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KAPITEL 25

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Mule Springs – vor dem Lebensmittelladen

Florence stand bei den Pferden und rieb Koa über die breite Blesse. Die Gegenwart der Tiere war beruhigender als Laudanum. Sie verstand noch immer nicht, was im Laden in sie gefahren war. Hatte sie doch schon oft den Überfall im Kopf durchgespielt. Wieder und wieder.

So oft, dass er einen Teil seines Schreckens verloren hatte. Und nun das.

Ein falsches Wort, und das auch noch aus ihrem eigenen Mund, und sie hatte sich wieder den Männern ausgeliefert gefühlt. Spürte erneut die Hilflosigkeit, die sie so entsetzt hatte.

Koa schnaubte leise und zupfte an ihrer Hand. „Du alter Schnorrer“, sagte sie abgelenkt und gab ihm ein Stückchen Trockenobst.

Das Pferd schmatzte genüsslich und hatte ganz nebenbei dafür gesorgt, dass sie aufhörte zu zittern.

Florence sah sich um. Sie hatte den Besuch in Mule Springs gefürchtet und immer wieder um einen Tag hinausgeschoben, bis Ernest Verdacht schöpfte, dass sie den Ort aus einem anderen Grund mied.

Hoffentlich war Magnus schon weitergezogen. Der Gasthof war gleich gegenüber. Vorsichtig musterte sie ein Fenster nach dem anderen. Das Gebäude war nicht viel mehr als eine zweistöckige Bretterbude mit einem Gastraum im Erdgeschoss und einigen winzigen Zimmern darüber. Von Magnus war nichts zu sehen. Auch sein Pferd, das sie mit Sicherheit erkannt hätte, war nicht im kleinen Korral des Hotels.

Nach und nach konnte sie wieder freier atmen. Der Druck auf ihrer Brust ließ nach. Es war zwar noch immer heiß und die Luft voller aufgewirbeltem Staub, aber sie fühlte sich nicht mehr von Angst erstickt.

Im Geschäft verabschiedete sich Ernest soeben von der Händlerin. Dann kam er heraus, eine prall gefüllte Tasche im Arm. „Geht es dir besser, Liebes?“

Florence lächelte und musste sich nicht einmal überwinden. Ernests Sorge um sie machte ihr immer wieder klar, wie glücklich sie sich schätzen konnte.

„Gib mir etwas ab, ich kann auch einiges in meine Satteltaschen packen.“

Sie verstauten gleichmäßig Reis, Salz, Bohnen, Speck und Trockenfleisch, sodass keines der Pferde zu viel zusätzliche Last hatte.

„Was nun?“, fragte Florence.

„Reiten wir zu dem Mann, der angeblich einen Angriff auf unsere Freunde plant.“

„Weißt du denn, wo wir ihn finden?“

„Mrs Kincaid hat mir den Weg zu seiner Farm beschrieben. Er ist einer von den Alteingesessenen.“

Der Ritt dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, dennoch würden sie wohl für die Nacht irgendwo um Gastfreundschaft bitten müssen oder im Gasthof in Mule Springs übernachten. Das wollte Florence jedoch auf jeden Fall verhindern. Zwar hoffte sie noch immer, dass Magnus abgereist war, sicher sein konnte sie sich aber nicht.

Der Bela-Hof lag in einem erstaunlich fruchtbaren Tal, das sich entlang einer Felskette hinzog. Durch die Nähe zur Küste fiel vermutlich etwas mehr Regen, da sich die Wolken an den Sandsteinhängen stauten. Genug, um Rinder und vor allem Schafe durchzubringen.

„Es erinnert mich ein wenig an die Farm der Martens“, meinte Florence, und Ernest stimmte ihr zu. „Die Bedingungen sind ähnlich, hier wachsen auch Wüsteneichen und Mugla-Akazien. Hier müssen schon vorher Menschen gelebt haben, und ich frage mich, wie die Belas sich mit ihnen arrangiert haben.“ Es klang die Hoffnung durch, der Farmer sei ein Mann, mit dem sich reden ließe.

Vielleicht ritten sie aber auch bereits über Land, das mit dem Blut der Eingeborenen erkauft worden war.

Schwerfällig wichen ihnen einige wohlgenährte Rinder aus, die es sich unter einem Eukalyptus bequem gemacht hatten und wiederkäuten.

Sie besaßen lange Hörner und schwere Köpfe. Einige Bullen waren darunter. Florence musterte die Tiere mit Respekt, früher hätte sie sicher Angst vor ihnen gehabt, aber früher hätte sie auch keine Hosen getragen oder rittlings auf einem Pferd gesessen.

Die Farm bestand aus einem lang gestreckten Hauptgebäude mit einer großen, überdachten Veranda und mehreren Nebengebäuden. Kinder spielten mit einem jungen Hund im Hof und lachten und quietschten, als das tollpatschige Tier versuchte, einem der Hühner nachzustellen, die im sandigen Boden nach Fressbarem scharrten.

Florence glaubte erst, die Kinder seien unbeaufsichtigt, doch dann bemerkte sie eine alte Frau, die in einem Schaukelstuhl saß und Kleidung flickte.

„Guten Tag, ist dies die Bela-Farm?“, rief Ernest.

„Ja. Willkommen!“, rief die alte Dame, legte ihr Nähzeug zur Seite und stand auf. Der kleine Junge, nicht älter als vier Jahre, rannte zu Florence und griff nach Koas Zügeln, um das Pferd festzuhalten, während sie abstieg. Es war absolut unnötig, dennoch fühlte sich Florence von der Geste des kleinen Kavaliers gerührt.

„Dankeschön, junger Mann“, sagte sie und strich ihm über den blonden Lockenschopf. „Wie heißt du denn?“

„Georg Bela, Miss.“

„Ich bin Florence Furbish. Schön, dich kennenzulernen.“

„Ich bringe Ihr Pferd in den Stall, ja?“

„Danke, Koa ist ganz brav.“

Florence sah ihm kurz nach, dann ging sie zu der älteren Dame, die sich als Grandma Parkland vorstellte. „Nennen Sie mich Granny, das tun alle hier.“

Ernest, der sein Pferd angebunden hatte, stellte sich ebenfalls vor und kam direkt zur Sache. „Im kleinen Lebensmittelladen in Mule Springs wurde uns gesagt, dass Mr Bela die Eingeborenen aus dieser Gegend vertreiben will.“

„Ja, es gab viele Scherereien in letzter Zeit. Da kommen Sie genau zur richtigen Zeit. Es werden noch Helfer gesucht. Die Männer treffen sich heute bei uns, sie haben mit der Beratung gerade erst angefangen. Kommen Sie.“

Ernest hob erstaunt die Brauen. Was für ein Zufall. Während Granny ihr zweites Enkelkind einfing und es auf ihre Hüfte setzte, neigte er sich zu Florence. „Ich denke, es ist besser, ich gehe alleine zu dieser Besprechung. Du könntest dich in der Zwischenzeit umhören, was hier vorgefallen ist.“

Florence gefiel die Vorstellung nicht, ausgeschlossen zu werden, doch Ernest hatte recht. Wenn sie jetzt versuchten, erst ihre Anwesenheit durchzufechten, dann wären sie schnell als nicht vertrauenswürdig verschrien. Sie würden also bei ihrer Vorgehensweise bleiben. Ernest würde sich erst mal als Unterstützer ausgeben und Florence die Ohren offenhalten. Womöglich konnte sie von den Frauen des Hauses weit mehr erfahren als Ernest in seiner Runde.

„So machen wir es, viel Glück.“

Sie drückte seine Hand, und er gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn, der ein wohliges Kribbeln durch ihren Körper sandte.

Sobald sie das Haus betraten, konnte sie mehrere Männerstimmen hören. Zwei waren aufgebracht und in eine Diskussion verwickelt, in der keiner von beiden nachgeben wollte.

„Gehen Sie einfach dort lang, Mr Furbish“, sagte Granny, „und Sie, Madame, dürfen mir gerne Gesellschaft leisten, wenn Sie möchten.“

Florence tauschte einen letzten Blick mit Ernest. Viel Glück, formte er still mit dem Mund, und sie nickte, dann gingen sie getrennter Wege.

Granny brachte sie in einen luftigen Raum, der halb Küche, halb Veranda war und sich auf der Außenseite mit einem Paravent verschließen ließ. Eine junge Frau saß am Tisch und putzte Gemüse.

„Das ist meine Tochter Mary. Mary, schau, wir haben noch mehr Besuch bekommen.“

Florence wurde gedrängt, sich an den Tisch zu setzen, und bekam eine Limonade gereicht, in der eine Zitronenscheibe schwamm. „Eine echte Zitrone?“, fragte sie staunend und stupste sie mit dem Finger an.

Mary lächelte. „Ja, mein Mann hat die Samen aus Spanien mitgebracht. Mit ausreichend Wasser gedeihen sie gut. Sie sollten es auch mal versuchen, Mrs Furbish. Wo liegt denn Ihre Farm?“

„Südwestlich von Mule Springs. Dort gibt es einige auffällige Felsformationen, einen Namen hat die Gegend aber glaube ich nicht. Es ist auch keine Farm, nur ein Häuschen.“

Mary hielt beim Zwiebelschneiden inne und sah sie erstaunt an. Sie hatte ein Gesicht wie ein Engel, weich und rundlich, mit einem herzförmigen Mund und großen blauen Augen. „Dann wohnen Sie ja mitten in der Wildnis. Nur mit Ihrer Familie?“

„Nur mein Mann und ich. Aber wir haben freundliche Nachbarn.“

„Ja?“, erwiderte Granny überrascht und ließ ihren Neffen auf den Knien schaukeln. „Bislang dachte ich, dort wohne überhaupt niemand, und nun kommen Sie und erzählen mir, dort gäbe es gleich eine kleine Gemeinde. Davon sollte doch selbst eine alte Frau wie ich gehört haben.“ Sie sah ihre Tochter an, doch die schüttelte nur den Kopf.

Florence nahm einen großen Schluck Limonade und merkte, wie ihr Herz ein Quäntchen schneller schlug.

„Sie werden deshalb nichts gehört haben, weil meine Nachbarn Eingeborene sind. Die halten sich meist im Verborgenen“, sagte sie lächelnd, obwohl ihr gar nicht danach zumute war.

„Wilde?“, keuchte Mary fassungslos.

„Ja. Wir tauschen Waren und Geschichten. Diese Menschen sind großartige Geschichtenerzähler, und sie besitzen eine ungeheure Kenntnis des Landes.“

Granny sah sie irritiert an. „Aber nun ist etwas vorgefallen, und Sie wollen sie doch loswerden?“

„Gab es hier Vorfälle?“, wich sie der Frage aus.

„Sie stehlen Vieh und erschrecken unsere Kinder. Bei den Känguruhöhlen dort oben treiben sich häufiger welche herum. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie jemanden überfallen, wenn Sie mich fragen. Nicht weit von hier haben die einen Goldsucher umgebracht. Mit Knüppeln totgeschlagen haben sie ihn. Stellen Sie sich das nur vor!“ Granny hatte ein ganz rotes Gesicht bekommen.

„Davon habe ich noch nichts gehört.“

„Sie haben ein paar von denen erwischt. Angeblich hat der Schürfer ein Mädchen von ihnen angefasst, aber das Mädchen konnte keiner finden.“

„Und überhaupt“, mischte sich jetzt Mary ein, „die sind doch hässlich wie die Krähen, welcher vernünftige Mann würde sich schon nach denen umsehen?“

„Was ist mit den Männern passiert?“

„Na was wohl“, schnaubte Granny, „die wurden am nächsten Baum aufgeknüpft und hängen gelassen, als Warnung.“

„Entschuldigen Sie, ich muss kurz an die frische Luft“, sagte Florence mit erzwungener Ruhe. Die beiden Frauen sahen sie mitfühlend an, während sie die Küche durch die offene Seitenwand verließ.

Im Schatten der überdachten Veranda ließ es sich gleich leichter atmen. Langsam lief sie am Haus entlang, vorbei an scharrenden Hühnern und einer Katze, die im Schatten einer Bank döste. Es war idyllisch hier, und doch hing ein Schatten über diesem Ort wie ein düsteres Omen.

Es war also bereits auf beiden Seiten Blut geflossen. Dabei hatte sie so sehr gehofft, früh genug mit den Farmern reden zu können, um das Schlimmste zu verhindern.

Und nun? Was würden sie jetzt noch tun können? Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie es Ernest jetzt dort drinnen bei der Versammlung erging. Er war kein Mann großer Worte, sie hatte noch nie erlebt, dass er lauter wurde, nicht mal dann, wenn er wütend war.

Und dort drin würde ihm sicher niemand andächtig lauschen, so wie wissenshungrige Studenten oder wie Jarli und Matinki, seine Freunde in der Sippe, die eine gute Geschichte zu schätzen wussten.

Vielleicht sollten wir sie warnen und mit ihnen weiterziehen, tiefer in die Wüste, dorthin, wo das Land den Siedlern wertlos erscheint, dachte sie niedergeschlagen. Vielleicht war es Zeit, ihr kleines Paradies zu verlassen, Zeit, nach Hause zurückzukehren und über ihre Beobachtungen und Erlebnisse zu schreiben.

Von England aus würden sie womöglich bessere Chancen haben, die Eingeborenen zu schützen. Nur wenn sie in den Augen der Weißen einen Wert bekamen, würden sie der Vernichtung entgehen.

Florence lehnte sich an die Hauswand, strich mit den Händen über das ausgeblichene, spröde Holz und schloss die Augen. Die Sonne schien durch ihre Augenlider und flutete sie mit ihrem rotgoldenen Glühen.

Irgendwo wurde eine Tür geöffnet und wieder geschlossen, dann näherten sich Schritte. Ernest war ihr erster Gedanke, er brauchte auch Abstand von der vergifteten Atmosphäre im Haus. Doch es war nicht ihr Mann, wurde ihr schnell klar. Seine Schritte waren immer leise, darauf bedacht, nicht zu stören.

Doch derjenige, der dort herankam, kümmerte sich nicht darum. Er trat energisch auf, wie um sich Platz zu schaffen.

Ihr Wunsch, alleine zu sein, war dahin. Mit Glück würde er einfach vorbeigehen und ihr keine Beachtung schenken. Widerwillig öffnete Florence die Augen und fühlte sich sogleich, als habe ihr jemand einen Schlag in den Magen versetzt.

Dort kam kein anderer als Magnus Fredriksson, und er hielt genau auf sie zu. Also hatte er sie gesehen, und sie konnte sich nicht mehr einfach davonstehlen.

Florence krallte ihre Finger um die spröden Holzbalken der Hauswand und sah ihm entgegen. Sie hatte sich dieses Unheil selber eingebrockt, also würde sie auch alleine damit fertigwerden müssen. Er musste wissen, dass es vorbei war, sie wollte ihn nie wiedersehen.

„Florence, schön wie eh und je“, sagte er und schob seinen Hut aus der Stirn. „Ich habe gehofft, dich hier zu finden.“

Sie rutschte ein Stück von ihm weg. „Woher wusstest du …?“

„Dieser Kerl, der Wissenschaftler, der erst später hinzugestoßen ist. Ich habe ihn erkannt, vom Schiff. Und da dachte ich, wo er ist, kannst du nicht weit sein.“

Er trat wieder näher, strich ihr über die Schulter. Als sein Zeigefinger ihren Hals streifte, reagierte ihr verräterischer Körper mit einem wohligen Schauder. Sie tauchte unter seiner Berührung hinweg. „Bitte nicht, Magnus.“

„Warum? Denkst du, jemand könnte uns sehen? Und wenn schon. Ich weiß, dass du mich liebst, geh mit mir fort. Diese jämmerliche Gestalt da drin hat keine Frau wie dich verdient.“

„Aber du?“, gab sie mutiger zurück. Seine Überheblichkeit war abstoßend und gab ihr die nötige Kraft, der Anziehung, die er noch immer auf sie ausübte, zu widerstehen.

Sie reckte das Kinn vor. „Ich liebe meinen Mann, ich hätte mich nie mit dir einlassen dürfen.“

Magnus verzog angewidert den Mund und spuckte vor ihr auf den Boden. „Das meinst du nicht so, du hast nur Angst. Du bist zu feige, ihm die Stirn zu bieten! Ich bin den ganzen Weg hierhergekommen, nur um dich wiederzusehen. Denkst du, er hätte das je für dich getan? Ich glaube nicht. Das Einzige, was ihn interessiert, sind seine Niggerfreunde.“

Er nahm seinen Hut ab und hielt ihn sich vor die Brust, als wolle er darauf einen Schwur ablegen, doch Florence trieb es nur umso stärker von ihm fort.

Sie wusste, wem ihr Herz gehörte. Endlich wusste sie es. Und Magnus schaffte nur eines mit seinen Beteuerungen, dass sie sich immer mehr für ihren Betrug schämte.

„Geh und lass uns einfach in Frieden“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich will dich nie wiedersehen, ich wünschte, wir hätten uns niemals kennengelernt.“

Daraufhin änderte sich Magnus‘ Blick mit einem Schlag. Sie hatte ihn zutiefst verletzt. Und nicht nur sein Ehrgefühl. Offenbar waren seine Gefühle für sie echt, und sie hatte sie mit Füßen getreten. Florence wurde augenblicklich klar, dass sie sich einen Feind gemacht hatte.

„Das meinst du nicht so“, sagte er leise, ließ den Kopf hängen und fuhr sich durch das verschwitzte Haar. „Nirgendwo auf der Welt werde ich je wieder eine Frau wie dich finden, Florence.“

***

Südsternjahre 5

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