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KAPITEL 9

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Liebste Rosalie,

nun sind wir schon zehn Tage unterwegs und stehen doch noch ganz am Anfang unserer Reise. Angesichts der sumpfigen Gegend kommen wir trotzdem gut voran und ziehen entlang einiger Gewässer in steter Linie nordwärts. Seit heute haben wir das Land der Mückenschwärme hinter uns gelassen und bewegen uns nun ein wenig mehr in westliche Richtung. Ich würde Dir gerne benennen, wo genau wir uns befinden, doch hier gibt es nichts, was einen Namen hätte, zumindest keinen, den Du auf einer Karte finden könntest.

Ich denke, ich halte mich trotz der Strapazen sehr gut. Ich bin selbst überrascht, wie viel Kraft ich aufbringe, wenn ich tun darf, wovon ich immer geträumt habe. Auch wenn Ernest mich immerzu drängt, mich auszuruhen, leiste ich am Abend meinen Beitrag, das Lager einzurichten. So gehe ich Feuerholz suchen, stelle das Zelt auf oder koche für unsere kleine Gesellschaft.

Wir sind bislang nur auf alte Spuren einer eingeborenen Sippe gestoßen. Lagerplätze und Feuerstellen mit verbrannten Knochen darin, die schon Jahre alt sein müssen.

Seit einigen Tagen beschleicht mich allerdings das Gefühl, dass wir beobachtet werden. Ich habe den Männern davon erzählt, doch sie haben nur Witze gemacht, als würde ich kindische Geistergeschichten erzählen. Seitdem behalte ich meine Beobachtung für mich. Ich weiß, dass dort jemand ist. Dieses stechende Gefühl im Rücken, wenn sich fremde Augen auf mich richten, trügt mich nicht.

Da ich den Brief an Dich ohnehin nicht absenden kann, werde ich ihn immer wieder ergänzen. Für heute lege ich den Füller nieder, denn ich fühle mich so müde, wie Sisyphos es gewesen sein muss.

***

Sie war wieder auf dem Schiff.

Florence wusste, dass sie nicht wirklich dort war. Sie befand sich auf dem dünnen Grat, der das Wachsein von der Welt der Träume trennte. Und diesem besonderen Traum sehnte sie entgegen. Sie hatte ihn oft gehabt, denn mit Magnus waren ihr nicht viele Stunden vergönnt gewesen. Umso mehr hielt sie an ihren wenigen Erinnerungen fest.

Sie war auf dem Schiff wie so oft allein unterwegs, weil Ernest über seinen Büchern und Berechnungen brütete.

Im Vorbeigehen grüßte sie einige Mitreisende, die wie sie Abwechslung an Deck suchten und nur selten fanden.

Es war ein windiger Tag. Auf den Wogen saßen Schaumkronen, Böen fuhren hinein und rissen sie davon. Obwohl die Sonne vom Himmel brannte, waren die Handläufe von nasser, salziger Gischt bedeckt, die Florence bald auch auf ihren Lippen schmeckte.

Leicht nach vorn gebeugt, ihren Hut mit einer Hand festhaltend, stemmte sie sich gegen den Wind. In ihrem Inneren glühte es. Sie sah der Begegnung mit Magnus entgegen, als sei er die Antwort auf all ihre Fragen, all ihr Sehnen.

Für heute hatte er ihr versprochen, von seinen Abenteuern in Victoria zu erzählen, wo er beinahe sein Leben verloren hatte.

Florence kämpfte sich bis zum Bug des Schiffes vor. Hier war der Wind so heftig, dass sich hier niemand freiwillig aufhielt. Und auch sie bereute für einen Moment, auf diesen Treffpunkt bestanden zu haben. Doch hier hielt sich nur selten jemand von den Passagieren auf. Weniger Augen, die sie sehen würden. Auf einem Schiff wie diesem wurde viel getratscht, denn sonst gab es nichts zu tun. Und Florence wollte nicht ins Gerede kommen. Das war sie auch Ernest schuldig.

In den vergangenen Tagen hatte sie immer wieder darüber gegrübelt, ob es richtig war, was sie tat. Doch Ernest und sie waren die Ehe nur zum Schein eingegangen, und so, wie er sie mit Nichtbeachtung strafte, lag ihm auch nicht an mehr.

Magnus hingegen ließ ihr Herz wie wild pochen. Seine Nähe löste ein Fieber in ihr aus, von dem ihr ganz schwindelig wurde.

Florence hatte den mächtigen Anker erreicht und blieb neben einer Rolle aus armdickem Tau stehen. Hier war das Auf und Ab des Schiffes besonders stark, doch sie genoss die Bewegung. Sie vermittelte ein Gefühl von Lebendigkeit, als sei das Schiff ein atmendes, fühlendes Wesen, das es liebte, durch die Ozeane zu pflügen.

Ihr Galan war noch nicht da. Also beugte sich Florence über die Reling und sah den Bug hinab, bis dorthin, wo er die See teilte.

Hier, nahe dem afrikanischen Kontinent, war das Wasser beinahe grün und ungeheuer klar. Einige Delfine, die das Schiff hier begleiteten und übermütig über Wellen sprangen, waren auch unter Wasser gut zu sehen. Anfangs hatte sie sich von ihrem Anblick kaum losreißen können, doch mittlerweile hatte sie sich regelrecht sattgesehen.

„Mrs?“, erklang eine zaghafte Stimme.

Florence wandte sich um und stand Fredrikssons Diener gegenüber. Der Junge sah verändert aus. Er hatte einen neuen Haarschnitt. Nein, einen Haarschnitt konnte man das nicht nennen. Sein Kopf war rasiert worden. Hier und da zeichnete sich zwischen den kurzen Stoppeln auch etwas Schorf ab, wo das Messer nicht vorsichtig geführt worden war.

Die fehlenden Haare ließen Toms Gesicht merkwürdig aussehen. Seine Nase wirkte noch ein wenig flacher und breiter, die Augen größer. Doch er sah sie nie direkt an. Immer zu Boden oder über ihre Schulter hinweg.

Auch jetzt suchte er mit dem Blick lieber die Weite des Ozeans, während er die Hände tief in die Taschen seiner einfachen Leinenjacke vergrub.

„Der Master erwartet Sie, Mrs.“

„Dann geh voraus“, sagte Florence schnell, bevor sie es sich anders überlegen würde. Sie hatte Magnus noch nie in seiner Kabine besucht. Sollte sie es wirklich wagen? Es fühlte sich an, als würde sie eine Grenze überschreiten, von der es kein Zurück mehr gab.

Vor ihr ging Tom auf eine verschlossene Tür auf Steuerbord zu. Er humpelte und versuchte offensichtlich, es sie nicht sehen zu lassen.

„Hast du dich verletzt? Bist du umgeknickt?“

Er schüttelte den Kopf und lief weiter. Dann hatten sie die Tür erreicht, und er sah sie kurz an. „Meine Füße mögen die Schuhe nicht.“

„Passen sie nicht?“

Wieder schüttelte Tom den Kopf. „Nicht schlimm.“

Florence wollte etwas erwidern, da öffnete er die Tür und hielt sie ihr auf. Gemeinsam betraten sie einen schmalen Gang, von dem mehrere Türen abzweigten. Neben jeder prangte eine polierte Messingnummer. Vor der mit einer Fünf blieben sie stehen. Es war still hier, offenbar hielten sich die Bewohner der anderen Kabinen in einem der Salons auf oder schliefen.

Tom klopfte leise, dann öffnete er die Tür. Sobald Florence eingetreten war, schloss er sie hinter ihr. Magnus‘ Diener war nicht mit hereingekommen. Sie war allein mit einem fremden Mann. Ihre Kehle war mit einem Schlag trocken.

„Magnus?“, wisperte sie und räusperte sich.

„Komm rein, ich bin gleich bei dir.“

Florence sah sich in seinem kleinen Reich um. Er musste wirklich gut verdienen, denn seine Kabine war beinahe doppelt so groß wie ihre. Es gab einen separaten Wohn- und Schlafbereich.

Florence trat an einen aufgeklappten Sekretär, auf dem mehrere Karten lagen. Irritiert bemerkte sie, dass sie Goldvorkommen und bald zu prospektierende Gebiete zeigten. Vielleicht hatte er keine anderen Karten bekommen können, dachte sie. Denn wer war schon daran interessiert, Stammesgebiete der Eingeborenen zu kartieren? Es nutzte weder zukünftigen Farmern noch Händlern.

„Ah, natürlich zieht es eine wissbegierige Frau wie dich genau dorthin.“ Magnus trat aus dem Schlafzimmer und knöpfte dabei sein Oberhemd zu, das noch zur Hälfte offen stand.

Ertappt trat Florence von seinem Sekretär weg und verfluchte im Stillen ihre Neugier. Es gehörte sich nicht herumzuschnüffeln, auch wenn es Magnus offenbar nichts ausmachte. Dort hätten genauso gut private Notizen oder Briefe liegen können.

Magnus blieb dicht vor ihr stehen, so dicht, dass sein Atem ihr Gesicht streifte wie eine sachte Berührung.

Florence‘ Blick richtete sich auf seine Hände, die sich an den letzten beiden Hemdknöpfen zu schaffen machten. Kurz war noch ein Stück seiner Brust zu erkennen, auf der einige hellbraune Haare sprossen.

Florence errötete, weil sie auch dort nicht hätte hinschauen sollen. Magnus‘ Wirkung auf sie irritierte sie. Stets taumelte sie zwischen fiebrigem Herzklopfen und Scham hin und her.

„Schön, dass du gekommen bist“, sagte er und nahm ihre Hand, um sie zu seinem Mund zu heben. Als sich seine Lippen warm auf ihren Handrücken drückten, vergaß Florence einen Moment lang zu atmen. Wenn er sie nicht festgehalten hätte, wäre sie womöglich auf den Stuhl gesunken oder hätte die Flucht angetreten. Was Magnus vorhatte, würde sie mitreißen wie ein gischtender Strom. Einmal darin gefangen, wäre es vorbei mit ihr.

„Magnus, was tust du nur?“, fragte sie atemlos.

„Ich küsse deine Hand, aber viel lieber würde ich deinen Mund küssen.“

In Florence‘ Kopf war ein wildes Durcheinander. Was nur tun, was? Magnus schien auf eine Antwort zu warten. Als er sie nicht bekam, hob er ihre Hand bis auf Höhe ihres Gesichtes und küsste sie noch einmal. Dabei berührte seine Wange die ihre. Sie konnte sein herbes Rasierwasser riechen.

Dann begnügte er sich nicht mehr mit ihrer Hand.

Was für ein Kuss! Wie konnte er küssen! Florence drückte sich fest an ihn, schlang beide Arme um seine Mitte und hätte ihn am liebsten nie wieder losgelassen.

In seinen Armen war die Zeit verflogen, doch nun war sie zurück an Deck, während die Wärme seines Körpers noch an ihr hing wie etwas Greifbares. Ihre Haut roch nach ihm, ihre Lippen waren wund von seinen Küssen. Florence meinte, nie wieder an etwas anderes denken zu können als an Magnus.

Sie hatte sich auf eine Kiste gesetzt, die genau im Wind stand, um sich wieder zu sammeln. Die heftigen Böen rissen an ihr und trugen den Duft seines Rasierwassers mit sich fort.

Nichts von ihm durfte noch an ihr sein, wenn sie zu Ernest zurückkehrte. Florence schlang die Arme um den Körper, obwohl sie sich noch immer erhitzt fühlte, als habe Magnus ein geheimnisvolles Feuer auf sie übertragen.

Was hatte sie nur getan? War sie nicht eigentlich hergekommen, um mehr über das unbekannte Ziel ihrer Reise zu erfahren? Oder hatte sie sich sehenden Auges in diese Falle locken lassen? Kaum ein Wort war zwischen ihnen gefallen, nichts außer seinen leisen Komplimenten.

Schon jetzt sehnte sie sich in Magnus‘ Arme zurück, zu seinen großen, kräftigen Händen und den sanften Küssen.

Schämen sollte ich mich!

Florence beugte sich vor und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Lange saß sie so da. Ließ den Wind an ihr reißen und zerren, bis das Brennen in ihrem Inneren langsam nachließ.

„Mrs, ist Ihnen nicht gut?“

Florence zuckte zusammen und sah auf. Direkt neben ihr stand kein anderer als Magnus‘ Schützling Tom. Hatte er ihn mit einer Nachricht zu ihr geschickt?

Der Junge sah sie fragend an, seine Schuhe hielt er in der Hand. Deshalb hatte er sich unbemerkt nähern können.

„Mir geht es gut, Tom. Hat Mr Fredriksson dich geschickt?“

Er schüttelte den Kopf, ließ die Schuhe fallen und rannte davon, doch er lief nicht weit. Überall an Deck gab es in der Nähe der Sitzplätze Truhen, in denen grobe Wolldecken untergebracht waren. Tom kehrte mit einer davon zurück und reichte sie schüchtern an Florence weiter.

Obwohl ihr eigentlich nach der eben erlebten Glut in Magnus‘ Armen immer noch sehr warm war, schien es ihr wie eine gerechte Strafe. Sie nahm die Decke an und breitete sie über ihre Knie. Tom wollte schließlich nur freundlich sein und ahnte sicher nicht, wie zerrissen sie sich fühlte.

„Besser?“, fragte er.

„Ja, danke.“

Er hob seine Schuhe auf und schien unschlüssig, ob er sie wieder anziehen sollte. Da fiel Florence ein kleiner, frischer Blutfleck auf dem sonnenverblichenen Holzboden auf. Zweifellos stammte er von dem Jungen. Doch da die Haut selbst an seinen Zehen so dunkel war, konnte sie kaum etwas erkennen.

„Du blutest, passen dir die Schuhe nicht?“

Tom wich ihrem Blick aus und schien ein wenig zu schrumpfen, wobei er wirkte wie ein geprügelter Hund. Womöglich waren es seine ersten Schuhe und für einen ehemaligen Straßenjungen wie ihn eine Kostbarkeit. Doch auch wenn er sie unbedingt tragen wollte, würden sie davon nicht besser passen.

Florence nestelte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und reichte es ihm. „Hier, damit kannst du deinen Zeh verbinden.“

Tom ließ die Schuhe fallen, nahm vorsichtig das Taschentuch an und betrachtete mit staunend aufgerissenen Augen die gestickten Maiglöckchen und den Spitzensaum. Das Taschentuch war eines der letzten, die Florence noch selbst verziert hatte. Fast jeden Abend hatte sie mit Mutter vor dem Kamin gesessen und Handarbeiten gemacht, während Vater las.

Sie hätte auch viel lieber gelesen, doch Mutter bestand darauf, dass sie wenigstens am Abend einer Beschäftigung nachging, die einer jungen Frau besser geziemte.

Sie hatte nur sehr wenige Taschentücher auf ihre Reise mitgenommen, und wenn Tom es nun für seinen verletzten Zeh benutzte, wäre es durch das Blut für immer ruiniert. Aber das war Florence gleich, dieser Teil ihres Lebens lag hinter ihr.

Tom hockte sich neben sie und balancierte dabei auf seinen Zehenspitzen. Mühelos glich er die Bewegungen des Schiffes aus, und Florence musste unweigerlich daran denken, dass er wohl die meiste Zeit seines Lebens barfuß gegangen war. Kein Wunder, dass er nun Probleme hatte.

„Zu schön“, sagte er plötzlich und wollte es ihr zurückgeben.

„Nein, behalte es. Ich schenke es dir.“

Tom schien sein Glück kaum fassen zu können, faltete das Taschentuch ehrfurchtsvoll zusammen und schob es in die Hosentasche.

Aus dem Bauch des Schiffes klang mit einem Mal ein heller Gong herauf. In einer Viertelstunde würde im Salon das Dinner serviert. Florence hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen war. Wenn sie jetzt auf das Meer hinaussah, war die Abenddämmerung nicht zu leugnen. Bald würde sie ihrem Ehemann entgegentreten müssen, dabei fühlte sie sich, als könne sie ihm nie wieder in die Augen sehen.

„Mrs, bitte, sagen Sie dem Master nichts.“ Tom griff nach seinen Schuhen und stand auf.

„Was soll ich ihm nicht sagen? Dass du die Schuhe ausgezogen hast?“

„Ja, bitte nicht sagen.“

„Versprochen“, erwiderte sie schnell, denn es schien dem Jungen wirklich wichtig zu sein. Womöglich hatte Magnus ihm die Schuhe geschenkt, und er wollte seinen Gönner nicht enttäuschen.

In diesem Moment wurden Schritte laut, und Florence bekam eine Gänsehaut. Ihre Kehle wurde eng. Ernest. Ein Teil von ihr erkannte ihn, ohne hinschauen zu müssen.

„Florence? Florence, wo bist du?“

„Hier“, stieß sie hervor und war selbst verwundert, wie normal ihre Stimme klang.

Tom schlüpfte rasch in seine Schuhe und humpelte ungelenk davon, als Ernest auch schon bei ihr war und dem Jungen ungläubig nachsah. „Ich glaube es nicht. Ist das ein Aborigine?“

„Ja, er ist als Diener hier an Bord, unglaublich, nicht wahr?“ Florence war froh, dass es mittlerweile so dämmerig war, dass Ernest nicht mehr sah, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

„Ich hatte schon überall nach dir gesucht, als dein Platz im Salon leer war, aber jetzt wundert mich nichts mehr“, sagte er versöhnlich, half ihr auf und legte die Decke für sie zusammen. So viel Freundlichkeit hatte sie nun wirklich nicht verdient!

„Leider ist er auf der Straße aufgewachsen und erinnert sich nicht mehr an viel“, sagte sie schnell, während er ihr noch den Rücken zudrehte.

„Ja, so ist es leider meistens.“ Er bot ihr seinen Arm an. „Komm, gehen wir rein. Es wird frisch hier draußen, und mein Magen knurrt, als hätte ich einen Bären verschlungen.“

Hier endete der Traum. Irgendetwas hatte sie zurückgeholt. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war. Dann gab ihr das Geräusch von Zeltstoff, der sich im Wind bewegte, einen Hinweis. Noch bewegte sie sich auf dem schmalen Grat, der die Traumwelt vom Wachsein trennte, dann war sie mit einem Schlag zurück.

Da war etwas, oder jemand. In ihrem Zelt!

Seit Beginn ihrer Expedition schliefen sie unter Moskitonetzen, da die Mücken sie sonst in der Nacht zu sehr plagten. Nun sah sie auch mit weit aufgerissenen Augen nichts als Schemen. Mondlicht verfärbte alles bläulich. Florence hatte das Gefühl, nicht schreien zu können, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Gebannt lauschte sie. Da war Ernests Atem, langsam und tief, er war nicht aufgewacht. Florence hielt die Luft an -und wirklich: Da war noch ein Atemrhythmus in ihrem Zelt zu hören. Sie schluckte. Warum bellte Jeffs Hund nicht?

War es womöglich kein Fremder, sondern der alte Viehhirte oder etwa ihr Guide? Sahen sie nur nach dem Rechten?

Wie ein großes helles Dreieck zeichnete sich die Zeltöffnung ab, und genau in der Mitte stand ein schmaler Schemen, mittelgroß und auf einen Stab oder Speer gestützt. Er hätte sie angreifen und womöglich umbringen können, bevor einer der Männer auch nur zu seinem Gewehr gegriffen hätte. Aber er tat es nicht. Beobachtete nur.

„Hallo?“, wisperte Florence.

Der Fremde zuckte zusammen, dann war er fort.

Florence riss den Moskitoschutz nach oben, doch es war zu spät. Sie hörte nur noch sich entfernende rasche Schritte, die schnell leiser wurden und dann verklangen.

Ernest stöhnte, gähnte. „Florence? Was ist denn?“, fragte er schlaftrunken.

„Da war jemand in unserem Zelt“, flüsterte sie.

Ernest setzte sich auf, kämpfte einen Moment lang mit dem Netz und saß dann kerzengerade auf seinem Feldbett. Das Haar stand ihm wild vom Kopf ab, er blinzelte und sah sich hektisch um.

„Er ist weggelaufen, als ich ihn angesprochen habe, Ernest. Aber er war da, da bin ich mir ganz sicher.“

„Vielleicht ein Eingeborener“, mutmaßte er und rieb sich über das stoppelige Kinn. „Eigentlich sind wir aber noch nicht in einem Gebiet, wo wir auf eine Begegnung hoffen können. Hier wurden alle vertrieben, und die wenigen, die die Seuchen überlebt haben, sind weiter im Süden.“

„Er hatte einen langen Stab oder Speer dabei.“

Ernest stieg aus seinem Feldbett, entzündete eine Öllampe, und gemeinsam gingen sie auf Spurensuche. Im weichen Sand, auf dem sie ihr Zelt errichtet hatten, waren die Fußabdrücke leicht zu erkennen.

Sie folgten ihnen bis ins Freie, wo die Abstände zwischen den Abdrücken größer wurden. „Es war eindeutig jemand hier, du hast recht, Florence, und er ist nach Westen gerannt. Dort ist ein größeres Waldgebiet, wir konnten es am Abend vom Camp aus sehen. Ich bin mir sicher, dass er sich dort versteckt.“ Ernest sah in die Richtung, wo er ihren nächtlichen Besucher vermutete, doch es war nichts zu sehen.

Der Mond, der Augenblicke zuvor noch dafür gesorgt hatte, dass Florence den Fremden als Silhouette wahrnehmen konnte, verschwand nun hinter einer breiten Nebelfront, die sich jede Nacht vom Meer ins Landesinnere schob und sich jeden Morgen unter den brennenden Strahlen der aufgehenden Sonne auflöste.

Nun wurden auch die Männer in dem zweiten Zelt wach. Jeff war zuerst auf den Beinen. Sein Gewehr in der Hand kam er geduckt hinaus, dicht gefolgt von Daku.

„Ist etwas passiert?“, fragte der Rinderhirte und sah sich mit fiebrigem Blick um.

„Ja und nein“, erwiderte Ernest. „Wir hatten Besuch. Ich glaube, es war ein Eingeborener.“

Daku kniete sich neben die Spur und gab ein leises Schnalzen von sich. „Kein Zweifel.“

Jeff fasste sein Gewehr mit beiden Händen. „Die Spur ist gut zu erkennen, es weht kaum Wind. Bis zur Dämmerung sind die Pferde bereit, dann können wir die Verfolgung aufnehmen.“

„Den fangen wir!“, stimmte Daku zu.

Florence hatte bei den Worten der Männer kein gutes Gefühl.

„Halt. Wir jagen niemanden, und wir fangen auch keine Menschen.“

„Aber Mrs, Sie sagten doch selbst …“, protestierte Jeff.

„Meine Frau hat recht. Ich denke nicht, dass er uns Übles will. Wir sind hergekommen, um friedlich mit den Eingeborenen in Kontakt zu treten. Sehen wir nach, ob etwas gestohlen wurde. Es wird bald Morgen. Wenn nichts fehlt, nutzen wir die Gunst der Stunde und brechen auf, sobald es hell wird.“


***

Südsternjahre 2

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