Читать книгу Südsternjahre 4 - Rebecca Maly - Страница 6
KAPITEL 20
ОглавлениеTom ritt hinter Ernest Furbish den Fahrweg entlang, der sich wie eine Narbe in den sandigen Boden gefressen hatte. Der Tag war noch jung, doch die Sonne brannte bereits die Feuchtigkeit aus dem Spinifexgras.
Als wäre er müde, ließ Tom den Kopf hängen und beobachtete alles aus dem Schatten seines breitkrempigen Hutes heraus.
Der Ort, den ihnen der Farmer beschrieben hatte, war leicht zu finden, das Tal, in dem sich die Goldsucher breitgemacht hatten, eine tote Gegend.
Sie ritten am ausgeblichenen Gerippe eines Rindes vorbei. Es lag unter einem dürren Baum, als habe das sterbende Tier dort mit letzter Kraft Schutz vor der sengenden Sonne gesucht.
Tom konnte den Kadaver dennoch riechen. Vielleicht entstieg der muffige Geruch auch dem gebeugten Schürfer, der vor ihnen durch die Fahrrinne humpelte. Er trug einen Beutel und eine Hacke über der Schulter. Das schien sein einziger Besitz zu sein.
Warum die Weißen überhaupt so wild auf Gold, Silber und Edelsteine waren, verstand er nicht. Vielleicht hatten die Geister sie damit gestraft, weil sie die Schöpfung der Traumzeit so achtlos behandelten.
Hier waren die meisten Bäume gerodet, selbst die Stümpfe waren aus dem Boden gegraben worden. Sie brauchten das Holz für Hütten, Stollen und Herdfeuer.
Tom erinnerte es an eine Zeit, als sein Name noch Jarli gewesen war. Und wenn die Geister ihm wohlgesonnen waren, würde er auch wieder Jarli sein.
Langsam ritten sie durch den jungen Ort, den es vor einem Jahr noch nicht gegeben hatte. Er konnte sich genau ausmalen, wie das vernarbte Land noch vor Kurzem ausgesehen hatte. Bevor die Ufer des ausgetrockneten Creeks ausgehöhlt worden waren, überall Löcher gegraben und Stollen geschlagen wurden. Allzu bekannt war der Anblick der klapprigen Seilwinden, an denen die Weißen damals auch ihn in die Tiefe hinabgelassen hatten.
Tom zwang sich, zur Sonne hinaufzustarren, damit die Erinnerung an die erstickende Schwärze der Schächte nicht überhandnahm.
Ernest Furbish ahnte von all dem nichts. Er glaubte noch immer, sie seien nur hierher geritten, um herauszufinden, ob für die Sippen Gefahr bestand. Doch Tom wollte mehr.
Seit der Farmer gesagt hatte, dass die Schürfer aus Torrent Creek auch hier waren, brannte nur noch ein Wunsch in seinem Herzen: der nach Rache.
Wenn er hier war, würde er den Mann finden, der Großvater Warragul erschossen und ihm selbst die ersten Ketten von vielen angelegt hatte.
„Dort ist eine Bar, da werden wir uns umhören“, rief Furbish ihm zu. „Womöglich lassen sie dich nicht hinein, es tut mir leid.“
„Nicht wichtig“, erwiderte Tom, und genauso meinte er es auch. Ihm reichte ein guter Platz, um die Augen offen zuhalten, und davon gab es hier genug. „Ich werde mit den Pferden warten“, sagte er daher nur.
Kurz darauf betrat Ernest die Bar, zu der auch ein kleiner Laden gehörte. Tom führte die Pferde zu einer Tränke, ließ sie saufen und zog sie dann an den Zügeln weiter zu einer kleinen Kuppe, auf der spärliches Gras wuchs, das in der beginnenden Trockenzeit langsam seine leuchtend grüne Farbe verlor.
Er wartete eine Weile, sah Männer kommen und gehen, auch einige Frauen hielten auf die Bar zu. Sie wogen sich in den Hüften wie balzende Vögel, und ihre Lippen waren so rot, dass sie selbst aus der Ferne zu leuchten schienen. Freudenmädchen waren das. Er hatte sie auch in Perth im Hafenviertel gesehen. Doch meist waren es weder Mädchen, noch war in ihren Augen auch nur der Schimmer von Freude zu sehen. Ihre Münder lachten, doch ihre Augen waren wie tot.
In einiger Zeit würden sie die Hütte wieder verlassen, am Arm eines Fremden, und ihm in dessen Verschlag oder hinter dem nächsten Baum zu Willen sein. Auch dabei würden sie den Mund zu einer Grimasse der Freude verziehen.
Tom musste an Iluca denken, das Mädchen, auf das er noch bis zur nächsten Regenzeit warten musste, und sein Blut schien sofort zu kochen. Sich vorzustellen, dass die Weißen so mit ihr umgehen würden, machte ihn beinahe körperlich krank. Womöglich war genau das der erschossenen Frau widerfahren.
Tom ging zu Furbishs Pferd und öffnete die Satteltasche. Er wusste, dass der Forscher immer ein Fernrohr dabeihatte, und fand es sorgfältig verpackt im ledernen Futteral. Sicher hatte er nichts dagegen, wenn Tom es sich ausborgte, schließlich hatte er ihn schon oft hindurchsehen lassen, damit er ihm den Namen eines Vogels oder einer fernen Felsformation nannte.
Er setzte sich auf einen Stein, der etwas verborgen zwischen dürren Schösslingen lag, und hob das Fernrohr ans Auge. Von hier oben konnte er fast alle Claims sehen. Diejenigen, die sich in die Flanke des ausgespülten Creeks gruben, genau wie jene, die auf der Ebene weiter südlich lagen und dort ihre Löcher und Schuttberge hinterließen.
Es war die Zeit, zu der die Arbeiter aus ihren Stollen herauskrochen, staubig und gebeugt, um im letzten Licht des Tages an ihren Hütten zu werkeln oder sich um ihre Tiere zu kümmern. In Torrent Creek, wo er als Junge geschuftet hatte, hielten die Goldgräber vereinzelt Rinder und Ziegen, die sie nach der Arbeit versorgten. Hier war es nicht anders.
Langsam suchte er einen Claim nach dem anderen ab. Er war schon nahe daran, die Hoffnung aufzugeben, als er einen Mann bemerkte, der Äste von einer Akazie schlug, die als Futter für seine Ziegen dienen sollten.
Er kannte diesen Mann. Es war zwar nicht sein Peiniger selbst, aber einer von dessen engsten Vertrauten.
Tom biss die Zähne zusammen, bis ihm die Kiefer wehtaten. Seine Anspannung wuchs. Er verfolgte jede Bewegung des Mannes. Wo würde er die Äste hintragen? Sicher waren die Männer aus Torrent Creek auch hier zusammengeblieben.
Es dauerte, bis er genug Ziegenfutter zusammenhatte, es bündelte und schließlich zu einer Gruppe von Zelten trug. Sie lagerten in der Ebene, genau wie damals. Mehrere Männer waren damit beschäftigt, die erste Hütte zu errichten.
Ganz in der Nähe gab es zwei Schächte, zugehörige Schuttberge und eine Siebanlage für die ausgegrabene Erde. Die Ziegen waren in einem kleinen Korral untergebracht. Er brachte ihnen das Futter und ging dann zu zwei weiteren Männern.
Tom hielt den Atem an. Das konnte doch nicht wirklich … Doch, er war es. Beruhigende Kälte machte sich in ihm breit. Vielleicht war es auch Hass, der alle anderen Gefühle zu überlagern begann.
Die Pferde, die bis dahin friedlich in seiner Nähe gegrast hatten, rissen die Köpfe hoch. Da kam jemand …
Unwillig drehte sich Tom um und bemerkte Furbish, der zu ihm die Kuppe hinaufstieg. Ein letztes Mal sah er durch das Fernglas, doch der Mann, von dem sein Herz ihm sagte, dass er der richtige war, drehte ihm noch immer den Rücken zu.
Schließlich, als der Forscher ihn schon fast erreicht hatte, erhob er sich und schob das Fernglas wieder in sein ledernes Futteral.
„Ich habe es mir nur kurz ausgeliehen“, sagte er entschuldigend und verstaute es in Furbishs Satteltasche.
„Jederzeit, Tom. Ich weiß, dass du derartige Gerätschaften mit dem nötigen Respekt behandelst.“ Er war von dem Anstieg etwas außer Atem. Die Hitze machte ihm noch immer zu schaffen, so wie Tom unter der feuchten Kälte Englands gelitten hatte.
„Haben Sie etwas herausfinden können?“, fragte er, als habe er sich mit dem Fernrohr wirklich nur ein wenig die Zeit vertrieben.
„Nicht viel. Nördlich von hier hat es scheinbar einige Konflikte gegeben, und mir wurde eifrig berichtet, wie gefährlich und heimtückisch die Einheimischen doch seien. Aber hier ist alles ruhig, und bislang ist nichts vorgefallen. Angeblich ist das Land unbewohnt.“
„Das glaube ich nicht, dafür ist es zu gut gewesen, bevor sie hierhergekommen sind. Womöglich ist die Sippe, die dieses Land hütet, aber auf Wanderschaft, oder sie sind geflohen.“
„Das denke ich auch“, stimmte Furbish zu. „Ich werde heute Abend noch einmal zurückkehren, wenn mehr Goldsucher in der Bar sind. Vorerst sollten wir uns einen Platz suchen, wo wir die Nacht verbringen können.“
Sie ließen die Pferde noch einmal trinken, füllten ihre Trinkbehältnisse und stiegen in die Sättel.
„Dort entlang“, schlug Tom vor und wartete nicht auf eine Antwort seines Begleiters. Er musste am Lager der Männer von Torrent Creek vorbeireiten, um Gewissheit zu bekommen.
Ernest folgte ihm. Wahrscheinlich glaubte er, Tom habe bereits einen passenden Lagerplatz gefunden.
Die Männer, denen sie begegneten, sahen Tom mit einer Mischung aus Verwunderung und offenem Hass an. Hier mochte niemand die ursprünglichen Bewohner des Landes.
Sie passierten einige Grubeneingänge und dann endlich das Lager der Torrent-Creek-Männer.
Die drei, die er zuvor beobachtet hatte, standen noch immer zusammen, und als hätten sie Toms Blick gespürt, drehten sie sich zu ihm um.
„Guck mal, ein Neger auf ‘nem Pferd“, sagte der Jüngste von ihnen und stieß seinen Nachbarn an, als habe er einen guten Witz gemacht.
Tom gefror das Blut in den Adern, als er sich umwandte und ihn musterte. Es war Mr Joseph. Aus dem Augenwinkel bemerkte Tom, wie sich Mr Furbish grüßend an die Hutkrempe tippte.
Er selbst konnte sich nicht rühren. Der Mann aus seinen Albträumen war nur zehn Schritt von ihm entfernt. Und er sah ihn direkt an. Die Angst, die ihn früher immer bei diesem Blick befallen hatte, ließ er aber nicht an sich heran.
Sein Pferd trug ihn an dem so vertrauten Fremden vorbei, der ihm noch eine Weile hinterhersah.
Ob er ihn erkannt hatte? Tom war in der Zwischenzeit vom Kind zum Mann geworden. Wohl nicht.
Aber noch bevor Mr Joseph sein Leben aushauchte, würde er es erfahren.
Sie fanden einen guten Platz zwischen mehreren Felsen unter einer alten Akazie. Die Abenddämmerung kam schnell, doch ihr Lager war einfach und daher binnen Kurzem vorbereitet. Während Mr Furbish versprach, ein Feuer in Gang zu bringen, zog Tom mit einem Beutel los, um etwas zu finden, das den kargen Bohneneintopf bereichern könnte.
Zwischen den vielen Felsen lebten vor allem Reptilien. Eine Schildkröte, die sich am Gras gütlich tat, war genau das Richtige für zwei hungrige Männer. Tom schnitt ihr den Kopf ab und band sie dann an seinen Gürtel. Obwohl das Tier tot war, kratzten die Füße noch eine Weile über seine Beine.
Jetzt war er auf der Jagd nach etwas Gefährlicherem.
Er benutzte einen langen Stock, um unter Felsen, in Ritzen und Spalten herumzustochern. Er lockte sie, dachte ihre Namen und sang ihr Lied. Das Schlangenlied.
Selbst seine Füße bewegten sich wie von allein im Rhythmus und waren trotzdem leise, ganz leise.
Schlangen waren stille Wesen, und die Stille schien sie auch zu locken. Die Geister, die ihn ihnen wohnten, erhörten seine Bitte.
In einem hohlen Mugla-Stamm fand er ein ganzes Nest von Braunschlangen, die sich für die kommende Nacht darin verkrochen hatten.
Beim Anblick der einfarbigen, schlanken Tiere wurde er ganz ruhig. Es war die Magie des Schlangenliedes, die ihm die Angst nahm, während er seinen Beutel über eine Öffnung des Baumstamms stülpte und dabei so behutsam vorging, dass sie sich nicht regten.
Von der anderen Seite begann er dann die Schlangen langsam mit dem Stock vorwärtszuschieben. Er hörte sie leise zischen, hörte, wie ihre Schuppen flüsternd über das Holz schabten, und dann fiel die erste in seinen Beutel.
Tom sang das Schlangenlied nun laut. Eine nach der anderen fiel in das Behältnis aus dicht gewebten Pflanzenfasern. Und seine Gedanken gingen zu Großvater, der ihn nicht nur das Lied gelehrt hatte, sondern auch, wie man die Tiere fing, um sie zu braten.
Vorsichtig verschloss er den Beutel mit einem weichen Rindenband und löste ihn vom Stamm. Er hatte fünf Braunschlangen gefangen, das waren genug, um alle Goldgräber zu töten. Aber ihm würde ein Toter reichen.
Als Tom zum Lagerfeuer zurückkehrte, war es vollständig dunkel. Seinen Beutel hatte er in einem Gebüsch zurückgelassen, damit Mr Furbish keine Fragen stellte.
Den noch immer zuckenden Schildkrötenkadaver hochhaltend, trat er in den Lichtschein.
„Ah, endlich. Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen“, sagte Furbish und aß einen Löffel gekochter Bohnen.
„Ich verlaufe mich nie“, sagte Tom. Mit einem Stock kehrte er Kohlen aus dem Feuer und legte die Schildkröte darauf. Furbish reichte ihm den Topf mit Bohnen und einen Löffel und lehnte sich gegen seinen Sattel, während er ihm beim Essen zusah.
„Glaubst du, wir können etwas ausrichten?“, fragte er.
Tom schüttelte den Kopf und stupste die Schildkröte mit dem Fuß tiefer in die Flammen. „Wir sind zu wenige, um zu kämpfen, und wir haben kaum Waffen.“
„So meinte ich das nicht.“
„Ich weiß. Die Sippen können nur versuchen, den Weißen, so lange es geht, aus dem Weg zu gehen und zu hoffen, dass sie irgendwann ihre Gier gestillt haben. Vielleicht lassen sie uns dann in Ruhe leben.“
„Ich fürchte, ihre Gier wird nie gestillt sein. Aber manche Regionen sind so unwirtlich, dass weiße Siedler das Land für wertlos erachten. Dort werden die Sippen Frieden finden können, wenn das Empire sich nicht in den Kopf setzt, dass es eurem Volk besser gehen wird, wenn sie so weiß wie möglich werden.“
Tom zog fragend eine Braue hoch. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Menschen der Traumzeit zu den Fremden werden könnten. Dafür würde es einen mächtigen Zauber oder die Kraft aller Wesen der Tjukurpa brauchen, und die hörten nicht auf die Eindringlinge. Zumindest hoffte er das.
„Die Priester unseres Gottes möchten, dass ihr von eurem Glauben ablasst und unseren annehmt. Manche sagen, das ginge besser, wenn ihr nur noch unsere Sprache sprechen und eure Kinder von unseren Lehrern erziehen lassen würdet.“
„In Schulen, davon habe ich gehört. Dort werden sie eingesperrt, bis sie ihre Eltern und die Traumzeit vergessen haben.“ Tom rieb über die Narben an seinen Fußgelenken und meinte wieder, das schwere Eisen zu spüren.
Furbish wandte den Blick in die nachtschwarze Ferne, und für eine lange Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen.
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