt und in seine atomaren Bestandteile aufgelöst worden wäre. Der Techniker, dem Merkosh sein Leben verdankte, hatte aus purem Zufall noch einmal die Anzeigen im Steuerraum überprüft und festgestellt, dass eine der Kammern bereits teilbefüllt gewesen war – mit einem wenige Tage alten Oproner!

Merkosh hatte sich die alten Berichte angesehen, sobald er sechs Jahre alt gewesen war und den Status eines Memen erreicht hatte. Sein Fall war damals ziemlich spektakulär, weil hochgradig ungewöhnlich gewesen und hatte einiges an Aufsehen erregt. Man hatte herauszufinden versucht, wer seine Eltern waren und wie er in die Konversionskammer eines Recyclingzentrums geraten war, doch ohne Erfolg. Irgendwann waren die Ermittlungen eingestellt worden, und man hatte ihn der Fürsorge der Gemeinschaft überantwortet. Er war in einem der Obhutzentren aufgewachsen. Mit drei Jahren war er auf eine Richtungsschule gewechselt und schließlich einer weiterführenden Lehranstalt zugeteilt worden.

Auf Opronos war der Nachwuchs von jeher einem streng geregelten Ausbildungsplan unterworfen. Ständige Überprüfungen sorgten dafür, dass jeder Heranwachsende am Ende exakt dem Betätigungsfeld zugeteilt wurde, das seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprach. Dadurch wurde das Potenzial jedes Einzelnen optimal zum Vorteil der Gemeinschaft genutzt.

»Wir bleiben in Kontakt«, versprach er lahm.

Ihm war längst klar, dass Resotum nur deshalb so zornig war, weil Merkosh ging und er selbst zurückbleiben musste. Ohne den Freund würde Resotum es um einiges schwerer haben. Nicht nur Brekneshs wegen, sondern auch, weil er niemanden mehr hatte, der ihm bei den Heimlektionen und bei den Unterrichtseinheiten im Maitron half. Merkosh machte ihm deshalb keine Vorwürfe. Er hätte wahrscheinlich genauso reagiert, wenn die Rollen vertauscht gewesen wären.

»Ja, klar ...«, raunte Resotum.

»Doch, ehrlich. Ich schwöre dir, dass ich ...«, setzte Merkosh an, kam jedoch nicht dazu, seinen Schwur zu vollenden.

»Du sollst die Klappe halten, verdammt!«, schrie Resotum in plötzlicher Hysterie. Sein Kopf ruckte nach oben. In seinen großen Augen standen dicke Tränen.

Merkosh fühlte sich vollkommen hilflos. Mit einem solchen Ausbruch hatte er nicht im Mindesten gerechnet.

»Du wirst mich zwei- oder dreimal anrufen und mich dann vergessen!«, rief sein Freund.

»Das werde ich nicht!« Merkoshs Verwirrung verwandelte sich schnell in Wut. Was glaubte Resotum, wer er war? Auch für ihn war diese ganze Sache alles andere als einfach. Es war von vornherein klar gewesen, dass sie nicht für immer zusammen in der Anstalt bleiben würden. Ihre Wege hätten sich früher oder später ohnehin getrennt. Was wollte dieser egoistische Blödmann also von ihm? »Wenn du alles so genau weißt, sollte ich mich vielleicht wirklich nicht mehr melden«, stieß er nicht weniger aufgewühlt als sein Gegenüber hervor. »Schließlich bin ich nicht dein Vater ...«

Noch bevor er den Satz beendet hatte, tat er ihm unendlich leid. Wie konnte er so etwas nur sagen? Auch wenn Resotum ungerecht und selbstsüchtig war, wenn Merkosh ihm lieber Vorwürfe machte, statt sich für ihn zu freuen, hatte Merkosh kein Recht dazu, Resotum so etwas Dummes und Gemeines an den Kopf zu werfen.

»Res ...«, begann er mit einer Entschuldigung, doch es war bereits zu spät.

Resotum sprang wie eine Stahlfeder aus seiner Ruheschale. Seine rechte Faust erwischte Merkosh genau an der Stelle, die zwei Tage zuvor auch Breknesh getroffen hatte. Merkosh spürte, wie die dünne Haut erneut aufplatzte und warmes Blut über sein Kinn lief.

»Ich brauche dich nicht!«, brachte Resotum in einer Mischung aus Schluchzen und Schreien heraus. Durch das Zellgeflecht, das sein Gehirn als feines Netz umschloss, pulsierte die Aspinalflüssigkeit in kurzen, heftigen Schüben. »Ich habe dich nie gebraucht!«

Bevor Merkosh reagieren konnte, war sein Freund aus der Zelle gestürmt. Er eilte Resotum hinterher, holte ihn jedoch nicht mehr ein. Schließlich gab er auf und kehrte zurück, um den Rest seiner Sachen zu packen.

Ein paar Stunden später holte ihn Hochlehrer Sinilton höchstpersönlich ab und führte ihn zu einem Gleiter, der auf dem großen Hof zwischen dem Omnitron und den Schülerunterkünften niedergegangen war. Auf dem weiten Platz hatten sich sämtliche Jahrgänge versammelt. Die Schüler standen, nach Lektionszirkeln geordnet, Reihe um Reihe in der Mittagshitze und pressten die Handrücken gegen ihre Stirnen. Sogar König Breknesh und sein Hofstaat waren anwesend, auch wenn ihre abfällig verzogenen Gesichter der allgemeinen Respektsgeste Hohn sprachen.

Merkosh war die ungewohnte Aufmerksamkeit fast peinlich. Sein bisheriges Leben lang hatte er stets versucht, so wenig wie möglich aufzufallen. Sein Gefühl sagte ihm, dass das von nun an nicht mehr möglich sein würde.

Als er das Ende der Gleiterrampe erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und ließ den Blick über die Reihen der Schüler wandern.

Resotum entdeckte er nirgends.

Perry Rhodan Neo 239: Merkosh

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