Читать книгу Das Verschwinden - Rebekah Lewis - Страница 5

DAS VERSCHWINDEN

Оглавление

Als ihre Freunde nach ein paar Runden Bier verkündeten, dass sie einen angeblich einheimischen Vogel namens Schnepfe suchen wollten, hätte Cadence skeptisch sein sollen. Stattdessen war sie leicht angeheitert gewesen und hatte zugestimmt, ohne auch nur zu hinterfragen, warum sie niemals zuvor von einem solchen Vogel gehört hatte, oder warum sie einen Fingerhut und ein Stück Seife brauchte, um ihn aus seinem Versteck herauszulocken. Während sie in einem Stückchen Wald stand, alleine, hinter einem Rattenloch von einer Bar, begann sie zu vermuten, dass etwas verkehrt war.

Leichtgläubig. So, so leichtgläubig. Ihre ganze Gruppe hatte sich in verschiedene Richtungen verteilt, filmten sie wahrscheinlich gerade hier und jetzt, um es später auf YouTube zu posten. Bäh. Scheiß drauf. Sie ließ die Seife und den Fingerhut fallen und zog ihr Handy heraus, um ihren besoffenen Arsch zurück zur Bar zu GPSen. Sie würde in einem klimatisierten Raum sitzen, während sie auf ein Taxi wartete, das sie abholte und zurück zu ihrem Zimmer im Studentenwohnheim karrte. Hinter ihr rannte etwas durchs Unterholz und sie ließ ihr Handy mit einem Keuchen fallen. Cadence drehte sich im Kreis, aber entdeckte keine bedrohliche Gefahr, keinen einzigen ihrer Gruppe oder Anzeichen eines großen Vogels mit regenbogenfarbenen Federn.

Ich besorge mir neue Freunde. Sowieso, wer zum Teufel trägt wahllos einen Fingerhut und Seife mit sich herum?

Während sie sich hinkniete um ihr Handy aufzuheben, zog eine Bewegung in ihrem peripheren Sichtfeld ihre Beachtung auf sich. Zunächst dachte sie, dass es ein Rotluchs war und ihr Herz setzte einen Schlag aus, in Erwartung der ganz gewiss schmerzlichen Tracht Prügel, die sie bekommen würde, sollte er angreifen. Dann setzte sich die Katze hin, schlang ihren langen, flauschigen Schwanz um sich selbst. Es war eine große gestreifte Katze, wahrscheinlich eine von der Rasse Maine Coon, aber Cadence konnte sich nicht sicher sein. Allerdings war sie in der Hocke sitzend fast zwei Fuß groß und Hauskatzen wurden nicht so groß, oder? Sie konnte sich nicht an die Größe einer Maine Coon erinnern, da sie diese nur auf Bildern gesehen hat.

Sie betrachtete sie mit außerweltlichen Kobaltaugen, die beinahe zu leuchten schienen. Cadence starrte zurück, fragte sich, was sie tun würde. Dann lächelte die Katze. Warte … was?

Mit einem Mund voller schmaler, scharfer Zähne grinste die Katze breiter und dann spaltete das Lächeln eine seitliche Mondsichel über ihr Katzengesicht. Die Welt drehte sich um sie herum und sie kippte aus ihrer hockenden Haltung auf ihren Hintern. Galle stieg in ihrer Kehle auf und sie schloss ihre Augen, um den Drang die beißende Flüssigkeit zu erbrechen zu bekämpfen. Möglicherweise hätte sie dieses letzte Bier nicht trinken sollen.

Aus Angst ihren Magen mit irgendeiner plötzlichen Bewegung zu irritieren und seinen Inhalt zu verstreuen, drückte Cadence ihre Augen zu und atmete schwer durch ihre Nase. Das erzeugte ein sonderbares pfeifendes Geräusch, was sie damit aufhören lassen wollte, ungeachtet der Tatsache, dass es zu helfen schien.

»Verzeihung, Miss … Geht es Ihnen gut?«

Cadence öffnete ihre Augen und begegnete dem Schauspiel von abgetragenen braunen Lederstiefeln. Dies falzten wie die eines Piraten unter von Leder umhüllten Knien und Oberschenkeln um. Ihr Blick wanderte hoch und die Gestalt bewegte sich aus ihrem Sichtfeld. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den knorrigen violetten Baumstamm, der sich weiter und weiter nach oben in eine Explosion aus purpurnen und saphirfarbenen Blättern wand, direkt hinter der Stelle, an welcher die Beine gewesen waren.

Was. War in. Diesen. Bieren?

Sie glotzte noch immer auf den Baum, als jemand sie an den Unterarmen packte und sie hochhob, aber ihre Beine weigerten sich zu kooperieren und knickten ein. Inzwischen erschien die grinsende Katze wieder aus dem Nichts auf einem der höheren Äste des Baums. Er neigte seinen Kopf, sein Lächeln wurde sogar noch breiter, als der Mann mit den Piratenstiefeln sie schwungvoll hochhob. Aus Angst fallen gelassen zu werden, hatte sie keine andere Wahl, als ihre Arme um seinen Hals zu legen. Das Erste, was sie bemerkte als sie ihn anblickte, war sein Haar. Lang, wellig und honigblond, die Strähnen unter ihren Fingern waren weich bei Berührung, aber sie schenkte dem nicht viel Aufmerksamkeit. Nicht, wenn sein Gesicht einem Engel gehörte.

»Waaaaaaas?«, schaffte sie zu sagen, aber konnte keine Wörter über diese Frage hinaus bilden. Der Mann war umwerfend.

Seine Lippen bewegten sich. Geräusche kamen heraus, aber wurden nicht registriert. Sie legte einen Finger auf seine Unterlippe, zog leicht den küssbaren Rand davon nach unten über die Oberseite seines Kinns mit leichtem Grübchen und beobachtete, wie sie zurück an Ort und Stelle sprang. Sie kicherte, erhaschte seinen Blick und sog dann einen Atemzug ein. Seine Iris waren ein silbernes Hellgrau. Und er schien nicht im Mindesten von ihren Mätzchen amüsiert zu sein.

»Devrel«, rief der Mann aus. Seine Stirn legte sich in Falten und sie fragte sich, was einen solch gutaussehenden Mann bekümmerte.

Die grinsende Katze erschien auf der Schulter des Mannes, ragte über ihm, während er sich herunterlehnte und antwortete, tatsächlich antwortete: »Sie ist ziemlich seltsam, oder?«

Hierbei verlor Cadence die Fassung. Sie lachte, nur um in einen Anfall hysterischen Kicherns gezwungen zu werden, als beide, der Mann und die Katze, sich einander an- und zurück zu ihr blickten.

»Vielleicht habe ich sie kaputt gemacht«, sagte Devrel, sein Lächeln stockte leicht, während er sich herunter streckte und eine riesige Pfote durch die Luft vor ihrem Gesicht zog.

Der Mann seufzte und schüttelte seinen Kopf. Das Haar, das über seine Stirn fiel, hüpfte bei dieser Bewegung. »Warum hast du sie mitgebracht?«

»Wen mitgebracht?«

Er nagelte Devrel mit einem wütenden Blick fest.

Die Katze kicherte hämisch. »Ich scherze. Das ist, was ich tue. Was das Mädchen betrifft …« »Lass mich ein paar Borogove-Federn für sie holen. Wir können sie zu Pulver zerdrücken und sie diese mit Tee trinken lassen. Ich glaube sie ist verdattert.«

Sie wollten sie mit pulverisierten Federn irgendeiner Art betäuben? Sie hatte sich bemerkenswert beruhigt, aber konnte die Benommenheit und den Schwindel, die sie damit in Verbindung brachte zu viel getrunken zu haben, noch immer nicht abschütteln. Obwohl, sie war vor allem nicht annähernd so betrunken gewesen. Konnte es sein, dass sie träumte?

Cadence griff nach unten und zwickte sich fest in ihren Arm. Ihr Nagel durchbrach die Haut. Nö. Definitiv wach. Devrel war fasziniert von dieser Handlung.

»Na ja, wer benötigt eine Katze zum Kratzen, wenn man wünscht sich selbst zu kratzen?«

»Dieser Baum ist lila.« Sie ignorierte ihn und ließ ihren Blick zurück zum Baum schnellen. Jep. Immer noch lila.

Der Mann blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an, als ob sie einfältig wäre, und erwiderte: »Das ist ein Tumtum-Baum. Die sind immer lila.«

»Oh, das erklärt so viel. Danke. Warum kann Ihre Katze reden?« Und übrigens auch lächeln. Und nach Belieben auftauchen.

»Er ist nicht meine Katze und ich besitze ihn nicht. Er ist mein Freund.«

Devrel schnurrte und gab dem Mann einen freundlichen Stups mit dem Kopf. »Ich bin der Letzte der Grinsekatzen«, sagte er fröhlich.

Cadence verspannte sich. Die Grinsekatze war ein fiktiver Charakter in einem Kinderbuch. Fiktiv, nicht real. Natürlich schien das Argument völlig hinfällig angesichts der Tatsache, dass die Katze sprechen konnte und offensichtlich ein breites Grinsen hatte. »Eine Frage noch.« Sie schluckte. »Wo bin ich?«

Das Grinsen der Katze kräuselte sich noch höher. »Du bist im Wunderland.«

Die Welt wurde dunkel.


»Vielleicht solltest du sie dorthin zurückbringen, wo du sie gefunden hast.«

»Vielleicht sollten wir sie mit uns mitnehmen. Wenn du alleinstehend am Hof der Roten Königin erscheinst, wird sie versuchen dich mit jemandem zusammenzutun, der nicht deine Wahl ist. Sie war diesbezüglich das letzte Mal sehr endgültig.«

»Hast du sie deshalb aus ihrer Welt geholt?«

»Sie konnte mich sehen. Regeln sind Regeln. Jetzt gehört sie mir … außer du willst sie als Geschenk zu deinem Nichtgeburtstag.«

Cadence öffnete ihre Augen mit flatternden Wimpern. Ringsum waren Bäume, wovon viele Blätter in allen erdenklichen Farben hatten. Der Mann und die Katze führten ihre Diskussion im Schatten eines Baums fort, der abgesehen von blutroten tränenförmigen Blättern einem Ahorn ähnelte. Auf den ersten Blick sah es aus, als ob Blut von den Zweigen tropfte.

Sie nutzte die Gelegenheit, um ihre Geiselnehmer zu betrachten, wenn sie die so nennen konnte, während diese ihre Rückkehr zum Bewusstsein weiterhin nicht bemerkten. Devrel schien noch immer eine grauschwarze Katze zu sein, da gab es nicht viel zu sehen—außer dem gruseligen Lächeln. Der Mann jedoch schien aus irgendeinem mittelalterlichen Film gestiegen zu sein. Sie hatte zuvor seine Stiefel bemerkt, aber Cadence hatte keinen guten Blick auf seine ganze Aufmachung bekommen. Sein Lederwams war auch aus abgetragenem braunen Leder und darunter war ein langärmeliges Hemd, das locker über seine Arme hing. Seine—Überraschung, Überraschung-Lederhose schmiegte sich an seine Schenkel, aber war locker genug, so dass er sich mit Leichtigkeit bewegen konnte. Ein Schwertgürtel hing um seine Hüfte und ein silbernes Heft glänzte im Licht der Sonne, wo es stolz aus der Scheide herausragte.

Er blickte in ihre Richtung, hob eine Braue. »Du bist wach.«

»Bin ich wirklich ohnmächtig geworden?«, fragte sie und ihre Wangen erwärmten sich. Hoffentlich hatte sie nicht gesabbert. Wie peinlich. Sie verlagerte ihr Gewicht und stellte fest, dass sie gegen einen lila Baum gestützt war, dem Tumtum-Baum, so hatte er diesen genannt. Er war irgendwie gemütlich und roch nach Zuckerwatte. Cadence widerstand dem Drang ihn abzulecken.

»Aye. Aber keine Sorge. Es ist mein liebster Fleck im Tulgey Wald. Nun da du wach bist, können wir uns auf den Weg machen.« Er lächelte sie dann an. Atemberaubend.

»Wer bist du?«, fragte sie und erschauderte. An was sie sich vom Wunderland erinnerte, kam aus einem Cartoon. Sie klang wie die verdammte Raupe. »Was ich meine ist, ich komme nicht dahinter. Du trägst keinen Hut, also kannst du nicht der Hutmacher sein. Du bist in Weiß gekleidet, macht dich das also zum Weißen Hasen?«

Devrel erschien auf ihrem Schoß, grinste direkt in ihr Gesicht. Für eine solch große Katze war er überraschend leicht. »Bist du sicher, dass du nicht verdattert bist. Das Angebot der Borogove-Federn steht noch immer zur Verfügung.« Er leckte sich über das Maul, als ob er den Gedanken etwas, von was sie annahm, dass es eine Art Vogel war, aber in dieser Welt alles sein konnte, zur Strecke zu bringen reizvoll fand.

Der Mann zog sein Schwert, enthüllte eine lange Stahlklinge und ließ es durch die Luft sausen. Das pfeifende Metall gab ein zerschnifer-schnück von sich, als es durch den Freiraum schnitt. Cadence war nicht völlig sicher, ob er wollte, dass sie sein Geschick sah, das Schwert, oder ob er im Begriff war sie zu erstechen.

»Weißt du was das ist?«, fragte er, hielt das Schwert vertikal in einer Pose vor sein Gesicht, die Cadence von Covern von Liebesromanen und Fantasybüchern wiedererkannte.

»Ähm … ein Schwert?«

Devrel kippte in ihrem Schoß um und kicherte. »Ein Schwert, sagt sie. Selbstverständlich ist es ein Schwert! Aber was bedeutet das!«

»Das«, sagte der Mann, »ist das Mrutal-Schwert.«

Abgesehen von Devrels beständigem summenden Schnurren, wurde seiner Enthüllung mit Stille begegnet.

Er brachte die Waffe mit einem übertriebenen Seufzer in die Scheide zurück. »Ich bin Gareth, Schlächter des Jabberwocky.« Gareth war ein guter Name für ihn. Passte völlig zu seiner mittelalterlichen Erscheinung.

»Und was genau ist ein Jabberwocky?«, fragte Cadence, während sie unbewusst eine Hand Devrels Rücken heruntergleiten ließ. Sein rumpelndes Schnurren nahm an Lautstärke zu und er kuschelte sich näher an sie.

»Eine verdorbene Kreatur, die einst das Land und den Himmel unseres Landes terrorisierte«, erklärte Gareth. »Viele strebten an ihn zu besiegen und sind gescheitert. Die meisten haben sich voller Furcht versteckt. In meiner Jugend bin ich nur mit diesem Schwert bewaffnet in den Tulgey Wald gegangen und mit seinem Kopf zurückgekommen, hatte ein Biest geschlagen, was die mutigsten Ritter und Helden nicht konnten.«

»Also ist es wie ein Drache?«

»Was ist ein Drache?«, fragte Gareth.

»Echse mit Flügeln.« Sie flatterte zur Demonstration mit ihren Armen. »Speit Feuer.«

Er erwog es und nickte. »Ähnlich, aye, aber er stand auf zwei Beinen und hat eine Weste getragen. Er hatte auch Schnurrhaare.«

Devrel rollte sich herüber, um sie anzublicken. »Allerdings nicht so hübsch wie meine.« Er ließ seine Pfote über seine eigenen gleiten, um zu demonstrieren, wie lässig-elegant diese waren.

Die Katze ignorierend verbeugte sich Gareth. »Gott sei’s geklagt, du hast meinen Namen, aber ich kenne deinen nicht?«

»Oh. Ich bin Cadence. Cadence Adams, Studentin.« Als Gareth seinen Mund öffnete, um zu fragen, was eine Studentin wäre, winkte sie mit einer Hand. »Es ist nicht wichtig. Ich muss aber zurückgehen. Ich war mit Freunden im Wald und sie werden sich Sorgen machen.« Innerlich gewann sie Vergnügen daraus sich die Gesichter ihrer Freunde vorzustellen, wenn sie spurlos verschwunden war und sie den Polizisten sagen mussten, dass sie sie alleine gelassen haben, während sie ihr einen schmutzigen, gemeinen Streich spielten.

Jaah, genau. Sie werden wahrscheinlich einen Pakt schließen niemals irgendjemandem davon zu erzählen, dass sie dort waren, oder sagen, dass sie gesehen haben, wie ich von der Bar nach Hause gegangen bin. Ärsche.

Devrel stand auf, streckte sich und gähnte breit, bevor er sich wieder wie ein pelziger, wahnsinniger Papagei auf Gareths Schulter materialisierte. »Die Sache ist die, Cadence.« Er hob eine Pfote und leckte sich auf träge Weise zwischen den Ballen. Als er hochblickte und sie darauf wartend vorfand, dass er erläuterte, entschuldigte er sich rasch und fuhr fort: »Sobald man im Wunderland ankommt, steckt man für zwei Tage fest, bis zur dreizehnten Stunde, in der tiefen Nacht, wenn die Sonne und der Mond beide hoch am Himmel sind und man seine Augen schließt, um zu schlafen. Das Wunderland weiß, was sich das Herz wahrhaftig wünscht, und sollte man nach Hause gehen wollen, geht man nach Hause. Wenn man bleiben möchte, ist man hier …« Seine Ohren legten sich an und er fügte hinzu: »Für immer.«

Das Verschwinden

Подняться наверх