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Magie und Schrecken der Geburt

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«Ich erlebe bei jeder Geburt magische, intensive Momente», sagt Augusta Theler. «Jede Geburt hat etwas Bezauberndes und ist etwas Einmaliges. Die Zeit bleibt einen Augenblick stehen.» Sie empfindet es als riesiges Privileg, in diesen Momenten ganz nah dabei zu sein und ein Teil der Geschichte jedes Paars und jedes Kinds zu werden; auch wenn diese sich später nicht mehr an die Hebamme erinnern. «Dieses Ereignis bleibt prägend für die ganze Familie.»

Die Hebamme sagt, sie empfinde höchsten Respekt vor jeder Geburt und habe eine grosse Achtung vor jeder Gebärenden. Sie selbst hat keine eigenen Kinder und besitzt damit auch keine persönliche Geburtsgeschichte, die sie in ihrem Beruf beflügeln oder belasten könnte.

«Ich finde es schön, einen verantwortungsvollen Beruf zu haben», sagt sie. «Aber freilich kann Verantwortung auch belastend sein, wenn es um Leben und Tod geht. Als Hebamme kann ich die Verantwortung nicht einfach abschieben, sondern muss mich in die Situation schicken.» Im Spital ist sie in eine Gruppe von Spezialisten eingebunden und fühlt sich dadurch nie allein. Sie findet, diese Teamarbeit entspreche ihr. «Ich bin ein Rudeltier und kann mir nicht vorstellen, anders zu arbeiten.»

Obschon das Team sie unterstützt, ist die Hebamme bei jeder Geburt mit ihrer ganzen Präsenz gefordert. «Man braucht viel Einfühlungsvermögen, um auf jede Frau individuell eingehen zu können. Und es braucht eine gewisse Spontaneität und Flexibilität, um in unerwarteten Situationen schnell reagieren zu können.» Augusta Theler ist sich bewusst, dass viele Schwangerschaften mit langen, komplizierten Vorgeschichten verbunden sind. Nicht bei allen Paaren klappt es sofort mit dem Kinderkriegen. Manche haben einen Leidensweg voller Bangen und Hoffen hinter sich, bis die Frau endlich schwanger ist. Nicht selten haben die Paare viel Zeit und Energie, manchmal auch viel Geld investiert, bis die Schwangerschaft geglückt ist, etwa durch eine künstliche Befruchtung. «Dann lastet ein doppelter, meist unausgesprochener Druck auf uns Hebammen, dass alles gut geht.»

Die Ansprüche und Erwartungen der werdenden Eltern würden immer grösser, sagt Augusta Theler. «Durch die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik wiegen sich viele Leute in Sicherheit. Die instinktive, natürliche Beziehung mancher Frauen zum werdenden Leben ist damit gestört worden. Bluttests, Chromosomenuntersuchungen und Baby Watching dank Ultraschall vermitteln das Gefühl, jederzeit alles unter Kontrolle zu haben. Doch die absolute Sicherheit gibt es nicht.» Auch romantisch verklärte Vorstellungen von einer sanften Geburt bei Kerzenlicht seien verbreitet, stellt sie fest. «Gebären ist aber ein natürlicher Prozess, der nicht immer nach Plan abläuft. Wenn die Geburt beispielsweise nicht voranschreitet und es dem Kind zunehmend schlechter geht, muss man etwas unternehmen, um den Verlauf zu beschleunigen.» Unter Umständen wird der Arzt mit der Saugglocke oder der Zange nachhelfen, oder es wird ein Notfallkaiserschnitt durchgeführt – nicht das, was sich die Frauen wünschen. «Man darf nicht vergessen, dass die meisten Geburten normal und ohne Komplikationen verlaufen», sagt Augusta Theler. «Hier in der Schweiz bin ich als Spitalhebamme trotzdem froh um die Diagnose- und Operationsmöglichkeiten, die für den Notfall vorhanden sind.»

Ein Notfall mit einem Kampf um Leben und Tod geht ihr noch heute unter die Haut. «Es war 6 Uhr morgens, gegen Ende der Nachtschicht, und es war wenig los im Spital», erinnert sie sich. «Meine Kollegin wollte mich schon heimschicken. Sie meinte, sie käme gut allein zurecht. Ich bestand darauf, bis zur Ablösung zu bleiben, und zog mich ins Stillzimmer zurück, um ein wenig zu schlafen. Ich lag noch nicht lange auf der Couch, da kam die Meldung aus dem Notfall, sie würden eine schwangere Frau zu uns hinaufbegleiten. Die Frau war mit ihrem Mann im Privatauto zum Spital gefahren. Sie konnte nicht selbst aus dem Auto steigen, so schlecht war ihr Allgemeinzustand. Vom Notfall brachte man sie mit der Bahre auf die Gebärabteilung: ein schlechtes Zeichen.

Ich erschrak. Die Frau war fahl im Gesicht und fast nicht mehr ansprechbar. Ich legte ihr die Hand auf den Bauch, um die Spannung der Gebärmutter oder Wehen zu spüren. In diesem Augenblick merkte ich, dass die Bauchdecke weich war wie ein Schwamm. Schlagartig wurde mir der Ernst der Lage bewusst. Ich rief nach der Ärztin und meiner Kollegin. Die Patientin wurde immer fahler und grauer, sie war fast bewusstlos. Ihr Puls war sehr hoch, der Blutdruck sehr tief, alles Anzeichen für einen Schock. Die Herztöne des Kinds waren schwach. Wir brachten die Frau sofort nach unten in den Operationssaal. Notfallsectio. Ich machte mir grosse Sorgen um die Mutter und das Kind. Die beiden Leben hingen an einem seidenen Faden. Es ging alles so schnell, ich hatte nicht einmal Zeit, um dem Mann die Dramatik der Situation zu erklären. Die Gebärmutter war gerissen – eine seltene, lebensgefährliche Komplikation: Der Bauchraum füllt sich mit Blut und Fruchtwasser, und die Versorgung des Kinds wird unterbrochen. Schliesslich überlebte die Frau die Operation, doch für den Säugling kam die Hilfe zu spät. Wir haben noch versucht, das Kind zu reanimieren, konnten es jedoch nicht zurückholen.

Ich musste dem Mann, zusammen mit dem Arzt, die traurige Nachricht überbringen. Tragödien wie diese machen mich sprachlos, es tat mir so weh, dass das Kind gegangen war. Ich konnte meine Ohnmacht und meine Fassungslosigkeit nicht verbergen. In diesen Momenten trauern wir mit den Eltern mit. Aber ich war auch erleichtert, dass die junge Frau überlebt hatte. Sie hatte eine grössere Tochter zu Hause. Diese Geschichte war für mich sehr prägend. Ich bin froh, mich auf mein Gefühl verlassen zu haben; zum Glück war ich nicht nach Hause gegangen und hatte meine Kollegin nicht allein gelassen.» Augusta Thelers Stimme wird brüchig, wenn sie davon erzählt. «Das kennt man ja heute in unseren Breitengraden kaum mehr, extreme Sachen wie einen Gebärmutterriss, der für die Schwangere tödlich ausgehen kann.»

Der Notfall im Spital brachte die Hebamme vollkommen aus der Fassung. Sie haderte mit sich und mit dem Unglück. Die Walliserin sieht sich als starke Person, doch sie sagt, in manchen Situationen wirke sie stärker, als sie sei.

Sie lache gern, sei temperamentvoll, fröhlich und gesellig. Aber sie sei auch ein emotionaler Mensch, manchmal dünnhäutig, mit einer nachdenklichen Seite.

Augusta Theler - Mit dem Hebammenkoffer um die Welt

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